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5. Hausmütterchen.

So war es denn plötzlich um vieles stiller geworden in dem kleinen Häuschen an der Wilhelmshöher Allee; dafür aber wieder behaglich. Ja, wenn die Mutter nicht krank und manches außerdem anders gewesen wäre, dann würde wohl auch die frühere sonnige Heiterkeit wiedergekehrt sein. Das konnte aber doch nur mit der Zeit kommen.

Gewiß, Martha in ihrer Unerfahrenheit und Jugend vermochte nicht gleich den Aufgaben, die sie übernommen hatte, gerecht zu werden. Sie brachte aber den Willen und die Liebe mit, und damit reift das Können auch hier.

Vor allem verstand sie sich gut mit Dörthe zu stellen. Sie berieten zusammen alles, was in das Bereich des Haushaltes gehörte. Martha fügte sich gern den Anordnungen des braven, auch ganz gut geschulten Mädchens. Und wenn beide sich einmal keinen Rat wußten, dann wurde er bei Frau Steinbach geholt, die sich in echt nachbarlicher Treue erboten hatte, ihnen mit Wort und Tat zur Seite zu stehen.

Küche und Haus blieben Dörthes Reich; wenn ihr aber die Arbeit zu viel wurde, sprang Martha helfend ein. So ging der Haushalt wie am Schnürchen, jedermann kam zu seinem Recht. Auch Vater Wernau, der jetzt noch mehr Stunden gab als früher, um alle die neuen Auslagen zu bestreiten, und oft müde nach Hause kam, empfand es stets wohltuend, ein gut gelüftetes, gut geordnetes Zimmer und gut bereitetes Essen zu finden.

Marthas hauptsächlichste Sorge galt den Geschwistern. Auch Hänschen ging jetzt bereits zur Schule. Lizzi Steinbach nahm den Kleinen jeden Morgen mit und lieferte ihn am Mittag wieder ab.

Dann sorgte Martha für die Kleinen, saß bei ihnen, spielte mit ihnen oder ging mit ihnen an die Luft, bei welchem allem Hänschen, wenn wieder von der Schule zurück, nur zu gern mittat. Die Kinder gediehen prächtig, sie waren artig, und jede Unart, die sich Lieselotte und Hänschen so unter der Hand, da sich niemand recht eigentlich um sie hatte kümmern können, angewöhnt hatten, war bald wieder vergessen.

Kam dann Max am Spätnachmittag nach Haus, so gehörte ihm Marthas Zeit.

Ein gutes Vesperbrot mit Butter oder Mus wartete sein, dem er dann auch mit dem Appetit seiner Jahre alle Ehre erwies. Auf seinem Arbeitstisch standen ein paar Blumen oder auch nur ein frisches Grün, was der Knabe mit seinem schönheitsseligen Künstlerherzen wohltuend empfand.

Meist setzte sich Martha zu ihm in das Zimmer oder auch nebenan mit einer leichten Handarbeit, und wenn es nur ein Strümpfchen oder ein Strumpf war, den sie stopfte. Es war erstaunlich, wie viele Strümpfe in diesem Hause zerrissen wurden!

Martha interessierte sich für des Bruders Arbeit. Sie wolle mit ihm lernen, meinte sie, es würde ihr gut tun, denn im Grunde gehöre sie doch noch in die Schule. –

Und so kam es ganz von selbst, daß er ihr seine Aufsätze vorlas, zuweilen auch, ehe er an die Arbeit ging, dieselbe mit ihr durchsprach und sich freute, wenn sie ihn verstand. Lernte er Geschichte und Literatur, so fragte sie auch hier dann und wann. Er konnte dem Fragen dieser Schwester nicht böse werden, bemühte sich vielmehr, ihr alles klarzulegen und merkte fröhlich, wie er selbst dabei erst richtig zum Erlernen seiner Aufgabe kam.

Natürlich konnte sich Martha nicht an allem beteiligen, aber sie war da, ihre Nähe machte ihm die Sache gemütlicher. Er merkte wohl, wie sie den glatten Versen des Horaz, den volltönenden Lauten des Homer mit Freuden lauschte, und las oder lernte sie dann doppelt so gern.

Sie war da. Und das war das beste. Denn es gab doch auch Stunden, wo er, trotz alledem, am liebsten den ganzen Krempel gelassen hätte, bitter ungeduldig über einer mathematischen Aufgabe brütete – und am Aufspringen war. Dann sah ihn Martha an mit bittendem Blick. Er dachte an die Tränen, die er in den lieben blauen Augen gesehen, fuhr sich durch das lange Haar – und hielt aus. – –

Hatte Max einmal einen freien Nachmittag, dann lud er ganz gewiß die Schwester zu einem schönen Gang ein. Meistens statteten sie dabei der Mutter einen Besuch ab. An schönen Sommerabenden gesellte sich wohl auch Vater Wernau zu seinen beiden Ältesten, und sie machten noch einen kleinen Dauermarsch über die Wilhelmshöhe. Dabei lernte er nun seinen Jungen noch besser kennen und sich an ihm freuen, zumal ihm dessen Lehrer versicherten, daß er mit einemmal ein ganz anderer geworden sei und jetzt der Beste in der Klasse wäre.

Auch von Paula liefen im ganzen befriedigende Nachrichten ein. Mit ihrer sprühenden Lebhaftigkeit schimpfte sie wohl in den ersten Zeilen über die Pension, das Haus werde unordentlich gehalten, das Essen sei schlecht; aber es sollte hier überall so sein. –

Nun, man mußte sich also zufriedengeben. Und dann, es war doch herrlich, die Musik, die Konzerte, die Kameradinnen, die Stunden! Sie kam vorwärts, die Lehrer waren zufrieden, eine große Zukunft sei ihr gewiß.

Wenn Martha solch einen Brief gelesen, dann konnte es doch geschehen, daß ein feuchter Schimmer in ihre lieben, guten Augen trat. Aber sie hatte jetzt an anderes zu denken. Flugs eilte sie in die Küche zu Dörthe, und Dörthe mußte einen Kuchen backen, nur einfach, aber recht groß. Sie selbst kaufte ein paar Würste, und am selben Abend noch dampften Kuchen und Würste ab nach Berlin.

So ging die Zeit um.

An Weihnachten kam die Mutter zurück.

Ihre Kur war beendet. Die Kräfte hatten sich gehoben, man durfte wenigstens auf Besserung hoffen. Einstweilen freilich blieb jede Arbeit noch unmöglich, konnte nur von Schonung, Ruhe und Pflege die Rede sein.

Auf diese Weise schien ihre Aufgabe von täglichen Leistungen für Martha im Grunde noch größer geworden.

Doch die Mutter war nahe, das war ein Glück! Hatte Max jetzt eine freie Stunde, saßen sie zusammen bei ihr. Er las vor aus einem guten Buch, das war herrlich! Zuweilen auch erschienen nachbarliche Freunde zu einem heiteren Plauderstündchen. Das tat so gut! –

Als der Frühling ins Land kam und Ostern mitbrachte, wurde Max als Erster versetzt. Darüber herrschte große Freude.

Martha durfte ihm am anderen Tage schon eine große Mappe mit Karton und Pappe, dazu einen Kasten mit Zeichen- und Malutensilien auf seinen Arbeitstisch legen.

»Aber nur mit Maß, Mäxchen,« bat sie dabei, »ich bin Bürge geworden für dich.«

Freudestrahlend blickte er auf die Gabe nieder. Bald jedoch ging ein Zittern durch seine Glieder, lief ein Zucken über sein Gesicht. Er kämpfte, kämpfte schwer mit sich:

»Lieber nicht,« erklärte er dann entschlossen, während seine Hand zärtlich über die geliebten Dinge hinstrich, »lieber nicht – es würde mir zu schwer werden –« Er brach ab.

Martha aber verstand, was er zu sagen sich scheute; verstand sein Empfinden; war sie doch auch nicht zu bewegen, ein Konzert zu hören oder ihre Geige nur einmal singen zu lassen, damit es ihr nicht noch schwerer werden sollte, zu entbehren, was sie nun einmal für immer aufgegeben hatte.

Sie nickte und reichte dem Bruder die Hand. Ohne Worte wußten sie beide, wie eines mit dem andern empfand; wie wert eines dem andern geworden war und was eins dem andern fein wollte und schuldete.


Und so verging abermals ein Jahr in ernstem Streben und Mühen, in Leid und Lust, Sorgen, Wünschen und Hoffen in dem kleinen Häuschen an der Wilhelmshöher Allee.

Wieder kam Ostern ins Land, und Max wurde als Erster nach Prima versetzt und kam mit einem glänzenden Zeugnis und der Berechtigung zum Einjährigen nach Hause.

Und wieder war der Jubel groß.

Vater Wernau, der sich mittlerweile überzeugt hatte, daß doch ein guter Kern in seinem Jungen steckte, und wie er tüchtig sein konnte auch auf anderem Gebiete, wenn es sein mußte, glaubte jetzt, seiner Liebe und seinem Talent zur Kunst nachgeben zu dürfen.

»Was meinst du,« fragte er ihn eines Tages, »wenn du von nun an das Gymnasium mit der Akademie vertauschen würdest?«

Max wußte erst gar nicht, was er dazu sagen sollte. Dann aber, als er begriffen, daß es dem Vater Ernst war mit diesen Worten, kannte seine Freude keine Grenzen. Er umarmte den Vater, die Mutter, wer ihm in den Weg kam, und schwenkte Klein-Anni hoch in die Luft über seinen Kopf. Sogar der Hund des Hauses kriegte einen Freudenklaps ab. Als dann endlich Martha hereintrat, faßte er sie an den Händen und wirbelte mit ihr singend und pfeifend im Kreise herum.

Und Martha lächelte, die Eltern lächelten, und die Kleinen schrien lustig dazwischen.

Daß Max auf gutem Wege blieb, darum brauchte jetzt niemand mehr Sorge zu tragen. Er war nicht nur der begabteste unter den Schülern der Akademie, er wurde auch der fleißigste und tüchtigste dort.

Ebenso behauptete er sich aber auch als guter Sohn und liebenswürdiger Bruder.

Hier ließ er es sich angelegen sein, daß die Schwester nun wieder mal ›rauskam‹, wie er es in seiner nunmehr wiedergewonnenen Laune bezeichnete.

Er nahm sie mit zu den Landpartien, auch wohl einmal zu einer kleinen Unterhaltung im Freundeskreis, und sorgte dafür, daß im Hause ab und zu auch einmal junge Leute vergnügt sein konnten.

Die meiste Zeit freilich blieb doch auch hier den Studien gewidmet. Selbst wenn er bei der Mutter saß, führte seine Hand gern den Stift. Die Eltern, die Geschwister, Dörthe, was in den Bereich seiner Augen kam, ergaben ein gern gesehenes Modell, vor allem wurde er nie müde, das feine Köpfchen, die weichen Züge, die ganze Anmut der geliebten Schwester in stets neuer Weise auf den Karton zu bannen. Manche dieser Zeichnungen wanderten dann zu Paula, die inzwischen einmal ein paar Tage bei ihnen gewesen war und nun stets mit sehr vergnügtem Dank den Empfang solches Geschenks bestätigte.

Ihr ging es gut. Sie kam rasch vorwärts, freute sich aber nicht minder, wenn allmonatlich immer noch der gewohnte Kuchen und die Würste eintrafen. Arbeit macht Appetit!

So gestalteten sich jetzt die Verhältnisse in dem kleinen Häuschen an der Wilhelmshöher Allee immer heiterer. Mutter Wernau genas mehr und mehr, Martha fand nach und nach ihre sonnig kindliche Heiterkeit wieder.

Zuletzt widerstrebte sie nicht länger und begleitete eines Abends den Vater in das Abonnementskonzert, um einen großen Geiger zu hören.

Und nun gingen die Töne doch wieder mit ihr, eine Melodie nach der anderen nahm sie in ihren Bann. Sie summte sie leise für sich hin beim Schalten und Walten im Hause, wenn sie vor dem Nähtisch saß – und weiter – –

»Wie wär's, wenn wir wieder mal die Musik aufnähmen?« fragte der Vater, der ihr Tun mit Vergnügen bemerkte.

Zuerst kriegte die arme Martha keinen kleinen Schrecken und wollte rufen: »Nie!«

Doch, sie hatte sich fügen gelernt in den schweren Jahren und meinte jetzt, es müsse doch köstlich sein, die geliebte Geige wieder an der Wange zu fühlen, den Bogen zu führen, und in den Tönen alles erklingen zu lassen, was ihr das Herz bewegte. – Sie war nun mal Hausmütterchen geworden und sagte bescheiden:

»Wenn du meinst, Vater! So für den Hausgebrauch!«

Und der Vater lächelte und nickte. Dann lächelte er nochmals, sagte aber nicht, warum. Er dachte, es könne nun doch noch anders kommen, wollte aber sein Kind nicht mit Gedanken beunruhigen, die möglicherweise abermals unausführbar blieben.

* * *

Und wieder verging die Zeit! – –

Paula hatte schon länger das Konservatorium verlassen, um bei einer berühmten Größe weiterzustudieren. Sie bereitete sich auf ihr erstes großes Konzert vor.

Auch Max hatte die Akademie durchgemacht und studierte einstweilen noch unter der Leitung eines der Lehrer dort.

Eben dachte er über ein Motiv nach zu einem Bilde für die nächste Ausstellung der Schüler. Und es war gar nicht leicht, etwas passendes zu finden. Denn es sollte etwas Ausgezeichnetes werden.

Ein reicher Liebhaber und Beschützer der Kunst hatte für das beste Bild 3000 Mark ausgesetzt, die dessen Meister zu einer Studienreise übergeben werden sollten.

Max wollte selbstverständlich den Preis gewinnen. So ging er denn unruhig hin und her und sann und suchte – und suchte und sann. –

Da, eines Morgens kam eine große Schachtel an von Berlin, schon von außen umströmt von herrlich zartem Duft. Das Konzert war vorüber! Paula hatte gespielt, mit glänzendem, durchschlagendem Erfolg bei der Kritik, sie hatte sich allgemeinen Beifall und reiche Blumenspenden aus den Kreisen des Publikums erworben.

Und Paula hatte zwar ihre ersten Blumen Klein-Anni versprochen, aber sie meinte, daß die doch Schwester Martha gebührten, und daß Klein-Anni nichts dagegen haben würde, dieselben mit Schokolade zu vertauschen.

Eine große, große Tüte mit Pralinen und anderen guten Dingen fand sich denn auch unter den Rosen, dem Flieder versteckt, die frisch und schön wie eben vom Baum gepflückt aus der geöffneten Schachtel hervorleuchteten.

Klein-Anni aber sollte mit den Geschwistern teilen, sollte sich beizeiten daran gewöhnen, daß geteilte Freude doppelte Freude ist!

Dann zum Schluß fügte Paula noch schnell hinzu, daß man ihr soeben eine Anstellung für eine Konzertrundreise angeboten habe, und zwar unter recht günstigen Bedingungen, die sie hinausführte in die Welt, der Ehre und dem Ruhme entgegen, und daß sie alle mit teilhaben sollten an ihrem Glück.

Das war ja nun wieder eine große Freude für das kleine Häuschen an der Wilhelmshöher Allee.

Ohne daß sie es wußte, flog dennoch ein Schatten über Marthas liebliches Gesicht, alte Erinnerungen, frühere Wünsche wurden wach.

Max nur bemerkte ihn, den Schatten.

»Hausmütterchen,« tröstete er, weniger geschickt, als aus gutem Herzen, »härme dich nicht, auch du sollst in die Welt kommen mit Ruhm, und zwar durch mich.«

»Dummer Junge!« Martha lächelte schon wieder. Der Ruhm war ihre kleinste Sorge.

»Hast recht,« rief er fröhlich, meinte aber etwas ganz anderes damit als sie – dann tippte er sich vor die Stirn.

»Willst du immer weiter schweifen,
Und das Gute liegt so nah;
Lerne nur das Glück ergreifen,
Und das Glück ist immer da.«

Und von dem Tage an wirtschaftete der ›Herr Max‹, nach Dörthes Worten, ganz merkwürdig in seinem Zimmer herum.

Er wollte es zu einem Atelier entrichten, dachte aber nicht mehr wie einst an Gobeline, alte Waffen und dergleichen. Ein Stück Vorhang genügte, um die richtige Beleuchtung zu erhalten, und eine Staffelei, die eine Leinwand trug, um zu schaffen.

Dafür schleppte er aber, gleichfalls nach Dörthe, für Geld und gute Worte allen möglichen ›Trödel‹ in sein Atelier, sogar kleine Kinder wollte er herbeibringen aus dem Dorf. Was das nur bedeutete?

Niemand wußte es, nur Martha durfte hinein und die Kinder, und diese blieben dann oft stundenlang drin. Sie sagten aber nichts, es sollte eine Überraschung geben.

Endlich war es denn so weit. Die verbotene Tür öffnete sich.

Da prangte inmitten des Zimmers auf der Staffelei, umstanden von hübschen, grünen Topfpflanzen, mit denen Martha des Bruders Erstlingswerk geehrt, ein mächtig großes Bild.

Gewiß, daß an manchen technischen Kleinigkeiten noch die Hand eines Anfängers zu erkennen war, eines Anfängers jedoch, der ein Meister werden würde. –

Die Szene hier schien auf einer Veranda oder in einer Halle gedacht. Dafür sprach die Steinsäule auf der linken Seite, von wildem Wein umrankt, die graue Steinwand im Hintergrund.

In der Mitte des Bildes stand ein Tisch. Neben demselben nach rechts saß eine junge Frau mit einem noch recht jungen Kindchen aus den Knien, etwas hinter ihr und zugleich zwischen dem kleinen Mädchen, das an dem Tische saß, stand ein hübscher Knabe. Das kleine Mädchen, die älteste unter den Geschwistern wohl, schien sich in ihren ersten hauswirtschaftlichen Leistungen unter der mütterlichen Leitung zu versuchen. Sie pflückte prächtig glänzende schwarze Kirschen von den Stielen in eine Schale, vielleicht zu einem Kuchen. Denn sehr vergnügt schaute sie dabei aus. Der Knabe ließ an bunter Leine einen roten Ballon tanzen, zum Ergötzen des Nesthäkchens auf der Mutter Schoß, das in heller Freude mit den dicken Händchen danach griff, während sich im Vordergrund, vor dem Tisch auf dem Teppich, ein anderes kleines Brüderchen befand, welches wahrscheinlich Fuhrmann gespielt hatte. Denn allerlei Geschirr, Kisten und Ballen lagen am Boden verstreut. Dabei schien denn ein kleiner Unfall passiert zu sein, das Pferd hatte sich aus der Deichsel gelöst. Doch der kleine Fuhrmann war nicht eben betrübt darüber. In der einen Hand den Wagen, in der anderen das Pferdchen, trabte er vergnüglich nach seiner Mutter hin; wußte er doch ganz gewiß, daß die auch hier helfen würde!

Geschickt war die Anordnung der Figuren, geschickt auch ihre Kostüme gewählt, von dem Samtrock und dem weißen großen Spitzenkragen des hübschen Knaben hinter der jungen Frau, bis zu deren blauem Gewand von altdeutschem Schnitt und dem Schlüsselbund an lang von den Hüften herabhängender, blinkender Kette.

Köstlich frisch war das Leben der Kinder wiedergegeben, vor allem aber anmutend die junge Frau selbst, das feine Köpfchen mit dem Häubchen von Goldbrokat auf dem welligen Blondhaar, den weichen Zügen in ihrer zarten Frische, dem gütigen Lächeln um den kleinen roten Mund, dem Blick voll Liebe und Treue in den schönen Augen, der Liebe und Treue, mit der sie schaltete in dem kleinen Kreis, der Liebe und Treue, die alle hier gedeihen ließ in sonniger Heiterkeit und liebevoller Gemeinsamkeit.

Dieses alles zum Ausdruck zu bringen, war dem Künstler vorzüglich gelungen. Ja, um alle Herzen zu gewinnen, hätte Max wahrlich kein besseres Motiv wählen können für sein Bild, als Hausmütterchen, wie es ja nun auch in großen, goldenen Lettern unten in dem Rahmen, zu dem Paula ihre erste Einnahme gespendet hatte, angebracht war. Er hätte aber auch kein besseres Modell für sein Hausmütterchen finden können als Martha; hatte sie ihm doch die Anregung dafür gegeben.

Nach wohl gebührender Verwunderung und Bewunderung, an der sich denn auch die nachbarlichen Freunde aus der Allee beteiligten, wurde das Bild auf die Ausstellung geschickt – und bekam den Preis! –

»Hausmütterchen, auch das dank' ich dir!«

Jubelnd kam Max mit der Nachricht nach Hause. »Und in ein paar Wochen geht es hinaus in die weite Welt!«

Wie er es gerne tat, wollte er auch eben die Schwester im Überschwang der Freude im Kreise herumdrehen.

»Hausmütterchen,« sagte er statt dessen plötzlich mit schönem Ernst, »ja, was danke ich dir nicht alles? Wie anders stünde es heute um mich ohne dich! – Könnte ich dir es je vergelten!«

Davon wollte Hausmütterchen jedoch nichts wissen: »Bleib brav, werde tüchtig!« Sie lächelte vergnügt.

»Das versteht sich von selbst,« gab er zurück.

Nun hatte sich Max aber außer dem Preis noch etwas anderes mit seinem Bilde erworben, nämlich einen neuen Freund: Herrn Friedrich Lehmann, Großkaufmann aus Köln.

Ihm hatte das Bild so gut gefallen, daß er die Bekanntschaft des jungen Malers gesucht; dann hatten die jungen Leute selbst aneinander Gefallen gefunden, und Max brachte Herrn Friedrich Lehmann eines Tages mit in das Elternhaus.

Und nun schien es abermals Herrn Friedrich Lehmann, ob er auch, als Sohn eines reichen Kaufherrn, an recht viel Luxus gewohnt war, doch in dem kleinen Häuschen an der Wilhelmshöher Allee über die Maßen zu gefallen. Er kam oft, immer öfter.

Und es schien, auch er hatte Gnade hier vor aller Augen gefunden. Denn wie oft er kam, stets wurde er freundlich empfangen.

Selbst die Kinder strebten ihm fröhlich entgegen, wobei allerdings gesagt werden muß, daß, wie er in der Tat liebenswürdig mit ihnen war, er auch ihren Neigungen Rechnung zu tragen verstand, indem er ihnen manch liebes Mal eine Schachtel Pralinen und eine Tüte Bonbons zu verehren pflegte.

Ja, sie mochten ihn alle gern. Martha wurde sogar jetzt manchmal rot und röter, wenn er kam. Wahrscheinlich doch auch nur aus Vergnügen!

So verweilte denn Herr Friedrich Lehmann mehr und mehr manch lieben Nachmittag bis zum Übend bei Wernaus in heiterem Plaudern oder auch in ernstem Gespräch. Zuweilen wurde auch musiziert.

Da sich die Verhältnisse so überraschend schnell wieder günstig gestaltet hatten, die Mutter mittlerweile wieder ganz gesund geworden war, stand der musikalischen Ausbildung Marthas nichts mehr im Wege, und sie hätte ihre Studien jetzt nur zu gern wieder ausgenommen.

So verging der Sommer, es wurde Zeit für Herrn Friedrich Lehmann, nach Köln zurückzukehren.

Da faßte er sich denn eines Tages Mut und fragte Martha, ob sie sich wohl entschließen könne, der Künstlerlaufbahn zu entsagen und seine Frau, sein Hausmütterchen zu werden. –

Und merkwürdig, ob ihr auch der Vater just am heutigen Morgen gesagt, daß sie doch noch sehr tüchtig werden würde – diesmal legte sie ohne jeden Kampf die geliebte Geige, auf der sie eben Herrn Lehmann etwas vorgespielt hatte, aus der Hand und dafür ihre Hand in die seine und sagte ein fröhliches und entschlossenes Ja!«

* * *

So ist denn aus dem jungen Mädchen mit dem Künstlerherzen wirklich doch nur ein Hausmütterchen geworden. Sie aber trauert nicht darum, denn dies Künstlerherz schlägt in der Brust einer echten Frau.

Gewiß, daß sie es dankbar empfindet, wenn Max und Schwester Paula, die jeden Sommer ein paar Wochen in der schönen Villa zu Köln am Rhein verbringen, nimmer müde werden, zu versichern, daß sie ohne Schwester Martha nicht geworden wären, was sie sind, daß ihr einstiges Opfer nun gerade der Kunst zugute gekommen ist! –

Gewiß auch, daß sie gern hinhorcht, daß ihre Wangen glühen und ihr Herz hochschlägt in Entzücken, wenn die beiden nimmer müde werden, von den Herrlichkeiten ihres Künstlerlebens zu erzählen, – springen dann aber die Kinder Marthas, zwei stramme Buben und ein reizendes kleines Mädel, herbei, tritt ihr Gatte ein, um auszuruhen von des Tages Arbeit und Mühen, sich zu freuen mit Weib und Kind, dann empfindet es die junge Frau doch nur noch dankbar, daß das Opfer, das sie einst als ein schweres Leid auf sich genommen, im Grunde ein Segen war. Es hat sie gefördert, zu werden, was sie geworden ist, werden mußte, um Glück zu geben und glücklich zu sein, in Übereinstimmung mit ihrer ureigensten Natur – trotz dem Künstlerherzen – als ein Hausmütterchen nur.


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