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VI.

Die zehnte Stunde des Vormittags war bereits angebrochen, als Hedwig in die Stube trat, die sie kurz vorher verlassen, ein modernes Hütchen auf dem braunen Haar, und über der Taille ein elegantes, offenes Jackett, das ihren vollendeten Wuchs erst recht hervorhob.

Sie streifte sich Handschuhe auf und spähte dabei aufmerksam zum Fenster hinaus, wie nach dem Stand des Wetters.

»Du willst fort?« forschte die Kranke mit leisem Vorwurf, während eine Wolke über ihre Stirn flog, denn die Bedauernswerte hatte bereits die feste Überzeugung gewonnen, daß sie sich in Gegenwart ihrer Schwester wohler befinde.

»Ja,« versetzte die Jüngere aufatmend und ohne die verborgene Rüge sonderlich zu beachten: »Es ist heute so frisch draußen – wirklich prachtvoll – überall ziehen Sommerfäden – sieh nur – und hier drinnen –« sie vollendete nicht, sondern setzte rasch hinzu: »Ich bin das Wachen doch wohl noch nicht so recht gewohnt – und dir geht es ja heute besser – da will ich einmal einen Gang durch eure Wirtschaft machen. In einer Stunde bin ich wieder zurück.«

»Aber Hedwig, wenn ich so allein –«

»Ich bringe dir auch was Schönes mit,« schnitt die andere lächelnd ab und war im nächsten Augenblick verschwunden.

Seufzend richtete sich die Verlassene auf und blickte sehnsüchtig durch die Fensterscheiben der schlanken Mädchengestalt nach, die draußen bereits ohne sonderliche Eile mit leichten kräftigen Bewegungen über den Hof schritt.

»Wer doch auch so –,« flüsterte die Kranke endlich, »einmal noch, nur einmal – –« Krampfhaft faltete sie die Hände, und ihre Seele hob sich wieder in jenem einen brünstigen Gebete zu Gott.

Unterdessen hatte Hedwig den Hof durchmessen. Wer sie so sah, mit dem eleganten, dünnen Sonnenschirm in der Hand, und ihrer modernen Kleidung, der hätte kaum geglaubt, daß den braunen, blitzenden Augen dieser jungen Dame nicht der kleinste Schaden im Strohdach einer Scheune entging.

Sie bemerkte alles. Auch für das Geringfügigste in diesem schweigenden Gehöft schien sie ein Interesse zu empfinden.

Vor dem offnen Kuhstall, aus dem ein warmer Dunst herausschlug, hockte auf einem Prellstein ein alter, verwitterter Mann, ein greises, dürres, zahnloses Menschenkind, das kopfwackelnd dasaß und sich zu sonnen schien. Neben ihm, auf dem Holzpantoffel des Alten stand ein zerzauster Rabe auf einem Bein und war gleichfalls in den allgemeinen bleiernen Schlaf versunken, der wie verwunschen die gesamte kleine Besitzung umfangen hielt.

»Alterchen,« rief Hedwig, als sie ihn erreicht hatte, und stampfte leicht mit ihrem Schirm auf den Boden: »Warum sieht der Hof so schmutzig aus?«

»He?« grunzte der Alte und hob nach Art der Schwerhörigen das Ohr. Dabei blinzelten seine erloschenen, blöden Augen in das frische, blühende Mädchengesicht empor, und der zahnlose Mund begann zu kauen.

Das junge, kräftige Leben da vor ihm gefiel ihm augenscheinlich nicht. Auch redete sie ihn mit zu wenig Hochachtung an, denn der alte Krischan aß schon seit Menschengedenken auf dem Hof das Gnadenbrot und stand außerdem im Rufe dunkler lichtscheuer Künste. Der Rabe galt dabei als eine Art dienender böser Geist oder mindestens doch als Bundesgenosse zu allerlei schwarzen Taten.

»Schnell – nehmt einen Besen und fegt einmal ordentlich aus,« rief plötzlich das schöne Mädchen dringend dazwischen. Ihr war es, als könnte man damit alles Häßliche und Kranke, was sie hier vorgefunden, mit starker Hand hinauskehren.

Der Alte regte sich nicht.

Sie stieß ihn an.

Da zog ein leises Grinsen über das verrunzelte Gesicht, der Mund hob an zu schmunzeln, und ohne sich von der Stelle zu rühren, keuchte er heiser zur Antwort:

»Arbeiten? – ne, vörbi – all lang vörbi – ne, ne, min Döchting, wenn Sei hier wat utkihren willen, denn mötens sülwst dauhn.«

»Und Sie, was treiben Sie hier?« rief Hedwig scharf dagegen. Durch ihren Körper zuckte es. Die schlaffe Faulheit des Alten empörte sie.

»Ick? – ick töw warte ups Starwen.«

»Aufs Sterben?«

Unwillkürlich erblaßte die Angreiferin und trat zurück. Der Alte warf ihr einen schielenden bösen Blick nach, und der Rabe erhob sich plötzlich und schlug krächzend und hackend mit den Flügeln nach ihr.

Es war, als ob sich die alte Zeit in diesem Gehöft gegen sie wehren wollte.

Allein der neue Ankömmling war nicht von der Art, sich von derlei unklaren Vorstellungen lange beeinflussen zu lassen.

Stolz hob sie das Haupt und ließ kühl die Worte fallen: »Ich werde mit meinem Schwager über Sie sprechen.«

Im nächsten Augenblick wandte sie sich und eilte grußlos auf die Landstraße hinaus.

Wie frisch und hell war es hier draußen. Über ihr das unendliche, leuchtende Blau, vor ihr Felder und Äcker, grüne und braune Flächen, die einen noch im reifen Schmuck der Spätsaat, die andern bereits wieder umgepflügt, dazwischen kleine, helle Wässerchen, wie Silberbänder auf einem bunten Tuch, Duft und Dämmer und blauneblige Wälder in der Ferne, und über alles hinweg der über den Boden flüsternde Frühwind, der einen kräftigen Erdgeruch mit sich führte.

Hedwig sog ihn tief ein. Der kleine Zwischenfall mit dem Alten war bereits vergessen. Hurtig setzte sie über den Graben der Landstraße und schlug den ersten besten Feldweg ein, der quer über ein Stoppelfeld führte, auf welchem in unsicherer Weite ein paar dunkle Punkte auf und ab schwankten.

Wie einsam es hier überall war. Nur eine Schar Krähen hüpfte auf dem abgemähten Boden umher, und bei einer Biegung sah sie auf einem wilden Dornbusch einen zierlichen, bunten Stieglitz sitzen, der im Sonnenschein sein kräftiges Liedchen sang. Sonst webte über allem eine heilige wohltuende Ruhe.

Hedwig blieb stehen und ließ ihren Blick weit umherschweifen.

Also hier sollte sie fortan ihre Tage verbringen? So allein, so ausgesetzt unter fremden Menschen? Denn ihr herber Verstand sagte ihr, daß auch Else ihr eine Fremde bleiben würde, eine Bedauernswerte, für die sie sich höchstens ein unangenehmes Gefühl des Mitleids würde abzwingen können.

Und die lautlose Einsamkeit fing an, sie zu bedrücken.

Wie etwas Schattenhaftes flog es über die Heide, kam auf sie zu und quälte und ängstigte sie.

Sie dachte an ihren letzten Aufenthalt in der Stralsunder Pension und zusammenzuckend empfand sie wieder jenes eine Ereignis, vor dem ihr bisheriges Leben zusammengebrochen war, jene eine entsetzliche Stunde, an der alle ihre Gedanken sich festgesogen hatten, so fest, daß ihr Körper eigentlich halb träumend herumwandelte, beinahe getrennt von einer leitenden Seele. Und sie fühlte wieder, daß sie etwas in ihrem Leben vergessen müßte, und daß diese weite Ödnis ringsumher vielleicht jene stumpfe Ergebenheit in ihr erzeugen könnte, nach der sie sich sehnte.

Und merkwürdig. – Noch sann sie diesen dunklen fernen Traum, da erweckte sie etwas. – Ein flüchtender Hase streifte ihren Weg, fuhr vor ihr zurück und setzte dann seitwärts über das Feld.

Das Mädchen lachte plötzlich hell auf.

Das frische, selbstbewußte Lachen eines kräftigen Menschen. Was brauchte sie sich in solchen Hirngespinsten zu verfangen? Es war ja alles vorüber, bald überhaupt nicht mehr gewesen, nur eine seltsame verflatternde Erinnerung. Erhobenen Hauptes eilte sie weiter; ab und zu schlug sie mit dem Sonnenschirm spielend an die den Weg begrenzenden Büsche, und dann verweilte sie wieder, um sich von dem säuselnden Wind die Wangen kühlen zu lassen.

So war sie in einen Hohlweg geraten. Fast in Manneshöhe über ihr erhob sich zu beiden Seiten das Feld. An den Abhängen blühten noch wilde Rosen, ganze rotbraune Bündel von Erika sproßten dort empor, und hier und da nickten violette Glockenblumen dazwischen.

Gedankenlos pflückte das Mädchen einen Strauß, vielleicht für die eigene Brust bestimmt, vielleicht für Else, da hörte sie unvermutet hoch über sich Stimmen laut werden und einen Wortwechsel sich entspinnen.

Und jetzt erkannte sie auch, wer dort sprach. Es war Wilms, den seine Tagelöhner um eine rückständige Schuld zu mahnen schienen.

Vier bis fünf Männer redeten dort oben durcheinander.

»Leute, ich hab' euch doch gegeben, was ich hatte – nun geduldet euch noch die paar Tage – ihr wißt ja, was ich inzwischen selbst alles durchmachen mußte – eine kleine Weile, dann ist ja alles wieder ins gleiche gebracht. – Nicht wahr?«

»Ja Herr, wir haben ja auch Vertrauen zu Sie, aber bei uns zu Haus sieht's auch man mager aus.«

»I ne wir wollen Ihnen nicht drängen ne – dat tun wir nich –«

»Ne Herr Wilms, Sie sind ja auch immer gut zu uns gewesen, und werden's woll jetzt allein nich so haben, – bloß Frau und Kinners –«

»Man kann sie doch nich hungern lassen, Herr.«

Einen Augenblick trat Stille ein. Die Männer schienen stehen geblieben zu sein, und die Lauscherin vernahm wieder, wie der Wind durch das Heidekraut strich. Dann sagte der Pächter mit seiner tiefen treuherzigen Stimme: »Kommt morgen abend zu mir, Leute, dann sollt ihr bestimmt euer Geld bekommen – so oder so.« Und in festerem Tone setzte er hinzu: »Und jetzt geht wieder an eure Arbeit.«

»Na, dann bedanken wir uns auch vielmals, Herr. Adjüs!«

»Guten Morgen.«

Man hörte, wie sich die Tagelöhner entfernten, und etwas später bemerkte Hedwig, daß schwere Tritte den Hohlweg herabknirschten.

Jetzt mußte er kommen. Unwillkürlich trat das Mädchen hinter den Dornenbusch zurück, als wollte sie den Nahenden ungestört vorüberlassen.

Auch der Pächter hatte keine Ahnung von der Nähe eines fremden Wesens, das ihn und seine Qual erforschen könnte, sonst würde er sicherlich schnell vorübergeschritten sein; so aber hielt er an der tiefsten Stelle des Weges an, senkte den Kopf auf die Brust und preßte mit einer müden, schlaffen Bewegung die Hand gegen die Stirn.

Es lag soviel Müdigkeit darin, soviel verschlossenes Weh.

Jedoch kein Stöhnen quoll über die geschlossenen Lippen, lautlos, ohne Wort verharrte die große Gestalt, es war ein Trauern, das man mit sich und mit Gott allein abmacht, versteckt und geschützt durch die Einsamkeit.

Kein fremdes Auge darf dergleichen erspähen.

Mit ihren kühlen, scharfen Blicken hatte Wilms' Schwägerin dies alles erfaßt, nun sah sie, wie sich der Pächter die graue Forstjoppe strammer zog, die Inspektormütze zurechtrückte und festen Schrittes weiterging.

Gott sei Dank. Es war auch besser so.

Bald mußte er verschwunden sein.

Und doch – ihr Geschick zwang sie plötzlich, sich fast gegen ihren Willen in das Schicksal dieses Mannes einzumischen.

Schon hatte er die höher gelegene Ebene erreicht.

Ein Stein löste sich von der Böschung, wo das Mädchen stand, und rollte mit Gepolter in den Hohlweg hinab.

Wilms wandte sich ruckartig zurück.

Täuschte er sich denn nicht? Das junge, elegant gekleidete Weib dort unten war wirklich – ja es war Hedwig, sie mußte ihn schon früher überrascht haben.

Die Züge des Pächters verzerrten sich, etwas Brutales stieg in ihnen auf, und die Äderchen in seinen Augen wurden blutig.

»Wie kommst du dorthin?«

»Ich?« – sie schlenkerte nachlässig den Schirm und kam näher – »ich ging ein bißchen spazieren.«

»Warum bliebst du denn nicht bei Else?«

»Weil ich es nicht länger aushielt – das Wachen, glaube ich, hat mich zu sehr angestrengt.«

Wilms brach los: »Und nun gehst du hier so – so – was machst du denn eigentlich hier?«

Er hatte sich vorgebeugt, seine Lippen bebten.

Aber in dem Mädchen war plötzlich etwas geweckt, etwas vor dem sie sich selbst graute, und an das sie vorhin so stark gedacht hatte.

Ganz nahe trat sie an den aufgeregten Mann heran und warf ihm einen einzigen Blick zu: »Ich sagte ja, ich gehe spazieren,« kam es scharf und trotzig hervor.

Ihre Fäuste in dem zarten Glacéleder ballten sich, ihr Körper zuckte.

Im Moment glich sie einer Katze, die sich zum Sprung anschickt. Aus ihren blitzenden Augen leuchtete die Lust, mit ihrem Bedränger zu ringen. Brust an Brust. Um irgend etwas Unerkanntes – Kostbares – um sich selbst.

Das alles war dem rohen, gutmütigen Bauer so neu, so unfaßbar, daß er das im Zorn bebende Geschöpf vor ihm minutenlang kopfschüttelnd anstarrte.

»Was willst du eigentlich von mir?« murmelte er endlich verständnislos.

»Ich?«

Sie erwachte plötzlich wie aus einem wohltuenden Traume und eine brennende Röte jagte über ihre Züge.

Beide starrten sich noch immer, wie aus allen Himmeln gefallen, an. Langsam ließ das Mädchen den erhobenen Schirm niedergleiten und richtete sich straff auf.

Ein verächtlicher Zug flog um ihre frischen Lippen.

Es war wohl ihr Schicksal, überall mit den Männern im wirklichen, körperlichen Kampfe streiten zu müssen. Dieser da schien ihr wenigstens nicht gefährlich.

»Ich wollte einmal mit dir über deine Verhältnisse sprechen,« begann sie kurz und herb.

Er stand so groß und kräftig, und doch so ungeschickt vor ihr.

O, wie sie es reizte, diesen ungebärdigen Riesen ihre Macht fühlen zu lassen.

»Über meine Verhältnisse?« wiederholte der Pächter, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.

»Da hast du also vorhin alles mit angehört, wirklich alles?«

»Ja, ich weiß, daß du dich in Geldverlegenheit befindest.«

Eine Sekunde noch dauerte das peinliche Schweigen, die Brust des Mannes hob und senkte sich, als wollte sie etwas von sich abwälzen, den Kopf schob er stierartig vor, die Zähne knirschten mechanisch übereinander.

Dann stürzte es aus ihm heraus.

»Und du – – was hast du dich da rein zu mischen, du freche Dirn? – – – Was geht dich das alles überhaupt an? Nein, nein, du mußt fort, – aus dem Haus – heute noch.«

Schrie und brüllte er dem Mädchen wirklich all diese Schmähungen ins Gesicht? Nein, ach nein, matt und schmerzhaft stachen ihm die Worte nur durchs Gehirn, über die halbgeöffneten Lippen aber quoll dumpf und heiser:

»Was geht dich das an? – Was soll das alles? Wozu drängst du dich in meine Angelegenheiten? Was?«

»Wozu? – Weil ich mir Klarheit über die Menschen verschaffen will, bei denen ich von jetzt an leben soll.«

»Willst – du denn wirklich bei uns bleiben? – Hedwig – aber – aber du – du paßt ja gar nicht hierher, du taugst nicht in so viel Traurigkeit – du solltest lieber wieder gehen.«

Unwillkürlich hatten beide den Weg von neuem aufgenommen und schritten nebeneinander über die leere Heide.

Der Mann in sich zusammengesunken, das Mädchen schlank aufgerichtet und geschmeidig, von Zeit zu Zeit einen prüfenden Blick auf den Begleiter heftend.

Und wieder sagte er eindringlich vor sich hin: »Ja, ja, du solltest gehen.«

Da faßte Hedwig seinen Arm und legte den ihrigen hinein.

Es waren die Bewegung und die Manier, wie sie sie drüben in der aristokratischen Tanzstunde in der alten Hansastadt gelernt hatte.

Stirnrunzelnd ließ es Wilms geschehen, innerlich jedoch empörte ihn dies elegante Gebaren, obgleich es sich leicht und anmutig genug ausnahm.

»Schwager, hast du eigentlich etwas gegen mich?« fragte sie plötzlich und ließ ihre klugen braunen Augen fest auf ihm ruhen.

Ihr Arm drückte noch gegen den seinen, so daß sie sein Erschrecken merken mußte. Den ehrlichen Mann brachte die Lüge, die nun gebraucht werden sollte, in gänzliche Verwirrung.

»Ich – nein, – was denkst du, – ich habe nichts gegen dich.«

»Und Else?«

»Meine arme Frau wohl auch nichts – bloß –«

Er stockte und über seine offnen Züge breitete sich wieder jene große Verlegenheit.

»Bloß – nun also?«

»Nun, du bist uns wohl nur zu sehr überlegen« – stammelte er. »Du hast soviel Bildung genossen – drüben in der feinen Pension – Else und ich, wir sind doch nur einfache Leute. Und dann meine schmalen Einkünfte, du hast es ja selbst gehört, das wird dir doch auf die Dauer nicht gefallen.«

Sie schmiegte sich an ihn, bis er fast ihre weichen Glieder fühlen konnte, und flüsterte rasch und mit einem Ausdruck der Teilnahme: »Aber ich möchte ja so gern meine Kräfte für euch einsetzen, ich bin stark, Schwager, und möchte euch gern helfen.«

»Wirklich?« fuhr er auf und wandte sich voll zu ihr. »Das willst du in der Tat?«

Sie nickte und sah ihn ernst an. »Und wieder ein bißchen Ruhe und Gemütlichkeit bei euch verbreiten. Das fehlt doch bei dir?«

Der Pächter entgegnete nichts, aber er seufzte tief auf und schaute in sich gekehrt auf den Waldessaum, dem sie jetzt zustrebten.

Hedwig aber hing sich fester an ihn und fuhr interessiert fort:

»Früher warst du doch selbst gewiß viel heiterer?«

»Ja früher« – wiederholte der Landmann, tief Atem holend – »früher – da mag's wohl so gewesen sein. Damals waren wir noch guter Dinge. Da ging ich auch oft mit Else über das Feld – –«

»Wie jetzt?« warf sie rasch dazwischen.

Wilms ließ einen scheuen Blick über sie fortgleiten und löste seinen Arm ungeschickt von dem ihren. »Ja, mein Kind, beinahe so,« äußerte er gedrückt. Und nach einer Pause setzte er fast abfällig hinzu: »Du siehst ihr eigentlich gar nicht ähnlich.«

»Nein,« bestätigte seine Begleiterin.

Es klang scharf und herb.

Wortlos schlugen die beiden nebeneinander den Waldpfad ein.

Es war ein weitgedehntes Kieferngehölz, mit regelmäßig ausgehauenen Wegen, die schnurgerade wie schmale Chausseen den Wald durchschnitten und sich in Dämmerung zu verlieren schienen.

Die Wipfel der Bäume waren in helles Sonnenlicht getaucht und wiegten sich in dem leisen Luftzug hin und her. Ein starker Harzgeruch entquoll den Stämmen. Von fern hörte man das eintönige Geräusch der fällenden Axt. Und laut und stark schrie ein Häher in der Luft.

Die beiden einander so fremden Menschen waren schon weit in den einsamen, schlummernden Wald eingedrungen, da begann Hedwig unvermutet von neuem das Gespräch. Ihre Gestalt richtete sich dabei auf, die dunklen Augenbrauen hatten sich zusammengezogen, ihr ganzes Wesen schien von einem festen Entschluß beherrscht zu sein.

»Wohin gehst du jetzt?« forschte sie kurz.

Und gerade diesen Ton konnte der Landmann nicht vertragen. Mißmutig schüttelte er den Kopf und schien nichts vernommen zu haben.

Sie blieb plötzlich stehen.

Er wandte sich unwillig zurück und winkte, aber sie rührte sich nicht von der Stelle.

In dem enganliegenden Jäckchen, dem modischen Hut und ihrem blühenden Gesicht darunter, nahm sie sich seltsam aus zwischen den hohen, uralten Kiefern.

»Wohin du gehst, möchte ich wissen?«

Und merkwürdig, ihr Blick traf so fest und ernst den seinen, sie standen sich wieder so dicht gegenüber, daß es dem Manne peinlich wurde.

»Zum Förster,« gab er nach, und unwillkürlich murmelte er hinzu: »Ich will ihm Heu verkaufen.«

»Du brauchst das Geld wohl für die Tagelöhner von vorhin. Nicht wahr?«

Wie sie das riet. Wie praktisch das Mädchen dachte, es tat dem leidenden Manne ordentlich wohl, daß sie das Rechte getroffen.

»Ja, ja,« brachte er voller Angst hervor, »wenn er es nur kaufen möchte.«

Um die frischen, etwas aufgeworfenen Lippen des Mädchens glitt ein hochmütiger Zug. »Er wird schon,« entgegnete sie bestimmt, »hat er eine Frau?«

»Ja, jung verheiratet.«

»Gut, dann werde ich mitgehen und die Frau zu bestimmen suchen.

»Ach ja, Hedwig, das wäre – sehr schön – von dir –« stotterte er mit niedergeschlagenen Augen.

Ein heißes Gefühl stieg in ihm auf, etwas wie Dankbarkeit, etwas wie die Lust, sich anzuschließen an ein Wesen, das ihm helfen wollte. Und doch – große Schweißtropfen der Scham perlten ihm dabei auf der Stirn. Sie bemerkte es und bat ihn, ihr den Weg zu zeigen. Ohne Widerspruch ließ er es geschehen, daß sie ihren Arm unter den seinen legte, und eilte mit ihr dann stürmisch in ungewöhnlicher Hast vorwärts.

Ihre Kleider flatterten dabei, durch ihre Wangen ebbte das Blut, er sah sie an und merkte, wie ihre Brust sich beschleunigt hob, ihr Atem strömte ihm frisch entgegen.

Oh, sie war vielleicht doch die treue Gehilfin, die er suchte, die Schwester seines armen, geliebten Weibes, die ihm Trost bringen wollte.

Wie jugendfrisch und kräftig sie war.

»Hedwig, du fragtest vorhin – – –«

»Nach deinen Verhältnissen, ja.«

»Ich – ich – Hedwig – wenn ich nur Vertrauen – –«

Und dann wurde die Sehnsucht, sich mitzuteilen, übermächtig. Er vergaß, wer sie war, er ergriff ihre Hand, wie die eines anderen Mannes, und mit stammelnden stockenden Worten, dann aber mit dem tiefen Gemüt dieser verschlossenen Seele offenbarte er sich, entlastete er sich von dem überschweren Druck, schüttete er all sein Weh vor dem schönen Mädchen aus.

Und wahrlich, sie war schön.

Denn während er sprach, hob sich ihre Gestalt, ihre Glieder schienen sich zu dehnen, üppiger zu werden, und während er von der rückständigen Pacht erzählte, von der achttägigen Frist, die ihm der Handelsmann in Grimmen gelassen, von seiner vollständigen Zerrüttung, da war es, als ob sie mit gieriger Lust all diese Mühsal auf ihre Schultern zöge, um sie fortan allein und ungebeugt zu tragen. Als Wilms geendet hatte, sah er sie an und erschrak.

Ihre Augen hingen an den seinen. Im Feuer seiner Erzählung hatte er sie an sich gepreßt, als ob er sie umfangen wollte.

Entsetzt, erwachend, fuhr er zurück.

»Dort – dort ist das Forsthaus,« stammelte er.


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