Karl Bleibtreu
Der Aufgang des Abendlandes
Karl Bleibtreu

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II

Bezeichnenderweise kann sich der Mensch nur dem Anthropoiden gegenüber, da die andern Tiere keinen faßbaren Vergleichspunkt bieten, geistiger Überlegenheit rühmen, selbst hier darf man Zweifel hegen, da wir vom innersten Seelenleben des Schimpansen nichts wissen, seine Gedanken sind zollfrei, und ob nicht auch er aus dem Unbewußten und geweckteren Sinnen eine uns fremde Nahrung zieht, ahnen wir nicht, ermessen nur unüberbrückbaren Verstandesabstand. Alles aber, was bei Geburt eine höhere geistige Anlage mitbringt und so den vollendeten Embryo plötzlich von dem des Hundes unterscheidet, vollzieht sich durch unsichtbare kosmische Einwirkung. Evolution ist schon an und für sich ein geistiger Begriff, klammert sich daher unwillkürlich ans Unsichtbare und kann als abstrakt nur von Oberflächlichkeit aufs Sichtbare angewendet werden. Ein physisches Aufwärts kann es hier nicht geben, nur Relativität in Transformierung. Kompliziertheit menschlicher Organe ist nicht Modifizierung zum Vollkommeneren, das in der Natur waltende Sparsamkeitsgesetz schafft viel erstaunlichere Wunder der Einfachheit. So des Vogels Flugfähigkeit mit dazu gehörigem Atmungsapparat, wie auch der des Fisches besser zum Aufenthalt im Wasser geeignet als die stärkste Lunge des Schwimmers. Deshalb erkannte Lamark, alle Evolutionskraft sei geistiges Streben, es ist so, sobald man dafür das richtige Wort Entfaltung setzt. Veränderungen entstehen nicht mechanisch, sondern durch individuelle Regung der Lebensenergie. Entfaltung ist ein Willensakt, der aber ohnmächtig bliebe, wenn nicht geheimnisvoller Allwille ihm wohlwollend unter die Arme griffe, das ist das große Geheimnis. Wenn bestimmte Fische über Land wandern, so bringen sie solch achtungswerte Anstrengung nur fertig vermöge der nämlichen Willenskraft, die ihnen diesen widernatürlichen Plan eingab. Das Sexuelle des Tiermännchens ändert sich organisch nie, dagegen entspringt jede Abänderung weiblicher Sexualorgane vom Laichen zum Gebären dem gewaltigen Muttertrieb, besser für die Brut zu sorgen, sei es auch mit eigenem Unbehagen. Diesen hohen Willensakt der Selbstaufopferung könnte aber das Weibchen nicht verwirklichen ohne Beistand der gleichen Weltpsyche, die ihm dies heroische Streben einflößte. Das Verlangen wird Mutter besonderer Lebensenergie, die den Wunsch zur Erfüllung bringt. Daß diese Wechselwirkung beim Menschen immer mehr aussetzte, je weiter er sich vom Unsichtbaren entfernte, je weniger er die schöpferische Einbildungskraft und dafür den nüchternen Rechenverstand ausbildete, ist natürliche Folge seelischer Schwächung. Der Urmensch, der alles dem Menschen Nötige schuf, schuf sich gleichsam neue Organe wie das Tier, das Meerfloß des Tasmaniers entspringt dem gleichen Willensakt wie das erste Gebären des Mammals.

Beanstandung des Darwinismus summiert sich so: 1. Entfaltung ist kein mechanischer, sondern psychischer Prozeß, sie offenbart nicht den Stoff, sondern die Energie. 2. Veränderlichkeit des Stoffes ändert nicht Beharrlichkeit des Typs, d. h. der Idee einer Art. 3. Variation als Produkt der Allenergie ist nur Transformierung, direkte Abstammung einer Art aus der andern unbeweisbar, unwahrscheinlich, unmöglich. 4. Evolution im Sinn von Aufstieg ist Täuschung ohne Relativitätsperspektive, das einzige uns wirklich zugängliche Material, die Menschheitsgeschichte, beweist das Gegenteil.

Nehmen wir gemeinsam gleichzeitigen Ursprung des Erdlebens an, so sind wir so weit wie zuvor bei der biblischen Schöpfungsmythe. Denn wie und wann sich die zahllosen Varianten ableiten, bleibt verhüllt. Da steht nichts im Wege, daß Saurier und Urmensch gleichzeitig auftraten. Aus welcher Tierform der Affe sich entwickelt habe, dafür zeugt keinerlei Mittelglied, die Lemurentheorie ist mehr als wackelig. Darwinismus hat ein Interesse daran, den Menschen als späten Erdbewohner auszugeben, doch er war sicher ein Zeitgenosse der Megalosaurier und des Riesenkänguruh, das in Nähe der Saurier siedelte. In welcher Urgestalt der Mensch sich darstellte, ist völlig ungewiß, wohl aber sicher, daß er mit Waffen auf die Saurier Jagd machte. Sigurd und Siegfried Drachentöter sind historische Überlieferungen wie alle Sagen, auch Appolon tötet mit Pfeilen die Riesenpython und Herkules die lernäische Hydra. Dazu wäre der Riesenschimpanse, dessen altertümliches Dasein neuerdings behauptet wird, nie fähig gewesen, es scheint bedeutungsvoll, daß kein Anthropoide den geringsten aggressiven Jagdtrieb zeigt, wie ja auch die Zahnform sich schon bei ältesten menschlichen Überresten unterscheidet. Man hat auch kein Recht, die paar Beispiele anscheinender Mittelglieder als Beweis für Übergehen einer Spezies in die andere aufzufassen. Der Wechselbalg mit dem Entenschnabel, der ein Ei legt und das Junge dann an Milchdrüsen säugt, ist viel wahrscheinlicher ein Bastard von Vogel und Säugetier. Wenn solche Begattung heute unmöglich, mochte sie in Urzeiten vorkommen. Jedenfalls blieb auch diese Spielart konstant, nicht das kleinste Anzeichen liegt vor, daß die benutzten Milchdrüsen sich in folgenden Sprößlingen zu wirklichem Gebären umsetzten, hier fehlt wieder jedes Mittelglied zwischen diesem Wechselbalg und dem ersten wirklichen Säugetier. Bloße Vermutungen stützen nicht eine so weitgehende Hypothese. Ist wahrscheinlich, daß der Landbereisende Schlammfisch als Ahnherr der Reptile in Betracht kommt? Denn wohlgemerkt beachtet man dies Phänomen noch heute, ohne daß dieser Fisch aus solcher vielleicht Jahrmillionen andauernden Praxis je die ihm zugemutete Folgerung zöge, er ist und bleibt Fisch. Daß die Vögel ganz gleichzeitig mit den Reptilien auftraten, scheint nicht unbedingt erwiesen, aber daß Extremitäten als Flügel auswachsen, dafür bietet schon das Insektenreich, das sich dieses Vorzugs erfreute, den Analogieschluß. Entstand die Fledermaus aus dem Vogel? Sie ist eine Maus, die aus unbekannten Gründen das Bedürfnis befriedigte, fliegen zu können. Von den angeblich fliegenden Drachen blieb nichts übrig als das Duodezexemplar eines harmlosen Insektenfressers, und die kleine »fliegende« Schlange in Brasilien fliegt überhaupt nicht, sondern schießt als Baumbewohner aus der Höhe herab wie andere Schlangen am Boden hinschießen. Daß im Laufe ungezählter Jahrmillionen Varianten entstehen, kann durch alle möglichen Milieuumstände und auch durch Bastardisierung in grauer Vorzeit verursacht sein. Doch ist bezeichnend, daß man sich über Insektenfresser im Pflanzenreich wundert, weil man nicht begreift, daß gieriger Lebenswille in der Pflanze lodert wie in jedem Animalischen, und große Pilze von unten her mächtige Steine wegwälzen, Kartoffeln im dunkeln Keller mit verständiger Beharrlichkeit nach Licht schnappen wie ein gefangenes Tier. Daß aber deshalb aus der Kartoffel sich nach Jahrbillionen ein Säugetier entwickelte, klingt phantastischer als die unbefleckte Empfängnis der Päpste! Das alles wird heute frischweg geglaubt, weil solche Phantastik sich vorlautem Klugschwätzen anpaßt, das auf subtilste Fragen nüchterne Antwort weiß. Evolution dient als Sesam, Tischleindeckdich; wo Verstand der Verständigen halt macht, begnügt sich in Einfalt ein kindlich Gemüt: Evolution, basta. Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort und kaum flügge Biologie fix und fertig, mit vollen Segeln ins Unendliche hinaus zu gondeln. Die Wellen verschlingen am Ende noch Schiffer und Kahn durch gespenstig lockende Loreley-Mechanistik, die gestiefelt und gespornt zur Attacke aus dem gesegneten Schädel der Gelahrtheit aufstieg. Daß Uranfängliche Arbeitsteilung herrschen muß, für welche der Fisch so wichtig wie der Mensch, daher Gleichzeitigkeit aller Arten nötig scheint, daß jede scheinbar launenhafte Variante betriebsamem Individualwillen entspringt, doch ohne billigende Mitwirkung wohlwollender Weltpsyche unmöglich wäre, solche schlichte Vorstellung des Alleinen ist nicht verzwickt genug! Haeckel, den seine radikalen Bölschejünger ebenso verwirrt vorwärts trieben, wie er sie selber wirr gemacht hatte, betrat mit seiner »Parigenesis der Plastitule« 1873–77 und »Zellenseelen und Seelenzellen« unwillkürlich die Bahn eines reinen Psychismus. Sind selbst die kleinsten Zellenteile (Plastidulen) seelische Einheiten, die »sich erinnern und lernen«, d. h. ihre Vererbung und Anpassung auf den Zellenstaat Mensch übertragen, so bildet sich aus vielen Seelchen eine einheitliche Individualseele, d. h. erstere treten ihre Rechte an einen Generalbevollmächtigten ab. Das wäre eine vollbewußte zwecksetzende Tat und H. kann dies nie als stofflichen Vorgang erklären, mag seine Anthropogenie noch so viel neue Namen für seine Phantasievorstellungen erfinden. Radiolarien der Tiefe schießen also zusammen wie Zellen des Korallenbaums? Dann folgen also auch letztere einem psychischen Prozeß? Wir haben gewiß nichts dagegen, doch wo bleibt in so beseelter Mechanistik das materialistische Prinzip? Die Popularisierung seiner »generellen Morphologie« und »systematischen Phylogenie« wie seine Propaganda für »Welträtsel, Lebenswunder« (1904) der »Schöpfungsgeschichte« nahm seinem schweren Wissenschaftsgeschütz die äußere Tragweite, womit er sonst die schlechte Beschaffenheit seiner Zünder und den mangelnden Durchschlag seiner Geschosse verhüllte, bei dieser Propaganda für Halbgebildete kamen Ecken und Härten noch schroffer heraus. Noch unglücklicher verlief sein früherer Vortrag »Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft«, wo er zu krebsen anfing und aus der Kampfstellung zurückhufte, als seien er und Darwin nicht positive Materialisten. Ihre Anhänger vom Wissenschafter bis zum Arbeiter blieben es aber bis heute, außer einigen wenigen, die auf einmal Natur und Psychologie völlig trennen, also vom Monismus abfallen. Richtiger Naturalismus läßt aber keinen Dualismus zu, hier gibt es nur Entweder Oder. Virchows Zellular-Biologie würde logisch auch dazu führen, was er aus diplomatischen Gründen so mutlos bestritt, als er gegen »Herrn Haeckel« (früher, ›Freund H.‹) neidisch Front machte. Haeckels wahre Widerlegung lieferte Haeckel selber durch obigen Panpsychismus der Zellen, dessen Eigentümlichkeit wir ernst zu erwägen geneigt sind. Vielleicht würde die Karmalehre dadurch eine subtile Modifizierung erfahren, insofern die Verschiedenheiten bei Fortsetzung der Wiedergeburt so oft bei Karmaanzweiflern Anstoß erregten. Daß sich das ephemere Ich fortsetzen könne, gewinnt hier neue Auslegung der Transformierung: Während das Ich zerfällt, schießen seine Zellenteile, die »sich erinnern und lernen«, in neuer Form korallenmäßig zusammen, behalten nur allgemeinen Grundriß des verflossenen Zellenstaats, ohne ihm im einzelnen gleichen zu können. Natürlich lag Haeckel solche Gedanklichkeit ganz fern, er brauchte kein Senkblei für seine eigenen Untiefen. Der hochgemute Mann, von dessen blondem Reckentum man mit Stolz wie von Bismarck rühmen darf »made in Germany« gegenüber dem Shakespearischen »these limbs were made in England«, verdankte seinen Weltruhm nicht seinem Wahrheitsdrang, sondern dem Flachen und Großschnäuzigen, in dem seine Proselitenmacherei sich gehen ließ. »Das walte Gott, der Gott des Wahren, Guten, Schönen!« rief er begeistert. Träumen wir? Ahnte er nicht, wie sehr er diesem Gott zuwider handelte? Nein, er begriff nicht mal seine eigene Lehre, aus welcher der um ihn gescharte Janhagel von Doktoren und Massenmenschen wahrlich nichts Wahres, Gutes und Schönes, am wenigsten irgendeine Gottheitform entnahm und damit logischer dachte als er selber. Sie ficht es nicht an, daß sein Bathylius sich als Niederschlag von schwefelsaurem Kali entpuppte, denn hinter dem Schaugerüst Spezialgelehrsamkeit darf man nie einen Tempel ernsten Denkens suchen; die ungeheure Mehrzahl der Spezialisten sind hilflose Flachköpfe, wenn man sie aus dem Entenpfuhl ihres Fakultätsbetriebs auf festes Land lockt. Nur Universalwissen hat Wert, die dem Mittelmäßigen eigene Verbohrung auf sein sogenanntes Gebiet bereichert nicht mal die Ertragsfähigkeit des kleinen Ackerstücks, in dem man hin und her schaufelt und etwas Ersprießliches zu pflanzen meint, wenn man Engerlinge an einem Orte aufspießt, die am andern wieder lustig weiter kriechen.

So betont Ostwalds »Grundriß der Naturphilosophie« die alte Formel, daß alle Vorstellungen und Begriffe aus Erfahrung und Vergleichung hervorgehen. Nun, die wichtigsten Begriffe Unsichtbar und Unendlich lassen sich weder erfahren noch vergleichen, nicht mal der Kausalbegriff. Ostwald gesteht, daß hier »einem Apriori nichts im Wege stehe«, ja daß dies sogar mit dem Leben identisch sein könne. Ohne uns hier näher damit zu beschäftigen, betonen wir um so deutlicher, daß Wissenschaft dann notwendig nur auf subjektiven Vergleichen fußt. O. gesteht offen, daß es keine absolut richtige Behauptung gibt, nur größere und geringere Wahrscheinlichkeit, aller Fortschritt gehe nur dahin, den Wahrscheinlichkeitsgrad erfahrungsmäßiger Naturgesetze zu erhöhen. Das wäre alles schön und gut, doch diese wohlangebrachte Bescheidenheit wird nie ehrlich angewendet, denn es ist mindestens übertrieben und gewagt, daß Wissenschaft heute ihre Gesetze »immer wahrscheinlicher« machte außer für Strohköpfe. Sie bewegt sich von Anbeginn wie jede anthropomorphische Religion in einseitiger Voraussetzung, es werde ihr irgendwas Sichtbares induktiv offenbart, während sie gleichzeitig deduktiv mit unsichtbaren Abstraktionen spielt. Leben, diese höchste Formel, hat weit mehr Sinn als die Abstraktion Materie, sie demonstriert drastisch und symbolisch das wahre Geheimnis des Weltgeschehens darin, daß man alle organischen Existenzen neben uns nur als Körper erkennt, nichts von ihrem wahren, d. h. psychischen Wesen. Wenn man X als einen mit Beruf, Einkommen, Titel behangenen Körper schätzt, bleibt man völlig im unklaren über das, was er fühlt, glaubt, denkt, d. h. wirklich ist, da helfen höchstens Analogieschlüsse, die wahr oder falsch sein können. Selbst die wenigen, die sichtbare Merkmale ihres Innenlebens zur Schau tragen und als Künstler oder Denker von sich geben, gelten oft als problematische Naturen, enthüllen keineswegs Ursprung und Modus ihrer geistigen Bewegung. Physiognomik hat nur den Wert einer Eselsbrücke; gewiß trägt jeder seinen Steckbrief im Gesicht, doch nur wenige verstehen zu lesen; dies leibliche Schriftstück bleibt so unvollständig wie Objekte der Graphologie, die sich hundertmal blamiert neben manchen Treffern. In W. Blos »Gesch. D. Revol.« findet man ein Bild Robespierres voll Feinheit und Idealität: Es widerspricht gänzlich dem Bild, das Zeitgenossen von ihm entwarfen. Eine Rohan zeigte uns mal einen Kupferstich von Cagliostro, der sehr begreiflich macht, warum Lavater ihm die »erhabenste Physiognomie« zusprach, auf andern Bildern scheint er ein feister frecher Kerl. Wie stellt man sich zu solchen Widersprüchen? Man gewöhnte sich, Schädel und Stirn als Merkzeichen des Intellekts anzusehen, meist trifft es zu, keineswegs immer, es gibt Leute mit hohen und breiten Stirnen, deren Geistesmaß nicht den Durchschnitt übersteigt, Leute mit gedrückten Stirnen, die große Intelligenz besitzen. Unberechtigt ist bloße Messung des Schädelumfangs, Byron hatte einen abnorm kleinen Kopf, der aber doppeltes Hirngewicht trug, Leibniz hingegen ein minimales Volumen bei so unbestrittener Größe des Intellekts. Auch Hirnwindungen geben keinen Maßstab, alles hängt ab vom Blut, das die Hirnmasse speist, also von etwas gänzlich Unsichtbarem, das sich der Sezierungsobduktion entzieht. Bismarcks Schädel und Gesicht verraten nichts als harte Energie und starke Klugheit und doch war er sicher ungewöhnlich. Porträts vieler Genies erster Ordnung entsprechen nicht so abnorm großer Geistesstellung. Will man ehrlich sein, so sind in Friedrichs d. Gr. spitzigem Gesicht nur die Augen Genieblitzer, Napoleons Physiognomie wird von verschiedenen Beurteilern verschieden aufgefaßt, ein englischer Elbabesucher fand seinen Ausdruck »dumm«, erst bei lebhaftem Gespräch habe er sich geistreich belebt. Ganz recht, nur beim Mienenspiel darf man das Antlitz eines Genialen beurteilen, d. h. unterm Einfluß unsichtbarer Bewegung. Söhne erben den Geist der Mütter, diese müßten aber ziemliche Idiotinnen sein nach ihren schmalen niedern Stirnen zu schließen, während sie oft tieferer Intuition und Idealität fähig als die Männer und an Lebensklugheit ihnen meist voranstehen. Das geringe Volumen des weiblichen Schädels bestätigt selten den Männerverdacht »lange Haare kurzer Verstand«, denn was in der weiblichen Psyche vorgeht, bleibt dem Mann verschlossen. Kurz und gut, das Lebensprinzip, das nicht die es leugnenden Gelehrten um Erlaubnis fragt, hat alles Wesentliche des Menschen ins Unsichtbare verlegt, und wenn Gedankenlesung, Gedankenübertragung, Hypnose hier walten, so geschieht es auf unsichtbaren Wegen, die von Erfahrung und Vergleichung des Sichtbaren fern abliegen. Was also beobachtet die Wissenschaft? Just die Haut der Dinge! –

Schon die Ägypter kannten Entwickeln des Frosches aus der Kaulquappe, des Käfers aus dem Ei, der Schmeisfliege aus der Larve, ihre Astronomie und Geometrie 52+000 Jahre vor Alexander übertraf die Arithmetik der Chaldäer. Doch daß diese erst 3700 v. Chr. den sodiakalen Tierkreis berechneten, ist offenbar falsch, da schon die Sumerer ihre Monate danach benannten. Prähistorische Chemie legierte Kupfer und Zinn zu Bronze, 4000 v. Chr. betätigte sich, was man später Alchemie nannte. Laut Jamblichus bewahrten die Assyrer Denkmale von 27000 Jahren, übliche Schätzung von 6000 »historischen« ist daher lächerlich. Die Chinesen legierten Schwefel und Quecksilber zu Salpeter, schufen Porzellan, ihre Astronomen wurden von Staats wegen gefördert, sie verwendeten Kohle mit Feuer, kannten Elektrizität als »den Hauch, der alles durchdringt«. Die Inder hätten außer Beobachtung der Himmelskörper keine Naturforschung gekannt, sagt S. Günther »Gesch. d. Naturw.« Das wäre begreiflich, da für ihre Weltanschauung das Physikalische gleichgültig sein mußte, es stimmt aber nicht, sie hatten genug botanische und zoologische Kenntnisse. Das von J. Müller und Baveri begutachtete Lanzettfischchen, der berühmte Amphioxus, war anscheinend den Alten wohlbekannt, nicht Priestley entdeckte den Sauerstoff, alle Stoffe waren den Alten vertraut unter anderer Benennung. Da sie auch lange zuvor Geologie kannten, was berechtigt die moderne Wissenschaft dünkelvoll auf sie herabzublicken? Ihre Methoden? Diese verbieten ihr z. B. den »Aberglauben« der Horoskope, obschon sich jeder aus den Tafeln überzeugen kann, daß die urältesten chaldäischen Auffassungen noch heute passen. Ein Sonnengünstling wie Goethe, geboren beim Zenitstand, wird es gut haben, der Mond stets das Wappen düsterer Genialer sein, verschiedene Konjunktur von Mond und Merkur entweder Genie oder Verrücktheit bestimmen, Saturn über Kräklern und Unheilbringern scheinen. Wenn der überzählige Uranus ein Planet der Revolution sei (Wiebener »Lehrb. d. Astrol.«), so verloren die Alten wenig damit, daß sie ihn noch nicht entdeckten. Er steht so ungeheuer fern vom Rande des Sonnensystems, ebenso Neptun, daß höchst fraglich, ob sie nicht bloß Asteroiden sind. So bleibt es wohl bei den sieben Planeten der Alten. Ob man heute die Schnelligkeit des Lichts oder einer Kometenbahn sicherer berechnet, bedeutet wenig, die alten Methoden waren ziemlich ebensoweit. Die Alten anerkannten alle die Heliozentrik, auch wenn sie wie Pythagoras es nur im engeren Kreise lehrten, selbst Keplers Elliptik scheint durchaus nichts Neues, die Neuzeit hat uralte Einsichten nur künstlicher ausgebaut, alles weist auf allgemeines Urwissen hin.

Von K. Günther »Darwinismus und Probleme des Lebens« wird »Naturzüchtung« fanatisch gepriesen, Lamark und de Vries abgelehnt. Wenn man sich aber zugunsten mechanischer Selektion für physisches Körperleben entscheiden soll, warum beobachtet man seit den historischen 6000 Jahren nicht die geringste physische Veränderung aller damals festgelegten Organismen? Wird außerdem anerkannt, Körperwelt sei nur Bewußtseinsinhalt, mit Psychischem habe Naturwissenschaft nichts zu tun, »Empfindungen entziehen sich der Beobachtung«, Hirnuntersuchung zeige nur Bewegungen, nicht deren Ursache, versteigt sich gar zur Frage: » besteht die Körperwelt eigentlich nicht aus psychischen Vorgängen?«, so wird dem wirklichen Darwinismus die Spitze abgebrochen zum Entsetzen der Materialisten. Denn ihr Dogma muß bleiben: Seelisches ist Objekt der Körperwissenschaft. Denkt man wie Günther, der sorgfältig alle »Autoritäten« zu Rate zog, so gibts auch keine mechanische Evolution, wie er gern möchte. Denn zoologische Verbesserungen, selbst wenn sie wahr wären, bleiben dann äußerlich und von »psychischen Vorgängen« getrennt. Unser Monismus verabscheut freilich so willkürliche Scheidung, sie verrät aber den plötzlich eingerissenen Kleinmut der Neodarwinisten: Sie möchten retten, was noch zu retten ist, hiermit sinkt Naturzüchtung auf Nebensächliches herab. Soll Selektion sich von allem Teleologischen fernhalten, wie darf man dann Evolution echt teleologisch als Verbesserung auffassen? Spencers »survival of the fittest« (von ihm stammt diese Phrase) verneint sich selbst, wenn blinder Zufall regiert, weil zufällige Katastrophen gerade die »Geeignetsten« wegputzen. Sind aber Minderwertige die Geeignetsten zu irdischem Überleben, sintemal die niedrigsten Lebensformen (Einzeller) sich am besten erhalten, was bleibt noch von Verbesserung übrig, da dann nicht mal Gleichwertigkeit konstant bleibt? Gottlob ist das ein Irrtum, aber daß er es ist, kann man nur dem Regulativ psychischer Kräfte verdanken, die blinde Mechanik verhindern.

Da man von Unendlichkeit weder vorn noch hinten etwas abknapsen kann, so ist im Vergleich zum Weltganzen »das Resultat der Wissenschaft gleich Null und wird es immer bleiben«? Donner und Doria! auf einmal so bescheiden, wozu dann der Lärm, was steht den Herren zu Diensten? »Die Gelehrten werden uns nie sagen, wie aus Reptilien Vögel wurden.« Ja freilich, und wurden sie es wirklich? Natur – ist weder Erfahrungswissenschaft noch voraussetzungslos, sondern Produkt des Intellekts, der das Wirkliche erkennbar machen möchte. »Daher« hat sie kein Recht, anderes Wissen zu verneinen, das »die Wirklichkeit zu andern Zwecken umformen möchte«. Woher denn? Erst müßte man über den Begriff Wirklichkeit klar werden, hat der großmütige Naturalist nicht selber vorher die Körperwelt als bloßen Bewußtseinsgehalt verneint? Psyche haftet am Unorganischen und schafft sich ihre Ausdrucksweise von der Amöbe bis zum Gorilla? Das von ihr erzeugte Bewußtsein schafft sich allerdings die Gegenstände des Erkennens als fortwährende Tätigkeitsbewegung, man kann aber nicht sagen, daß sie am Unorganischen hafte. Denn erstens gibt es in strengem Sinne nur Organisches, zweitens erkennt das, was der Mensch Bewußtsein nennt, die Gegenstände gerade gemäß wechselnden Formen des Organischen. Die Amöbe erkennt anders und andere Gegenstände als der Gorilla gerade vermöge ihrer speziellen organischen Psyche. So sucht der Mensch äußerlich das Gemeinsame nur in Begriffen, spricht von Masse und Menschheit, als ob die Individuen gleich wären, womit auch der Sozialismus sich lächerlich macht. Infolge schiefen naturalistischen Denkens werden sogenannte Monisten oft ärgste Dualisten. Unorganische Psyche! und was ist dualistischer als Haeckels Versuch, menschliche Vervollkommnungswerte in die Natur einzuschmuggeln! Die Natur kennt keine »Werte« im Sinne Rickerts, auch Günther weist Unmöglichkeit naturwissenschaftlicher Ethik trefflich nach. (Vgl. Schallmeyer »Vererbung und Auslese« 1903). Von Möbius »Biozonöse« bis zur Halbheit des Jesuiten Wasmann, der die Deszendenztheorie verschnörkelt anerkennt, gehen gegensätzlichste Auffassungen doch alle nur um den heißen Brei herum, daß Leben überhaupt nicht körperlich erfaßt werden kann. Für Weismanns ziemlich glückliche Instinkttheorie ist Instinkt natürliche Tradition, so hat auch der Mensch vererbte Instinkte. Daß aber zunehmender Verstand als Gegensatz wirke, scheint fraglich, eher als Regulativ und kein sicheres. Gewiß sind nicht nur alle Vorurteile, sondern auch Gemeinsinnmoral traditionell; was aber der Verstand gegen sie vorbringt, ist rationalistische Selbsttäuschung, da der das Individuum lenkende Gemütsinstinkt sich vom Verstand abkehrt und an Tradition festhält, weil sie befriedigt. Alles Unbewußte ist Instinktleben wie der Dämon des Sokrates.

Auch Weismann frönt sonderbaren darwinistischen Einfällen. Löwenmähne als Schutz gegen Bisse? Warum hat der kanadische Wolf Mähnen, obschon er keinen fremden Biß zu fürchten hat? Edelhirsche beißen sich untereinander, warum wuchs ihnen kein Mähnenschutz? Warum bildete der Tiger seinen Mähnenansatz nicht aus, den er gegen Elefantenrüssel nötig hätte? Warum tragen der Mann und nur einige Affen Bärte? Mähne und Bart sind rein individuell (auch bei Männern und Rassen verschieden), an und für sich aber nur Attribute der Mannbarkeit; wenn sich bei Frauen Flaum auf der Oberlippe zeigt, sind sie Mannweiber. Statt so natürlicher biologischer Symbolik braucht Darwinismus weit Hergeholtes wie »Abschreckungsmittel«, die sich meist nur als sexuale Erregungs- oder Erkennungsformen herausstellen. Allem liegt die Annahme zugrunde, das Tier sei fähig, organische Veränderungen mit sich vorzunehmen. Warum fehlt dies dem Menschen, dessen Skelett seit Urzeit nur unbedeutende Veränderungen der Kniescheibe und Kinnlade aufweist? Begabungen wie den Vogelsang möchte man wie Grillenzirpen bloß vom Liebeswerben abhängig machen, mit gleicher Verwechslung pflegt man zu sagen, Dichten komme vom Minnen, weil junge Dichter unterm Liebeseinfluß zu singen pflegen. Doch sexualer Anreiz fällt hier einfach mit dem Stadium reifrer Tätigkeit zusammen, diese braucht aber durchaus nicht Gesang hervorzurufen, sondern Waffenklirren wie bei Bonapartes italienischem Feldzug unter Furor aphrodisiacus für Josephine. Aber nicht bloß deshalb kam sein Genie zum Vorschein, es war ebenso zuvor vorhanden wie bei Dichtern, deren Liebesgedichte oft den schwächsten Teil ihrer Leistungen ausmachen. Nun wohl, Häher und Neuntöter ahmen Tierstimmen nach und bilden eklektisch eigenen Gesang daraus, dies erweist spezifisch musikalischen Sinn, angeborene intellektuelle Gabe. Vogelflug variiert zwischen 76 und 300 km pro Stunde, Blaukehlchen fliegen angeblich 357 km pro Stunde in einer Frühlingsnacht von Afrika bis Helgoland, ein gezähmter Falke flog von Fontainebleau bis Malta in 24 Stunden, wobei er unterwegs gejagt und gefressen haben muß. Trainierte Brieftauben erzielen nur 117 km pro Stunde, manche ist feig und träg, manche eine Heldennatur. Kurz, Heimat- und Orientierungstrieb beim Vogelflug ist ebenso individuell psychisch wie Paarungspoesie beim Nachtigallsang. Auch Trutzfarben der Tiere, die jeder Evolutionist mit besonderem Stolze malt, gewähren keine mechanische Erklärung. Materie gestatte Selbstveränderung der Haut? Jawohl, Erröten und Erbleichen des Menschen schenkt uns die richtige Analogie, nämlich Bluterregung durch unsichtbaren psychischen Reiz. Warum nur das Chamäleon in Gefahr und Angst so rapide die Farbe wechselt und sonst Trutzfarben sich so sehr verschieden gestalten, bleibt eben Individualitäts-Geheimnis. Graefes These, alle Vögel seien ursprünglich Zug- nicht Standvögel gewesen, geht wohl zu weit; das Gegenteil aber, sie hätten erst spät größere Flüge gewagt, weil sie ursprünglich aus dem Reptil krochen, ist leichtfertige Chimäre, weil für dies Weil jede Beweisunterlage fehlt. Vögel gab es schon zur Jurazeit, am Ende der Kreidezeit riesige Haifische als Feinde der Ichthyosaurier, also erstand aus der angeblich überholten Fischrasse ein den schon bestehenden Amphibien überlegenes Ungeheuer als »geeigneter« im Fraßkampf. Merkwürdig bildsame Saurierwelt, wo Stego-Zephalen und Megalosaurier als Karnivoren die harmlosen Pflanzenfresser Dinosaurier verfolgten! Was war hier Evolution, Pflanzen- oder Fleischfressen?

Die Pflanze bot das Nahrungsfundament, indem ihr Naturlaboratorium aus Amorphischem (Wasser, Erde, Luft) lebende Eiweissubstanz fertig herstellte? Heute überwiegen bei ihr völlig die Kohlenhydrate, alle Gras-, Heu-, Kraut-, Reisfresser zeigen zur Genüge, daß große starke und meist intelligente Tiere bei dieser unscheinbaren Nahrung (nur Hafer fürs Pferd steht »höher«) trefflich gedeihen. Den medizinischen Eiweisgötzen beiseite lassend, fragen wir: Waren die Dinosaurier, denen die Pflanzenkost so gut anschlug, Ahnen des Elefas, Flußpferds, Elenns, Auers, Steinbocks, Urpferds, Riesenwidders? Gewiß nicht, was trieb sie aber alle zum Vegetarismus wie auch die ganze Affenbande? Ihr unmöglicher Ahnherr auf tausend Umwegen, das Beuteltier, war wehrlos, sie aber hatten schon starke Schutzwaffen, mit denen sie schwächere Tiere erlegen könnten. Naiv verweist man auf die Zähne, die aber des Menschen Malmer nicht am Fleischessen verhinderten und die, wenn Anpassung gelten soll, sich umgekehrt erst der Pflanzennahrung angepaßt haben müßten. Indessen zeigen schon die ältesten Fossilien Malmzähne, sie und der vegetarische Trieb bestanden seit Anbeginn als individuelle Nahrungswahl ganzer Gattungen. Dagegen sind fast alle Vögel Insekten-, Frosch-, Fischfresser oder karnivores Raubzeug, doch der weise Papagei bekehrte sich trotz scharfem Schnabel und Krallen zur Fruchtkost wie viele Tropenvögel, war vielmehr Nußknacker seit Anbeginn. Alle Varianten der Nahrungswahl sind individuell. All solche Erwägungen legen nahe, daß jede größere Gattung ihr eigenes Protoplasma hatte, von dem sie ohne krumme Wege in grader Linie abstammt. Daher ist selbst vorsichtigere Fassung »der Mensch stammt von einem Lebewesen, das wohl dem Affen ähnlicher sah als dem Menschen« immer noch so vorwitzig wie Haeckels Stammbaum. Manche moderne Gelehrte (Prayer usw.) halten an Urzeugung fest; daß lebende Substanz durch Meteoriten zur Erde kam, ist nur Verlegenheitseinfall, denn das Anorganische enthält schon selber Lebensmöglichkeit, die Dreiheit Licht, Wärme, Feuchtigkeit kann aber kein Leben hervorbringen ohne schon vorhandenem Keim, und wer ermißt, wie weit kosmische Zeugungskraft unsichtbarer Bestrahlung reicht! Deuten Weismanns »Beiträge zur Deszendenztheorie« nicht Embryologie ins Okkulte: Keimzellen hätten geistigen Ursprung? Laut Geheimlehre keimt der Same nur durch Emanation des »himmlischen Menschen«, d. h. durch Wiedergeburt des transzendentalen Ego.


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