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11.

Seit dem Tode Joachims von Wildenfels waren reichlich zwölf Jahre vergangen. Es war ein schöner, klarer Wintertag, kurz vor Weihnachten. Vom See herauf durch den verschneiten Park kam eine schlanke, junge Dame geschritten. Sie trug ein fußfreies, dunkelgrünes Tuchkleid mit einer flotten, kurzen Pelzjacke. Ihre jugendschöne, elastisch ausschreitende Gestalt ruhte auf kleinen Füßen, die in festen Lederstiefelchen steckten. Das liebreizende, feingezeichnete Gesicht war von der frischen Winterluft mit dem köstlichen Inkarnat gesunder Jugend bedeckt. Große, braune Augen, in denen es funkelte, als seien Sonnenstrahlen darin gefangen, blickten heiter in die Welt. Das feine Köpfchen war bedeckt mit schweren, goldblonden Flechten von seltener Schönheit. Keck war ein Pelzmützchen darauf gedrückt. Alles in allem bot diese junge Dame einen entzückenden Anblick.

Es war Jonny Warrens, Gräfin Theas Pflegetöchterchen. Die am Arme hängenden Schlittschuhe verrieten, zu welchem Zwecke sie auf dem See gewesen war. Als sie den Fahrweg kreuzte, kam eben ein eleganter Schlitten gefahren. In einen Pelz gehüllt, saß ein Herr von ungefähr achtundvierzig bis fünfzig Jahren im Fond desselben. Bei Jonnys Anblick ließ er sofort halten und sprang aus dem Schlitten.

»Mein verehrtes, gnädiges Fräulein – das muß ein guter Tag sein. Das Glück läuft mir über den Weg,« sagte er mit warmer Betonung.

Jonny sah lächelnd zu ihm auf, als er ihre Hand mit ausdrucksvoller Gebärde an die Lippen zog. Sein etwas rotes, von kleinen blauen Aederchen durchzogenes Gesicht mit dem dicken graugemischten Schnurrbart verriet den ehemaligen Offizier, ebenso das soldatisch geschnittene, gescheitelte Haar. In seinen Augen lag ein Ausdruck, wie ihn Feinschmecker bei einem auserlesenen Genusse haben.

»Sie sollten im Schlitten sitzen bleiben, Herr Baron. Hier auf dem Wege liegt der Schnee ziemlich hoch und Sie tragen keine so schneetüchtige Fußbekleidung wie ich,« sagte Jonny, nachdem sie ihn begrüßt hatte.

Baron Hasselwert blickte entzückt auf ihre kleinen Füße herab. Dabei wurde ihm so warm, daß er den Pelzmantel zurückschlug. Oder wollte er nur jugendliches Feuer markieren?

»Ich bitte sehr, mein gnädiges Fräulein – das bißchen Schnee geniert einen alten Soldaten nicht. Wenn Sie gestatten, begleite ich Sie zu Fuß nach dem Schlosse.«

Jonny sah schelmisch zu ihm auf.

»Und wenn Sie dann an einem Schnupfen kränkeln, bin ich schuld. Das kann ich nicht verantworten. Bitte, fahren Sie doch lieber.«

»Auf keinen Fall – lieber einen Schnupfen, als auf das Glück Ihrer Gesellschaft verzichten.«

Er gab seinem Kutscher Weisung, voranzufahren, und ging mit Jonny auf dem Fußwege durch den Park.

Sie plauderten recht lebhaft miteinander und Jonnys fröhliches Lachen klang hell durch die klare Winterluft. Sie faßte die recht deutlichen Komplimente des Barons scherzhaft auf und ahnte nicht, daß dieser seine Worte sehr ernst meinte. Als sie den großen Platz vor dem Schloßportal überschritten, sah Jonny mit ihren jungen, scharfen Augen, daß sich der blaue Vorhang an den Fenstern von Gräfin Susannes Zimmer bewegte, als sei er rasch niedergefallen. Einen Moment flog ein Schatten über ihr frohes Gesicht und sie strebte eilig über den Platz, so daß Baron Hasselwert in seinem schweren Pelze kaum mit ihr Schritt halten konnte.

»Mein gnädiges Fräulein – warum plötzlich diese Eile? Wollen Sie mir grausam die wenigen Minuten kürzen, die mir vom Glücke beschert wurden?«

Jonny wandte ihm das ernst gewordene Gesicht zu.

»Nein, Herr Baron, aber mir ist eben zum Bewußtsein gekommen, daß ich mich verspätet habe.«

Als sie die große Halle betreten hatten und der Baron einem Diener Hut und Pelz übergab, kam Gräfin Susanne eben die Treppe herab. Sie war noch immer eine sehr hübsche, stattliche Erscheinung, sah entschieden jünger aus, als sie war, und verstand es, ihre Reize durch ihre Kleidung zur vollsten Geltung zu bringen. Aus ihrem kalten, unbewegten Gesichte funkelten ihre Augen jetzt geradezu gehässig zu Jonny hinüber.

»Sie sind sehr lange ausgeblieben, Fräulein Warrens. Mama hat schon nach Ihnen fragen lassen,« sagte sie mit scharfem Tadel, wie man zu einem säumigen Untergebenen spricht. Jonnys Gesicht hatte sich mit dunkler Röte überzogen.

»Ich gehe sofort hinauf,« sagte sie hastig, machte eine Verbeugung vor dem Baron und floh vor den kalten, gehässigen Augen die Treppe hinauf. Baron Hasselwert sah ihr entschieden betrübt nach. Dann aber nahm ihn Gräfin Susanne in Anspruch.

»Willkommen, lieber Baron – Sie haben sich die ganze Woche nicht sehen lassen.«

»Ich war einige Tage verreist, meine gnädigste Gräfin. Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen?«

Susanne öffnete die Tür zu dem kleinen Empfangssalon, dessen Wände mit herrlichen Gobelins geschmückt waren. Sie lud mit einer Handbewegung den Baron zum Sitzen ein und schmiegte sich selbst in lässiger Haltung in einen Sessel.

»Danke, ich befinde mich wohl. Sie kamen zu Fuß? Ich sah Ihren Schlitten leer ankommen.«

»Allerdings. Ich traf im Parke mit Fräulein Warrens zusammen und zog es vor, in ihrer liebenswürdigen Gesellschaft den Weg zurückzulegen. Leider war er zu kurz.«

Susannes Lippen zuckten nervös.

»Lieber Baron – Sie verwöhnen das junge Mädchen durch Ihre Galanterien. Bitte, vergessen Sie nicht, daß Fräulein Warrens nur die Gesellschafterin meiner Schwiegermutter ist. Solche Mädchen bilden sich leicht allerlei Torheiten ein,« sagte sie entschieden pikiert.

Baron Hasselwert war so ziemlich der einzige Verehrer, der Gräfin Susanne treu geblieben war. Einer nach dem andern hatte sich von ihr zurückgezogen, als man merkte, daß sie nicht daran dachte, sich wieder zu verheiraten. Nach dem Trauerjahre war sie von allen Seiten umschwärmt worden, und das gefiel ihr wohl. Hauptsächlich Baron Hasselwert, der damals noch ein armer Offizier war, hatte der schönen Frau auf Tod und Leben den Hof gemacht, einesteils, weil sie sehr reich, andernteils, weil sie sehr schön war. Aber Gräfin Susanne wollte eben nur verehrt und bewundert werden, keine neue Verbindung eingehen, die doch nur den Glanz ihrer jetzigen Stellung in der Gesellschaft beeinträchtigen konnte. Nun begannen ihre Reize zu verblühen, ihre einst geradezu berühmt schöne Gestalt neigte trotz allen Gegenmitteln ein wenig zum Starkwerden, und sie war längst nicht mehr der gefeierte Mittelpunkt der Gesellschaft. Es bedurfte schon allerhand kosmetischer Feinheiten, um die letzten Reste einstiger Schönheit festzuhalten. Das Gespenst ihres Lebens – die Angst vor dem Altern – trübte ihr Dasein. Sie gehörte zu den Frauen, die nicht verstehen, mit Grazie und Heiterkeit alt zu werden, sondern sich ängstlich an die entschwindende Jugend klammern.

Baron Hasselwert hatte sich, treu wie ein Schatten, an ihre Fersen geheftet. Selbst als er seinen kinderlosen Oheim beerbte und Besitzer von Hasselwert wurde – das war vor sechs Jahren – hatte er noch einmal einen Ansturm auf ihr Herz gewagt. Aber Susanne blieb eben lieber Gräfin Wildenfels. Der Glanz dieses Namens konnte ihr nicht durch den des Barons ersetzt werden.

Hasselwert hatte sich dann resigniert mit der Rolle eines sie verehrenden Freundes abgefunden. Eine andere Frau zu heiraten, daran dachte er nicht. Und Gräfin Susanne sonnte sich in dieser treuen Anhänglichkeit, als ihre andern Verehrer sie verließen. Wenn Susanne in Wildenfels glänzende Feste gab, dann kehrte wohl der eine oder andere ihrer Verehrer noch einmal vorübergehend zu ihren Füßen zurück. Aber seit Jonny Warrens vor mehr denn Jahresfrist als erwachsene junge Dame aus der Pension zurückgekehrt war, verblaßte Gräfin Susannes Stern vollends vor Jonnys sieghafter, jugendfrischer Schönheit. Man war entzückt und bezaubert von der maienfrischen Lieblichkeit des jungen Mädchens und beachtete Gräfin Susanne weniger.

War Susanne Jonny bisher nur kalt und unnahbar entgegengetreten, so verfolgte sie diese jetzt mit einer feindlichen Gehässigkeit. Ihre kleinliche Seele gönnte Jonny die Bewunderung nicht, die ihr selbst Lebensbedingung war. Noch tiefer fraß sich der Haß in ihre Seele, als sie bemerken mußte, daß selbst ihr allertreuester Verehrer, Baron Hasselwert, sich auffallend mit Jonny zu beschäftigen begann.

Sie suchte nun das junge Mädchen bei jeder Gelegenheit in seinen Augen herabzusetzen.

Baron Hasselwert merkte jedoch die Absicht und ließ sich nicht beirren. Auch heute spielte nur ein Lächeln um seinen Mund, als er antwortete: »Verehrteste, schönste aller Frauen – was soll sich denn Fräulein Warrens einbilden? Sie kann sich höchstens denken, daß mich ihre Schönheit und Lieblichkeit bezaubert hat und den Wunsch in mir erweckt, sie zu meiner Frau zu machen.«

Susanne fuhr zurück, als habe sie einen Schlag ins Gesicht erhalten.

»Herr Baron – solche Scherze liebe ich nicht,« sagte sie mit bebenden Lippen, und ihre Augen blickten fast angstvoll in die seinigen.

Hasselwert straffte seine noch sehr stattliche, etwas hagere Soldatenfigur und fuhr sich wie prüfend über die kleine Tonsur am Hinterkopf.

»Aber bitte sehr, gnädigste Gräfin – ich würde mir nie erlauben, mit solchen Dingen zu scherzen. Mir ist sehr ernsthaft zumute. Nur zu ernsthaft.«

Susanne zerrte nervös an ihrem Taschentuch.

»Ihren Ausspruch kann ich doch nur als Scherz auffassen. Sie, Herr Baron – und dieses bürgerliche Mädchen – die Gesellschafterin Mamas – undenkbar,« sagte sie mit gepreßter Stimme.

»Pardon, gnädigste Gräfin. Weshalb kaprizieren Sie sich darauf, Fräulein Warrens als Gesellschafterin zu bezeichnen? Ihre hochverehrte Frau Schwiegermama stellte sie uns allen doch als ihr Pflegetöchterchen vor. Und Fräulein Warrens nennt Gräfin Thea ›Großmama‹. Das bezeichnet doch zur Genüge, daß man sie als zu Ihrer Familie gehörig betrachten darf.«

»Ich meinesteils verzichte gern auf die Ehre, Fräulein Warrens als zu uns gehörig zu betrachten. Für mich ist sie einfach die Enkelin des früheren Rendanten Horst. Daß Mama in ihren etwas überspannten Mitleidsideen der Gesellschaft Fräulein Warrens als gleichberechtigt aufnötigen will, ist mir reichlich unangenehm,« erwiderte Susanne scharf.

»Aber ich bitte, gnädigste Gräfin – von einem Aufnötigen kann dabei doch wahrlich nicht die Rede sein. Fräulein Warrens braucht keinen adligen Namen, um sich als Adelsgeschöpfchen zu dokumentieren. Alle Welt ist von ihr entzückt – Damen und Herren – alle Welt wetteifert, die reizende junge Dame auszuzeichnen, daß sie so bescheiden und lieb dabei bleibt. Jedenfalls besitzt sie Vorzüge genug, daß sie – selbst wenn sie nur Gräfin Theas Gesellschafterin wäre – einen Mann zu beglücken vermag mit ihrer Hand. Und ich brauche doch nur auf mich selbst Rücksicht zu nehmen.«

Susanne hatte sich fast die Lippen wund gebissen.

»Sie vergessen die Gesellschaft, Baron. Auf die müssen Sie Rücksicht nehmen,« sagte sie, mühsam ihre Fassung bewahrend.

Hasselwert lachte.

»Die Gesellschaft? Ich sage Ihnen, man würde die junge Dame mit offenen Armen als Baronin Hasselwert aufnehmen. Sie ist hochgeachtet und beliebt, man würde es mir nicht verargen, wenn ich mir diese holde Blume an mein einsames Herz holte. So engherzig sind wir gottlob nicht mehr in unsern Kreisen. Ich habe nur ein Bedenken dabei – ob sie mich haben will. Ich bin alt geworden, gnädigste Gräfin. Sie wissen ja, welchem unerreichbaren Stern ich lange Jahre gehuldigt habe. Und Sie haben mir alle Hoffnung genommen. Nun hat sich mein Herz dem Reiz dieser holden Mädchenblüte ergeben – ein neuer Frühling will in meine Brust einziehen. Ist Ihnen das so unbegreiflich, teuerste Freundin?«

»Allerdings. Ich finde, es ist ein recht weiter Sprung, den sich Ihr Herz da gestattet hat. Im übrigen kommen Sie bei mir fast in Verdacht, ein verkappter Dichter zu sein. Sie werden ja ganz poetisch,« sagte sie gereizt.

Hasselwert verbeugte sich.

»Gnädigste Gräfin – wer, wie ich, ein offenes Auge für Frauenschönheiten hat, braucht kein Dichter zu sein, um Fräulein Warrens holdem Zauber zu erliegen.«

Sie zuckte spöttisch die Schultern, aber ihr Haß gegen Jonny hatte neue Nahrung gefunden.

»Ich will nur hoffen, daß Sie wieder zur Vernunft kommen, ehe es zu spät wird. Jetzt lassen wir aber wohl dieses Thema fallen. Ich kann mir doch nicht denken, daß Sie mich nur besucht haben, um mir von Fräulein Warrens Reizen vorzuschwärmen.«

Der Baron verbeugte sich.

»Verzeihen Sie – Sie haben recht. Es ist beinahe ein Verbrechen, einer schönen Frau von der Schönheit einer andern zu sprechen – der stolz erblühten Rose von der Knospe, die sich noch zur vollen Pracht entfalten soll.«

Er zog ihre Hand an seine Lippen und sah mit der Bewunderung des alten Verehrers in Susannes leicht gerötetes Gesicht. Der Wunsch, ihn zurückzuerobern, stieg in ihr auf. War sie nicht mehr schön genug, es mit diesem Mädchen aufzunehmen?

Sie zwang ein berückendes Lächeln in ihr Gesicht.

»Lieber Baron, Sie sind heute wirklich in poetischer Stimmung. Man darf Sie heute nicht streng beurteilen.«

»Wenn Frauen lächeln, sind sie am schönsten, gnädigste Gräfin – Sie verdrehen mir leider immer noch den Kopf, wenn Sie wollen.«

Er seufzte elegisch und sah sie lange an. Aber Jonnys goldiges Köpfchen drängte sich in seine Erinnerung, und er merkte zum ersten Male, daß Susannes Reize im Verblühen waren.

Er raffte sich auf.

»Jetzt will ich aber endlich zu dem wirklichen Zwecke meines heutigen Besuches kommen. Ich erlaube mir, Sie zu einem Eisfest einzuladen, welches ich auf dem Hasselwerter See veranstalten will. Als Junggeselle ist mir so wenig Gelegenheit geboten, erwiesene Gastfreundschaft zu vergelten. Ich stehe wieder einmal in tiefer Schuld bei allen Nachbarn. Nun habe ich die Gelegenheit ergriffen und will ein Eisfest veranlassen. Tauwetter ist laut Barometer in nächster Zeit ausgeschlossen. Von allen Seiten ist der Hasselwerter See bequem mit Schlitten oder Wagen zu erreichen. Auf dem See werden Zelte aufgeschlagen, in denen für Erquickung gesorgt wird. Musik ist bereits bestellt. Die Schlittschuhbahn ist ganz brillant – spiegelglatt. Nach Dunkelwerden wird ein Feuerwerk abgebrannt mit allerlei Ueberraschungen. Es fehlt nichts, als daß meine Gäste zusagen und Sie, werteste Freundin, das Amt der Lady Patronesse übernehmen.«

Susanne neigte lächelnd das Haupt. »Einem so schmeichelhaften Anerbieten darf man sich nicht entziehen. Ich nehme Ihre Einladung an und werde in diesen Tagen fleißig dem Schlittschuhsport huldigen, um mit Ehren bestehen zu können.«

»O – eine so brillante Läuferin – ich kenne doch Ihre Künstlerschaft. Gerade der Gedanke daran hat mich auf die Idee mit dem Eisfeste gebracht.«

Susanne lauschte mit Wohlbehagen diesen schmeichelnden Worten.

»Wann soll das Fest stattfinden?«

»Am Donnerstag. Heute ist Montag, und um die Weihnachtszeit sind fast alle unsere Nachbarn zu Hause. Die Offiziere aus der Stadt mit ihren Damen haben famose Schlittenbahn bis Hasselwert.«

»Sie können freilich nur auf die jüngern Herrschaften rechnen.«

»O, bitte sehr – auch für die ältern ist gesorgt. Der Hasselwerter Gasthof liegt ja dicht am See. Den habe ich für Donnerstag für mich reservieren lassen. Er wird von oben und unten, innen und außen mit Tannengrün dekoriert. Im Saale wird nach dem Feuerwerk ein Tänzchen arrangiert und die Gastzimmer, die alle nach dem See hinausliegen, werden für die ältern Herrschaften behaglich erwärmt und mit Spiel- und Plaudereckchen versehen.«

»Also ist alles aufs beste überlegt. Nun – Sie sind ja bekannt als Ordner origineller Festlichkeiten. Von Ihrem vorjährigen Waldfeste schwärmt heute noch alt und jung. Sie werden keine einzige Absage erhalten. Und ich nehme Ihre Einladung nicht nur für mich an, sondern auch für meinen Sohn.«

»Ah, Graf Lothar kommt Weihnachten nach Hause?«

»Ja, endlich einmal wieder. Ich erhielt eben erst die Nachricht, daß er am Mittwoch eintrifft. Ich wollte ja, daß er auch diesen Winter eine größere Reise unternehmen sollte. Aber mein großer Junge streikt. Er ist ein Schwärmer und sehnt sich nach dem Weihnachtsbaume, nach Christstollen und Honigkuchen.«

Sie hatte das in ihrer leichtspöttischen Art gesagt. Hasselwert nickte.

»Kann ich verstehen, gnädigste Gräfin. Um Weihnachten kranken die verstocktesten Globetrotter am Heimwehfieber. Graf Lothar war lange nicht daheim.«

»Seit reichlich zwei Jahren nicht. Es kam immer etwas dazwischen. Und nun ist er der Gesandtschaft in Rom attachiert worden. Im Januar muß er dort eintreffen. Da will er nun unbedingt Weihnachten zu Hause verleben.«

»Ich freue mich sehr, ihn bei meinem Feste zu haben.«

»Und wir rechnen dann auf Ihren häufigen Besuch. Silvester will ich zu Ehren meines Sohnes einen großen Ball in Wildenfels geben. Er muß doch wieder einmal Fühlung bekommen mit unsern Nachbarn. Er ist ja in den letzten sechs Jahren immer nur kurze Zeit zu Hause gewesen. In den Universitätsferien hat er meist große Reisen gemacht, damit er die Welt kennen lernt.«

»Das ist auch sehr richtig. Uebrigens wird es mir sehr schwer fallen, in Ihnen die Mutter eines erwachsenen Sohnes – eines Dr. jur. und künftigen Gesandtschafts-Attachees zu sehen.«

Gräfin Susanne seufzte.

»Mir ist es selbst ein wenig sonderbar,« sagte sie, einen verstohlenen Blick in den Spiegel werfend.

»Sie werden sich neben ihm ausnehmen wie eine Schwester.«

Susanne lehnte sich graziös zurück.

»Was hilft es, lieber Baron. Ich kann ihn doch nicht verleugnen. Man sollte nicht so jung heiraten – ich war noch ein halbes Kind,« erwiderte sie resigniert.

Sie plauderten noch ein Weilchen über allerlei Nichtigkeiten. Dann erhob sich Hasselwert.

»Darf ich Ihrer verehrten Frau Schwiegermama meine Aufwartung machen? Ich möchte auch sie und Fräulein Warrens bitten, am Eisfeste teilzunehmen.«

Susannes Gesicht verfinsterte sich bei Jonnys Erwähnung.

»Mama ist heute nicht recht wohl und kann keine Besuche empfangen. Außerdem – bei ihrem Alter wird das Fest wohl zu anstrengend sein. Sie wird sich schwerlich beteiligen können.«

Der Baron machte ein enttäuschtes Gesicht. Er hatte gehofft, Jonny noch zu sehen, um sie persönlich einzuladen. Gerade an ihrem Erscheinen lag ihm viel. Und er wußte, daß Jonny nur in Gesellschaft ging, wenn Gräfin Thea dabei war. Mit Susanne ging sie nie aus, oder vielmehr, Susanne hätte sie nie mitgenommen. Sie behandelte Jonny nur als Gesellschafterin ihrer Schwiegermutter und betonte diesen Standpunkt überall. Da Gräfin Thea Jonny allen Bekannten als ihr Pflegetöchterchen vorstellte und das junge Mädchen die alte Dame Großmama nannte, so spöttelte die Gesellschaft ein wenig über diese Zwiespältigkeit.

Da aber Gräfin Susanne nicht sehr beliebt war, ihres kalten, hochmütigen Wesens wegen, so neigte man fast überall dazu, Gräfin Theas Wunsch zu folgen und Fräulein Warrens als vollwertiges Glied der Gesellschaft aufzunehmen.

Hasselwert bat Susanne, Gräfin Thea seine Einladung zu übermitteln. Er hoffte doch noch, daß sie zusagen und Jonny mitbringen werde.

Dann verabschiedete er sich mit einem ausdrucksvollen Handkusse von Susanne.

Susanne blieb in sehr unmutiger Stimmung zurück. Widerwärtiger denn je war ihr der Gedanke an Jonny Warrens Anwesenheit. Noch nie hatte sie den Wunsch, Jonny für immer von Wildenfels zu entfernen, so stark empfunden, als heute.

Schon oft hatte sie im Laufe der Jahre versucht, das junge Mädchen zu verdrängen, aber Gräfin Thea hielt liebevoll und schützend ihre Hand über sie. Auch Lothar warf sich, so lange er noch zu Hause war, bei jeder Gelegenheit zu Jonnys Ritter auf.

Deshalb war Susanne froh, als Lothar nach Bonn zur Universität ging. Seine Freundschaft mit dem widerwärtigen Eindringling, wie sie Jonny bei sich bezeichnete, mißfiel ihr im höchsten Maße.

Da sie außerdem ihr großer Sohn genierte, weil er ihr Alter zu deutlich verriet, so sorgte sie dafür, daß er möglichst wenig nach Hause kam. Dadurch wollte sie ihn auch dem Einfluß ihrer Schwiegermutter entziehen. Sie hoffte, daß sich in dem vornehmen Korps, dem nur Söhne aus alten Adelsgeschlechtern angehörten, die etwas demokratischen Ansichten verlören, die ihm der Kandidat Wetzel und wohl auch ihre Schwiegermutter aufgenötigt hatten. Sie wußte nicht, daß diese Anschauungen bei Lothar schon längst feste Wurzel gefaßt hatten, daß sein Charakter früh gereift und gestählt war. Und daß er in einem regen Briefwechsel mit seiner Großmutter Gefühle und Ideen austauschte, die ihr unfaßbar und unverständlich waren, ahnte sie auch nicht. Am meisten aber wäre sie wohl empört gewesen, wenn sie gewußt, daß Lothar und Jonny im regen Briefwechsel zusammengestanden. Gräfin Thea war die Vermittlerin dieses Briefwechsels. Zwischen Lothar und Jonny bestand noch immer dasselbe innige Verhältnis, das sie schon als Kinder verbunden hatte. Zwar hatten sie sich, seit Lothar die Universität bezog, nur sehr selten gesehen. Damals war Jonny elf Jahre alt gewesen. Lothar kam immer seltener nach Hause, und als er das letzte Mal in Wildenfels gewesen war, hatte sie das Weihnachtsfest in einer Genfer Pension zugebracht. Sie hatte die weite Reise nicht allein machen wollen, und Gräfin Thea und Grill waren inzwischen zu alt geworden, um sie abzuholen.

So war Jonny zwei Jahre von Wildenfels fortgewesen in der Pension. Und als sie wieder heimkam um die Osterzeit, da hatte Lothar gerade eine Orientreise angetreten.

Seine Briefe an sie waren fast ein wenig väterlich gehalten. Er sah sie im Geiste noch in kurzen Kleidern und Hängezöpfchen, so wie er sie das letzte Mal gesehen hatte. Gräfin Thea war sehr stolz auf ihren Enkel. Er hatte es gelernt, seine ungestüme Art zu zügeln. Ein fester, bewußter Wille prägte sich in all seinem Tun aus. Keine Spur von der Unbeständigkeit seines Vaters war in seinem Charakter zu merken, wenn sich auch dessen sonnige, liebenswürdige Eigenschaften auf ihn vererbt hatten. Die alte Dame war sehr glücklich, daß Lothar ein warmes Herz und Großherzigkeit im Handeln und Denken besaß. Sie liebte Lothar über alles. Immer mehr verschmolz er in ihrem Herzen mit seinem Vater zu einer Person.

Gräfin Thea hatte in den letzten Jahren sehr gealtert. Ihr Haar war jetzt silberweiß. Nie verließ sie ganz der Gedanke an das, was sie für ihren Sohn zu sühnen hatte. Sie erzog Jonny wirklich mit Liebe und Güte, wie ein eigenes Kind, und hatte die Freude, daß ihr mit rührender Liebe und Anhänglichkeit gedankt wurde. Neben Lothar liebte sie die arme Waise, als sei sie wirklich eine Schwester von ihm. Und in der Dämmerung, da hielt die alte Dame manch liebes Mal Zwiegespräche mit dem Bilde über ihrem Schreibtische.

Ein wenig gebeugt hatte sich die früher so aufrechte Gestalt, und in dem gütigen Gesichte zeigte sich noch manche neue Leidensspur.

Ein fortwährender Kummer war ihr Susannes immer mehr zutage tretende Feindschaft gegen Jonny. Es entging ihr nicht, daß diese das junge Mädchen zu demütigen versuchte, wo sie nur immer konnte. Hielt sie auch ihre Hände schützend über das geliebte Pflegetöchterchen, so sah sie doch manchen Schatten in Jonnys liebem Gesicht. Manche heimlich vergossene Träne hinterließ dort ihre Spur. Dann wußte Gräfin Thea aber so lieb und eindringlich zu trösten, daß bald die Sonnenlichter wieder in Jonnys Augen aufstrahlten.

Daß man ihren Schützling in der Gesellschaft freundlich aufnahm, tat Gräfin Thea sehr wohl. Hasselwerts Ansicht stand nicht vereinzelt da. Mancher hätte sich gern das Blümlein Wunderhold gepflückt, das in Wildenfels blühte, wenn er sich eines Erfolges sicher gefühlt hätte. Aber Jonny war gegen alle Herren gleich unbefangen und freundlich und wußte so taktvoll ihre Person in den Hintergrund zu stellen, wenn man sie zum Mittelpunkt machen wollte, daß auch die Damen ihr Lob sangen. Außerdem wußte man durch Gräfin Thea, daß Lothar mit großer, brüderlicher Zärtlichkeit an Jonny hing. Die töchtergesegneten Familien begannen sich in Gedanken schon eindringlich mit Graf Lothar zu beschäftigen, denn er war unbedingt die glänzendste Partie im weiten Umkreise. Man stellte sich also aus Klugheit gut mit Jonny und bedauerte nur, daß Graf Lothar so wenig zu Hause war.

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