Hermann Essig
12 Novellen
Hermann Essig

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Aphrodite.

Aphrodite, die Meerschaumgeborene, entstieg dem Fußwasser. Es war doch ein bißchen kalt ohne alles, obgleich es heißer Hochsommer war.

O was war das! – drüben sah ja der Maler aus dem Fenster und zu ihr herein! – O wie furchtbar peinlich! – Sie grinste meerschaumerregt und sprang schnell, sie konnte nichts dafür, wenn er sie dabei mehr sah, an die Vorhängchen und zog sie zu.

Alsdann verschwand des Malers Lockenhaupt drüben und zog den photographischen Apparat befriedigt zurück.

Das merkte Aphrodite aber hinter dem Vorhang. Sie schlug entsetzt auf die hohe Gänsebrust. Das war unverschämt. Das verbat sie sich, das ging zu weit. Mit den Bildern konnte er Mißbrauch treiben. Das mußte sie anzeigen, daß die Platten vernichtet wurden. Sofort morgen früh.

Während sie ein Hemd aus der Kommode nahm und die von Stärke zusammengebackene Stickerei auseinanderzog, arbeitete der Maler fieberhaft versteckt unter Anwendung aller Finessen moderner Photographie, um im Zeitraum von einer Stunde so viel Bilder und anzügliche Situationen von Aphroditen zu haben, daß er sie noch selbigen Abend der »unzuchtlüsternen, paradiessehnsüchtigen« Dorfjugend verkaufen konnte. Hernach konnten die Platten beschlagnahmt werden, getrost.

Es war immer so schade, daß ein Fußwasser nicht ewig dauern konnte. Sie wäre eigentlich lieber wie die Statuen des Praxiteles gewandelt. Aber in der gemäßigten Zone, wo sie nun einmal zu Hause war, da zwang der leidige rauhe Luftzug immer wieder in die Kleider.

Daher kam es eben, daß sie so mißverstanden wurde. Ihre Sehnsucht war eine reine, vollständig harmlose. Nur dieses malitiöse Visavis, der Maler, peinigte sie. Immer fand er etwas, ihre nur auf die vier Wände berechneten Situationen und Szenen unter die Jugend zu bringen.

Sie hing gerade das Medaillon um den fetten Hals und schlüpfte in die Strümpfe, als sie notwendig wieder die Gardinen lüpfen mußte. Da war etwas los. Drüben beim Maler befestigte der Lehrling eine Stange.

Aphroditens Augen rundeten sich wie Pflugräder.

An der Stange befestigte er am Ende eine Art Sparbüchse. Und nun schob er die Sparbüchse zu ihr herüber bis nahe an den Fenstersims. Was war mit dieser Verhöhnung gemeint? Sie konnte das nicht dulden, daß der Maler eine Sparbüchse gegen ihr Fenster bewegte. Sie riß die Vorhänge zurück und die Fenster auf und ballte die Faust aus den noch unbekleideten glatten Armen, die im Korsettschoner steckten.

Und was tat der Lehrling! Er ließ die Stange liegen, und sie konnte in den Schlitz der Büchse hineinsehen. Gemütlich lachte er, und der Maler trat zu ihm. Aphrodite bekam eine Brustkontraktion. Wenn sie ihm auf der Straße begegnete, so hob sie ihn an den langen borstenhochstehenden Stachelschweinhaaren in die Höhe! Der Wutatem preßte ihren Brustkorb zu einer frischlingfarbenen Büste.

Der Maler grüßte freundlich. Alles zum Hohn! Dieser Schuft, wie er sich mit betreten erstauntem Gesicht zurückzog, Ahnungslosigkeit heuchelnd! Da sah man den Zionisten! Das war die Heiligenmaske des Teufels! Es ging ihn doch rein nichts an, was sie in ihrer Wohnung trieb. Ja, sie sagte ja nicht einmal etwas, wenn er ihr ruhig zusah, ohne es öffentlich jemand wissen oder merken zu lassen. Wenn er aber so kam, so war's der Beginn eines Vergehens gegen die Behütung der Sittlichkeit.

Mit einem Gesicht, als hätte sie saure Butter im Mund, kam sie wieder herein und zog sich einen Sommermantel über, um den Abendspaziergang zu machen. Während sie vor dem Schrank stand, dem einige Motten entflogen, ging ein Menschenhaufen vor ihrem Hause vorbei.

Schnell ans Fenster! Aha, die Stange war gesenkt, und die Sparbüchse stand in Hüfthöhe eines Mannes von der Straße entfernt. Und von oben ließ der Maler an einem Bindfaden weiße Zettelchen am Hause hinabrutschen.

Diesem Spiel schaute Aphrodite aufgeregt zu in der Meinung, sie wäre eine Katze, und sie müßte damit barren. Das geschah alles zu ihrem persönlichen Ärger.

Und nun kamen die Zettelchen unten an. Sofort stürzten sich die jungen Burschen darauf, um sie zu erhaschen. Aber sogleich schnellten sie wieder in die Höhe.

Jetzt schimpften die Burschen. Da machte der Lehrling mit deutlichem Zwinkern und einem Stoß abwärts und aufwärts mit der Stange auf die Sparbüchse aufmerksam.

Das mußte Aphrodite nun haarscharf beobachten, denn es war nicht sicher, ob der Maler Gewerbesteuer als Photograph bezahlte. Die jungen Burschen zogen ihre Geldbeutel und warfen Geld in die Büchse. Und was geschah nun? Aphrodite mußte genau hinsehen, sonst wäre ihr alles entgangen. Nun wurde die Büchse heraufgezogen und entleert, der Inhalt gezählt. Jetzt kam der Bindfaden wieder in Tätigkeit mit den Zettelchen. Mit wilder Leidenschaft rissen sie die Burschen an sich und gröhlten laut auf und sahen herauf zu dem Fenster, in dem sie – Aphrodite – stand.

Aphrodite war es erwiesen. Das Vergehen war zum Verbrechen vollendet und der Tatbestand des § . . vorhanden.

Aber sie schämte sich dessen nicht, nein im Gegenteil, nun galt's zu kämpfen. Sie holte das Klistierrohr und spritzte, sie hatte es Gott sei Dank schon vorher benutzt, damit in die satten Begaffer der verschwommenen Unterbelichtungen.

Des Malers Heldenkopf leuchtete. Er schrie hinab: »Was kümmert uns ein Wasserstrahl, die neue Serie zeigt eine verfängliche Steigerung. Nur bitte opfern, meine Herren!« Die Büchse füllte sich, und das Zettelgehopse drüben ging trotzdem weiter, und zwar brach jetzt ein solch satanisches Geheule unter den Dorflümmeln aus, daß Aphrodite doch etwas erblaßte. Wenn sie nun tatsächlich gerade etwas Ungeschicktes getan hätte?

Sie entwich über den Garten zum Amtsdiener Brodhag. Diesmal mußte er einschreiten. Sie kam so vollständig aufgelöst bei Brodhag an, daß Brodhag vorzog, seinen Dienstsäbel umzuschnallen. Er bummelte wie schon so oft mit ihr zum Tatort der verbrecherischen Verhöhnung, die Zehenspitzen einwärts, mit den Sohlen auf die Straße tretend, wie über die Sprossen einer umgelegten Leiter.

Er sprach nie etwas, weil er keine Phantasie für Entdeckung von Verstößen wider das Gesetz hatte, sondern sein Gesicht glich viel eher dem eines toujours Gehängten, so zwickte ihn der Hunger nach Welschkorn im Bauche.

Mit einem ruhigen Tatzengriff hatte Brodhag das erste beste Bild dem Nächststehenden weggenommen. Aphrodite stand mit verschämten Gefühlen den Blicken der Burschen ausgesetzt.

Brodhag blickte das Bild an und entzifferte vergebens darauf die Landschaft. »Sie halten es verkehrt,« mußte erst Aphrodite sagen. Natürlich lachten da alle.

Jetzt begann Brodhag endlich die Landschaft zu verstehen. Da schien jemand Nacktes undeutlich zu stehen, er grinste wohlgefällig und ließ das Bild hinter seinem zweireihigen Rock verschwinden.

»Und was sagen Sie dazu?« stieß die Beleidigte hervor.

»Er sagt gar nichts,« schrieen alle zusammen.

»Und die vielen andern Bilder, was tun sie damit?«

»Die sind unser Eigentum, verstehen Sie,« stellten sich die Burschen drohend entgegen.

»Und die Platten, die jener Herr da oben hergestellt hat?«

»Warum haben Sie's nötig, sich faselnackt auszuziehen, wenn Sie bloß die Zehen baden wollen?« flog es von oben herab.

Brodhag juckte hilflos mit den Schultern, unter dem Gelächter der Bilderstürmer. Das versetzte Aphrodite in solch heiligen Zorn, daß sie ausholte und dem Amtsdiener eine Ohrfeige gab.

»Das geht zu weit, mein Fräulein,« glättete sich der Amtsdiener den Backen.

»Hauen Sie nicht wieder!« schrie der Maler von oben dazwischen, »diesmal hat sie etwas Sicheres begangen.«

»Das bringt sie ins Zellengefängnis! Das ist ein Vergehen gegen die Staatsgewalt!« schrieen die Burschen.

»Und Sie kommen ins Zuchthaus!« schrie Aphrodite zum Maler hinauf.

Bei diesem furchtbaren Wort verstummte unwillkürlich alles, und Aphrodite zog vor, rasch in ihr Haus zurückzutreten.

Indem der Zionist, Photograph und Maler vom Lehrling die Stange einziehen ließ, setzten sich die Burschen von der Art, wie man Aphrodite wieder einmal angelassen hatte, höchlichst befriedigt in Bewegung nach ihrem beabsichtigten Ziele, nach der Bäch, wo sie vorhatten, ihre Hünenleiber zu baden. Brodhag bummelte zehenspitzeneinwärts mit seinem Eiertritt nach Hause, um die Wehr wieder aufzuhängen.

Es begann die eigentliche Abendstimmung im Dorfe.

Das Ereignis bedeutete nicht einmal so große Störung in Aphroditens Gehirne, denn es verschaffte ihr tiefinneres Wohlbehagen, daß ihr Bild in der warmen Tasche so manchen Dorflümmels so tief und heiß nahe dem Symbol vergraben war. Sie hoffte im stillen, daß der Maler unbewußt für sie kuppelte.


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