Berthold Auerbach
Spinoza
Berthold Auerbach

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5. Vater und Sohn

An der Tür war großes Gedränge. Alles glückwünschte Baruch und seinem Vater zu der Ehre, die ihnen heute widerfahren war.

»Es ist gewiß,« sagte der Vater auf dem Heimwege zum Sohne, »die Predigten haben heute zu lange gedauert; die Prediger sollten daran denken, daß sie vor lauter leeren Magen predigen (da man vor dem Frühgebete keine Speise genießen darf). Laß dir das zur Warnung sein, daß du einmal nicht zu lange predigst. Freust du dich darauf?«

»Mir schwindelt,« entgegnete Baruch, »auf solche Höhe gehoben – ich bin zu schwach.«

»Gott erhalte dir diesen frommen Sinn,« sagte der Vater beifällig nickend. »Rechtschaffene Naturen werden leicht kleinmütig bei einer Ehre, die ihnen geworden. Vertraue auf Gott, der dich auserwählt hat, er wird dir auch Kraft geben, deinen Ruf zu erfüllen; sage dir nur: ja, du bist auserwählt, weil du die Kraft hast.«

Auf der Schwelle seines Hauses legte nun der Vater wie am vergangenen Abend wiederum die Hände auf das Haupt des Sohnes und segnete ihn abermals: »Der Herr mache dich gleich Ephraim und Menasse.«

Auf der Treppe harrte Miriam und übergab Baruch ein Pergament, das Rabbi Saul Morteira geschickt hatte: es war das rabbinische Diplom. – Der Vater schloß sogleich seinen Silberschrank auf und wählte den schwersten vergoldeten Becher, um ihn des anderen Tages dem Lehrer zu senden.

Baruch durfte von nun an seinem Namen den Titel Rabbi vorsetzen.

Er empfand einen seltsamen Schreck, so oft er von den Besuchenden mit diesem Titel angeredet wurde, es war ihm, als trüge er eine unsichtbare Krone auf dem Haupte. Bald aber wurde diese Majestät von einem innern Aufruhr angegriffen, der sich jetzt mit verstärkter Macht erhob.

Baruch war eingetreten in die Reihe der stimmbefähigten Wächter des Gesetzes und es war nicht Bescheidenheit, wenn er den ihn darob doppelt Lobpreisenden beteuerte, daß er sich für die ihm auferlegte Würde zu schwach fühle. War's die fröstelnde Ermattung, die den überfällt, der am Ziele eines heißen Strebens angelangt ist?

Wie neidische Dämonen wurden Zweifel in seinem Innern laut, ehedem flüchtig gekannte und leicht bezwungene, aber auch neue, nie geahnte; sie spotteten seiner Würde und blähten sich stolz auf.

Baruch schaute oft wie verloren drein. Das Gespenst Geronimos, des Mannes mit dem zwiespältigen Herzen, das ihm in der Nacht nicht erschienen war, schien ihn jetzt am hellen Tage aus allen Winkeln anzugrinsen.

Bei Tische, wo man auf Baruchs Wohl trank und alles sich ihm zuwendete, ward er wiederum heiter und teilte mit den anderen die festliche Stimmung.

Als er Nachmittags den heutigen Wochenabschnitt mit den Kommentaren nochmals für sich las, ward er erst nach geraumer Zeit gewahr, wie nur Lippen und Augen lasen, seine Seele war nicht dabei. Er zürnte der widerspenstigen Kraft in ihm und in inbrünstigem Gebete flehte er zu Gott, er möge ihm beistehen, seinen Glauben zu erhalten und zu stärken. Tränen fielen auf das offene Buch, sie lösten die Beklemmung seines Innern. Mit lauter, mächtiger Stimme, als müßte er sie der versammelten Gemeinde künden, sprach er nun die Worte des Gesetzes, und bei dieser Anrufung verschwanden die Dämonen im Herzen und ein glückseliges Hochgefühl durchströmte sein ganzes Wesen.

Der Vater kam, setzte sich eine Weile still zu ihm, dann sagte er, das Buch zumachend, Baruch dürfe jetzt wohl minder emsig sein, er habe ja in so früher Jugend die höchste Würde erreicht; er müsse jetzt auch danach trachten, seinen Körper zu kräftigen.

Baruch küßte nochmals das Buch und stellte es in die Reihe, dann faßte er freudig die Hand seines Vaters.

»O mein Sohn,« begann der Vater wieder, »deine Ehre ist siebenfach die meine, du kannst es nicht wissen – mögest du es einst gleich mir erfahren – nichts kommt der Glückseligkeit eines Vaters gleich, der selber nach Ehre gestrebt und nun seinen Sohn sie erlangen sieht; mein Glück und meine Freude ruht auf deinem Haupte, ist dein und noch mehr als mein, besser als mein. Ich sehe die Zeiten des Messias vor mir, ich weiß jetzt, wie es dem Vater zu Mute sein muß, der den Erlöser seinen Sohn nennen darf. Gott verzeihe mir, daß mein Herz so übervoll ist und ich sollte dir das auch nicht sagen, aber du darfst es wissen, wie glückselig du mich machst. Mein letzter Bruder ist tot, die Wunde ist mit himmlischem Balsam geheilt, du bist mein Sohn und Bruder.«

Baruch hatte seinen Vater noch nie so bewegt gesehen; mit demütigem Blicke schaute er in sein flammendes Auge; die Seelen von Vater und Sohn ruhten ineinander. Der Vater hielt die eine Hand vor die Stirn und sagte nach einer Pause in ruhigem Tone: »Hast du keinen Wunsch, Baruch? Sprich ihn aus, ich möchte dich gern belohnen für die Freude, mit der du mein Herz erquicktest.«

Das war ein eigentümliches Zurücklenken in die gewohnte Welt und nur weil ihm dieses Verlangen geläufig war, konnte Baruch sagen: »Laßt mich doch endlich die Sprache aller profanen Wissenschaften, die lateinische, erlernen. Warum soll ich es minder als meine Mitschüler, Isaak Pinhero, Ahron de Silva und viele andere?«

»Ja, ich will deine Bitte gewähren. Gott der Allgütige, der dich bisher geleitet, wird dich auch ferner davor bewahren, daß du aus solchen Schriften kein Gift einsaugest. Und weiter wünschest du also nichts?«

»Ist es wahr?« sagte Baruch, schüchtern zur Erde blickend, »ist es wahr, was Rodrigo Casseres gestern abend von der moriskischen Abstammung meiner Mutter (ihr Andenken sei gesegnet) gesagt hat? Tat ich Chisdai Astruk unrecht, als ich ihm vor einem Jahre ins Gesicht schlug, weil er mich damit neckte?«

Des Vaters Antlitz verwandelte sich plötzlich bei diesen Worten, er blickte starr darein und preßte die Lippen; endlich nahm er einen Schlüssel aus der Tasche, schloß einen Schrank auf, nahm die Totenkleider, die jeder fromme Jude immer bereit halten muß, heraus, rollte sie auseinander, bis er ein Papier fand, das er Baruch mit den Worten darreichte: »Da nimm und lies, du hast vom Tode meines Bruders gehört, du bist der Erbe von unser aller Leben. Sei dessen eingedenk. Diese Worte sollten erst zu dir dringen, wenn mein Mund verstummt ist, aber es ist besser so. Du bist stark genug.«

Der Vater drängte ihm mit zitternder Hand die Schrift auf und ging mit seinem Gastfreunde zuerst nach dem großen Hafen, dem sogenannten Buitenkant, wo der eintönige Jodelgesang der Matrosen ertönte, und die in sabbatlicher Freude lustwandelnden Glaubensgenossen dem glücklichen Vater wiederholt ihre Teilnahme äußerten. Dann zeigte er dem Gastfreunde die mit üppigem Wachstum erfüllten Polder und heute schien doch ein gewisser Stolz auf die neue Heimat und ihren durch unablässige Kraft eroberten Bestand in ihm zu walten. Während er dem Fremden die wasserschöpfenden Windmühlen, den Bau der Deiche und Dämme erklärte und wie jedes Stück fruchtbaren Landes seine Geschichte hat, sah der staunend Hörende in seltsamer Bewegung darein. In dem Manne, der jetzt öffentlich sich zum Glauben der Väter bekannte, mußte eine eigene Andacht herrschen, denn er sagte: »An diesen Niederlanden hat unser Gott zum zweiten Male das Wunder der Trockenlegung des Meeres zur Rettung des Volkes Israel vollendet. Er hat es nicht durch ein unmittelbares Wunder getan, sondern den Menschen seine Kraft gelehrt.«

Unterdessen saß Baruch in der Kammer und las:

Manuela

Meinem einzigen Sohn Baruch allein

Wenn diese Worte zu dir dringen, ist mein Mund verstummt. Meine Seele ist wiederum bei der, der sie allzeit angehörte, und von der ich dir erzählen will ... Meine ganze Jugend steigt vor mir herauf, meine Wangen brennen, ich habe aus Schmach und Lüge ein seliges Leben erobert.

So vernimm.

Ich war zwanzig Jahre alt, als ich im Frühling nach Sevilla reiste, um meinen Bruder Moses, genannt Geronimo, in seinem Kloster zu besuchen. Ich sage, ich war zwanzig Jahre alt, kannte aber die Menschen und ihre Verstellungskünste. Unglück und Verstellung macht vor der Zeit alt und erfahren. Ich zog also nach Sevilla. Mein Bruder empfing mich mit grausamer Kälte, und reichte mir kaum die Hand durch das Gitter des Sprechzimmers: »Erdensohn, ich habe nichts mit dir gemein, was willst du von mir?« so rief er. Ein solcher Empfang lockte mich nicht ferner zu ihm. Ich hatte ein Geschäft von mehreren Wochen in Stadt und Umgegend zu besorgen. Acht Tage blieb ich darauf in Sevilla, ohne meinen Bruder wieder zu sehen. In der Gesellschaft der so fröhlichen Lindos und Majos verlebte ich manche glückliche Stunde des heitersten Selbstvergessens, aber auch der trübe Ernst der Erinnerung an die Blüte unseres Glaubens in Sevilla blieb nicht aus. Einsam besuchte ich den erst seit fünfundzwanzig Jahren zerstörten Leichenacker vor dem Tore von Minjoar; dort hatten einst die Gebeine der Großen aus Israel geruht, dort stand einst das herrliche Denkmal für unseren Ahnherrn, den großen Rabbi Baruch de Espinosa, dessen Namen du trägst; aber nichts war mehr zu schauen, nicht einmal eine verwitterte Inschrift bezeichnete die Stätte, wo man die Gebeine des Edlen versenkt hatte; im Grabe selber hatten die Spanier ihnen die Ruhe nicht gegönnt, und dort noch nach Gold und Silber und gottlosen Büchern bei ihnen gefahndet.

Eines Tages überkam mich ein unbezwinglicher Drang (nach dem, was infolgedessen vorgefallen ist, möchte ich es eine Ahnung nennen), meinen entmenschten und verpfafften Bruder wieder zu besuchen. Als stiege ich den heiligen Berg Zion hinan, wo einst die Herrlichkeit Gottes gethront, mit solcher Freude wandelte ich nach dem Trianenkastell, wo Pfaffen im Namen des Schöpfers regierten. Ich konnte mir von meiner Freude keine Rechenschaft geben, und doch sie auch nicht bezwingen. Als ich ins Sprechzimmer trat, begegnete mir ein schluchzendes Mädchen, das mit verhülltem Angesicht aus demselben kam. »Sennora,« sagte ich, »bedürft Ihr eines Beschützers, und darf ich –« ich konnte nicht ausreden, das Mädchen richtete sein glutvolles, schwarzes Auge zu mir empor, eine Träne perlte von den langen Wimpern, leise den Kopf schüttelnd verneigte es sich und ging. Ich ward von einem Familiaren in die Zelle meines Bruders geleitet. Krampfhaft erfaßte er meine Hand, und als der Familiare die Zelle verlassen, fiel er mir weinend um den Hals: »Benjamin, mein Bruder, da bist du ja, ich bin kein Joseph, ich habe mich selber verkauft. Doch, nein, nein, ich will ruhig sein; siehst du, es ist noch gerade wie zu Hause, du bist der jüngere und hast doch alle Macht über mich, ›o wie schön und lieblich ist's, wenn Brüder beisammen sind›,« so sprach er. Er sah mir's an, wie der schneidende Gegensatz mit seinem ersten Empfange mich befremdete, er bat mich, ihm zu verzeihen, er habe nicht anders gekonnt, weil das Sprechzimmer so gebaut sei, daß auch das leiseste Wort von dem Prior, dessen Zelle gerade über demselben ist, vernommen werden kann. Man mißtraue ihm immer noch halb, und er habe zeigen wollen, daß er nötigenfalls alle Bande der Natur zerreißen, die Priester allein als seine Brüder und die Kirche allein als seine wahre Mutter betrachten könne. Er schilderte mir nun seine ganze Lebensweise, und wie er im Verborgenen den Gott der Väter anbete; die schlauesten Ränke, die gräßlichsten Mordgeschichten, alles erzählte er mir mit unbeweglicher, frommernster Miene, nur selten zuckte ein leises Lächeln um seine Mundwinkel. Ich gab ihm meine Verwunderung über diese stumpfe Ausdruckslosigkeit seiner Mienen zu erkennen. »Das verräterische Angesicht,« sagte er, »das ist unser größter Feind. Darum habe ich mit Gottes Hilfe das alles stumpf und lahm gemacht. Drinnen mag's toben und sich zanken nach Gefallen, aber auf der Oberfläche, da muß Ruhe sein; das ist die gebenedeite ewige Ruhe der Heiligen.« Wir sprachen noch lange miteinander, ich erinnerte an Eleasar, genannt Konstantin Montefiore, der in gleicher Absicht wie Moses in den Dominikanerorden eingetreten war. »An ihm zeigte sich's,« sagte Geronimo, »der ward gefangen in jenen unentdeckbaren Schlingen, die in der Luft des Sprechzimmers schweben. Sein Vater hatte ihn besucht, sie waren unvorsichtig genug, ihr Geheimnis den plauderhaften Wänden anzuvertrauen; eine Stunde darauf wurden sie ins Gefängnis geschleudert. Konstantin (ich will ihn nicht schelten, er ist jetzt tot) konnte das Bewußtsein nicht ertragen, an den Qualen und an dem Tode seines Vaters schuld zu sein; mit einem Scherben zerbrochenen Glases öffnete er sich die Pulsadern und verblutete so sein junges Leben. Der alte Montefiore, der schon halb Leiche war, wurde zwei Tage darauf mit der Leiche seines Sohnes in feierlichem Autodafé, verbrannt.« So erzählte Geronimo, ich bot nun alles auf, um ihn, dem Wunsche unseres Vaters gemäß, zur Flucht zu bewegen, er aber schwur hoch und heilig, nimmer lebendig seine Klause zu verlassen. Ich kehrte nach der Stadt zurück, der unerklärliche Starrsinn meines Bruders mit seiner nach außenhin abgetöteten Lebenskraft erschütterte mein ganzes Wesen; aber alle meine Gedanken verschwanden wie nichtige Schattenbilder, als ich das Mädchen, welches mir in dem Sprechzimmer begegnet war, auf einem Stein am Wege sitzen sah. Sie beachtete mich nicht und ich ging an ihr vorbei; kaum aber war ich drei Schritte von ihr entfernt, als es mich wie mit magischen Banden wieder zu ihr hinzog. »Sennora,« sagte ich, »ich habe kein Recht darauf, in das Geheimnis Eurer Seele einzudringen, aber ich habe ein Recht darauf, wenn Ihr der Hilfe bedürftig seid, Euch solche anzubieten, und Ihr, sie von mir zu fordern.« Sie gestand mir später, daß der bewegte Ton meiner Stimme ihr mehr Vertrauen zu mir eingeflößt habe, als die ritterliche Entschlossenheit, die meine Worte bekunden sollten. »Laßt mich, gütiger Caballero, mein Retter ist nur der Tod,« sagte sie mit einer Stimme, in der der Ausdruck schmerzvollen Entsagens und bescheidenen Hilferufs sich zur schönsten Harmonie versöhnt hatten. O, es lag ein unbeschreiblicher Reiz in dieser ganzen Erscheinung, ich fühlte es, und doch hatte ich in der Abenddämmerung, der sie noch durch sorgfältiges Einhüllen in die Mantilla zu Hilfe kam, fast nichts von ihr gesehen als ihr leuchtendes Augenpaar. Ein unnennbarer Schauer durchrieselte mein ganzes Wesen, als ich so vor ihr stand, ich war festgebannt in ihre Nähe. Das war mehr als bloßes Mitleid, mehr als bloße Teilnahme an fremdem Kummer; was mich hier festhielt, ich wußte es nicht, das war die Liebe, die sich offenbart, wenn wir uns dem Wesen nahen, das der Herr für uns geschaffen. –

Ich redete noch lange mit dem Mädchen, oder, wie sie hieß, Manuela: sie bat mich um Verzeihung, weil sie meine Hilfe von sich gewiesen, ich solle nichts Arges von ihr denken, Unglück und Schmerz hätten sie den Menschen mißtrauen gelehrt. Tränen erstickten ihre Stimme. So war also der Schmerz auch der Genosse ihrer Jugend. O! die Unglücklichen verstehen sich bald. Sie erzählte mir, daß dort in dem Schlosse ihr Vater schon seit drei Monaten eingekerkert sei. Sie wolle hier warten, bis der Inquisitor aus der Stadt zurückkehre, sie wisse wohl, ihr eigenes Leben stehe in Gefahr, weil das Gesetz es jedem verbietet, und sei es auch das eigene Kind, für den um Gnade zu bitten, der der Ketzerei angeklagt ist; sie aber wolle sterben mit ihrem Vater und doch fürchte sie die jetzt wieder einbrechende Nacht. »Ich sehe schon,« sagte sie, »es soll so sein, ich soll abermals in Jammer und Tränen dem Tage heranharren.« Sie raffte sich auf und entfernte sich schnell. Ich stand wie eingewurzelt da, und als sie an einer Biegung des Weges meinen Augen entschwand, übermannte mich's wie unendliches Heimweh, ich stürmte ihr nach. Am Abhange des Hügels, wo man die prachtvolle Brücke über den Quadalquivir überschauen kann, bemerkte ich, wie drei in faltige weiße Mäntel gehüllte Gestalten gemessenen Schrittes einherkamen; Manuela warf sich den Voranschreitenden zu Füßen; ein herzdurchbohrender Jammerschrei drang zu mir herüber, Manuela wurde zur Seite geschleudert. Ich sprang aus allen Kräften, die Männer setzten ruhig ihren Gang fort, sie kamen an mir vorüber; ich hielt in meinem raschen Laufe inne, zog meinen Hut ab und verbeugte mich, es war der Inquisitor von zwei Dominikanern begleitet, die von ihrer Seelentreibjagd in das Trianenschloß zurückkehrten. Die Minute, die ich hier in demütig bebender Stellung, tausend Flüche für den Schändlichen und tausend Sorgen für Manuela im Herzen, harren mußte, ward mir zur Höllenpein. Wie ein vom Bogen geschnellter Pfeil eilte ich davon und holte Manuela ein, die mühsamen Schrittes dem Tore zuwankte. Sie erkannte mich und blieb stehen. Ich konnte nicht sprechen vor raschem Atemholen, und ergriff nur ihre Hand. »Laßt mich, ich bitt' Euch,« sagte sie, jedoch ohne meine Hand zurückzuweisen. Ich schwor ihr, o! damals fühlte ich's lebhaft, wie gräßlich es ist, das Heiligste, bei dem man schwören kann, nicht nennen zu dürfen; ich meinte, meine Zunge müßte mir erlahmen, als ich hier, wo ich die höchste Gewißheit geben wollte, bei San Jago schwören mußte. Ich konnte nicht reden, so durchwühlt war mein ganzes Innere. Manuela schloß meine Hand in ihre beiden Hände, ihre feuchten Augen blickten vertrauungsvoll zu mir auf. »Ja,« sagte sie, »ich folge der innern Stimme, unglücklicher als ich bin, kann ich doch nicht werden; kommt mit, Ihr sollt alles hören.« Ich bot ihr meinen Arm, und mit Zögern legte sie ihre zitternde Hand darein. »So haben mich diese Straßen noch nie gesehen,« sagte sie leise, als wir gleich am Tore in eine Seitenstraße einlenkten. Ich suchte sie zu beruhigen, sie schwieg und hüllte sich noch tiefer in ihre Mantilla. Ohne ein Wort zu reden, gingen wir nebeneinander, bis wir in einer engen Straße, unweit der Kirche Unserer Frau vom Pfeiler, in ein unscheinbares Häuschen eintraten. »Kommst du endlich, Manuela?« ertönte ein ziemlich starker Diskant, und eine runde Gestalt mit einem Lichte wälzte sich wie ein Wollsack die Stiege herab. »Ich habe schon dreizehnmal Ave-Maria gebetet, und San Jago eine dreipfündige Wachskerze gelobt, wenn du glücklich nach Hause kommst. Ei, mein süßes Täubchen, wen hast du denn da bei dir? Gelobt sei die heilige Jungfrau, ist das nicht Don Alfonso Sajavreda aus Valencia? Verzeih Usted, meine alten Augen –« »Du hast wirklich falsch gesehen, Laura, es ist nicht der Vetter, sondern ein Fremder, ein Freund wollte ich sagen, der uns helfen will,« sagte Manuela. »Ich habe doch recht,« fuhr die Alte fort, »habe ich dir's nicht schon längst gesagt, wenn du gehst, wird uns geholfen? Ich, wo ich hingekommen bin, haben sie mich weggeworfen wie eine ausgedrückte Orangenschale, ja lacht nur,« fuhr sie kreischend fort, »es ist doch wie das Sprichwort sagt: Ein frisch geprägter Real mit des Königs Bildnis (Gott schütze ihn) ist besser, als ein abgegriffener. Dürft Euch viel darauf einbilden, edler Ritter, daß mein schüchternes Täubchen bei Euch eine Ausnahme gemacht hat.« Die Alte hörte nicht auf, die Tugend Manuelas zu preisen, und sagte, das könne nur durch ein Wunder geschehen sein, daß ich so Großes über sie vermocht hätte. Manuela hatte viel Mühe, sie zum Schweigen zu bringen. Nachdem mich die Alte sattsam gemustert, war sie hinausgegangen. Manuela mußte meinen Blick empfunden haben, sie schlug verschämt die Augen nieder. »Sennor,« sprach sie, und ergriff mit Hast meine Hand, »Sennor, was denkt Ihr von mir?« »Daß wir uns lieben,« antwortete ich, ihre Hand küssend. »Ja, wir lieben uns,« sagte sie, »Gott im Himmel weiß es, wir lieben uns; o Mutter! Mutter! warum mußtest du sterben, ehe du das unendliche Glück deines Kindes gesehen?«

Träne auf Träne rann bei diesen Worten über ihre heißen Wangen. »Und darf ich Euch lieben, Sennor?« fragte sie leise und bedeckte mit beiden Händen ihre Augen und Wangen! »kennt Ihr denn mich? kenn' ich denn Euch?« »Wir kennen uns,« erwiderte ich, »in demselben Augenblicke hat Gott den Funken der Liebe in uns angefacht; wir lieben uns, gibt es ein innigeres Kennen?« O! es ist nur ein schwacher Nachhall jener Empfindung, den ich aus der Vergangenheit wieder auferwecken kann; aber noch jetzt, da ich dem Grabe entgegengehe, noch jetzt durchzuckt es mich wie ein Blitz, wenn ich daran denke, wie damals auf einmal der Liebe Allmacht mich erhob. Das war Gottes Fügung – dieses Sichfinden und Erfassen, ohne sich gesucht oder erstrebt zu haben. Damals zwar, ich gestehe es, fühlte ich das noch nicht; versenkt in nie geahnte Seligkeiten, erkannte ich die unsichtbare Hand, die alles so fügte, noch nicht so ganz, wie sie sich jetzt mir gezeigt. Mitten in der Freude erwachte in Manuela wieder das Andenken an die freudlosen Stunden ihres eingekerkerten Vaters. Ich tröstete sie, versprach die Hilfe meines Bruders, sie aber vertraute nur wenig.

Die Alte kam mit dem Essen. »Wie heißt denn der edle Caballero?« fragte sie Manuela leise; ich sah die Verwirrung des Mädchens. »Sagt nur meinen Namen laut, Sennora,« fiel ich rasch ein, »er hat ja guten Klang hier im Lande und das gute Mütterchen hat ja ohnedies die eine Hälfte prophetisch erfahren; ich heiße Alfonso de Espinosa.« Wir saßen gemütlich bei Tische; die Alte betrachtete mich immer und forderte Manuela auf, zu gestehen, ob sie nicht recht habe, daß ich diesem oder jenem aufs Haar ähnlich sehe. »Bei Gottes Blut,« sagte sie, »wie froh bin ich, daß auch wieder ein Sombrero (Männerhut) dort am Nagel hängt, so zwei Weibsbilder ganz allein sind doch gar zu verlassene Geschöpfe, und wer weiß, wie es mit dem alten Valor ausgeht.« Dieser Name machte mich stutzig, ich drang in Manuela, mir die Geschichte ihres Vaters zu erzählen; sie schlug die Augen nieder und begann nach kurzem Besinnen: »Ihr wißt, daß mehrere Frauen aus Grenada gerade in Cardia waren, als das Edikt verlesen wurde, daß es den Moriskinnen künftighin nimmer erlaubt sein solle, wie ihre angestammte Sitte mit sich bringt, verschleiert auszugehen. Unter den Frauen, denen die Soldaten auf dem Marktplätze zu Cardia die Schleier zerrissen, war auch die Frau meines Oheims, die strahlende Mirzah genannt. Ihre Schönheit war so groß, daß man glauben mochte, eine Heilige sei aus dem Paradies herabgesendet worden, um den Tapfersten aller Nachkommen der ehemaligen Herren Spaniens zu beglücken. Noch nie hatte eines fremden Mannes Blick diese Reize berührt, und jetzt so dem gaffenden Pöbel preisgegeben zu werden! Die Kunde von dem Schrecklichen, was geschehen war, eilte den jammernd zurückkehrenden Frauen voraus; wie durch einen heftigen Erdstoß ward dadurch der ganze Aljaniz erschüttert, denn die Absicht, die letzte Sitte der ehemaligen Mauren zu vernichten, war unverkennbar. – Ich weiß gar nicht, wie ich eigentlich zu dieser Erzählung hier komme; ich habe Mirzah, die von ihrem Manne grausam verstoßen wurde, nie gekannt, und ihr Schicksal hängt mit dem unsrigen eigentlich gar nicht zusammen. Verzeiht, wenn ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, ich habe mir die Sachen nie zurecht gelegt, weil ich nie glauben konnte, einst davon Rechenschaft geben zu dürfen. Mein Vater wohnte damals wie die übrigen maurischen Christen im Aljaniz von Grenada. Ach! ich kann heute nicht erzählen,« so schloß Manuela und erhob sich rasch. »Nun, so bin ich da,« sagte die Duenna, »weiß ich denn nicht alles so gut wie Ihr? War ich nicht dabei, wie es Eure Mutter – Gott hab' sie selig! – erzählte? Mir zittern noch die Glieder bis zum Herzen, wenn ich daran denke, wie's damals hergegangen sein muß.« Unter vielen Zwischenfragen und Einreden erfuhr ich endlich, daß der Vater Manuelas, Don Antonio de Valor, bei den Mauren Aben Hamed genannt, ein Geschwisterkind Aben Humegas sei. Don Antonio, der dem Maurenaufstand abgeneigt, in dem christlichen Glauben beharrt und Grenada nicht verlassen hatte, litt von seinen Stammesgenossen nicht minder als von den eingeborenen Spaniern viele Unbilden. Sogar die beiden Söhne Don Antonios waren heftig gegen ihren Vater ergrimmt, und als der beabsichtigte Sturm auf den Alhambra mißglückt war, flohen sie zu dem sogenannten Alpujarrenkönig Aben Humega in die Sierra Nevada und fielen mit Ruhm bedeckt in dem beispiellos mutig geführten Vertilgungskriege. »Ja, früher hättet Ihr zu uns kommen sollen,« sagte die Duenna unter anderem, »da hättet Ihr Euch umgesehen, da war es anders als jetzt hier: flämische Teppiche auf dem Boden, aus Gold und Seide gewirkte Tapeten an den Wänden, goldene und silberne Becher auf den Tischen, daß man meinte, sie müßten brechen.« – Wir hatten viele Mühe die Alte zum Schweigen zu bringen, und Manuela erzählte: »Der Aufstand war unterdrückt, die Mauren in die Ferne zersprengt, gefallen oder eingekerkert. So lange der menschenfreundliche Marques von Mondejar in Grenada befehligte, lebte mein Vater ungestört in der Selbstbeschränkung, zu der ihn sein Wille und die Zerstörung seiner Güter bestimmte; als aber der edle Marques abberufen wurde, ward mein Vater als heimlicher Anhänger des Islam verhaftet. Der Halbbruder des Königs, Don Juan von Österreich, der hierauf den Oberbefehl erhielt, befreite ihn jedoch aus seiner Gefangenschaft. Mein Vater zog hieher, um fern von den Resten seiner ehemaligen Verbindungen in Ruhe zu leben. Zehn Jahre blieb ihm diese unverkümmert; mein Vater besuchte alltäglich die Kirche, sonst aber verließ er das Haus nie und wandte seine ganze Zeit dem Studium gelehrter Schriften und meinem Unterrichte zu.

Da raffte vor anderthalb Jahren ein hitziges Fieber nach wenigen Tagen meine Mutter dahin, fast niemand hatte sich ihrem Bette nahen dürfen als mein Vater, sie verschied in seinen Armen. Von dem Tage, da meine Mutter begraben wurde, kam mein Vater nicht mehr über die Schwelle des Hauses; ich selbst, die ich sonst alles über ihn vermocht hatte, konnte ihn nicht einmal zu einem Gange in die nahe Kirche bewegen. Vorgestern nacht waren es zwölf Wochen, o Gott! ich vergesse die Stunde nie, da verlangten zwei Familiaren im Namen der Inquisition Einlaß in unser Haus; Laura hatte den Mut aufzuschließen, ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen. Sie drangen ein und schleppten meinen Vater nach dem Trianenschlosse, wo er sich wegen seines vermeintlichen Ketzertums verteidigen sollte. Eine Stunde darauf wurde alles im ganzen Hause durchsucht und versiegelt; ich mußte es selbst mit ansehen, wie sie jenes Bild meiner Mutter dort herunterrissen, weil sie Schätze dahinter verborgen glaubten, und, wie sie sich ausdrückten, das verführerische Heidengesicht Geld geschluckt haben könne.« Hier hielt Manuela plötzlich inne. »Ich habe Euch alles erzählt,« fuhr sie dann in zuversichtlichem Tone fort; »ich habe weder Mißbrauch zu fürchten, noch leider auch erfolgreichen Gebrauch zu hoffen.«

Ich bot alles auf, um Manuela zu beruhigen; gespensterhaft erschien mir aber die Alte, die während der letzten Erzählung mit gefalteten Händen und stieren Blicken dasaß, ihre Lippen bewegten sich mechanisch wie zu einem leisen Gebete. Manuela merkte nicht darauf, denn es war mir gelungen ihren Geist von den traurigen Bildern der Vergangenheit abzuwenden. Mitternacht war vorüber, als ich in meiner Posada ankam. Als ich des anderen Morgens erwachte, schien mir alles ein Traum.

Ich besuchte Manuela und glaubte wirklich Grund zu haben, alles für ein Gebilde meiner erhitzten Phantasie zu halten. Reue über das verletzte gewöhnliche Herkommen, Unruhe und Verzweiflung an dem Schicksal ihres Vaters sprach aus ihrem ganzen Wesen. Sie erschien mir so ganz verändert: statt der kühn aufstrebenden Schnellkraft ihres Geistes war es heute ein geknickter Wille mit sklavischer Ergebung, den sie mir kundgab, und der mich von ihr entfernte. Ich Tor, der ich glaubte, jenes engelgleiche Hochgefühl, das uns frei über all die Schranken und Hemmnisse des gewöhnlichen Lebens hinweghebt, könne in gleicher Macht endlos so fortbestehen. Ärgerlich, daß mir nun abermals das Hohe vor der Alltäglichkeit zerrann, verließ ich Manuela, und nur noch aus Mitleid und um der einmal übernommenen Pflicht zu gehorchen, ging ich zu Geronimo und erzählte ihm alles. Sein Scharfblick erkannte die Gestalt der Dinge leicht: »Das Mädchen ist ein Engel oder ein Teufel,« sagte er; »gewöhnlicher Verstellung wie gewöhnlicher Tugend ist so Außerordentliches nicht möglich. Die rein passive Ergebung in den höheren Willen, die dich heute so irre machte, ist nichts als der erste Artikel im Credo des großen Propheten. Doch sei nur ruhig, ich glaube es einleiten zu können, daß der alte Valor bald freigegeben wird, ob er gleich so wenig Christ ist als du und ich. – Man hat nur wenig Geld bei ihm gefunden.« Ich wollte Manuela erst wenn ihr Vater befreit war, wieder besuchen, um ihre Verzweiflung so am besten zu widerlegen. Ich ging des Abends noch in die Gesellschaft meiner Freunde. Mit lautem ola amigo! wurde ich von den Versammelten begrüßt, jeder wollte den Grund meines Ausbleibens seit zwei Tagen wissen, und jeder erklärte sich denselben nach seiner Sinnes- und Handlungsweise. Ich war lustig und guter Dinge. – Tags darauf nach der Frühmette besuchte ich wieder meinen Bruder. Es war in der Tat wunderbar, wie schnell Don Antonio freigegeben wurde. Denn kaum hatte Geronimo die Sache bei dem Inquisitor berührt, als man ihm schon willfahrte. Ich durfte jetzt Don Antonio nach Hause geleiten. Am Eingange in den unterirdischen Kerker mußte ich warten, bis er heraufkam; denn niemand außer den Beklagten durfte jene finsteren Stätten betreten. Endlich kam der Befreite herauf, da sah man, was Folter und Kerker vermögen. Don Antonio hatte kaum die Kraft, sich aufrecht zu erhalten, seine Augen, dem ungewohnten Lichtstrome ausgesetzt, tränten unaufhörlich: um dies zu verhindern, mußte er sie schließen. Ich geleitete ihn und erzählte, was mir seit den letzten Tagen begegnet war; seine bleichen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, denn er mochte aus meiner Schilderung die Liebe zu Manuela erkennen. »Und weiß mein Kind von meiner Rettung?« fragte er und riß dabei die Augen auf, so daß die wilden Blicke mir bis ins Herz drangen. Ich gestand, daß ich Manuela für ihre Zweifel bestrafen und sie nur erst an seiner Seite hätte wiedersehen wollen. Er antwortete nicht, und indem er den Kopf schüttelte, murmelte er einige unverständliche Worte vor sich hin. Mir ward unheimlich in seiner Nähe. –

Wir kamen endlich vor Don Antonios Haus. Niemand aus demselben bemerkte uns. Nur mit Mühe und auf jeder Stufe Atem holend stieg Don Antonio die Treppe hinan. Wir traten in die Stube, ermattet sank er in den Lehnsessel, der schon seit Jahren den Kummervollen zu tragen gewohnt war. Noch immer nahm niemand Kunde von unserer Anwesenheit; ich öffnete die Kammertür: dort sah ich Laura neben einem Bette stehen, auf welchem Manuela schlummerte. Auch Don Antonio schlich mühsam herbei, und als die Duenna uns bemerkte, rief sie in furchtbar gellendem Tone: »O Jesus Maria! der Herr!« Manuela erwachte, starr blickte sie uns eine Weile an, und als träumte sie und wolle die Trugbilder verscheuchen, fuhr sie hastig mit der Hand über die Stirn. »Manuela! mein Kind!« rief Don Antonio. Da schnellte sie plötzlich empor: »Vater!« rief sie und lag schluchzend an seinem Halse. Es war eine Minute des höchsten Entzückens, wo das unvermögende Wort zurücktritt und die Seelen sich unmittelbar berühren. »Laß mich, mein Kind, laß mich,« sagte Don Antonio, und diesmal waren es Tränen, von der Freude erpreßt, die über seine hohlen Wangen rannen: »Ich vermag es nicht, diese unendlichen Liebkosungen zu ertragen, komm zu dir, Manuela, sieh dort unseren Freund, unseren Retter, Don Alfonso, dem danke, er ward auserkoren zum Werkzeuge Gottes in unserer Not.« Manuela ließ ab von ihrem Vater, ihr seelenvolles Auge blickte wieder so bittend und strafend zugleich wie damals, als ich sie zum ersten Male sah, sie warf sich vor mir auf die Kniee, erfaßte meine Hand und bedeckte sie mit Tränen und Küssen. »Verzeiht mir, hoher Herr,« bat sie, »ich habe Eure Macht und Größe nicht gekannt; verzeiht einer armen unvernünftigen Magd.« »Steh auf, Manuela, steh auf, ich befehle es dir, so war's nicht gemeint, so dankt man nicht,« sprach Don Antonio. Manuela gehorchte.

Täglich besuchte ich fortan Manuela. Ihr Vater war schwer krank. Die von der Folter halbgelähmte Spannkraft der Muskeln hoffte der Arzt wieder herzustellen, nur die volle Sehkraft glaubte er schwerlich retten zu können. Man hatte Don Antonio schwören müssen, ihm nichts von seinem Zustande zu verhehlen, und eine namenlose Wut kochte in seinem Innern. »Der Mensch,« sagte er einmal, »ist das verworfenste Geschöpf der Erde; wo ist ein Raubtier, das, ich will nicht sagen gegen Tiere seiner eigenen Gattung, nein, gegen solche als deren Herr es geboren ist, so grausam verfährt, wie ein Mensch mit dem anderen? Der hungernde Tiger, der reißende Wolf saugt seiner Beute das Blut aus, aber das ist noch barmherzig gegen die Menschen, die mit tausendfachem Tode töten. Sie haben herrliche Gaben, kühnen Erfindungsgeist, und sie erfinden Gräber, wo sie ihre Mitmenschen lebendig verfaulen lassen. O wenn ich nur vor –-« er unterbrach sich und knirschte mit den Zähnen. Manuela kannte diesen Zustand ihres Vaters, sie wagte es nicht, ihn durch Einreden zu beruhigen, und sie bot alle Rührigkeit ihres Geistes auf, um seine Schwermut zu verscheuchend Die unzähligen kleinen Aufmerksamkeiten, die sie mit so anspruchsloser Miene erzeigte, der Reichtum von kleinen Geschichtchen und Lieblingserinnerungen ihres Vaters, von denen ihr Mund übersprudelte, die hellen Lieder, die sie so jugendlich frisch zur Gitarre sang, dieses alles, und auf solche Weise, konnte nur von einem überreichen Herzen geboten werden. Ich tat Manuela vielleicht unrecht, aber meine Eitelkeit schmeichelte sich doch, daß an diesem freudigen Herauskehren ihres inneren Lebens nicht bloß kindliche Liebe allein, sondern auch meine Anwesenheit einigermaßen Teil hatte. Wir liebten uns nur noch inniger, bewußter.

Don Antonio genas von Tag zu Tage; ein leiser Schimmer seines Auges, durch den ihm die Umrisse aller Gegenstände wie mit einem dunklen Flor überworfen erschienen, war gerettet worden. »Manuela,« sagte ich eines Tages zu ihr, als ich mit ihr allein war und Don Antonio noch seine Siesta hielt, »Manuela, darf ich endlich ernste Schritte zu unserer Verbindung tun?«

»Ich bitt' Euch,« antwortete sie, »redet mit mir nicht von so ernsten Dingen, ich bin noch zu jung, um darüber nachzudenken.«

»Ich aber habe Euch schon einmal gesagt, daß ich meine Liebe nicht einem Kinde, sondern einer Jungfrau mit selbständiger Willenskraft zugewendet habe.«

»Und wer ist denn die Glückliche?« lächelte Manuela, »ich habe vergessen danach zu fragen.«

Ich schwor ihr, daß ich mich nicht länger durch leichten Scherz gängeln ließe, sie müsse mir gestehen, ob sie den Willen ihres Vaters kenne. »Nein,« war ihre einsilbe Antwort.

»Und was seid Ihr zu tun gesonnen, wenn mich Euer Vater, was Gott verhüte, zurückweist?«

In entschlossenem Tone antwortete sie: »Kindespflicht geht über alles, aber ich werde –« sie konnte nicht ausreden, denn Don Antonio rief aus der Kammer: »Was ist das für ein Lärm? Warum habt ihr Streit?«

»Don Alfonso will mir's nicht zugeben, daß ich vor einem Monat erst fünfzehn Jahre alt geworden bin.«

»Schon, mein Kind, sage lieber schon, denn je älter man wird, desto schlimmer geht's einem auf diesem vermaledeiten Boden.«

»Manuela hat unrecht,« sagte ich zu Don Antonio, als er zu uns herauskam, »sie hat Euch falsch berichtet, sie wollte mir's nicht glauben, daß ich morgen abreisen will.«

»Das tut mir in der Seele leid,« sagte der Alte, »möcht' Euch gerne immer um mich sehen, man gewöhnt sich in meinem Alter schwer an einen neuen Freund, zumal an einen von Euren Jahren; aber bei Euch, ich muß gestehen, ich möchte, was ich sonst nie wünschte, wieder jung werden, bloß um ganz Euer Freund sein zu können.«

»Wollt Ihr nicht lieber mein Vater sein!« Ich fühlte, wie alles Blut mir ins Gesicht drang, ich sah, wie heftig Manuela errötete, als ich diese Worte mühsam hervorgepreßt hatte.

»Geh Kind,« sagte Don Antonio gleichgültig, »geh zu unserem Nachbar und hole mir das Buch, das er schon so lange von mir hat.«

Manuela ging.

»Ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet,« redete hierauf Don Antonio mich an, »aber es ist nicht Männerart, den Dienst und den Dank in süße Worte einzukleiden; auch sollte man ja nach den Lehren unserer Religion keinen Dank verlangen und keinen bieten dürfen, da wir in all unserem Tun und Lassen nur Werkzeuge in der Hand Gottes sind. Ich weiß nicht, ob deshalb der Undank in der Welt so groß ist – aber verlangt nur von mir, was ich geben kann, Ihr sollt es haben, nur mein Kind, meine Manuela! die kann ich nicht missen, sie ist meinem Leben so notwendig wie die Luft, die ich atme, und so lange ich atme, soll sie keines Mannes Weib werden. Dringt nicht weiter in mich, erspart Euch und mir die unnötigen Worte.« Ich war wie erstarrt, ich konnte nichts mehr reden, die Tränen standen mir in den Augen, ich nahm meinen Hut und ging. Don Antonio rief mir nach, ich solle bleiben, ich kehrte mich nicht daran. Manuela begegnete mir auf der Treppe; ich sah sie kaum an und eilte davon.

Ich ging zu Geronimo und erklärte ihm meinen Entschluß abzureisen und den Grund desselben.

»Nicht Manuela,« sagte er, »willst du fliehen, vor dir selbst, vor der eigenen Neigung deines Herzens möchtest du davonlaufen, aber sie wird dir folgen wie dein Schatten, nicht verschwinden wird sie durch die Entfernung, nein, immer reizender, immer lockender dir erscheinen, und in Sehnsucht und widerstrebenden Hoffnungen dich aufreibend wirst du an einem geistigen Siechtum hinkränkeln. Der Herr behüte dich doppelt und dreifach vor dem anderen Wege. Glaub' mir, du weißt, auch ich habe einst geliebt, und da drinnen im Herzen lebt meine tote Isabella, bis es einst zu schlagen aufhört. Drum rette deine erste Liebe, oder sieh zu, daß du die Gewißheit deiner Täuschung mit dir nimmst. Ermanne dich und geh nochmals zu Manuela.«

Ich folgte gern seinem Rate.

Abends wollte ich noch von dem fröhlichen Kreise der Freunde Abschied nehmen. Alle glückwünschten mir zu der schönen Braut; einer meinte, ich sei doch herablassend, daß ich der Freunde noch gedenke, während ich im Begriff stünde, mich mit einem Nachkömmling der Kalifen von Kordova zu verbinden. »Das Geschlecht ist so edel als das der Ponce di Leon, und wer mir's leugnet, dem will ich die Spitze meines Degens als Stammbaum ins Herz pflanzen,« erwiderte ich und war bereit, meinen Worten schnell die Tat folgen zu lassen. Alle sprangen auf und beschwichtigten den Streit. Meine Heiterkeit war aber durch diesen Vorfall gestört, ich suchte deshalb sobald als tunlich nach Hause zu kommen.

Ich reichte diesem und jenem die Hand zum Abschied; aber alle riefen: »Nein, so lassen wir dich nicht, du sollst sehen wie sehr wir dir geneigt sind; wir ziehen mit dir vor Liebchens Haus und schicken auf der Töne Leiter deine Gefühle zu ihr hinauf ins stille Kämmerlein, wo sie von dir träumt.« Von den Wänden der Posada waren schnell die Gitarren und andere Instrumente herabgenommen, ihre Harmonie ward durch einzelne Griffe erprobt, die Kehlen wurden noch durch einen guten Zug mit Wasser vermischten Manchaweines angefrischt. Ich dankte, ich sträubte mich gegen ihr Beginnen, es half nichts. »Und gehst du nicht mit,« riefen alle durcheinander, »so ziehen wir allein hin, und du wirst dann morgen von Wundern hören, welch himmelstürmende Liebesboten wir nach ihr ausgesendet.« Um ihre Ausgelassenheit zu verhindern, zog ich bebenden Herzens mit durch die einsamen Straßen, in denen nur der Tritt und das mutwillige Lachen unserer lustigen Genossenschaft widerhallte. Kaum war das erste Abschiedslied gesungen, als in den benachbarten Häusern neugierige Schönen im leichten Nachtüberwurfe an den Fenstern erschienen; nur im Hause Manuelas blieb alles still und öde. Die Freunde zogen sich zurück, ich blieb allein und sang abermals jenes wehmütige Abschiedslied, aber noch immer erschien niemand; unwillig schlich ich in meine Wohnung zurück. – Mit bewegter Seele und erzwungener Stärke ging ich des anderen Morgens früh in Manuelas Haus. Als ich sie in ihrem leichten Morgenanzuge überraschte, schrie sie laut auf, und ohne meinen Gruß zu erwidern, verschwand sie hinter der Kammertüre, die sie schnell verschloß.

»Guten Morgen, flüchtiger Ritter von Obenaus! Hat Euer Trotzkopf den Mißmut in der Nachtmütze stecken lassen?« so rief sie lachend zu mir heraus, »nun, wer hat recht, Vater?« begann sie wieder, »nicht wahr, ich habe auch Menschenkenntnis? Habe ich's nicht gesagt, Don Alfonso kommt wieder, ich weiß es gewiß? Nun, mein Herr Ritter, weil Ihr mir einen Sieg über meinen Vater errungen habt, erlaube ich Euch kraft meiner Macht zu binden und zu lösen, noch drei Tage in Sevilla zu bleiben, wenn Ihr Euch die Buße auferlegt, jeden Tag zur heiligen Manuela zu wallfahrten, eine Stunde lang vor ihr zu knieen und sie anzubeten; oder wollt Ihr eine andere Gnade?«

»Ja,« antwortete ich, »die, daß Ihr die uns zugemessenen Minuten nicht unnötigerweise auf Euren Putz verwendet und so bald als möglich herauskommt.«

Sie antwortete nicht, sondern sang das Abschiedslied von gestern abend mit zitternder Stimme. Sie hatte kaum die erste Strophe geendet, als sie, die übereinandergeschlagenen Arme unter einem grauen Überwurfe versteckt, heraustrat. »Stürmischer!« sagte sie, »Ihr seid ja unendlich karg mit den Augenblicken, und laßt einem nicht einmal Zeit zum ordentlichen Ankleiden; da bin ich kindisches Ding aus Furcht, Ihr möchtet wieder wie gestern davonrennen, schnell in einen alten Mantel meiner seligen Mutter hineingefahren; es ist aber das ungeschickteste altvaterische Ding, ich halte es nicht lange darin aus, darum machet nur, daß Ihr bald fortkommt oder entlaßt mich auf eine kleine Weile.«

»Will Euch nicht lange mehr Unbequemlichkeiten verursachen, Sennora,« antwortete ich, durch den Schlußsatz ihrer Rede gereizt. Sie merkte es, und ging, unwillig den Blick zur Erde geheftet, auf und ab.

»Wenn es denn sein soll, daß wir uns trennen,« sagte sie, »so ist mir's am liebsten, es geschieht jetzt; ich sehe schon, durch diese fortdauernden Gereiztheiten werden die Erinnerungen, die uns für eine dunkle Zukunft hell leuchten sollten, farblos und zerfahren. Mein Vater weiß es, ich habe dessen vor ihm kein Hehl, wie sehr ich Euch liebe; der Himmel gebe, daß Eure Liebe gleich sei der meinen, mehr wünsche ich nicht. Ich weiß aber auch zu gehorchen.«

Don Antonio saß schweigsam in seinen Schlafmantel gehüllt, die Hände zwischen den Knieen zusammengepreßt und den Oberleib herniederbeugend in seinem Lehnsessel. »Welche Feuerprobe des Ungemachs hat eure beiderseitige Liebe denn schon bestanden?« murmelte er mit unheimlicher Stimme, ohne sich im mindesten aus seiner zusammengekauerten Stellung zu erheben.

»Sie ist in Ungemach geboren,« antwortete ich, »aber freilich, das vergißt man gern und schnell.«

»Was wollt Ihr?« rief er und erhob sich mit Zittern von seinem Sitze, »was wollt Ihr von mir? Weil Ihr das Schicksal hattet, bei der Rettung meines Lebens behilflich zu sein, sucht Ihr mir nun mein Leben doppelt und dreifach zu rauben, da Ihr meines Kindes Liebe und Gehorsam mir rauben wollt? Ich habe euch alles gegeben, ihr stolzen Spanier, ihr habt meines Stammes Macht und Kraft mir tropfenweise abgezapft, ich bin nur noch ein abgedorrtes Reis; aber so wahr das Blut der alten Valor in meinen Adern rollt, mein Kind, mein Leben sollt ihr mir nicht rauben, solange diese Hand noch Kraft genug hat, den Dolch in eines schwachen Mädchens Brust zu bohren. Geht, ich alter Tor ließ mich wieder hintergehen und hielt Euch für besser als andere, geht, Ihr seid auch so habsüchtig und tückisch wie alle.«

Seine Stimme erscholl wie Schlachtenruf, seine schäumenden Lippen zitterten vor Wut, kraftlos sank er wieder in seinen Sessel zurück. Manuela war zu ihm geeilt, sie streckte die nackten Arme nach ihm aus und bat ihn weinend, sich zu beruhigen.

»Gott! wo soll ich mich hinwenden?« rief sie. Ich erkannte meinen Fehler, bot Don Antonio meine Hand und bat ihn, seine eben gesprochenen Worte zu vergessen, wie ich sie selbst vergessen wolle, damit wir in Frieden scheiden. Er faßte mit Innigkeit meine Hand.

»Ihr habt mich zu hämisch gereizt,« sagte er, »Don Antonio de Valor war leider nie undankbar, und nie hat er sich solche Reden ungeahndet ins Gesicht werfen lassen. Mein Kind ist mein, mein eigen wie meine rechte Hand: soll ich sie zum Dank für Euch abhauen und Euch schenken? Ich bin nicht mehr zornig, gewiß nicht; geduldet Euch, es ist ja nur noch eine kurze Spanne Leben, die ich zu durchlaufen habe, ich mache Euch die Zeit nicht mehr lange.«

Er hielt inne und strengte all seine Sehkraft an, um den Eindruck dieser Worte in unseren Mienen zu lesen; er muß Beruhigendes darin gefunden haben, denn mit seltener Weichheit der Stimme fuhr er fort: »Ich hatte es so gut mit Euch vor: wenn der Frühling kommt, wer weiß, ob ich nicht nach Guadalajara gezogen wäre, um mit Hilfe Eures weisen Vaters das Licht meines leiblichen und geistigen Auges mir zu schärfen.«

»O, das wäre herrlich!« jauchzte Manuela, »gewiß, ich will Euch pflegen, daß Ihr ganz jung werden sollt. Bis wohin kommt Ihr uns entgegen, Don Alfonso?«

Das Gespräch nahm jetzt eine heitere Wendung. »Das hätte ich nie gedacht, daß alles noch schön ausklingen wird; es ist gut, daß meines Vaters langer Degen drinnen an der Wand in die Scheide eingerostet ist, sonst wäre vielleicht noch unsere Stube zum blutigen Kampfplatze geworden;« so sprach Manuela und ihre Munterkeit lebte aus Schmerz und Tränen nur noch verklärter auf.

Don Antonio sprach keine Silbe; aber mitten unter Erinnerungen an die Vergangenheit und Plänen für die Zukunft fühlte ich, daß jetzt der Augenblick der Trennung sein müsse, denn aus dieser heiteren Umgebung wollte ich mich losreißen. Ich reichte Don Antonio die Hand zum Abschied.

»Ziehet hin in Frieden,« sagte er, »in Frieden mit Euch und mit uns; gedenket meiner bei Eurem würdigen Vater.«

»Und sehen wir uns bald wieder?« fragte ich; er drückte mir die Hand und nickte bejahend. Manuela stand regungslos da, unsere Blicke begegneten sich, es war als ob jedes von uns nochmals das getreue Bild des anderen in bewußter Anschauung sich einprägen wolle, in jedem von uns rang der Schmerz über eine prüfungsvolle Trennung mit dem Willen ihn zu besiegen. »Manuela, lebt wohl!« sprach ich, mich der Geliebten nähernd; »lebt wohl!« antwortete sie mit fester Stimme, »ich weiß gewiß, Ihr vergeßt meiner nie, und ist es unsere Bestimmung, daß wir uns einst ganz angehören sollen, so finden wir uns wieder; ist es anders verhängt, was nützt Jammern und Widerstreit? Gehorsam ist unsere Pflicht. Seid dann glücklich mit einer anderen, die Euch gewiß nicht mehr lieben kann als ich; doch daran soll keine Macht der Erde und des Himmels mich hindern, Euch zu lieben bis zum Tode und noch nach ihm. Lebt wohl!«

Ich umarmte den Vater nochmals heftig, o! ich glaube, ich hätte den Großinquisitor selbst damals an mein Herz gedrückt. – Ich weiß nicht mehr, wie ich mich losriß, aber an der Haustür hielt mich die Duenna auf und jedes Wort von ihr ist mir seltsamerweise noch in Erinnerung, ja ich höre ihre Stimme. –

Es ärgert uns oft, ist aber doch weise so eingerichtet, daß neben der Nachtigall auch immer ein Kuckuck oder sonst ein prosaischer Alltagsvogel sich einnistet, oder ein Frosch im Sumpfe quakt.

»So geht's in der Welt,« begann die Alte, indem sie den Saum meines Mantels küßte, »die Laura, die's mit der ganzen Welt am besten meint, die wird überall vergessen. Ihr müßt nicht glauben, daß ich Euch nachgelaufen bin, damit Ihr mir danken sollt, wüßt' eigentlich auch gar nicht für was? Ihr seid ja immer so stolz, daß Ihr kaum guten Tag Laura sagtet, und doch hab' ich schon viel Euretwegen ausgestanden, darum hätt' ich's wenigstens auch verdient, daß Euer Gnaden bei mir Abschied nimmt; es könnte mich kränken, wenn ich Undank nicht schon längst gewohnt wäre bei der ganzen Welt. Ach, heilige Maria, Mutter Gottes, steh mir bei! ich arme Sünderin könnte wünschen, daß man mir jetzt gerade die letzte Ölung brächte und mir ein Häuschen von sechs Brettern mitgäbe; unser guter, lieber Don Alfonso geht fort, jetzt haben wir wieder das ganze Jahr Aschermittwoch. So wahr mir San Jago gnädig sei, Ihr dürft mir glauben, wenn ich Manuela nicht so lieb hätte, bei dem alten Krittler wär' ich keine vierundzwanzig Stunden geblieben, der macht jahraus jahrein ein Gesicht wie ein Judas, und das gute Kind, ach! was steht das bei ihm aus, das weiß niemand als ich. O! es geschieht Euch ganz recht, wenn nur ich nicht darunter leiden müßte; so alles unter sich ausgemacht, unsereinem kein Sterbenswörtchen davon gesagt, da sieht man, was dabei herauskommt, wenn man nicht auch alte erfahrene Leute, die in der Welt auch schon was mitgemacht haben, zu Rate zieht. Bei meiner vorigen Herrschaft da hab' ich ein Pärchen zusammengebracht, der Alte hat noch viel ungerner anbeißen wollen als unser Murrkopf da droben, aber die sind auch nicht so stolz gewesen, daß sie vor lauter Schnäbeln und Herzen ihre besten Freunde vor der Nase übersehen haben; es ist wahr, sie haben mir zuletzt auch mit Undank gelohnt, aber was tut das? Gibst du heute, so bist du morgen vergessen, sagt das Sprichwort, und ein Sprichwort ist ein wahr Wort. Wenn Ihr mir nur einen Wink davon gegeben hättet, ich hatt' das Ding ganz anders eingefädelt; Ihr könnt gut und brav sein, aber (nehmt mir's nicht übel, Usted, es ist, so wahr ich eine Sünderin bin, gut gemeint) aber gescheit seid Ihr nicht. Sechs Wochen lang lauft Ihr darum herum wie die Katze um den heißen Brei, gleich den anderen Tag, gleich die andere Stunde, wo Ihr den Alten heimgebracht, hättet Ihr um mein süß Täubchen freien sollen; gesteht nur selbst, hätt' er's Euch abschlagen können? Drückt die Limone aus, bevor sie verfault, sagt das Sprichwort; nach sechs Wochen, San Jago! Was vergißt der Mensch nicht in sechs Wochen! Da wundert's mich gar nicht, daß er sich das Maul gewischt und Euch mit einem mageren Gratias abgefertigt hat. Den kennt noch gar keiner, der hat einen Stolz wie ein Ritter vom Berge, er ist aber auch, ich glaub's noch immer, ein halber Heide – ich blieb' nicht im Haus, wenn nicht wegen des guten Kindes, das ich so lieb habe, als ob ich's unter meinem Herzen getragen hätte. Ich sag' Euch, ich habe schon viel Verliebte gesehen, ich selbst, seht mich nur an wie Ihr wollt, bin auch einmal jung gewesen und sauber, ich hab' mich dürfen sehen lassen, ich hab' meinen ersten Mann gern, recht gern gehabt, aber daß man so verliebt sein kann wie die Manuela, das hätt' ich mein Lebtag nicht geglaubt. Was liegt dem Alten daran? Seinetwegen kann sie graue Haare bekommen und ihr süßes Fleisch verdorren, der hat ein zähes Leben, der stirbt nicht so bald; er gönnt sie gar keinem anderen, Gott verzeih mir meine Sünden, ich glaub', er möcht' sie selbst heiraten, wenn das nicht gegen die Natur wär'. O! es dreht mir das Herz im Leib herum, wenn ich daran denke, wie sich das alles so schön hätt' einrichten lassen, dann stünd' es jetzt ganz anders und die alte Laura hätt' noch die Freude gehabt, so eine junge rotwangige Manuelita oder einen Alfonsito auf ihren Armen zu wiegen. Nun das sind jetzt lauter Reden in den Wind und ich halt' Euch nur damit auf; nichts für ungut, edler Herr, macht, daß Ihr bald wiederkommt, dann laßt nur die Laura sorgen, Ihr sollt sehen, wie alles so gut geht.«

Ich hatte der Alten fast willenlos, als ob ich dazu verpflichtet wäre, zugehört, und reichte ihr nun einige Dublonen zum Abschied; sie wollte sie nicht annehmen, da sie nicht wisse warum, sie hätte sie ja nicht verdient; nach einigem Zureden nahm sie es, und mit schalkhaft dankbarer Miene sagte sie: »Ihr hättet früher einsehen sollen, daß das Sprichwort sagt: ›Geschenke sprengen Felsen‹. Habt Ihr keinen Auftrag mehr an Manuela?«

Ich wußte keinen; sie küßte mir die Hand, und unter Schelten und Murren über den heidnischen Kahlkopf ging sie davon. Nach einer Stunde, in der ich noch Geronimo besuchte, hatte ich Sevilla verlassen. Ich fühlte es klar, hier hatte sich ein Wendepunkt in meinem Leben gestaltet, den ich nie aus den Augen zu lassen mir vorsetzte.

Aber was sind des Menschen Vorsätze und Entschlüsse? Ein Hauch, ein Schatten berührt sie und sie sind nicht mehr.

Ein Jahr und darüber war verflossen; ich hatte zweimal an Manuela und ihren Vater geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Da trat allmählich ihr holdes Bild in den Hintergrund der Seele zurück; die Verschlossenheit und Selbstgenügsamkeit, in die ich mich eingepuppt hatte, verschwand nach und nach. – Der Austritt unseres Oheims zu Madrid mit seiner ganzen Familie aus unserer heimlichen Gemeinde, sein reuiges Eingeständnis und seine Bußfertigkeit für die seitherige Halbheit seines Glaubens erfüllte uns mit Trauer und Angst. Die mächtigen Espinosas in dem heutigen Spanien sind die Kinder dieses Oheims. Nicht durch ein einziges Geständnis seiner Mitschuldigen suchte er sich jedoch von den harten Bußen, die ihm auferlegt wurden, zu befreien. Wir erfuhren aber durch unseren Geronimo, daß durch ein neues Edikt der Inquisition nicht, wie man bisher geglaubt hatte, nur die maurischen Christen, sondern auch die Judenchristen nach Afrika deportiert werden sollten. In der Sorge um das eigene Schicksal und das der Angehörigen erwachte in mir auch wieder das Andenken an Manuela mit allem Zauber ihres engelgleichen Wesens. Ich sah es daher als einen Fingerzeig Gottes an, als Rodrigo Casseres, der nach Sevilla reiste, mir die Besorgung jeglichen Auftrags anbot. Ich schilderte Manuela in einem Briefe alle Schrecken, die uns bedrohen, und beschwor sie, mit ihrem Vater schleunigst zu uns zu kommen, damit wir vereint die Zukunft ertragen. Fast ohne Erfolg zu hoffen, und nur um meiner letzten Liebespflicht zu genügen, sendete ich den Brief ab.

Die Brust von tausend Sorgen und Ahnungen bewegt, den Vätern grollend, die uns ein alltäglich wiederkehrendes ruhmloses Märtyrertum und das Doppelgesicht des Glaubens als leidiges Erbe hinterlassen, war ich eines Tages die Landstraße entlang gewandert. Da bemerkte ich einen Wagen, der langsamen Schrittes den Weg herkam; ich trat näher, ein Blick, ein Schrei und – Manuela lag in meinen Armen. Wie von innerer magischer Kraft getrieben, hatte sie sich behende über die Brüstung des Wagens herausgeschwungen. Ich setzte mich schnell wieder mit ihr in den Wagen, zog die Gardinen vor und fuhr dem Tore zu. Don Antonio saß in eine große wollene Decke gehüllt neben Manuela; auch er freute sich der glücklichen Schickung, daß wir uns hier so bald getroffen. »Wenn's noch lange so fortgegangen wäre über Berg und Tal,« sagte er, »hätte Manuela mich als Leiche zu Euch gebracht: das Fahren rüttelt mir alle Glieder so auseinander, daß ich meine, ich wäre wieder auf der Folter. Nicht wahr, Manuela, nun hast du dein Höchstes erreicht, da du mich alten Tor zu der weiten Reise überredet hast? Ja, ja, nun ist an meinem Leben nichts mehr gelegen, jetzt wär's am besten, wenn ich bald sterbe, nicht wahr? Seid nur ruhig, es dauert nicht mehr lang.«

Mit einem höhnischen Lächeln grinste er uns an und schob Manuelas Arm weg. War mir seine Weigerung ehedem wie dämonische Habgier erschienen, so hatte ich bei dieser Weise, seines eigenen Kindes Freude zu vergiften, mit Haß gegen ihn zu kämpfen; er war bei alledem Manuelas Vater. Manuela verstand es, durch unzählige kleine Fragen und Erinnerungen meinen Ärger zu zerstreuen. Es gelang ihr leicht, denn wie unendlich vieles hatten wir uns zu sagen; aber sonderbar! während hundert gewichtige Fragen sich in unserem Sinne drängen, ist es oft gerade die unbedeutendste, die am ersten zu Worte kommt. »Wie geht's der alten Laura?« fragte ich.

»Sie ist tot, die falsche Schlange; hört nur, wie es uns mit ihr erging. Es werden jetzt ungefähr sieben Monate sein, mein Vater lag schwer krank danieder (wie er überhaupt seit Eurer Abwesenheit nicht einen Monat lang ununterbrochen gesund war), da erkrankte auch Laura: sie wurde in das Hospital San Lorenzo gebracht, welches sie zum Erben ihrer ganzen Habe einsetzte. Ihre Krankheit entwickelte sich schnell, sie war unheilbar. Nachdem sie schon die Sterbesakramente empfangen, äußerte sie als letzten Wunsch, man möchte mich zu ihr bringen, sie könne nicht eher ruhig sterben, bis sie mich noch einmal allein gesprochen hätte. Auch mein Vater riet mir hinzugehen, und mit kaum bezwingbarem Widerwillen ließ ich mich nach dem Hospital geleiten. Ich hätte Laura nicht wiedererkannt, so abgemagert war sie in den wenigen Wochen; sie aber erkannte mich alsbald und streckte weinend ihre knöchernen Hände nach mir aus. Ihre ehemalige Beredsamkeit war noch nicht verschwunden; nur mit halber Stimme, und von Stöhnen und Ächzen unterbrochen, gestand sie mir, wie sie es war, die auf Zureden ihres Beichtvaters bekannt habe, daß mein Vater die Kirche nicht besuche und den Heidengott im stillen verehre. Der Beichtvater habe sie zwar schon damals für diese gottgefällige Handlung von allen ihren Sünden freigesprochen, aber jetzt sei es ihr, als ob sie nicht sterben könne, bevor auch ich ihr das viele Ungemach, das dadurch über mich gekommen wäre, verziehen hätte; ich solle bedenken, daß sie damals ihr eigen Seelenheil dafür verbürgt habe, daß ich ein gutes Christenkind sei, darum sei ich auch immer frei ausgegangen; ich sollte bedenken, sagte sie – und der Schalk guckte noch aus ihrem halbgebrochenen Auge hervor – daß ich nur so den guten lieben Don Alfonso kennen gelernt, und sie versprach mir bald im Himmel für unsere Vereinigung zu beten. Ich dankte für ihre gütige Verwendung, mochte ihr aber doch die Todesstunde nicht verbittern und verzieh ihr, wie ich gestehen muß, nicht recht von ganzer Seele.«

Ich erzählte nun Manuela von der letzten Standrede Lauras, und unter solchen Gesprächen waren wir am Hause meines Vaters angelangt. Die Ankömmlinge waren meinem Vater hochwillkommen. Der alte Valor wurde die Treppe hinaufgetragen, das geringe Gepäck war bald an Ort und Stelle. Meine Schwester, die einige Jahre älter als Manuela war, wurde bald deren vertrauteste Freundin, so daß sie sich bei uns heimischer als zu Hause fühlte. Wir bereiteten im stillen die Abreise vor, aber der kränkliche Zustand Don Antonios, in welchem er nie etwas von einer Abreise hören wollte, machte uns bange; mein Vater, der als der erfahrenste Arzt in ganz Neukastilien galt, fürchtete für ihn ein langes Hinsiechen. Wie waren wir daher erstaunt, als man ihn eines Morgens mit entsetzlich aufgedunsenem Gesichte im Bette tot fand. Nur dies einzige Mal, als Manuela das schrecklich entstellte Angesicht ihres Vaters zuerst erblickte, sank ihr Körper unter der Wucht des Schmerzes ohnmächtig zusammen, sonst hatte sie alle Wechselfälle des Lebens kräftig ausgedauert. Mein Vater behauptete, das sei nicht das Aussehen eines natürlichen Todes; in der Tat fand man auch, als man die Leiche entkleidete, das Amulett, das Don Antonio seit seiner letzten Verhaftung auf dem Herzen getragen hatte, aufgerissen und leer, nirgends war aber der Überrest eines Giftes zu entdecken. – Nie hat Manuela von diesem Umstande etwas erfahren.

Da nun der alte Valor tot war, glaubte mein Vater mit der Abreise nicht länger zögern zu dürfen. Der Verstorbene hatte keine Kunde von seinem letzten Willen hinterlassen: was war natürlicher, als daß Manuela mit uns reiste? Mein Vater trug mir auf, sie an die baldigste Besorgung ihrer etwa unerledigten Angelegenheiten zu gemahnen. Ich ging zu ihr, fand sie allein, weinend und nachdenklich. »Wir alle ehren diese Zeichen kindlich frommen Sinnes,« sagte ich, »aber wozu noch länger düsteren Gedanken Euch hingeben? Mein Vater will auch Euch Vater sein, und ich – nun Ihr wißt, was ich Euch sein möchte.« »Nein, nie!« antwortete sie; »habt Erbarmen mit mir armen Waise und laßt mich hinziehen zu meinem Oheim nach Valencia, er wird den Haß meines Vaters an mir nicht rächen, er wird das Kind seiner Schwester nicht verstoßen. Wie gern bliebe ich bei Euch, aber ich sehe es zu spät, eine eiserne Scheidewand trennt uns auf ewig.«

»So wißt Ihr denn schon?« fragte ich mit Ungeduld, »hat meine Schwester es Euch anvertraut? Glaubt mir, schon lange klang es in meiner Seele wie feiger Meineid, daß ich nicht längst Euch alles gestanden, Ihr hättet mich nie verraten. Ja, ich bin ein Jude und will meinem zertretenen Glauben angehören, solange noch ein Lebenshauch in mir wohnt, und könnt Ihr mich jetzt verlassen, nun wohlan, so habt Ihr mich nie geliebt; ziehet hin zu Eurem Oheim, niemand wird Euch hindern.« Manuela blickte mich starr mit verzweifelten Blicken an.

»Ihr seid grausam, Sennor,« sagte sie, »das hätte ich nimmer von Euch gedacht; wer hat Euch diese Macht über mich gegeben, so freveln Hohn mit mir zu treiben, und daß ich Euch dennoch lieben muß? Glaubt Ihr, ich sei verzagt und schäme mich meines Glaubens? Sagt's nur frei, ich weiß, du hängst dem Islam an, wie dein toter Vater tat – und ich will Eure Kniee umfassen und Euch um Verzeihung bitten, aber verhöhnt mich nicht; was hab' ich Euch denn getan?«

Ein Tränenstrom erstickte ihre Stimme, sie wandte sich schluchzend von mir ab. »O Vater! Vater!« rief sie, »so verfährt man mit deinem Kinde; warum hast du mich nicht mit dir ins Grab genommen?«

Ich beschwor alle Flüche des Himmels auf mich herab, wenn ich nicht Wahrheit gesprochen hätte. Sie blickte mich wieder freundlich an, und die stille Träne in ihrem Auge verriet den unendlichen Schmerz über das Unrecht, das sie mir getan, und über den entsetzlichen Abgrund, der sich vor unseren Augen aufschloß. »So nah und doch so unendlich fern!« sagte sie, mir die Hand zur Versöhnung reichend. Ich bestürmte sie mit all ihrer früheren Liebesmacht: »Gott ist der Gott der Liebe, wo Ihr ihn auch verehret, sei es in Kirchen, Moscheen oder Synagogen; und wäre es nicht der Wille Gottes, hätten mir uns so gefunden und wieder gefunden?« In feuriger Rede stellte ich ihr die verschiedenen Glaubensbekenntnisse so dar, wie sie es für Liebende sind; ich kümmerte mich wenig um das, was in den Büchern geschrieben steht und was die Priester lehren, Gott verzeih mir's! Ich möchte heute nicht alles verantworten. Manuela hörte mir nur halb zu, und in herzzerreißendem Tone rief sie: »Herr! Gott! vernichte mich nicht, weil ich noch zweifle. Was hab' ich verbrochen, daß du so Unendliches mir auferlegst? Kann ich der Kindheit Glauben aus der Seele tilgen und doch noch leben? Warum denn gerade mir, gerade mir dem schwachen Mädchen, das grausame Geschick Moslemin zu sein im Herzen und Christin im Angesicht, um zuletzt beides Lügen zu strafen? Gibt's keine Tempel mehr, daß man mich hindurchjage und mein armes Herz zerfleische? Mein Vater hatte doch unrecht, als er vor drei Jahren eine alte Zigeunerin die Treppe hinabwarf, daß ich meinte, sie könne nicht mehr aufstehen, weil sie mir prophezeit hatte, – ich würde nicht in meinem jetzigen Glauben sterben und ich sei zu großen Dingen geboren; ich möchte nur wissen, was das für große Dinge sein werden. Wenn jetzt die alte Hexe wiederkäme, wie würde sie staunen über ihre eigene Weisheit!« – Ein Schrei des Entsetzens unterbrach Manuelas Rede, »das ist die schwarze Kunst, die hier ihr Spiel treibt,« rief sie und schmiegte sich furchtsam an mich. Ich blickte nach der Tür, dort stand ein altes Zigeunermütterchen auf seinen Stab gestützt und bat mit klugem Lächeln um ein Almosen. Ich beruhigte Manuela, die am ganzen Leibe zitterte, sich jetzt aber Zwang antat und beherzt vor die Bettlerin hintretend fragte: »Kennt Ihr mich?«

»Ei warum denn nicht?« antwortete die Alte und erhob ihr grinsendes Gesicht, »da seht, hab' ja ein gutes Denkzeichen, die Narbe da über meinem linken Aug', die hab' ich aus Eurem Hause in Sevilla davongetragen; nun wie steht's mit meiner Prophezeiung? Ist sie nicht eingetroffen?«

»Ich weiß nicht,« antwortete Manuela.

»Ihr wißt nicht? ei, ei, aber ich weiß.«

»Danke schönstens für Eure Weisheit,« antwortete Manuela, ihr eine Gabe reichend.

»Nur einen Augenblick laßt mir noch dies Samthändchen, ich weiß noch viel mehr Dinge.« Manuela sträubte sich nur halb. Die Alte kicherte so heftig, als sie eine Weile die Handfläche betrachtet hatte, daß der Stock ihrer Hand entfiel. »Das geht über alle Maßen,« rief sie, »nun seht einmal her, diese feingeschliffene Lebenslinie ist mir nur einmal vorgekommen: ein schmucker Ritter kommt und holt Euch übers Meer, dürft Euch darauf verlassen, es ist so gewiß wahr, so gewiß, als ich noch so jung und schön sein möcht' wie Ihr; seht Ihr die kleinen Schnittchen, die da darüber weggehen? Das bedeutet viel Kummer und Herzeleid; aber halt, das müßt Ihr noch hören: da steht ein prächtiger Junge, den Ihr bekommen werdet, braucht nicht so rot zu werden, es gibt einen tüchtigen vielgerühmten Ritter, mit dem keiner in die Schranken treten mag, er führt seine Streiche mit solcher Sicherheit und Ruhe, daß er alle seine Gegner in den Sand streckt; der Ring da abwärts, das bedeutet eine Krone, die er ausschlägt.« Solche und andere Narrenpossen sprach die geschwätzige Wahrsagerin noch viel, und ich wundere mich nur über mich selbst, daß ich die Geschichten noch alle im Kopf behalten habe. Manuela schien, so sehr sie es auch verbergen wollte, doch mehr daran zu glauben als ich; ich habe nie auf derlei Dinge etwas gehalten und wir haben ja jetzt den augenscheinlichsten Beweis, was daraus geworden ist. Auch mir wollte sie noch weissagen, ich hatte aber ganz andere Dinge zu tun und zu denken, gab ihr daher ein Geschenk und hieß sie nun ihres Weges gehen.

Durch diesen sonderbaren Zwischenfall war die tiefe Aufgeregtheit Manuelas, die mich schaudern machte, glücklich abgeleitet worden. Ich stellte ihr nun nochmals alles mit Ruhe vor, auch sie war ruhig; ich mußte ihr versprechen, sie vor dem anderen Morgen mit keinem Worte mehr zu bestürmen. »Ich werde alles treu und gewissenhaft überlegen,« sagte sie, »niemand kann, niemand darf mir hier raten.«

Des anderen Tages, als ich erwachte, war mein erster Gedanke: heute entscheidet sich deines Lebens künftige Gestalt. Es ist in solchen Stimmungen nicht möglich, irgend einen Gedanken festzuhalten, eine peinliche Ungeduld verzehrt uns. Ich eilte hinaus auf die Almeda, ich jagte mein Roß, als ob ich mit seinen raschen Schritten auch die träge Zeit zwänge, daß sie ihren Lauf beschleunige, damit ich endlich zu Manuela gehen könne. – »Gott allein weiß, wie ich gerungen,« sagte sie, als ich zu ihr kam, »Ihr habt gesiegt; aber ich bitt' Euch, macht daß wir fortkommen, hier halte ich's nicht länger aus.« – Ich erzählte meinem Vater alles. »Du hast nicht wohlgetan, mein Sohn,« sagte er, »so ungleiche Gewichte in die Wagschale zu legen; mir ist alles, was du mir hier sagst, nichts Neues, doch so mit gebrochener Seele darf das Mädchen unserem Glauben und unserer Familie nicht gewonnen werden; ich werde ihr unverhohlen all die schweren Pflichten, die unser Glaube zu üben befiehlt, all die Leiden, die er noch zu tragen verdammt ist, auseinandersetzen –, beharrt sie dann noch auf ihrem Vorsatze, nun denn, so gebe Gott seinen Segen dazu, daß sie die Stammmutter einer frommen Nachkommenschaft werde.«

Manuela blieb standhaft.

Kein Hindernis stand unserer Abreise mehr im Wege. Nachdem wir mit vieler Mühe unsere Habe in beweglichen Wert umgesetzt hatten, reiste Immanuel mit der Schwester und Manuela voraus, denn wir mußten möglichst dafür sorgen, kein Aufsehen zu erregen. In der Nacht darauf folgte ich mit meinem Vater. Ich konnte mich der Tränen kaum erwehren, als wir uns von den traulichen Straßen wie Diebe, von Nacht und Furcht umgeben, wegschlichen. O! wir liebten unser Stiefvaterland von ganzer Seele, das fühl' ich noch jetzt. Mein Vater sprach keine Silbe. Erst als die Morgenröte aufging, befahl er mir hier die Sonne zum Zeugen zu nehmen und bei Gott dem Allerhöchsten zu schwören, daß ich Manuela so lange nicht als die Meine betrachten wolle, bis sie in unseren Glauben aufgenommen und durch den Bund der Ehe mir zugegeben sei. Wir holten die Vorausgegangenen ein und kamen nach manchen Beschwerden in Oporto an. Dort wohnten wir bei dem Vater Uriel da Costas bis zum Tage der Abfahrt. Auch Mendez Henrico aus Madrid trafen wir hier; er verließ ein hohes Amt am Hofe und eine heißgeliebte Braut, um mit seinen Brüdern in fernem Lande seinen Glauben offen zu bekennen. Es war ein wortkarger Reisegefährte. Einen gräßlichen Fluch, wie ihn noch nie eines Menschen Zunge ausgesprochen, beschwor er über das unglückliche Spanien herab als wir die Anker lichteten; dabei rollten seine Augen wie die eines Rasenden, er knirschte mit den Zähnen und stampfte mit den Füßen, daß mir vor dieser Wut bangte und ich ihn besänftigen wollte. Ohne mir zu antworten oder nur nach mir umzublicken, ging er an das andere Ende des Schiffes, rückte sich in einer einsamen Ecke ein Gewinde vorrätiger Tauseile zurecht, und kauerte sich dort zusammen. Ich hatte genug zu tun mit den eigenen Angehörigen und ließ Henrico nach seiner Weise gewähren. Die Fahrt war anfangs glücklich; das neue Schauspiel erweckte Manuelas Heiterkeit wieder. Aber schon am ersten Abend erkrankte mein Vater. Er suchte wieder, wie sonst, durch starke Arzneimittel entgegenzuwirken, es half nichts, sein Zustand verschlimmerte sich von Stunde zu Stunde. »Es ist sonderbar,« sagte er einmal zu mir, als ich an seinem Bette saß, »da liege ich altes Kind wieder in einer großen Wiege, die mich aus dem Leben hinausschaukeln wird. Werft meinen Leib nur nicht hinaus in die kalte Flut; wie Joseph einst seine Brüder, so beschwöre ich euch, meine Kinder, nehmt meine Gebeine mit und begrabt sie in dem Lande, wohin der Herr euch führen wird; ich fühl's, mein Auge soll's nicht mehr schauen.« Ich suchte ihm solche Gedanken auszureden, er aber sagte: »Ich weiß, meine Stunden sind gezählt, ich habe viel Freud' und Leid genossen auf dieser Welt: Preis und Dank sei Gott dem Herrn für beides. Komm, rufe mir meine Kinder, auch Manuela, auch sie ist mein Kind, du wirst glücklich mit ihr sein.« – »Weinet nicht,« sprach er dann zu den Eintretenden, »ich kann ruhig in die Grube sinken, da ich weiß, ihr werdet fortan ungehindert und in Frieden eurem Gotte leben dürfen; und sollte abermals eines Drängers Hand euch verstoßen, verzaget nicht, denn das Gesetz unseres Gottes, des einzig Einigen, wird einst glorreich erkannt werden von allen Völkern.«

Mein Vater sprach noch viel über die Einrichtung unseres künftigen Lebens; es war als ob sein naher Tod ihm das Fernsehen in unbekannte Verhältnisse gestattet hätte. Er segnete noch jeden einzeln, und nach wenigen Stunden verschied er mit gebetähnlicher Lippenbewegung. Ich habe seitdem vieler Menschen Geist sich losringen sehen vom Körper, aber nie sah ich solch himmlisch verklärtes Antlitz wieder. Unsere Tränen flossen reichlich: am heftigsten aber weinte Manuela, sie war zum zweiten Male verwaist. Als keine Rückkehr des Lebens in den Leichnam mehr zu hoffen war, entleerten wir in der Stille eine große Kiste und zogen der Leiche das Sterbegewand, das noch meine Mutter bereitet hatte, an. Ein Säckchen mit Erde aus dem Gelobten Lande, das mein Vater für schweres Geld hatte kommen lassen, lag bei den Sterbegewändern. Wir legten ihm diese heilige Erde unter das Haupt und stellten den Sarg in die unterste Kajüte, wo mein Bruder ihn bewachte. Es war ein neblichter Morgen, als wir weiterfuhren. Gegen Mittag erhob sich ein fürchterlicher Sturm mit all den Schrecken, die ich bisher nur aus den Erzählungen von den vielfachen Reiseabenteuern meines Vaters gekannt hatte; ich dankte Gott, daß er ihn dieser neuen Qual überhoben und suchte durch diesen Gedanken die zitternden Mädchen zu beruhigen. Da trat der Schiffshauptmann zu uns und befahl mir in kurzen Worten, ihm augenblicklich die Kiste anzugeben, worin die Leiche verborgen sei, damit er nicht nötig habe, alles zu durchwühlen und viel Zeit zu verlieren; es sei eine bewährte Regel, daß das Meer sich nicht eher beruhige, als bis ihm die Leiche, die ein Schiff mit sich führe, zum Opfer gebracht worden. Ich suchte ihn zu beruhigen, war aber dabei so unvorsichtig, ihm das Lächerliche seines Aberglaubens begreiflich machen zu wollen. Er hätte mich für diese Belehrung fast niedergestochen, wenn nicht Manuela ihm in den Arm gefallen wäre. Ich wollte nur' mit dem Tode den Willen meines Vaters unerfüllt lassen und setzte mich zur Gegenwehr; die Mädchen jammerten und weinten; die ganze Schiffsmannschaft kam hinzu, ich mußte mich fügen. Nachdem wir noch schnell den Sarg mit Ballast beschwert hatten, damit er sogleich untersinke, trat ich mit hinaus in die Wut der Elemente und mit blutendem Herzen sah ich, wie die hochaufbraufenden Wellen ihren Rachen über der dargebotenen Beute schlossen. Auf lange Zeit war meine Ruhe dort mitversenkt worden. – Alles auf dem Schiffe war in gräßlicher Bewegung, nur einer stand regungslos da inmitten dieses Aufruhrs, es war Mendes Henrico. Den gespannten Hahn einer Pistole in der einen Hand, mit der anderen sich aus aller Kraft an ein Tauseil anklammernd, stand er auf dem Verdeck. »Was wollt Ihr? Seid Ihr wahnsinnig?« rief ich ihm zu; er lächelte mitleidig: »Seht Ihr das Meer da?« sagte er, »seht Ihr das Meer da?« Das ist ein großes Taufbecken, da sollen wir nun auch noch nach griechischem Ritus getauft werden; mich aber sollen sie bei lebendigem Leibe nicht dazu zwingen, sie, denen die Elemente selbst sklavisch heucheln. Bricht der dort (hier deutete er auf den Mast), so brennt diese Kugel in meinem Herzen, ich will nicht« – In diesem Augenblicke krachte der Mast, ein Schuß knallte und Henrico stürzte kopfüber aus dem Schiff. Ich war selbst wie zerschmettert von all dem, was mich umgab; wir waren ein Spielball in den Händen des Sturmes. O mein Sohn! Wer sein eigenes Leben und was er von der Welt gesehen, was wichtig und was nichtig ist, erkennen will, der lernt es am besten, wenn er mit allem was er ist und hat, draußen auf dem endlosen Meere ist. Im Sturm wie in der darauffolgenden Stille habe ich tiefer in alles geblickt als je sonst. Es war mir wie jenes vierzigjährige Wandern unserer Vorväter durch die Wüste: nicht das alte Geschlecht sollte nach dem Gelobten Lande kommen, in mir selbst starb es aus – ein neuer Mensch sah endlich das Land der Freiheit vor sich.

Wir landeten in Antwerpen. Erst über tiefe Trauer hinweg sollte ich unsere neue Heimat lieben lernen.

Dreißig Tage trauerte ich, wie es das Gesetz vorschreibt, um meinen Vater; noch lange erregte es mir tiefe Gewissensbisse, seinen letzten Willen nicht erfüllt zu haben. Manuela war unterdes in die jüdische Gemeinde aufgenommen worden, und an ihrer Seite fand ich die Ruhe und das Glück, für das ich Gott ewig danke. Wir hatten beide schwere Lebenskämpfe. Wir hatten uns beide das Judentum in der gemeinsamen Ausübung einer freien Genossenschaft ganz anders gedacht; wir wußten nicht, wie viel doch noch von Angewöhnung in uns war, und mir besonders wollte es nicht behagen mit der bloßen Freiheit, ein Leben von tausend religiösen Observanzen eingehegt leben zu dürfen. Gott der Allgütige wird mir meine Schuld verzeihen, ich habe erkennen gelernt, daß sein heiliger Wille überall waltet und die Beobachtung des Gesetzes nur zu ihm führt. Wir haben alles aufgegeben, um euch, unsere Kinder, im Frieden unseres Glaubens erwachsen zu sehen. Seid dessen eingedenk. Du vor allen mein Sohn.

Das ist die Geschichte meines Lebens, meiner Liebe, geschrieben für meinen einzigen Sohn Baruch allein.


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