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Clemens Brentano an Sophie Mereau

Den Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau, der zu dem auserlesensten gehört, was zwischen Liebenden geschrieben werden kann, hat Reinhold Steig veröffentlicht (Achim von Arnim, und die ihm nahe standen, herausg. von Reinhold Steig und Hermann Grimm. 1. Bd.). Sophie, die nach nur dreijähriger, nicht von Glück bedachter Ehe 1800 starb, war von einer feinen anmutigen Art, von einem beständigen treuen Gefühl. Der Brief an Karoline von Günderode mit seiner geschraubten und extravaganten Sprache ist, nach den Feststellungen Reinhold Steigs, schon 1802 geschrieben.

Sommer 1803.

O liebe Sophie, übe das Vergeltungsrecht aus, freue Dich an diesem Briefchen, wie ich mich erfreute, wenn ich Deine Gestalt bei Vermehren am Fenster sah, ich habe von zehn bis zwei Uhr dem Hause gegenüber gesessen und einigemal Deine Stimme gehört. Montag gehe ich wieder nach Weimar, ich bitte Dich, beweise mir meine Seligkeit, o komme bald zurück! Ich will Dich recht gut unterhalten in Weimar, ich will schöne Sachen lesen, Arnims Briefe, Bettinens Briefe, viele Lieder und Geschichten, und der Gräfin will ich gefallen und allen Menschen, die Du liebst! Stelle Dir vor, wie betrübt ich lebe in Weimar, wenn Du nicht da bist! Da sitze ich ganz allein auf der Welt und noch alleiner, als gegen Vermehrens Haus über! Da ist keine Musik und kein Tanz, ach und Du bist auch nicht da! Liebe Seele, verstehe mich, liebe mich, es ist um Deinetwillen, meinetwillen, des Lebens willen, es ist Gottes Wille!

Dein Clemens Brentano.

Clemens an Sophie.

August 1803.

O liebes Weib, mir ist als hätte ich Dich in tausend Jahren nicht gesehen! o hilf mir, mache, daß ich bald bei Dir sein darf! ich fühle mich so treu und freundlich! ach du Gott, und nun von Dir scheiden:

Bricht's nicht in Freud, bricht's doch in Leid,
Bricht es in uns allen beiden!
Ach Wiedersehn geht fern und weit,
Und nahe geht das Scheiden.

Sophie an Clemens.

11. Oktober.

Ei, Clemens, guten Morgen! ich hab so viel und schwer von Dir geträumt. Und daß Du nun nicht bei mir bist, das ist mir das verdrießlichste. Die Zeit dehnt sich mir so lang, so lang, daß ich zuweilen meine, die Lebenssonne müsse untergehen, weil der Schatten so groß wird. Je näher die Stunde kommt, wo ich Dich sehen soll, desto ferner scheint sie mir; je wahrscheinlicher, desto unmöglicher. Ach Clemens! in diesem Augenblick überfällt mich eine Sehnsucht, die mich zu Tränen zwingt! Ich habe mir ein Liedchen gemacht, das will ich alle Morgen uns vorsagen ...

... Ich schicke Dir hier ein Halstuch, unter welchem mein Herz oft so laut für Dich geschlagen, nun wird es das Deine bedecken – Herz, o Herz, des einzig süßen! all' mein Leiden sollst Du wissen! Daß ich einst ihn kränken müssen, muß ich schuldlos schuldig büßen! O! wie werd ich einst vermessen mich an seinen Busen pressen, alle Trauer sei vergessen und die Freude ungemessen. ...

Clemens an Sophie.

Oktober 1803.

Heio popeio, sei ruhig, liebes Herz! schlafe, Kindchen, schlafe, in Weimar gehn die Schafe, die schwarzen und die weißen, die wollen mein Kindchen beißen. ... ich versichere Dir, ich kann mir keinen ekelhaftern Rahmen und ein Kunstleben denken, als das jämmerliche Nest, das sich zur Poesie wie das Hanswurst-Kleid zum komischen verhält; die Rührung rührt dort immer mit einer Empfindung zum Erbrechen, denn das gebildete Publikum besteht aus einigen verrückten Hofdamen etc. Wenn ich an Weimar denke, wird mir es miserabel. Ach, liebe Sophie, eile Dich dahinweg zu kommen, um wieder ganz gescheit und gesund zu werden, ich bin gerade zur rechten Zeit mit einem blauen Aug davon gekommen.

Sophie an Clemens.

November.

Clemens, ich werde Dein Weib sein – und zwar so bald als möglich. Die Natur gebietet es. Meine Gesundheit, Deine Tugend, meine jetzige Kränklichkeit – ich weiß nicht, warum es mir kostet, Dir es zu sagen, und doch kann ich nicht länger schweigen, wärst Du bei mir, so wollt' ich Dir es sagen mit einem Kuß, doch will die Feder nicht zu schreiben wagen den Götterschluß. Geheimnisvollstes Wunder, so auf Erden die Götter tun, was nie enthüllt, nie kann verborgen werden – so rate nun! Denk Schmerz, Lust, Leben, Tod in einem Wesen verschlungen ruhn, denk, daß ein ahndungsvoller Sänger Du gewesen, – errätst Du's nun? Ich werde mit Dir glücklich sein, das weiß ich; ob ich es bleiben werde, das weiß ich nicht, aber was geht mich die Zukunft an? – kann ich nicht sterben, eh' ich unglücklich werde? – Es müßte recht angenehm sein, in Deinen Armen und von Dir beweint zu sterben. – Weinen sollt' ich, wenn ich Weimar verlasse? Wie irrst Du Dich! ich scheid' aus diesen Gründen mit freier Brust, die Liebe such' ich, weiß sie mir zu finden, o süße Lust! was ich gesehn in früher Jugend Träumen, das holde Bild, mein harrte es in ferner Zukunft Räumen – nun ist's erfüllt!

So eilet ihr Tage, mit klingenden Schwingen
Mir schnell den Erwünschten, den Liebsten zu bringen,
Verschwunden sind Stunden voll finsterer Schmerzen,
Nur festliche Kerzen erhellen die Herzen.
O laßt mich nicht sterben, ich kann nicht vergehen!
Er ist es, ich habe den Liebsten gesehen!
Er ist mir erschienen im goldnen Gewande,
Ein Engel, zu lösen die irdischen Bande.

Clemens an Sophie.

3. November 1803.

Heute erhalte ich Deinen Brief, der Dich mir gibt, und was ich vom Himmel begehrte, ein Kind!

Sophie an Clemens.

4. November .

Clemens, es steht mir eine sehr ernste Stunde bevor, die Stunde, wo ich Dir wirklich den Namen Gatte geben werde. Ich weiß es im voraus, ich werde gerührt sein, vielleicht weinen. Denn wie es auch sei, ich fühle es tief in meinen heiligsten Momenten, da wo die Herrlichkeit einer andern Welt, die sich nicht in Worten, nur in Tränen spiegelt, in meine Seele scheint: das Wort Gatte, Vater sind geheimnisvolle, heilige Symbole von höheren Verhältnissen, die wir nur ahnden, nicht begreifen können. Aber dann macht das Erdenweib, die leichtgeschürzte, leichte Pilgerin des Lebens, wieder ihre Rechte geltend, sie steht einen Augenblick still und schaut lächelnd zurück auf die buntgeratne Zeichnung ihrer Reise und freut sich dann, mit kindischem Mutwillen vorwärts blickend, daß sie im Begriff steht, den letzten, lustigsten Streich ihres Lebens, aus dem Clemens einen Ehemann zu machen! Laut muß sie lachen und kann gar nicht begreifen, was dabei Bedenkliches, Schwerfälliges und Ernstes sein kann. Rasch und mutig setzt sie ihre Reise weiter fort und fest überzeugt, daß sie da, wo sie ermüdet, auch schnell ihre Heimat finden wird.

Clemens an Karoline von Günderode.

1802.

Gute Nacht! Du lieber Engel! Ach, bist du es, bist du es nicht, so öffne alle Adern Deines weißen Leibes, daß das heiße schäumende Blut aus tausend wonnigen Springbrunnen spritze, so will ich dich sehen, und trinken, aus den tausend Quellen trinken, bis ich berauscht bin und deinen Tod mit jauchzender Raserei beweinen kann, weinen wieder in Dich all Dein Blut und das meine in Tränen, bis sich Dein Herz wieder hebt und du mir vertraust, weil das meinige in Deinem Puls lebt. – Oh, wenn du mich kenntest, Du würdest den Mut verlieren, mich zu lieben, den Du nicht fassen kannst, da du mich nicht kennst. – Ich weiß so unendlich viel, daß es mir das Herz zersprengt, es zu sagen, aber sprechen ist ein langsames Totmartern und lägst Du nur eine Nacht in meinen Armen, so solltest du Dir meine Liebe an Deinen warmen Brüsten ausbrühen, und Du wüßtest alles, was ich weiß, und brauchtest nicht mehr zu erschrecken über alles, was ich sagen darf, weil ich will. Wahrhaftig, liebes Kind, die Tugend ist zart und man kann nicht mit ihr sprechen, die Tugend soll vom Leben lernen, o Du liebe Tugend, warum darf ich Dich nicht lehren, nicht wahr, Du liebst mich nicht? Ja, das tun die Leute, tue Du es auch, denn Du glaubst wohl auch, was die Leute wissen, ist bös und das Geheime gut. Es mag Dir wohl wunderlich werden bei diesen Worten, denn Du magst allerhand, was man nicht soll, o ihr armen lieben zweibeinigen Engel in der Hölle und Du, Günderödchen, im Fräuleinstift, was habe ich euch so lieb, ihr Teufel und ihr Engel, mein Herz ist keine arme Seele. Alles das schreibe ich in einem süßen drehenden Rausch, die Mondnacht und der Frühling haben sich nicht gescheut, vor meinen Augen das süße heilige Liebeswerk zu vollbringen, und damit das Bewußtsein solcher Wollust nicht verloren gehe, haben sie das Seufzen ihrer Liebe an dem Echo meines Busens gebrochen, und wie sie sich umarmten, verwandelten sie sich in eine goldene, süße, bittere, wollüstige Schlange, die mich mit den lebendigen, drückenden, zuckenden Fesseln ihres Leibes umwand. So saß ich am Berge und sah ins weite Tal, das sich wie ein leichter Berg auf mein Herz warf und da riß ich die Kleider von mir, daß die Umarmung keuscher sei, wie der Blitz, schnell und elektrisch, biß mir die goldene Schlange ins Herz, und ringelte wie in gewundener Lust an mir herauf, sie vergiftete mich mit göttlichem Leben und in mir war ein anderes Leben, es zieht mir mit ergebendem Widerstand durch Adern und Mark, und die Schlange zog durch die Wunde nach, und ringelt sich jetzt freudig und liebend um mein Herz, es ist zu viel, was ich habe. Drum beiße ich mir die Adern auf und will Dir es geben, aber Du hättest es tun sollen und saugen müssen. Offne Deine Adern nicht, Günderödchen, ich will Dir sie aufbeißen. Ob, ich bin ein arabisches Roß, warum nicht, wenn ich Dich hier hätte und Du solche Hochzeiten feiern sähest neben mir, so sollte Mondnacht und Frühling uns das Echo sein, das ich ihnen war. (Wenn Du mich nicht verstehst, so schreibe mir es, damit ich nicht mehr schreibe.) Schreibe mir recht vernünftige Briefe, lieber Engel, und wenn Du mich lieben kannst, so tue es, dein Tropfen solchen süßen Weins soll verloren gehen. Ich trinke Deine Gesundheit mit jedem Blick, den ich in den Frühling tue und jeder meiner Gedanken an Dich ist eine Gesundheit, die ich dem Frühling zutrinke. Wenn Du lieb bist, muß ich Dich ja lieben, das ist der Liebe Wesen und Dein Wesen. Lebe wohl, und habe den Mut, nur darum zu weinen, daß Du nicht bei mir bist im Fleische, sondern nur in Gedanken, denn beide sind eins und nur im Abendmahl genießen wir den Gott, denn alles wort muß Fleisch werden, auch dies Wort der Liebe.

Clemens Brentano.

Was macht der Brief für eine Wirkung auf Dich, liebes Günderödchen, ich fürchte immer, Du stellst Dich klüger oder dümmer an, als Du bist, sei doch kein Kind, mein Kind, und verstehe zu leben, das heißt, bekümmert Dich nur um Gott.

An eine Ungenannte.

Berlin 1816.

Ich bin sehr, sehr traurig in meiner Seele; ich schwebe zwischen Himmel und Erde, wie ein trauriger Gedanke. Mir geht ein Schwert durch das Herz, an dem ich nicht sterben kann, denn es kommt von Dir. Mir ist, als werdest Du mich bald verleugnen vor den Menschen. Es gibt unaussprechliche Gefühle, Du kennst sie; ein solches ist dies. Du kannst nicht reden und bist geheim, und wenn Du redest, bist Du oft hart und schmerzlich, ohne es zu wissen. Oh, hätte ich Dich nie gesehen, wäre ich nie von den Toten erstanden vor Dir. Mir ahmt, Du wirst bald Deine Hände über mir waschen und sagen: Ich habe keinen Teil an diesem Menschen. Geliebte Wesen, ist es möglich? Oder bin ich krank? –

Soweit hatte ich gestern abend geschrieben; ich konnte vor Müdigkeit nicht mehr. Ich war von dem Augenblick, wo ich Dich verließ, bis halb zehn Uhr die Straße von Dir bis zu H. unzählige Male auf und nieder gegangen in unsäglicher Trauer, Dich nicht gesprochen zu haben. Es war naß und stürmisch und ich weinte, wie ein verlorenes Kind, das keine Heimat hat. Verstehst Du das? Ich glaubte, Du habest ein Herz. Du hast mir ein Herz gezeigt; seit ich es sah, habe ich alles verloren, was ich gehabt. Du hast mir das Dach abgedeckt, und Türe und Fenster ausgehoben; Du hast mir den Mantel genommen, ja, die Brust eingestoßen; Du hast allen Jammer in meiner Brust gesehen und gesagt: Du seiest kein Engel und wollest helfen. Mein Kind, wie wird dies gehen?

Solch Leid und solche Freude ist mir aus keinem Brunnen gequollen, als von Deiner Lippe, aus Deinen Augen. Du hast mir unendlichen Trost und unendliche Marter gegeben; warum das letzte? Ach, das wissen wir beide nicht. Ich Elender, was helfen meine Worte? Sterben wäre mir das Beste, und ich fühle es, ich muß von der Erde, bald, bald! Hat sie Dich verletzt, so kann ich nicht auf ihr leben. – Du hattest einmal die Schlangen besprochen, daß sie waren wie Locken und seidene Bänder; aber Du läßt sie auch manchmal wieder los, und dann lieg' ich, wie Laocoon, in einem Knoten von Giftzungen. Mein liebes Kind, das ist Dein Wille nicht; ja, es schmerzt Dich, daß ich leide, und Du wärest wohl imstande, in eine Wunde, wie in ein Ohr hinein zu schreien: was fehlet Dir? in eine Wunde, die sich öffnete, um ein Mund zu sein, daß sie Dir sage: Ich bin ein Auge, das nach Dir schauen wird und brechen. – Vergeblich! – Kennst Du dies schreckliche Wort? Es ist die Überschrift meines ganzen Lebens; es brennt mir auf der Stirne äußerlich, wie im Hirn innerlich; all mein Denken, Tun und Leiden, mein unendliches Leiden war vergeblich, und ich mußte dies Wort immer dabei denken. In solchem Jammer sank ich vor Dir nieder, Du legtest Deine heilende Hand auf diese Kainsschrift, und ich sagte Dir meine Schuld. Da weintest Du auf dieselbe und sprachst voll Huld: Vergeblich! Du Gütige meintest es anders: Deine Schuld kann vergeben werden. Aber ich Elender habe das Wort empfangen von Dir in seiner ganzen Bedeutung; Dein Segen ist mein Fluch geworden; ach, alles ist vergeblich! Weißt Du, was Du getan hast, als Du mein Herz von Gott annahmst? Du hast meine Pflicht genommen, es zu heilen und zu heiligen. Oh, erschrick nicht, daß es vor dir schreit und zuckt, wenn es fühlet, daß Du eigenwillig und nicht verstehend es oft zerreißest. Du selbst hast es gefühlt und ausgesprochen, daß dieses Herz Dein ist; Du weißt es, ich weiß es, Gott weiß es! Aber vergeblich! muß ich nun schreien, das entsetzliche Wort, wenn Du mit gräßlicher Kälte sprichst: Ich habe kein Mitleid mehr, keinen Teil an keinem Menschen; ich bin verschlossen; ich will ganz allein sein in mir, usw. Vergeblich muß ich schreien, das entsetzliche Wort, wenn Du in meiner Gegenwart aussprichst: Ich habe bis jetzt auf der Welt nichts genützt, ich will nützlich werden und dies und jenes tun. Fahr' hin in Deiner Heiligkeit, du Törin, Du Wahnsinnige, aber ich sage Dir hier in die Seele, wenn Du vor den Herrn kommst, wird er Dich fragen: »Wo hast Du das Herz dessen, den ich Dir übergeben habe?« und ich werde Dir nachschreien mein v e r g e b l i c h bis jenseits der Ewigkeit. O mein Kind! mein Kind! was ist aus mir geworden? Ich sage Dir nochmals, stoße mich nieder, oder richte mich auf. Sage mir, daß ich weiche und verderbe, oder daß ich bleibe und lebe. So will ich nicht mehr leben. Ich erschrecke, wenn ich denke, daß Du mich mißverstehest. Wahrhaftig, ich liebe Dich weniger als Gott – oh, wie muß ich ihn lieben! Manchmal schaudere ich durch Mark und Bein, wenn ich denke, Du seiest der Gnadenstoß des Richters über meinem Herzen. Herr, mache es gnädig mit mir! Wo ist der Segen hin, wo der Friede, der Trost, der mir gegeben worden mit Dir? Du bist schrecklich gerüstet, mein Engel; mit einem Wort, einem Schweigen nimmst Du weg alles, was Du gegeben und verheißen, ja mehr noch, Du weckst die Toten, um sie zu töten, Du kleidest die Nackten und zerreißest ihnen die Brust überm Herzen, Du speisest die Hungernden und Durstenden mit Hunger und Durst, Du besuchest die Kranken mit Gift und befreiest die Gefangenen, ihnen in die Sonne zu treten. Der bin ich? Kennst Du mich wohl? Hast Du nichts mit mir, von mir, durch mich? Weißt Du, was ich um Dich verlassen habe? Das leben außer Dir und Jesum, – und läßt Du mich fallen, so falle ich auf Deine Rechnung.

Drei Tage später.

Ich möchte wohl wissen, ob in der Liebe zu einem Menschen nicht eine unendliche Progression ist? – ich meine, meine Neigung zu Dir trägt schon alle Früchte Himmels und der Erde. Die Weltgeschichte ist ganz aus für mich. Kurios ist es, aber ich muß in diesem Augenblicke denken und fühlen, und es ist mir, als wär's wahrhaftig so, nämlich: als wäre meine Brust ein Badezuber und Deine Füße stünden badend und plätschernd in meinem Herzen, und Du sagst: endlich krieg ich warme Füße.

An dieselbe.

Berlin im Spätherbst 1816.

Liebes Wesen, Du Schwalbenlied, Du kleine, rosenrote Spinne am Turmfenster. Ein Wink von Deinen Augen kann eine Hölle blind machen. Dein kleiner Finger bricht unauflösliche Bande. Ein Lächeln von Dir löst Gewitter auf. Tauche Deine Hand ins tote Meer, und es wird das Wasser, worüber die Geister schweben. Ist alles an mir geschehen! Mein klein winzig-mutterselig-alleiniges Herz, wie groß bist Du? Ich bin ein armer Mensch und gäbe mein Leben nicht um alles in der Welt, selbst um Dich nicht, weil ich Dich nun so unendlich liebe. O dummer Clemens! O dumme Freundin! wie klug seid Ihr in der Zeit und Ewigkeit? Um Dich, für Dich, durch Dich wird Alles gut gehen.

An dieselbe.

In der Christnacht.

Ich glaube, daß Gott Dich mir gesandt. Kennst Du den Lebensglanz auf dem Antlitz des Sterbenden? Ach, das bist Du mir! Kennst Du den Blumenkranz, der der Braut aufgesetzt wird und dem Opferlamm und den Toten? Das bist Du mir. Kennst Du den letzten Wunsch und willen dessen, der zu Gerichte geht? Den Becher Wein des armen Sünders, in dem er die Sonne des verlorenen Lebens blinken sieht und ohnmächtig niedersinket? Kennst Du den Sonnenblick in die Kammer eines Sterbenden und das Wehen des Laubes an seinem Fenster? Ach, es pochen fünf Rosen an, und so es nicht fünf wären, so könnte er nicht sterben! Das bist Du mir. Kennst Du das hochzeitliche Kleid, das der Jungfrau angelegt wird, und den Brautkranz, der ihr in die Haare geflochten wird, ehe sie ihr abgeschnitten werden, da sie ins Kloster geht? Das bist Du mir. Kennst Du Deine Wehmut, mit der Du auf Deine Lieder, Deine lieben, frommen Lieder – ich kenne keine anderen – und auf Deine Entsagungen, Deine Wünsche, auf Deine unentwickelten Freudengaben, Deine Talente, vielleicht auch auf frühere Liebe, ach, und auch um Gottes und Jesus willen auf mich armen, elenden Menschen blickst? Das bist Du mir. Kennst Du Dich, du lieber, stiller Engel, mit dem Tau, dem schweren, reinen in den Flügeln, in den Rosen des Hauptes, in den Locken, in den Augen, in der Lilie, die Deine Hand trägt, in der ich ertrinken muß wie ein verspäteter Schmetterling; kennst Du meine Angst, meine Trauer, meinen Jammer, meine Liebe? Das bist Du mir. O Herr! wie habe ich es verdient, daß Du mir Deine Herrlichkeit in so himmlischem Reiche zeigst, er ist durchdrungen von Dir, und wäre er die Traube selber, weh! weh! der Schuld, die den Tod in die Welt gebracht, er muß zerbrechen.

... Du lieber Gottesspiegel!

Bete für mich!


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