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I. Ameisen und ich

Diesen drei Menschen habe ich manches liebe Mal die Pest an den Hals gewünscht.

Oder: nicht eigentlich die Pest an den Hals – dazu hatte ich sie zu lieb, alle drei. Aber doch etwas, das sie brav zwicken möchte, so etwa ein Quartalszipperlein in die großen Zehen, das sie hübsch erinnern sollte an ihre Sünden.

Aber garnichts zwickt dies Gesindel, das mir den Floh dieses Buches ins Ohr setzte. Es lebt lustig drauf los. Fragt mich, so oft es mich sieht – wie weit ich nun eigentlich wäre mit dem Buch?

Sie grinsen dabei, alle drei. Wissen ganz genau, warum?

 

So war es: es saßen in München bei Walterspiel diese drei Menschen und ein harmloser Trottel. Der harmlose Trottel war ich. Die drei Menschen waren: ein Herr Verleger, ein Herr Professor und ein Dichter. Eigentlich war es dieser, der mir die ganze Brühe angerührt hat, die ich nun seit Jahren auszulöffeln versuchte – und gerade ihm hätte ich's am wenigsten zugetraut. Ich hielt ihn, wie alle Dichter, für genau so harmlos vertrottelt wie mich selbst. Ich irrte mich sehr – und habe meine Leichtgläubigkeit bitter genug bereut: dieser deutsche Dichter ist ein äußerst gescheiter Mensch.

Also: wir saßen beim Burgunderwein, erzählten uns was. Von der glorreichen Dummheit der Völker und ihrer Regierungen, die nie begreifen wollen, wie unendlich blöd es ist, daß sie sich selbst und einander ernst nehmen. Von den Sternen, die doch endlich einmal anfangen sollten, ein bißchen von dem Hokuspokus zu machen, den wir ihnen nun so lange schon andichten, und die statt dessen nichts tun, als Sechstagerennen spielen – Sechstausendsextillionenundnochmehrtageundnachtrennen – sich selbst und alles im Weltenraum grenzenlos langweilend. Von der Kunst, die immer nur eine kleine Vorspeise ist und nie einen Menschen satt macht – weder den, der sie kocht, noch den, der sie kostet. Von der Natur, die am Ende auch nie und nirgends ein Meisterstück ist und vor der man, je mehr man sich mit ihr beschäftigt, um so weniger Hochachtung hat –

Dann, von ungefähr, war der Herr Professor der Biologie, bei den Ameisen. Dies und das erzählte er – und manches war dabei, was wir nicht wußten. Das war uns unangenehm, mir und dem anderen Trottel – denn dafür hielt ich ihn damals noch in meiner leichtgläubigen Gutmütigkeit. So kramten wir also auch unsere Weisheit aus. Es stellte sich heraus, daß wir beide auch ein wenig von den Sechsbeinern wußten. Denn wir, die Antipoden dieser Arbeitstiere, wir, die Luxustierchen – Dichter, wie Husarenleutnants, sind ja letzten Endes nichts als für die Menschheit höchst überflüssige Luxustierchen und es ist darum sehr verwunderlich, warum ihr Dasein nicht längst von den Weisen in Berlin besonders hoch besteuert wird – also wir Dichter haben nun einmal die Eigentümlichkeit, unsere Nasen in alles hineinzustecken. Nicht einmal an einem Ameisenhaufen können wir ruhig vorbeigehen, immer wieder müssen wir den Herren vom Fach ins Handwerk pfuschen. Was ging den Goethe die Knochenlehre an, was die Farbenlehre, was die Metamorphose der Pflanzen?

Der Herr Verleger geriet ins Hintertreffen. Dichter: zweibeinige Insekten. Ameisen: sechsbeinige – viel mehr wußte er nicht. Er wollte sich gern unterrichten.

»Gibt's so ein Buch?« fragte er.

»Hundert!« sagte der Herr Professor. »Forel und Wasmann und Wheeler und Huber und Lubbock und Emery und Escherich und Janet und Latreille und Mc. Cook und –«

»Hören Sie auf!« rief der Herr Verleger. »Das ist doch alles Wissenschaft – Fachgelehrsamkeit. Gibt's ein Buch, meine ich, aus dem ein einigermaßen gebildeter Laie –«

Der gemeine Kerl, mein Nebenbuhler, platzte los. Denn lachen kann er, wie kein anderer Mensch auf Erden je hat lachen können. Wenn's einer könnte – in keinem Wirtshaus würde man ihn auch nur eine Viertelstunde leiden, weil kein Mensch mehr sein eigen Wort versteht, wenn er mal loslegt. Ihn freilich duldet man. Duldet man? Dankbar ist jeder Wirt und jeder Koch im Lande, wenn er dasitzt – man wird gelb vor Neid, wenn man sieht, wie ihn die Walterspielbrüder behandeln. Denn er ist nicht nur mein Dichtkollege – er ist auch ihr Kochkollege. Kennt jedes Gericht und macht es besser als sie. Setzt die weiße Mütze auf, bindet die weiße Schürze um, geht in die Küche – ehrfürchtig staunen mit aufgerissenen Mäulern die Köche und Köchinnen und Kochstudentinnen: der kann's!

Aber ich will sein Lob nicht singen, im Gegenteil. Er platzte los, furioso, maestoso. Er ist eben garnicht harmlos und gar kein Trottel und also eigentlich völlig ungeeignet zum Dichter. Er hatte es gleich heraus, daß der Herr Verleger Morgenluft witterte – noch ehe der's selbst recht wußte. Darum brüllte er:

»Ah, das möchte Ihnen so passen! So eine Biene Maja aufs ameisenische! Was? Eine Million Auflagen und in alle Sprachen der Welt übersetzt? (Böh! Böh! Böh! so lacht er.) Wird nix draus: 's gibt schon ein halbes Dutzend solcher Erbauungsbüchlein, die dem braven Kinde vom artigen Ameis erzählen – eins noch blöder wie's andere. Pleiten – und mußten's werden! (Böh! Böh! Böh!) Einmal frißt das Publikum so ein himmelblaues, zuckersüßes, marzipangefülltes, schokoladebegossenes Osterei – wenn's so geschickt gelegt und so gescheit begackert ist, wie die Maja – aber dann hat's genug. Denkt nicht dran, noch zu Pfingsten beim minderwertigen Konditor wieder solche Eier zu kaufen.« (Böh!)

Der Herr Verleger tat, als hätte ihm nie die Biene Maja um die Nase gesummt. »Ich interessiere mich nicht für Literatur zu Firmungsgeschenken und Konfirmationsgaben« bemerkte er großartig. »Ich frage, ob es ein Buch über Ameisen gibt, aus dem ich und andere einigermaßen gebildete Laien sich unterrich –«

Aber der wilde Dichtersmann gab ihm keine Ruhe. »So?« brüllte er. »Auch nicht ganz so dumm! So eins, wie Maeterlincks Bienenbuch? (Böh!) Nicht gerade eine Million – aber doch ein sehr hübsches Geschäft.«

»Gibt es nicht!« entschied der Herr Professor. »Kann es auch kaum geben. So verhältnismäßig einfach, wie die Sache bei den Bienen liegt, so verzwickt liegt sie bei den Ameisen. Fünftausend Arten über die ganze Erde verstreut und alle verschieden in ihrem Treiben und Tun. Item: der Wissenschaft vorbehalten!«

Aber der Herr Verleger wußte schon, wie er's machen sollte. Wenn er mal einen Gedanken hatte, dann gab's kein: »Kann's nicht geben!« Er stand auf, ging zum Herrn Walterspiel und beratschlagte mit ihm. Allgemach brachte ein Kellner eine Flasche goldbraunen Steinberger Kabinetts 1904, dazu Seemuscheln in Chablis – und das stellte er vor den Herrn Professor. Und ein anderer kam und brachte Bocksbeutel, Julius-Spital, 1915 Beerenauslese und dazu eine Schnepfe, fertig geröstet mit Gänseleber parfait – und stellte es vor den Herrn Verleger. Und ein dritter kam und brachte eine Flasche 1898 Romanée und dazu Filetscheiben mit Schinken in Eierkuchenteig gebraten und stellte es vor meinen Nebenbuhler. Zu mir kam keiner und mir stellte niemand etwas hin. Ich seufzte – aber das nutzte nichts. Ich mußte dreimal tief seufzen. Da merkte es der Herr Verleger und sagte:

»Ach – entschuldigen Sie, mein Lieber! Sie hatte ich ganz vergessen!« Dann bestellte er ein kleines Gläschen Kirsch für mich.

Er weiß eben, dieser gemeine Mensch, daß ich eine arme Halbwaise bin! (Mein lieber Vater ist schon seit vierzig Jahren tot – und da kann natürlich alles auf mir herumhacken!)

»Greifen Sie zu! Und trinken Sie, meine Herren«, mahnte er. »Auf Ihr Wohlsein!«

Sie tranken alle, und ich suckelte an meinem Schnäpschen. Der Herr Verleger bot mir noch eine Zigarre an – weil er weiß, daß ich die doch nicht rauchen kann.

»Und nun, meine Herren«, fuhr er fort, »wer von Ihnen schreibt mir das Buch?«

»Ich ganz gewiß nicht«, sagte der Biologe. »Wenn ein Gelehrter von Ruf ein Buch für Laien schreibt, ist er ein für allemal für die Wissenschaft erledigt. Bei mir haben Sie, Gott sei Dank, sich umsonst in Unkosten gestürzt!«

»Und bei mir, (Böh! Böh!) bei mir auch!« grölte der wilde Dichter. »Ich hab zwei Dramen auf der Pfanne und eine Pantomime und die Lebensgeschichte des braven Captains und meinen Nebelroman und ein halbes Dutzend Geschichten – das reicht für zwei Jahre und mehr! Dabei komme ich noch garnicht mal zu dem Kochbuch, das ich den Walterspiels schon seit langem versprach. Und übrigens (Böh! Böh! Böh!) kriegen Sie garnichts von alledem, weil mir die Leute in Wien und Berlin viel mehr bezahlen.«

Das ging so hin und her; der Herr Verleger tat, was er konnte, aber die beiden tranken und schmausten und lachten ihn aus. An mich dachte niemand; trübselig lutschte ich an dem Schnapsgläschen rum. Sie waren längst von den Ameisen auf persische Naphtaquellen gekommen – denn der wilde Mann war gerade dabei, eine große Naphtagesellschaft zu gründen, halb persisches, halb amerikanisches Kapital. Er gründete stets etwas; manchmal gelang es und wenn's nicht gelang, konnte er noch immer einen Roman draus machen. Dann kamen sie auf Seidenraupen – denn der Herr Professor war Weltberühmtheit für diese lieben Tiere, denen er beigebracht hatte, dünnere Fäden zu spinnen. Dann auf den Meister Ekkehart, von dem der Dichter im Kloster Cues an der Mosel eine Handschrift entdeckt hatte, die indes der Herr Verleger sich beharrlich weigerte herauszugeben: keine Nachfrage zurzeit nach Meister Ekkehart.

Dann –

Aber da fiel plötzlich des Dichters Blick auf mich. Und da geschah es, daß ihn ein Gedanke durchzuckte, den ich heute als sehr teuflisch längst erkannt habe, den ich aber damals als äußerst freundlich begrüßte, da er genau das traf, was in meinem Schädel vorging, während ich die letzten Tröpfchen Kirschwasser ableckte.

»Böh!« brüllte er den Herrn Verleger an. »Böh! Böh! Böh! Jetzt hab ich's! Das Ameisenbuch – das lassen Sie sich von Hanns Heinz schreiben!« (Böh!)

Der Herr Verleger zog die Lippen herunter. »Ich weiß nicht, ich weiß nicht –« zögerte er. »Aber wenn die Herren meinen, daß es ginge – vielleicht –«

Dieser Gedanke hatte mich nun schon seit Jahren beschäftigt; immer wieder hatte ich ihn zurückgestellt. Ich grübelte: es sollte wirklich solch ein Buch geben. Und: einer könnte es dennoch schreiben. Und: vielleicht kann ich's.

Natürlich ließ ich mir nichts merken – man kann nicht spröd' genug tun mit Verlegern.

»So?« machte ich. »Meinen Sie? Aber Sie sind wieder an den falschen geraten, haben sich auch bei mir höchst vergeblich in große Unkosten gestürzt!«

Mit stolzer Gebärde schob ich das Schnapsgläschen quer über den Tisch, gerade unter die Nase des Herrn Verlegers. Das sollte ein sehr giftiger Stich sein – aber der Mann merkte nichts davon. Er leerte sein Glas, füllte es wieder und begann mich auszuholen.

»Sagen Sie mir, mein Lieber,« forschte er, »seit wann beschäftigen Sie sich mit Ameisen?«

»Schon als Schulbub,« begann ich, »lag ich im Wald auf dem Bauch und –«

Der Herr Verleger unterbrach mich. Fauchte: »Es interessiert uns nicht, was Sie tun, wenn Sie auf dem Bauch liegen. Sagen Sie klipp und klar: wie kamen Sie gerade auf Ameisen?«

Ich schnappte Atem. Sagte: »Ich ging mal als Junge in den Wald, pflückte Glockenblumen. Da war ein Ameisenhaufen, aber alle Ameisen waren drinnen. Um sie herauszulocken, schlug ich mit den Glockenblumen drauf: da wurden die blauen Blumen rot. Det fiel mir uff – wie der Berliner sagt.«

Der Herr Verleger fuhr mich an: »Wir sind nicht in Berlin – Gott sei Dank! Dort mögen Sie solche Geschichten erzählen – oder Ihrer Urgroßmutter oder meinetwegen Ihren Lesern, aber nicht vernünftigen Menschen!«

Ich versuchte demütig: »Sie werden wirklich rot, die blauen Glockenblumen. Auch Lungenkraut wird rot. Nämlich die Ameisensäure –«

»Sie werden ja selber rot, Sie Glockenblümchen!« rief der Verleger. »Lassen Sie die Blumen und kommen Sie zu den Insekten. Was zog Sie zu den Ameisen hin?«

»Entschuldigen Sie bitte,« sagte ich. »Ich hatte einen Freund, der Emil hieß –«

Da rief der Herr Professor: »Wir wollen nichts von Emil hören, sondern von Ihnen! Sagen Sie mir: haben Sie jemals künstliche Nester gehabt, um die Tiere zu Hause zu beobachten?«

»Ja,« stammelte ich. »Zunächst eigene, ganz einfache. Dann Lubbocknester. Dann Janetnester. Endlich, in Amerika, Fieldenester –«

»Ausgezeichnet!« böhte der Dichter. »Er kennt auch amerikanische Ameisen!«

Der Herr Professor fuhr mich an: »Was haben Sie jetzt an Ameisen zu Hause?«

Immer verwirrter wurde ich. »Jetzt?« antwortete ich. »Garnichts. Doch – doch, ich habe einen Flaschenkorken, da ist eine im Bernstein drin.«

»Was kann man noch mehr verlangen?« raunzte der Dichter. »Er hat eingehend die fossilen Arten studiert!«

»Was wissen Sie von der Fachliteratur?« drängte der Herr Verleger.

»So einiges,« sagte ich bescheiden. »Ich habe gelesen, was mir so durch die Jahre in die Hand fiel.«

»Also gut,« schloß der Herr Verleger. »Wir wollen's versuchen mit Ihnen. Der Herr Professor wird die große Liebenswürdigkeit haben, mir alle Werke aufzuschreiben, die Sie durcharbeiten müssen – die lasse ich Ihnen zuschicken. Und das vergleichen Sie dann mit Ihren eigenen Erfahrungen. Nur merken Sie sich: keine Fachausdrücke! Kein Wort, das ich nicht verstehn kann – alles einfach und klar, hören Sie? In ein paar Monaten, denke ich, können Sie fertig sein – den Vertrag lasse ich Ihnen morgen zugehn.«

Der wilde Dichter grinste. »Ein paar Monate? – Na, werden ja sehen! Aber einerlei: ich habe Ihnen den Vertrag verschafft, also müssen Sie uns zu ein paar Flaschen einladen. Wenn Sie kein Geld haben – der Herr Walterspiel pumpt Ihnen, böh – Sie können ihn zahlen, wenn Sie das Honorar für das Buch bekommen.«

»Ja,« nickte ich. Ich bestellte den Wein und der Herr Walterspiel pumpte mir. Der Herr Professor trank mir gütig zu und sagte: »Mein Lieber! Haben Sie nur keine Angst vor der exakten Wissenschaft. Es ist eine rechte Spielerei, so wie Kinder spielen, und die besten Wissenschaftler sind die, die sich dessen bewußt sind.«

 

Diese schöne Begebenheit liegt nun schon drei Jahre zurück – den Wein habe ich immer noch nicht bezahlt.

Ich bekam Bücher zugeschickt und wieder Bücher und noch mehr Bücher. Ich baute Nester und wieder Nester und noch mehr Nester. Ich reiste herum und grub Haufen um Haufen von allen möglichen Ameisen – das ist ganz gewiß, daß kein stecknadelkopfgroßer Fleck an meinem armen Leibe ist, an dem mich nicht eine Ameise gezwickt hätte. Denn diese Tiere, darüber besteht kein Zweifel, haben nicht das Geringste übrig für wissenschaftliche Forschung, stehn ihr vielmehr durchaus feindlich gegenüber.

Aber je mehr ich arbeitete und je heißer mein Bemühn war, um so hoffnungsloser erschien mir meine Aufgabe. Allmählich – es läßt sich halt nicht vermeiden – war ich selbst ein Fachgelehrter geworden und ein Buch für »gebildete Laien« erschien mir ebenso lächerlich wie unmöglich. Ich verstand jetzt den Biologen sehr gut, als er erklärte: »So ein Buch gibt's nicht und kann's auch kaum geben.« Und ich begriff die teuflische Bosheit des Dichters, der mich in diese Sache hineingehetzt hatte.

Dennoch ging ich immer wieder an die Arbeit, versuchte, ihr von stets anderer Seite eine Möglichkeit abzugewinnen.

Nur: es ging nicht und ging nicht und ging nicht.

Tief überzeugt von meiner unheilbaren Trottelhaftigkeit, völlig verzweifelt über meine Unfähigkeit, krank und so nervös, daß kein Mensch mehr mit mir was zu tun haben wollte, reiste ich ab, um das Ameisengekribbele los zu werden, das mir Tag und Nacht keine Ruh' geben wollte.

Sitze nun auf der Insel Brioni. Laufe menschenscheu herum – und kann doch nichts anderes denken, als: Ameisen (Böh!) Ameisen!

 

Gestern, unten in der Halle, rief mich der Kurarzt heran. Es seien einige Professoren da, die von dem Kongreß in Venedig herübergekommen seien. Er stellte mich vor, sagte, daß ich auch nun so ein halber Kollege sei, da ich dabei wäre, ein Buch über Ameisen zu schreiben. (Das wußte er aus den Zeitungen – mein Herr Verleger hatte es längst in die Presse posaunt.)

Es befanden sich auf Lager: ein Pharmakologe aus Wien, ein Serologe aus Hamburg und ein Dermatologe aus Leipzig. Dazu dessen Frau, die auch Dermatologin war – die Unglückselige. Ferner ein Bakteriologe aus Rostock und ein Eugeniker aus Berlin; ein Wiener Phytopaläontologe, ein Grazer Laryngologe und noch ein Urologe – wo aber dessen Stuhl stand, weiß ich wirklich nicht mehr.

Wissenschaft genug und sehr klangvolle Namen darunter. Und, wie der Zufall es wollte, nur Naturwissenschaftler – wenn freilich auch weder ein Biologe noch ein Zoologe irgendeiner Schattierung dabei war.

Also gut: wir sprachen über Ameisen. Das heißt: ich sprach nicht – sie sprachen. Keiner der Herren nahm mich ernst, nicht eine Sekunde lang. Aber sie wußten so von mir, waren lieb und reichten mir, etwas mitleidig, gern ein Körnchen ihrer Weisheit. Das, meinten sie, möchte mir wohl wertvoll sein für meine Arbeit –

Ich hörte zu. Zunächst war ich ein wenig überrascht. Dann wunderte ich mich baß. Und endlich riß ich Ohren und Mund und Nase weit auf und war starr vor Staunen.

Bei meiner Seele: alle diese hochgelahrten und grundgescheiten Herren hatten auch nicht die leiseste Ahnung von meinen Peinigern, den Ameisen!!

Ich sagte nichts; aber ich fühlte: stunden- und stundenlang hätte ich ihnen erzählen können.

Gewiß, ein jeder hatte sein eigenes Fach, in dem er glänzte. Dennoch: Naturwissenschaftler alle. Und ein jeder aufnahmewillig für irgend ein Interessantes, das ihm begegnen mochte –

Ich stand auf, ich bedankte mich bei allen.

Sie wissen nicht warum. Aber ich will es ihnen sagen und mich noch einmal bei ihnen bedanken: dafür, daß sie mir, endlich, den Mut gaben, dies Buch zu schreiben.

Dies Buch enthält nur wenig, das den Fachgelehrten etwas Neues wäre. Es enthält aber auch kein Wort, das nicht dem Laien verständlich wäre. Fraglos: es wird einmal überholt werden, doch bringt es das, was wir heute von der Welt der Ameisen wissen. Und das eine darf ich meinem Leser getrost versprechen: er wird sich nicht langweilen!

Aristoteles sagte einmal: ›Der Beweis des Wissens liegt im Lehrenkönnen‹. Wenn das richtig ist, so ist kaum ein Zehntel aller Wissenschaftler wirklich wissend. Die andern sind Halbwissende: sie können zwar lehren, aber nur die wenigen Menschen, die selbst in ihrem Fache schon recht viel wissen – alle andern vermögen sie gar nichts zu lehren. Das macht: sie können sich nicht verständlich machen. Vielleicht haben sie tiefste Weisheit – aber sie können sie nicht mitteilen. Sie schreiben zwar – aber was sie schreiben, ist nicht Deutsch. Auch nicht Englisch, bei englischen Gelehrten, was das angeht! Wahr ist, daß die meisten französischen, auch italienischen Gelehrten ihre Sprache beherrschen – was aber ist alle Wissenschaft ohne das englische und namentlich das deutsche Aufgebot?

Die Sprache der deutschen Wissenschaft ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, ein ekelhaftes Makkaroniwelsch, in dem ein deutscher Satzbau sich mit einem unverständlichen, mißverstandenen, falschen und verschwommenen Wust von Küchenlateinisch, Stubengriechisch, Kellnerenglisch und Commisvoyageurfranzösisch aufputzt. Ist keine Sprache mehr, sondern ein Zigeunergestammel, das bald widerlich, bald langweilig, bald unverständlich – meist aber das alles zusammen ist.

Gewiß schrieben Historiker, wie Clausewitz, Oncken, Treitschke, Kunsthistoriker wie Gurlitt, Justi, Lichtwark, Naturhistoriker wie Brehm, Francé und andere eine mustergültige Sprache, strebten nach höchsterreichbarer Klarheit, doch sind sie ein paar weiße Raaben in der die Sonne verdunkelnden Krähenschar.

Wer sich nicht klar verständlich machen kann oder will – denn ich habe mehr als einen Gelehrten in Verdacht, daß seine nebelhafte Unverständlichkeit recht beabsichtigt ist, um als Lappen die nackte Blöße seines Nichtwissens zu decken – nun, der kann eben nicht schreiben. Und wer nicht schreiben kann, soll um Himmelswillen die Finger vom Federhalter lassen.

 

Ein paar Worte noch als Gebrauchsanweisung.

Durch die nächsten Seiten soll man sich durchfressen. Man muß schon wissen, wieviel Beine ein Tier hat, wieviel Augen und Mägen und andere schöne Sachen. Wie es aussieht von draußen und drinnen, wo es wohnt, wie es sich fortpflanzt. Es geht halt nicht anders; es ist zum Verständnis durchaus notwendig. Aber ich hab' dies Notwendige schonend knapp behandelt.


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