Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Briefe an Gott


Ich bin und vergehe, ich war und werde sein. Mich treibt der Wind und das Wasser. Die Berge will ich sehn, alle Luft atmen dieser Erde. Den Duft der Gräser haschen auf den Wiesen und am Abend Bäume pflanzen vor mein Haus. Meinen Tod bereiten nicht die Nattern im Urwald, noch die Eilbahnen auf ihren Wegen, noch eisern der fliegende Drache in den Wolken und nicht das im Wasser kriechende Riff. Mit den Klapperschlangen spiel ich wie mit Eidechsen, nicht lähmt mein Herz ihr Gift. Das riechende Taschentuch des Mädchens betäubt mich nicht, das Bett ermüdet mich nicht, ich kenn meinen Pfad. Ich bin der Wanderer, der ausgestoßen ist aus allen Sippen, ich bin der Freie, ich bin der Wilderer, der ewige Fremdling, der frei in der Luft schwebt wie die Sterne über der Wüste. Schon schnauben wild die Rosse in den Dörfern, denn ich komme, ihr Hunde, mein Atem ist über meinen Feinden. Keiner geselle sich mir, ich bin allein und will nur die Sonne. Ihr kennet nicht die Kälte, denn aller Schatten dieser Erde ist in meinem Antlitz. Wenn Gott mich fragt, werd ich antworten, für euch hab ich das vernehmliche Schweigen. Die Weltvipern in den Zeitställen bezüngeln meinen Ruhm – ich weiß, daß ich eine Nachtigall bin, die ihr Elend singt. Aufgestanden bin ich früh am Tag, der Morgen grünt vor meinen Füßen, ich grüße die Spuren der Elefanten, die vor mir waren, die erbleichenden Sterne grüßen mich. Sanft verneig ich mich vor dem Tau, denn er ist besser. Die zarte Blume will mich nicht küssen, denn der Mord, der sie bricht, ist in meinem Gesicht. Funkelt nicht, ihr wogenden Wellen, ich sterb anders. Wenn meine Nacht kommt, wird die Erde beben – ich bin der letzte Beschreiter.

Nach mir werden die Städte der Toten benannt sein und die Friedhöfe, die sich die zitternden Gespenster baun. Verdursten mußten die Menschen: ich habe die Flüsse ausgetrunken, weil die Zweibeine das Wasser nicht wert sind. Mein Magen schluckt das Eis der Gletscher, denn meine Hitze ist zu groß, sie wird die Felder anzünden und die Haare der Wälder. Die Raupen des Untergangs sitzen auf den Ästen, die klebrigen Säfte des Lebens verdorren.

Ich bin der Ein- und Ausatmer der Erdkugeln, die in meinen Luftströmen tanzen. Ich knie vor einem Halm – die Palmen zerknick ich, wehe meinen Händen! Geschehen ist die Missetat, verhüllet mich ihr fernen Höhlen des Verhehlens! Wo sind die Grotten des Verbergens? Ich habe die Überkraft, aber ich bete zu Gott, er möge mich verschonen. Doch er läßt nicht ab, mich zu versuchen, ich solle meine Freunde und Feinde zerstören, denn in ihnen ist nur die Furcht, ich könnte wachsen. Aber es verdienen nicht den bitteren Tod, die nie gelebt haben.

Beschieden ist der Aufenthalt, schon naht die Mutter, mich zu gebären, schon naht keusch mir, dem edelsten Buhler, die himmlische Buhlerin, sich zu schwängern. Kleine Marillchen sind ihre Brüste. Aber wo wird der Platz des Kindes sein in den Wäldern, da die Städte einsam sind vor Ruinen und im silbernen Meer kein Schiff ragt, es zu wiegen.

Der Gesang der Schwalben wird es nähren und das Lächeln der Mutter, das aus ihren Augen tropft – sie vergießt Tränen der Milch, seit ihr Busen fromm geworden ist. Ich küsse die gute Hand und werfe mich in den Staub vor dem Schmerz, der sie anwandert die Monate hindurch, und ich schäme mich ins tiefe Grab, daß ich nicht dulden darf das Leid des Gebärens. Wenn in Äonen ich vor Gott stehe, wie wird er ertragen die Frage, warum sich krümmen mußte ihre Schlankheit und warum den Neunmond lang Angst hausen mußte in ihren Gedärmen vor dem Engel, der das Licht auslöscht.

Ich brülle, wenn mich die unsichtbare Nadel sticht, und ich heule, wenn ich den Gegner nicht mordete mit dem Strahl meines Schwerts – eh mich Erbarmen durchfuhr vor den Augen des Geblendeten. Gewappnet bin ich wider jede Krankheit, mein Schild zittert nicht, wenn der Blitz in die Spitzen der Tannen einfährt und der Donner protzt aus dem Rachen der Wolken. Ich streichle jeden Tod, aber er will mich nicht, denn meine Sünden sind zu dick, und der weiße Marmor erbleicht vor meiner Schande. Wenn ich meinen Arm ausstrecke, wo ist mein Werk? Faul bin ich in Allem, nur nicht in Ausreden. Die fleißigen Köchinnen kochen ihre Worte zu Suppe und Brei, nur ich will die Hungerer nicht speisen. Meine Stimme ist stark, daß sie dem Hörer das Ohr zermalmt, barsch der Hall meiner Weissagung, ich warne die Mücken vor meinem Blut. Den Witzkrämern spuck ich ins Maul, das sie vollnehmen – ich seh jeden Beistrich, den sie stehlen. Ich kenne die langen Finger der Affen und den langgezogenen Klagelaut auf den Schweif getretenen Brüllviehs. Wo ist die Zeit, da ich diese Tiere liebte, die da im Dunkeln auf den entwendeten, gewendeten Säcken prahlend ihre Stimmen erschallen ließen, die täuschenden. Ängstlich flattert die Spottdrossel, die mir aus der Hand fraß, ich schone den Wiedehopf, daß sich der Würger erwürgt. In den Mond schleuder ich die Drohungen der hurtigen Zähnchen, zerkracht ist ihr Kinnbacken, ehe sie bissen. Mich langweilen die kläglichen Anklagen meiner Widersacher, ich werde beichten. Der Geist treibt mich gegen mich. Ich lasse mich treiben. Ich richte mich mit dem Schwerte des Lichts.

 

Ich, der Sohn des Nichts und des Etwas, mit dir hader ich von Sonnenaufgang bis Sternuntergang.

Bin ich kleiner, denn die vor mir waren, sei meine Stimm um so lauter, denn du hast dein Ohr verstopft mit Schießbaumwolle.

Raufgierig bin ich, der ich leutselig Wegelagerer des Wortes zu meinen Feinden ernannte – sie lach ich aus, aber mit dir ring ich um die Seelen, ich bedräue dich mit Flüchen. Ich bin ein schlechter Mensch, also eine gute Zielscheibe, aber mit sich beschäftigt treffen sie mich nicht.

Darum wend ich mich gegen dich, daß du mich vernichtest. Nicht bin ich von den Dunkeln, die deinen: ihren Leib süß finden wie Zucker; bitter bist du wie ein Salzbrunnen, den ich erbreche.

Ich lebe die Wüste, jede Oase wird mir zum Tümpel des Schmutzes, aber darüber bau ich den Tempel: Fata Morgana. Hast du mich gerufen oder war es die Täuschung: ein Ohrensausen meines gereizten Blutes?

Gott, du entsetzlicher Mensch, du unersättlicher Mund – mich, mich ganz zu verschlingen, salbst du meinen Körper mit triefendem Glück. Du gabst mir Liebe – ward sie erhört, hoben mich Wolken von Himmel zu Himmel; verstieß mich ein reizender Fuß in Abgrund, umstürmten mich Schauer des Leids, Blitze tanzten auf meiner Hand und stachen süße, bittre Verzückung der Tränen.

Nun heb ich dir mich entgegen von der durchwanderten Erde. Befrei mich aus der unholden Gefangenschaft des Geschlechts, irrer Glut der fieberentzündeten Sinne – durchmessen hab ich die Gassen der Körper, nicht alle, aber sie munden mir nicht. Das Licht ist reiner als Haar und Haar nicht reiner als Dunkel. Und ich, ich will mich nicht mehr verbergen.

Steil steht vor dir das menschliche Antlitz der Berge, die Seen loben dich blau, Täler wissen von heimlichen Wiesen, und Wälder sind, die dich ernst mit Bäumen beragen. Ich nur krieche dahin, über mich lacht die Wolke, der ich entfall, über mich grinsen die Völker der Straße, über mich zuckt der Mund der entzweigerissenen Dirne. Läuse loben den Herrn, sie sitzen im Barte der Gottheit, Flöhe springen gottan, gelabt vom Blute des Heilands. Bemuttre mich nicht – dein Zorn ist mir lieber als Gesäusel des Winds oder Glucksen der Stille. Ich weiß: du stellst mir ein Bein im Geheimen, du trittst mir den Kopf, zerschmetterst die Hand, wühlst in meinen Gedärmen mit Krankheit.

Sengend befällt mich die Sonne des Glücks, singend trag ich den Rausch der Gewitter, deinem Donner begegnet der Donner, den ich orkane. Solang ich fühle, kannst du nicht sein, du bist der Aufnehmer, der Empfänger, der Tod, der Himmel, das Tor, in das ich einst flüchte, wenn ich zu schwach bin den Knochen, die du mir gabst. Fleisch wogst du mir zu, ich spend es wieder, die sündige, blutende Quelle der Leiden und Lieder. Ewig kalbend hängt es uns an – bald ruh ich über den Stürmen.

Vermessen bin ich. Ich kann mich nicht lenken, mein Rat vermag nicht, das Glück mir und den Meinen zu schenken. Und so belauer ich dich, den Unwetterer dieses Unsternes. Hast du die Weisheit, brauche sie auch und regne nicht endlos Regen und Traufe. Um heiteres Lächeln für alle bitt ich dich, wir weinten zu lang, viel Jahre, wir saßen im Kot und fraßen das Blut. Wir aßen die Not und trieben den Tod, ich bitt dich, laß uns bescheinen! Was willst du im Hagel? Entschlossen bin ich, für Alle den Schloßen begegnend. Nimm mich zu dir oder weide dich an meinen schwärenden Schmerzen. Sonne gib uns, den Tag vertrau uns an, wir haben bei Nacht uns gefürchtet. Besser sind wir zwar nicht, aber wir wollen es sein, wir Kinder. Schreib auch du uns den Brief, wir flehen dich an um sichtbare Schrift, brich nicht den Stab über uns, den eisernen Buchstab des Fluchs. Bitte – wir betteln dich an – bett uns endlich ins Weiche, wir schwimmen nicht mehr, wir ertrinken im bittersten Teich. Wir haben genug, wir Armen, vom Reich. Zertrümmre jede unselige Stadt, im Boden sind Schätze, im Land ruht der Samen, das goldene Laub des verheißenen Herbstes krönet die Schnitter, wenn von den Ernten sie kamen.

Gott ist in uns. Und Friede auf Erden! Und Wandern und Werden. Schlaf uns zu, wir schlafen dir gern in den Flocken des Bartes und ruhen dir sanft in den träumenden Falten. Du mögest uns endlich gnädig erhalten.

 

Ich bin der Alleingeher – ich kenne das Verborgene, nicht lieb ich, die sich schminkt, die Hure, mein Schloß ist aus Jaspis. Ich baue die Brücke von mir zu dir, ich breche sie ab. Nicht schon ich den Sündensäugling in meiner Brust, gern zerschmetter ich meinen einzigen Feind: mich. Lüge war, was ich atmete, Wahrheit zermalmt mich zu neuer Geburt. Ich war verstockt wie ein Raubmörder, nun ist mir geschenkt die himmlische Gabe der Träne, die unerschöpfliche Rebe des Weinens. Lange haben die Falten meiner Wangen, die Furchen meiner Stirn, die weißen Haare meines Hauptes gebetet zu Gott um Erhörung, taub war mein Ohr, nun schmilzt das Eis meiner Seele. Noch bin ich verwüstet von der Nacht des Geständnisses, rinne, o Strom! Geht hin und umarmt euch, ein Mensch ist erstanden, ein Wahrheitsucher unter den Kaufleuten. Abgestanden sind euere Bücklinge, was soll mir die Verehrung euerer Rücken, ich werde sie geißeln. Werft euch nicht in den Staub, denn auch dort will ich euch zertreten, ihr Masken. Die Brüste eurer Huren werd ich abschälen wie Äpfel. Ihr liebt nur eure Geschlechtsteile, ihr fragt nur, wo ist Lust zu kaufen? Gefärbt sind die Locken eurer Seelen, gezählt sind die Haare eurer Glatzen, verschüttet das Himbeerwasser eurer Begeisterung. Was weint ihr ob der Zerstörung von Ilion, Zion – nicht Troja noch Jerusalem, euer Reich ist zerstört, ausgelöscht der Stolz eurer Krieger. Aber als ihr noch blühtet in Lastern und euch blähtet in Sünden, längst schämte sich der Adler in den Lüften, euer Wappenwild zu sein, ihr Kröten. Mit Brillantine gesalbt sind euere Prediger, euere Dichter klingeln wie die Schellen der Katze, ach, wie süß ist ihr Schwänzchen. Ich rieche den Moder der Rhythmen, ich rieche die Fäulnis der Seelen, ich höre den Mißton eurer Musik: der Andere möge ein Mensch sein. Aber ein blinder Bettler macht bessere Musik, mehr Feuer geben die verbrannten Zündhölzer in der Hand des erfrorenen Knaben. Ihr rekelt euch in den Sümpfen eurer Weisheit, doch sie ist Pferdeurin und kein Honig, schal und sauer ist euer Gemüse. Tanzet nicht mit den Bettmädchen – der Räuber: der letzte Morgen ist da über eurer zerfallenden Stadt. Wacht auf aus dem Grinsen der lüsternen Witze, der Donner Gottes lauert euch auf mit vernichtendem Blitz – ihr schlafet im Kehricht, trunken von Bier.

Hör mich, du dümmstes: gebildetes Volk der Erde – nicht gegeben ist dir der Aufstand, jeder von euch träumt, der Andere werde ein Held sein. Es war gerecht, euch zu schlachten in Massen. Ihr habet kein Salz, so kann euch die Kohle nicht wärmen, das Eisen nicht helfen, ein Rindvieh stand Gevatter bei eurer Geburt in dem Schlachthaus. Man wird euch nicht schonen. Ja, schiebet euch nur in den Dirnentempeln, Ballsälen und Baalsdielen, schon wird euer Mord geschoben, denn ein ehrlicher Tod war zu viel Ehre für euch. Nieder mit euch in den Abgrund der Wiedergeburt!

Du aber? O Gott, ich mache das Kreuz über dich!

 

Die Asche meines Lebens loht noch einmal empor, feurig entströmt ihm die Seele ins Kind. Ihm geb ich die Blaubeeren, die ich nicht pflückte, küsse, mein Sohn, alle Mädchen, die mich verjagten. Dein ist das Paradies: die Mutter, sie wird dich tragen auf ihren Händen, wenn ich nicht mehr bin – Befehl ist da: ich rüst meine Flügel zum Flug nach den Sternen der Väter. Die Götter weinten mir die Milchstraße, den ewigen Regen über meinem Haupte. Weinet nicht um mich, Mutter und Kind – heiß schon wird unter meinen Sohlen der Sonnenball, ich sehe die unsichtbaren Geschwister des Mondes. Müd bin ich des Sirups der Küsse und des anklagenden Zorns der Tränen. Ich, der Verlassene, verlasse mich und die gefangene Erde, unter dem roten Segel der Sonnenuntergangswolken stürm ich das Nachtreich: die Weltpforten des Todes.

Endet der Tag, beginnt erst die Seele. Ich Erdenplumpsack genieße nun endlich die Freude des Tanzes, entronnen dem Labyrinth der Sorgen. Die Zähler des Geldes wollten mich nicht ernähren, die Hüter des Papiers wollten mich nicht schreiben, der Schoß der Mädchen diente mir nicht als Heimat, ihre Brüste brüsteten sich nicht vor meinen Augen, vor Scham starb ich über dem Abgrund. Ihr betet zu den dunkeln Erlösern, mir wollt ihr nicht helfen. Der Schatten eurer Nacht verträgt nicht mein Licht, die Schönheit eures Abends gönnt mir nicht den Morgen. Ich grüße das Reh, das zart meine Seele betritt, der tote Hirsch senkt sein Frühlingsgeweih dem kosenden Flüstern. Aber wo ist das Kind, die Antwort auf dich und mich? Abgebrochen sind die Hörner den Stieren zum Schlachtgesang, jung springen die Kälber ins Gleiche. Schon blühen den Osterlämmern die Wiesen – ihr fresset sie auf, denn Lamm wird euch Fleisch und Wiese Salat mit heiliger Ölung. Ihr wärmt euch am Wald, am Feuer der Zedern Gottes. Übel riecht der Odem eurer Schande. Den Königen gleich sind die doppelzüngigen Journalisten geworden, der Papst filmt die heilige Messe. Die Arbeiter bluten am Kreuz, der junge Dichter stirbt ungehört, der Wortschieber bläht sein Machwerk in alle Valutasprachen, an den Abhängen des Montblanc hängen seine Riesen-Reklamen, alle illustrierten Blätter bringen die Abbildung seines Vorder-Arsches, groß ist die Verehrung der betrogenen Völker. Aber der Ruhm der Reimjobber ist vergänglicher als Bilder von Schauspielern in den Zeitungen, Gelächter schwebt über euern Propheten – sie pokern an der Börse bis zum Einsturz ihrer Städte, Veilchen und Vergißmeinnicht find ich im Schutt, die Pest fraß die Bewohner. Flieht aufs Meer! Aber ihr seid nicht wert das Aas der Oasen Sandafrikas, ein Neger beschämt euern Geist durch seine Weiße. Eure Gesinnung hüpft wie ein Känguruh – euer Seelicht hat mehr Flecken als ein Gepard.

Stimmt an die Gesänge der Huren, euer Vaterland ist ein Nachttopf, darum tragt ihr die Helme. Ich lege Feuer an die Paläste, ich betreue das Dach der hageren Hütten, euere Aktien sind das beste Klosettpapier. Aus dem Mark des Volks holt ihr euere Mark, ihr waschet das Gold aus den Tränen der Witwe, ihr schindet die Haut den Waisen zum Pergament eurer Bücher. Hinab! Schlemmend in den Kaschemmen, unkend in den Spelunken – roh ist euer Gebet wie das Rot eurer Backsteinkirchen, ein beschnittener Tempel wölbt sich zu Gott. Christum verfetten die Zentner der Pfarrer, nur im vergessenen Traum findet ihr eueren Gott.

Er wohnt nicht in den Salben der Ärzte, er haust nicht in den Spalten der Blätter, er tobt nicht im Rußlärm der Fabriken, er singt nicht im Rausche des Weins, er gähnt nicht in der Halle des Schauspiels, er gröhlt nicht in der Kneipe der Liedchen – er murmelt im Wasser des Bachs, er raschelt im Regen des Laubs, er tanzt den fallenden Schneeschwarm, er donnert das Feuer des Hekla, er ragt heilig die Gipfel der Berge, er lispelt die Unschuld der Sterne, er haucht die Anmut der Wolken, er schuf den Seelleib meines ungeborenen Weibes.

 

Sonne leuchtet allen , der Lichtstrahl schwingt sich an Alle, aber der Redner denkt nicht daran, Butter für Alle zu schaffen, er tut nur so – spricht, zaubert die Butter an seinen Bauch. Ich glaube nicht an den Menschen: die Blumenvergänglichkeit des Frühlings ist mir lieber, holder das letzte Wetterleuchten des niederbrennenden Sommers im Herbst, ehrlicher faßt uns der Winter an, der rauhe Feind mit kalter Gewalt. Die Zickzackwege des kleinen Krummen: des Menschen lieb ich nicht. Ich lebe im Sternzittern am wahnsinnigen See, nicht bebe ich im wassertrunkenen Boot, wenn die Flut die Gestade erschüttert, aber fallend vor der Sumpfschlange hab ich Angst, vor den Kreuzottern und Kreuzspinnen des Menschichts. Sie geben Liebe nur sich und dem, den sie lieben. Ihre Härte weidet sich an den Qualen des demütigen Bettlers, sie peitschen den Hungerer, roh, träg brechen sie mit ihrer Lederkoffer Überlast das keuchende Herz des Trägers. Der Flaum eines Vogels hat mehr Seele als die Völker Europas, im fälligen Krieg bekriegen sich diese Stinktiere mit geweihten Gasen, die Weltvipern mit ihren patriotischen Giften. Die Tiere hatten Sprache einst, jetzt sind sie stumm gequält, die Tiere hatten Seele einst, der Mensch hat sie entseelt. Auf dem Grunde des Meeres möcht ich bauen mein Haus, Korallen betasten, auf Schildkröten reiten durchs Wasser, ich sterbe lieber im Magen des Hais als in den Sarg eurer Schlachthöfe. Besser, es schlingt sich eine Schlingpflanze um meinen Hals als ein Mensch mit seiner mich nicht kennenden Haßliebe. Ich sehne mich nach unirdischem Sirenensang und Wolkenglockenklang, ich sehne mich nach den Gräsern der Pampas, gebt mir ein Schiff wegzufahren oder ich bau mir kindlich zum Untergang eine Arche aus Papier. Die Sintflut steigt, ich will singen auf den verderblichen Wassern, tanzen auf dem Eisblock, der mich entführt.

Ich bin nicht gekommen, zu erstarren in den Städten wie euere Häuser, ich bin nicht geboren zum Öl eurer Maschinen, euch spreng ich in die Luft, wenn ihr mich gefangen festhaltet. Schon rieselt der Sand in euren Mauern, schon zersurren sich eure Motoren. Ihr wollt nur leben, um zu leben. Aber der letzte Krampf eures Hirns vermag das Alte nicht mehr zu halten, nebelmüd euer Blick kann das Neue nicht ertasten vor Trübnis des Weins. Das Weib ist die Tochter des Vaters, der seinem Kind nichts gibt, der Mann hüllt sich in den Pelz, auf daß er als Greis nicht erfriere.

Ich war ein Knabe, der träumte; ihr habt mich schlecht gemacht. Ich ging in die Schule der Tränen, aber die Prügel hörten nicht auf. Auf einer tanzenden Insel will ich euch nun verlassen, ihr Bären in dem zerfressenen Fell, ihr Schweinigel aus den dunkelsten Gassen. Die Sonne ist keine rote Laterne. Ich bitt euch: weinet über euch und die Gefahr weht vorüber. Erkennet euere Sünden und man wird Nachsicht mit euch haben, werft von euch den Plunder und ihr werdet nicht verworfen sein. Das Licht geht ein und geht aus auf Erden, nur in eure Seele dringt es nicht. Ihr lebet im Wirrwarr der Nacht. O Drachenblut, bedenk: wer Gerstenkörner säet, wird Hühneraugen ernten! Darum erbarmt euch des Unflats in euren Seelen, reinigt euch und nicht nur die Straßen der Stadt. Ich bin ein armer Glockenschwengel, verachtet nicht meinen Ton. Schon hockt Lüge in euern Augen, mir zu antworten, schon ruft das reiche Haustier: »Polizei!« In euern Ohren saust nur ein Telephon, mit der Centrale »Gott« wart ihr nie verbunden.

Euer Magen hupt vor Fülle, euer Auto hupt über den Jammer der Überfahrenen. Auf der Börse streiten sich die bärtigen Marktweiber – Zion, du wildgewordene Aktiengesellschaft, wann wird man dich nach Jerusalem deportieren?

»Es ist erreicht« spricht der Maulheld zum erschöpften Mundvorrat, »es ist erreicht« funkt der Sturmhelm zur Handgranate, den Bomben antwortet die Beule der Pest. »Ich verschlinge dich« giert das Weib nach dem fremden Mann, die Ehebrecherin erbricht, wenn der Gatte bei ihr schlafen will, auf dem Schutt spielen Weltkrieg die verlassenen Kinder. Hunden juckt das Fell, sie wollen Wurst werden, den gefräßigen Menschen zu helfen. Die abgeschundenen Pferde ziehen den Wagen, auf dem ihr Fleischhauer thront, zu feiern ihr Schlachtfest. Mit dem matten Flügelschlag der müden Eule kommt der letzte Abend.

Große, schneidige Tanzmusik. Auf den Tanzböden führen sich zierlich Herren und Damen, den Phallus hält zärtlich die Geldkatze in ihrer Hand. Der Schieber schüttet ihr Champagner in die Scham, daß sie sich endlich satt trinke. Würfel sind der Kot der umgeworfenen Tische. In einer Ecke sitz ich und spiele Karten mit meinem Freunde, dem Tod.

Er predigt den Schlemmern:

»Ich vergift euch mit dem Gashahn, ich vernicht euch bei der Begattung, in euerm Magen wächst Krebs, die Pastete des Todes, fett ist schon die Leber – so habt ihr Straßburg. Ich töt euch mit Gallensteinen für die ermordeten Armenarmeen, ich erober eure Gedärme dem Mitleid – mit euch. Tausendmal erwürg ich euch im traumverpesteten Schlaf, ihr merkt nicht die Warnung und schneidet euch weiter den Lungenbraten von den Arbeiterherzen. Ich bin der Rattenfänger, ich pfeif euch aus dem letzten Schlupfloch der Wollust herbei, ich brüll in euer Bitten nie hörendes Ohr die Werdegesänge der Hölle, ich schneide Schmerz in euer vor dem Gesetz strafloses Fleisch mit der chirurgischen Säge des Arztes, ich schneide Riemen aus eurer Schweinshaut, euer Ränzel zu schnüren, schwer wiegt auf meiner Wage der Wanst: ich schweig euch tot!«

Dukaten, Dublonen entkollern den Fräcken, Goldmünzen, gehüllt in blauen Schein, der auch Leichname anfliegt. Die letzte Nacht düstert unter rotem Sternenheer.

Ich aber entflieg, ein Vogel, dem Odem und Brodem Sodoms, Gomorrhas, ich schweb aus Städten ins Tal, in die Steppen und Berge des Ostens, der leuchtenden Sonne schwing ich mich nach, entatmend dem tyrannischen Bauche und Rauche der Stadt. Fernhin treibt mich mein Flug, ich flüchte mich selig in die gesegneten Länder der Sterne.

 

Ich schlief ein wie ein Sperling und starb im Walde des Herrn. Sanft war mein Todesschlaf, lind umweht vom Schnee meiner Träume. Ich lief ans Wasser, schöpfte mit der hohlen Hand, mein Mund trank die Genesung. In den Höhlen waren viel wilde Tiere, die bellten mich neidisch an. Ich eilte zur Tränke, gab ihnen Wasser; als sie mich in die Hände bissen, gab ich ihnen mein Blut. Sie schlürften es gleichgültig, eine feinschmeckerische Wildkatze sogar, ein junges Löwentier, bezeigte seinen Ekel und spie es aus – das schlechte wässerige, und seine Stimme fauchte den Donner der Gerechtigkeit:

»Du hast nur den Rest für den Herrn bewahrt und nicht deine Seele. Du hast den Kindern keine Süßigkeiten gegeben – dein giftiger Wunsch abhackte den Frauen die kleinen Hände und die kleinen Füße, wenn sie dir nicht zu Willen waren. Du warst ein Krieger gegen die Unmündigen und ein Erbarmungsloser gegen die Schwachen.

Die Jahre deiner Vollkraft verschliefst du auf den Fellen des Leichtsinns, deine Faulheit mästete sich vom alten, ranzigen Kummerspeck. Deine Tränen galten nur dir und deinen weißen Haaren, das Altern war dein Kummer, Krankheit dein Gram. Verschollen sind in deiner Seele, die dir Gutes taten, du Räuber der Liebe. Warum liebtest du nur die Schönheit und wurdest ein Mäkler, wenn sich ein Haar deiner Geliebten verfärbte? Du liebtest nur dich und deine Wollust und deine Eitelkeit und den Tagesanbruch: den Sonnenaufgang der Frau; wollte dich aber ein alterndes Weib, entflohst du deiner Pflicht. Mit deinen Freunden teiltest du ihr Glück, aber ein Tropfen Unglück scheuchte dich von ihrer Seite. Du Schmarotzer der Reichen, du Verächter der Bedrängten, du Beschneider der Hilflosen, du Wind unter den Stürmischen, du Dicker mit den Wänsten, du Hagerer mit den Mageren, du Gelber im Sonnenstrahl, Finsterling im Schatten – ich löse dich auf.«

Da ward der Bart des Herrn rot und bös, ich schrie auf und verbrannte in der Flamme.

 

Nichts tat meine Seele, verzeih mir, o Herr! Ich habe als Kind meine Geschwister geschlagen, ich habe als Knabe meine Mitschüler gequält, ich habe als Jüngling Mädchen betrogen, ich habe als Mann Nebenbuhler gemeuchelt, ich werde als Greis in Sünden ersticken.

Nichts Gutes tat meine Seele, verzeih mir, o Herr!

Ich habe als Führer die mich umwehenden Seelen ins Nichts geführt, ich habe als Führer nach rechts und nach links meine Augen geworfen, ich habe als Führer nach meinem Erfolge gehascht, während die Menschen verbluteten in der unermeßlichen Schlacht.

Ich habe den Lehrer mit Kot beworfen, als er mich rügte, aber vordem sein Lob fraß ich wie Butterbrot.

Ich habe Dienstmädchen ihr einziges Gut geraubt, der Jungfrau den Kuß; der Unschuld den Körper besudelt; Geld gab ich den tränenden Seelen, wenn sie verwanderten. Wenn sie entwanderten, sah ich den seufzenden Schritten nicht nach. Meinen armen Bruder ließ ich im Krieg, nicht hob meine Seele die Hände zur Hilfe; als sie ihn mordeten, wußte sie nichts.

Und wenn ich mich krümmte im Schwall der Sünden, verzieh ich mir leicht, und anderen Morgens hob ich frech meine Stirn und sprach: Lieber Gott, sei gut und sag du zu mir.

 

Groß sind meine Sünden. Ich habe Menschen den Tod gewünscht – sie haben ihn sich gegeben. Ich hab an Österreich geglaubt, meine Heimat geliebt, den Krieg ertragen, bis er mich faßte. Meine Selbstsucht war größer als die Eitelkeit aller Gecken. Ich habe den Mord geahnt, schaudernd prophezeit und die Kaiser nicht getötet. Ich habe mein Leben gewahrt, statt es in den Staub zu werfen für meine Mitmenschen. Ich habe mich vor allem Ungemach des Kriegs bewacht, einen geachteten Namen aus dem Menschenblut hervorgeholt, meine Stimme nährte sich von der Wildheit des Weltbrands. Dem Kot entrann ich, in dem alle Länder versanken, die Menschheit ließ ich im Schlamm ersticken, ich habe keinen General erwürgt.

Ich war der Erste, der den Kriegsgott erkannte und anbrüllte, ich überließ es krummen Feiglingen, buckligen Greisen, ihn vorsichtig, witzig, zweideutig zu verspotten, statt dem Schlächter an die Gurgel zu fahren. Ich trieb Schacher mit meinem Wort: ich verkaufte es Verlegern, die es verkümmern ließen vor Angst. Die Kunst: das Spiel mit Gefühlslauten, galt mir höher als mein Leben und das Leben aller. Ich stillte meine Lust – Menschen mochten vor den Toren verhungern. Ich quälte meine Eltern, mit Undank vergalt ich jeden Dienst. Ich wagte es, Briefe an Gott zu schreiben, den ich nicht kenne.

 

Keiner Versuchung hielt ich je stand , ich weidete mich an den Tränen des beschlafenen Mädchens, ich weidete mich an meiner Schuld, mit Gewissensbissen zerfleischt ich zärtlich meine verdorbene Seele, ich schmückte mich mit den Sünden des Ostens und Westens, ich nahm Tiere zur Lust.

Im Jenseits wimmern meine Kätzchen nach Mäusen; Kaninchen fraßen sie mir, da fraß mein Zorn die hungernde Katze, im Sack versank sie im gurgelnden Bach.

Meinen einzigen Freund verließ ich um nichts: nicht ertrug er meinen Erfolg und mein Schweigen, ihn verspülte willkommene Krankheit.

Die Hüterin meiner Kindheit tröstete ich nicht im Gram, da entschwand sie im Tode dem herzlosen Leben.

 

Gott, der du mich kennst und meine sündige Seele, warum überschüttest du mich mit dem herrlichsten Mädchen, warum schenktest du mir ein himmlisches Kind, mit wild rankendem Ruhm verhöhnst du das Gestammel meiner blendenden Worte, ich fürchte die Rache. Ich fürchte die Zeit der schwirrenden Sense, ich fürchte die Monde der Strafe, ich fürchte die Jahre des Alters, ich fürchte den Giftzahn vergeltender Wiedergeburt. Ich kenne den Plan deiner Hölle – aber mich zertrümmerst du diesmal mit dem Füllhorn des Unglücks, ich beiße zu grimmig um mich, standhalt ich deiner endlos endlose Leben über Sünder schmetternden Kraft, ich sterbe für immer.

 

Solang ich noch überleg, ob ich den Hausmeister grüßen soll oder er mich, solang ich zögere, jeden Bettler zu beschenken, solang ich listig darauf aus bin, ein Weib zu beschlafen, solang ich lieber die Hände falten und mich zur Wand drehn möcht, um zu sterben – statt meinem Nächsten zu helfen, solang ich Wort und Sinn meiner Sätze abwäge, statt mein Blut rein aus dem Herzen zu strömen, solang ich Beleidigungen räche, statt den Trunkenen zu verzeihen, solang ich allen meinen Wohltätern den Dank nicht abgestattet habe, solang ich nach Ruhm brenne, solang ich Liebe ersehne, statt sie schrankenlos jedem zu geben, bin ich nicht wert, den Namen Gottes auszusprechen.

 

Wenn man zu schreiben beginnt, muß man nicht nur die Hände rein gewaschen haben, sondern auch reinen Herzens sein. Das bittere Wasser des Meeres läutert den Arm, das Leid spült die Seele rein: vom erhabenen Berge der Schmerzen schaue du den Untergang und das Versinken der verlassenen Inseln deines wüsten Lebens. Sei du der singende Stern, in der marmornen Härte des Wortes klopfe dein Herz sich frei. Mögen deine kristallenen Tränen die Straße reinigen helfen, schwach ist ihr Strom, aber geheiligt. Ich bitte dich, meine Seele, laß nicht ab mit dir zu ringen, bis du erhört bist, und der Wust meines Fleisches bedeutungslos von dir abfällt wie ungehörige Schlacke von echtem Metall. Dein Auge gleite hinweg über die Fehler der Nachbarn, aber es erbarme sich nicht deiner Sünden; hülle dich nicht in Mitleid mit den Fehlern deiner Lässigkeit. Das Tier lebt seinem Trieb, aber es ist zähmbar, verwildere du nicht in deinen Lüsten und Begierden, fern dem Weg zum ewigen Gipfel. Es lohnt nicht, die Reiche zu beherrschen, und es lohnt nicht, Ruhm zu gewinnen, und du bist nicht würdig, die Hand auszustrecken nach irgendeiner Frucht, wenn du nicht am Abend zufrieden bist mit deinem Innern. Wehe, wenn die Sonne einen Müßigen beleuchtet, der sich lagert im Abfall. Es gibt keinen Tod außer der Trägheit; Schlaf und Krankheit sind die selbstmörderische Rettung des Faulen vor seinem Gewissen. Ereile den fliehenden Feind in deinem Wesen, eh er dich übermannt mit seinem Ruhebedürfnis, fett alternd im Schatten. Das Wasser ist da, getrunken zu werden, und dein Leben ist da, es zu vollbringen. Enteile der Dämmerung, der nebligen Mutter des Zwiespalts, schwing das Schwert der Entscheidung, opfere dich der Wahrheit, sonst verdurstest du vor der Fata Morgana der Lügen. Es gibt keine Nacht außer in dir, lichte dich, sonst zerreißen dich die Dornen des Dickichts, steh auf, daß es in dir tage, die Träume sind deine Feinde, sie rauben dir die Erde – das Leben. Wie die Sonne alles erleuchtet, so blick in dich und lasse nicht nach, bis kein Ort deiner Seele übel ist, daß du dich von ihm wenden mußt mit Schande und Scham, wenn das Geschirr der Sterne in deine Sünden klirrt den schwarzen Himmel des Todes.

 

Ich kann nicht mehr schlafen. Meine Feinde: Hahnenkönig Silberkräh und sein Widerhall, der reisige König Ukuruhusur, zerreißen die Nacht mit ihrem irrsinnig frühen Taggeschrei. Dann schrillen prophetisch die Notsignale: die Dampfpfeifen der Millionäre von Beruf, die Autohupen der großindustriösen Mörder, der wohltätigen Fuselfabrikanten, denen die Einfaltsfliegen als Opfer fallen. Die frommen Christen und Juden wallen in die Kirche, in die Synagoge, Gott dafür zu danken. Juden? Christen? Nur der kann ein Hebräer oder Nazarener genannt werden, der eine dieser urjüdischen Religionen auch dann gewählt hätte, wenn er nicht mosaisch-katholisch ins Ghetto der irdischen Welt geboren worden wäre. Aber die Zahl dieser Bewußten ist gering. Die Hammelherden folgen dem Ruf des Muezzin in jede präexistente Moschee, fern den Spuren Christi trappeln sie nach Rom. Und nicht nur die römischen Priester, auch heldenhafte Heerführer der Zionisten hausen in großer Sicherheit und Verehrung dämonisch in Mitteleuropa und lassen Josua einen guten Mann sein. Ihre palästinensischen Bärte wachsen patriarchalisch in die Kongreßtische, sie warten, bis ihrer zehn sind zum Verlag. Amram und Jochbeth sind gewesen zwei. Pharao, der Judentod, hat gelacht für drei. Aber Moses erschlug den Ägypter. Dann sprach er vom Sinai: Du sollst nicht töten! Im Gelobten Land wiederholte dies Christus und tötete sich mit dem Kreuz. Abermals ließ sich Abel von Kain töten. War sein Opfer dem Ewigen genehm? Einer besprengte mit Blut den Mantel seines Gottes, der rein bleibt, sie neigen sich vor dem Blutfleck auf dem Kreuzholz. Aber jedes Menschenopfer ist kannibalisch, atavistischer Rück-Fall nach Isaaks Errettung vor dem Altar, es ist ungöttlich, die Sünde vergossenen Blutes auf ein ganzes Volk zu werfen, auf Ebenmenschen. Er liebte seine Nächsten wie sich selbst, also kreuzigte er sie. Er trieb uns Menschen grausam zum zweitenmal aus dem Segensparadies der dattelbehangenen Palmen. Wir haben kein Heim – keinen Halt. Hin und her gestoßen müssen wir wandern in den Ländern, unter Menschen, die wir nicht lieben. Heimat? Ich weiß nicht, wo und wann ich lebe. Die Uhren in den Bahnhöfen sind überklebt mit dem Papier des Geheimnisses, für die Zeitangabe muß man sein Leben zahlen. Immer noch, wenn ein Riesenwesen auf dem Globus tanzt, bebt die Erde. Dann stehen die Uhren. Ich gedenke dieser gewaltigen Sippen: der großen Männer des Todes, Dichtens und Weinens. Aber die heutigen Schreiber, die Wortrebellen, die Schlackenprinzen, schreiben Lügenromane, sie schreiben Scheindramen, Glossen in allen Gossen. O Welt voll Christlichsozialdemokraten und Publikumsjournalisten, ihr Ungeheuer der Drecksee, gegen die der Leviathan wie Froschlaich ist, harpunieren soll man euch Riesengoldfische, Zwergtintenfische wie Wale! Ihr Jubilare des Neids und Veteranen der Lüge, jeder Einkehr, außer in ein Kaffeehaus, unfähig – daß irgendwas in euch wahr ist, kann ich nicht glauben. Das Wort ist nicht wahr, darum darf man es nicht aussprechen, an jeder Silbe haftet der Tod, sie ist Besitz, und nur das Schweigen göttliche Armut: sterbegroß.

 

Mein Schicksal: kleiner Wagen voll Sorgen und Seifenblasen. Die Henne legt ihre Eier, die Mutter gebiert ihre Kinder – was weiter? Wird mein Sohn der Erlöser sein? Warum nicht ich? Warum bin ich zu feig, mit meinem Sein zu zahlen, mit meinem Leben zu wirken? Die Menschen brauchen ein heiliges Vorbild, tausend Vorbilder, Heiligenbildchen, nach denen sie vervielfältigt werden können. Ich rastete Jahre lang, nun stell ich mich. Was kann ich für euch tun? Bisher hab ich nur für meinen Magen gesorgt und für den Magen meiner Freundinnen, Freunde und Helfershelfer. Mein Gesicht ist bedeckt von den Geschwüren des Nichtstuns, ich blökte schöne Worte, Kaffern bewundern mich. Aber nur wenn Gott mich vorwärts peitscht, bin ich ein Nutztier im Stall der Menschheit. Bin ich der Verworfene, der Verfolgte, der Zerbrochene, der Gefangene, der Gekränkte, der Ungeliebte – strahlt aus meinem Aug Gutes, das Leid formt mich zum Führer, zum Seelenjäger, Leidenschaft treibt mich, mit meinem Opfer das Ungewitter zu versöhnen, das über uns hängt. Meteore hageln auf die ungeschützten Köpfe, Kinder frißt der Skorbut, die Mütter schwinden ins Grab, auf den Schlachtfeldern wackeln die Überlebenden im Tanz. Schneckenlangsam ist die Hilfe, der Stellwagen mit den Ärzten kommt nicht von der Stelle, Gott ist in ein fernes Sonnensystem verzogen, hieramts ist sein Aufenthalt unbekannt, einem unwissenden, Greuel grinsenden Negerteufel hat er den Kürbis Erde zum Halten gegeben, zum Spielen. Der fletscht die Zähne, schmatzt und zerkracht unser Weltchen wie eine wurmige Nuß, die taub ist oder bitter.

 

O ihr meine Bekannten und Freunde, Zeiträuber, Männer, die keine Männer sind, Frauen, die keine Frauen sind, warum wollt ihr mich erwürgen mit eurer Zudringlichkeit, warum wollt ihr mich vergiften mit eurer Anwesenheit, dem Geschwätz eurer unfruchtbaren Nähe? Kommt näher, ich will euch weh tun, denn ich lieb euch nicht. Immer ist Briefspeichel in euren Mundwinkeln, mit dem ihr mich in euere Geschäfte einspeicheln wollt zum Vorspann euerer Sorgen. Ihr saht nie den jungen Morgen, nie die glorreiche Abendröte. Ihr jagt dahin, hungrige Geldköter, aber die Wolke kommt näher dem Ort, Passate löschen ihr Feuer nicht – ihr flieht? Einschreitend in die Feuerkreise wird mir erst wohl. Schon zerknistern in den Flammen eure Haare zu Asche, aber noch sabbert ihr aus der Glut die letzten Kurse und Witze. Worte, Worte, nichts als Worte, das ist nicht das wahre Leben. Euer Leid noch erstickt ihr in Phrasen, in tausend fahrplanmäßigen Konventionen schleppt ihr euch von Geburt zu Wiedergeburten, metempsychotische Schnorrer, Hausierer des Lebens, rastlose Rastelbinder der Unform, Stationen, bei denen kein Wagen der Welt hält. Es regnet.

 

Was schiert mich Äquator und Pol , Horizont und die seltsamen Fische der Tiefsee? An meinem Firmament fliegen schnurrige Rochen, Drachen watscheln durchs Wasser, Grünzeug kauend schweifwedelnd arabische Löwen durch den Trubel der Straßen, vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Berlins bettelt sich krumm ein olympischer Gott, mit der Untergrundbahn fahren smarte Azteken, Sokrates stirbt im Kolleg erschöpft an der Schierlingssuada des Hornbrills, es wachsen die Heere der Schwalbenesser, fromm wallen die Neger zum Entscheidungskampf – zwischen dem Sultan Bajezid und einem Foxterrier. Ich aber setz mich auf den schwärzesten Punkt meines Marienkäfers und fliege nach Siam, Jogins erwarten mich schon, ich aber die fliegenden Hunde. Doch auch im hintersten Indien spielen die Engländer Matche, ihr Fußball ist gegerbt aus der Haut des Weißelefanten. Pestrauch rußt die Lokomotive über den heiligen Ganges, alle Fakire lesen den Golem, die Dampfwalze ebnet zur Straße den felsigen Held Himalaja, im Kanal verreckt das Altkrokodil, ewig vom Sprunge das Känguruh ruht, aussterbend morgen im Buschwald, die letzte Palme umarmt der filmende Derwisch im Tode.

 

Das Land, darin ich lebe , scheint mir vorläufig. Ich hab Angst, seine Straßen zu betreten, denn sie sind unrein und ich bin unrein, und diese höllische Verbindung könnte den Himmeln und Meeren eine neue Sündflut entlocken, dem ewigen Feuer einen Ätna, der uns totspeit. Dies Land ist vorläufig. Es kann keinen Sinn haben, daß wir uns nähren und kleiden. Sinn hat die Geburt, das Leben, der Tod. Sündig ist unsere Lustgier und unser Gaumen. Rein sind unsere Augen, wenn sie ins Land schauen oder zu den Gespielen des Monds: den Sternen über den Wolken, zu den Zittergestirnen im nächtlichen Wasser; rein sind unsere Ohren, wenn sie den Gesang der Vögel hören oder die schnurrende Freude eines Katers. Den Geruch der Blumen lieb ich, aber nicht die Fabriksgerüche, mit denen sich Damen beträufeln. Ich liebe die Äolsharfe, die Silberstimme des Winds, nicht Musik von Menschen gemacht. Die Schauspiele der Komödianten, wenn sie nicht der Menschheit dargebracht sind, lärmen meinen Sinnen zuwider, ich schaue lieber ein Dickicht, das Spiel der Schmetterlinge darüber und den kleinsten Hexenmeister darin: den Zaunkönig. Sonnenglühend auf Wiesen, dahin blühend im Schatten einer Waldinsel entfloh ich dem Gemenschel der Stadt, der vergänglichen Feindin aller Natur.

 

Wer in den Ziehbrunnen blickt , erkennt sich im tiefen Spiegel, das Wort wirft mich zurück, es ist ein Ball, der den Schöpfer nicht verleugnet.

Aber gebt uns keine Worte, sie knarren, wir wollen den Frieden, die Abenddämmerung und uns sanft auf der Mondsichel schaukeln über den Tälern des Lebens und Sterbens. Weiß tanzen im Dezembruar die Weihnachtsherden des Schnees, die Eiszapfen sehnen sich nach Lippen, die an ihnen saugen. Arme Maulwurfshügel sind die Berge, ich kannte sie, als sie noch größer waren, nun hat sie der ewige Wind und das schaurige Wasser abgewaschen, tot stehen sie auf der Landkarte, bald werden sie so klein sein, daß sie in die Schule gehen müssen. Im Traum marschieren die verwachsenen Bergzwerge über die bebende Erde, jeder mit einer Schneekappe auf dem Kopf oder gar einem fiebernärrisch rinnenden Eisbeutel an der Stirn: dem Gletscher. Oft versammeln sie sich in Rudeln, das nennen sie dann Schweiz. Gern möchten sie auf den Gletschern Schlittschuh laufen, aber gerade das sind die Phantasien, die ihnen der Wolkenarzt verboten hat. Vor Lebensüberdruß möchten sie sich im Fieber tapfer in die Seen stürzen, gell schreien vor Furcht die Dampfer.

 

Ich bin ein Landbruder , der Gesang der Grasmücke ist in meinem Ohr. Ihre Federn zirpen mit dem Atem des Körpers, der Beifall der Grillen umgirrt ihren Schnabel. Die Schwärme der Bienen umschwirren die Dolden, das blaue Fett der Fliegen stählt sich an der Sonne. Munter traben die Bäume auf der Landstraße, die wackern Meilensteine schütteln ihre weißen Grauköpfe verdrießlich unter dem Staubmehl. Die Spatzen sind froh mit den Pferdeäpfeln, handgemein im Dampfe werden sie reich und ihr Reich vergeht mit dem Dampf. Kirschen lachen sich dick. Der Kutscher müht sich mit dem Bretterwagen, die Rosse werden seinen Sarg ziehn. Große Augen macht die Feldmaus über die Dampfmaschine, die ihr das Stroh ausdrischt; unter Lärm und Rauch wird der Schober. Die Mägde springen von den Tristen, im Fall verlieren sie Zwillinge – neue Arbeit für die Knechte. Die Stiefel des Aufsehers treten den Faulpelz, würdig stinkt seine Pfeife über dem Bart. Zigeuner brummen auf der Baßgeige – der braune Tanzbär dreht sich müd ins Sternbild.

 

Die Weltalter beginnen zu ergrauen und noch keine neue Weltjugend ist. Moden hängen sich an die Menschen, neue Farben ersinnen sich die Affen auf ihren Bäumen. Alle tragen Kokosnüsse statt der Köpfe, schal ist die Milch ihrer Denkungsart.

Der Start des Messias wird immer wieder verschoben. Vergebens finden sich die Schnorrbärte der Empfangszionisten am Nordbahnhof ein. Der nächste Erlöser denkt nicht entfernt daran, geboren zu werden. Faul rekelt sich im Zeitenschoß der Linksaußenstürmer Gottes und gähnt die jüngeren Brüder an. Aber keiner will aufstehn. Denn noch ist es Nacht, nur hie und da ein irrsinniger Hahn kräht sich um den Hals, der Mond wundert sich und schaut nach. O, wie lang ist es noch bis zur Morgendämmerung, viel Nebelfladen verzehrt die Nacht, Schwarzwolken schlucken das Licht der Sterne – die Blutwölfe traben über die Ebenen nach ihren Opfern. In den Leichen tobt noch die Kampfgier, sie bespringen sich mit gesträubten Haaren, endlos sind ihre Fingernägel. Da fällt alles zurück: Meute und Herde, Wolf und überfallenes Schaf vermischen sich im Schlaf und ein Urenkel spürt gerührt, wie aus seinem Hühneraug die Traumpalme der Zukunft sprießt.

 

Wehe euch, ihr Leichendiener : ihr Christusanbeter, ihr Mosesbarden Zions, Buddhobeäugler und Lastersklaven Muchameds. Wenn euch Andacht vor einem Gras entsprießt, wenn ihr einen Begierigen stillt, wenn ihr einem vom Sechstagerennen der Arbeit Erschöpften im Zug euern Platz im Sitzparadies abtretet, wenn ihr euch vor dem Wald, der Sonne verneiget, ist dies besser als ein Kilo ungesäuerter Bibel verschlingen. Gott ist im Menschen, Gott ist in der Natur. Schwachen schuf sich im Gewissen ein Helfer; aber ungöttlich ist, daß die Natternsammler gute Worte wie Nattern sammeln und aneinander aufspießen, was entstand zur Seelenerquickung und Herzenshilfe des Einfältigen. Gott ist nicht mit uns, sondern in uns. Wenn wir gut sind, besitzt er uns und wir besitzen ihn, sind wir schwach: böse, sitzt er auf einem unheimlichen Stern und kehrt uns den kriegtönenden Rücken.

 

Lieber Gott, es freut mich, dass es dir gut geht , daß du in Freuden und herrlich in Frankreich lebst, wohin allerdings mich mitzunehmen du leider vergaßest. Aber ich vom Schicksal Geohrfeigter darf wohl nie wieder in fröhlicher Landschaft fröhlich sein; statt den Atlantischen Ozean zu schauen, muß ich erbärmlich in einem entsetzlichen Kabinett, das neben dem Klosett liegt, in einem Spucktrügel wohnen, und das Atlantische daran ist, daß diese unerträgliche Pension Atlantis heißt. Das Zimmerchen ist so klein, daß ich, wenn ich drin sitzen will, mich beinah in den Kasten setzen muß, der Wanzen, Schaben und Motten über den Erdboden speit. Davon ein feiner Duft überall, der an Ambrosia und Nektar so sehr erinnert wie Kellerasseln an Wein. Rings um mich haust Herbst, Verfall, ich habe keine Freundin, keinen Freund, sehe nur Larven, die deine Sonne nicht wert sind. Kein Mensch, dem ich mein Herz ausschütten könnte, den Krampf meines Martyriums beichtend. Ich habe so wenig, daß ich nicht einmal einem braven Kater, der mir treu dient, eine Gnadenmilch aussetzen kann. Jetzt fühl ich noch diese Schmerzen, aber wenn nicht rasch Hilfe kommt, die mein Dasein freudiger, menschenwürdiger macht, fürcht ich, innerlich so abzusterben, daß ich weder Freude noch Leid je mehr fühlen könnte. Jetzt schon ist meine Fühllosigkeit, meine Abgestumpftheit und Unempfänglichkeit für diese Welt, die mir kein einziges Heitergesicht bietet, keine Blume schenkt, so groß, daß ich am allerliebsten nachts in einer toten Sackgasse erfrieren möchte. Keiner meiner angeblichen Freunde, keiner meiner angeblichen Verwandten will mir Gift geben, daß ich entgehe der äußersten Trübsal, die ich meisterhaft blase. Ich bin gegenwärtig nicht einmal ein Mensch und wie mir Zukunft werden soll, den die Vergangenheit nieder schlägt, weiß dein Teufel. Glaub nicht, daß ich dich um dein Glück beneide, ebensowenig könnt es mir einfallen, den Stephansturm schlucken zu wollen. Aber mit dem letzten Funken von Leben, der in mir ist, sehn ich mich.

Erdgott! Hast du nichts für die Erde, für mich übrig, bist du erkrankt und schwach, aussätzig, hilflos, ein Abschaum der Gottheit? Ach, für die Andern ist ewig Weihnachten, warum muß nur ich immer Trauer tragen, Tränen weinen im Frühling, verdorren im Sommer, hinsinken vor Herbst im vorzeitigen Winter?

 

Lieber Gott, wir bitten um einen anderen Verweser als den Tod. Wir ersehnen den Weltordner. Ich grüße seine lichte Armee.

Wir erwarten den Weltordner – einen Teufelstöter, den Seelengestalter, der die kommunistische Erdgemeinschaft schaffen wird: Urchristentum und Sozialismus, Ethik und Ökonomie zur Lebenseinheit verdichtend. Einer ging aus und war da, der letzte unter den Feldherren und Bluttrinkern, der Herr ward: die große Kanone, der Indianer Napoleon. Aber er brach in sich zusammen auf seinem Weg, er verriet das Leben an die Kriegskunst, er vergaß den Menschen im Kanonenorkan, vergoß das Blut und vergaß das Volk, der Korsar dachte nur mehr an sich, seinen Sohn, seine Familie: an seine korsischen Nepoten. Als er mit seinem Heerhauf in Ägypten, in Asien stand, hätte er hoch über Alexander der Befreier, der Erlöser, der Erwecker, der Mahdi der Oriente werden, sein können, aber er floh im Boot mit seinem Metier nach Europa, Kanone im Gehirn, der größte Räuberhauptmann.

Er schuf Gesetze, hatte kein Gesetz in sich. Er war nur ein Heerstraßenbauer, ein hannibalischer, kannibalischer Überwinder der Alpen, kein herkulischer Überwinder seiner selbst, er war kein Teufelstöter, er tötete nicht den egoistischen Teufel in sich, sondern, dem Leiden fremd, Myriaden Menschen. Statt als Generalmarschall der Weltrevolution, als Präsident der französischen Sansculottenrepublik in das geknechtete Europa einzumarschieren und etwa als Sonnenherold den versklavten Völkern endlich Licht und Freiheit zu bringen, ritt der strategische Werwolf dämonisch von Schlacht zu Schlacht, von Schlachten zu Schlachten.

Wohl hätte der Flüchtling nach Waterloo noch gar zu gern Amerika erobert und den Nordpol entdeckt, aber die nach dem Morden nüchtern gewordenen Bürgersklaven Europas hatten blutarm keinen Sinn mehr für mit ihrem Blut geschriebene Romane, man kasernierte den kleinen Korporal, den größten aller Feldwebel, die Kasernenhofblüte der Erde, den General Moloch, dem die Kontinente zu klein waren.

Wir erwarten den Erdwirtschaftsrat, den Zolltöter, den Organisator Christus, den christlichen Napoleon, der, wenn es nicht anders geht, mit Feuer und Schwert, mit Gas und Gift einschreitet gegen das entmenschte Europa – Gleichheit der Geburt, des Erbes und der Erziehung gibt allen kommenden Kindern. Preußen zu »ordnen«, dazu reichte Schulmeisterbakel und strategische Krücke Friedrichs, der mit Devotion verschluckte Ladstock, der rachsüchtigen Franzosen und blind aus dem deutschen Reich ausgestoßenen Österreichern vorschnell an die Gurgel fahrende Bluthund Bismarck. Aber wir, auf den Ruinen dieser, haben mehr vonnöten als Diplomaten und Feldherren, Heerführer und politische Kreuzspinnen, Reichezerstörer und Weltgerichtsvollzieher. Wir brauchen einen Bismarx, den großen Baumeister, der ein Haus baut allen Klassen und Menschen, bis auf Erden die Unterschiede, Grenzen unter der aufleuchtenden Sonne schrumpfen ins Nichts und der frei gewordene Mensch endlich aufwächst ins Etwas.

 

Alle Professoren denken jetzt hitzig über die Regierungsform nach und trinken sächsisches Pilsner dazu. Die Kaiser der Irrenhäuser regieren sich heiser, und die Christusse allenthalben, die diese Welt wortreich erlösen, ohne je das unerträgliche Kreuz berührt zu haben, predigen Geckenwirrnis in ihren Konventikeln. Jeder ist Halbgott oder ein Lehrer, keiner gehorsam. Sie üben ihre Wunder im Wandern aus, keines wurde je in einem festen Ort gesehen. Aber im Kosmos schwärmen die smartesten Erlöser äonenlang noch ungeboren umher, ihnen sind die Jahresgagen und sogar die Märtyrerwunden zu gering, die man heute einem Prima-Messias bieten könnte. Die Seelenheilande lösen einander draußen in der Ewigkeit ab, aber störrisch drücken sie sich um ihre Geburt, reizlos sind ihnen unsere Königsrepubliken. Viel Fehler sind geschehen.

Pseudokommunisten sollten nicht so kommun lügen, lieber hart wie ihre Herzen einen Verein zur Wiedereinführung der Sklaverei für Andersdenkende gründen, jeder Demokrat lade eilends den Prinzen seines Herzens an seinen unerhört tyrannenmörderischen Tisch. Er darf es ruhig tun. O schlachtbares Stimmvieh! Durch das allgemeine, gleiche, geheime, freie, direkte Wahlrecht, durch einen wahren Triumph des »Volkswillens«, durch das Plebiszit wird der erbliche Repräsentatividiot: der nächste deutsche Kaisertrottel gekürzt werden. Ich habe sein gesegnetes Bild bereits in den illustrierten Blättern gesehen.

Hallelujah! Die Päpste freuen sich nicht, von Jesus inspiziert zu werden, allen Superintendenten ist das Jüngste Gericht ein Greuel Sodoms und die Fettrabbiner entmelken dem Talmud furchtbare Zitate: so halten sie den Sabbat. Alle Pfaffen fürchten die Einigung der Konfessionen (unter dem pantheistischen Banner des vegetarischen Gänseschweinebratens) wie den Weltuntergang. Gezählt sind in Abrahams koscherem Wurstkessel die heiligen Würste.

Aber was sind die Zehn Gebote Mosis einer elffingerigen Diebshand, die unbeschnittenen Herzens in die Börsen aller Länder greift? Die Mutter, die das Zarte unter ihrem Herzen nicht mit Liebe speist, gebiert ein Totes; ausstirbt die fruchtbare Tochter Zions an der schmiegsamen Wandelbarkeit ihrer Söhne.

Mit dem Orientexpreß: mit der Bagdadbahn in die Knechtschaft gefahren sind die freien Sprossen Muchameds, betrogene Enkel der Wildnis; die braunen Haremskinder des Ostens füllen den Weißen die weiten Bordelle des Westens. Allah ist größer, seinem Aug ist ein Sandkorn der Nubischen Wüste schöner als alle Golflandschaften Englands und die Tiradenzylinder der Religionsanstifter.

O versiegendes Wasser des Jordan! Es ist erreicht – abgeholzt sind schon – ohne Gezeter des Verwaltungsrats der Erde – die Zedern des Libanon, die Palmen des Euphrat, die Dschungeln des Ganges; im Tropenhelm trägt der Brite den Fußball: die Bombe seiner Kultur durch Asiens frömmere Wildnis. Und kein Gleichnis, noch der Ansturm apokalyptischer Bilder, kein Tropenkoller der dunkeln Propheten erschüttert das unbesieglich lüsterne Laster, das eingeborene Fleisch, die unzüchtige Not, die dürre Verderbnis der sündenerblaßten Menschheit. Umtobt vom Hungergeheul der Fabriken knechtet der Weiße den Weißen, weißzahnig schlummert der Neger seine Freiheit herbei. Er übt sich erst, trainiert: ringt und boxt im Zirkus um sein Leben mit den »Befreiern«. Er spricht nicht, sein Instinkt denkt vegetativ, er ist stumm, er weiß: nichts ist ohnmächtiger als das Wort, es hat gar nichts mit der Tat zu tun. Anders der deutsche Sklave. Bis an die ausgebrochenen Giftzähne bewaffnet, setzte er, schlecht bezahltes Kanonenfutter des Westens, sich blind, seellos zur Wehr gegen die Freiheit der feuerroten Armeen des kommunistischen Uradels der Russen.

 

Eure Straßen sind krumm und krumm , ihr saget Hallelujah und meinet Trüffeln, ihr schlürfet ein Mädchen wie eine junge Auster, das Leid eures Nebenmenschen ist euch eine gute Sorgensalbe, ihr schlaget dem Menschen die Zähne ein und nennet das: Vaterland oder Ordnung oder Revolution oder Demokratie oder Monarchie oder Bolschewismus. Da ihr aber jedenfalls einander die nationalkapitalistischen Zähne einschlaget, würde ich das beim Namen nennen: Zähneeinschlagen und nicht Urgroßvaterland oder Kaiserrepublikchen. Ihr aber entblutet die Arbeiter. Sie wissen noch nicht, was Republik ist und sollen schon euere letzten ichsüchtigen Parteiungen durchdenken, ihr »Führer« der »Revolution« waret zu feig, die eigenen oder feindlichen Volksverführer zu töten, aber der Arbeiter soll für euch hungern und fronen und dursten und bluten, für eueren Ruhm, für euere Reden, für eueren Geldsack, für euere Bücher, für euere Macht.

Ist es Schicksal, daß die Kreuziger bei ihren Kreuzzügen immer das Kreuz vergessen und nur ziehen und töten und plündern – weil Blut floß am Kreuz von Anbeginn?! Aber es sind Erlöser, die nicht im Schatten des Blutbannes stehen, Religionen, die nicht im Geruch vergossenen Bluts über Leichen aufflammen.

Auf den Leichenbergen der Ameisen, Genossen, roten Soldaten errichtet ihr neue babylonische Türme, der versickernde Zweck heiligt euch euere Mordmittel.

Heilig ist der Sozialismus, heilig ist der Kommunismus, heilig ist das Urchristentum.

Warum aber sind – ich rede nicht von den Märtyrern einer besseren Vergangenheit – die meisten Sozialisten, Kommunisten, Christen keine Menschen?

Solange der Genosse mit dem Genossen nicht teilt den einzigen Mantel, solange nicht brüderlich Christ und Jud nagen an einem Bettelstab, essen aus einer Schüssel des Leids, solange nicht Boche und Bocher, Deutscher und Franzos, Brite und Neger, Sozialist und Kommunist einander erbarmend umarmen, sind alle Religionen und Ismen Dreck, Firlefanz, Buchstab, Geldzeichen des nationalsozialen Analphabets, hieratische Chiffren einer Geheimschrift zur Anreicherung der Pfaffen, politischer Harfen, die sich menschheitserlösend verlarven.

 

Ich hab die Seelen vieler meiner Brüder in Apoll gesehen – nichts Gutes war darin. Sie schlemmen in den Schwemmen des Geistes, ihr Wort ist Valuta, ihr Gedanke ist Auflage, ihr Trachten Bezichtigung des Andern; wer die Geheimsprache: den ichsüchtigen Jargon ihrer Seele kennte, wüßte, daß sie Krämer und Entwerter sind, und wenn schon ihr dünnes Dichten nicht Trachten Prügel verdient, ihre innersten Wünsche sind böse und selbstgierig, ihr tierischer Exhibitionismus, ihre neidische Wut, ihre ränketüchtige Falschheit bringen rasch die unsterbliche Strafe: wie alte Plakate rollen sie zurück – in die Vergessenheit.

Kronos: die Zeit wird sie schlachten – Hekatomben von Eseln dem ewigen Apollon.

 

Die Frage, ob der Storch auch die jungen Affen zur Welt bringt, ist von gelehrten Scheuklappen noch nicht genügend untersucht worden, wenig bekannt ist auch – daß manch Monokelhirn selbst durch das schärfste Mikroskop nicht sichtbar zu machen ist, das Betteln und Hausieren auf dem Nordpol ist verboten, überhaupt ist die Wissenschaft im Frieden das beischläfrigste Kebsweib des Ameisenkönigs, im Krieg die wilde Metze des herrschenden Metzgers. Ich blättere lieber auf eigene Faust im Sternbilderbuch und prophezeie das Schicksal der nächsten Erdalter aus den Kummerlinien meiner Hand. Im einzigen Schlafwagen der Elektrischen träum ich durch die Stadt, um mich vergilben ungelesen die nichtssagenden Jahrgänge sämtlicher Zeitungen. In allen Kanälen sucht man nach mir, aber ich bin unauffindbar gefallen in den Abgrund meiner Schlechtigkeit. Die Selbstbezichtiger haben mich zum Ehrenmitglied ernannt, Beifall nicken mir mit ihren Schlitzaugen die Seelenaufschlitzer. Ich aber schlafe schon im Schatten meiner Nachtraben, an der seidenen Schnur um den Hals trag ich meine Weckuhr. Nicht weckt mich der Lärm der dichtenden Jünglinge, vergebens plätschern die Monotonisten Reklame in dem neuen Verlagspissoir. In ihr Theater geh ich nur an den Normaltagen, freundlich lächelnd überreicht mir eine Kleiderlaus meine Garderobe: sieben Zwetschken.

 

Man ermuntert mich. Alle Schakale und Hyänen fragen mich, warum ich nichts arbeite, aber ich bin ja dabei, die Chamäleone der Politik zusammenzutreiben zu einer Herde. Blickt sie nicht mißgünstig an, sonst werden Laubfrösche daraus und Kröten, die in Sturmzeiten periodisch erröten.

Im eigenen Essig schwimmen die Scharfmacher der Schärfe des Schwertes, im Arbeiterblut die Rotfärber der Schärpen.

Es erschallt der tyrtäische Haßgesang der Feiglinge, sie kämpfen am Schreibtisch, die Anstreicher der roten Fahne arbeiten nach dem Taylorsystem, die bürgerliche Presse wortwandelt unter Inseraten, ihr Gott ist Jupiter Mammon, unkenntlich euch im Maskenball der Phrasen. Sie hält den Bankdirektoren beim Kasseneinbruch die Strickleiter Romeos, die rote Garde bildet das Spalier, die Pazifisten streiken beim Schädeleinschlagen – wenn ein Geldbauch niederkommt. Prosit Neujahr wünschen einander fromm die zu lebenslänglicher Arbeit verurteilten Arbeiter; stramm marschiert der vaterländische General vorbei: er erkennt sich nicht im Raubmörder.

Jesus Christus ist der einzige, der in die Kirche geht; er springt ein: andächtig predigt er und betet für den Pfaffen, der derweil in allen Bürgerwehren kämpft für Bankguthaben und Siegesanleihe. Denn jeder andere Himmel ist dem Pfaffen sternschnuppe, es verzinst sich der Altar nur, wenn sein Teufelskapital herrscht in der Hölle auf Erden. Der Mensch stammt nicht von Affen ab, sondern von jenem Urhund, der zum erstenmal vor andern und sich den Besitzknochen verscharrte. Friede auf Erden erst, wenn dieser Urtrieb durch Erziehung zur Gleichheit und Erblosigkeit den Generationen geschwunden.

 

Nicht gegönnt ist es mir, Musik zu hören; eingelullt von der alten Disharmonie der Sphären, die ich vom Urnebel her kenne, bin ich taub den bescheidenen Lauten der Erde. Als das Paradies noch nicht entdeckt war und die Jaguare knurrten im Urei zum schnarchenden Mißton des Teufels, fürchtete ich schon, von den Stoßzähnen des Mastodons gespießt zu werden und ich schaute die Sündflut des Weinfasses, in der Noah ertrank. Und saugend am Weinschlauch der Lust, ahnte ich schrill die weißen Schlangen im Haar, die mich beschlichen.

Die Sängerin reißt ihren Mund auf, ihre Goldplomben bellen zur Decke, die rülpst ein unmelodisches Echo. Ach, ihr verkennet die Gottheit: sie hängt am Radio und lauscht eueren Symphonien.

Die wir die Meister der Worttümpel sind und entfliegende Nachtigallen der Südsee, uns verbittert ein Grauen vor unserer Endlichkeit und unsere ungeborenste Maske zerfällt vor unserm medusischen Antlitz.

Schöner ist es, wie Schwalben sich anmutleise zu wiegen auf Drähten und durch die leichte Luft zu fliegen ins Antlitz der goldenen Sonne, abzustürzen vom blauen Fliederball, geborgen im Duftschwall der Kirschblüten unter smaragdenem Himmel.

 

Ich bete zur Nacht. Der laue Tag ist dahin geschwunden, das Gerassel der Straßen ebbt ab, der Sirius beginnt zu herrschen, der Grüne, und das unheimliche Dunkel. Sterne verleuchten, Finsternis umdüstert die Seelen. Im Mord erlösen sich Gattinnen von ihren verwesenden Gatten, Eifersüchtige suchen ihre Nahrung im Argwohn, Knaben befühlen ihren Leib, Mädchen gebären Puppen, Jüdinnen aus gutem Tuch hüllen sich in den goldbestickten Schamfetzen der Mitgift, der Mond gurgelt bleich am Himmel, er hat Halsschmerz vor stupider Neugier. Seine Gebirge fühlt er, kennt er – nichts Neues in der Welt?! Der Teufel, das schärfste Monokel als Fernstecher ins Auge geklemmt, geht um. Es ist Beschlafenszeit. Die Gashähne werden abgedreht und die Männer beginnen vor Brunst zu krähen. Männchen und Weibchen wiegen sich in freien Rhythmen aufeinander. Dies ist die Regenzeit. Schutzmittel knistern, zu Spritzen wird gebetet, in den Waschbecken und Badewannen benedeien sich und die Einlagen Chöre der abgetriebenen Kinder. Millionen stöhnen ihre Wollust, Überstunden in der Geschlechtsfabrik werden mit Liebe bezahlt. Auf den Dächern wimmert der Geist meines abgeschiedenen Katers, er schied als Jüngling, ein reiner Engel im schwarzen Fell mit süßen weißen Flecken. Christus blutet am Kreuz vor Reue und Neid, sie lieben nur sich, nicht ihn und den Himmel. Die syphilitischen Huren des Teufels verrichten ihr Werk, hurtig traben die Burschen im fremden Geruch der Bordelle. Des Überwinders Haare wachsen zu den Gestirnen, aber sein Auge seufzt noch durch den Urwald, die Locken der Jungfrau hüllen ihn ein.

Wehe, auch mich Übermannten fängt nun die Sehnsucht, nicht einsam zu sein. Du grubst mir die Grube, gerne fall ich zu dir, dir zu.

Wo ist der Anfang der Lust, wo ist das Ende? Wo ist der Anfang des Todes, wo ist sein Ende? Die Zwillinge spielten im Körper, die Erschlagenen in ihren Särgen beflecken sich wild. Ewig entsteht Liebe. Über dies Leben hinaus beflügelt uns Eros, wir senden die Pfeile der Sehnsucht zu Gott. Um fettes Erbarmen bitten unsere Sünden, unsere Wohltaten krümmen sich auf leerem Teller.

 

Ich muß meine Seele rasieren, denn sie ist haarig geworden wie ein Meerschwein – der Schorf meiner Sünden riecht zum Himmel wie Aussatz, der eitert. In jede Kotlache fall ich, mein Blut treibt mich in die Bordelle, niederträchtig lechz ich nach der Lücke der Leere. Aber die Huren toben ihre Keuschheit an mir aus. Immer schlagen Unterröcke über meinem Kopf zusammen, ich kann mein Fleisch nicht züchtigen, nie es in Zucht halten. Schnäbeln sich irgendwo zwei Tauben, beneid ich sie um ihr Gurren und Rucken. Und eine große Hurenfut, die wird mein Grab wohl sein. Wiedergeboren werd ich als Wurm in der Scheide einer Elefantenkuh.

Warum stürz ich in die Falle, wer ist der Stiertreiber? Ich schaudre vor den Wirbeln des Geschlechtswahns. Schmerzhaft, wie gepeitscht vom Ochsenziemer eines Hurentreibers, rast mein Blut, rast mein Hirn, wem frommt meine Wollust, kann ein Elender einen Erlöser zeugen?! Rein entspringt der Messias wie der Quell am Berg, ich aber begeh alle Laster, vom geplünderten Haupt bis zu den strotzenden Hoden bin ich getaucht in Schmutz. Die Mütter sind mir ein lästiger Aufenthalt, ich spring nach den Töchtern von Rinnsal zu Rinnsal, bis ich im Triumph erreich die Kloake des Schweißes.

Wer gab mir die Seele des Engels und Teufels, wer schuf mir den Leib des Scheusals und haarigen Fauns? Ich weine Gelächter über den Sonnensamen im Rinnstein. Mitten im Gleichmaß der Rhythmen such ich den haarigen Ort, Memnons Säule versteift sich im Spalt, innen rieselt Seelengesang.

Ein unersättlicher Tiermensch streif ich durch die Wüsten, schwach nur wächst mir ein Flügel, doch einst tragen mich Doppelschwingen zum Himmel. Schon grüßen mich in Gesichten und Abergesichten die Feen und Geister, die Insel der Träume ladet mich gastlich zu rasten, mit Lorbeer begrünt sich der Fels, die Gipfel erschauern im Eis, glutengekrönt von der abendblutenden Sonne, Strahlen hüllen mich ein und tanzen mit mir zu den Sternen, wir flimmern wie Möwen in das ewige Licht.

 

Lasziv mit den Lippen, keusch in der Seele – ich bin der Verzweifler, der nie sich Rast gönnt. Die Hetzjagd in meinem Innern bellt heiserer schon, weil ich erschöpft bin, ich lasse die Zunge hängen wie ein müder Hund, mein Atem zerstößt mich, nur mein Herz will kein Ende nehmen. Zu große Macht ist gegeben den Weibern durch das Öffnen und Schließen ihrer verdammten Schenkel. Warum muß ich eingehn in den verfluchten Ort, warum stürz ich mich in die Höhle und Hölle der Lust, warum gähnt mich an, ewig unersättlich, der zweite Rachen des Todes. Spuck hinein und geh vorbei! Ich hasse diese Austeilerinnen von lumpigen Gnaden, die Schenkerinnen des Elends, die Vorenthalterinnen des filzlausigen Glücks, die umständlich das Nichts zelebrieren. Sie können nicht geben, die Hand halten sie vor das Feigenblatt, das sie nur vor diesen Mund nehmen. Naht ein Reiner aus den Gefilden des Lichts und bittet um Labung, lockt ihn die Hure hurtig ins Dickicht, fängt seine Seele und läßt seinen Leib schimpflich verkümmern. Kommt aber ein Köter vorbei, ein geiler Schnüffler, hebt sie ihm das dritte Bein, schlürft den Abschaum seines Körpers wie ein Nachttopf – windet sich vor Verzückung in allen Krümmungen der Wollust. Die Tränen des Engels trinkt sie fröhlich, den Schwanz des Teufels im Leib. An den Flügeln des Eros wischen sie ihren Hintern ab. Schweine, grunzet ein in die Kirche der Kirke, tanzt im venerischen Tempel der Venus! Wäre da nicht die Brust, die den Säuglingen Milch gibt, die Gebärmutter, die der Erde Kinder gebiert, wahrhaftig, man sollte ihre unverschämte Scham brennen mit Feuer, ihr Haar rollen in Dreck, zum erstenmal dann würde ihr Aug schauen die Sterne, der Mund erkennen den Gott, der über ihnen und nie in ihnen ist.

 

Ich hisse die Krawatte der Treue , aber ich leb im tiefsten Schlamm der ungelebten Sinnenlust. Mein Notizbuch: die böse Aschenschale meines Lebens verachtet mich, die Zeilen verschwimmen, die Tinte errötet und erblaßt. Ich bete zu dir, o Gott, um Schutz vor fleischlicher Liebe. Wieder bin ich der Gefangene irgendeines blonden Haarschopfs mit sinnlichen Mulattenlippen, gefallen bin ich in den seichten See blauer Augen und ein fast abgestandenes Gesicht führt mich drollig an der Nase herum. Ich weiß: ich liebe nicht sie, die mich einfing, mich ärgert, entmannt der lange Widerstand eines liederlich verspielten Seelchens – bereit stehen schon unter meinem Bett die Siebenmeilenstiefel, über sie hinweg zu schreiten vor der ersten Nacht. Ich möcht ihr die Welt schenken und »Sie« sagen. –

Aber nicht allzu verborgen in mir krümmt sich der Verdacht: ich nenne Mädchen, die ich nicht kriege, »Huren«, ich schänd ein Wesen, weil es spröde tut, ich setz einen widerspenstigen Willen herab, der mir nicht willfährt. Wildern möcht ich, aber ich kriege Tee zu trinken: öden Urin.

Mag dies sein, wie es will; schwach gräm ich mich, weil ich haltlos bin, aber ich schluchze tief die schlaflose Nacht über ein lächerliches Loch im Weltall, das justament nicht von mir gefüllt sein will, über die Ungebärdigkeit einer Eselin, die sich im Trab verliert.

Ich weiß, daß sämtliche Schimpfwörter, die je aus mir quollen, nur mich treffen. Wir alle wissen aber nicht, was schwarz oder weiß ist, wir vergessen, was Tugend oder Laster ist, Himmel und Hölle sind Begriffe der schwanken Seele, darüber das Fingerchen der Lust hurtig hinwegturnt. Und wir legen den Andern als Verbrechen aus, was wir uns Sonntags gerne gestatten. Unsere Leidenschaft rast sinnlos im Automobil, sie vergißt für einen verfänglichen, vergänglichen Augenblick die Treue zur Königin in der Droschke, aber wenn der Amtsschimmel der Lust geritten ist und wir wieder auf Schusters Rappen stehen, wissen wir, was Blendwerk war und daß Sehnsucht ewig unser Leben bleibt. Ach, die Liebe ist nur eine Faszination. Eine wilde Autosuggestion, Einbildung unserer Phantasie. Die Prinzessin vergeht, die Hetäre vergeht. Selten findest du die Erscheinung: die heilige, treue, reine Mutter der Liebe.

 

Über mich ist noch eine Wiedergeburt verhängt , denn ich sehne mich nach Küssen und Liebkosungen, und auf dem Totenbett noch werd ich traurig sein, daß mir ein Weib entging. Ich hadere mit Gott wegen jeder Hure, die er mir vorenthält; entwürdigt kniend vor einem Bauch, haftend am Fleisch, verfluch ich mein Dasein, weil es mir irgendeinen verschminkten Frauenmund nicht gibt.

Dies sind die Kennzeichen der Dirne: sie kann nicht schenken, sondern nur Gnaden erweisen, sie vermag nicht Menschen von Larven zu scheiden, den Strom Gottes nicht von dem Samen, der sich ihr ergießt, sie gibt sich dem Unwert und kreuzigt den Liebenden, sie beschläft den Schatten ihrer Sehnsucht und erwacht mit einer leeren Puppe im Arm. Aber im Traum ist sie dem Mann mit dem Arsch ins Gesicht gefahren. Mörderisch.

Der Geist, der alle Kadaver beseelt, verzeihe mir diesen Hochmut: ich bin todbereit, ihn noch tiefer zu kränken, wenn er mir den Erdenrest erspart: ein neues Leben.

 

Hier sieht es gesund und gemütlich aus , der Teufel ist Schmauser und ich bin der Schmaus. Wie hungrige Mäuse knabbern wir an der grauen Schwarte »Weisheit«. Aber ein Bissen Leben, das den Tod gebiert, ist uns doch noch lieber. Fleisch ist der Speck, mit dem uns der Vertröster: der Teufel von unserer Seele fortlockt, von der Ewigkeit, von der Arbeit für Alle. Mädchen lachen, Frauen weinen. Die Welt ist kahl. Einander an gewissen Stellen des Körpers zu berühren, macht den Menschen Freude, sie mengen ihre Säfte mit Lust und Anstrengung. Die Göttin des Mannes ist die Frau – Gott der Frau ist der Mann. Wenn sich die Augen ineinander senken, wenn die Lippen süß einander tränken – bald erklingt ein Kind im Licht, Trauer schweigend, stille Harfe. Die Mutter, der gute, arme Pelikan, plündert ihr Gefieder. Aber was soll mir das Weib? Es naht den Männern, den Weichenwärtern der Lust, der Lüstling besprengt es mit süßem Tau, es liebt seinen Mann wie einen Klassiker, wie eine böse Gewohnheit. Ich, der gleichmütig Schauende, schaudere vor dem Eingang der Unterwelt.

Hör mich, du, der Weiber erster, stummer Mund, du Männerhafen, du namenloses Tor des Himmels und der Hölle! Ihr Lämmer des Lands, Rauchwolken der Stadt – ich hab euch satt! Ach, wär ich, wo Rachel ruht. Über die Felder geht Ruth, Ähren zu lesen. Judith, schneide mir den Kopf ab, ich singe dir ein Siegeslied! Ich ersehne den Tod, den bittersten Sonnenuntergang. Trunken von der Süßigkeit des Abschieds, der war wie alles andere war: wie der Alltag, der unerträgliche Nebel des Lebens, möcht ich mich endlich aussterben.

 

Ich hab es satt . Die Zeitungen sollen uns nicht immer die Ohren vollschwätzen. Politik? Es ist gar nicht wahr, daß in Paris, London, Rom, Washington irgendwas vorgeht. Handelsdämonen, Geldteufel sind an der Arbeit, aber warum registriert man dies Alltägliche, Immerseiende? Ich wüßte gern, wie es Helios geht, ob Christus zufrieden ist und was Donar zu Schiwa sagt. Für alles übrige genügt mein kleines Panoptikum. Da sitzt Marschall Blücher-Foch, der alte Nußknacker, und repetiert »Ich schlage«, Napoleon sperrt die Engländer auf St. Helena ein, weil sie doch Kolonien besitzen müssen, der deutsche Held gurgelt mit Marnewasser, Repräsentanten der weißen »Menschheit« schwingen im Stadion die scheinheilige Völkerbundfahne vor dem Zugstück »Großes Aussterben der Indianer auf den olympischen Spielen«.

Ich habe das satt. Zeitungen: Zeitställe dienen nur dazu, immer neuen Dünger: Unrat aus der Weltnase ans Licht zu fördern – und zurück in die verschwollene Weltnase. Blut tröpfelt aus der Nase bis zum letzten Blutstropfen, der kosmische Schnupfen artet aus in Weltgrippe! Regen, Regen, Regen. Der Himmel, wenn man den oberen Schlund so nennen darf, ist grau – ich möcht ihn lieber schwarz anstreichen, das hält besser. Die Sonne wird nie mehr aufgehn. Wozu auch immer dieselben Straßen beleuchten, die von Unglück wimmeln, da die Stadtnacht übernächtig ist, und durch die Ruinen greiser Häuser lenkerlos irre Straßenbahnen schießen. Nichts ahnend wandeln die Trudscherln und die Rasierten ihren Liebesweg, zur Hemdennässe, Kinderwindel. Ich allein trat düster blickend in den sauberen Laden eines Leichenbestattungsunternehmens und fragte schüchtern: »Was möcht denn nachher mei Leicherl kosten?« Man verlangte zu viel. Ich verließ das Geschäft. Ich kann mir den Luxus, in einen billigen Vorortsarg zu sterben, noch nicht leisten. Anwartschaft auf eine Sargkarte hätt ich allerdings, doch – »Nur net gar so drängen. Du kriegst a no dei Heldengrab in einer Konservenbüchsen. Aber du hast di net eintragen lassen. Wo hast denn dein Totenschein, gache Leich?!« sagte der Sargtischler Igdrasil, indem er sich in die Hobelspäne schneuzte. Ich werd einen reichen Millionär anpumpen müssen. Vielleicht leiht mir ein Mäzen das Geld. Ich brauch ja nur einen einzigen Sarg.

 

O Menschen – Ares Pascha, der Donnertürke , wolkt über euch. Eure Kähne ertrinken im faulenden See, der Brand eurer Städte hält den Ehernen nicht auf, den Todesteufel. Ihr Klumpen allen Elends, Schar des Abgrunds, Ratten des Hades, überschwemmt vom Regen rülpsenden Himmel, zertreten vom Donner! Ich Opfer entblöße die Eingeweide meiner Seele, die Hölle meines Leibs, den Jammer meines Lebens, das vorüberläuft wie Regentropfen auf einer Fensterscheibe, ich zeige frierend die Kälte meines Tags, die Trauer meiner Nacht. Ich krümme mich im Schatten, Winter sinkt auf mein Haupt, seine weiße Zauberspinne spinnt schmelzenden Schnee in mein Haar.

Eh ich sterbe und im Grabe Land erbe, hab ich gebeichtet. Unverhüllt und ungeschminkt die Wahrheit gesprochen – bitter gegen mich und dich. Meine Sünden sind nicht so, daß ich mich bei der Polizei angeben könnte. Will ich noch leben? Ich spreche zum Wasser: soll ich dich austrinken oder willst du mich austrinken? Aber es will nicht und ich kann nicht. Ich drehte mich im Kreis wie ein blindes Göpelpferd. Ich lebte in Verblendung, in Hybris. Ich war ein Fenriswolf, der Amok lief. Ich tat groß, ich lästerte, bis ich zusammenbrach: Ahasver müde sich freute, ein möbliertes Zimmer gefunden zu haben. Ich verwese – ein Flibustier, der am gelben Fieber stirbt, ich vergaß meine Schatzinsel. Der Tod, der Beender allen Endes naht oder die Heuschreckenplage der Wiedergeburt.

 

Ich bete für dich, o Gott , daß du dich besserst und endlich das Leid der Armen mitfühlst, linderst, minderst oder uns aus Barmherzigkeit gänzlich vernichtest.

Ehe die Menschen waren, spieltest du mit den Tieren. Bist du geflohen? Hast du auf einem der Sterne ein Heim, ein Gotthaus, wo du dich wohlfühlst, wohin du immer gehst? Die Erde ist es nicht. Wann funkeln uns deine Sonnenmeere, Gott?

Alle haben mich mit dir allein gelassen. Ich vermied es, dich zu schauen, o Herr, ich vermied es lange, dir und mir ins Gesicht zu sehen, ich verbarg mich, ich floh vor dir in die Wüste der Stadt. Muß ich für Alle sprechen, weil jeder zur Welt schnattert, keiner je in sich sieht? Gott – ich habe mir die Augen nach dir wund gesehen, als ich ein Knabe war, aber ich konnte dich nicht am Himmel entdecken. Nun ruf ich dich an vom höchsten Berg und aus dem tiefsten Tal, daß du mich hörst. Dein Schweigen sprengt mich. Als Kind träumt ich: »Gott hat mir ein Brief geschrieben. Wenn ich wüßt, wo er ist, hätt ich ihm die Hand geküßt.«

Ich hatte Mitleid mit dir in deiner Ewigkeit. Ich wollte dir ein wenig Chokolade geben, denn ich wußte nicht, ob du schon welche gegessen hast? Als Kind hab ich immer ein Stück Chokolade für dich hingelegt. Aber du hast es nie genommen. Solang mein Leben reicht, werd ich dir schreiben, solang deine Ewigkeit reicht, wirst du schweigen.

Lieber Gott, ich hab dich oft beschimpft. Daß ich, o Herr, dein nicht gedenke, daß ich dir mich nicht schenke, darum bin ich verflucht. So zauder ich noch, vor dich zu treten, ich fühle dein Antlitz. Wenn ich in dich erbrenne, ertrag ich nicht deine Flamme, erloschen sink ich um. Wenn du in mir säßest, müßt ich dir nicht schreiben. Ich Unglückswurm im Leidensschoß – welches Fernamt soll ich anrufen, dich zu sprechen, welche Telephonnummer hat Jesus Christus? Seine Wüstenhonigstimme ist kaum hörbar.

O Gott – du, den ich noch nicht liebe, nur scheue, zu deinen Füßen knie ich Reue, ich kenne dich nicht. Du sollst keine Grenzen haben zwischen dir und mir. Wenn ich in deinem Herzen bin, ist Alles gut, und wenn ich nicht in deinem Herzen bin, ist Alles verloren: ich werde auf Erden gerichtet, vergiftet, vernichtet!

 

Lieber Gott, ich leb auf einem Weltkörperchen, das du nicht kennst; lieber Gott, ich leb in einem Land, das du nicht ahnst, sonst würdest du's nicht so lassen. Vielleicht auch hast du Unirdischer dich von uns abgewendet und lebst ferner von uns denn je. Unser Sternchen verwaltest du keinesfalls, lang schon hast du es mit deinem Auge nicht bestrahlt, du hast es menschenlebenlang nicht eines Augenblicks gewürdigt. Ich weiß nicht, ob du dich noch entsinnst, wer oder was ein Mensch ist und inwiefern man sein Dasein: sein Irgendwosein Leben nennen kann. Also muß ich dir wohl noch viel mehr erklären als ich dachte. Vielleicht bist du ein allzu großzügiger Weltendichter und weißt nichts mehr von dem Abfall, den du gelegentlich schufst, seit der Sündflut hast du nicht mehr Korrektur gelesen; wie eine alte Pfarrersköchin, die sich auch nicht mehr jedes Knödels entsinnen kann, den sie je geschaffen hat – vergeßlich kümmerst du dich nicht um den schwarzen Schandfleck im Weltall, den du bestehn ließest. Ein gütiger Vater den Raben, ein Rabenvater ahnst du nicht den Menschen: so ahndest du zu viel. Was irgendein Mensch mit seinen phantasie-irregeführten Sinnen von dir behaupten mochte oder mag, ist falsch. Es könnte zu den absurden Geheimnissen vieler der Religionen, die von dir faseln, gehören, daß ein Knabe: ein Gottesgebärer eine göttliche Jungfrau zur Welt brachte – dich!

Soll ich dir nun noch »unsere« Erde beschreiben: ins Gedächtnis zurückrufen: ein sehr schön von Wasser, Land, Luft, Wolken und wenigem Feuer bevölkertes Geschöpf, das unseligerweise von mehr und schlechteren Mikroben befallen ist als es verdient. Das Erdgebiet umfaßt mehr Landstrecken als ihre Parasiten gebrauchen können. Trotzdem wollen sie sich seit vielen Jahrtausenden über die gerechte oder ungerechte Verteilung nicht einigen, sondern sinnen noch immer auf Raub und Mord, einander ausbeutend und knechtend von der Wiege bis ins Grab.

Infolge dieser Zustände ist vielen Sklaven die Wiege: das Ruhebettchen, in das ein neuentstandenes Lärmwesen gelegt wird, unerschwinglich, und über den hohen Friedenspreis der Särge bejammern sich bei ihren Familienbegräbnissen noch immer die Verwandten eines vom Weiterleben Abgekommenen. Mit Recht, denn die Sparsamkeit der Menschen ist gering, sonst würde dies Nutzvieh doch gewiß, des Todes gedenkend, für Wiege und Sarg eines Atmers dasselbe Holzstück ausnützen, und nicht das Dasein eines Waldes oder einsam trabenden Baumes durch ihre Mord kreischenden Sägen schonungslos betrüben.

Statt die endlich beruhigten Leichname (ohne zeitraubende Umstände, ohne Holzmord) in Feuervulkanen zu Asche zu brennen oder nach Krokodilstränenströmen in Haifischmeeren vollends zu ertränken, frönen sie vielen aberwitzigen Trauerfeierlichkeiten, bei denen sie gern seufzend dich anrufen, Schwerhörigster. Schmerzvoll werden sie geboren, schmerzvoll sterben sie, und was dazwischen liegt, sind viele Schmerzen, noch mehr lange Weile – längere Weile und ein wenig Sonne zwischen den Tränen.

Nur die Reichen werden schmerzlos für die Gebärerin, schmerzlos für den Sterber auf die Erde ausgesetzt und dann wieder in sie gesetzt. Aber du in deinem mühelosen Immersein oder im Gewitter der rastlos weitertosenden Schöpfungen weißt gewiß nicht, was eine Gebärerin ist und leidet, was ein Sterber empfindet und warum manche Sklaven des Todes reich gepriesen werden. Also: die Menschen warten, bis sie ein wenig Schleim von sich geben, das nennen sie Liebe, gesteigertes Leben. Es kommen welche zur Erde, die heißen Weiber; wenn sie ihre Bewegungswerkzeuge öffnen, bekommen sie Kinder, wenn sie das schließen, ärgern sich die Männer sehr. Außer diesen Ahnenteilen, den Kindern, hinterlassen sie wenig und selten Spuren. Ein dich und sich Anbeter namens Muchamed leugnet bei den Weibern das Vorhandensein von Seelen, ein anderer namens Goethe nimmt es nicht nur an, sondern fühlt sich sogar durch dergleichen hinan gezogen. Da aber auch bei Männern es bisher nicht gelang, eine Seele behördlich festzustellen, sieht man, daß die Wissenschaft, das Wissengeschäft der Seelenforschung oft ein Gewerbe müßiger und im Wort »Gottes«, nämlich: der eigenen Begeisterung einherirrender Fabler ist. Wie die Weiber schmerzhaft und unbarmherzig kleinere Geschöpfe in die schonungslose Welt schleudern, ebenso mühselig entfernt sich jeglicher, wenn er abgebrannt ist, verzweifelt aus dem Sonnenlichte der Fäulnis. Ob die Kinder eine Frage an das Schicksal sind, die dann den Absterbenden beantwortet wird, wissen wir nicht. Wir kennen [den] Lebenslauf eines Flusses vom klaren Quellbeginn bis zur trüb geschwollenen Mündung ins Meer, aber später im Meer vermögen wir sein Wasser nicht mehr zu unterscheiden; was süß war im Leben, ist salzig und bitter und unkenntlich geworden im Tod. Ob unser Lebensfluß ins All treibt oder in der irdischen Sackgasse versickert, wissen wir nicht, du bist uns Antwort schuldig geblieben! Wir können einen Fluß ins All nicht wahrnehmen, noch daß unser Chaos: dein Kosmos eine durchsichtig geordnete Angelegenheit ist. So erwacht der neunmalweise Rosabrillenabschüttler in mir und denkt: im Weltall ist die geographische, außerpsychische Lage eines Gottes mit unsern Mitteln nicht zu bestimmen. Die Ahnfrauen der Menschheit, die trunkenen Zigeunerinnen, die ihn zu wittern glaubten, stammelten ihre Ahnungen und delphischen Kaffeesatzorakel in abstrusen Religionen, und all diese Rassenweisheiten und prophetischen Hebammenmärchen sind vergänglich – regional, klimatisch, historisch bedingt: vom Raum ihrer Zeit.

 

Nachts, wenn ich in meinem Zimmer bin , dem mir angewiesenen armen kleinen Behälter und Aufenthaltsort, seh ich viel, da meine geschlossenen Augen offen sind, und ich durchschaue den See der Trübnis und bewundere die Klarheit des Karfunkels – tags, wenn deine Sonne leuchtet, dich zu preisen und uns Unbeständige zu vernichten, blendet meinen trunkenen Blick die Vielheit des Lebens und sein verworrener Sinn schlägt mein Ohr taub.

Ich verwerfe den Menschenplunder: die Stadt, die meine Nase lästert mit ihren Gerüchen, der Schwung meiner Füße trägt mich mit Sehnsucht des Herzens in deine Natur, in der ich endlich dich erkenne; nicht, fast nie im Menschen, der unleserlichen Fratze der Unsterblichkeit, dem vergänglichsten Abriß der Ewigkeit.

Vom Menschen aber will und muß ich sprechen, um seinetwillen muß ich klagen und anklagen, ihn beklagen und anklagen, dich klagend anklagen.

Hör:

Als ich ein Kind war und mich fürchtete vor dem Außen, wie ich mich heut nur fürchte vor dem, was in mir ist – aber nein, heut hab ich keine Lust, dir zu schreiben: es geht uns zu schlecht!

 


 << zurück weiter >>