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XXXIII.

Christensens Mitteilung wirkte so verblüffend, daß die anderen im ersten Augenblick gar nichts zu sagen vermochten. Der Verwalter, der mit Renngeschwindigkeit gefahren war, hatte Zeit, sich zu verschnaufen und die anderen zu beobachten. Seine Aufmerksamkeit wurde gleich von dem Fremden, Torben, gefesselt. Und obgleich der junge Baron sich in der verflossenen Zeit sehr verändert hatte, erkannte er ihn doch sofort. Christensens Gesicht wurde durch ein Lächeln verklärt. Er zog langsam den Hut und grüßte seinen neuen Herrn verlegen.

Torben drückte ihm freundlich die Hand, aber todmüde, wie er war, stand er von dem bequemen Stuhl nicht auf.

»Sehen Sie auch am hellichten Tage Gespenster?« sagte er, »an solchem schönen, strahlenden Sommermorgen? Die Leute auf dem Gut scheinen sehr verstört zu sein.«

Und plötzlich lachte Torben laut auf, als ob die Situation ihm ungeheuer komisch erschiene. Arvidson aber blieb ernst und sah den jungen Baron kopfschüttelnd und mißbilligend an. Es ist kein echtes Lachen, dachte der Arzt, seine Nerven sind herunter, in diesem Augenblick würde er über alles lachen.

Auch dem Förster kam dieses Lachen peinlich vor. Es war wie das Lachen eines Betrunkenen, meinte er. Der Verwalter aber wurde immer verlegener.

Der Förster fragte ihn: »Wann haben Sie die Gestalt am Fenster gesehen, Christensen?«

»Vor einer halben Stunde. Ich sah sie mit meinen eigenen Augen, und andere auch.«

»An demselben Fenster?«

»Ja, am Fenster des mittleren Zimmers, wo er heute nacht auch stand. Wir konnten ihn ganz deutlich sehen, weil der Mondschein uns nicht mehr täuschte. Er war gar nicht so alt, Förster, nur der Mondschein machte sein Haar so weiß. Es schien ein Mann von fünfunddreißig bis vierzig Jahren zu sein, deutlich aber konnten wir sein Gesicht nicht sehen.«

»Ein Gespenst von vierzig Jahren, wie interessant,« lachte Torben wieder. Die anderen blieben stumm.

Torben fuhr fort: »Die Beschreibung, die Sie von dem alten Gespenst heute nacht gaben, meine Herren, war nicht besonders schmeichelhaft für mich. Ich habe meinem Freunde, Professor Arvidson, bereits eben den Zusammenhang erklärt. Ich stand nämlich heute nacht am Fenster. Ich wollte meinem Vaterhause in aller Stille einen Besuch ablegen, und da ich Sensationen jeder Art hasse, zog ich mich so unbemerkt wie möglich zurück, als ich sah, daß ich entdeckt sei. Entschuldigen Sie, daß ich die Sache so humoristisch nehme; im Grunde begreife ich sehr gut, daß bei einzelnen Menschen gewisse Vorstellungen entstehen können. Alte Schlösser sind ja immer von Mystik umgeben, und wenn dann noch ein rätselhafter Tod dazukommt, wird der Aberglaube dadurch noch genährt. Die Leute auf dem Hof sind verstört, das ist alles. Heute nacht machten sie mich zu einem grauhaarigen Greis, der in einer Bibel blätterte. Sagen Sie, Christensen, sehe ich so aus? Man sieht jetzt an jedem Fenster Gespenster. Höchstwahrscheinlich waren es nur Lichtreflexe, die auf das alte Glas schienen und eine menschenähnliche Gestalt bildeten.«

Der Verwalter schüttelte von neuem den Kopf. Er konnte nur wiederholen: »Ich habe ihn mit meinen eigenen Augen gesehen, er war ganz deutlich erkennbar.«

»Christensen ist ein alter Jäger,« sagte der Förster, »er hat scharfe Augen.«

»Also gut,« sagte Torben ungeduldig, »dann war es also ein wirklicher Mensch, der unberechtigt in mein Schloß eingedrungen ist. Warum sind Sie nicht nach oben gegangen und haben ihn festgenommen?«

»Es ist strengstens verboten, die Zimmer zu betreten,« sagte Christensen.

Eine Grimasse der Langweile zog über das Gesicht des Barons. Er schien die Sache aufzugeben und sank tiefer in den Stuhl zurück, um zu ruhen. Plötzlich aber nahm er sich zusammen. Er betrachtete den Förster und darauf den Verwalter aufmerksam und rief: »Begebt euch so schnell wie möglich ins Schloß. Ihr dürft die Zimmer so oft betreten, wie ihr wollt. Aber eilt euch!«

Torben erhob sich. »Ich möchte etwas ruhen,« sagte er, »die stille Sommerwärme wirkt betäubend auf mich, außerdem bin ich ja die ganze Nacht aufgewesen. Professor Arvidson zeigt mir vielleicht, wo ich schlafen kann.«

Man verstand den Wink. Der Förster sagte Arvidson flüsternd Bescheid, und Torben ging durch die Verandatür, indem er den breitrandigen Hut tiefer in die Stirn zog. Der Professor folgte ihm.

Die Försterei war sehr geräumig, und eines der großen, luftigen Zimmer zum Garten war für den jungen Baron instand gesetzt.

Torben streckte sich gleich auf den Diwan und schloß die Augen.

»Ich wünschte, Sie wären in diesem Augenblick mehr mein Arzt, als mein Freund,« sagte er, »ich fühle mich so seltsam matt.«

Der Professor fühlte seinen Puls.

»Sie haben die ganze Nacht nicht geschlafen,« sagte er.

Der junge Baron lächelte bitter.

»Die ganze Nacht?« wiederholte er, »ich habe seit mehreren Nächten nicht geschlafen.«

»Sie baten mich vor kurzem um meinen Beistand,« sagte der Professor, »auf meine Freundschaft können Sie sich verlassen. Ich begreife, daß etwas wie ein Alp auf Ihnen liegt, vielleicht ein furchtbares Geheimnis. Solche Last ist leichter zu ertragen, wenn man sich einem Freunde anvertraut.«

»Verzeihen Sie mir,« sagte Torben leise.

»Was meinen Sie damit?« fragte der Professor.

»Verzeihen Sie, daß ich vorhin so fassungslos war,« sagte Torben. »Was sagte ich doch noch: Helfen Sie mir, sagte ich. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, was ich damit meinte. Vielleicht dachte ich an eine stärkende Medizin oder ein Schlafmittel. Wenn man übermüdet ist, wird man leicht sentimental, es ist, als ob die Nerven erschlaffen und sich auflösen wollen. Ach, wie gut tut die Ruhe, ich merke, daß der Schlaf kommt. Immer wenn das Leben des Tages beginnt, überkommt mich eine schlaffe Ruhe, nur diese totenstillen Nächte kann ich nicht vertragen. In einer oder zwei Stunden, wenn ich wieder wach bin, möchte ich Sie gern hier sprechen, lieber Professor. Was ist das? Höre ich nicht Radfahrer? Kommen Fremde?«

Professor Arvidson blickte aus dem Fenster.

»Der Förster und der Verwalter brechen auf,« antwortete er. »Sie sollen ja aufs Schloß.«

»Richtig, wegen des dummen Gespenstes. Fahren Sie nicht mit, Professor. Es ist nichts, nur die verstörten Nerven der Leute haben Gespenster am Fenster gesehen.«

»Es könnte aber auch ein Dieb sein,« wandte der Professor ein.

Torben schwieg lange. Dann wiederholte er gedankenvoll: »Ein Dieb ... ein Dieb ... ein Dieb ... in den drei geheimnisvollen Zimmern ... wenn es nur ein kluger Dieb wäre!«

Der Professor wunderte sich anfangs nicht über diese Worte; sie wurden in einem halb schlafenden Zustand gesagt. Später aber fielen sie ihm wieder ein.

Gleich darauf schlummerte Torben ein, es war ein fester, tiefer Schlaf. Professor Arvidson betrachtete ihn eine Weile. Aus dem Gesicht des Schlafenden sprach Willenskraft und Verbissenheit. Der Professor kannte diesen Ausdruck bei übernervösen Menschen, die sehr litten. Es war, als ob sie sich in den Schlaf zwangen, als ob sie sich mit gewaltiger Willenskraft in den Abgrund desselben stürzten. Der Professor nahm an, daß Torben lange, vielleicht viele Stunden schlafen würde. Er zog die Vorhänge vor die Fenster, um das Sonnenlicht auszuschließen – und verließ darauf leise das Zimmer.

Es war jetzt so spät geworden, daß das Haus erwacht war. Im Eßzimmer traf Arvidson die Frau des Försters, die im Begriff war, das Frühstück zu bereiten. Er berichtete ihr von dem Geschehenen. Sie schien etwas beunruhigt über den unerwarteten Besuch des Barons, da sie aber eine praktische Frau war, fand sie sich schnell hinein. Professor Arvidson fühlte nicht die geringste Müdigkeit. Er wollte so schnell wie möglich zum Schlosse, und wenige Minuten später stand ein leichter Jagdwagen mit zwei kleinen flinken isländischen Pferden bereit. Es war eine herrliche Fahrt durch den Wald, die eifrigen Pferde liefen so schnell, daß ihre Hufschläge wie Regengeplätscher auf dem Wege klangen. Der Morgentau hatte den Staub niedergeschlagen. Der Professor grüßte mit der Peitsche Vater Abraham, der breit und behäbig vor seiner Tür stand. Indem der Professor zu der kiesbestreuten Einfahrt des Schlosses einbog, kam der Förster ihm entgegen.

»Er ist entwischt,« sagte er.


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