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Die mexikanische Scheidung


Porcell sah mitleiderregend aus; sein Gesicht war zusammengefallen wie das eines alten Mannes. Er nickte dem Inspektor müde zu.

»Sie wollten mich sprechen?«

Seine Stimme war heiser und ausdruckslos.

»Stimmt«, sagte Luff und beugte sich weit vor. »Sie stehen unter dem Verdacht, Ihre Gattin, Beverley Bancroft, ermordet zu haben. Was können Sie zu Ihrer Entlastung anführen?«

Porcells Blick traf den des Kriminalisten. Bei Luffs Worten hatte sein Gesicht nicht die geringste Bewegung verraten.

»Das ist nicht wahr«, erwiderte er leise.

»Doch, mein Bürschchen! Ich habe die Beweise in der Hand.«

»Nein, das haben Sie nicht, Inspektor.«

Porcell nahm nicht eine Sekunde seinen ruhigen, gleichmütigen Blick von Luff. »Aber vielleicht –«, er unterbrach sich und griff zu seinem Zigarettenetui, »vielleicht führen Sie einmal aus, wie Sie zu dieser Überzeugung gekommen sind.« Seine selbstbewußte, ruhige Überlegenheit reizte den Inspektor bis zur Weißglut. Er hatte Hilflosigkeit erwartet, furchtsames Zusammenbrechen, vielleicht auch stürmischen Protest. Alles, aber nicht das.

»Scheinen Ihre Rolle gut geprobt zu haben.« Es kostete ihn Mühe, nicht herauszubrüllen. »Aber mich bluffen Sie nicht.«

Porcell war nicht zu erschüttern. »Nein«, sagte er langsam und betont. »Ich habe es nicht nötig, zu bluffen. Ihre Anwürfe sind einfach lächerlich.«

Luffs Nasenflügel bebten.

»Na, wenn Sie erst aus einem vergitterten Quadrat gucken, werden Sie vielleicht anders denken. Bilden Sie sich nicht ein, daß ich nicht wüßte, was ich rede. Wie ist denn das mit der mexikanischen Scheidung, die Ihre Gattin eingeleitet hatte?«

Jetzt zeigte Porcell zum erstenmal, seit er im Zimmer war, einige Bewegung. Sein Blick flackerte.

»Mexikanische Scheidung?« Seine Stimme war plötzlich scharf und klar. »Was reden Sie da?«

Luff ließ ihn nicht aus den Augen.

»Sie wissen also nichts darüber, wie?«

»Nein.«

Der Inspektor schob ihm Farlands Notizzettel mit den Namen der beiden Anwälte hinüber. Porcell nahm ihn schweigend auf. Lange sah er auf das Papier.

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

Luff biß so heftig in seine Zigarre, daß man die Zähne knacken hörte.

»Das geht Sie nichts an. Die Hauptsache ist ja wohl, daß ich es weiß. Versuchen Sie nicht, mir einzureden, daß Ihnen das hier neu ist.«

Porcell zog resigniert die Schultern hoch. »Es ist mir aber neu«, erwiderte er kaum hörbar. »Ich ...« Er riß sich gewaltsam zusammen. »Und ich glaube es auch nicht.«

»Ach nein! Sie glauben es nicht?« Luff schob sich noch näher zu ihm heran. »Und Sie wollen nichts davon wissen? Aber warum sind Sie denn in jener Nacht noch zurückgegangen, nachdem Sie wußten, daß alle anderen fort waren? Worüber haben Sie denn mit ihr gesprochen, wenn nicht über diese mexikanische Scheidung? Worüber haben Sie mit ihr gesprochen, he – bevor Sie ihr das Messer in den Leib rannten?«

Der Effekt dieser letzten Entgleisung erschreckte sogar den Inspektor. Porcell war aufgesprungen und stand am ganzen Körper zitternd vor seinem Inquisitor.

»Ich hab' sie nicht getötet!« schrie er heraus. »Ich habe sie nicht getötet! Herrgott, hören Sie auf damit!«

Der Ausbruch dauerte nur eine Sekunde. Im nächsten Augenblick saß er wieder in seinem Stuhl, das Gesicht verschlossen wie vorher. Nur seine Stimme zitterte.

»Glauben Sie mir, Mann. Sitzen Sie nicht da wie ein gefühlloser Idiot. Wie hätte ich Beverley töten können! Sie war alles – alles in meinem Leben. Ich hätte ihr nicht ein Haar krümmen können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Und noch viel weniger ein Dolch ...« Er brach ab, schluckte auf und starrte zu Boden. »Ich ... Ich sage Ihnen die Wahrheit, wenn ich Ihnen erkläre, daß ich nichts von einer mexikanischen Scheidung weiß. Ich habe zwar immer gefürchtet, sie könnte es versuchen, aber daß sie es tatsächlich getan hat ... Ich war ihr übergeworden, das weiß ich. Ich weiß auch, daß ich sie verlieren sollte, aber deshalb habe ich sie doch geliebt.«

»Aha!« Luffs Hand schnellte gegen ihn vor. »Sie geben also zu, daß Sie Ihre Frau verlieren sollten, und deshalb haben Sie, um sie keinem anderen Mann zu lassen, lieber zum Dolch gegriffen.«

Porcell, immer noch mit den Augen am Boden, schüttelte stumm den Kopf.

Luff tastete nach seiner Zigarrenkiste.

»Mir haben Sie erzählt, daß Sie in jener Mordnacht um drei Viertel drei zu Hause waren. Ich aber weiß, daß es um halb vier war. Ich weiß auch, daß Sie den Liftboy bestochen haben, damit er eine falsche Auskunft gibt. Was sagen Sie nun?«

Porcell hob langsam den Kopf.

»Das ist das einzig Wahre«, antwortete er ruhig, »was Sie heute gesagt haben.«

Die selbstverständliche Offenheit, mit der er das zugab, überraschte Luff. Er hatte einen neuen Ausbruch, eine erneute Szene erwartet. Er mußte sich erst von seiner Verdutztheit erholen, ehe er die nächste Frage stellen konnte.

»Schön«, er sah Porcell dabei scharf an, »warum haben Sie gelogen?«

Porcell zuckte die Schultern.

»Um mir eine Menge Unannehmlichkeiten zu ersparen, natürlich. Tatsächlich ging ich in dieser Nacht nicht direkt nach Hause. Es stimmt, daß ich zu Beverley zurückgegangen war. Ich wollte sie bestimmen, wieder zu mir zurückzukehren, aber sie wollte nichts davon wissen und warf mich schließlich nahezu hinaus. Das hat mich natürlich erregt, und weil ich fühlte, daß ich doch noch keinen Schlaf finden würde, machte ich erst noch einen langen Spaziergang. Ich ging den Riverside Drive entlang, dann die 72. Straße hinunter und schließlich den Broadway zurück zu meiner Wohnung. So ungefähr gegen halb vier war ich zu Hause.«

Er holte tief Atem.

»Und als ich dann am nächsten Morgen von dem Mord erfuhr, sah ich sofort, daß ich unter einem schweren Verdacht stehen würde, wenn man herausbekäme, um welche Zeit ich nach Haus kam. Ich ging also gleich wieder zurück und gab dem Liftboy zwanzig Dollar, damit er als Zeit meiner Rückkehr in der Nacht drei Viertel drei angäbe. Ich habe eine ganze Menge für den Jungen getan und dachte, ich könnte mich auf ihn verlassen.«

Sein verhangener Blick traf den des Inspektors.

»Und, ehrlich gesagt, ich habe es nicht allein zu meinem Besten getan. Ich habe mir überlegt, wieviel Zeit Sie verlieren würden, wenn Sie sich erst mit meiner Person befaßten, statt vielleicht direkt dem wirklichen Mörder auf die Spur zu kommen.«

Luff lachte ironisch. »Ein herrliches Märchen.«

Er wandte den Kopf zu Farland herum.

»Bring' den Mann hinunter in eine Zelle. Vorläufig bleibt er hier.«

Porcell wurde bleich und preßte die Lippen zu einer dünnen, harten Linie zusammen.

»Inspektor«, keuchte er dann, »sollten Sie wirklich nicht wissen, wer der Mörder ist?«

Luff sah ihn verblüfft an.

»Was soll das bedeuten?«

»Nichts weiter«, antwortete Porcell leise, »als daß ich es mir nicht vorstellen kann, daß Sie mich für den Mörder halten, wo eigentlich alles so klar auf der Hand liegt.«

»So, wirklich?« spottete Luff. »Na vielleicht erklären Sie das mal. Wo wollen Sie denn überhaupt hin mit Ihren rätselhaften Äußerungen?«

Porcell sah sekundenlang stumm an ihm vorbei.

»Der Mann, der Beverley ermordet hat«, sagte er dann fest, »ist Redstone.«

Die Sicherheit, mit der Porcell dies vorbrachte, schreckte den Inspektor auf.

»Woher wissen Sie denn das?«

Porcell strich sich müde über die Stirn.

»Das ist doch alles so offensichtlich. Er hat ein Vermögen in sie hineingesteckt. Die erste Revue mit ihr war ein vollkommener Reinfall. Und die ›Tambourine‹ hat auch erst in letzter Zeit Geld gebracht. Schön, sie hat ihn so behandelt, wie er es wert war, hat sein Geld genommen und seine Protektion. Aber er schien in den letzten Tagen dahintergekommen zu sein, und als er merkte, daß sie sich für den Maler interessierte und für Armando, fürchtete er, sie zu verlieren. Er gehörte zu jenen Leuten, die es nicht vertragen können, wenn sie ein Verlustgeschäft machen. Und Beverley war für ihn nichts weiter als eine Art von Geschäft.«

Luff schien nicht sehr überzeugt.

»Und wie läßt sich das mit der Tatsache vereinbaren, daß sie sich von Ihnen scheiden lassen wollte? Wenn sie ihn nicht mochte, hat sie doch keinen Grund gehabt, sich von Ihnen zu lösen?«

Porcell schüttelte heftig den Kopf.

»Auf keinen Fall wollte sie sich scheiden lassen, um ihn zu heiraten. Ich weiß es ganz genau, daß sie ihn nicht leiden konnte. Sie hat es nicht nur mir gesagt, sondern oft genug auch anderen Leuten.« »Beispielsweise der kleinen französischen Zofe«, setzte Luff ironisch hinzu.

Porcell merkte die Absicht nicht.

»Ja, auch ihr. Aber Beverley wollte überhaupt niemand heiraten. Sie hat niemanden geliebt und wollte nichts von mir als ihre Freiheit.«

Luffs Skepsis war nicht so leicht zu brechen.

»Sie meinen also«, sagte er mit sanftem Hohn in der Stimme, »daß Sie Redstone bei mir nur anzuschwärzen brauchen, damit ich ihn für überführt betrachte. Sie vermuten doch bloß, daß er's getan hat. Das alles ist doch noch lange kein Beweis.«

»Für mich genug«, beharrte Porcell eisig. »Jemand anderes kommt gar nicht in Frage.«

»Und wenn wir«, fragte Luff lauernd, »ihn jetzt herschaffen lassen und Sie ihm gegenüberstellen. Bleiben Sie dann bei Ihrer Behauptung?«

»Selbstverständlich.«

Luff drehte sich auf seinem quietschenden Sessel. »Also schön, Farland, bring' ihn in Armstrongs Zimmer und schleif' mir dann den Redstone heran.«

Er sah fragend zu Ballinger hinüber, als die beiden gegangen waren.

»Na, gegen den Jungen hab' ich doch 'ne ganze Menge Material in der Hand, was?«

»Kann schon sein«, meinte Ballinger zweideutig.

»Selbstverständlich hab' ich das. Die Sache mit der mexikanischen Scheidung, von der er anscheinend nichts wissen will, und dann die Bestechungsaffäre mit dem Liftjungen ... Na, für mich ist es ziemlich klar, daß er es gewesen ist.«

Ballinger rappelte sich in seinem Stuhl hoch und hob die Hand.

»Einen Augenblick, Inspektor, nicht so voreilig. In Ihrem Drang zur Aktivität und zu Haftbefehlen vergessen Sie alle Gesetze der Vernunft. Im besten Fall können Sie gegen Porcell einen Indizienbeweis führen, und damit bringen Sie es in hundert Jahren zu keiner Verurteilung.«

Luff blieb trotzig bei seiner Meinung.

»Ich versuch's eben.«

»Bitte, aber das wird die Stadt ein paar hunderttausend Dollar Schadenersatz kosten, und außerdem werden Porcells Freunde Sie selbst ins Rutschen bringen.« Er zuckte mit den Schultern. »Na, wie Sie wollen.«

* * *


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