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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Am andern Morgen fragte Graf Luja seinen Kammerdiener während des Ankleidens, ob Baron Storke schon gefrühstückt habe und demnach zu sprechen sei.

»Der Baron sind gestern abend wieder ausgegangen –«

»Davon will ich nichts wissen!« herrschte der Graf den Diener an, »antworte Er mir nur auf das, was ich frage.«

»Schon ziemlich früh haben der Herr Baron dem Jean geklingelt, und eben begegnete der mir mit der Frühstücksplatte auf der Treppe.«

»So beeile Er sich und lasse mich beim Baron Storke anmelden.«

Kurze Zeit darauf erschien Martin Luja im Gemach des Oberstallmeisters.

Storke kam dem Eintretenden übernächtig entgegen; er hatte, um seiner Unruhe und Uebellaune zu entrinnen, während der Nacht in Spiel- und Weinhäusern Zerstreuung gesucht, und sah jetzt erhitzt und hohläugig aus. Mit einer höflichen Gebärde, aber erschrockenem Ausdruck, bot er dem frühen Besucher einen Stuhl.

Der Graf dankte, kühl das Haupt neigend; er legte nur die Hand auf des Stuhles Lehne und begann: »Nicht die Luft zu einer müßigen Plauderei führt mich her, Baron, es gilt eine erste Auseinandersetzung. Sie konspirieren gegen Ihren Wohltäter, unsern gemeinsamen durchlauchtigsten Herrn. Im Geheimdienste Kursachsens arbeiten Sie mit allen Mitteln der Intrige gegen das Fortbestehen des Sachsen-Weißenfelsischen Hauses. Sie haben einen Elenden veranlaßt, den jüngsten Prinzen zu ermorden. Ihr Liebesspiel mit der Bonne hat dazu gedient, die Unglückliche zu einem Verbrechen und in den Tod zu treiben. Baron Storke, ich muß es Ihnen ins Gesicht schleudern: Sie sind ein infamer Hochverräter!«

Der Oberstallmeister hatte seinem Ankläger mit untergeschlagenen Armen wie eine Säule von Erz gegenübergestanden, sein finsterer Blick versuchte auf dem Antlitze des Grafen zu haften, irrte aber im Schuldbewußtsein unstät umher. »Sie wollen mich insultieren, bestimmen Sie das Rendezvous«, sagte er jetzt düster. »Auf solchen affront, solche Provokation, kann ich nur mit den Waffen in der Hand antworten.«

»Soweit sind wir noch nicht«, erwiderte Luja fest. »Ich stelle Ihnen noch eine Alternative; sollte ich fallen, so wäre ja mein Herzog durch nichts von Ihren Intrigen geschützt. Ich will – nicht um Sie zu schonen – sondern nur, um den durchlauchtigsten Herrschaften den Jammer zu sparen, das Vorgefallene im rechten Lichte zu sehen, Ihnen Diskretion geloben, wenn Sie heute Ihre Angelegenheiten rangieren, morgen Ihren Abschied nehmen, sich in Weißenfels nicht länger aufhalten als nötig ist, und dann spurlos in der weiten Welt verschwinden. Tun Sie das nicht, befinden Sie sich morgen abend noch in Leipzig, so gehe ich zum Herzog, denunziere Sie, und lasse es von dem Resultat der Untersuchung Ihrer Sache abhängen, ob ich noch mit meiner Klinge zu Ihren Diensten stehen kann.«

Graf Luja maß seinen Gegner, von dessen Schuld er sich immer fester überzeugt hielt, mit einem strengen Blick und verließ, ohne weiter ein Wort hinzuzufügen, das Zimmer.

Daniel von Storke blieb in einer unbeschreiblichen Bestürzung zurück. Nur mit Mühe hatte er seine gute Haltung so lange bewahrt, wie sein Ankläger zugegen gewesen; jetzt brach er auf einem Stuhl zusammen und dachte nach.

Natürlich lag eine Angeberei Lottens vor; Luja hatte seine Begegnung mit Mork, seine Heftigkeit gegen den Elenden selbst gesehen, vielleicht Morks Anklagen gehört. Ferner war er ihm im Dämmerlichte mit Clemencen im Park begegnet. Ha, sollte er am letzten Abend, als die Fassungslose von ihm fortstürzte, sie vielleicht noch getroffen, etwas Gravierendes von ihr erfahren haben? Oder war es nur sein Zustand bei ihrem Anblick als Tote, wodurch Luja – warum vermochte er sich auch nicht besser zu beherrschen! Dann sah jener ihn selbst am späten Abend von Brühl kommen. – Der Graf war so ganz ruhig und sicher; vielleicht besaß er doch Beweise gegen ihn, mittels deren – sollte er sich den Bedingungen unterwerfen? Er empfand nicht übel Lust, den Staub von seinen Füßen zu schütteln und allen diesen Verwickelungen auf Nimmerwiederkehr valet zu sagen. Aber nein, sein Spiel aufgeben, das ihm schon den hohen Preis gekostet, nimmermehr!

» Va banque!« rief er laut. »Verdoppeln wir den Einsatz. Alles oder nichts! Soll ich den schlauen Brühl entschlüpfen lassen? Nein, ich will ihm den versprochenen Lohn abzwingen!« Und nun versenkte er sich in neues Sinnen.

Die Aussicht auf einen Zweikampf mit Luja bereitete ihm keine Unruhe, er konnte sich auf seinen Arm verlassen, am liebsten hätte er seinen Gegner gleich niedergeworfen, aber dieser hatte ihm seine Bedingungen gestellt, und er sah kein Mittel, dieselben zu ändern. Was tun, wie weit gehen? Das war die große Frage für ihn.

Nach längerem, peinvollen Grübeln raffte er sich auf; er brauchte Zerstreuung; der Augenblick würde schon den Ausweg zeigen. Bald wurde es auch Zeit, sich zu dem Brühlschen Diner zu rüsten. – – –

Der Herzog Johann Adolf ging reich gekleidet, bereit zu dem Bankett des Ministers zu fahren, in seinem Salon auf und ab. Er erwartete seine Gemahlin, die ihre Toilette noch nicht beendet hatte.

Wenn er an den eingelassenen hohen Wandspiegeln vorüberkam, betrachtete er allemal seine stattliche Erscheinung mit Wohlgefallen. Wie gleißte sein Hofkleid von Gold und Stickereien, wie prächtig stand ihm das breite blaue Band des Hosenbandordens, welch einen frischen und jugendlichen Anstrich hatte sein bewährter Kammerdiener der ganzen Erscheinung zu geben gewußt.

»Bin ich ein gebrochener, alter Mann, der die Lasten der Regierung nicht mehr zu ertragen vermag?« fragte er sich selbst. Und die Antwort lautete: »Nein, und abermals nein! Das will ich meinem schlauen Widersacher beweisen! Mag er mich anblicken und das Triumphieren verschieben.«

Er war durchaus mit sich zufrieden, dieser hoffnungsfreudigste aller Menschen, der nirgends Trübsinn und Sorgen bemerken wollte; der alles Unerfreuliche abschüttelte, jedes Leid hinter sich ließ und immer nur Sonnenschein sah.

Endlich trat die Herzogin Friederike ein: auch ihre Kammerfrauen hatten das möglichste getan, die zierliche, blonde Frau, die ohnehin etwas Jugendliches hatte, prächtig zu schmücken, aber die armen verweinten Augen blickten so traurig und scheu aus dem geschminkten Gesichtchen, daß der Herzog doch nicht ganz zufrieden war.

»Eure Liebden sehen all zu melancholisch aus«, sagte er scherzenden Tones, indem er sie umfaßte.

»O, Adolf, welch eine Komödie, welch eine Unnatur ist dies!« seufzte sie und lehnte sich an ihn.

»Pst, Madame, schonen Sie Ihre Frisur, nur jetzt um alles nicht larmoyant!«

Der Herzog schritt zur Klingel und befahl die Abfahrt.

Während das Paar in der vergoldeten Glaskutsche, angestaunt und beneidet von vielen, mit großem Gefolge dahinfuhr, vollzog sich ein sonderbarer Umschwung in des Herzogs Seele.

Er sah den Kampf, welchen die geliebte Frau an seiner Seite bestand, um ihre Fassung zu behaupten, sah ihre schmerzlich zuckenden Lippen, ihre ineinander gerungenen Hände, und ein unsägliches Mitleid ergriff ihn. Hatte er doch zu viel von dem blutenden Mutterherzen verlangt? Jenes stolze Vergnügen, in dem er sich und seine Gemahlin im vollen Glanze ungebrochener Oberherrlichkeit dem unbescheidenen Dränger vorzuführen gedachte, verwandelte sich in das bittere Gefühl, daß jener Mann ihm und dem teuren Weibe einen Zwang auferlege. Sein Stolz, der triumphiert hatte, fühlte sich bei diesem Gedanken verletzt. Wer war Brühl, daß er ihn zu Maßregeln veranlassen konnte, die ihm lästig wurden? Ein Verdruß, halb über sich selbst, daß er sich in diese Lage habe bringen lassen, größer aber noch über jenen, der ihn hineingebracht, überfiel den cholerischen Mann. Die Luft kam ihn an, jetzt noch, dem Gastgeber zum Aerger, wieder umzukehren; konnte er nicht so am besten die volle Unbeschränktheit seines Willens beweisen? Aber nein, man würde sagen, er sei krank, traurig, gebrochen, und das sollte nicht sein. Wie jene Worte ihn spornten!

Scheinbar frischer denn je, aber mit einer Wut im Herzen, daß ihm die Zähne aufeinanderschlugen, trat er dem stolzen Minister entgegen.

Brühl bezeigte sich wie immer gewandt und liebenswürdig, es schmeichelte ihn, die Meßfestlichkeiten zu eröffnen. Da der Kurfürst erst morgen mit seinem Hofstaat erwartet wurde, konnte er heute noch mit der Repräsentation vorangehen.

Im Fruchthause hatten schon oft glänzende Festlichkeiten stattgefunden. Schon in den zwanziger Jahren gab hier der Statthalter, Fürst von Fürstenberg, seinem Herrn, August dem Starken, prächtige Gastereien.

Auch heute zeigten alle Räume sich reich ausgeschmückt. Eine auserlesene Versammlung fremder und einheimischer Gäste wartete bereits auf die vornehmsten Sterne des Kreises, die Weißenfelser Herrschaften, welche geführt von Wirt und Wirtin jetzt eintraten.

Die Musik schmetterte ihre rauschenden Fanfaren durch den weiten Raum, die glänzend besetzte Tafel, von Lakaien in Brühls Farben umstanden, lud zum Niedersetzen ein.

Man folgte alsbald der Aufforderung des Brühlschen Haushofmeisters und nahm Platz. In der Mitte der einen Langseite saß der Herzog neben der Gräfin Brühl, gerade gegenüber der Minister mit der Herzogin Friederike. So hatte Johann Adolf seine sichtlich leidende Gemahlin an des Gehaßten Seite, nur von der Breite des Tisches getrennt, gerade vor sich.

Auf der Tafel stand zwischen den beiden Paaren ein herrliches Kunstwerk aus Meißner Porzellan, mehr lang als hoch, eine liegende Gestalt, umgeben von kleineren Figuren. Zu beiden Seiten daneben erhoben sich prächtige silberne Vasen mit Blumen gefüllt. Der Herzog hatte schon in Dresden öfter bei Brühl gespeist und wußte, daß dieser seinen staunenden Gästen immer neue Schaustücke vorzuführen liebte. Bisher hatte er sich harmlosen Sinnes daran erfreut, heute ärgerte und reizte ihn alles, was er sah.

Dieser Mensch, der es wagte, seine Krone anzutasten, der ihn gegen sein eigentlichstes Wollen hierher nötigte, der sein armes Weib mit seiner lästigen Gegenwart quälte, wie durfte er sich's herausnehmen, zu leben, zu wirtschaften gleich einem regierenden Herrn? Johann Adolf wurde bei solchen zornigen, neidischen Empfindungen, die ihm sonst nie aufgestiegen waren, irre an sich selbst, es verdroß ihn, daß er des Unmuts nicht Meister werden konnte, er wollte lustig sein, Späße machen und sich an Späßen erfreuen wie sonst. Was war denn in ihn gefahren, daß er's nicht konnte?

Um sich in bessere Stimmung zu versetzen, stürzte er rasch mehrere Gläser schweren Weines hinunter; er fühlte auch, wie sein Blut in Wallung geriet, aber es war, als ob die Dämonen des Unmuts nun erst recht in ihm entfesselt würden.

Gegen seine Absicht klang jedes Wort, das er an Brühl oder dessen Gattin richtete, herb und herausfordernd. Es riß ihn fort, und wenn er gewahrte, wie Friederike zusammenschrak und ihn bittend ansah, sobald einer seiner Zungenhiebe saß, verdroß es ihn, daß sie etwas bekümmerte, aber er häufte die Schuld wiederum auf den übermütigen Emporkömmling, der ihn so oft beleidigt hatte und mit seinem wohlgefälligen Dasitzen immer aufs neue beleidigte. Ja, es war ein Mißgriff, daß er hier war, er und sein Weib, beide mit dem Herzen voll Jammer, hier an dieser spektakelnden Tafelrunde voll frivoler, koketter, speichelleckender Narren, was wollte er hier? Je mehr ihn aber das Dortsein verdroß, je grimmiger wurde er auf den, der es veranlaßt hatte.

»Was ist denn dieses hier wieder für ein pompöses Stück, Graf?« fragte Johann Adolf, vielleicht in der Absicht, etwas Harmloses zu sagen, und wies auf den Tafelaufsatz von Porzellan hin, der vor ihm stand. Er hatte eben eine boshafte Bemerkung über solche hingeworfen, die sich aus bescheidenen Kreisen empordrängen, um sich ohne alles Recht wie regierende Herren zu gebärden.

Brühl war vollster Selbstbeherrschung immer der höfliche Wirt und feine Mann geblieben, ein Benehmen, welches dem Herzoge wie Unempfindlichkeit erschien und zu größerer Derbheit reizte, damit der Nichtswürdige doch endlich etwas fühle!

Artig begann der Graf das Kunstwerk zu erklären. »Eure hochfürstliche Durchlaucht wollen zuerst diese schlanke, liegende Frauengestalt Ihrer gnädigsten Beachtung würdigen«, sagte er verbindlich. »Ein zart gearbeitetes Netz, hier über die eine Seite geworfen, verbirgt nichts von ihren Reizen, Perlen schlingen sich durch ihr blondes Haar. Sie ruht auf einem mit Schilf und Muscheln bedeckten Grunde und hält hier dies mit Wasserrosen bekränzte hellblaue Füllhorn im Arm. Es soll die Personifikation des schönen Stromes unserer Hauptstadt, der Elbe, sein.«

»Ah, eine Allegorie?« fragte der Herzog. »Und diese vielen eilenden, kletternden, ins Füllhorn schlüpfenden Kinder?«

»Repräsentieren die Nebenflüsse, der Künstler hat den größeren hier, der Moldau und Eger, charakteristische Embleme gegeben. Diese beiden ein Kähnchen schleppende Zwillinge sind Havel und Spree. Die Eure Durchlaucht interessierende Saale gleitet eben ins Füllhorn.«

»Gibt also ihre Selbständigkeit auf«, rief der Herzog mit leicht gerunzelter Stirn.

»Allerdings läßt diese Allegorie sich mancher anderen Position analog interpretieren«, erwiderte der Minister mit größter Ruhe. »Dieselbe Anziehungskraft, welche sich zwischen dem großen und kleinen Flusse zeigt, die nämliche Attraktion übt auch das große Reich auf die in seinen environs situierten Duodez-Ländchen aus. Sie werden hereingezogen, mögen sie wollen oder nicht, sans cérémonies

Während der Gastgeber dies leicht hinwarf, ging eine furchtbare Veränderung mit dem Herzoge vor. Die getretene Schlange hatte sich gewehrt und mit ihrem Biß den Lebensnerv des Feindes getroffen.

Johann Adolfs Stirn überzog sich mit flammendem Rot, seine Augen schienen hervorzuquellen, schwerfiel seine Hand auf den Tisch und mit zuckender Lippe schrie er seinem Gastgeber zu: »Herein gezogen, sans cérémonies! Das wollen wir doch sehen! So lange Recht und Gesetz gelten, bleibe ich souverän.« – Er hatte sich halb erhoben und sank taumelnd in seinen Stuhl zurück, seine ausgestreckte Hand griff in die leere Luft, seine Augen wurden starr, fielen halb zu, die angespannten Züge erschlafften.

Mit einem durchdringenden Schrei fuhr die Herzogin Friederike in die Höhe und flog um die lange Tafel zu ihrem Gatten, den sie fortwährend mit Sorge beobachtet hatte.

Die Weißenfelser Kavaliere umringten ihren Herrn, Graf Luja lehnte des Herzogs schweres Haupt an seine Brust; Johann Adolf war besinnungslos und röchelte laut. Die Gräfin Brühl wich zurück, die Herzogin von Kurland aber, die an seiner anderen Seite gesessen, rang die Hände und rief nach einem Arzt.

Es gab einen allgemeinen Aufstand.

»Eine Ohnmacht, – nein, ein Stickfluß« – flüsterte man hier und dort.

Die Herren trugen ihren erkrankten Gebieter auf den Divan eines Nebenzimmers, die Herzogin neigte sich über ihn. »Rasch ein Glas Wasser«, rief sie hastig.

Nach kurzer Frist reichte eine Hand es ihr dar, es war die des Oberstallmeisters von Storke.

Der Herzog, gehoben und gehalten, vermochte zu trinken.

Der Leibarzt des Grafen, der an einer anderen Tafel gesessen, erschien endlich und wandte verschiedene medizinische Hilfsmittel an, anfänglich schien der Kranke sich zu erholen, bald fiel er aber in einem qualvollen Zustand des Krampfes und dann ging es ersichtlich mit ihm zu Ende. Die Herzogin wich nicht von seiner Seite, Graf Luja stand ihr getreulich bei, der Arzt tat, was er vermochte, das fliehende Leben zu erhalten, aber mit der hereinbrechenden Dämmerung des 16. Mai starb Johann Adolf, der letzte Herzog von Sachsen-Weißenfels.


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