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Der Dreimaster »Elisabeth« wollte unter See gehen. In allen Stengen und Rahen wurden noch Segel gesetzt. Die Mitreisenden waren überall im Wege und kurzerhand unter Deck geschickt worden.

Nur ein Häuflein junger Leute war dem Befehle des Kapitäns nicht gefolgt. Sie hatten sich's am Heck bequem gemacht. Sie saßen auf Tauen und Klappstühlen, tranken und sangen und nahmen den Abschied von der schönen Stadt Hamburg und von Deutschland nicht allzu schwer.

»Ade nun, ihr Lieben, geschieden muß sein.« –

»Focksegel setzt, Großgaffel- und Vormarssegel!«

»Es treibt in die Ferne mich mächtig hinaus.« –

»Johannsen!« brüllte der Kapitän dazwischen, »Steuermann, ist denn der Jürgens, der Bursche, betrunken? Der Kerl fiert mir ja die Schoten auf. Rauf in die Wanten, fix! Macht dem vernagelten Himmelhund klar – –«

Aus dem Lärm und dem Heulen des Windes klangen wieder die Stimmen der Sangesfrohen: »Die Woge nicht haftet am einsamen Strand; die Stürme, sie brausen mit Macht durch das Land.«

Dann tauchte, inmitten der aufgespannten Leinwand, fast an der Spitze eines Mastes, der Steuermann auf. Der Fehler wurde beseitigt, und mit jugendlicher Behendigkeit kam Johannsen wieder, um Meldung zu machen.

Immer mehr Segel wurden gepreßt, und nun war der Augenblick da, wo es Zeit war, die Anker zu lichten.

Da kam im letzten Moment eine sonderbare Gruppe aufs Schiff zu. Ein mit Handgepäck beladener Mann war vorauf, ihm folgte ein anderer, der auf seinen Armen eine Frau trug. Ein junges Mädchen kam, wie träumend, hinterher.

Die Freunde unterbrachen ihr Singen und drängten an die Reling.

»Kinder, seht doch, was es da gibt. Eine Kranke gewiß. Und das Mädel, das junge Ding, habt ihr die gesehen?«

»Haben wir nicht Augen, so gut wie du, Lienhard?«

»Ein schöneres Kind sah ich mein Lebtag nicht. Meiner Seel, ging's mir doch wie ein Blitz durch Kopf und Herz. Und nun, liebe Freunde, ihr wißt, ich hab' immer mein Herz auf der Zunge, – macht, wie ihr's gewöhnt seid, eure Glossen und übt euern Witz an mir. Die junge Unbekannte aber laßt aus eurem Spiele. Darum bitte ich euch.«

Seine Freunde antworteten mit einem Gelächter. Lienhard wandte sich unmutig ab und den zuletzt Angekommenen zu. Die waren inzwischen unter Deck gegangen.

Als die Anker gelichtet waren und der Dreimaster, wie ein der Freiheit wiedergegebener Vogel, leicht beschwingt durch das bewegte Wasser zog, waren alle auf Deck geeilt. Abschied zu nehmen galt's, Abschied von der Heimat, vom deutschen Vaterland, von Europa. Einen letzten Blick wollte noch jeder der alten Erde zuwenden, die ihn und sein Leid bisher getragen hatte. Sinnend standen sie und starrten unbeweglich dahin zurück, wo aus dem Nebeldunst noch ein paar Kirchtürme in den sinkenden Abend ragten und die Silhouette der Stadt sich mehr und mehr auflöste.

Als die Sonne blutrot verlöscht war, war auch die entschwundene Heimat mehr und mehr in dunkle Schatten eingehüllt. Eine riesige Nebelwand stieg aus den rauschenden Wassern herauf, die den Auswanderern die Gegenwart wie mit einem geheimnisvollen Schleier verhüllte.

Doch noch immer standen sie in kleinen Gruppen beieinander, den Blick zurückgewendet und Tränen in den Augen, wußten sie jetzt erst, was sie mit der Heimat verloren hatten?

Was ließen sie zurück? Wer kannte das Leid, die Schmerzen eines jeden? Drüben im fernen Amerika blühten ihre Hoffnungen wie tausend bunte Blumen. Dort, nur dort, meinten sie, strahle ihren Wünschen ein unbekanntes Zauberland.

Als der Nebel und das weite Wasser sie räumlich von der alten Heimat schieden, war der kurze Abschiedsschmerz bald vergessen. Sie lebten wieder traumhaft der Zukunft. Ihre Gedanken flogen gleich goldenen Faltern ins neue Land, wo ihrer gewißlich Freuden, Glück und Reichtum warteten.

Ein scharfer Nordost blies in die Segel, scheuchte – bis auf wenige – die Auswanderer vom Deck.

Nur zweien schien die steife Brise nichts anzuhaben. Sie wanderten, ohne zu ermüden, auf und ab und sprachen von ihren Hoffnungen, ihrer Zukunft. Wenn sie in den Lichtkegel der großen Laterne am Hauptmast kamen, konnte man sich an ihren frischen, frohen Gesichtern erfreuen.

Lienhard war mittelgroß. Der offene Blick seiner braunen Augen nahm sofort für ihn ein. Sein Freund Thomann war größer, bedächtiger in Sprache und Haltung, vielleicht auch ein paar Jahre älter, – seinen grauen Augen konnte man unbedingt vertrauen.

»Es ist mir lieb, daß die andern nicht hier sind. Du warst mir immer der liebste meiner Freunde, Thomann, ich will dir nun meinen unabänderlichen Entschluß mitteilen. Mit Rippstein, Kiburz, Diel und wie sie sonst heißen, fahre ich nicht.«

»Willst du etwa aussteigen?«

»Laß mal den Spaß beiseite. Ich hab' mir die Burschen, mit denen wir in den letzten Wochen zusammen blieben, auf unserer Wanderung genauer angesehn. Keiner ist wie du –«

»Ich geb' dir das Kompliment zurück.«

»Als alte Freunde wollen wir uns doch keine Schmeicheleien sagen. Wir wissen, was wir voneinander zu halten haben, und daß einer für den andern, wenn's sein muß, mit Leib und Leben einsteht. Einer kann sich, in Not und Gefahr, auf den andern verlassen.«

»Das kann er,« bekräftigte Thomann.

»Und darauf, siehst du, kommt's im Leben an, wie mein Vater zu sagen pflegt. Worte tun's nicht. Die Tat erst erweist die echte Freundschaft. Ich bin innerlich davon durchdrungen, daß keinem seine Freundschaft einen Taler wert ist, wenn er ihn für uns ausgeben müßte.«

»Hast recht, viel trau' ich ihnen nicht zu.«

»Also denn: Die Welt ist groß und hat für alle Raum. Auch in Amerika wird für jeden ein Plätzchen zu haben sein. Ich fürcht' auch, daß ich ihnen nicht werde widerstehen können, wenn sie von neuem in mich dringen, ihnen Geld zu pumpen.« – »Ich schulde dir aber auch –«

»Was mir gehört, ist dein, – bitte schweig davon. Die andern wollen wir nicht hindern, allein auf Entdeckungsreisen zu gehen. Denke daran, wie oft wir mit ihnen Zank und Streit hatten. Ihre Charaktere passen nicht zu unsern. In zwei Wochen sind wir in New York –«

»Wenn das Schiff die Fahrt weiter so hält, wie jetzt, sind wir noch früher in der Neuen Welt.«

»Um so besser. Und dort trennen wir uns von ihnen.«

»Abgemacht. Und dann?«

Lienhard wies, statt aller Antwort, zum Heck. Dort lag ein Mensch.

»Es wird einer sein,« meinte Thomann, »den die Seekrankheit gepackt hat.«

»Nicht doch – jetzt schon – auf der Elbe? Vielleicht ist er krank. Ich will fragen, ob ich den Arzt rufen soll.«

»Dabei brauchst du mich nicht. Mir ist überdies kalt, auch habe ich Hunger. Ich treffe dich unter Deck, nicht wahr?« Thomann ging, aber Lienhard zog es mit unsichtbaren Kräften zu der Gestalt, die auf einem Haufen Segeltuch zusammengekauert lag. Auf seine teilnehmende Frage erhob ein Mann den Kopf. Die weißen Segelflächen warfen genug Licht auf sein Gesicht, um Lienhard erkennen zu lassen, daß er geweint hatte. »Darf ich Ihnen nützen? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« fragte Lienhard. – Der Unbekannte schüttelte das Haupt.

»Bitte, nehmen Sie meine Fragen nicht übel. Es ist nicht plumpe Neugierde, gewiß nicht. Es ist eine Art Teilnahme, die mich dazu treibt. Oder – wie sag' ich's nur – eine Sucht, den Menschen zu helfen, – wenn ich's irgend vermag. Es liegt so von Jugend auf in mir, ich hab' den Trieb vermutlich von meinem Vater geerbt. Und der von seinem, wie er oft erzählt hat. Auch Unrecht ließ ich nicht geschehen, nahm mich immer der Gekränkten an und zog oft dabei den Kürzeren. Gar oft brachte mir das als Lohn vielfach Prügel. Hab' ich aber davon gelassen? Durchaus nicht. Ich kann also eigentlich nichts dafür. Und deshalb, mein Herr, werden Sie mein Beginnen nicht falsch deuten und mein Fragen entschuldigen.«

Lienhard wollte sich entfernen. Der Unbekannte hatte sich aber inzwischen erhoben und ihm die Hand auf die Schulter gelegt. »Bleiben Sie noch ein wenig, Herr –«

»Heinrich Lienhard von Bilten bin ich, nennen Sie mich, wie meine Freunde es tun, nur ruhig Lienhard.«

»Herr Lienhard. Geben Sie mir Ihre Hand, so. Ihre teilnehmenden, freundlichen Worte haben mich tief bewegt – meinem Herzen wohlgetan. Selten bin ich in meinem bewegten Leben guten Menschen, ich meine uneigennützigen, begegnet. Manches wäre dann wohl anders geworden. Ihre liebreichen Worte gingen mir zu Herzen. Ich danke Ihnen, danke Ihnen von ganzer Seele.« Der hochgewachsene Mann, dessen vergrämtes Gesicht ein Vollbart umrahmte, schüttelte dem neuen Freunde die Hand.

»Sie beschämen mich, mein Herr,« erwiderte Lienhard. »Wenn ich in meinem Eifer, vielleicht etwas zu verhüten, zu weit ging, so müssen Sie das auf das Konto meiner Erziehung setzen. Ich bin ein Landkind –«

»In der Tat? Dann seien Sie mir doppelt willkommen. Ich bin ein Landmann und empfand sofort, daß das, was Sie mir sagten, keine konventionellen Phrasen waren. Sie wissen nicht, ach Gott, ja, Sie können nicht ahnen, was Ihre Ansprache verhütet hat. – Davon ein andermal. Der heutige Tag, der der unglücklichste meines Lebens ist, geht nun freundlich zu Ende. Dafür bin ich der Vorsehung besonders dankbar, wir bleiben ja noch einige Wochen auf dem Schiff zusammen, werden uns täglich sehen und sprechen. Auch meine Frau und Tochter werden sich freuen, Sie kennenzulernen. Meine Frau ist leider sehr krank – –«

»Ach, nicht wahr, Sie kamen mit den Ihrigen erst kurz vor Abgang aufs Schiff?«

»So ist es. Der Abschied von der Heimat hatte meine Frau arg mitgenommen. Sie war so schwach –«

»Sie trugen Sie in Ihren Armen, – ich hab' es mit Teilnahme bemerkt.«

Auch in Lienhards Brust wohnten – wie bei den meisten Menschen – zwei Seelen. Die Teilnahme mag schon vorhanden gewesen sein, denn er war von Grund aus ein guter Junge. Die andere Seele in ihm jubilierte. Denn er hatte die Bekanntschaft »ihres« Vaters gemacht, des Mädchens, deren Schönheit ihn wie ein Blitz getroffen hatte. Und da wurde seine Teilnahme verdrängt und verdunkelt. Er hörte kaum noch, was sein neuer Freund zu ihm sagte. Er pries alle Götter für sein Glück, und das Unglück des andern verblaßte. Er konnte kaum den neuen Tag erwarten. Wie hieß der Mann? Er hatte seinen Namen überhört. Ach, beim Kapitän wird er ihn schon erfahren. Ein vornehmer, stolzer Mann. Ob auch glücklich? Sicherlich nicht. Es war ihm nahe gegangen, als er ihn so zusammengebrochen und mit tränenden Augen gefunden hatte. Welches Leid mochte ihn drücken? Die Krankheit der Frau? Durfte er sich aber seinem Schmerze hingeben, wenn er eine so holde, liebreizende Tochter besaß? War sie nicht sein Augentrost, die Weide seines Herzens?

Sollte noch mehr dahinter stecken? War er glücklich? Priesen alle Leute daheim nicht auch seinen Vater glücklich? Ja, beim flüchtigen Hinsehen mocht's leidlich scheinen. In Wirklichkeit lebte er kümmerlich, seufzend unter einer schweren Schuldenlast im Kanton Glarus in der Schweiz und hatte gerade nur für sich und die Frau, seine gute Mutter, so viel, um das Leben fristen zu können. Niemand brauchte die Armseligkeit ihres Daseins zu wissen, es half ja doch keiner. Und mit leeren Worten war nichts getan.

Und seinen Vater hatte ebenfalls das Schicksal einst hart angepackt. In den deutschen Befreiungskriegen hatten ihm die Franzosen seinen Besitz in deutschen Landen zerstört. Napoleon hatte ihn, weil er gegen ihn kämpfte, seiner Güter beraubt. Als Napoleon dann endlich auf St. Helena saß, war sein Vater ein siecher Mann, vorzeitig gealtert und in der Schweiz äußerlich zur Ruhe gekommen. Freunde und Verwandte waren tot, er saß mit Frau und seinem Jungen in Bilten auf der kleinen Scholle, die er mit unsäglichem Fleiß bebaute. Auf Lienhard hatte er alle Hoffnung gesetzt. Und seine Hoffnungen fanden in den in die Ferne schweifenden Wünschen seines Einzigen einen trefflichen Widerhall.

Die Laufbahn eines Offiziers konnte keine glänzende sein, seine Armut wäre seinem Vorwärtskommen hinderlich gewesen. Lienhard wurde auf einem großen Gute in die Lehre gegeben. Der Landwirtschaft widmete er sich voll Freude. Mehrere Jahre verbrachte er so. Dann erlernte er die Gärtnerei, war Gehilfe beim Flurschütz im Engadin, wo er manchen Bären schoß und Raubvögel aus der Luft holte.

Inzwischen war er einundzwanzig Jahre alt geworden. Die kleinen Sparpfennige hatte er treulich seinem Vater geschickt. Dessen Lasten wurden davon nicht geringer, und Lienhard stand arm am Anfang seines Lebensweges wie zuvor.

Da hatte er einmal Gelegenheit sich hervorzutun, die Familie Sutter aus Lebensgefahr zu retten. Es waren drei Kinder mit ihrer Mutter. Sie kamen in einem Wagen von Davos her über den Flüelapaß und hatten die Paßhöhe hinter sich, plötzlich rollte der Wagen die abschüssige Bahn mit Macht hinunter. Der Kutscher hatte die Gewalt über die Pferde verloren, die Zügel waren ihm entglitten. In seiner Angst sprang er vom Wagen, als das Gefährt immer schneller und toller bergab raste. Entweder mußte alles bei der nächsten Wegbiegung an der Felswand zerschellen oder die jach abfallende Steilwand hinunterstürzen. Lienhard wollte zum Tschuggen hinauf, als ihm das Unglück entgegenstürmte. Da warf er sich tollkühn den durchgehenden Pferden entgegen, riß sie an die Felswand hinüber, wurde zwar mitgeschleift und verletzt, – das Äußerste hatte aber sein Mut, seine Geistesgegenwart abgewendet. Er hatte entschlossen sein eigenes Leben eingesetzt, um die in Todesnot Befindlichen zu retten.

Ein Pferd war gestürzt, halb lag er unter ihm. Der Wagen mit den Insassen war umgefallen und begann bedenklich auf dem lockeren Erdreich dem Abgrund zuzugleiten. Da gelang es Lienhard, unter seiner Last hervorzuschlüpfen und – seiner Wunden nicht achtend – die Bedrängten aus der schlimmen Lage zu befreien.

Seine Tat wurde allerwärts gerühmt. Und die Geretteten überhäuften ihn mit dankenden Guttaten aller Art. – – –

Als wäre es gestern geschehen, so frisch stand sein damaliges Erleben jetzt vor seiner Seele. Und doch war ein Jahr seitdem verflossen. Was hatte sich inzwischen nicht alles ereignet.

Frau Sutter hatte ihn eines Tages zu sich gebeten und bedeutsame Worte gesprochen. Ihr Dank sollte unauslöschlich sein. Sie wollte sein Glück begründen. Ihr Mann befand sich seit etlichen Jahren in Kalifornien, wo ihm die mexikanische Regierung Riesenkomplexe unbebauten Landes zugewiesen hatte unter der Bedingung, sie in einem gewissen Zeitraum zu besiedeln. Dorthin empfahl sie Lienhard zu gehen. Die Kosten der langen Reise übernahm sie als einen Teil ihrer großen Dankesschuld an ihn. Sein Kommen hatte sie ihrem Manne bereits in einem Briefe gemeldet.

Und schon sah er sich im künftigen Besitz großer Ländereien, die ihn nichts kosten oder die er sicherlich für sehr wenig Geld würde vom Kapitän Sutter erwerben können. Gestützt auf seine Fähigkeiten als Landwirt und Gärtner, erhoffte er gute Erträge. Er sah sich als reichen Grundbesitzer und seine Eltern ihren Lebensabend bei ihm verbringen.

Die goldene Hoffnung ist ein Vorrecht der Jugend. Mit diesen Allerweltsflügeln fliegt sie unbekümmert über Abgründe, über Gebirge, deren eisbedeckte Gipfel in den Himmel ragen, über unendliche Meere. Stürme schrecken sie nicht, Gefahren machen keinen Eindruck auf sie.

Seit Lienhard das Anerbieten seiner Gönnerin angenommen hatte, war er wie verwandelt. Was er bisher im stillen Herzen hoffte, war ihm mit einem Male schon Erfüllung, schon Gewißheit. Als ob er einen Pakt mit der Vorsehung geschlossen hätte, so sicher sah er sein Glück in naher Zukunft glänzen. Und auf manche Bekannte und Jugendfreunde strahlte etwas von seinem Glücksbewußtsein. Ohne Bedacht schlossen sie sich ihm an, und eines Tages wanderte er mit etlichen Altersgenossen der Neuen Welt zu. Solange die Zehrpfennige reichten, waren sie guten Mutes. Dann mußte Lienhard in seinen vollen Beutel greifen, wenn die Glückssucher nicht auf halbem Wege zurückbleiben sollten. Wohl fanden einige noch auf der Wanderschaft bei Verwandten reichliche Hilfe. Davon teilten sie den andern mit. Es kam aber zu fortwährenden Unzuträglichkeiten, die in der Hauptsache im Neid auf Lienhard ihren Ursprung hatten.

Diese Kameradschaft und Freundschaft war ihm plötzlich lästig geworden. Zu dem Glücksgefühl in seinem Herzen, das es seit Monaten erfüllte, hatte sich ein größeres, höheres, reineres gesellt. Ihm war, als ob in seiner Brust eine goldhelle Sonne aufgegangen sei. War das das Glück des Lebens, das alle Menschen erhoffen und so selten festhalten? Er war seit Stunden ein anderer geworden, ein Glücklicherer, ach, der Glücklichste auf diesem Schiff, das gespensterhaft durch die nächtlichen Fluten eilte.

Als er endlich den Weg zur Kajüte nahm, wußte er blitzartig, daß das einzig erstrebenswerte Glück auf demselben Schiff mit ihm über den Ozean segele. Zu seiner vollkommenen Seligkeit fehlte fast nichts, – hatte er doch mit dem Vater seines künftigen Glückes gesprochen.

 

Die Nordsee hatte den Segler tüchtig hin und her geworfen. Im Ärmel-Kanal ging's ihm übel, aber im Atlantischen Ozean schon erholte sich die Schar der Reisenden von den Strapazen der Seekrankheit. Immer sanfter rollten die Wogen, und bald gab es nichts Lieblicheres als den Anblick des stahlblauen Firmaments und die leicht gekräuselte, endlose Wasserfläche des Meeres. Die Sonne – es war Ende Juni des Jahres 1846 – brannte heiß, der Wind jedoch war verschwunden, kaum, daß gegen Abend ein sanftes Lüftchen die schlaffen Segel ein wenig bewegte. Das Schiff schien still zu stehen, ein Umstand, der die von der Seekrankheit kaum genesenen Reisenden wenig kümmerte.

Kapitän Wittenack aber machte ein sorgenvolles Gesicht. Mit jedem Tage schien sein Kummer größer zu werden. Er wurde wortkarg, seine Augen suchten nur den Horizont ab. Das Wetter blieb unverändert windstill und sonnig. Das gefiel den Auswanderern ungemein. Auf Deck herrschte ein fröhliches Leben. Die »Elisabeth« glitt, von einer gelegentlichen Woge getrieben, ein wenig weiter, das machte aber nicht viel aus bei den vielen tausend Seemeilen, die sie noch bis New York zurückzulegen hatte.

Die Freunde Lienhards bildeten eine Gruppe, der sich Lienhard jetzt fernhielt, nur Thomann suchte die Verbindung zwischen ihnen aufrechtzuhalten.

Lienhard war, seit das sonnige Wetter vorherrschte, von früh bis Abend bei seinen neuen Freunden. Herr von Rochow hatte für seine kranke Frau am Heck ein ruhiges Plätzchen unter einem Segel bereitet, das die immer lästiger werdenden Sonnenstrahlen abhielt. Ihr liebliches Töchterchen Beate, ganz opfervolle Liebe für die Mutter, und Lienhard blieben um sie bemüht. Herr von Rochow umwanderte ruhelos das Schiff. Die Arme lag apathisch in ihrem Liegestuhl, nahm wenig Nahrung zu sich, sprach nicht; nur ihre Augen flackerten voller Unruhe von ihrem Manne zu Beate, dann ruhten sie forschend auf Lienhard. Sie suchten brennend geheimnisvolle Fragen der Seelen zu enträtseln, während ihr Zittern, ihre Angst verrieten, daß die Seele der Leidenden auf dem Wege war, die sterbliche Hülle zu verlassen. Oft lag sie stundenlang mit geschlossenen Augen da, währenddessen Lienhard und Beate die Erlebnisse ihrer Jugend in glücklichem Vertrauen austauschten. Beate hatte siebzehn Lenze gesehen, aber eine an Kummer und Bitternissen allzu reiche Jugend gehabt.

In den acht Tagen, die sie beieinander waren, waren sie Freunde geworden. Sie hatte ihm das kummervolle Weh ihres jungen Herzens anvertraut. Ihr Vater war seelensgut, aber ein Spieler. Er hatte vor Jahren seine Güter verspielt, Verwandte hatten ihm aufgeholfen, ihn aus schlimmen Händen befreit. Die Mutter hatte ihn beschworen, nicht mehr zu spielen. Er hatte es ihr versprochen, aber das Versprechen nicht gehalten. Es ging mit ihm wirtschaftlich bergab. Freunde und Verwandte kehrten sich von ihm fort, sie meinten, ihm wäre nicht zu helfen. Als er das letzte Besitztum, die letzte Scholle verspielt hatte, brach der armen Mutter das Herz. Sie hatten dann Mecklenburg verlassen, um sich in Amerika ein neues Heim zu gründen. Die Mittel zur Überfahrt hatte ein Vetter namens Böschen geschickt, der ihnen für die erste Zeit in St. Louis Gastfreundschaft gewähren wollte. »Vater,« erzählte sie, »hatte wieder und wieder der Mutter Besserung gelobt. Sie glaubt ihm aber nicht mehr und sieht voll Angst und Schrecken in die Zukunft. Ich sehe, wie die Arme leidet und kann ihr nicht helfen, da ihr Glaube an ihn erschüttert ist. Aber der Vater leidet auch. Ich bin überzeugt, daß seine Reue vorhalten wird. Was kann es aber jetzt helfen?«

Bei solchen Ausbrüchen der Verzweiflung, die täglich wiederkehrten, breitete er seine hoffnungsreichen Pläne vor ihr aus, aus denen ihr lachend alles das entgegenleuchtete, was sein jugendfrohes Herz erfüllte: Hoffnung, Gewißheit, Glück und Freude. Und eines Tages durfte er auch vor ihrer Mutter das sehnsuchtsvolle Zauberbild entrollen.

»In diesem Jahre, Frau von Rochow, werden wir die Wanderung übers Felsengebirge kaum antreten können. Wir schwimmen jetzt auf dem Atlantik, kommen vielleicht in einer oder gar erst in zwei Wochen nach New York, also gegen Mitte des Juli. Dann gilt es, sich zu einer sechsmonatlichen Reise mit Ochsengespann zu rüsten. Jeder muß sich Wagen und Gespann selbst besorgen, dazu seine Ausrüstung und Proviant für ein halbes Jahr, denn es geht durch unbekannte Wildnisse und gefährliche Indianergebiete, bevor wir das Felsengebirge erreichen. Zum Überklettern der hohen Berge ist es aber dann zu spät.«

»Zu spät? Wann würden wir das Felsengebirge erreichen?«

»Kaum vor Mitte Oktober, es ist dann, wie ich vielfach vernahm, zu spät, um vor Eintritt des Winters hinüberzukommen. Das Schicksal anderer Emigranten muß uns warnen. Bisher versammelten sich die Auswanderer Anfang Mai am Indian Creek, um gemeinsam Freud und Leid der Wanderung zu teilen. Haben wir aber erst die Sierra Nevada hinter uns, dann kommen wir ins gepriesene, gelobte Land, nach Kalifornien. Da soll ein mildes Klima herrschen, das Land äußerst fruchtbar sein, halb tropisch, für den Ackerbauer ein Paradies.«

»Was wissen Sie über das Schicksal früherer Auswanderer?«

»Sie waren im Oktober am Platt-River angekommen, als es stark zu schneien begann, so daß sie nicht mehr vorwärts kamen. Viele hatten dann vorgeschlagen, das Vieh zu schlachten, damit man nicht verhungere, wenn der Winter mit Macht kommen sollte. Die Mehrzahl war dagegen, sie hofften auf milderes Wetter. Das war aber nicht der Fall. Dazu kam, daß es an Lebensmitteln fehlte, daß ihnen die Indianer alles Vieh raubten. Hunger und Kälte begannen ihr Vernichtungswerk. Um ihr Leben zu fristen, kochten sie altes Leder und Riemenzeug und aßen es. Die Not wurde täglich größer, Schnee und Kälte forderten die ersten Opfer, denen nur zu bald weitere folgten. Als im April Ansiedler vorüberritten, fanden sie nur noch einen einzigen Mann am Leben. Er hatte von den Leichen der Gestorbenen gelebt.«

Das war ein wenig erbauliches Thema, von dem Beate nichts wissen wollte. Dagegen lauschte sie seinen Worten gern, wenn er von seinen Zukunftsplänen in Kalifornien sprach, von seinen Ländereien, die er erwerben, was er pflanzen und was für Gebäude er aufführen wollte. Bei seinem Wohnhaus verweilte er besonders gern. Dabei hatte sie viel zu fragen: weshalb das Haus denn durchaus so viele Zimmer haben sollte? Für ihn als Junggesellen würden doch zwei oder drei Stuben genügen?

Lienhards Augen leuchteten dann vielsagend, als er mit leiser Stimme antwortete: »Ich gedenke, nach den Worten der Bibel zu leben, die lauten: es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.«

»So wollen Sie, daß Ihre vielen Freunde bei Ihnen wohnen?«

»Keine Freunde, nur eine Freundin soll in dem Hause Herrscherin und Königin sein und zugleich meine angebetete Frau.«

»Es wird Ihnen nicht leicht werden, Herr Lienhard, so ohne weiteres in den Urwäldern Kaliforniens eine Königin zu finden. Vielleicht begnügen Sie sich mit einer Prinzessin, wenn Sie am Hofe eines Indianer-Fürsten anklopfen. Habe ich recht geraten?«

»Nein, mein Fräulein, eine Weiße muß es sein und eine Deutsche dazu. Vielleicht habe ich sie auch schon gefunden – – –«

Als er sie dabei lachend ansah, flammte ihr Gesicht auf, sie senkte verlegen den Blick. Und als ihr Vater auf seinen unermüdlichen Rundgängen in Sicht kam, schloß sie sich ihm an und überließ ihr Mütterchen der Obhut Lienhards. Das Gespräch hatte sie in Verlegenheit gebracht.

 

Der Kapitän blickte sorgenvoll und düster. Der Wind war eingeschlafen. Eine schwache Dünung schaukelte den Segler ein wenig, bis wieder vollständige Windstille eintrat. Ein- oder zweimal hatte sich zwar nachts der Wind aufgetan, es war aber nur wie zum Hohn, er hielt nicht an. Wohl hatte das Schiff einige Meilen gemacht, was wollte das aber sagen bei der noch zurückzulegenden ungeheuren Wegstrecke. Die Passagiere bedrängten den Kapitän mit Fragen. Er zuckte die Achseln. Was sollte er sagen? Das Schiff konnte noch lange so wie ein Wrack auf dem Ozean treiben. Er tröstete die Ungeduldigen, gab Hoffnung für den kommenden Tag, um dann, selbst halb verzweifelt, den Fragern den Rücken zu drehen. Die ganze Wahrheit durfte er ihnen nicht sagen. Aber wie lange konnte er sie ihnen noch vorenthalten? Drei Wochen waren, seit er aus Hamburg segelte, verflossen. Hielt die Windstille weiter an, konnten noch viele Wochen vergehen, bis Land in Sicht kam. Mit der Ungeduld der Reisenden hätte er sich abgefunden, was würde aber werden, wenn der Vorrat an Trinkwasser zu Ende war?

Eine große Aufregung bemächtigte sich der Menschen, als die Trinkwasserration an diesem Tage auf die Hälfte herabgesetzt wurde. Verdursten, mitten im Ozean, witzelten einige? Dann trinken wir eben Salzwasser. Die Törichten ahnten nicht, was ihrer wartete.

Die Sonne blieb unbarmherzig, sie sengte und glühte und machte das Verbleiben auf Deck tagsüber oft unerträglich. Der Kapitän hatte aus Segeln Sonnendächer über Deck gespannt, aber auch dabei hielt der Kräftigste selten stand, weil die Windstille den Aufenthalt auf Deck zur Qual machte. Die Planken waren heiß, das Pech längst aus den Fugen gequollen.

Unter Deck war die Glut womöglich noch ärger. Die Luken standen auf, die Türen der Kajüten; in den Gängen, auf den Treppen, auf den Planken troff es vor Wasser, ohne jede Wirkung. Alle lechzten nach einem erquickenden Trank, riefen nach Wasser. Einige versuchten sogar gewaltsam in die Kombüse zu dringen, um Wasser zu erlangen, sie wurden aber unsanft abgewiesen.

Sobald die Sonne verschwunden war, kamen alle auf Deck. Viele machten sich hier ihr Nachtlager zurecht, um der Hitze, die dauernd unter Deck herrschte, zu entrinnen.

Der Trinkwasservorrat nahm merklich ab, in wenigen Tagen war er zu Ende. Doch auch der Hunger schien sich zu den Qualen des Durstes zu gesellen. Auf eine so lange Überfahrtsdauer schien der Kapitän nicht gerechnet zu haben, der Schiffsvorrat war bis auf Hartzwieback und Salzfleisch ebenfalls in einer Woche aufgezehrt.

Ein paar Unverständige hatten dem Drange nicht widerstehen können und Seewasser getrunken. Die Folge war, daß sie erkrankten.

Als auch das Essen knapper und nur ungenießbares Salzfleisch aufgetischt wurde, schlug die allgemeine Stimmung um. Man hörte harte Worte und Drohungen gegen den Kapitän, der weder die Windstille gemacht hatte, noch imstande war, einen Sturmwind herbeizuzaubern. Um die erregten Gemüter zu beruhigen, veranstaltete er zur Ablenkung Jagden auf Haifische, die in großer Anzahl das Schiff umkreisten. Witterten sie Beute? An einem etwa dreißig Zentimeter langen eisernen Haken, der an einer eisernen Kette saß, die wieder mit einem langen, kräftigen Seil verbunden war, wurde ein großes Stück Salzfleisch als Köder befestigt. Biß der Hai an, saß er fest am Haken und peitschte mit der Schwanzflosse wie rasend das Wasser, so war im Eifer des Jagdfiebers Durst und Hunger vergessen. Die Sonne brannte unerbittlich weiter, aber alle wollten dabei sein und womöglich den Räuber des Meeres mit an Bord ziehen helfen, wenn ihnen auch der Schweiß in Strömen aus den Poren drang.

Mit dieser sportlichen Ablenkung erreichte der Kapitän seinen Zweck. Aber schon nach zwei oder drei Tagen hatten die Passagiere an der Jagd genug, und die zwingende Not steigerte, mehr denn vorher, ihre Aufregung. Es bildeten sich Gruppen, die Beratungen dauerten an. Die einen waren für Absetzung des Kapitäns, die andern für Rückkehr nach Hamburg. Für Rückkehr stimmten die meisten, ohne aber angeben zu können, wie die Fahrt, ohne Wind in den Segeln, geschehen könne.

Noch ungeberdiger benahm sich die Schiffsbesatzung. Am Gangspill, beim Fockmast, hielt der Matrose Rasenack Reden, um die um ihn versammelten Kameraden aufzureizen. Er war ein starker, ungeschlachter Kerl mit behendem Mundwerk, in Hamburg zu Hause. »Seht, Jungens,« rief er ihnen zu, »hab' ich das nich längst gesagt, daß mit unserm Kap'tän nichts los is, wie? 'n Mann wie er, der über fünfzig is, sollte vom Schiff bleiben und das Kommando an jüngere geben, wie? Wir sind alles seebefahrene Leute, nich? Aber bei solcher Windstille, mein' ich, sollte jeder Kap'tän suchen, nach Südwesten abzubiegen oder nach Nordwesten, was dasselbe is, nich? Um in 'n Wind 'reinzukommen. Hat Kap'tän Wittenack das schon mal versucht? Niemand weiß was davon, wie? Also, Jungens, entweder muß er dazu gezwungen werden, den Versuch, wie ich sagte, zu machen, oder wir gehen alle kaput.«

Einer rief: »Wo ist Steuermann Johannsen? Der soll's ihm in unserm Namen sagen.«

»Nichts da mit dem Steuermann,« schrie Rasenack, »Johannsen hält's mit dem Kap'tän. Ich selber will's ihm sagen, kommt.«

Sie stolperten dem Schwätzer nach, die Treppe hinunter und in die Kapitänskajüte. Der beriet gerade mit dem Arzt und dem Steuermann über die Abwehr des neuen drohenden Unglückes, als die Mannschaft, allen voran Rasenack, in den kleinen Raum eindrang. Die Tür blieb offen, so daß den Außenstehenden kein Wort der Unterhaltung entging.

»Was wollt ihr? warum seid ihr nicht auf euren Posten?«

»Weil wir mit Ihnen reden wollen, Kap'tän,« sprach Rasenack. »Auf unsern Posten brennt die Sonne. Wir versäumen nichts, wenn wir hier sind. Wir wollen aber wissen, woran wir mit Ihnen sind, ob das so weitergehen soll, das mit dem Stilliegen auf See, oder ob wir endlich mal 'n büschen um die Ecke biegen möchten, um an 'n Wind 'ranzukommen, nich? Oder ob wir verhungern und verdursten sollen?«

»Bevor ich die Fragen beantworte, möchte ich eine stellen: Wer von euch weiß, wer die Tonnen mit dem Trinkwasser geleert hat?« Als alle schwiegen, fuhr der Kapitän fort: »Die Tat ist schurkisch und gemein. Um so nichtswürdiger, weil das Schiff jetzt ohne einen Tropfen Trinkwasser ist, ohne das die Kinder und Frauen hauptsächlich leiden werden. Unsereiner hilft sich mit dem Priem über den Durst weg. Was sollen aber Frauen und Kinder tun? Und nur Leute der Mannschaft kommen als Täter in Betracht, wie die Wache ausgesagt hat, die die Namen nicht nennen will. Ich behalte mir die Bestrafung der Täter vor. So, Rasenack, die Frage, ob ihr verdursten sollt, könnt ihr euch also selbst beantworten. Und solange noch Hartzwieback genug da ist, braucht kein Mensch zu verhungern. Anders liegt die Frage, wie man an den Wind rankommen soll. Davon versteht ihr alle miteinander nichts. Abwarten, heißt's. Wer nicht warten will, kann das Schiff verlassen und zu Fuß weitergehen. Vorschriften laß ich mir von so unreifen Köpfen nicht machen, was zu geschehen und zu unterbleiben hat, bestimme ich. Und wer nicht gehorcht, den lasse ich in den Kielraum bringen, damit er zur Vernunft zurückkehrt. Trollt euch!«

Die Worte des Kapitäns verfehlten ihren Eindruck auf die Leute nicht. Doch Rasenack gab sich nicht so schnell zufrieden. In voller Wut pfauchte er den Kapitän an. Er würde sich mit Redensarten nicht dumm machen lassen. Ob sein Kopf reif oder unreif sei, wäre seine Sache. Und soviel wie andere Leute verstünde er auch, wenn auch in seinen Taschen nicht soviel Silbertaler klimperten. Von groben Worten könnte kein Mensch seinen Durst stillen. Und wenn das Trinkwasser alle ist, gäb's im Schiffsraum doch noch genug Fässer mit Wein! – – –

Die Matrosen hatten den erregt gesprochenen Worten ihres Kameraden zugestimmt. Diejenigen, die im Vorraum und die Treppe hinauf standen, drängten nach, so daß der Kapitän und die beiden Männer an seiner Seite, der Steuermann und der Schiffsarzt, zurückweichen mußten. Der Kapitän war bleich geworden. Doch bald war er wieder Herr der Lage. »Kommt herein, soviel ihrer Platz haben, und hört, was ich zu sagen habe.«

Er war hinter den Tisch getreten, so daß der jetzt zwischen ihm und den Aufrührern stand. Er hatte unauffällig unter den Tisch gefaßt und die Schublade ein wenig aufgezogen. Dann sprach er mit ruhiger Stimme: »Es ist kein Geheimnis, jeder von euch weiß es schon seit Hamburg, daß wir im Kielraum Fracht mitführen, Rhein- und Moselweine, das edelste Traubenblut, das in Deutschland wächst. Das sind Güter, die uns zu treuen Händen anvertraut wurden, die wir, als ehrliche, pflichttreue Menschen, dem Besteller in Amerika abzuliefern haben, wer sich an ihnen vergreift, ist ein Dieb, ein ehrloser Lump.«

Er blickte im Kreise umher und wartete, ob der Rädelsführer nochmals die Keckheit haben würde, etwas zu entgegnen. Dann fuhr er mit gedämpfter Stimme weiter fort: »Unsere Not ist groß, doch jede Stunde kann unsere Lage verbessern. Es muß mal wieder regnen, und es muß mal wieder Wind in unsere Segel kommen. Doch viel Schlimmeres ist über uns gekommen. Der Arzt hier mag es euch sagen. Schweigt den Passagieren gegenüber zunächst, darum wollte ich bitten. Sie werden's ja noch zeitig genug erfahren. Bitte, Herr Doktor, sagen Sie's den Leuten.«

Alle blickten auf den Schiffsarzt, der sie durch seine Brillengläser anfunkelte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und begann:

»Ja, Leute, da ist nicht viel zu sagen. Ich kann's kurz machen, wir haben einen Gast an Bord bekommen, einen unheimlichen Gast. Er fuhr als blinder Passagier mit und kam auf einmal zum Vorschein. Ganz plötzlich und so unerwartet, daß ich zu Tod erschrak, als ich ihn vorhin das erstemal erkannte. Der Gast ist – die Cholera.«

Der Arzt schwieg. Keiner von den Anwesenden gab einen Laut von sich, so hatte sie die Nachricht erschreckt. Die Cholera, das bedeutete den sicheren Tod. Am Leben hingen alle. Solange sie noch den blauen Himmel sahen, die Gluten der Sonne fühlten, auch wenn sie, wie gerade jetzt, lästig waren, auch bei knappem Essen und spärlichem Trinken, – sie wollten doch lieber so leben, als nicht mehr sein. Leben, atmen, die funkelnden Himmelslichter bei Nacht schauen und dem Atmen des Meeres lauschen, die Gedanken sehnsüchtig in die Ferne, in die Heimat zurückschweifen lassen und mit den Lieben zu Hause traulich-innige Zwiesprache halten. Auch das hieß leben, fühlen, empfinden und sich des Daseins freuen, war Glück.

Alle standen still und stumm. Die grausige Nachricht drückte wie ein Bleigewicht auf ihre Hirne und Herzen. Der Tod ging auf dem Schiff um. Leise, schattenhaft, unbemerkt schlich er umher, um sich seine Opfer zu wählen. Wen holte er jetzt? Wen dann? Und das Schiff erschien alten eng und klein und als ein furchtbares Gefängnis; eine Flucht war undenkbar, ein Entrinnen unmöglich. Der Angstschweiß bedeckte ihre Stirnen. Oder war es wirklich plötzlich so besonders heiß geworden? Und jäh sah einer den andern von der Seite mißtrauisch an, als ob vom Nachbar eine Ansteckungsgefahr drohte. Jeder wich ein Stück zurück, so daß sich die Masse rückwärts schob.

»Noch ein Wort,« rief der Kapitän. »Wir haben vorhin schlechte Worte gehört. Ich will versuchen, sie zu vergessen. Sollten jedoch den schlechten Worten, was ich nicht hoffen will, schlechte Taten folgen, so wird das darauf meine Antwort sein.« Bei den Worten entnahm er der Tischschublade eine Pistole, hob sie drohend und ließ sie dann langsam in seine Rocktasche gleiten.

 

Was sich begeben hatte, lief wie ein Lauffeuer durchs Schiff. Die Auswanderer zeigten Schrecken, Bestürzung und Angst. Ohne Sinn und Ziel rannten sie durchs Schiff, klagten einander ihr Leid, um ihr angsterfülltes Jammern und Weinen in Drohungen gegen den Kapitän zu beschließen. Schließlich gaben die meisten dem Rate des Arztes Gehör. Um die Ansteckungsgefahr zu verringern, sonderte sich einer vom andern ab, und jeder blieb in seiner Kajüte. Nur Lienhard und seine Freunde bewegten sich weiter auf Deck, auch Herr von Rochow wanderte dort ruhelos wie bisher auf und nieder, als hätte die Gefahr keine Macht über ihn.

Beim Fockmast mußte er einen kleinen Umweg machen, da umstand die Mannschaft einen der Ihrigen. Es war der Matrose Rasenack, der am Gangspill stand und auf die Leute einredete.

»Meinetwegen glaubt dem Alten. Aber es sind ja noch, gottlob, helle Jungens unter euch, die mich nicht für 'n toten Fisch halten und wissen, wenn ich was sage, hat's Kopf und Beine. Wir sind unser zehn und entschlossen. Versteht ihr? Wir gehen vom Schiff – – –«

Da rief ihm Jürgens zu: »Aha, und schwimmt mit Händen und Füßen nach Amerika.«

»Snack du nicht, du Grünhorn, wenn ältere Kameraden reden, welche die See besser kennen als du. Wir sind in Not, das ist klar. Und unser Leben ist doppelt in Gefahr. Entweder gehn wir zugrunde, weil wir nichts mehr zu beißen haben, oder die Cholera macht mit uns kurzen Prozeß. Das ist wieder klar, wenn wir unser Leben retten, da möcht' ich wohl den sehen, der uns daran hindern wollte.«

Alle waren jetzt seiner Meinung. »Also dann, Jungens, da gibt's nur zwei Wege. Wir nehmen die Rettungsboote, packen für ein paar Tage hinein, was wir brauchen und irgend haben können, und rudern nach Süden, bis wir so weit sind, daß wir Segel setzen können. Oder aber wir bringen den Alten zur Ruh' mitsamt seinem Anhang und steuern dem Wind entgegen. Der Alte ist zu bequem dazu. Wir wollen ihm mal zeigen, was man kann, wenn man will.«

Allerlei Bedenken wurden laut. Der Kapitän hätte recht, den Wind könne kein Mensch herbeizaubern. Und im offenen Boot auf'm Ozean, das wäre ein noch sicherer Tod bei den Haien als auf dem Segler, wo das Verhungern noch nicht ausgemacht wäre. Und die Cholera müsse erst einer kriegen, ehe an Tod zu denken sei. Auch wäre niemand da, der Lust hätte, den Kapitän umzubringen. Die Gemüter erhitzten sich immer mehr, bis Rasenack den größten Teil der Leute durch das Versprechen auf seine Seite brachte, daß man dem Kapitän nicht ans Leben gehen, sondern ihn nur so lange einsperren wollte, bis er – Rasenack – das Schiff aus der windstillen Zone herausbugsiert haben würde. Es wurde beschlossen, daß heute um Mitternacht die Meuterei geschehen solle.

Nach Sonnenuntergang wurden sechs Mann unter Deck befohlen. Die Epidemie hatte das erste Opfer gefordert, das sollten sie an Deck tragen, um es, nach Seemannsbrauch, im Meere zu bestatten. – In ein Tuch gehüllt, auf einem mit Steinen beschwerten Brett festgebunden, wurde still, ohne Zeremonie, der Leichnam dem Meere übergeben. Außer dem Kapitän waren nur ein paar Neugierige zugegen, die in respektvoller Entfernung, aus Furcht vor Ansteckung, dem Vorgang zusahen.

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Der jetzt auf dem Grunde des Meeres lag, war ein rüstiger Mann gewesen, der plötzlich erkrankt war. Er war Kaufmann, aber ohne Glück. Dem jagte er über den Ozean nach, hoffte es in Amerika zu erhaschen, und mußte von Frau und Kind so unverhofft scheiden. Der Kapitän versprach, sie und ihr Kind auf der Rückreise nach Deutschland mitzunehmen. Indessen berichtete der Arzt von weiteren Erkrankungen.

Die Nacht senkte sich über die endlose Wasserfläche wie ein furchtbares Bahrtuch, auf der das Schiff mit dem Häuflein bebender Menschen kaum merklich dahinglitt. Leise Wellchen gluckerten an den Kiel. Der Himmel sah aus, als ob er sich unendlich weit mit seinen Sternen vom Ozean entfernt hätte, kaum, daß man die blitzenden Fünkchen wahrnehmen konnte. Und in der grauenvollen Schwärze schien der gespensterhafte Dreimaster allmählich unterzutauchen.

Da huschten Lichter über Deck und verschwanden spukhaft, dann tauchten sie wieder auf, mit ihnen Schatten, die bei entzündeten Laternen Gestalten annahmen. Es war Rasenack mit seinen Helfern. Sie hatten Kapitän und Steuermann und sechs Mann, die zu diesen hielten, überfallen, gebunden und im Laderaum gefangen gesetzt.

Er hatte das Schiff nicht etwa gleich in die »Windzone« dirigiert, von der er doch so geläufig zu schwadronieren wußte, sondern in Mengen Wein und Rum an Deck schaffen lassen, denen die Meuterer lebhaft zusprachen. Als die unerbittliche Sonne das Unglücksschiff mit ihrem Feuer wieder überschüttete, lagen die »Retter«, vom Weine trunken, auf Deck.

In der Nacht hatte der Sensenmann zwei neue Opfer gefordert. Der Arzt mit Hilfe von Lienhard und einigen seiner Freunde sorgte dafür, daß die Leichen rasch bestattet wurden.

Die bisher frohgemute, fröhliche Schar der Auswanderer war verschwunden. Abgehärmte, bemitleidenswerte Gestalten, hinter denen der Tod einherging, schlichen umher. Ihre Hoffnungen schienen vernichtet, ihren Augen entquollen Tränen, jegliches Lachen war verstummt. An der Reling sah man fortan nur weinende Gesichter, und das allgemeine Leid wuchs, wenn neue Cholerafälle bekannt wurden.

Die kranke Frau von Rochow ließ sich wie sonst von ihrem Mann an Deck tragen. Die Arme lag unter dem Sonnensegel mit geschlossenen Augen, bleich und regungslos. Nur wenn Beate bei ihr saß und die Zukunft in glückhaften Bildern ausmalte, kam Leben in die Kranke. Sie ließ ihre Augen auf der jugendlichen Gestalt ruhen, und ein Lächeln umspielte ihren Mund. Und mit schwacher Stimme sagte sie: »Du, mein Liebling, du wirst noch glückliche Tage sehen, aber ich – –. Weine nicht, Beate, es geschieht, was geschehen muß. Doch sprich von der Vergangenheit, von der Heimat, wo mein Glück zurückblieb – –.« Dann plauderte Beate, stark beherrscht, von daheim, von den rauschenden Wäldern, den bunten Wiesen, dem murmelnden Bach und ihren Lieblingsplätzen, an denen sie so gern geweilt hatte. Und von den Tieren, den Pferden und Hunden, erzählte sie, die ihr Anhänglichkeit und Treue bezeigt hatten bis zuletzt.

Auf den blassen Wangen der armen Dulderin zeigten sich rote Flecke. Doch die Erregung währte nicht lange. Die Erschlaffung folgte rasch nach, und eine tiefe Ohnmacht schien das kümmerlich flackernde Lebenslichtlein ausgelöscht zu haben. Doch noch einmal kehrte sie zum Leben zurück. Mit flüsternder Stimme bat sie Lienhard, näher zu kommen. Er mußte, um sie zu verstehen, seinen Kopf zu ihr beugen.

»Wir stehen in Gottes Hand. Für alle Fälle aber – möchten Sie einer Sterbenden eine letzte Bitte erfüllen? Sie allein können es – –«

»Ich verspreche und gelobe es.«

»Ihre Hand, Herr Lienhard. Meinen Dank und – meinen Segen. Meine Bitte ist: bleiben Sie Beate zur Seite, seien Sie ihr Beschützer, – es könnte ja sein, daß mein Mann stirbt oder – ich muß es leider sagen – zu alten Fehlern zurückkehrt. Sie verstehen, Beate hat von ihm zu Ihnen gesprochen. Beate ist jung und würde schutzlos in dem wilden Lande sein, das ich nicht mehr sehen werde.«

Nach einer Pause sprach sie wieder: »Ich vergehe in Sehnsucht nach Deutschland. Ach, wär' ich daheim geblieben, vielleicht ginge es mir besser. Vorbei – – Noch eins versprechen Sie mir, bitte: bringen Sie Beate nach Deutschland zurück. Zu meiner Schwester, sie wird es Ihnen danken. Werden Sie glücklich. Gott sei mit Ihnen. Mein Kind – –«

Kurze Zeit darauf hatte sie ausgelitten.

 

Die Meuterer hatten, als sie aus ihrem Rausche erwachten, um ihren brennenden Durst zu löschen, von neuem dem Weine zugesprochen, zugleich aber reichliche Weinmengen an die Passagiere ausgeteilt. Nicht lange, dann lagen sie wieder berauscht an Deck.

Die Sonne war endlich, nachdem sie die Auswanderer in der langen Zeit zur Verzweiflung gebracht hatte, hinter Wolken verschwunden. Ein pfeifender Windstoß kündete Unwetter an. War das Schiff darauf vorbereitet? Alles schien neu belebt.

Herr von Rochow rief Lienhard und seine Freunde zusammen, um den Führer des Schiffs aus seiner Haft zu befreien. Ihnen schlossen sich, um etwaigem Widerstande zu begegnen, eine Anzahl kräftiger Männer von den Auswanderern und einige von der Mannschaft an.

Das gelang leicht. Kapitän und Steuermann erholten sich bald von der unfreiwilligen Gefangenschaft.

Dann wurden in Eile die hängenden Stagsegel gerefft, und was an Leinwand an Rahen und Masten hing, geborgen, denn der Kapitän sagte einen schweren Sturm voraus. Die Arbeiten waren noch nicht fertig, da brach's heulend los. Das Meer ging hoch. Das Schiff wurde wie ein Kork umhergeworfen. Eine See nach der andern fegte über Deck und über die bezechten Meuterer. Auf diesen Moment hatte der Kapitän gewartet. Sie wurden plötzlich munter und hatten es eilig, sich in Sicherheit zu bringen. Dem Rädelsführer Rasenack ließ der Kapitän Handschellen anlegen und ihn in den untersten Kielraum in Gewahrsam bringen.

 

Die Epidemie forderte noch viele Opfer. Aber – wie jedes Ungemach im Leben – ging auch diese Leidenszeit vorüber. Ende Juli kam Land in Sicht. Nachdem sie noch eine Quarantäne überstanden hatten, durften die stark dezimierten Glückssucher an Land gehen.

Lienhard schloß sich Rochow Vater und Tochter an, die ihr Verwandter in St. Louis erwartete. Man nahm Abschied voneinander. Die meisten versprachen, sich im Mai am Indian Creek wieder zu treffen oder an den Gestaden des Stillen Ozeans.

Als Lienhard mit Beate allein am Kai stand – ihr Vater holte einen Wagen herbei, da er sich englisch verständigen konnte – und er ihr in die Augen sah und sprach: »Nun mutig vorwärts, es wird uns gelingen,« – da huschte das erstemal seit ihrer Mutter Tode wieder ein Lächeln über ihr schönes Antlitz.

 

Herr Böschen, der Vetter Rochows, war ein welterfahrener Mann. Die leidige Politik hatte ihn in Konflikt mit den deutschen Behörden gebracht, der heimatliche Boden wurde ihm zu heiß; den drohenden Folgen seiner politischen Wirksamkeit entzog er sich, indem er nach Amerika ging.

In Deutschland war er Literat gewesen. In der Neuen Welt mußte er sich dazu bequemen, sein Leben als Hafenarbeiter, später als Kellner, Musiker, ja sogar als Heizer in einer Fabrik zu fristen. Erst allmählich kam er vorwärts. Sein Weg führte ihn dann nach St. Louis. Dort wurde er seßhaft, fing einen kleinen Handel mit Whisky und Bier an, vergrößerte sein Geschäft noch durch den Handel mit Zigarren und Tabak, und legte durch sparsames Leben den Grund zu einem kleinen Vermögen. In der Franklinstraße eröffnete er dann einen Laden, in dem man alles, was man für das Leben brauchte, kaufen konnte. Die Lage der Straße war sehr günstig. Jeder, der zum Mississippi hinunter wollte, mußte an Böschens Store vorüber. Auch die Leute, die vom Norden, mit dem Dampfschiff in St. Louis anlegten, und die, welche von New Orleans den Mississippi heraufkamen, sahen, wenn sie in die Stadt wollten, die günstigen Kaufangebote in Böschens Laden. Er machte ein gutes Geschäft und wurde ein vermögender Mann. Bei ihm rüsteten sich die meisten Auswanderer aus, besonders die, deren Weg in das damals noch sagenhafte, weltferne, schwer erreichbare Kalifornien führte.

Rochow und seine Tochter Beate fanden bei Böschen eine verwandtschaftlich gute Aufnahme. Für den Ladenbetrieb waren jedoch beide, das sah Böschen gleich ein, wenig zu brauchen. Beate fand deshalb im Haushalt einen Platz, den sie gut ausfüllte, und ihr Vater suchte sich in dem hinter dem Hause gelegenen Garten nützlich zu machen. Anders war es dagegen mit Lienhard. Den konnte er vom ersten Tage an im Geschäft brauchen. Er versprach sich von ihm alles Mögliche für die Zukunft, besonders dann, wenn er die englische Sprache würde beherrschen können.

An Sonntagen, wenn der Laden geschlossen war, machte Böschen mit Lienhard am Ufer des Mississippi weite Ausflüge. Oft gesellte sich auch Rochow mit Beate zu ihnen, und hier ließ Böschen sein ganzes Wissen über den Mississippi glänzen.

»Sehen Sie, mein lieber Lienhard, dieses gewaltige Wasser ist sozusagen der Leib der amerikanischen Nation. Das Mississippibecken umfaßt etwa 1¼ Millionen englische Quadratmeilen. An Ausdehnung ist es das zweitgrößte der Welt. Nur das des Amazonenstromes ist größer. Das Gebiet dieses ungeheuren Stromes könnte Deutschland fünfmal in sich aufnehmen. Ja, mein Lieber, das ist kein gewöhnlicher Fluß, er ist in jeder Beziehung merkwürdig. Wenn wir den Missouri als seinen Hauptarm betrachten, so ist es der längste Fluß der Welt und volle 3400 englische Meilen lang. Er ergießt 25 mal soviel Wasser ins Meer als der Rhein. Sein Wasser entnimmt er 28 Staaten zwischen Delaware an der Atlantischen Küste und Idaho an den Abhängen des Stillen Ozeans. Er nimmt das Wasser von 25 kleineren Flüssen, die aber noch für Dampfboote schiffbar sind, und von einigen hundert, die von kleineren Schiffen befahren werden, in sich auf und führt die ungeheuren Wassermassen dem Golf zu. Das Areal des von ihm entwässerten Beckens ist so groß wie der Flächenraum von Deutschland, England, Wales, Schottland, Irland, Frankreich, Spanien, Portugal, Österreich, Italien und der Türkei zusammen. Fachleute behaupten, daß der Mississippi alljährlich 406 Millionen Tonnen Schlamm in den Golf von Mexiko entleert. Die Schlammablagerungen lassen das Land an seiner Mündung langsam anwachsen. Wir könnten tage- und wochenlang wandern und würden überall Spuren davon finden, wie sich die Ufer immer wieder verändert haben. Der Mississippi hat nämlich die Neigung, wunderbare Sprünge zu machen. Er durchschneidet schmale Landzungen, um auf diese Weise seinen Lauf zu verkürzen. Das ist schon oft geschehen, seit ich in St. Louis meinen Wohnsitz habe. Am Fluß gelegene Städte wurde plötzlich in ländliche Distrikte hineinversetzt, und vor ihnen wurden Sandbarren und Wälder aufgebaut. Die Stadt Delta hat sonst drei Meilen unterhalb Vicksburg gelegen. Vor einiger Zeit hat es dem Fluß beliebt, eine andere Richtung einzuschlagen, denn jetzt liegt Delta zwei Meilen oberhalb Vicksburg. Diese Launenhaftigkeit des Riesenflusses zerstört bisweilen sogar die Staatsgrenzen. Z. B. kann ein Mann, der heute im Staate Mississippi lebt, infolge eines in der Nacht erfolgten Durchbruchs sich und sein Land auf der anderen Seite des Flusses wiederfinden, wo er im Staate Louisiana ist. In früherer Zeit ist es vorgekommen, daß ein Sklave auf diese Weise von Missouri nach Illinois versetzt und zum freien Mann wurde.«

Böschen hatte für die Geschichte des gewaltigen Flusses ein großes Interesse und liebte es, zu allen Zeiten seine Kenntnisse leuchten zu lassen.

Lienhard zeigte sich als ein aufmerksamer Zuhörer. Er gewann Böschens Vertrauen und genoß in besonderem Maße sein Wohlwollen. Und darauf kam es ihm nur an. Denn von diesem hing es einzig und allein ab, ob er in Böschens Haus bleiben und täglich Beate sehen und sprechen konnte oder nicht. Auf diese Weise brauchte er auch nicht einen anderen Unterschlupf zu suchen oder gar den sorgsam gehüteten Goldschatz, den er mitgebracht hatte, zu verbrauchen, von dem er die Reisekosten und den Ankauf eines Stück Landes in Kalifornien bestreiten wollte. So weit ging alles gut. Die Stimmung Beatens wurde merklich besser, und selbst ihr Vater begann wieder gesprächiger zu werden und über seine Auswanderungspläne im Frühjahr zu reden. Die Winterabende in der Familie waren für Lienhard der Höhepunkt und der harmonische Abschluß des Tages. Wenn Böschen von seinen Fahrten, Wanderungen und Erlebnissen erzählte und Rochow über die heimatlichen Verhältnisse ausfragte, konnte Lienhard ungestört mit Beate über ihre Zukunft sprechen. Seitdem das Schicksal sie zusammengeführt hatte, war niemals zwischen ihnen von Liebe die Rede gewesen. Sie fühlten sich zueinander hingezogen und glaubten nicht anders, als daß die Vorsehung sie einander zugeführt hätte. Erst wenn es Lienhard gelungen sein würde, festen Boden unter den Füßen zu haben, erst wenn seine Existenz gesichert war, wollte er zu ihr von Liebe reden. Er glaubte ihrer sicher zu sein, auch ohne Abrede. Gemeinsames Leid hatte sie verbunden, und die Worte der sterbenden Frau von Rochow gaben ihm alle Zuversicht auf Beatens Hand.

Da hatte eines Abends Böschen einen Mann mit an den Abendtisch gebracht, einen Mr. Johnson, den Lienhard wiederholt im Laden gesehen hatte. Er mochte Anfang der dreißig sein, war hoch gewachsen und von athletischem Körperbau. Der Mann war ihm vom ersten Augenblick an zuwider. Sobald er ihn sah, stieg ein Haß in ihm auf, über den er sich keine Rechenschaft geben konnte. Johnson schien den um soviel kleineren Lienhard zu übersehen. Nur gelegentlich, wenn er ihn mit seinen hellen, fast weißlich erscheinenden Augen mißtrauisch ansah, zeigte er, daß er von dem Vorhandensein Lienhards Kenntnis nahm. Über die ganze Breite seiner Stirn lief eine furchtbare Narbe, die er zum Teil dadurch zu verdecken suchte, daß er sein Haar darüber kämmte, wenn er sich aber im Eifer des Gesprächs die Haare aus der Stirn strich, erschreckte der Anblick der Narbe jedesmal von neuem. Böschen meinte, als ihn Rochow darüber befragte, er hätte einmal gehört, daß Johnson beinahe von Indianern skalpiert worden wäre, mit denen er Handel trieb. Er wäre ihm seit Jahren als Kunde bekannt und solle in Colorado und noch weiter nach Westen große Länderstrecken besitzen.

»Er ist, wie man hier sagt, ein smarter Junge, der es noch weit bringen kann und keinerlei Furcht kennt. Er zahlt mir gute Preise. Und wenn er mal mit der Zahlung im Rückstand war, kam er ein Jahr später und hat alles beglichen. Im Frühjahr will er mit mehreren Gespannen nach dem Westen, macht jetzt schon große Bestellungen, hat auch schon eine runde Summe voraus bezahlt.«

Das mochte alles seine Richtigkeit haben. Die Anwesenheit des unheimlichen Gastes störte aber das trauliche Beieinandersein der beiden jungen Leute, jedenfalls war es, als ob dieser sonderbare Fremde sie von einander getrennt hätte. Beiden verschlug die Rede, und nur wenn dieser Mr. Johnson sich erhob, atmeten beide auf und fühlten sich wie von einem Alp befreit.

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Man war nun im Januar des Jahres 1847. Lienhard zählte die Tage, denn im Anfang Mai wollten Rochows aufbrechen, um nach dem fernen Westen zu wandern. Er hatte klugerweise von seinen Absichten geschwiegen. Ihm lag daran, Böschen in der Meinung zu erhalten, daß er in ihm einen ständigen Mitarbeiter gewonnen hätte. Er dachte, kommt Zeit, kommt Rat. Es war ihm darum zu tun, von Beate nicht getrennt zu werden.

Um so peinlicher wurde er von dem Benehmen Johnsons berührt, der eines Abends erklärte, er hätte die Absicht, bald zu heiraten. Er sei des Umherziehens müde. Er wollte endlich auf seinen Besitzungen bleiben und wie ein richtiger Farmer seine Felder bestellen. Daß er diese Worte mit dreister Deutlichkeit an Beate richtete, das empörte Lienhard lebhaft. Als er aber später von Böschen hörte, daß Johnson willens sei, um sie anzuhalten, konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er sprach unverblümt seine Mißachtung gegen diesen ins Haus geschneiten Mr. Johnson aus.

»Was wollen Sie,« entgegnete Böschen, »für das Mädel ist es das beste, daß sie einen tüchtigen Mann kriegt, der sie ernähren kann, und auf diese Weise kommt Rochow wieder auf ein festes Gleis. Denn daß er mit seiner Tochter mitgeht und auf der Farm seines Schwiegersohnes mitarbeiten wird, kann nur für alle von Nutzen sein. Und auch für mich selbst wird es kein Schade sein. Denn auf diese Weise werde ich beide mit Anstand los und brauche das teure Geld für die Ausrüstung nicht zu zahlen, die allerlei kostet.«

Lienhard wußte nun, woran er mit Böschen war, den er als Egoisten erkannte. Wie aber war es um Beatens Herz bestellt? Sollte er sie fragen oder sich des Vaters Fürsprache versichern? Nein. Er tat beides nicht. Wenn ihr Herz diesen englischen Abenteurer ihm vorzog, dann brauchte er um ihren Verlust nicht zu trauern, dann hatte sie ihn nicht geliebt. Er wartete ab, was die nächste Zeit ihm in dieser Hinsicht bringen würde.

An einem Sonntag, als er mit Böschen von einer weiten Wanderung nach Hause zurückkehrte, kam ihm freudestrahlend Beate entgegen. »Denken Sie nur, Mr. Johnson war hier, um sich zu empfehlen. Er ist abgereist!«

»Abgereist?« rief Böschen. »Das ist doch nicht möglich. Er hat ja noch den größten Teil der Waren zu zahlen.«

Nach einiger Zeit schien er sich zu besinnen und fuhr ruhiger fort: »Gut, gut. Er wird wiederkommen, und wenn er es nicht in diesem Jahre zahlt, dann wird er es im nächsten Jahre tun.«

Seitdem wurde der Name des Herrn Johnson nicht mehr im Familienkreise genannt. Die Stimmung der Liebenden wurde wieder wie früher, und alle zarten Hoffnungen schlugen in ihren Herzen mächtige Triebe.

 

Die Zeit kam heran, die zur Entscheidung drängte. Böschen entpuppte sich immer mehr als ein krasser Egoist, dessen verwandtschaftliche Gefühle für Rochow und Tochter längst erstarrt waren. Lienhard suchte er zu halten und an sich zu fesseln. Das tat er freigebig durch Schmeichelreden. Geld hatte er ihm noch nicht gegeben, »wozu brauchen Sie Geld? Wenn Sie's haben, suchen Sie's nur wieder an den Mann zu bringen. Bei mir sind Ihre Dollars in guten Händen. Sie haben Essen und Trinken frei und ein nettes Stübchen, lernen was bei mir. Was wollen Sie mehr?«

Lienhard nahm also eines Tages Herrn von Rochow beiseite. »Über Ihren Verwandten, den famosen Herrn Böschen, werden Sie ja wohl keine Illusionen mehr haben. Wie denken Sie nun darüber? Wollen Sie mit mir zusammen nach Kalifornien? Dann schlagen wir ihm ein Schnippchen und suchen uns in der Ferne ein besseres Glück, als es uns hier am Ufer des Mississippi spärlich zuwächst.«

»Sie haben recht. Ich bin völlig kopfhängerisch geworden und weiß nicht ein noch aus. Ich dachte, gerade hier in den Hafen einzulaufen, und für meine Tochter ausgesorgt zu haben. Natürlich bin ich mit Freuden dabei, davonzugehen. Nur die Mittel fehlen mir dazu.«

»Das lassen Sie meine Sorge sein. Geben Sie mir die Hand darauf, daß Sie mit mir zusammen –« und errötend setzte er hinzu –: »und natürlich mit Fräulein Beate, auswandern wollen, für das übrige lassen Sie mich sorgen.«

Der Bund war geschlossen. Rochows waren von Europa her noch gut mit Kleidern und Stiefeln versorgt, so daß nur die für eine Fahrt mit Ochsengespann nötigen Ausrüstungsgegenstände beschafft werden mußten. Als die Freunde miteinander einig waren, war es Anfang April. Die Bäume und Sträucher prangten bereits in saftigem Grün. Es war eine Freude nach dem langen harten Winter, die Augen auf dem zarten Laub ruhen zu lassen. Anfang Mai sollte die Reise vor sich gehen.

Eines Tages trat Lienhard resolut vor Böschen und teilte ihm seine Pläne mit. Der war wenig erbaut davon. Und als er hörte, daß Rochow und Tochter mit von der Partie waren, glaubte er, daß dieser ihm die billige Arbeitskraft abspenstig gemacht hätte. Er tat sehr aufgeregt, brauchte starke Worte, und erst, als Lienhard erklärte, daß er Mittel besitze und bei ihm die Ausrüstung kaufen wollte, glätteten sich seine Zornesfalten wieder.

Anfang Mai war man endlich so weit, um aus der Stadt heraus und ins Freie zu kommen. Es wurden Kaffee, Zucker, Tee, trockenes Rindfleisch, Schweinefett, Schießpulver, Blei, Schrot, Zündhütchen, Zündhölzer gekauft. Auch eine alte Büchse und ein Pulverhorn ließ sich Lienhard für seinen Reisegefährten Rochow aufhängen, obgleich er überzeugt war, daß er dabei überteuert worden war. Er hoffte immer noch, seine Reisekasse durch das ihm zustehende Gehalt von fast dreiviertel Jahren zu vergrößern. Böschen erklärte jedoch rund heraus, er zahle nichts. Nur wenn Lienhard sich verpflichten würde, mindestens zwei Jahre bei ihm auszuhalten, solle er sein Geld mit Zinsen erhalten. Lienhard liebte keinen Streit. Er wollte lieber alles verlieren, als daß sein Lieblingsplan hätte scheitern sollen. Die Zeit drängte, und so beeilte er sich, einen starken Wagen mit zwei Ochsen zu kaufen. Der Wagen kostete 50 Dollar, das Gespann Ochsen 25. Da er aber ein Reservegespann haben mußte, das auch 25 Dollar kostete, war ein Teil seiner sorgsam gehüteten Reisekasse verbraucht.

Die Deichsel wurde mit Eisen beschlagen und der Länge nach verstärkt. Das Innere des Wagens wurde durch einen Vorhang in zwei Teile geteilt, eine Blache schützte die Insassen gegen schlechtes Wetter. Decken mußten die Betten ersetzen. Eisernes Kochgeschirr hatten sie sich beschafft, und Lienhard hatte für seine gute Schweizer Flinte noch einen reichlichen Vorrat an Munition eingekauft, und für den eigenen Gebrauch hatte er einen Büffelpelz erworben. Was fehlte, konnte noch in Independence angeschafft werden. Dieser Ort und St. Joseph in Missouri waren die beiden Plätze, wo sich die Auswanderer für die Wildnis ausrüsteten. Endlich hatte das kleine Dampfboot die Reisenden mit ihren sieben Sachen an Bord.

Am fünften Tage spät nachmittags kamen sie erst am Landungsplatz in Independence an. Es war eine öde Gegend am Fuße eines steilen, hohen Uferabhanges. Nachdem Menschen, Tiere und Sachen gelandet waren, sahen sich die Auswanderer das erstemal allein auf sich selbst gestellt. Nun wurden auch die zwei paar Ochsen vor den Wagen gespannt, der sie volle sechs Monate durch die gefahrvolle Wildnis, durch Flüsse und über das Gebirge bringen sollte. Zunächst ging's eine steile Anhöhe hinauf. Den Wagen zogen die Ochsen mit Leichtigkeit, und es ging alles gut. Die Nacht brach herein, ohne daß das ersehnte Städtchen in Sicht kam. So kampierten sie denn das erstemal im Freien und waren überrascht, als sie am kommenden Morgen fanden, daß sie ganz in der Nähe des Städtchens gelagert hatten. Ein schöner, bequemer Lagerplatz, wo die Ochsen grasen konnten, wurde gefunden. Dann kauften sie noch Mehl und ein Fäßchen, das sie mit Trinkwasser füllten. Ein paar Tage vergingen, und während dieser Zeit hatten sich allmählich noch mehr Leute eingefunden, die die gleiche Reise machen wollten und sich zu diesem Zwecke hier vollends ausrüsteten. Am sechsten Tage endlich setzten sie ihr Gefährt in Bewegung, und jetzt erst waren sie auf der eigentlichen Reise nach Kalifornien.

Der Tag war warm, die Prärie grünte und die Vögel sangen ihre Frühlingslieder. Der Wagen rollte über Steine. Dann führte die Straße durch einen Wald. Den Namen Straße verdiente sie eigentlich kaum. Sie war nichts weiter als eine Passage, von der die ärgsten Hindernisse weggeräumt waren. Dann kam ein fließendes Wässerlein, durch das der Wagen hindurch mußte, dann ein stehendes Gewässer, das besser als Sumpf anzusprechen war, durch den man nur mit der größten Mühe den Wagen und die Tiere hindurchbringen konnte. Diese kleinen Hindernisse ließen die Auswanderer ahnen, daß sie noch manche Geduldsprobe ablegen müßten, ehe sie ins gelobte Land kommen würden. Aber als der Wald durchquert war und die Aussicht auf die Prärie wieder einen bessern Weg verhieß, kehrte die fröhliche Laune wieder. Die Sonne blinkte auch so warm und golden. Sie verschönte mit ihrem Zauberlicht alles. Und in die Herzen der Auswanderer strahlte sie Hoffnung und Mut.

Am nächsten Tage stießen sie auf den allgemeinen Sammelplatz der Kalifornien-Reisenden am Indian Creek. Die Sonne stand tief im Westen, als sie von der Hochprärie hinunter ins Tal des Indian Creek kamen. Mitten im Walde, an den Ufern des Flusses, trafen sie bereits eine Anzahl Auswanderer, die unter Bäumen, auf grasigen Stellen, ihr Lager aufgeschlagen hatten. Es gewährte einen schönen Anblick, die fröhlichen Menschen um das Feuer lagern zu sehen.

Täglich vergrößerte sich die Zahl der Auswanderer um neue Ankömmlinge, doch sie waren noch nicht zahlreich genug, um die gemeinsame Weiterreise anzutreten. Die Grenze des Staates Missouri hatten sie hinter sich. Sie befanden sich jetzt schon im Indianergebiet der Shawnees, einem halb zivilisierten Stamm, der sich durch Landbau und Viehzucht fortbrachte. Erst wenn sie stark genug sein würden, um einen Angriff von seiten der gefürchteten Indianerstämme abzuwehren, sollte der gemeinsame Aufbruch erfolgen. Bis dahin vergingen noch mehrere Tage. Die jungen Leute vertrieben sich tagsüber die Zeit damit, daß sie ein wenig auf die Jagd gingen. Doch außer Eichhörnchen schossen sie nichts, und gar zu weit wollten sie sich nicht vom Lager entfernen, um nicht von auflauernden Indianern abgefangen zu werden.

Da hatten einige herausgebracht, daß ganz in der Nähe ein Honigbaum wäre, das heißt ein Baum, in dem ein Bienenschwarm nistete. Wer sich für Honig interessierte, rüstete sich mit einer Axt aus, und so begaben sie sich zu einem ziemlich kräftigen Eichbaum. Man sah wohl ein paar Bienen hin und her fliegen, doch von einem Bienenschwarm war nichts zu erblicken. Da indessen einige junge Leute steif und fest behaupteten, sie hätten zahlreiche Bienen aus einem Astloch fliegen sehen, so wurde der Eichbaum mit vereinten Kräften umgelegt, und als man kräftig auf den hohlen Stamm schlug, kamen aus dem Astloch statt der Honig spendenden Bienen zwei große schwarze Schlangen heraus. Alle schrien entsetzt auf und wichen zurück. Die Reptilien waren im Nu im Unterholz verschwunden.

Lienhard hatte es bisher so gehalten: Er überließ den Wagen bei Nacht den beiden Rochows, Vater und Tochter. Er selbst machte sich sein Lager unter dem Wagen zurecht, indem er sich in seinen Büffelpelz wickelte, neben sich seine Flinte. Auch Bekanntschaften hatte er bald gemacht. Da war ein Mann namens Weimer, der mit seiner Frau und neun Kindern aus Thüringen kam. Er war von Hause aus Glasschleifer. Doch das Gewerbe gefiel ihm nicht mehr. Er wollte nach Kalifornien, um dort sein Glück zu machen. Er machte den Eindruck eines bescheidenen und zuverlässigen Mannes. Ein Amerikaner namens Marshall, seines Zeichens ein Schneider, wollte ebenfalls ins unbekannte Land ziehen, um dort zu Wohlstand zu kommen. Diese beiden schlossen sich besonders freundlich an Lienhard an. Dann war noch ein Mr. Hapy mit seiner Frau und zwei Kindern, ein entgleister Kaufmann, ein Mr. Harlon mit Familie, und endlich ein Architekt, der seine Kunst an den Nagel gehängt hatte, um als Farmer und Jäger im unbekannten Lande zu leben.

Zwei Tage später kamen zur großen Verwunderung Lienhards seine Schweizer Freunde Thomann, Rippstein, Kiburz an, denen am nächsten Tage der Hesse Valentin Diel und der Lothringer Zins nachfolgten. Aus allen Ländern tauchten Gestalten auf. Viele machten einen wenig Vertrauen erweckenden Eindruck. Es waren Leute mit Galgengesichtern, denen man gern aus dem Wege ging und nichts Gutes zutraute.

Bevor der allgemeine Aufbruch vor sich ging, machte Lienhard mit seinen Freunden noch einen kleinen Jagdausflug, auf dem es nichts zu schießen gab. Jedoch stießen sie auf einige Blockhäuser, die wahrscheinlich von früheren Ansiedlern verlassen worden waren. In ihnen hausten jetzt ganz friedlich Indianerfamilien. Im Innern der Häuser sah es ärmlich, aber ziemlich sauber aus. Es waren ordentliche Leute da. Die Frauen waren in Kaliko gekleidet. Auch die Kinder, Mädchen, und Knaben, trugen saubere Kleidungsstücke. Ein kleiner Junge übte sich im Bogenschießen. Die Frauen waren mit Hausarbeit beschäftigt. Ganz in der Nähe der Häuser waren große Ackerflächen mit Mais bestellt.

Endlich waren mehr als 30 Wagen beisammen, mit je zwei Paar Ochsen bespannt. Jeder Auswanderer war mit Lebensmitteln für die weite Reise versehen. Unterwegs hoffte man noch manches Stück Wild zu erlegen, um die Küche zu verbessern. Alle waren frohen Mutes.

Am Abend vor der Ausreise wurden alle Männer am Ausgang des Waldes versammelt. Sie wollten sich ein Oberhaupt geben, dem sie sich freiwillig unterordnen wollten, das die Führung haben sollte auch für den Fall, daß die Indianer einen Angriff wagen sollten. Einzelne nahmen das Wort, um ihre Ansicht kundzugeben. Schließlich wählte man Herrn von Rochow zum Führer. Seine hochgewachsene Gestalt, sein ernstes Aussehen hatten wohl bestimmend auf die Wahl gewirkt. Man nannte ihn von jetzt an »Kapitän«, was er sich schmunzelnd gefallen ließ. Es wurde vereinbart, daß der Aufbruch durch ein Hornsignal anzukündigen sei, ebenso sollten die Hornsignale den Auswanderern verkünden, daß die Tagesfahrt beendet und der Lagerplatz zu beziehen wäre.

Als Herr von Rochow die neue Würde übernommen hatte, hatte die Gesellschaft mehr als 30 Wagen und mehr als 50 streitbare Männer. Rochow ernannte als alter Soldat für jeden Tag die Männer zur Nachtwache. Er bestimmte das Tagesprogramm für die Reise, nachdem gleich von Anfang an jedem Wagen an dem betreffenden Tag der Platz angewiesen war. Der erste im Zug mußte am nächsten Tage der letzte sein, so daß von 30 Wagen in 30 Tagen der gleiche Wagen nur einmal ganz vorn oder ganz hinten seinen Platz hatte. Abends, wenn der Lagerplatz ausgewählt war, wurden die ersten 15 oder 16 Wagen auf der einen Seite im Halbkreis aufgefahren, die übrigen bildeten auf der gegenüberliegenden Seite den andern Halbkreis. Vorn und hinten blieb der Halbkreis etwa 10 bis 15 Fuß breit offen. Auf diese Weise bekam man einen ziemlich großen Platz in der Mitte zwischen den Wagen, in welchen alle Morgen das Vieh zum Aufschirren getrieben wurde. Sollte ein Indianerangriff erfolgen, so war der Platz zwischen den beiden Wagenreihen als Sammel- und Verteidigungsort bestimmt.

Rochow war der Ansicht, daß nunmehr die Gesellschaft stark genug sei, um sich gegen Indianerangriffe mit Erfolg verteidigen zu können. Am 12.Mai gab er die Order zum Aufbruch.

 

Als alle Einkäufe besorgt waren und jeder die vielen Gepäckstücke in dem kleinen Raum seines Wagens verpackt hatte, bemächtigte sich aller eine Erregung. Denn nun wurde es Ernst mit dem Auswandern. Die Trennung von der Heimat stand für lange Zeit bevor, oder für alle Ewigkeit, wie es das Schicksal jedem bestimmt hatte.

Jeder wußte, daß der allgemeine Aufbruch die Trennung von der Zivilisation bedeutete, von jeder Sicherheit. Leben und Eigentum konnten räuberische Indianer antasten, man befand sich nun in Kansas, im Indianerterritorium. Und die Erregung der Auswanderer steigerte sich, als endlich die Peitschen knallten, als die Rufe: Hurra! get up! ihee! oh! haw! in lustigem Durcheinander die Zugtiere antreiben halfen.

Die meisten liefen freudig erregt den Wagen vorauf oder neben ihnen her. Besonders die Kinder der Emigranten konnten sich in ihren Freudenäußerungen nicht genug tun. Solange man durch die offene Prärie fuhr, ließen ihnen die Eltern ihren Willen. Nach einer Viertelstunde schon machte das Ganze Halt. Ein Wagen war im Schlamm stecken geblieben. Die Wagenräder schnitten so tief ein, daß das Ochsengespann ihn nicht herausbrachte. Man packte mit an, und nachdem der Wagen noch Vorspann erhalten hatte, konnte es weitergehen.

Der Abend war nicht mehr fern. Die Kinder mußten auf die Wagen. In dem flachen Uferland eines kleinen Flüßchens wurde gelagert. Alles begann schon eine gewisse Regelmäßigkeit anzunehmen. Das Vieh ließ sich besser handhaben, jedes Stück fing an, den ihm beigelegten Namen, sowie die Kommandorufe zu verstehen. Mit jedem Tage wurde die Gefahr, daß sich das eine oder andere von der Hauptherde entferne, geringer.

Nachdem am Abend der Wagenkreis gebildet war, war's das erste, das Zugvieh abzujochen. Dann beeilte sich jeder, das nötige Brennholz herbeizuschaffen. Diejenigen, die Zelte mitführten, machten sich's in diesen bequem. Rings um den Wagenkreis loderten lustig die Feuer, und bald hörte man das Knattern bratenden Specks und roch den aromatischen Duft des Kaffees. Andere sah man an einem Brot oder Kuchen backen oder Fleischstücke braten oder schmoren.

Sobald das Abendessen vorüber war, unterhielt man sich oder sang Heimatlieder. Lachen und Fröhlichkeit herrschte. Warum auch nicht? Alle waren gesund und hoffnungsfroh, Glückssucher, die das auf sie wartende Glück nur an sich zu nehmen hatten, um das so bang und lang ersehnte Paradies auf Erden endlich zu besitzen.

Beate besorgte die Küche für ihren Vater und Lienhard, während die Männer das Zugvieh und Brennmaterial besorgten. Oft kam dann Thomann, gelegentlich auch ein paar der andern Freunde, zu einem Plauderstündchen ans Lagerfeuer. Sie brachten eine Neuigkeit, die in einer Beobachtung gipfelte: Delaware-Indianer hätten sich in der Ferne gezeigt, Wölfe hätten sich sehen lassen oder dergleichen.

Waren sie dann schlafen gegangen und das Feuer am Verglimmen, kam der alte Barben aus dem benachbarten Wagen, um in der Stille der Nacht noch mit Rochow zu plaudern, wobei Lienhard gern zuhörte. »Das Jungvolk schnackt zu viel grünes Zeug,« meinte der 64 jährige Weißbart. »Ich mag's lieber, mit ernsten Männern ein ernstes Wort zu reden. Wenn die Sonne scheint, sieht jedes Ding erfreulich aus. Die Jugend glaubt nur an die Sonne und läßt der Nacht nicht ihr Recht. Aber die übt an Mensch und Tier auch ihre Wohltat.«

»Wie kommt es, daß Sie in ihrem hohen Alter noch auf der Wanderschaft sind?«

»Wollt' ich das erzählen, es würden gar lange Geschichten. Nirgends wollt's glücken. In Kanada oben trieb ich's als Fallensteller, wurde dann Holzfäller, Holzhändler, kam aber nicht voran. Wanderte dann nach dem Süden, war in New Orleans und wollte mit dem Pflanzen und Handel von Baumwolle reich werden. Sapristi, alles schlug fehl. Meine Kinder wuchsen heran; als sie flügge waren, verließen sie das Nest. Man muß nicht nachlassen, das Glück zu zwingen, dann bleibt es. Wollt ihr mitgehen, fragte ich meine Kinder, ich geh' nach Kalifornien. Diesmal schaff' ich's. Mein jüngster Sohn und seine Familie sowie mein Schwiegersohn und die Seinen haben Zutrauen zu meinem glücklichen Stern. Wir haben zwei Wagen, wie Sie gesehen haben, und alle wollen zum Goldenen Tor. Und durchs Goldene Tor zur Sorglosigkeit, zum Glück gelangen. Wollen sehen, ob's diesmal klappt. Gute Nacht, Nachbarn.«

Rochow erhob sich, Lienhard folgte. Das Feuer war ausgebrannt. Schweigend umschritten sie die Wagenburg, Rochow inspizierte die Wachen. Er fand sie beieinander, gemütlich plaudernd und schmauchend, keinen auf dem angewiesenen Posten. Sie erschraken, als Rochow neben ihnen stand. Sie hatten sein Kommen nicht gehört, würden auch etwa anschleichende Indianer nicht gehört haben. Die Vorhaltungen Rochows sahen sie als richtig ein, meinten aber, daß man jetzt, im Gebiet der Delaware-Indianer, nicht allzuviel zu fürchten habe, die wären, wie die Shawnee-Indianer, halb zivilisiert.

»Sehen Sie, Herr Lienhard, so sind die Menschen meistens. Sie glauben an eine Gefahr nicht früher, als bis sie in ihr umkommen. War ich denn anders? Die Not ist nämlich auch eine Himmelsgabe, vielleicht eine der besten, wichtigsten, die wir einfältigen Menschen viel zu wenig würdigen. Die Not, müssen Sie wissen, vollbringt, wenn alle guten Worte und Tränen vergebens waren, Wunder der Besserung und Veredlung.«

Und etwas leiser setzte er hinzu: »Hätte ich die Not etwas zeitiger kennengelernt, – nun, Sie werden mich verstehen – – vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Und meine gute Frau lebte noch. Jetzt macht meine Reue sie nicht wieder lebendig.« –

Im Lager herrschte tiefes Schweigen. Alles schlief und träumte vom wartenden Glück im fernen Lande Kalifornien, das mit ausgebreiteten Armen auf sie wartete, um sie jubelnd zu empfangen.

Die Stille der Nacht wurde durch Geheul jäh unterbrochen, das in Bellen überging. Es waren Wölfe, die sich dem Lager der Auswanderer näherten. Lienhard, der unter dem Wagen in seinen Büffelpelz gehüllt lag, langte nach seiner schußbereiten Büchse. Barbens kleiner Hund schlug an, kam aber zitternd an Lienhards Lager. Lienhard lauschte. Er starrte ins Dunkel. Da glaubte er ganz in der Nähe ein Geräusch zu hören, doch dann war's wieder still. Immer ängstlicher schmiegte sich der Hund an ihn. Da sah er die grünen Lichter eines Raubtieres im Dunkeln. Da wieder. Dann waren sie wieder fort. Immer näher rückten die Bestien, und immer ängstlicher winselte der Hund. Lienhards Augen hatten sich an die Finsternis gewöhnt, und nun glaubte er auch die Umrisse einiger Tiere wahrzunehmen. Da nahm er seine Flinte und schoß. Der Schuß weckte eine Anzahl der Reisenden auf, doch bald legte sich die Aufregung, und alle kehrten wieder zu ihrer Schlafstätte zurück. Beim Grauen des Tages wiesen einige Blutspuren darauf hin, daß Lienhard getroffen haben mußte. Der Schuß hatte die Tiere verscheucht. Weiter oben, am Eingang der Wagengasse, hatten einige ihren großen Topf mit Fleisch unter den Wagen gestellt. Der Deckel war fortgeschleppt. Das Fleisch hatten die Wölfe fortgetragen. Alle glaubten, daß das nur eine Wolfpatrouille gewesen sei, die auf Kundschaft ausgeschickt worden wäre. Die Wachen wurden vermehrt, denn man fürchtete, daß die hungrigen Tiere das Zugvieh anfallen könnten, für das es in den nächsten Monaten keinen Ersatz gab.

Die nächsten Tage brachten die große Karawane nur langsam vorwärts. Die Wege führten durch Bäche und kleine Flüsse und waren, wie oft in der damaligen Zeit, keine angelegten Kunststraßen, sondern stellten nur primitive Fährten dar, die oft ein starker Regenguß fortspülte. Auf solchen Wegen sanken dann die Wagen oft bis zur Radnabe ein, und es bedurfte vieler Anstrengungen, ehe sie wieder flott wurden. Im allgemeinen zeigte sich in der ersten Zeit in der Beschaffenheit des Bodens wenig Veränderung. Wald wurde meistens nur an Bächen und Flüssen gefunden. Es war Laubwald, bestehend aus Eichen, Ulmen, Hackberry und Birken. Die Bäume waren meist noch jung und zeigten keinen großen Umfang.

Einmal nach dem Nachtessen, als es schon dunkel war, gingen einige Leute aus dem Lager nach dem Vieh zu schauen, um es von der Weide zu holen. Auf einmal wurde ein großes Geschrei hörbar, das von der andern Seite des Flüßchens kam und sich wie das Lärmen der Jugend, wenn sie aus der Schule kommt, anhörte. Alle Tonarten waren darin vertreten von älteren und jüngeren Knaben und Mädchen. Den jungen Männern war dieser jubelnde Lärm etwas Neues. Er bildete indessen nur den überraschenden Anfang einer Musik, denn es war das Geheul eines Rudels Präriewölfe. Einige hatten sich schon angeschickt, auf die andere Seite des Flüßchens zu waten, als sie aber der Bestien ansichtig wurden, zogen sie sich rasch ins Lager zurück und waren froh, daß sie das Vieh und ihr eigenes Leben geborgen hatten.

Wieder verging ein Tag, als den Reisenden zum erstenmal eine Anzahl wilder Indianer begegnete. Es war am frühen Morgen, als sie sich in der Nähe des Lagers sehen ließen. Sie hielten sich fern und sahen nur von weitem dem Treiben der Auswanderer zu. Es waren große, junge, halbnackte, schmutzig aussehende Burschen, die noch wenig von ihrem ursprünglichen Wesen verloren zu haben schienen. Als ein paar der jungen Leute Miene machten, auf die Naturkinder zuzugehen, drehten diese ihnen den Rücken und gingen davon. Unterwegs jedoch brachen plötzlich aus einem Wäldchen ein Dutzend dunkelhäutiger Gestalten hervor. Sie stellten sich in den Weg, versperrten gestikulierend die Weiterfahrt und forderten kleine Gaben. Barben, der sich mit ihnen unterhalten konnte, berichtete: »Die Leute sind von der Rechtmäßigkeit ihres Wegzolles überzeugt. Das Land, sagen sie, sei ihr Land, in dem unsere Zugtiere ihr Gras fräßen, und wir von ihrem Holz unsere Feuer unterhielten.«

Mr. Gordon und Mr. Hapy, beide Engländer, die bisher gegen den erwählten deutschen Führer gehetzt, Unfrieden gestiftet und gegen das Wachestehen konspiriert hatten, taten sehr empört und waren im Begriff, die an sich bescheidene Forderung der Indianer mit den Waffen in der Hand abzuweisen. Glücklicherweise behielt aber bei der Mehrzahl der Auswanderer die Besonnenheit die Oberhand. Ein Taschenmesser, ein kleiner Spiegel, ein buntes Tuch, eine Handvoll Tabak und dergleichen sicherte den Frieden und machte jedes Blutvergießen überflüssig. Die Engländer taten sich an Überhebung und Prahlerei hervor und drohten, sie würden beim nächsten Male die indianischen Wegelagerer ohne viel Federlesens niederknallen.

Am Abend, nach dem Aufschlagen des Lagers, kam auf offener Prärie eine Anzahl Indianer an. Einige hatten auf ihren borstigen, geschorenen Schädeln Hörner von sechs bis acht Zoll Länge, an denen Bändchen, Federn und Geflitter hingen. Der alte Barben, der besser Bescheid wußte, sagte den Neugierigen mit beklommener Stimme, die Indianer wären Krieger, zwei bezeichnete er als Häuptlinge.

Zu einem, der eine große Narbe auf dem Kopf hatte, trat Lienhard. Als er durch seine Zeichensprache seine Wißbegierde nicht befriedigen konnte, mußte Barben ihn fragen, ob er einen Hieb mit einem Tomahawk erhalten habe? Der Indianer blickte ihn zornig an, und wandte ihm den Rücken.

Ein anderer, dessen Gesicht und kurzgeschorener Schädel mit allerlei Farbstrichen bemalt waren, hatte auf dem Scheitel einen Haarbüschel von mehr als vier Zoll Länge. Er schien der jüngste zu sein, sprach ein paar englische Worte, sang ständig eine Melodie, die aus drei oder vier Tönen bestand, in unerquicklichen tiefen Tönen. Sein Auftreten war, im Gegensatz zu der ernsten Zurückhaltung seiner Genossen, dreist. Überall stelzte er umher, tastete alles an, langte in einen oder den andern Wagen, um Gegenstände in die Hand zu bekommen. Wenn man sie ihm fortnahm, verzog er keine Miene, um sein Treiben ungeniert fortzusetzen.

Auf dem Sitz von Lienhards Wagen glänzte sein Floridayager (Regierungs-Karabiner), den er erst kürzlich bei einem Mitreisenden gegen seine Kentuckybüchse eingetauscht hatte. Der Karabiner war eine sichere Jagdbüchse, auch für größeres Wild. Nach dem griff der Wilde. In dem nämlichen Augenblick schlug etwas kräftig auf seine Hand. Er ließ die Büchse fahren, brauchte nach dem Urheber des Schlages aber nicht zu suchen, denn Herr von Rochow zeigte sich, der aus dem Wageninnern mit einem Stock oder dem Peitschenstiel dem Dieb eins auf die Finger gegeben hatte.

Sehr spät erst wurden sie die Indianer los. Man hieß sie gehen. Und als sie sich nicht vom Platz rührten und bei Diebstählen erwischen ließen, mußte ihnen Barben verdeutlichen, sie sollten sich zum Teufel scheren, sonst würde man sie gewaltsam aus dem Lager bringen. Ihr Benehmen machte ganz den Eindruck, als ob sie die Absicht hätten, die Auswanderer zu provozieren. Doch noch war es nicht soweit.

Der Big-blue-River war erreicht, dessen Uferbänke sehr hoch und steil waren. Aber erst am nächsten Morgen sollte übergesetzt werden. Man kam jetzt ins Gebiet der gefährlichen Pawnee-Indianer, nun war größte Vorsicht geboten.

Lienhard hatte in der Nähe des Indian Creek eine Kuh erstanden, damit Beate frische Milch nicht entbehre, an die sie sich in St. Louis gewöhnt hatte. Sie dankte ihm für diese Aufmerksamkeit mehr durch Blicke als durch Worte. Und in der Folge betreute sie auch »ihre« Kuh, soweit es in ihren Kräften stand. Vor etlichen Tagen hatte die Kuh gekalbt. Das Kälbchen, da alles zu seiner Pflege unterwegs fehlte, wurde schon am zweiten Tag geschlachtet. Das Fleisch wurde teils frisch, teils gesalzen mitgenommen.

Als der Lagerplatz aufgehoben wurde, wo die Kuh ihr Junges noch gesehen hatte, machte es Lienhard große Mühe, sie mit dem übrigen Vieh voranzutreiben. In einem fort wandte sie sich zurück, um wieder umzukehren. Mit großem Umstand wurde sie zwei Meilen vorwärts gebracht. Da, mit einem Male, war sie fort. Lienhard lieh sich ein Maultier, um die Ausreißerin einzufangen. Richtig, am früheren Lagerplatz fand er sie, ihr Junges suchend und ab und zu brüllend. Erst als sich das muttersorgliche Tier überzeugt hatte, daß ihr Junges nicht mehr da war, ließ es sich zurücktreiben.

Am andern Morgen überschritten sie den Fluß. Das Wasser war trüb, aber glücklicherweise nicht hochgehend, was alle Emigranten seit längerer Zeit vermißten, war frisches Fleisch. Es war, als ob alles Wild, mit Ausnahme der gefräßigen Wölfe, verschwunden wäre. Schließlich trug der Lärm der Karawane dazu bei, kleineres Wild zu verscheuchen.

Lienhard ging am kommenden Tag zwei Stunden vor Abbruch des Lagers, ohne jemandem etwas zu sagen, auf die Jagd. Der Himmel war umwölkt, die Sonne stach trotzdem. Der Tag versprach heiß zu werden.

Vogelstimmen, Summen von Käfern und Fliegen, bunte Falter; an den Gräsern und Blumenkelchen blinkten blanke Tautropfen in glühschönen Farben. Aromatische Düfte von Blumen und Kräutern erfüllten die Luft. Durchs hohe Gras huscht's und läuft's. Eh' sich der Jäger wendet, ist's verschwunden. Hoch über ihm zieht ein großer Vogel mit schweren Schwingen. Ein Räuber der Lüfte ist's, vielleicht ein Adler. Er reißt die Büchse herum. Nein, er bezwingt seinen Jagdeifer, was würde Rochow für Augen machen, wenn er einen ungenießbaren Raubvogel für die Küche anbrächte. – Wie herrlich die weite, weite Prärie, im Glanz ihrer Blumen- und Blütenpracht, wie wohltuend für das Auge das frisch-grüne Laub der Birken und der andern Laubbäume, die die Eintönigkeit der endlosen Fläche unterbrechen.

Er war stehengeblieben und ließ seine Augen ringsum schweifen. Da sah er zu seiner Rechten, nicht weit vom Weg, einen Antilopenbock ruhig weiden. Schon legte er an, – da erinnerte er sich, was der alte Barben von einer Jagdlist kürzlich am Lagerfeuer erzählt hatte. Die wollte er anwenden. Er warf sich ins Gras, zog den Ladestock heraus und band an dessen dünneres Ende sein buntfarbiges Taschentuch. Das begann im Winde zu flattern. Lienhard verhielt sich still, um nur ab und zu nach dem sorglos äsenden Bock hinzublicken. Der Bock hatte sich eine Strecke entfernt. Dann machte er halt, um sich umzusehen, und erblickte statt des Jägers das im Winde flatternde Schnupftuch. Darüber war er neugierig geworden. Dann fing er an, sich langsam dem flatternden Fähnchen zu nähern. Endlich stand er still, biß wieder einige Gräser ab und näherte sich immer mehr der todbringenden Kugel. Sowie der Wind etwas lebhafter wehte und das Schnupftuch zufällig schneller flatterte, sprang das Tier wieder einige Schritte rückwärts. Dabei wendete es keinen Blick von dem Taschentuch, so daß seine Neugierde es immer näher und näher trieb.

Von fern brachte der Wind ein leises Glockenklingen. Es war die Karawane, die, wenn Lienhard nicht rasch machte, den Bock vertreiben mußte. Er nahm den günstigen Moment wahr, schoß, das Tier machte noch einige Sprünge, um dann zusammenzubrechen. Nun wartete er, bis der Wagenzug näherkam. Die Überraschung war groß, als er den kapitalen Antilopenbock seinen Fahrtgenossen vorweisen konnte.

Eine große Schwüle herrschte. Ein Gewitter war im Anzug. Doch es konnte noch Stunden währen, bis es losbrach.

Die Antilope wurde rasch zerwirkt, abgehäutet und zerlegt. Einen Teil des Fleisches behielt Rochow und Lienhard, das andere wurde unter die Nachbarn gleichmäßig verteilt.

Der Wagenzug näherte sich dem Platt-River. Das Land zeigte nicht mehr den üppigen Graswuchs, wie er in den Kansasgebieten vorherrschte. Die ganze Vegetation veränderte sich allmählich. Recht lästig wurden die Moskitos, die in der Nähe der Wasserlöcher Menschen und Tiere in ganzen Schwärmen überfielen. Endlich senkte sich der Abend, und alles atmete auf, als ein kühlerer Wind einsetzte, der die Wolken vor sich her trieb. Alles sehnte sich danach, zur Ruhe zu kommen, und man war froh, als das Hornsignal gegeben wurde, daß die Reise für heute zu Ende und der Lagerplatz gefunden war. Sobald die Tiere abgejocht waren und man daranging, das Abendessen zu bereiten, zeigten sich mit einem Male ringsum Wölfe. Mit der zunehmenden Dunkelheit rückten sie dem Lager näher, und soweit der Blick reichte, konnte man beobachten, wie sich ihre Zahl sichtbar vermehrte. An einer Stelle tauchten sie in ganzen Rudeln auf, und zwar da, wo das Vieh etwas abseits von den Wagen weidete. Da war Gefahr im Verzug. Die Männer wurden alarmiert, das Vieh in den Kreis zwischen die Wagen getrieben und auch ein allgemeiner Angriff der Bestien und deren Abwehr in Erwägung gezogen.

Holz gab es genug. Rochow ließ es rings um die Wagenburg anhäufen. Diesmal mußte vor den Wagen abgekocht werden, damit die lodernden Feuer die Tiere abschrecken sollten. Auf den Wagen und in deren Nähe wurden Schützen postiert und Männer mit Knüppeln ausgerüstet. Es kam aber alles anders und verlief glimpflicher als Überängstliche gedacht hatten. Als man mitten im besten Braten und Kochen war, zuckten Blitze, der Donner rollte, und ein starker Gewitterregen trieb die hungernden Wölfe davon. Aber auch die Feuer löschte er, und ein jeder suchte sich im Zelt oder Wagen zu schützen.

Die nächsten beiden Tage führten die Auswanderer weiter in das Gebiet der Pawnee-Indianer. Sie galten mit als die blutgierigsten Gesellen. Die Furcht vor ihnen war allgemein. Allabendlich wurden von neun Uhr ab Wachen aufgestellt, die alle zwei Stunden abgelöst wurden. Da Rochow die Wachen selbst unablässig inspizierte, wurden sie streng und pünktlich gehalten, trotzdem die beiden Engländer sich nach wie vor in eitler Überhebung für zu gut hielten und bei jeglicher Gelegenheit gegen den Führer schürten. Jeder hatte seine Schutzwaffe immer scharf geladen in Bereitschaft.

An einem Abend wurde das Lager am Ufer eines steilen, ziemlich hohen Hügels aufgeschlagen. Da unter den Reisenden sich welche befanden, die der Indianer wegen sehr furchtsam waren, so machten sich ein paar Übermütige einen Spaß, obgleich in der Tat größte Vorsicht geboten war.

Die Wache kam an zwei junge Burschen, Harber und Blunt. Die waren so ängstlich, daß sie in jedem dunkeln Gegenstand einen heranschleichenden Indianer witterten. Sie hüteten sich aber, nachzusehen, was etwa an der Sache sein könnte. Einer hatte nun einen Scherz gemacht und seinen dunkeln Rock an einem Stock befestigt und den auf einem nahen Hügel aufgestellt. Es war Thomann, dem es darum zu tun war, die beiden Maulhelden, die sich sonst durch dreiste Reden hervortaten, zu bestrafen. Andere junge Burschen waren mit im Bunde. Zur verabredeten Zeit kamen ein paar junge Leute zur Wache, um Anzeige zu machen, sie hätten in der Nähe Indianer gesehen und glaubten, daß sich auf dem nahen Hügel eine Gestalt bewege. Um ruhig schlafen zu können sei es notwendig, daß sich die Wache vergewissere, was an der Sache sei. Davon wollten aber die beiden Wachhabenden durchaus nichts wissen, trotz aller Ermunterungen und Bitten. Da erbot sich Thomann, ohne Schußwaffen, bloß mit einem Dolch in der Hand, das Wagnis zu unternehmen, wovor der Wache fürchterlich graute. Langsam und bedächtig schritt er den Hügel hinan, bis man ihn nicht mehr in der Dunkelheit sehen konnte. Nun hörte man ein heftiges Schnaufen, Keuchen und Rufen. Dann sah man zwei Gestalten sich bewegen und niederstürzen. »Nun aber,« riefen die jungen Burschen der Wache zu, »nun aber ist es Zeit, daß ihr dem Thomann beispringt. Los mit euch. Hört ihr nicht, sein Leben ist in Gefahr!«

Von allen Seiten waren rüstige Männer herbeigekommen, die der Lärm herbeigelockt hatte. Eine allgemeine Entrüstung und Panik entstand. Da tauchte Thomann plötzlich vor ihnen auf, seinen Rock schleppte er am Boden nach, als ob es sein überwundener Feind wäre. Als die Wache sah, wie sehr sie sich blamiert hatte, und als alle Umstehenden die Feigheit der Burschen gebührend festgestellt hatten, nahm sie Rochow noch besonders ins Gebet und machte ihnen den Standpunkt gehörig klar. An Spott und Schande hatten Harber und Blunt keinen Mangel.

 

Der Little-blue-Fluß war überschritten. Das große Indianerlager, das sich in dessen Nähe befand, hatte man durch eine Änderung der Reiseroute vermieden. Und nun näherte man sich dem Platt-River.

Seit einiger Zeit schon waren die Auswanderer genötigt, da die Bäume spärlicher wurden, Holz zu sammeln und mitzuführen. Denn es war schon vorgekommen, daß sie ein Lager bezogen, in dessen Nähe in weitem Umkreis kein Holz zu finden war. Endlich war der Platt-River erreicht. Es war ein sehr breiter, aber seichter und trüber Fluß. Das Wasser war so trübe, daß es erst immer durch ein Tuch gegossen werden mußte, ehe man es zum Kochen verwenden konnte; als Trinkwasser kam es nicht in Betracht.

Die Landschaft machte mit ihrem spärlichen Graswuchs einen unheimlichen Eindruck. Alles war unzufrieden und strebte fort. Am folgenden Morgen wurde so früh als möglich aufgebrochen. Der Fluß machte ein Knie, so daß er zum zweitenmal überschritten werden mußte. Wenn er auch seicht war, so zeigten sich an einzelnen Stellen doch tiefe Löcher, in denen die Wagen steckenblieben, und manch einer, der nicht vorsichtig war, mußte aus dem Wasserloch herausgezogen werden. Am linken Ufer, in der Nähe einer kleinen Insel, auf der neben hohem Gras auch noch eine Anzahl teils grüner, teils dürrer Weidenbäume standen, wurden Kraniche aufgestört. Ihr Geschnatter war schon aus der Ferne zu hören. Die Tiere flogen auf, waren aber nicht scheu. Sie ließen sich in der Nähe nieder, und als genug Brennholz gesammelt war, kamen sie auf ihre Nistplätze zurück.

Ein trüber Tag brach an. Der Himmel war mit Wolken ganz bedeckt. Beim Aufbruch der Reisegesellschaft begann es zu regnen, doch hörte der Regen bald wieder auf. Dagegen war ein unfreundlicher Nordostwind geblieben, der die bedrückte Stimmung nicht verbesserte.

Am Abend vorher waren, wie aus dem Erdboden aufgetaucht, plötzlich eine Gruppe Indianer unweit vom Lager erschienen. Obgleich ringsum die Steppe in meilenweiter Öde dalag, hatte man keinen Menschen kommen sehen. Als sie bemerkt wurden, lief alles herbei, und Lienhard griff diesmal nicht nach seinem Karabiner, sondern nach seiner Doppelflinte, die er mit 16 Boxschroten lud, dann schüttete er Pulver auf, setzte Zündhütchen und schnallte um seinen Leib ein langes Messer. So bewehrt stellte er sich an den Eingang der Wagenburg, um den Indianern in den Weg zu treten.

Es war Raum genug für Hunderttausende da, die links oder rechts der halbkreisförmig aufgestellten Wagen vorbeikonnten. Die Absicht der Ankömmlinge, gerade durch den solchermaßen umfriedeten Besitz durchzumarschieren, ließ darauf schließen, daß sie mit den Auswanderern anbinden und einen Streit vom Zaun brechen wollten. Als sie bis auf drei Schritt herangekommen warm, machte ihnen Lienhard durch eine Bewegung mit der Hand ein Zeichen, links vorbeizugehen und versperrte mit der Doppelflinte, die er zum Schießen bereithielt, den Eingang.

Ein paar von den Indianern stutzten und blieben stehen. Die älteren Männer jedoch kehrten sich nicht daran, sondern schritten unbekümmert um Lienhards Drohung auf ihn zu und drängten sich an ihm vorbei. Nun eilten andere mit Waffen herbei, unter ihnen voran Mr. Gordon und Mr. Hapy, die schon in der Woche vorher am Big-blue-River beinahe einen ernsten Zusammenprall mit Indianern herbeigeführt hätten.

Lienhard stand den Indianern am nächsten. Es waren zwei muskulöse, starke Gesellen, die gemessenen Schrittes durch die Wagenburg hindurchgingen, sich weder um die Vorhaltungen Lienhards kümmerten, die sie wohl gar nicht verstanden, noch um die drohende Haltung der beiden herbeigeeilten Engländer.

Lienhard blieb ein wenig zurück. Er dachte, die beiden Engländer würden die Leute schon wieder ins Freie begleiten. Das schien ein Fehler zu sein, der weittragende Folgen nach sich zog, denn als die beiden englischen Schreier Lienhards unschlüssige Haltung bemerkten, wurden sie gegen die Indianer dreister. Gordon versetzte einem Indianer von hinten einen heftigen Stoß, daß er hinfiel. Der andere erhielt von Hapy einen Schlag, der wohl seinem Schädel zugedacht war, aber durch eine rasche Wendung des Indianers nur dessen Schulter traf. Der zu Boden Gestürzte erhob sich, blieb ruhig stehen und wartete. Gordon trat voller Wut auf ihn zu und versetzte ihm unversehens noch einen Schlag mit dem Gewehrkolben über den Kopf. Dann entstand ein Handgemenge. Nur mit Mühe konnten die herbeigeeilten Männer die Streitenden trennen. Die Indianer waren ohne Waffen. Auch waren sie in der Minderzahl. Eine Weile standen sie beieinander, um sich flüsternd zu beraten, dann entfernten sie sich.

»Das wird nichts Gutes geben,« sprach der alte Barben. »Die Beleidigung werden die roten Brüder nicht vergessen. Zu ihrer Rachsucht kommt die Raubgier. Es werden keine drei Tage vergehen, daß wir mit ihnen um unser Leben werden kämpfen müssen.«

»Geschwätz, Unsinn!« rief Gordon. »Wir können uns nicht alles von den Roten gefallen lassen. Wir Engländer lassen uns das nicht bieten.«

Aber der alte Barben war auch nicht auf den Mund gefallen. Er antwortete: »Dann sollen die freien Engländer sich von uns trennen, damit wir nicht mit ihnen verwechselt werden, wir andern sind, soweit ich das in den Wochen beobachten konnte, friedliche Leute, wir wünschen auch mit den Indianern in Frieden auszukommen, und nur wenn unser Leben bedroht wird, werden wir uns unserer Haut wehren. Sie Mr. Gordon und Mr. Hapy, würden allein sich nicht so mutig gezeigt haben wie eben jetzt, wenn Sie nicht gewußt hätten, daß hinter ihnen noch ein Dutzend strammer Jungens stehen, die Ihnen zu Hilfe kommen würden. Von hinten Leute niederzuschlagen, dazu gehört keine besondere Tapferkeit.«

Als die Engländer darauf erregte Antwort gaben, sagte der alte Mann: »Sie werden ja bald Gelegenheit haben, Ihre Tapferkeit Auge in Auge mit den Leuten zu beweisen.«

Die Zwiesprache, besonders die Worte des alten Mannes hatten auf alle einen bedeutenden Eindruck gemacht. Daß letzterer ein niederdrückender war, zeigte sich alsbald. Zunächst gab jeder dem alten Barben Recht, schimpfte auf die Englishmen und verwünschte sie und ihr brüskes Auftreten.

Am Abend versammelte Rochow alle Männer um sich, um den Vorfall zu besprechen und auf alle Fälle die erforderlichen Gegenmaßnahmen gegen etwaige Angriffe der Indianer zu treffen. Die Wachen wurden verteilt, doch statt der erwarteten Indianer stellte sich ein sanfter Regen ein, der bis zum Morgen anhielt. Das Lager wurde abgebrochen, und man zog auf der baumlosen Ebene in Sorgen weiter. Einzelne Grasflecken traf man noch an, auf denen Antilopen ästen. Die scheuen Tiere flohen jedoch in großer Hast, so daß sich kein Schütze ihnen nähern konnte. Im großen und ganzen wurden jetzt täglich 15 bis 20 englische Meilen zurückgelegt. Wasser wurde überall noch gefunden, aber immer war es trübe.

Da stieß man auf Büffelschädel. An manchen waren noch die Hörner. Man hoffte in den nächsten Tagen diese imposanten Tiere der Prärie aus der Nähe zu sehen, doch bis dahin sollte sich noch viel ereignen.

Nach den Aufregungen des vergangenen Tages wurde die Reise fortgesetzt. Auf einer schönen flachen Graslandschaft fanden sie eine Anzahl kleinerer Erhöhungen. Es sah so aus, als ob das Gras dort grüner und saftiger wäre als an andern Stellen. Zwischen den Erhöhungen und auf diesen saßen viele Tiere, die Murmeltieren glichen, beim Näherkommen der Wagen jedoch schnell in Löchern verschwanden. Nach einiger Zeit steckten sie vorsichtig den Kopf heraus, um die Menschen zu beobachten. Kurz darauf waren sie ganz hervorgeschlüpft, saßen auf den Hinterfüßen und ließen einen lauten, durchdringenden Pfiff ertönen, wobei ihre kurzen Schwänzchen hin und her gingen. In ihrer Nähe sah man kleine Eulen, auch verschiedene Schlangen. Etliche der Schützen versuchten eins der scheuen Tiere zu schießen. Es wollte aber nicht gelingen.

Die Reise wurde am westlichen Ufer des Platt-River nun in nordwestlicher Richtung fortgesetzt. In kurzer Zeit mußten sie an die Stelle kommen, wo der Zusammenfluß des Nord- und Südplatt stattfindet.

Das Wetter blieb unfreundlich. Bedeckter Himmel, kalter Wind, viel Regen, öde Steppenlandschaft machten aus verdrießlichen keine fröhlichen Gesichter. Die fehlende Sonne war nicht die alleinige Ursache des allgemeinen Bedrücktseins. Es war etwas anderes, was die meisten der ausziehenden Glückssucher nicht wußten, worüber sie sich keine Rechenschaft geben konnten. Einzelne, wie der alte Barben, von Rochow, Lienhard und Thomann, ahnten es, glaubten aber, daß die Indianer es sich sehr überlegen würden, mit gut bewaffneten Männern ernstlich anzubinden.

Die heitere Stimmung, die alle bisher beseelte, war seit dem letzten Zusammenstoß mit dem Indianertrupp verschwunden. Kein Gesang, kein Peitschenknall, kein fröhlicher Zuruf mehr. Griesgrämig, melancholisch blickten alle drein. Und – was sie früher nicht getan hatten – sie rannten abwechselnd ein Stück rechts oder links in die Prärie, um durch die Wagen im Ausblick nicht behindert zu sein. Nahten die Gefürchteten?

Da – ein, zwei schwarze Punkte in der Ferne. Kommen sie? Nein, es waren Büffel, unzweifelhaft Büffel, die, so schnell wie sie aufgetaucht, auch wieder verschwunden waren.

Die Jäger unter den Reisenden hielt ein Schießverbot des Führers zurück. Solange Gefahr drohte, durfte kein Schuß auf Tiere abgegeben werden. Die Unverständigen murrten darüber, und Mr. Gordon sprach offen davon, daß er sich an das Verbot nicht kehren und morgen früh zur Jagd gehen würde.

Trübe ging der Tag zur Neige. Erst eine Stunde später als sonst wurde das Lager, unweit vom Platt-River, aufgeschlagen. Rochow hatte den Platz aus taktischen Gründen bestimmt, da er dem Frieden nicht traute. Der gewählte Platz bot einen Stützpunkt durch ein kleines Gehölz und Schutz bei einem etwaigen Angriff durch das breite Flußbett des Platt-River, der hier scharf abbog. Dadurch entstand eine Bucht. In der ließ Rochow, abweichend von der bisherigen Ordnung, die Wagen so auffahren, daß sie einen geschlossenen Kreis bildeten, in deren freier Mitte das Vieh war. Zuerst galt es, das Vieh zu besorgen. Jeder mußte zufassen und helfen, bis Futter und Wasser herangebracht war. Feuer durfte nicht gemacht werden, obgleich auch hiergegen gemurrt wurde. Dann ließ Rochow das kleine Gehölz zur Linken vom Unterholz frei machen. Junge und alte Männer arbeiteten angestrengt mit ihren Äxten. Dann wurde das Strauchwerk zum Lagerplatz gebracht, rings um die Wagenburg angehäuft und durch Baumstämme verstärkt. Die Lage war nun so: Die eine Seite des Lagers wurde vom Platt-River flankiert, – da schien die Möglichkeit eines Angriffes nicht sehr groß. Die andere Seite wurde durch das Gehölz einigermaßen gesichert, denn hier beabsichtigte Rochow die Kampfmethode der Indianer nachzuahmen, von der so viel gesprochen wurde. Die jüngeren Schützen wurden auf die Bäume geschickt, um von hier aus sowohl den Fluß, als auch diese Seite im Auge zu behalten. Die beiden anderen Seiten waren nur von der Prärie aus anzugreifen. Er verteilte die streitfähigen Männer gleichmäßig nach allen Seiten. Die Frauen und Kinder mußten in den Wagen hinter Kisten und Lasten so lange kauern, bis die Gefahr vorüber war.

Rochow selbst machte die Runde, sprach allen Mut zu und gab die Order, nicht eher zu schießen, bis ein Angriff erfolgen sollte. Es gab auch Optimisten unter den Leuten, die an keine Gefahr glauben wollten. Sie bildeten aber eine Ausnahme, denn in allen war ein Gefühl der Bangigkeit, das eine heranziehende Gefahr ankündigte.

Es war zehn Uhr vorüber, ohne daß sich irgend etwas Verdächtiges gezeigt hätte. Man konnte trotz des bedeckten Himmels eine ziemliche Strecke weit sehen. Als Mitternacht vorbei war, meinten einige, daß sie nicht Lust hätten, sich noch länger von dem Prärieschreck einschüchtern zu lassen. Sie würden schlafen gehen. Man könnte sie ja wecken. Nur den dringenden Vorstellungen Rochows gelang es, die widerstrebenden Geister noch einmal zur Pflicht gegen sich und gegen die anderen zurückzuführen. Mitternacht war vorüber, da schien es Lienhard, der den Ausguck über den Fluß hinter den Wagen hatte, als ob sich im Wasser etwas bewege. Er machte Thomann, der neben ihm kämpfen wollte, darauf aufmerksam. Doch als sie beide angestrengt die Wasserfläche musterten, war nichts zu sehen. Ein Stück Holz oder ein Büschel Gras oder eine Baumwurzel, im Wasser schwimmend, konnte Lienhard getäuscht haben. So verging unter äußerster Anspannung ein Teil der Nacht.

Es war ein Uhr vorüber, als die Wache meldete, Indianer näherten sich auf der Prärie. Rochow eilte dahin, und mit ihm hielten etwa ein Dutzend Männer Ausschau. Es war nichts zu bemerken. »Nun ist der Morgen nicht mehr weit. Es ist zwei Uhr,« meinte der alte Barben, »wenn sie bis jetzt nicht gekommen sind, dann dürfen wir hoffen, daß alles friedlich ausgeht.«

In diesem Augenblick stieß Lienhard den neben ihm stehenden Thomann an, der, an den Wagen gelehnt, etwas eingenickt war.

»Was gibt's? Was hast du?« Lienhard antwortete nicht. Er wies nur mit der Hand auf den Fluß, um gleich darauf seine Büchse schußbereit zu erheben. Über dem Wasser sah man nebeneinander zwei Köpfe auftauchen, die sich langsam der Lagerseite näherten.

»Nimm du den Linken aufs Korn. Ich werde mir den Rechten langen. Laß sie nur näher kommen. Erst wenn sie über die Mitte hinaus sind und ich ›los‹ sage, drücken wir ab.«

Fast gleichzeitig hallten die beiden Schüsse durch das Schweigen des heraufziehenden Tages. Die beiden Köpfe waren verschwunden. Ob sie tödlich getroffen oder nur verwundet waren, war nicht festzustellen. Die beiden Schüsse hatten alle alarmiert, und nun meldeten sich auch von der Landseite her die Feinde. Wer seine Augen auf den Prärieboden gerichtet hielt, konnte auch in dem Dämmer und Dunkel bemerken, daß Bewegung auf dem Boden war.

»Die Bande kriecht heran!« rief Barben. »Laßt euch nicht täuschen! Alles schußfertig! Ruhig Blut und scharf aufgepaßt.«

Man sah immer deutlicher die Umrisse von Köpfen sich voranschieben, immer näher rückte die Gefahr. Aus dem Wagen drang lautes Weinen. Es waren Kinder, die die Schüsse aufgelärmt hatten.

Rochow hatte sich in den letzten Stunden als ein ganzer Mann erwiesen. Seinem militärischen Weitblick ordnete sich nunmehr alles bereitwillig unter. Seine Vorsicht und Umsicht lobte im stillen jeder. Daß er auch an eine Belagerung gedacht hatte, zeigten die angehäuften Wasservorräte.

Die Spannung stieg weiter. Man mußte den Mut der jungen Männer zügeln, daß sie nicht tollkühn aus der sicheren Umfriedung herausstürmten. Auch auf die Herren Blunt und Harber schien der Funke ehrlichen Mutes überzuspringen. Sie waren sowohl mit Flinten als mit handlichen Äxten ausgerüstet und sahen mit Zuversicht den Ereignissen entgegen. Nur Mr. Gordon und sein Landsmann Hapy konnten selbst in dieser Stunde der Gefahr das Großsprechen nicht lassen und nörgelten wieder.

»Eigentlich ein starkes Stück, das Wachen wegen dieser indianischen Tagediebe!« sagte Gordon. »Wäre man mir vor Wochen gefolgt und hätte gleich ein Exempel statuiert und gleich den ersten dieser Kerle niedergeknallt, dann hätten die anderen sich ein warnendes Beispiel daran genommen. Das Gelichter ist doch kein achtbarer Gegner. Vor allem keiner, den man ernst nimmt. Man behandelt sie am richtigsten so, wie man einen bissigen Hund behandelt. Ein Wurf mit einem Stein oder ein Fußtritt. Oder, wenn er zudringlich wird, schlägt man ihm mit dem Knüppel eins über den Schädel. Aber eine rechtschaffene Kugel ist für solche wilden Herren überhaupt zu schade.«

Die anderen hörten die Großsprechereien schweigend an. Als ihm keiner antwortete, fuhr Gordon zu bramarbasieren fort. »Braten soll man mich, wenn ich mich vor den Burschen auch nur ein bißchen fürchte. Mit sechsen, ja mit einem Dutzend nehme ich's auf. Die box' ich alle zum Kuckuck.«

Barben wandte sich mit leiser Stimme zu Lienhard: »Ein schlechter Braten das. Und ich will nicht glücklich werden, wenn der großmäulige Engländer nicht Furcht wie ein Hase hat. Aus Furcht, aus Feigheit schwätzt er so viel.« Dann ging er zum Wagen, auf dem Beate bekümmert saß. »Fürchten Sie sich nicht, Fräuleinchen, 's ist lange nicht so schlimm, wie es aussieht. Der Tod hat einen schlechten Ruf. Die Menschen verleumden ihn bloß. Der sucht sich die Unnützen, Überzähligen schon aus. Er sollte auch mal an die Schädlinge unter den Menschen denken. Sie wissen, wen ich meine – –.« Dann bemerkte er auf dem Wagen, dicht neben ihr, die mit Wasser gefüllten Eimer, Kannen und Töpfe.

»Sieh, sieh, Ihr Vater ist vorsichtig. Ein kluger Mann. Da werden wir nicht verdursten,« lachte er. Dann setzte er rasch hinzu: »Geben Sie acht, die Rothäute werden versuchen, unsere Habe in Brand zu stecken. Das machen sie immer so, dann flink mit 'm Wasser drauf.«

Als Barben auf seinen Posten zurückgekehrt war, kam Lienhard in Eile. »Will nur sehen, wie's Ihnen geht und Ihnen das hier lassen.« Er reichte ihr seine Pistole. Sie aber wehrte entschieden ab:

»Behalten Sie sie nur, ich versteh' doch nicht damit umzugehen.«

»Da ist nichts zu verstehen. Droht Ihnen Gefahr, dann schießen Sie.«

Beate schüttelte den Kopf. »Ist doch was Schreckliches, auf einen Menschen anzulegen. Lieber wollt' ich – –«

Ssssscht! machte es. »Ach Gott,« rief Beate, »was war das?«

Lienhard bückte sich zur Erde und brachte einen Pfeil herauf. »Der war mir oder einem von uns sonst zugedacht, glauben Sie, daß der, welcher die scharfe Eisenspitze in die Brust bekommt, nicht ein Kind des Todes ist? Und ich sollte den, der mir ans Leben will, nicht das Recht haben, unschädlich zu machen, wenn ich dazu imstande bin? Wir sind hier in der Wildnis. Jeder ist auf sich selbst gestellt. Und man weiß nicht einmal, ob die Spitze nicht vergiftet ist. Es genügt, wenn die Haut geritzt ist –«

Ein ohrenbetäubendes, fürchterliches Geschrei erscholl ringsum, das auch dem Beherztesten durch Mark und Bein gehen mochte. »Sie greifen an. Hier, nehmen Sie!« Er drückte ihr die Waffe in die Hand und rannte fort. Er wollte den Angriff Seite an Seite mit den Kameraden überstehen.

Der Fluß war frei von Feinden, träge flossen seine schmutzigen Wasser. Sollte er hier bleiben? Ihn zog's in Beatens Nähe, um in der Stunde der Gefahr ihr beizustehen. Er wechselte einige Worte mit Thomann. Schon wollte er seine Absicht ausführen, als ein erneutes Kriegsgeschrei, nun in der Nähe, die Luft erfüllte.

»Achtung!« rief Rochow. »Herankommen lassen. Dann feuern!«

Die Rothäute schossen ihre Flinten ab, es waren nur wenige, niemand schien getroffen. Nun kamen Pfeile geflogen, die bei den Tieren ihr Ziel fanden, denn diese wurden unruhig und begannen zu brüllen.

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Von den Wagen waren die Indianer jetzt kaum noch achtzig Fuß entfernt. »Feuer,« schrie nun Rochow. Und aus mehr als sechzig Büchsen flog der Tod in die Reihen der Stürmenden. Wieder und wieder donnerten die Schüsse. Beim Grauen des Tages sah man viele sich zurückziehen, sich selbst und ihre Verwundeten oder Toten in Sicherheit bringen. Eine kleine Schar suchte mutig im Nahkampf Vorteile zu erringen. Die buntbemalten Gestalten hatten behend an zwei Stellen die Barriere der Wagen überklettert, hatten aber in den Auswanderern wütende Verteidiger ihrer Lieben gefunden. Den alten Barben, der mit dem Kolben wie ein Junger dreinschlug, streckte hinterrücks der Beilhieb eines Indianers nieder. Der sah sich von Lienhard bedroht, dessen Schuß in der Aufregung vorbeiging. Die Rothaut warf ihren Tomahawk nach ihm. Lienhard bückte sich, die Waffe flog über ihn hinweg. Er sprang auf den Feind zu, um ihn mit dem Kolben kampfunfähig zu machen. Der Indianer wich ein paar Schritte zurück, bis zum Wagen, auf dem Beate in tödlicher Angst zusah.

Das ging alles schnell vor sich, schneller als es gesagt werden kann. Blitzschnell hatte der Wilde auch ein langes Messer zur Hand. Er holte aus, um sich auf Lienhard zu stürzen, da – – geschah etwas Seltsames. Er ließ davon ab, und zwar arg erschreckt. Denn Beate hatte ihm einen ihrer Eimer mit Wasser über den Kopf gegossen, daß die Rothaut – des Wassergebrauchs ungewohnt – prustend sich ihr zukehrte. In ihrem Kampfeifer schüttete sie ihm einen zweiten Eimer ins Gesicht.

Diese Sekunden nützte Lienhard. Einen aufgegriffenen Knüppel ließ er auf dem verdutzten Indianerkopf tanzen, daß der sich weiter zurückzog. Dabei stieß er auf Mr. Gordon, der ihm in derselben Melodie aufspielte. Thomann machte den Indianer wehrlos. Doch vorher stürzte der sich noch einmal auf Gordon, dabei verwundete er ihn am Kopf und Arm.

Der Überfall endete mit der Niederlage der Indianer. Von einer Verfolgung der Flüchtenden nahm Rochow Abstand. Doch brach er gleich das Lager ab, um aus dem Bereich der Räuber zu kommen.

Außer der schweren Verwundung Barbens, der besinnungslos, von den Seinen betreut, auf seinem Wagen gebettet war, hatten die Verteidiger nur leichte Schäden davongetragen. Die Wunden Gordons waren nicht klein, gaben zu Besorgnissen aber keinen Anlaß.

In dem Wirrwarr, Geheul und Lärm waren die Zugtiere an einer Stelle durchgebrochen. Eine Anzahl holte man bei hellem Tage von der Weide zurück, fünf Zugochsen mußte man verloren geben. Das war ein schwerer Verlust, da an Ersatz nicht zu denken war.

So rasch es gehen wollte, fuhren die Auswanderer davon. Die Müdigkeit wurde überwunden, die Tiere wurden angetrieben und nicht geschont. Es galt das Leben. Sie waren noch einmal glimpflich davongekommen, wer wußte, wie es wurde, wenn die Banditen in Überzahl wiederkamen?

Büffel zeigten sich jenseits des River. Die Jagdlustigen wollten Dispens von Rochow. Er blieb aber fest und drohte – unter Zustimmung aller – die Ungehorsamen aus der Reisegesellschaft auszuschließen. Sein Ansehen war, seit der erfolgreichen Abwehr des Indianerüberfalls, befestigt. Man gehorchte, aber mit Widerstreben.

Mittags erst, nachdem ein fast siebenstündiger weg zurückgelegt und Mensch und Tier der Erholung bedürftig waren, ließ Rochow das Lager am Arm des südlichen Platt-River aufschlagen. Die Sonne brannte sengend heiß, Lebenslust und Fröhlichkeit kehrten wieder, – nur die Frauen allein zeigten noch Furcht und Niedergeschlagenheit.

Barbens Kinder machten sorgenvolle Gesichter. Der Alte war noch ohne Besinnung, der Puls ging schwach, oft setzte er ganz aus. Seine Tochter hatte die Pflege übernommen. Sie kühlte die Kopfwunde und hatte den Körper weich gebettet. Gegen Abend fing er an, Lebenszeichen zu geben, sprach auch einzelne Worte. Doch trat Wundfieber auf, das ihn irre reden ließ. Dann fiel er wieder in tiefe Ohnmacht. In der Nacht kam er wieder zu sich. Er begann von neuem zu phantasieren, rief nach Waffen und schrie: »Die Kugeln, rasch! Und das Pulver!« Als Mitternacht vorüber war, wurde er etwas ruhiger. Und gegen Morgen hatte er lichte Augenblicke. Er sah seine Tochter an, dann sprach er: »Vorüber – nicht wahr? Gut, gut. Das Schwerste vorbei. Die roten Teufel. Nun kommt – gute Zeit – das Glück – –«

Ein tiefer Atemzug noch, dann war's mit dem alten Wanderer aus. Emsig, ohne zu ermatten, suchte er das Glück. In Nord und Süd pilgerte er durch Steppen und Wälder, in Gluten und Kälte, um das Ideal von Glück zu suchen, das er in seinem steten Verlangen noch nirgends gefunden hatte. Auch am Ende seines mühevollen Lebens hoffte er, daß er das ersehnte Paradies in Kalifornien finden würde, das er soviel hatte rühmen hören. Ein schlichter Mann, und doch nicht glücklich. Ihm fehlte, was jedem zum Glücke fehlen wird, selbst wenn er Länder und Meere und Gold sein eigen nennt: die Zufriedenheit. Am Fuße eines Hügels ward ihm die letzte Ruhestätte bereitet. Seine Freunde und der Führer sprachen an seinem Grabe. Die Kinder hatten Kränze aus Wiesenblumen gewunden. Eichenlaub schmückte ein einfaches, rasch gezimmertes Kreuz aus Holz. Dann wurde das Grab durch große Steine bedeckt, um es vor wilden Tieren zu schützen. Sein Sohn und Schwiegersohn krönten das Ganze durch Errichtung einer Steinpyramide.

Der ruhelose Glücksucher hatte viele tausende Meilen durchmessen, ohne die Sehnsucht seines Herzens gestillt zu haben. Nun ruhte er in engem Raum, um der Ewigkeit entgegenzuträumen.

 

Die sechsstündige Ruhepause hatte die Tiere erfrischt. Nach der Beerdigung des alten Barben wurde das Lager aufgehoben und eilig wurde weitermarschiert. Man fürchtete noch immer, die Indianer könnten einen Flankenangriff machen oder die Karawane überfallen. Rochow hatte den Wachdienst militärisch organisiert. Die mit Schußwaffen Ausgerüsteten flankierten den langen Wagenzug, den eine starke Nachhut sicherte.

Bei Tagesanbruch wurde wieder haltgemacht, Wachen ausgestellt, die Tiere auf die Weide gebracht, und nun eine längere Rast bis vor Sonnenuntergang angesetzt. Die Jagdlust meldete sich bei Lienhard und Thomann von neuem so stark, daß sie ihr nicht mehr widerstehen konnten.

Über den seichten Platt-River zu kommen, war nicht schwer. Am anderen Ufer bauten sich Hügel auf, zwischen denen grüne Präriestrecken neugierig hervorlugten. Die Hügel verbargen sie auch den Blicken. Sie waren einen Berg hinauf gestiegen. Von oben bot sich ihnen ein überraschender Anblick. Die weite Prärie war mit mächtigen Büffeln bevölkert. Wie es schien, waren immer Herden von 20-30 Stück zusammen. Es mochten viele Tausende sein. Was den beiden auffiel, war, daß an der Peripherie die größten und stärksten Tiere ästen, während die anderen nur von mittlerer Größe waren. Sie stiegen den Hügel hinunter und waren plötzlich kaum 150 Schritt von der Herde entfernt. Die vordersten Tiere hoben den Kopf und sahen neugierig zu den Menschen hinüber. Dann rupften sie ihr Gras weiter und kümmerten sich nicht mehr um sie. Thomann wollte noch einige Schritte weiter gehen, doch Lienhard hielt den Tollkühnen zurück.

Sie machten ihre Gewehre schußfertig. Dann wählten sie die Opfer. Lienhard suchte sich einen mächtigen Büffel aus, Thomann eine feiste Kuh. Die Schüsse krachten zusammen. Die ungeheure Herde hob wie auf Kommando die mächtigen Köpfe. Dann, wie auf ein geheimes Zeichen, donnerte die Masse in geschlossener Linie auf die beiden Schützen zu.

Lienhard und Thomann waren noch nie so schnell in ihrem Leben gelaufen, wie bei diesem furchtbaren Anblick. Sie jagten, flogen förmlich den Hügel hinauf. Als sie fast den Gipfel erreicht hatten, sahen sie zurück. An dem Fuße des Berges hatte die Herde haltgemacht und in donnerähnlichem Getrampel jagte sie wieder auf denselben Weideplatz zurück, während ein Teil nach Süden abschwenkte.

Die beiden waren von dem Schreck und dem Laufen so erschöpft, daß sie sich nicht von der Stelle rühren konnten. Erst als sie sich eine Weile erholt hatten, konnten sie sich nach den Opfern umsehen. Von der Kuh war nichts zu erblicken. Thomanns Hügel mußte gefehlt oder nur gelinde gestreift haben, dagegen war der Stier zusammengebrochen.

Thomann erbot sich, zum Lager zurückzugehen und Hilfskräfte für das Zerlegen und Transportieren des Tieres zu holen. Als die Helfer ankamen, war die Masse der Büffel schon weidend weiter gezogen. Dem Büffel, der noch lebte, gab Lienhard den Fangschuß. Der Riese unter den Säugetieren in Nordamerika war fast drei Meter lang, der Schwanz über einen halben Meter. Der Kopf war sehr groß. Sein Fell war graubraun, Hals und Wamme dagegen dunkler. Die Farbe ging ins Schwarzbraune über. Hörner und Hufe waren glänzend schwarz. Das Gewicht konnte man auf 150-200 Zentner schätzen. Nachdem Fleisch und Fell geborgen waren, gab's im Lager einen großen Schmaus.

Ein Holländer namens Wever wußte mancherlei von Jagden auf Präriebüffel zu erzählen. Er hatte einmal mit angesehen, wie die Indianer die Büffel jagen. Der Indianer besteigt ein wild eingefangenes Pferd. In der linken Hand hält er den Bogen und so viele Pfeile, als sie fassen kann. In der Rechten trägt er einen derben Knüppel, mit dem er sein Pferd unbarmherzig zum Laufen antreibt. Er reitet in die Büffelherde hinein und schießt aus nächster Nähe einen Pfeil nach dem andern auf die Tiere ab. Das kluge Pferd hat bald begriffen, worauf es dem Reiter ankommt. Nachdem der Pfeil abgeschossen ist, macht es einen Sprung nach rückwärts, um den furchtbaren Hörnern des getroffenen Büffels auszuweichen. Die tolle Jagd geht weiter, bis der letzte Pfeil verschossen ist. Dann kehrt der Indianer nach seinem Wigwam zurück. Die Frauen sind inzwischen seinen Spuren gefolgt, haben die verendeten Tiere abgehäutet und das Fleisch ins Lager gebracht, wo es in Streifen geschnitten und an der Sonne getrocknet wird. Aus den Fellen werden Lassos angefertigt und sonstiges Hausgerät, oder sie vertauschen die Büffelfelle an Händler gegen Feuerwasser, Waffen oder irgendwelchen Tand.

Der Schmaus und der glückliche Ausgang der Jagd, die Leichtigkeit, mit der die Tiere zu erlegen waren, machten weniger Beherzte nunmehr jagdlustig. Am anderen Tage wurde der Platt-River überschritten. Die allgemeine Stimmung hob sich, obgleich das untiefe Wasser die Indianer kaum von ihren Rachegelüsten abhalten würde.

Die Auswanderer zogen zunächst an der Hügelkette hin, bis sich die Prärie in ihrer Endlosigkeit vor ihnen ausbreitete. Nach einem fünfstündigen Marsch wurde das Lager aufgeschlagen und das Zugvieh abgejocht und zur Weide gebracht.

Die Begeisterung für die Büffeljagd hatte Blunt und Harber auf zwei Pferde gebracht, die sie sich von einem Auswanderer ausgeliehen hatten. Sie ritten flott drauf los, kamen aber schon nach kurzer Zeit sehr mitgenommen zurück. Die Pferde waren in tiefe Löcher getreten und hatten dabei die Reiter weit über ihre Köpfe abgeworfen. Blunt war leicht verletzt. Dafür war der Büchsenschaft der geliehenen Büchse zerbrochen. Harber ritt eine junge Stute, die noch nie Büffel in der Nähe gesehen hatte. Diese war vor den sozusagen mit Wolle vermummten Tieren so erschrocken, daß sie zu entfliehen suchte. Er konnte das Pferd anfänglich anhalten und umdrehen. Dabei blieb er aber in einem Bügel hängen und wurde noch ein Stück geschleift. Das Tier rannte mit Sattel und einem Dragonerpistol davon und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Am andern Morgen, als man in aller Ruhe daran ging, das Lager abzubrechen und die Zugochsen von der Weide zu holen, beobachteten die Männer, daß fünf Büffel im vollen Galopp auf die Zugtiere zusprengten. Hundert Schritte von den Ochsen machten die Büffel halt, wandten sich den Ochsen zu, kamen langsam näher und betrachteten die Zugtiere. Und die zivilisierten Ochsen besahen sich die wilden Präriebüffel scheinbar mit sympathischer Bewunderung. Zwei- oder dreimal sah man die Büffel springen, auf die Ochsen zulaufen, dann wieder anhalten und sich gegenseitig anstaunen. Ohne Zweifel erkannten sie sich gegenseitig als stammverwandt. Oder die Ochsen sahen die Büffel als eine Art Rindviehungeheuer an. Nachdem die beiden Gruppen sich genug bewundert hatten, machten die Büffel kehrt und rannten in vollem Lauf davon.

In der Folge wurden noch mehrfach Jagden auf Büffel vorgenommen, die die Reisenden reichlich mit Fleisch versorgten. Mr. Hapy wurde bei einem solchen Jagdausflug von einem Büffel übel zugerichtet. Er kam mit seiner Stute zu Fall. Das Pferd lief davon. Er aber konnte sich nicht so schnell erheben, da er Quetschungen erlitten hatte. Der Büffel stürzte sich auf ihn und brachte ihm schwere Verletzungen mit den Hörnern bei. Jedesmal, wenn Mr. Hapy Miene machte sich zu erheben, begann das wütende Tier von neuem ihn anzugreifen, und erst als er von Blutverlust so erschöpft war, daß er sich nicht mehr rühren konnte, ließ der Büffel von ihm ab. Rippstein und andere fanden den Schwerverletzten und brachten ihn zum Lager.

An demselben Tage hatte Lienhard eine außergewöhnliche Begegnung. Er war erst mit Thomann zusammen gewandert, doch auf dem kurzen, trockenen Rasen wurden die Stiefelsohlen beim Gehen so glatt, daß man bald wie auf einer Eisfläche ging. Lienhard wurde deshalb sehr müde und fand es besser, Thomann allein auf die Jagd gehen zu lassen. Lienhard hatte statt seiner Doppelflinte den Karabiner mit, der den Fehler hatte, daß er mitunter nicht losging. Außer dem Karabiner trug er noch ein kurzes, stumpfes Messer im Gürtel. Thomann hatte seinem Jagdeifer mit dem Schießen auf Aasgeier gefrönt. Als er sich von Lienhard verabschiedete, versprach er ihm das Fell eines Grislybären, falls er einen treffen sollte. So trennten sie sich.

Lienhard ruhte eine Weile, dann ging er allein weiter und kam zu einer Schlucht, die für den Aufenthalt von Wölfen wie geschaffen war. Plötzlich sprang kaum zwanzig Schritt von ihm ein prächtiger, schwarzschwänziger Hase auf, hielt wieder still, um dann zu äsen. Ein Hasenbraten, dachte er, wäre nicht so übel. Er zielte, drückte ab, der Schuß ging nicht los. Der Hase, der wohl in seinem Leben noch nicht viele Menschen gesehen haben mochte, nahm von seiner Gegenwart keine Notiz. Lienhard ärgerte sich über das Pech, das er mit seinem Karabiner hatte. Er versuchte noch zweimal zu schießen, doch es gelang nicht, trotzdem er frisches Pulver aufschüttete und alles tat, was ein Jäger in solchen Fällen tun muß. Der Hase war trotz des Knalls des abgebrannten Zündhütchens nicht fortgelaufen. Das ärgerte Lienhard am meisten.

Auf einmal sah er, daß der Hase unruhig wurde, sich auf die hinteren Läufe stellte, umherblickte und rasch fortlief, was mochte die Ursache davon sein? Lienhard blickte seitwärts und sah, daß der Hase wieder haltgemacht hatte. Der Hase und Lienhard blickten nun nach derselben Seite und sahen, daß zwei Wölfe langsamen Schrittes auf Lienhard zukamen. Der Hase war nun endgültig verschwunden. Als die Raubtiere etwa zehn Meter von ihm entfernt sein mochten, standen sie still und blinzelten zu ihm herüber. Er hob in aller Gemütsruhe die Büchse, um dem einen von ihnen den Garaus zu machen. Das Ergebnis war dasselbe negative wie vorher. Die Flinte versagte. Nochmals versuchte er alles, um Pulver in das Pistum hineinzubringen und es mit einem neuen Zündhütchen zu versehen, wieder zielte er, drückte ab. Ohne Erfolg. Zu den beiden Wölfen gesellten sich jetzt noch zwei andere, die größer und wolliger waren. Lienhard versah seinen Karabiner zwar wieder mit einer neuen Zündkapsel, ohne jedoch Hoffnung auf einen besseren Erfolg zu haben.

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Die vier Wölfe hatten sich ihm nun um einige Schritte genähert. Dabei blinzelten sie ihn fortwährend an und bewegten ihre langen spitzen Ohren. Rasch hob er einige der umherliegenden großen Steine auf und warf sie nach den Wölfen. Drei- oder viermal wiederholte er es. Die Tiere aber fragten wenig danach, sondern näherten sich immer mehr.

Die Situation wurde kritisch für ihn. Es gab keine Stelle, wo er hätte Schutz finden können, während Lienhard der Angstschweiß aus allen Poren brach, die Tiere immer mehr auf ihn zukamen und er langsam vor ihnen zurückwich, gesellten sich zu seinem Schrecken noch zwei große zottige Burschen zu den übrigen. Frostschauer gingen durch seinen Körper, trotzdem die Sonne heiß brannte. Die sechs rückten gegen ihn vor. Unverwandt starrten sie ihn an, daß der Arme schon sein letztes Stündlein gekommen glaubte. Er wollte sich aber, so lange es ging verteidigen. Weniger mit seinem stumpfen Messer, mit dem er nichts ausgerichtet hätte, als mit dem Kolben des Karabiners.

In seiner Verzweiflung füllte er sich alle Taschen mit Steinen. Dann sprang er plötzlich in die Höhe, um die Tiere zu erschrecken. Die aber sahen ihn unverwandt in aller Seelenruhe an, ohne zu zucken. Langsam rückwärts gehend, gelangte Lienhard zu der Stelle, wo vorhin der Hase gelaufen war.

Plötzlich blieben die Wölfe stehen. Er aber schritt unablässig ganz langsam rückwärts. Und so brachte er nach und nach, während er vor Angst verging, ein Stück Wegs zwischen sich und die Bestien. Er war jetzt am Hügel angekommen. Diesen begann er zu erklimmen. Die Wölfe gingen den anderen Hügel, wo Lienhard hergekommen war, hinauf. Dabei ließen sich beide Parteien nicht aus dem Auge. Lienhard machte noch einmal halt und pfiff heftig durch die Finger. Dann sprang er in die Höhe, als er sah, daß sich die Bestien wieder auf ihn zu in Bewegung setzten. Als er das sah, schrie er in seiner Verzweiflung laut auf, heulte wie eine Dampfsirene und rief aus Leibeskräften alle Namen, die ihm einfielen. Er versuchte sie in Schrecken zu jagen. Aber alles war nutzlos, denn es schien jetzt, als ob sie Miene machten, umzukehren. Lienhard war nun überzeugt, daß er ihnen nicht im geringsten Furcht eingeflößt hatte. Die Tiere wußten sich offenbar zu sicher ihm gegenüber und gaben es ihm deutlich und großmütig zu verstehen. Er stieg den Hügel hinauf. Auf halbem Wege kam er an eine Stelle, wo das Gras niedergetreten und zerstampft war. Da fand er die frisch benagten Knochen eines Präriewolfes, den diese Waldwölfe aufgefressen hatten. Wahrscheinlich hatte er sie mit dem Abbrennen des Zündhütchens auf den Hasen aufmerksam gemacht, als sie gerade mit der Mahlzeit fertig waren. Und sicherlich waren sie durch die reichliche Mahlzeit zu einem Kampf mit Lienhard zu träge. Diesem Umstand verdankte er sein Leben, kaum aber seinem Verhalten den Tieren gegenüber.

 

In der Folge entstanden unter den Reisenden Zerwürfnisse, die sich um die Betätigung bei der Abwehr des Indianerangriffs drehten. Manchem wurde der Mut abgesprochen, anderen direkt Feigheit vorgeworfen. Es kam zu Plänkeleien, und wenn diese nicht zu Raufereien führten, so war das einzig und allein der friedenstiftenden Vermittlung Rochows zu danken. Dessenungeachtet beharrten einige Familien darauf, sich von den übrigen zu trennen. Man ließ ihnen die Wahl, ob sie vorauffahren oder erst eine Tagesreise später nachfolgen wollten.

Später hatten sich die Reisenden aber doch wieder zusammengefunden. Einige Tage darauf gelangten sie in Gegenden, wo die sogenannten Bluffs ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen. Es sind dies Hügel, die steil vom Hochland ins Tal abfallen und merkwürdige Formen haben. Einige hatten eine täuschende Ähnlichkeit mit Festungswerken, andere mit Burgruinen, Schlössern und Palästen. Dadurch gewinnt die ganze Gegend an Romantik. Selten traf man Wald an, so daß die Auswanderer genötigt waren, Brennholz mitzuführen.

Weiter, immer weiter ins unbekannte Land ratterten die Wagen, und immer näher kamen sie dem Fort Laramie, das einsam inmitten der Wildnis lag. Neben dem Platt-River fanden sie wieder etwas Holz zum Abkochen, jedoch nur Weiden und Baumwollpappeln (Cotton). Ein Arm des Flusses wurde überschritten. Hier führte er dunkelblaues, kühles Wasser. An einzelnen Stellen war es sehr tief, so daß das Wasser bis an die Wagenbetten reichte.

Endlich, nach langer Zeit, sahen die Reisenden wieder andere Menschen, nämlich die Soldaten der Vereinigten Staaten im Fort Laramie. seither war es eine Handelsstation einer großen, französischen Firma auf der sie mit weißen Jägern und Indianern gegen Tierfelle verschiedene Waren tauschte. Laramie war ein Hauptposten von dem aus kleinere Plätze mit Waren versehen wurden. Die Handelsfirma hielt sich zu dem Zwecke immer eine Anzahl junger, rüstiger Leute, die gute Schützen sein mußten, und denen es an Mut nicht fehlen durfte. Kanadische Franzosen, Schotten und Schweizer ließen sich zumeist zu dem Zwecke anwerben.

Solch ein ausgeschickter Bote wurde nur mit wenig Lebensmitteln, ein oder zwei wollenen Decken Und einer guten Büchse nebst Munition versehen. Dann mußte er sehen, wie er durchkam, um die Station zu erreichen. Kam er seinen Pflichten nicht nach, oder desertierte er und wurde von den Indianern zurückgebracht, so war die Strafe nicht gering.

Als die Auswanderer beim Fort anlangten, lagerten in dessen Umgebung viele Sioux-Indianer, die das Gebiet ringsum bewohnten. Sie hatten große, gezähmte Wölfe bei sich, die sie auf ihren Streifzügen mitführten und auch als Lasttiere benutzten. Diese heulten und bellten wie Hunde.

Die Sioux-Indianer waren schlanke, hübsche Leute. Sie trugen hirschlederne Hosen, einen Ledergürtel um den Leib, mit dolchartigem Messer.

Links von der Straße, unweit vom Fort, konnten die Vorbeiziehenden den Totenplatz der Indianer anstaunen. Etwa vier Fuß über dem Erdboden befanden sich Gerüste, auf denen die Toten, in Tierfelle gehüllt, lagen. Bei einigen lagen Waffen, Bogen und Pfeile, damit, wenn es dem »großen Geist« gefallen sollte, den tapferen Jäger und Krieger in die großen Jagdgründe der Ewigkeit zu führen, er gleich seine Waffen zur Hand hätte. So finden wir bei diesen Naturkindern, wie bei hochstehenden Kulturvölkern auch, den festen Glauben an ein neues Leben im Jenseits, ein fortleben nach dem Tode.

Etwa sieben Meilen weit hinter dem Fort wurde an grasreicher Stelle, am nördlichen Arm des Platt-River, das Lager bezogen. Seit der Abreise von Lienhard und Rochow von St. Louis waren 66 Tage verflossen.

Die ersten Ausläufer der Blackhills waren erreicht, es waren die ersten, größeren Berge, die mit den Höhen des Badischen Schwarzwaldes Ähnlichkeit haben. Sie waren mit Tannen, Fichten und Föhren bewachsen.

Am nächsten Tage trafen sie auf mehrere Männer und zwei Frauen, die sämtlich beritten waren. Die Gesellschaft machte äußerlich einen nicht guten Eindruck. Alle miteinander sahen verkommen und verwildert aus. Ihre Bekleidung war zerlumpt, Gepäck schienen sie nicht zu haben. Sie erzählten, sie kämen aus Kalifornien. »Vor den Leuten fürchte ich mich mehr, als vor den Indianern,« sagte Beate leise zu Lienhard. Der nickte zustimmend, konnte aber nichts erwidern, da die beiden Frauen dreist herzutraten. Die Sioux hätten ihnen unterwegs ihr ganzes Gepäck gestohlen, ihre Kleider und Wäsche wären verloren. Ob sie nicht einiges leihweise abgeben könnten.

Lienhard sprach: »Wir wollen sehen, ob meine Freunde etwas entbehren können. Uns kann's gerade so ergehen, wie euch, wir haben die Sioux noch zu überstehen, was machen wir dann? Ihr kommt bald wieder in zivilisierte Gegenden und findet bei Freunden gern Hilfe, wir sind auf uns allein angewiesen und kommen in ein noch unentdecktes Land. Oder nicht?« Oh, da sprudelte es, wie zwei Wasserfälle, von den Lippen der beiden fremden Frauen. Kalifornien? Da werdet ihr euer blaues Wunder erleben. Eine schreckliche Sandwüste ist's, in dem es von wilden Tieren und giftigem Gewürm wimmelt. Nur Herden dunkelhäutiger, nackter Wilder wohnen da, die weiße Leute auffressen, wenn sie sich nicht tapfer wehren. Nein, für Weiße ist das Land unbewohnbar.

»Da müßt ihr euch aber tapfer gewehrt haben,« sagte Lienhard sarkastisch. »Und eure Pferde dazu, denn die sehen ebenso gut genährt aus, wie ihr.«

Darauf käme es nicht an, meinten sie. Essen muß Mensch und Tier, wenn sie leben wollen. Kalifornien wäre aber kein Land, das eine Zukunft hätte. Das Klima wäre so fürchterlich, daß jeder Weiße rasch kehrt machte. Es hielte keiner zwei Monate aus, alle stürben am Fieber.

»Alle? Ohne Ausnahme?« fragte Lienhard.

»Ohne jede Ausnahme,« antworteten sie einmütig.

»Dann wundere ich mich, wie es ein deutscher Landsmann schon einige Jahre dort aushält. Er schreibt das Gegenteil von dem, was ihr sagt. Habt ihr zufällig vom Kapitän Sutter gehört?«

Erst schwiegen die Abenteurer. Dann auf einmal – die Männer waren inzwischen ebenfalls zu der Gruppe getreten – brachen sie in entrüsteten Worten gegen Sutter los. Der sei nicht nur bekannt, sondern überall berüchtigt als alter Spitzbube. Dem Mann wäre nicht zu trauen.

Eine solche Würdigung seines voraussichtlichen Beschützers traf Lienhard wie ein Guß kalten Wassers, was sollte er davon denken, was glauben? – Später hatte er gehört, daß die Leute die Pferde, die sie besaßen, ihm gestohlen hatten. Die Auskünfte hatten keinen besonderen Eindruck auf die Mehrzahl der Zuhörer gemacht. Sie kannten den Mann nicht und hatten auch keine Empfehlung an ihn, wie das bei Lienhard der Fall war. Dagegen waren seine Reisegefährten von der Schilderung Kaliforniens und seiner Bewohner so erschreckt, daß sie am liebsten umgekehrt wären. Besonders waren es die zahlreichen Frauen, die ihre Männer dringend und händeringend baten, mit ihnen nach den Staaten zurückzukehren. Da kam ein Mr. Bryant auf eine Idee, während des Weinens und Lamentierens seiner Frau, die es am schlimmsten trieb, kehrte er sich plötzlich gegen die aus Kalifornien gekommenen Leute mit den Worten: »Wieviel muß ich euch zahlen, damit ihr meine Frau mit nach den Staaten zurücknehmt?«

Die Frau hörte sofort zu weinen auf. Und als die Kalifornier merkten, daß bei der Reisegesellschaft für sie nichts zu holen sei, zogen sie ihres Weges weiter. Das Auftreten des Mr. Bryant hatte überhaupt eine gute Wirkung auf die Kleinmütigen. Und Lienhard erklärte schließlich, daß er nach wie vor von dem, was Sutter geschrieben hätte, überzeugt wäre.

Die Straße der Auswanderer führte über steinige Hügel und zwischen diesen durch sandige Tiefen. Die Witterung blieb immer günstig. Antilopen und Wölfe wurden oft gesehen und erlegt. Am unangenehmsten war das Geheul der Wölfe bei Nacht.

Nach einigen Tagen begegneten die Auswanderer wieder einigen Männern zu Pferd, die von Oregon kamen. Sie wurden mit Fragen überhäuft. Ihre Antworten befriedigten aber im allgemeinen die Fragenden. Am dritten Juli hatten sie leichten Frost. Das Wetter war hell, aber windig. Das Lager wurde zwischen den Bäumen des Bottom-Waldes aufgeschlagen. Hier wurde einige Tage Rast gehalten, um Jagd auf Büffel zu machen, denn dies war der letzte Ort, wo sich solche in Herden zeigten. Dazu kam, daß die zahlreichen Menschen sich für die weitere lange Reise mit Fleisch versehen wollten. Hier trafen sie einen Jäger und Fallensteller namens Kollog, der sich erbot, ihnen für acht Pfund Kaffee zwei Büffel zu schießen. Im Laufe des Gesprächs waren sie nämlich dahinter gekommen, daß sie diese Kunst bisher nicht richtig ausgeübt hatten. Unter seiner Führung wurden nun die sämtlichen Schützen aufgeboten. Das Gebiet zwischen den Croros- und Sioux-Indianern war für die Jagd ausersehen. Da, berichtete Kollog, wäre das meiste wild anzutreffen. Gleich nach ihrem Aufbruch schoß er einen schwarzschwänzigen Hirsch, dessen Fleisch vortrefflich schmeckte. In wenigen Tagen wurden Hirsche, Antilopen, Bergschafe, Biber, Bären und Wölfe gesichtet.

Unter der Führung des Fallenstellers befanden sich Lienhard und Thomann, die Unzertrennlichen, Mr. Gordon, dessen Wunde fast verheilt war, Blunt und Harber und noch fünf andere. Kollog führte die Jäger auf die andere Seite des Flusses. Die Wagen, die das Fleisch der erlegten Büffel gegen Mittag holen sollten, waren an eine bestimmte Stelle am Ufer beordert, außerdem sollte Thomann zurückkommen und rufen.

Kollog und Gordon hatten sich beritten gemacht. Die andern waren zu Fuß. Schon nach einem einstündigen Marsche, bei dem alle in Schweiß gebadet waren, wurden starke Büffelherden gesichtet. Die beiden Reiter waren aus dem Gesichtskreis der übrigen verschwunden. Doch gaben einige Schüsse die Richtung an, wo sie sich befinden mochten. Dadurch, daß Kollog weit vorausgeritten war, konnte er kaum den bedungenen Preis verdienen. Denn wie sollten die unerfahrenen Jäger es lernen, weidgerecht einen Büffel zu erlegen, wenn der Jäger nach seinem Gefallen hinter den Bergen jagte und keine Rücksicht auf die anderen nahm.

Der erfahrenste Schütze unter ihnen war Lienhard. Die anderen gingen auf eigene Faust los, und bald knallte es von allen Seiten auf die gutmütigen, ahnungslosen Tiere, wenige Kugeln erreichten ihr Ziel. Als die Herde forttrabte, blieb den Jägern nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Sie mußten tüchtig laufen, gerieten dadurch noch mehr in Schweiß, und ein starker Durst, den sie nicht zu löschen imstande waren, begann ihnen arg zuzusetzen. Da blieb eine Kuh hinter dem Haufen zurück. Ihr Gang wurde langsamer, und schließlich blieb sie stehen. Das war ein Zeichen, daß sie getroffen war, und nun lief alles herzu und knallte das Tier vollends nieder.

Da die Hitze stieg und mit ihr das Durstgefühl, erklärten die Jäger kurzerhand, sie wollten zum Lager zurückkehren. Sie hätten genug von der Jagd, und ein Büffel sei immer besser als keiner. Sie zogen ab und ließen Lienhard und Thomann allein zurück. Die gaben so leicht die Jagd nicht auf, und es glückte ihnen wirklich, noch zwei Büffel umzulegen.

Lienhard ersuchte nun seinen Freund, zurückzugehen und die bestellten Wagen über den Fluß zu holen. Er wollte inzwischen den Tieren die Decke abziehen und das brauchbare Fleisch zum Abholen bereit machen. Thomann ging und Lienhard begann aus Leibeskräften zu arbeiten. Es war ein prächtiger, feister, vollgewachsener, noch nicht alter Stier. Es gab in der Nähe weder einen Strauch noch ein Gebüsch oder einen Felsen, in deren Schatten er hätte ein wenig ausruhen können. In weiter Entfernung erst waren ansehnliche Berge, in der Richtung, in der die beiden Reiter unterwegs waren. Um den gewaltigen Burschen von einer Seite auf die andere zu wälzen, bedurfte es seiner äußersten Kraftanstrengung.

Wohl von dem Geruch des frischen Fleisches angelockt, hatte sich ein großer Wolf kaum hundert Schritt entfernt eingefunden, der mit lechzender Zunge und mit regem Anteil seiner Hantierung zusah.

Lienhards Durst hatte inzwischen heftig zugenommen. Seine Zunge war so trocken, daß sie sich brennend und hart anfühlte, von den Wagen ließ sich nichts hören und sehen, obwohl meilenweit kein Baum die Aussicht versperrte. Stundenlang hatte die Sonne schon den Zenit verlassen und sich dem Westen genähert, und noch immer war kein Fuhrwerk zu sehen. Seine Lage wurde fast unerträglich. Sobald er sich von der Beute entfernen würde, das wußte er wohl, war das schöne Büffelfleisch verloren. Und wer weiß, ob sich nicht schon andere Herrschaften an die beiden anderen erlegten Tiere herangemacht hatten.

Als er mit dem Zerlegen des gewaltigen Tieres fertig war und sein Durst die Höhe erreicht hatte, konnte er nicht länger widerstehen. Er nahm seine Kleider und seinen Karabiner und schlug die Richtung zum Fluß ein. Als er eine halbe Stunde unterwegs war, bemerkte er, daß er sein großes Pufferhorn nebst Pulver und Kugeltasche mitzunehmen vergessen hatte. Den Verlust durfte er unmöglich riskieren. Es blieb ihm keine andere Wahl, als wieder zurückzugehen. Als er wieder zurückkam, tat sich der Wolf an dem Fleisch gütlich und ein zweiter half ihm dabei. Es dauerte ziemlich lange, bis er sein Pufferhorn und die Tasche wiederfand. Nun kümmerte er sich wenig darum, daß die Wölfe sich's wohlschmecken ließen, denn sein ganzes Sinnen und Trachten war nur: Wasser, Wasser. Und zum Fluß waren noch mindestens sechs englische Meilen. Die Sonne brannte unbarmherzig. Kein Lüftchen regte sich. Er mußte mehrere Hügel hinauf- und hinunterklettern, aber der Durst trieb ihn vorwärts, obgleich es ihm schien, als nähmen der Weg und die Anstrengungen kein Ende. Wenn er sich hinlegte oder fetzte, so wußte er, war er verloren. Er hätte sich dann vor Erschöpfung und Müdigkeit nicht mehr bewegen können.

Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont, als er endlich von der Höhe des letzten Hügels aus den Fluß erblickte. Trotz aller Müdigkeit war er bald am Ufer. Dort warf er seine Kleider weg und sprang in das bräunlich aussehende Wasser und trank und trank in langen Zügen, wenn er aufhörte, war es, als ob inwendig noch alles brenne. Und wieder und wieder sprang er in die Flut, um sich abzukühlen und zu trinken.

Die Sonne war untergegangen, als er den Fluß überschritten und sich wieder ins Lager gefunden hatte. Thomann kam ihm verwundert entgegen: »Hast du denn die Wagen nicht getroffen?«

Es stellte sich nun heraus, daß derjenige, der die Wagen zu führen hatte, an eine falsche Stelle gefahren war. Der Mond stand längst am Himmel, die Wagen waren noch nicht zurück. Aber auch von Kollog und Gordon war keine Nachricht eingetroffen. – Ob es noch einen Zweck haben würde, morgen nach den beiden erlegten Büffeln zu sehen? Die Reisenden waren von der fehlgeschlagenen Jagdexpedition wenig erbaut. Es gab Stichelreden, höhnende Worte fielen und Unfrieden und Zänkereien kamen wieder einmal zum Vorschein.

Am nächsten Morgen wurde der Versuch, Büffelfleisch für die Weiterreise zu bekommen, noch einmal unternommen. Die Anstrengungen waren die gleichen, der Erfolg jedoch besser. Man hatte bessere Vorsorge mit en Wagen getroffen. Im Lager wurde das Fleisch in Streifen geschnitten und an der Sonne gedörrt.

An demselben Nachmittag kam Kollog mit Gordon zurück. Gordon lag mehr auf dem Pferd, als daß er saß. Sein Kopf war verbunden. Kaum hielten die Pferde, so hob man ihn herunter und trug ihn ins Lager. Kollog berichtete nun: »Als ich mit dem englischen Mister der Abrede gemäß zwei Büffel geschossen hatte, mußte ich natürlich annehmen, daß die Männer, die hinter uns herkamen, sie bergen und sie mit den Wagen, wie ich es ja deutlich gehört hatte, ins Lager schaffen würden. Da unsere Pferde durch die Schüsse und durch die Masse der Büffel erregt und nicht mehr zu halten waren, mußten wir, um nicht mitten in die Herde hineinzugeraten, die Zügel schießen lassen. Sie rannten über die Prärie den Bergen zu, wo sie instinktmäßig Schatten und vielleicht auch Wasser witterten. Ich war dem andern ein Stück voraus. Als wir kaum hundert Schritte von den Bergen und der labenden Kühle des Waldes entfernt waren, hielt ich an. Ich wartete, bis Mister Gordon bei mir war.

»Sehen Sie einmal geradeaus zum Waldrand. Bemerken Sie auf dem Boden den Bären?« sagte ich. – »Wo ist ein Bär?« fragte Gordon. – »Seien Sie still. Es ist ein Grisly, ein böser Geselle, wenn wir mit ihm zu tun kriegen.« – Wir machten unsere Büchsen schußfertig. Ich sagte aber meinem Begleiter, er möchte nicht eher schießen, als bis ich geschossen habe. Er war aber so aufgeregt, daß er wohl meine Meinung nicht gehört hatte. Es war der erste Bär, dem er gegenüber stand, und den Ruhm, den gefährlichsten aller Bären erlegt zu haben, wollte er spielend gewinnen. Er preschte, ehe ich es hindern konnte, mit seinem Gaul zum Walde und schoß. Ein starkes Brummen gab Antwort, daß der Bär unsere Ankunft und unsere Absicht begriffen hatte. Er äugte zwischen den Sträuchern zu uns herüber, denn ich hielt jetzt neben Mister Gordon. Da wandte sich der Grisly und verschwand hinter den Bäumen. Nach wenigen Augenblicken sahen wir ihn einen steilen Felsen hinaufklettern. Gordon sprang vom Pferde, denn auf diesen Wegen konnten wir ihm nicht nachreiten. Gordon war mir wieder voraus. Ich sah ihn noch, wie er behend den Felsen erklomm. »Warten Sie!« rief ich ihm nach. Er hörte aber nicht. Ich setzte ihm also nach. Da sah ich den Bären auf dem Plateau auf den Hinterfüßen aufgerichtet und nicht fünfundzwanzig Schritt davon entfernt Gordon, der wieder auf ihn anlegte. Gordon schoß, doch kurz vorher war der Bär wieder niedergegangen, so daß die Kugel vorbeiging. Nun kam er knurrend und zähnefletschend näher und gradwegs auf Gordon zu. Ich sprang hinter einen Baum in Deckung, um einen sicheren Schuß abgeben zu können. Meine Kugel fuhr aus dem Lauf, traf den Bären, doch sie verwundete ihn nur am Kopf. Nun wurde das Tier wütend. Mit unglaublicher Schnelligkeit warf er sich unvermutet auf Gordon, bearbeitete ihn mit seinen Zähnen und hielt ihn fest mit seinen Pranken. Ehe ich von neuem meine Büchse geladen und geschossen, ehe ich eine zweite und dritte Kugel auf das Raubtier gefeuert hatte, vergingen kostbare Minuten. Da, endlich fiel der Bär tödlich getroffen um, aber so unglücklich, daß er mit seiner großen Zentnerlast auf den übel zugerichteten Mister Gordon fiel. Ich hatte dann Mühe, den Schwerverletzten unter dem toten Bären hervorzuziehen, und dann seine Wunden so gut es ging zu verbinden. Seine Kopfhaut ist von den Zähnen des Bären übel zugerichtet, wer weiß, ob er nicht noch andere innere Verletzungen hat. Ich vermute, daß der Koloß ihm mit seinem Gewicht einige Rippen gebrochen hat, denn Gordon klagt über Stiche beim Atmen. Das Fell des Bären habe ich hier geborgen. Es soll Gordon gehören, wenn er mit dem Leben davonkommt.

Das neue Lager hatte ein Witzbold der Reisenden Moorsprings (Dreckquelle) genannt, weil es unweit der Süßwasserquelle viel tiefe, mit weichem Schlamm gefüllte Löcher hatte. Der junge Blunt, der sich vor Mut, richtiger vor Übermut, nicht mehr zu lassen wußte, hatte sich aus dem Lager entfernt, war ein kleines Tälchen hinaufgegangen, als er zu einem Schlammhaufen von drei Fuß Durchmesser kam. Die obere Kruste schien trocken zu sein, das Ganze glich einem Haufen zusammengefegten Straßenschmutzes. Blunt war neugierig, wie mag nur dieser vermeintliche Straßenmörtel hierher gekommen sein, dachte er. Wie Schuljungen oft das Eis probieren, ob es schon fest genug sei, so wollte er die scheinbar harte Kruste auf ihre Festigkeit hin untersuchen.

Unter seinem Gewicht gab die Kruste nach und im Augenblick versank er bis unter die Arme in dem gelblichgrauen weichen Schlamm. Unwillkürlich hatte er seine Arme ausgebreitet. Mit beiden Händen klammerte er sich an den festen Rändern des Schlammloches an, rief dann in beweglichen Tönen um Hilfe, die dann auch nicht lange auf sich warten ließ. Wäre es ihm nicht gelungen, sich festzuhalten, würde er im nächsten Augenblick versunken und sein plötzliches Verschwinden den Auswanderern ein Rätsel geblieben sein. Die Zugtiere hatten mit diesen Schlammbecken auch Bekanntschaft gemacht. Der sichere Instinkt scheint die Tiere aber vor dem Untergang bewahrt zu haben. Es gab größere Flächen, wo der Rasen überall sich zu öffnen drohte, wenn man auf ihn trat. Solcher Stellen gab's viele. Auch an den nächsten Tagen fanden die Reisenden noch viele solcher Schlammvulkane.

Nun ging es weiter aufwärts gegen das Felsengebirge. Die Ochsen hatten tüchtige Arbeit, viele suchten es den Tieren zu erleichtern, indem sie von den Wagen stiegen und dem Zuge vorauf gingen.

Lienhard hatte Beate zu dieser Wanderung eingeladen. Der Weg war nicht zu verfehlen, das Wetter war sonnig. Das Paar war tüchtig ausgeschritten, es hatte den Lärm der Karawane hinter sich gelassen. Aus weiter Ferne klangen die Glöckchen der Zugtiere. Die Ruhe, die Einsamkeit der Wildnis übte ihren Zauber auf sie aus. Lienhard hatte seine Büchse umgehängt, Beate trug einen Salbeistengel, statt eines Spazierstöckchens. Das große Schweigen ringsum ließ beide stumm nebeneinander hergehen. Ob jetzt der rechte Augenblick war, um eine Frage an sie zu richten, die ihm seit Monaten fast das Herz abdrückte? Er ging ihr zur Seite, Beate war jedoch einen halben Schritt voraus. Der Pfad trug sichtbare Wagenspuren. Den bevorzugten sie, um nicht abzuirren.

Nun hatte Beate verschiedene Fragen zu stellen. Dabei wandte sie oft den Kopf zurück, ohne auf den Weg zu achten. Da – mit einem jähen, scharfen Ruck riß er sie am Arme plötzlich zurück. Fast wäre sie auf eine Klapperschlange getreten! Ihr Fuß war nur ein weniges von dem giftigen Reptil entfernt gewesen. Aufgescheucht, lag sie kampfbereit da, bis Lienhard sie mit einem Kolbenschlage tötete. Es war ein schönes Tier mit vierzehn hörnernen Ringen am Schwanz und rötlich getüpfelter Haut.

Beate war vor Schreck sprachlos. Dann füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Sie haben mir das Leben gerettet,« sprach sie und drückte ihm die Hand. »Wie soll ich Ihnen danken?«

»Danken? Dazu war keine Ursache, wenn aber ein Dank sein soll, –« er hielt noch immer ihre Hand in der seinen. – »Ja, das soll es.«

»– dann wüßte ich nichts Köstlicheres, als daß Sie mir diese kleine Hand für alle Zeit lassen. Ich will mich dann bemühen, Sie vor allen Gefahren des Lebens zu behüten. Wollen Sie?«

Sie sah ihn freudig-lächelnd an, konnte aber kein Wort vor Erregung und Glück hervorbringen. Sie drückte ihm nur wieder und wieder die Hand, die er jetzt mit Küssen bedeckte. Das war ihre Verlobung. Hand in Hand warteten sie, bis der Wagenzug heran war. Dann führte sie Lienhard zu ihrem Vater.

»Lieber Vater,« sprach sie, »sage, bitte, nicht nein: ich habe mich soeben mit Lienhard verlobt. Ihn werde ich heiraten oder keinen.« Und Rochow sagte nicht nein. Die Heirat sollte aber erst in ein, zwei Jahren stattfinden, wenn es gelungen war, Heim und Herd zu gründen.

 

Auf sandiger, guter Straße fuhren die Auswanderer jetzt dem Süßwasserfluß (Sweet-water-River) entgegen. Der Aufbruch geschah, um die Kühle der frühen Morgenstunden möglichst auszunutzen und da es prachtvoll mondhell war, um zwei Uhr morgens. Um sieben Uhr kamen sie zur letzten Süßwasserquelle. Unterwegs schon waren sie an salzigen Flüssen vorbeigekommen. Der Süßwasserfluß ist nur ein kleines Flüßchen mit klarem, gut schmeckendem Wasser. Der Name schien anzudeuten, daß man bald in Gegenden kommen würde, in denen das süße Wasser eine Seltenheit war.

Nach anderthalbstündiger Ruhe kamen die Reisenden zu dem Unabhängigkeitsfelsen (Independence-Rock), und von hier gelangten sie endlich in eine von gelblichem Sande bedeckte Gegend, die mit riesigen Granitblöcken umgeben war. Nur wenige zwerghafte Zedern und Föhren fristeten hier ihr kümmerliches Dasein. Hier mußte vor langer Zeit ein vulkanischer Ausbruch stattgefunden haben. Am oberen Ende dieser Kratergegend kam die Karawane schließlich zu einer Stelle, wo der Süßwasserfluß sich durch achtzig Fuß hohe Felsen den Weg gebahnt hatte und durch sein Getöse bemerkbar machte, bekannt unter dem Namen »Teufelstor«.

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Nachdem diese Felsen passiert waren, trieb der Zug am rechten Ufer des nunmehr ruhig dahinfließenden Süßwassers zu einer grasigen Stelle, wo das Vieh ruhen und weiden konnte. Es war gegen zwei Uhr nachmittags, als Lienhard die frischen Spuren eines Bären in der Nähe des Flusses entdeckte. Doch da er von dem zwölfstündigen Marsch zu ermüdet war, hatte er keine Lust, Meister Petz zu verfolgen.

Am nächsten Tage nahmen die Reisenden mit Verwunderung wahr, daß bei ihrem Weitermarsch die Oberfläche des Bodens mit einer weißlichen Salzkruste bedeckt war, die wie Schnee glitzerte. Seitwärts bauten sich Hügel auf, die mit Nadelholz bewachsen waren.

In der Umgebung des Lagerplatzes hatte Lienhard zwei große Salbeihühner geschossen, und obschon sie nach der Pflanze, von der sie leben, riechen, widerte das Fleisch nicht mehr so an, wie das erste Mal.

Am nächsten Tage stieß die Gesellschaft noch ganz unerwartet auf einige Büffel, von denen einer erlegt wurde. Es waren die letzten seit jenen denkwürdigen Büffeljagden. Zwei Tage später ließen sie den Süßwasserfluß links liegen. Sie brachen schon viel früher auf als sonst, um die Gesellschaft, die sich vor Wochen von der größeren Abteilung im Zorn getrennt hatte, einzuholen. Das gelang ihnen. Doch bei dem Zusammentreffen gab es keine Freude. Die jetzt zuletzt kamen, wollten die anderen überholen, um auch einmal nach langer Zeit für ihre Tiere frische Weide zu haben. Das wollten die anderen nicht zulassen. Sie wollten an der Spitze bleiben. Die größere Gesellschaft fühlte sich als die stärkere, sie trieb ihre Gespanne an, und die Folge war, daß die Wagen ineinanderfuhren, so daß an eine Weiterreise nicht zu denken war und schließlich ein Ochse am Fuße, verletzt wurde. Die kleinere Abteilung, die bis jetzt den Vorsprung hatte, schickte plötzlich sechs bewaffnete Männer ab und forderte einen gesunden Ochsen für das beschädigte Tier oder eine große Bezahlung. Da kein Mensch gesehen hatte, daß der Ochse von dem Wagen beschädigt worden war, hielt man das ganze für eine Komödie, um den andern Teil einzuschüchtern, vielleicht aus Rache, weil sie von der größeren Abteilung ausgepfiffen wurden, als sie im Fahren den kürzeren zogen. Augenblicklich machten Lienhard und seine Freunde ihre Schußwaffen zurecht, dann forderten sie die Leute auf, ihrer Drohung Nachdruck zu geben, es werde sich dann zeigen, wie die Sache endigte.

Diese entschlossene Haltung hatten die Gegner nicht erwartet, und ihre brutalen Worte verwandelten sich plötzlich in eine Bitte. Als die Waffen gegenseitig erhoben waren, trat Herr von Rochow als der Führer der großen Gesellschaft vor und händigte dem Wortführer der anderen ein 20-Francs-Stück ein, unter der Bedingung, daß er es als teilweisen Ersatz behalten könne, wenn der Ochse Schaden leide. Im anderen Falle müßte er es wieder zurückgeben. Darauf gingen die anderen ein. Der Streit war somit gütlich beigelegt.

Im Laufe des Tages passierten sie kleinere und größere Bäche, die teilweise am westlichen Abhang des Windriver-Gebirges entsprangen. Alles sah vegetationslos aus. Tags darauf kamen sie zu dem obersten Bach, dessen Wasser zum Stillen Ozean fließt. Somit hatten sie die Wasserscheide zwischen dem Stillen und dem Atlantischen Ozean erreicht. Es war eine denkwürdige Stelle, wenn man die Karte vor sich hatte und die Entfernung in Betracht zog. Dann wurde der Litte Sandy überschritten. An diesem Tage wurde Herrn von Rochow das 20-Francs-Stück zurückerstattet, da der verwundete Ochse sich wieder erholt hatte.

Das Wetter war jetzt abwechselnd bald bewölkt, bald heiter, aber immer windig und unfreundlich. Wild wurde vielfach gesehen, manches ohne besonderen Aufenthalt erlegt, z. B. große Hasen, Riesenhirsche (Elke), Salbeihühner und Bergschafe. Auch graue Bären wurden gesichtet, aber nicht erlegt. Sobald einer von den letzteren in Sicht kam, war er schon wieder verschwunden. Wer eilig hinter ihm herlief, konnte nur noch seinen Bürzel sehen. Dann war er regelmäßig auf Nimmerwiedersehen fort.

Die Karawane betrat das Gebiet der Roho-Indianer. Vom Windriver-Gebirge hatten sich die Auswanderer wieder entfernt, dagegen kamen andere Berge in Sicht. Unter anderm ein hohes Gebirge, auf dessen Rücken Schnee lag. Der Green-River wurde erreicht – das ist der Hauptzufluß des Rio Colorado. Dort sahen sie die schönsten und größten Baumwollpappeln, prächtige Weiden und einige wenige Laubholzarten. Der Green-River, der mindestens 300 Fuß breit war, mußte überschritten werden. Sein Wasser war kalt, klar und von grünlicher Färbung. Die Überfahrt war mit nicht unbedeutenden Plackereien verknüpft. Das Wasser war reißend, und beinahe wären Menschenleben verlorengegangen. Nachdem das rechte Ufer erreicht war, folgten sie dem Lauf des Flusses. Das Tal war mit dickstämmigen Bäumen bestanden. Dann kam eine öde, trockene Gegend, Housefork genannt.

Das Fort Britscher wurde erreicht. Hier lagerten weiße Jäger, von denen weich gegerbte Felle von Antilopen, Bergschafen und Hirschen eingetauscht wurden. Viele von den Reisenden verfertigten sich daraus Schuhe nach Indianerart. Indianer zu Pferde kamen und gingen. Es waren Blackfort-Indianer, über die nichts besonderes zu sagen war. Von den Jägern erzählten einige, daß eine Bande Indianer unlängst einen Weißen umgebracht hätte.

Vom Fort führten zwei Straßen weiter. Die alte über die Sodaquellen und Fort Hall, und eine neue, die unter dem Namen Kapitän Hastings-Cutoff bekannt war, welche näher sein und an dem großen Salzsee vorüber führen sollte. Es wurde diese kürzere Straße gewählt. Man traf auf einige eiskalte, salzig schmeckende Quellen mit rötlichen Ablagerungen.

Am 28. Juli bezogen die Reisenden ein Lager, in dem die Wagen repariert wurden. Die Nacht war so kühl, daß am Morgen sich auf dem Wasser Eis gebildet hatte. Am 1. August mußten sie sich den Weg durch dichtes, niederes Gehölz vorwärts bahnen. Die Äxte fanden hier gute Verwendung. Eine angenehme Überraschung boten ihnen die Sträucher, an denen süße, traubenartige Früchte hingen, woran auch die Bären gefallen zu finden schienen, wie die vielen frischen Spuren dieser Tiere im feuchten Sande bewiesen. Der große Salzsee wurde erreicht, in dem sich die Reisenden tummeln konnten, ohne fürchten zu müssen, daß sie untergingen.

Seitdem sie Fort Britscher verlassen hatten, waren sie keinem Indianer mehr begegnet. Doch plötzlich trafen sie auf Rothäute, die dem Uto-Stamm angehörten, die zumeist von Wurzeln leben sollen, die sie mit Stöcken aus der Erde graben. Sie versahen sich noch reichlich mit Trinkwasser und schnitten mit Taschenmessern soviel Gras ab, als die Wagen fassen konnten, denn nun kamen sie in Gebiete, in denen es weder süßes Wasser noch Futter für die Tiere gab.

Das Zugvieh der Reisenden lag am 17. August noch zufrieden wiederkäuend im Grase. Es ahnte glücklicherweise nicht, was für schreckliche Tage kommen würden. Noch einmal wurde es zur Tränke geführt. Dann setzte sich der Zug in Bewegung.

Vor ihnen lag eine vegetationslose Salzebene, die jeden bei dem Gedanken, sie durchreisen zu müssen, schaudern machte. Nach vierstündigem Marsch kamen sie noch zu einer Quelle, die war aber schon so salzig, daß das Vieh nicht mehr davon trank. Zwanzig Meilen weiter, auf der Westseite der bereits teilweise überstiegenen Hügel, sollen, einem Gerücht zufolge, vor Zeiten Auswanderer neben der Straße einen Brunnen gegraben haben. Den wollten Lienhard und Thomann suchen; ihnen schlossen sich zwei junge Männer namens Bunzel und Zins an. Bunzel, ein Schlesier, war groß und kräftig, Zins, ein Lothringer, klein, korpulent und leicht erregt. Die vier wollten den Wagen vorausgehen und an dem gehofften Brunnen die Ankunft der Karawane erwarten. Sie wollten den Brunnen suchen und nicht ruhen, bis sie ihn erreicht haben würden, auch wenn es Nacht werden sollte. Schußwaffen nahmen sie nicht mit.

Die Wagen, wurde ausgemacht, sollten solange als möglich den Weg fortsetzen, es sei denn, daß große Hindernisse eintreten. Dann sollte der kommende Morgen abgewartet werden.

Die vier waren anfangs mehrere Meilen am Fuße der Hügelkette gewandert und endlich zu der Stelle gekommen, wo der Weg über sehr steile Hügel hinaufführt. Sie glaubten, daß die Wagen hier am Abend lagern würden, denn um da hinaufzukommen, würde man die Gespanne verdoppeln oder verdreifachen müssen. Als sie oben angekommen waren und ihre Schritte gegen die vor ihnen liegende Wüste abwärts lenkten, ging die Sonne als große, glührote Kugel jenseits einer unabsehbaren Ebene unter. Der Horizont glänzte noch eine Weile in purpurnem Lichte, dann kamen sich die vier Leute in der fahlen Dämmerung vor, als wären sie nun ganz allein auf der Welt und die übrige Schöpfung mit allen Lebewesen tot. Grabesstille herrschte ringsum. Kein Vogel, kein Käfer, keine Mücke war zu sehen.

Als auch das Dämmerlicht in nächtliche Schatten tauchte, wirkte die Einöde beängstigend auf ihre Gemüter. Das Erdreich war mit Flugsand vermischter Kiesel, auf dem nur wenige stachlige Sträucher ihr kümmerliches Dasein fristeten. Von Wild war keine Spur. Man sah Knochen und Schädel von Bergschafen und Hirschen. Je weiter sie auf dem staubigen, sandigen Weg schritten, einer hinter dem andern, ohne ein Wort zu sprechen, um so unheimlicher wurde es ihnen. Jetzt war die Nacht da. Kein Laut war vernehmbar als das Auftreten ihrer eignen Füße.

Gegen 10 Uhr etwa meinte Bunzel, sie sollten sich hinlegen und ruhen, denn den Brunnen würden sie hier doch nicht finden. Die andern antworteten ihm nicht, sondern schritten rücksichtslos weiter. Bunzel wollte allein nicht zurückbleiben und trottete deshalb hinter den andern wieder her. Nachdem die vier wieder eine halbe Stunde marschiert waren, ohne miteinander zu reden, nahm Bunzel abermals das Wort; er meinte, es wäre doch vernünftig, haltzumachen, denn sie fänden ja doch kein Wasser, und er sei schläfrig und müde. Wie das erstemal fanden seine Worte kein Gehör. Er blieb allein zurück.

Es mochte Mitternacht vorbei sein, da fingen auch die drei an, Müdigkeit zu empfinden. Einige Schritte von der Straße legten sie sich alle auf den kieseligen Grund. Die Nacht war kühl. Sie hatten sich warm gelaufen, so daß sie jetzt zu frieren anfingen. Sie suchten in der Geschwindigkeit dürre Kräuter zusammen und zündeten sie an. Doch das Feuer erlosch bald, weil zu wenig Stengel dabei waren. Nun gruben sie sich mit den Händen Höhlen in den Sand und legten sich hinein. Es war aber ebenso kühl, und wieder versuchten sie ein Feuer anzuzünden. Damit war die Zeit verronnen. Im Osten begann es zu dämmern. Sie erhoben sich und sahen, daß ihr vierter Partner Bunzel langsam nachgekommen war. Sie hatten weder zu essen noch zu trinken mitgenommen. Das machte bei Tagesanbruch noch nicht viel aus. Erst als die Sonne hoch stand und sie vergeblich nach Schatten spähten, begann der Durst ihnen zuzusetzen.

Einige Meilen weiter sahen sie einen felsigen Hügel, über den der Weg führte. Lienhard wollte bleiben, seine Kameraden wollten bis dahin gehen, weil sie hofften, dort Wasser zu finden. Lienhard jedoch glaubte, wenn die Wagen nachkämen, würde er früher Wasser erhalten. Mit Sehnsucht blickte er nach den Hügeln zurück, die sie gestern überschritten hatten und von wo die Wagen kommen mußten. Sein Durst steigerte sich. Endlich sah er, daß sich ein wenig Staub erhob. Es war aber nur ein Reiter, der mit zwei kleinen Fäßchen vorausgeschickt war, um Wasser zu holen. Er erzählte, daß die Reisenden bei den steilen Hügeln gelagert und dann diese mit Schwierigkeiten überschritten hätten.

Die Wagen kamen endlich, und er konnte seinen großen Durst an dem mitgebrachten Wasser löschen. Jedes Stück Vieh bekam ein wenig Wasser und ein bißchen Gras, viel zu wenig, um die Anstrengungen auszuhalten.

Gegen 3 Uhr nachmittags setzte sich der Zug der Wagen wieder in Bewegung. Der Wind wehte heftig aus Nordost und trieb gelbliche Sandmengen vor sich her. Die Wagen hatten Mühe, sich durch 10 bis 12 Fuß hohe Sandhügel hindurchzuwinden. Die Luft war so verfinstert, daß man von der Sonne nichts mehr sah. Es herrschte völliges Dämmerlicht. Ein dichtes Schneegestöber hat Ähnlichkeit mit dieser Staubfinsternis.

Als die Sandwüste hinter ihnen lag – sie waren fünf Meilen durch sie hindurchgewandert –, wurde es ganz windstill. Die Reisenden befanden sich jetzt auf einer absolut vegetationslosen Ebene, die mit Salz bedeckt war. Hier wurde wieder ein wenig geruht. Jedes Stück Vieh erhielt wieder etwas Wasser und Gras. Dann ging's wieder weiter, und wieder machten sich Zins und Thomann auf, um, den andern voraus, den ersehnten Brunnen zu finden. Schritt für Schritt ging es beständig über diese graue Fläche in der Dunkelheit der Nacht. Ohne anzuhalten wurde der Weg bis 1 Uhr morgens fortgesetzt. Bis dahin war das Vieh noch in leidlichem Zustand, denn die Nacht war kühl und wirkte erfrischend.

Im dämmernden Morgenlicht wurde eine hohe, sehr steile Bergkette zur Linken wahrgenommen, zur Rechten waren ebenfalls Berge sichtbar, die sich senkrecht aus der grauen, toten Ebene zu erheben schienen. Geradeaus schien die Ebene noch unbegrenzt. Die Sonne tauchte blutrot auf. Von dem ersehnten Wasser war nichts zu erblicken. Die Tiere konnten nun kein Trinkwasser mehr bekommen. Trockenes Gras verschmähten sie.

Auf dem Wege trafen sie 24 zurückgelassene Wagen von andern Auswanderern. Auch auf zurückgelassene Ochsen trafen sie, die zum Teil schon tot waren. Die noch lebten, waren hohläugig und bewegten kaum noch ihre Ohren. Es war ein trauriger Anblick. Die steilen Berge zur Linken waren den Reisenden jetzt nahegerückt. In der Nähe sahen sie rötlichbraun, wie verbrannt aus. An ihrem Fuß war kein Zeichen von Feuchtigkeit zu sehen. Alles war dürr. Neben diesen Bergen erhob sich eine Anhöhe, von der aus man über ein breites Tal die Aussicht auf ein anderes hohes Gebirge hatte, das in bläulichen Nebel gehüllt dalag. Das Tal sah aus wie eine Seefläche, in der sich die Umgebung abspiegelte. Es war eine Fata Morgana. Mitten durch den scheinbaren Wasserspiegel schien sich vom jenseitigen Ufer her ein schwarzes Ungetüm gleich einer riesigen Schlange den Auswanderern zu nähern. Die ungeheuren Windungen waren schreckenerregend. Alles erstaunte einige Zeit über diese Erscheinung, denn oft trennten sich einige Glieder dieses Ungeheuers, dem sie langsam entgegenfuhren, um sich nachher wieder aneinanderzuschließen. Endlich klärte sich das gespensterhafte Wesen auf. Es waren eine Anzahl Männer mit Ochsen, Maultieren und Pferden, die zurückkehrten, um die verlassenen Wagen zu holen.

Seit Sonnenaufgang hatten die Auswanderer nur einmal eine kurze Rast gemacht, als sie den Rest ihres warm gewordenen Wassers tranken. Nun litt nicht nur das Vieh an Durst, sondern alle zur Gesellschaft gehörigen Personen. Die entgegenkommenden Männer reichten jedem einen Trunk. Fürs Vieh reichte es leider nicht. Die Sonne brannte auf die dürre Fläche, und den armen Leuten wurde ernstlich bange, ob ihr Vieh noch imstande sein würde, das Tal zu durchschreiten, denn es schien fürchterlich zu leiden.

Lienhards Wagen war der zweitvorderste, und das erste Joch Ochsen kam immer in Gefahr, an den Räderspeichen sich die Hörner zu brechen, weil sich die Tiere bemühten, im Schatten des vorderen Wagens zu gehen. Die Wagen fuhren auf zwei Zoll dicken Salzschichten. Stellenweise floß ein mehrere Zoll tiefes, kristallhelles Wasser. Es war aber so salzig wie das Salz selbst.

Mühsam war die Karawane endlich dem gemeinsamen Lagerplatz nähergekommen. Noch war kein einziges Stück Vieh von ihrem Zug gefallen. Näher und näher kamen sie dem grünen Rasen. Da plötzlich fiel erst der eine, dann der andere Ochse des vorderen Zuges, kaum eine Viertelmeile vom Grase entfernt. Zum Glück war die Quelle so mit Wagen umstellt, daß das Vieh nicht herankonnte, seinen Durst unbeherrscht zu löschen. Erst nach und nach bekamen sie das langersehnte Naß in kleinen Portionen. Das dauerte etwa zwei Stunden. Dann bekamen sie erst die Nahrung. Die gefallenen Tiere hatten sich wieder erholt. Die beschwerliche Reise hatte zwei volle Tage und Nächte gedauert. Trotz der erlittenen Strapazen war alles munter und fröhlich. Die jungen Mädchen sangen und tanzten, als ob sie schon die ganze Reise überstanden hätten. Nun kam noch ein Tag der Erholung für das Vieh, ehe die Weiterreise angetreten wurde.

 

Am Wasser fanden sich zwei weiße Jäger ein, auch zwei Shosshawnee-Indianer. Mit denen kam mühsam eine Unterhaltung zustande. Die Indianer trugen als Proviant eine bräunliche Masse in ledernen Beuteln mit sich. Die Jäger sagten, der Proviant wäre aus einer eßbaren Wurzel bereitet. Einer von ihnen erzählte, daß er auf dem letzten Lagerplatz eine Pistole verloren hätte. Ein Indianer hatte sie gefunden. Da er aber die Waffe nicht kannte und nicht wußte, daß sie geladen war, spielte er damit. Dabei ging der Schuß los, und er wurde verwundet. Darauf hatten die Indianer den Revolver als ein geheimnisvolles Etwas angesehen und gefürchtet. Sie hätten die Waffe dann vom Boden aufgehoben, und da sie wußten, wohin die Jäger gegangen waren, hatten sie ihnen die Schußwaffe nachgetragen, damit am Ende nicht der Große Geist sich auf andere Weise an ihnen rächte. Denn den Schuß, davon waren sie überzeugt, hatte der Große Geist losgehen lassen. Die Jäger bestärkten sie in dem Aberglauben.

Erst am 24. August wurde endgültig das Lager abgebrochen. Das Vieh hatte sich gekräftigt, und die Reise ging ohne Aufenthalt weiter. Der Weg führte durch eine weite Salzebene, an mehreren teils salzigen, teils süßen Quellen vorbei, wo aber nur wenig Gras wuchs. Man war auch wieder ängstlich geworden, denn es hatten sich Indianer gezeigt, und man fürchtete einen Überfall. Deshalb legten sie die letzte Strecke im Eiltempo zurück. Auf einer Hochebene angekommen, trafen sie auf einen Kreis von auf- und nebeneinander gelegten Zedernästen. Sie erfuhren, daß die Indianer hier Antilopen fingen, indem sie diese in die große Falle hineinlockten und dann mit ihren Pfeilen zusammenschossen. Die Indianer sollen diese Fangart von den – Wölfen gelernt haben. Diese machen es so: Viere von ihnen verteilen sich ungefähr gleich weit von ihrem Opfer. Wenn die Antilope sich zwischen den Wölfen noch in großer Entfernung befindet, so rücken diese vierbeinigen Jäger ihr immer gleichmäßig näher, so daß der Kreis immer enger wird und das Tier immer weniger wagt, diesen zwischen zwei Wölfen zu durchbrechen. In seiner Angst verliert das verfolgte Tier die Überlegung. Vor Schrecken wird es sozusagen blind, so daß die Verfolger leichtes Spiel haben, es plötzlich anzupacken und zu zerreißen.

Ein neues Unglück hatte die Auswanderer betroffen. Die Masern waren unter ihnen ausgebrochen. Um den Kranken eine Erholung zu gönnen, wurde an der nächsten Süßwasserquelle ein paar Tage gerastet. Hier trafen am nächsten Tage plötzlich 30 Indianer ein, lauter Männer im Alter von 18 bis 50 Jahren. Die beiden ältesten davon waren dickbäuchige, alte Burschen. Auch ein Engländer fand sich ein. Als er seine Gipspfeife in Brand steckte, gaben ihm die Indianer zu verstehen, daß jeder von ihnen auch ein paar Züge aus der Pfeife tun möchte. Der sauertöpfische Engländer ließ sie aber höchst unfreundlich abfahren. Die dreckigen Indianer brauchten nicht aus seiner Pfeife zu rauchen, sagte er. Die Indianer hatten seine Worte nicht verstanden, begriffen aber, was er meinte und ließen dies aus ihren Mienen erkennen. Von den Reisenden wurde sein Benehmen als töricht getadelt. Eine ältere Amerikanerin war so klug, die Mißstimmung der Indianer dadurch zu beheben, daß sie ihre eigene Tabakspfeife anzündete und dem einen der indianischen Dickbäuche reichte. Dieser nahm sie unter allen Zeichen der Freude in Empfang, tat 10 bis 12 Züge daraus, dann reichte er sie mit Gebärden großen Behagens seinen Nachbarn, und so ging es fort, bis alle die Herrlichkeit des Rauchens probiert hatten. Alle waren höchlich erfreut über die ihnen von der weißen Frau erwiesenen Ehre und maßen den Engländer mit giftigen, rachsüchtigen Blicken.

Zwei alte Squaws waren die einzigen Frauen unter den Indianern. Sie sahen der Rauchzeremonie vergnügt zu. Niemand von der Karawane hatte je so abscheulich häßliche Menschen gesehen, als diese beiden Evastöchter es waren. Diese ihrerseits staunten über die zarten, glatten, blonden Haare eines sechsjährigen Knaben. Ihr lautes Lachen, das ihrer Freude Ausdruck gab, glich einem hochtönenden Kreischen, wobei sie ihre Gesichter aufs gräßlichste verzogen. Ihr Gespräch hatte viel Ähnlichkeit mit dem Gekreisch einer Anzahl Elstern, wenn sich diesen eine Katze oder ein Fuchs nähert. Diese Squaws saßen nicht bei den Männern, sondern abgesondert.

Die Indianer trugen Halsbänder von Bärenklauen, sonst waren sie beinahe nackt. Ihre Gesichtsfarbe war dunkler als die der Sioux. Auch waren sie nicht so groß und stattlich wie jene.

Endlich erreichten die Auswanderer die quellenreiche Gegend zwischen Missouri und Kalifornien. Am Tage war es oft noch sehr warm, nächtlich aber sehr kühl, und am 6. September war der Boden gefroren. Das war eine ernste Mahnung für die Leute an den Winter im Gebirge.

Lienhard traf einmal einen Indianer unweit vom Wege ruhend. Er setzte sich neben ihn. Sein behaarter Rücken war wie Sammet. Lienhard tätschelte ihn einige Male, dann sah er ihm freundlich ins Gesicht. Der Wilde schien weder erschreckt noch böse, sondern lachte ihm freundlich zu. Lienhard erinnerte sich jetzt an die eßbaren Wurzeln, nahm einen Stock zur Hand und machte ein Zeichen, als ob er etwas ausgraben wollte. Dann zeigte er auf seinen Mund und machte Kaubewegungen. Der Indianer sprang schnell auf und kam nach einigen Minuten mit ein paar gelben Wurzeln zurück. Er aß zuerst davon, dann biß Lienhard ein Stück davon ab. Der Geschmack glich dem Pastinak. Als der Indianer sah, daß es Lienhard schmeckte, suchte er rasch noch mehr. Dann suchte er ein paar große Heuschrecken, drückte die größte davon mit langen Springfüßen auf eine Wurzel und bedeutete seinen weißen Freund, das zu essen. Als Lienhard Ekel zeigte, war er überrascht, und um ihm zu beweisen, daß er ihm nichts Absonderliches zumute, aß er selbst die arme Heuschrecke bei lebendigem Leibe auf und richtete seinem Freunde einen neuen Braten. Doch Lienhard lehnte ab, und der Indianer machte eine Miene, als wenn er mit so abgrundtiefer Dummheit der Weißen ein tiefes Mitleid empfände. Die Folgen des Wurzelessens zeigten sich bei Lienhard übrigens sehr bald in heftigen Leibschmerzen, die während der ganzen Nacht anhielten.

Mit der Fahrt durch eine romantische, enge, sechs Meilen lange Schlucht begann die Weiterreise. Der Fluß, der sich den Weg durch die Schlucht gebahnt hatte, mußte viermal durchschritten werden. Kleinere Unfälle zählten nicht, etwa daß ein Wagen beim Durchqueren eines Flusses umwarf, daß alles durchnäßt wurde und mancherlei dabei zerbrach.

Am 11. September wurde das Lager am Ufer des Mary-River aufgeschlagen. Seit langem wurden des Nachts keine Wachen mehr ausgestellt. Am andern Morgen fehlten mehrere Zugochsen. Die Spuren wiesen in die fernen Bergniederungen, wo Indianer hausten. Von einer Verfolgung wurde abgesehen, das Lager aber gleich zwölf Meilen weiter verlegt. Da holte die Reisenden einer der gestohlenen Ochsen ein. Die Verwunderung war groß. Es mußte ihm bei den Weißen wohl besser gefallen haben, sonst wäre er ihnen nicht nachgereist.

Wölfe fielen eines Nachts wieder das Lager an, wurden aber durch Schüsse verjagt. Beim nächsten Lager wurden sie auf einen frischen Grabhügel aufmerksam. An einem Strauch daneben hing ein Stück Papier, auf dem stand: »Vorsicht, Indianer sind in der Nähe! Der Mann in diesem Grabe wurde kürzlich in einem Gefecht, bei dem 200 Indianer 30 Weiße überfielen, getötet. Bei unserer Ankunft fanden wir ihn aus dem Grabe gewühlt, seiner Kleider beraubt, seinen Körper verstümmelt. Wir begruben ihn dann wieder.« Und am nächsten Tag fanden die Reisenden unterwegs wieder beschriebenes Papier an einem Strauch. »Seht Euch vor den Indianern vor und schießt jeden nieder; sie sind alle Schufte.«

In der Nacht wurden von Indianern fünf Ochsen gestohlen, ohne daß die Auswanderer, trotz ihrer Wache, etwas gemerkt hätten. Leicht hätten sie sämtlich ermordet werden können. Der Schreck saß allen in den Gliedern und bewirkte, daß sie, so gut es ging, bei Nacht marschierten, um aus dem unheimlichen Bereich herauszukommen.

Die nun vor ihnen liegende lange Gebirgskette endigte in einer hohen Spitze. Die Felsen besaßen eine eigentümliche Formation. Offenbar war früher, vor Jahrtausenden, hier alles vulkanisch.

Endlich langten sie an den heißen Quellen an. Aus dem größten der vielen Behälter schoß ein Strahl kochenden Wassers etwa 10 Fuß hoch. Da der Fußboden überall heiß war, fanden es die Wanderer hier nicht sonderlich geheuer. Der hohle Ton beim Auftreten zeigte ihnen, daß auch ein Einbruch der Kruste möglich wäre. Und schon am 25. September waren sie unterwegs. Die Furcht vor Indianern, das Stehlen von Vieh hatte die Reisenden nervös gemacht. Sie wachten nun wieder wie in früheren Zeiten Tag und Nacht und ließen die Wagen und das Vieh nicht mehr aus den Augen. Eines Morgens in aller Frühe hatte sich die Wache, die das Vieh behüten sollte, ohne einen Grund entfernt, und schon zehn Minuten später, als es aufgejocht werden sollte, war ein großer Teil fort. Alle Männer wurden aufgeboten, die den Spuren rasch nachfolgten. Endlich fanden sie es zwischen zwei Hügeln versteckt. Von Indianern war nichts zu sehen, doch zeigten die Fußspuren, daß sie geflüchtet waren. Ohne das Zugvieh wären die Leute verloren gewesen. Die schweren Wagen konnten sie allein nicht über die Berge ziehen.

Der Marsch führte über felsige Hügel und mehrere Male über den schäumenden Truckyfluß. Am neuen Lagerplatz war wenig Gras zu finden. Ein Unglück für das arg abgetriebene und ausgehungerte Vieh. Dazu kam, daß die Witterung immer kühler wurde. Erst am 29. September erreichten sie am Abend ein schönes Tal mit einer guten Weide für das Vieh. Der 30. September führte sie wieder über steile Felsenberge und schwierige Übergänge über den Fluß. Die Gegend nahm jetzt einen andern Charakter an. Hohe, bewaldete Berge traten an Stelle der sandigen Hügel. Am 1. Oktober hatten sie die siebenundzwanzigste und zugleich letzte Durchfahrt durch den Truckyfluß gemacht. Sie befanden sich nun am eigentlichen östlichen Fuße der Sierra Nevada, deren prachtvolle Nadelholzwälder bis an den Fluß hinunter reichten. Jetzt ging es aufwärts durch Waldungen mit herrlichen Bäumen auf steinigem Grund und sehr schlechter Fahrstraße bis zu einem feuchten Tälchen. Ringsum war prachtvoller Wald mit wunderschönen Tannen, Föhren, Fichten und Zedern. Einige hatten einen Durchmesser von sechs und eine Höhe von zweihundert Fuß.

In diesen Tagen des schwierigen Aufstiegs empfingen sie einen Vorgeschmack von der zukünftigen Straße durch die Sierra Nevada. Der Übergang dauerte mehrere Tage, bis sie so weit gestiegen waren, daß sie durch den Wald zwischen einzelnen Baumwipfeln auf der Höhe des Berges Emigrantenwagen unterscheiden konnten. Der Übergang über den Kamm mochte von der Stelle, wo sie mit den Wagen hielten, etwa 300 Fuß höher liegen. Die vordere Gesellschaft, deren Wagen auf dem Grat des Berges sichtbar waren, arbeitete noch daran, die letzten Fuhrwerke hinaufzubefördern. Im ganzen waren es noch sieben Wagen. Es war dies die steilste Stelle des Überganges, und diese ebenfalls zu überwinden, galt jetzt ihre ganze Anstrengung. Da kein Vieh da hinaufgehen konnte, so hatten sie die sämtlichen Ochsenketten der vielen Wagen aneinander gehängt. Als sich herausstellte, daß diese zu kurz waren, hatten sie noch eine Anzahl langer, schlanker Tannenbäumchen ausgeastet und an beiden Seiten tief eingeschnitten, um darauf die Kette befestigen zu können. Oben auf der Höhe waren 20 Joch Ochsen hintereinander eingespannt, und mit diesen wurden dann die Wagen hinaufgezogen, nachdem sie genügend an das aus Latten und Ketten gefertigte Tau befestigt waren. Die Männer hatten sich seitwärts der Fuhrwerke aufgestellt, um nachzuhelfen. Sie riskieren dabei, rückwärts hinunter zu stürzen, denn der Abhang war steil, und sie konnten sich kaum halten. So gelang es den vereinten Kräften, das große Hindernis zu überwinden. Auf schmalen, stufenartigen Pfaden hatte man die Ochsen verhältnismäßig leicht hinaufbringen können.

Am 4. Oktober ging die schwere Arbeit von neuem los. Weiter rechts gab es eine kürzere, aber nicht minder steile Stelle, über die der Weg führte. Beim ersten Wagen spannten sie neun Joch Ochsen vor, und alle Männer halfen mit. Aber es bedurfte fast übermenschlicher Anstrengungen, bis das Gefährt oben war. Mit den übrigen Wagen wurde auf dieselbe Weise verfahren. Sie wurden ihrer Lasten entledigt. Dann kletterten die Männer, von Gehen war keine Rede, bepackt hinauf und holten die leeren Wagen nach.

Nach getaner Arbeit, es war gegen Sonnenuntergang, verloren sie keine Zeit, weil in diesen Höhen weder Gras noch Wasser vorhanden war. Es ging so rasch hinunter, als ob sie ein Feind verfolgte. In einem Wäldchen wurde endlich haltgemacht, als es dunkel geworden war. Andern Tags schneite es. Der Himmel war grau überzogen. Das Vieh hatte sich während der Nacht entfernt, um sich hier Futter zu suchen. Endlich, einige Meilen weiter, gab es schönes Gras und genügend Wasser. Aber als der nächste Tag heraufkam, hüllte ein dichter Nebel alles ein, so daß man kaum drei Schritt weit sehen konnte. Da die Reisenden das als einen Vorboten des Winters ansahen, entschlossen sie sich, das Lager sofort zu verlassen, um in tiefergelegene Gegenden zu kommen. Auf dem schauderhaften Weg riskierten sie, daß die Wagen in Trümmer gingen, so eilig hatten sie es. Gras gab es nun gar nicht mehr. Das Vieh hungerte und nahm mit Blättern von Mais vorlieb, fraß sogar Maisröhrenblätter aus den fortgeworfenen Strohsäcken.

Endlich kamen die Reisenden in eine Gegend, wo wieder Laubholz gedieh. Allerdings waren es nur zwerghafte Bäumchen. Dann kam der immergrüne Lebensbaum, Zedern, Fichten und Tannen von tadelloser Schönheit. Die Luft war wunderbar würzig und erfrischend, und hier bekamen sie einen Vorgeschmack von Kaliforniens unvergleichlicher Vegetation.

Der nächste Tag brachte sie zu einem steilen Abhang, dem größten der ganzen Reise. Hier passierte es, daß einige Wagen umwarfen, so daß viel Zeit verging, bis man ihren Inhalt wieder zusammengesucht hatte. Endlich waren auch diese Schwierigkeiten überwunden, und sie erreichten das »Bärental«. Das Vieh bekam hier Eichenlaub und andere grüne Zweige als Futter. Der Weg wurde nun immer schlechter. Manches der Zugtiere mußte zurückbleiben, um in der Einsamkeit zu verenden. Es ging dann die Berge hinauf und die Berge hinunter, als ob es kein Ende nehmen wollte. Die Leute verzweifelten, ob sie mit dem abgetriebenen Vieh noch die ersten Ansiedelungen würden erreichen können.

Lienhard war als der beste Läufer von allen vorausgegangen, um von der Ansiedelung für Rochows Wagen frische Ochsen zu holen. Nach ein paar Stunden war er mit einem Joch starker kalifornischer Ochsen da. Sie waren noch ziemlich wild und zogen den Wagen bergauf, als wenn er ein Kinderwägelchen wäre.

Beim Lagern machten sie eine interessante Beobachtung. Sie hatten einige große Eichbäume gesehen, deren Rinde am ganzen Stamm mit einer sehr großen Anzahl von Eicheln gespickt war, die in kleinen, runden Löchern staken. Die Menschen begriffen nicht, wie sich jemand die Mühe nehmen konnte, so viele Löcher zu bohren und dann in jedes eine Eichel zu stecken. Später hatten sie dann öfter Gelegenheit, die Arbeiter kennenzulernen, die diese Arbeit ausgeführt hatten. Es war eine kleine, häufig vorkommende Spechtart mit schwarz- und weißscheckigem Gefieder und roter Kopfbedeckung, aus der die Indianer allerlei Verzierungen anfertigten.

An diesem Abend lagerten die Auswanderer zum letzten Male außerhalb der Ansiedelungen. Am Morgen führte sie die Straße durch die letzten Hügel der Sierra Nevada. Am Nachmittag vernahmen sie zum erstenmal den Ruf der kleinen kalifornischen Rebhühner, deren Stimme sehr viel Ähnlichkeit mit der kleiner Kinder hat. Dann hatten sie das letzte Gebüsch hinter sich, fuhren einige Zeit über ein Stück hochgelegenes Prärieland, von dem aus sie einen Blick durch die ganze Landschaft hatten. Ergriffen hielten sie die Wagen einige Augenblicke an, um das prächtige Landschaftsbild in Muße zu betrachten. Dann machten sie ihrer Freude über das endlich erreichte Ziel in begeisterten Hurras Luft. Sechs Monate hatten sie gebraucht, um das Ziel zu erreichen. Sechs volle Monate waren sie allen Unbilden der Witterung ausgesetzt. Die körperlichen Strapazen, die ständige Furcht vor Indianerüberfällen, der tägliche Kampf mit kleinen und großen Tieren, die verschiedenartigsten Krankheiten, mit denen sie zu ringen hatten, – alles das lag nun wie ein böser Traum hinter ihnen. Alle unglücklichen Tage und Stunden in diesem langen Zeitraum waren, wo sie sich nun am Ziel ihrer Wünsche befanden, vergessen, jetzt vermeinten sie, es bedürfe nur noch einer geringen Anstrengung, um den so lang und heiß ersehnten Frieden zu finden und damit das langersehnte Glück. Kalifornien war ihnen stets als das Land des Glückes geschildert worden, und so glaubten sie auch, daß sie nur vor das »Goldene Tor« zu treten und die Zauberformel zu sprechen brauchten, um in das goldene Zauberland des Glückes zu gelangen.

Für die Wagen war es höchste Zeit, daß sie an ihren Bestimmungsort kamen. Lienhard und Rochow hatten es nur dem Eisenbeschlag der Deichsel zu verdanken, daß der Wagen noch seiner Aufgabe gewachsen war.

Endlich tauchten ein paar Häuschen rechts auf der Anhöhe neben dem Bear-Creek auf. Ein neues »Adobehaus« war im Bau begriffen, und nackte Indianer arbeiteten daran. Nun wurde das Lager am linken Ufer des Bear-Creek aufgeschlagen und die gemieteten Ochsen dem Eigentümer zurückgegeben. Das Land, auf dem sie lagerten, war ein schwarzer, etwas sandiger, trockener Bottom. Er schien nur wenig unter Kultur gebracht zu sein, denn die Leute gaben sich viel mehr mit der Zucht des beinahe wilden Viehs ab. Hier lagerten sie vier Tage zur Erholung des Viehes.

Hier hatten sie auch zum erstenmal Gelegenheit, die kalifornische Reitkunst zu bewundern. Ein Deutscher namens Cordua, der 15 Meilen weiter eine Farm besaß, hatte eine Anzahl junger Ochsen zum Verkauf für die Auswanderer hierher gebracht. Sein Aufseher, namens Nye, und einige berittene Indianer hatten das Einfangen der wilden Tiere zu besorgen. Sobald sich die Leute ein Stück ausgesucht hatten, war es Sache der Vasqueros, es einzufangen. Dies hatte für den Frischeingewanderten einen besonderen Reiz. Die Vasqueros (Kuhhirten) umstellten zu Pferde die Herde Ochsen, während der Aufseher ebenfalls zu Pferd mit einem langen Lasso in der Hand sich behutsam zu nähern suchte. Dann schwang er den Lasso in einem weiten Kreise und ritt so schnell er konnte dem ausgewählten Stück Vieh nach, das alles aufbot, mit den übrigen sich zu vereinigen. Plötzlich war es von der Herde getrennt. Der Reiter war ihm ganz nahe gekommen, und wie ein Blitzstrahl flog dem Tier die verderbenbringende Schlinge um die Hörner. Der Ochse suchte nun durch Kreuz- und Quersprünge zu entrinnen und hatte dem Reiter auch wirklich den Lasso aus der Hand gerissen. Er versuchte auch aus Leibeskräften, die zerstreute Herde wieder einzuholen. Der Reiter hatte aber dem Pferde die Sporen gegeben und befand sich bald wieder neben dem auf dem Boden nachschleifenden Lassoende. Da bog er sich trotz des rasend schnellen Galopps neben dem Pferde zu Boden, hob den Lasso wieder auf und trennte den Gefangenen von der sich wieder nach allen Seiten zerstreuenden Herde. Nun wurde der Ochse im schnellsten Lauf nach dem Lager der Auswanderer getrieben. Alles suchte sich hinter Wagen oder Zelten zu verbergen, denn sie befürchteten, daß ein Unglück durch den Zusammenprall entstehen könne. Doch nein. Plötzlich machte der Reiter eine Wendung nach links, und der Ochse stürzte so schnell und heftig, daß man meinte, er müsse Hals und Rücken gebrochen haben. Der Reiter umwickelte schnell dem gefallenen Tier die Beine mit der Schlinge des Lassos, sprang dann vom Pferde und schnitt dem Ochsen die Kehle ab. Das alles entwickelte sich ganz schnell.

Lienhard wollte noch vor Ankunft der Karawane in Sutters-Fort sein, um seiner jungen Braut und Herrn von Rochow einen freundlichen Empfang und eine Unterkunft zu sichern. Ihm schlossen sich noch einige junge Leute an, um den Weg zu Fuß über die Prärie zu machen, täuschten sich aber sehr in der Entfernung. Auch den Weg verfehlten sie, so daß sie beinahe vor Durst gestorben wären. Mit den Händen gruben sie Löcher in den Sand, um Wasser zu bekommen. Lienhard mußte auch hier wieder den richtigen Instinkt der Tiere bewundern, denn er fand eine Stelle, wo die Präriewölfe den »Wasserschmecker« gemacht hatten. Hier grub er mit den Händen ein tiefes Loch, und siehe da, es kam wirklich etwas Wasser zum Vorschein. Diesen Funden und einigen wilden Trauben, die er im Gebüsch entdeckte, hatte er es zu danken, daß er am Nachmittag des zweiten Tages auf einer kleinen Anhöhe das langersehnte Sutters-Fort erreichte.

 

Lienhards Ankunft hatte Frau Sutter in mehreren Briefen ihrem Manne angekündigt. Er hoffte eines freundlichen, wenn nicht herzlichen Empfanges sicher zu sein, hatte er doch ein Anrecht darauf, nachdem er damals sein Leben eingesetzt hatte, um das Leben der Frau und ihrer Kinder zu retten. Wie oft hatte ihm die dankerfüllte Frau nicht gesagt, daß ihr Mann ihn wie einen Sohn hegen und pflegen würde. Nun drängte es ihn, den Kapitän Sutter von Angesicht zu sehen, von dem er eigentlich weder in der Schweiz, noch in Süddeutschland, noch unterwegs oder in St. Louis gar viel Erbauliches gehört hatte. Den Titel Kapitän, hatte man ihm versichert, habe er sich selbst zugelegt. Von Haus aus sei er Kaufmann gewesen, hätte aber, großer Schulden wegen, seinen Wohnsitz von Baden nach der Schweiz verlegt und von dort nach Amerika. Hier hatte er verschiedene Berufe. Unter anderm hätte er sich einer Gesellschaft nach Honolulu angeschlossen. Dort lebte er in Herrlichkeit und Freuden und veranlaßte Eingeborene – Kanaken – mit ihm nach Mazolan am Golf von Kalifornien in Mexiko zu fahren. Hier lernte er den von Mexiko für Kalifornien ernannten Gouverneur, Don Alverado, kennen, der die Aufgabe hatte, die zwei großen, sehr fruchtbaren Täler des Sakramento und des San Inquinflusses zu besiedeln. Die waren nur von Indianern bewohnt.

Sutter erbot sich hierzu, wofür ihm große Vorteile in Aussicht gestellt wurden. Jedem Ansiedler, der für mindestens zehn Jahre das Land bebaute und besiedelte, war ein Landkomplex von zwölf spanischen Leguas als Eigentum zugesichert. Die Ländereien durfte Sutter nach eigenem Ermessen verschenken oder verkaufen oder verpachten. Dazu hatte er unbeschränkte Vollmacht. Die mexikanische Regierung gab ihm auch Waffen aller Art und Munition, dazu versah sie ihn mit Lebensmitteln und andern Dingen, die er als Tauschmittel oder Zahlmittel verwendete. Auch ein paar Kanonen erhielt er, um sich äußerlich in Respekt zu setzen.

Das alles erfuhr Lienhard schon, als er sich an der ersten Ansiedlung aufhielt. Auch daß seine »Soldaten« aus einer Anzahl Indianern und Weißen beständen. Die letzteren sollten Abenteurer oder Trunkenbolde sein, was sich alles als richtig erwies.

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Er gelangte erst an den großen Korral, hinter dem das Vieh gehalten wurde, dann durch ein Doppeltor in das Innere des Forts. Auf einem Türpfosten wehten die langen, schwarzen Haare eines Indianerskalps. Aus den Mauern zu beiden Seiten des Tores blickten die Mündungen zweier eiserner Kanonen. Innerhalb des Forts stand ein zweistöckiges Adobehaus. Es war das Hauptgebäude des Forts. Vor der Front glänzte eine messingne Kanone mit der Mündung gegen das Tor. Östlich vom großen Hause war der Eingang zu einem Raume, in dem eine Anzahl junger Leute waren. Sie hatten sich als Freiwillige anwerben lassen, um mexikanische Soldaten zu werden. Sie aßen, schmauchten Tabak, tranken und waren lustig. Zu diesen wurde Lienhard und seine Begleiter gewiesen, weil sie Hunger hatten. Den konnten sie hier tüchtig stillen.

Als er sich gesättigt hatte und Quartier für die ihm teuren Menschen und sich selbst bestellen wollte und im Begriffe war, nach Sutter zu fragen, ging die Tür auf, und ein hochgewachsener Mann mit grauem Haarschopf und schlaffen, weingeröteten Zügen trat ins Zimmer. Es war Sutter. Und in seiner Begleitung befand sich – vor Schreck sank Lienhard wieder auf seinen Stuhl – Mr. Johnson, von dem er gehofft hatte, daß ihn der Teufel längst geholt haben würde. Er hatte das nämliche Spitzbubengesicht, in das er in St. Louis stets mit Schaudern und Widerwillen geblickt hatte, es war – so schien es ihm – nur noch verwilderter geworden. Ein Bart verhäßlichte es noch mehr. Man sah ihm den abgefeimten Schurken gleich an und konnte beobachten, daß von seiner großen Gestalt ein stilles Fürchten auszugehen schien. Denn die Gespräche verstummten. Alle sahen zu ihm hinüber, vor allem auf die in einem breiten Leibgurt steckenden Pistolen und den Dolch. Er trug einen verwaschenen, breitrandigen Hut, Lederwams, Lederhose und hohe Stiefel.

Sutter ging ihm voran zu einer Tür im Hintergrunde des Zimmers, Johnson folgte langsam, indem er prüfend alle ansah. Lienhard wünschte keinen Disput mit ihm, blickte deshalb auf den Tisch, als ob er ihn nicht sähe. Doch Johnsons scharfes Auge hatte ihn gleich erspäht. Er trat an den Tisch. »Hallo, das Grünhorn. Hab' Sie doch erkannt, wenn Sie auch alte Freunde nicht kennen wollen. Wie geht's? Was tun Sie hier? Wo ist die süße Kleine? Noch in St. Louis? Sie, junger Bursche, waren mir dort im Wege. Wissen es wohl. Sie bleiben jetzt hier in der Wildnis?«

Auf die hastigen Fragen hatte Lienhard ausweichend geantwortet, daß er nicht wisse, wo jetzt Herr und Fräulein von Rochow wären. Er, Lienhard, beabsichtige jedenfalls, sich hier umzutun.

»Sehr gut, in der Tat. Will Sie meinem Freunde Sutter empfehlen. Hat für junge Burschen immer Beschäftigung. Inzwischen« – setzte er lachend hinzu – »hole ich mir die blonde Schwalbe – so oder so. Wird inzwischen zahmer geworden sein. Wir sehen uns noch.«

Er ging zu Sutter, hinter ihm schloß sich die Tür. In Lienhards Ohren klang das »so oder so« des Vaganten nach. Gutes war von ihm nicht zu erwarten. Also Vorsicht! Sein Entschluß war gefaßt. Rochow durfte nicht nach Sutters Fort, er mußte mit Beate weiter nach San Franzisko. Zeit gewonnen, alles gewonnen, war sie erst dem Johnson aus den Augen, konnte weiter überlegt werden, wie sie vor seinen Anträgen zu schützen sei.

Er entfernte sich unauffällig und rasch aus Sutters-Fort und lief den Weg, den er gekommen war, zurück. Erst gegen Abend traf er auf den Wagen. Er berichtete die Begegnung, worauf Rochow und Beate wie aus einem Munde die Weiterfahrt nach San Franzisko verlangten.

Das war leichter gesagt als vollbracht. Zunächst fuhren sie weiter, bis sie auf einen Farmer trafen, der Auskunft geben konnte. Das Endresultat war, daß sie die Einladung des Farmers, eines Deutschen namens Thonner aus Hessen, annahmen und ihn zu seiner Farm begleiteten. Sie fuhren eine Strecke des Wegs zurück und trafen auf einen Reisegenossen, den mit neun Kindern gesegneten Weimer. Er war unterwegs, um Sutter aufzusuchen.

Seit die Auswanderer die ersten Ansiedlungen erreicht und einen Tag geruht hatten, war er, erzählte er, allein von allen zurückgeblieben. Das hätte auch seinen guten Grund. Seine Frau hatte nämlich einem Knaben das Leben gegeben, seinem zehnten Kinde. In der alten Heimat war Schmalhans immer Küchenmeister gewesen. Nun hoffte er, daß ihm in Kalifornien endlich das Glück holder sein würde. Das Land soll ja so fruchtbar sein und mehrmals im Jahr Ernte geben. Ob das auch wahr sei? – Lienhard und Rochow wußten nur soviel, als sie gehört hatten.

Doch der Farmer konnte ihn als Ansässiger bescheiden. »Ja, Herr, der Boden ist gut, braucht aber Dung und Arbeit. Und gut Wetter dazu. Kommt ein Nachtfrost, ist das Unglück hier so, wie zu Hause im lieben deutschen Vaterland. Hier fliegen einem die gebratenen Tauben nicht ins Maul. Nur wer arbeitet, hat zu essen. Das sag' ich Ihnen, damit Sie nicht täglich soviel Enttäuschungen haben, als der Tag Stunden hat. Es ist wohl in der ganzen Welt gleich, daß nur die Arbeit Segen bringt. – Hier, das ist das einzige, was gegen die Heimat besser ist, hier kann jeder für ein Billiges Land kaufen.«

Weimer runzelte die Stirn und kraute sich hinter den Ohren. »Ja ja, dazu gehört wieder Geld. Und das hab' ich nicht.«

»Nun, so arbeiten Sie halt und sparen fleißig.«

»Sparen, bei zehn Kindern. Nein, nein, ich merk' schon, mit dem Glück werd' ich mich wohl auch hier nicht anfreunden. Der Sutter also, ich geh' zum Sutter um Arbeit. Leben Sie wohl.« Er nickte jedem bekümmert zu und ging eilig davon, als ob ihn in Sutters-Fort das Glück erwartete.

Rochow lenkte den Wagen nach Weisung des Farmers in einen andern, kaum erkennbaren Weg. Der Pfad führte jetzt in mehr nördlicher Richtung weiter bis an einen Fluß, an dem sich das ansehnliche Blockhaus befand.

Die Aufnahme war freundlich. Andern Tags wurden sie handelseins. Rochow und Lienhard verkauften an Thonner den Wagen und die Ochsen und verschiedene Kleidungsstücke, die sie entbehren mochten, an denen die Farmersleute Mangel hatten. Dafür heimsten sie zusammen 70 Dollars ein, die ihnen jetzt wohl zu statten kamen.

In einem kleinen Boot brachte der freundliche Wirt sie selbst nach San Franzisko, wo er geschäftlich zu tun hatte. Der Fluß war zu beiden Seiten mit dichtem Urwald bestanden. Die Reise war für alle eine Erholung.

Bei der Mündung des Flusses in die Bai ist eine Insel, Birds-Island, weil darauf zahllose Seevögel zu finden sind. Von der Insel bis San Franzisko waren noch sieben englische Meilen. Auf der Fahrt zum Hafen passierten sie einen hohen, runden Hügel, den die Leute Herba buena (gutes Kraut) nannten, weil auf ihm ein Kraut wuchs, wovon die Ansiedler ihren Tee bereiteten. Östlich vom Hafen lag noch die Insel Goat Island. Der Hafenplatz war zu jener Zeit eine halbrunde Einbuchtung nach Westen, die die Bai vom Meere trennte. Sie war kaum eine Meile vom Fuße des großen Hügels – Telegraph-Hill – entfernt und mit zwergartigen Eichen bewachsen.

Die ganze Stadt San Franzisko zählte etwa 250 Einwohner. Von Gebäuden war kaum zu sprechen. Alles in allem waren es kaum 50 Häuser. Inmitten der Häuser stand auf einem Platz das Stadthaus, ein einstöckiges, mit Holzziegeln gedecktes Wohnhaus, das von einer Galerie umgeben war. Im Hafen lag eine kleine Schaluppe, die als Kriegsschiff der Vereinigten Staaten allabendlich auf Deck unter Trommelwirbel den Yankee-doodle spielen und beim letzten Ton einen Kanonenschuß abfeuern ließ. Am Morgen wurde die Schiffsbesatzung in der gleichen Weise geweckt.

San Franzisko war nach Nordwesten von hohen Hügeln umgeben, im Süden von Sandbergen, durch die sich kleinere Tälchen mit fruchtbarem Gartenland zogen. Die Gegend war dicht mit immergrünem Buschwerk und Zwergeichen bedeckt. In diesen Schlupfwinkeln hausten, ganz nahe den Wohnungen der Menschen, Wölfe und Panther.

Die Sonne war schon untergegangen, als Thonner sein Boot im Hafen festmachte. Das Gepäck von Rochow und Lienhard war zusammengeschrumpft auf zwei Koffer. Das trugen sie in der herrschenden Dunkelheit zur Stadt, in deren Straßen sie das ihnen wohlbekannte Wolfsgeheul empfing. Lienhards Frage nach einem Hotel wurde von einem angesprochenen Manne nicht beantwortet. Sie fragten wieder, die deutsch und englisch Angeredeten hatten von keinem Hotel etwas gehört oder gesehen. Da mischte sich eine Stimme ins Gespräch. »Gewiß gibt's ein Hotel, das Graham-House. Warten Sie, ich zeige es Ihnen.« Die Stimme kam aus dem Giebelfenster eines Hauses. Bald trat deren Besitzer auf die Straße.

»Marshall, Mister Marshall, mein Name. Aus den Staaten zugewandert. Wenn nicht Verwandte mich und meine Familie beherbergten, müßten wir im Freien kampieren. Kein Vergnügen, bei der Nachbarschaft. Hören Sie sie?« Er meinte die Wölfe, die immer lauter heulten.

Die Bekanntschaft mit dem liebenswürdigen Manne – er war Schmied und Zimmermann – erfreute die Müden. Ein kleines Geldgeschenk wies er zurück, aber etwas Tabak nahm er gern an. »Die kleine Gefälligkeit bezahlen lassen? Ist nicht der Rede wert. Wer hierher kommt, hat nichts zu verschenken. Hier braucht jeder seine Groschen selber. Wenn ich könnt', reist' ich morgen zurück. Mein Vetter sagt: ich soll nicht ungeduldig werden. Das bißchen Arbeit hier wird mich nicht zum reichen Manne machen. Deswegen bin ich aber hergekommen. Morgen soll ich zu Sutter kommen. Auf Sutters-Fort, wenn Sie davon hörten. Der will bauen, der braucht auch einen Schmied. – Klopfen Sie nur. Schlafen Sie wohl.«

Auf mehrfaches Klopfen tat sich die Tür des Holzhauses auf. Mister Graham, da es in diesem Hotel weder Hausknecht, noch Kellner oder Stubenmädchen gab, führte die Reisenden die schmale Treppe zum ersten Stock hinauf; ihre Koffer trugen sie selbst.

Rochow wohnte mit Lienhard in einem Zimmer, Beate mußte ein Zimmer für sich haben. Eigentlich war es nur ein Raum, der nur eine Scheidewand aus farbigem Baumwollstoff besaß. Alles in diesem »Hotel« war primitiv, es fehlte jegliche Bequemlichkeit und Sauberkeit. Dafür waren die Preise unerhört hoch.

Nach drei Tagen waren die Dollars stark zusammengeschmolzen. Die Preise für Essen waren unerschwinglich groß. Die Bauten waren in der Mehrzahl nur Bretterbuden. Sehenswürdigkeiten gab's also nicht. Und als es regnete, waren die Straßen unpassierbar. Tiefer Schlamm hielt Schuh und Stiefel fest, und man zog deshalb vor, zu Hause zu bleiben.

Doch die Leutchen im Hotel Graham-House bliesen nicht Trübsal. Lienhard und Beate hatten sich viel zu erzählen. Nach dem Regen gab's wieder Sonnenschein. Und die Sonne strahlte ihnen Glück und Zufriedenheit in die Herzen, und die helle Seligkeit schaute ihnen aus den Augen. Trübe Wolken gab es für sie nicht mehr. Die Gegenwart lachte, sollte es die Zukunft nicht auch tun? Und Johnson? Den fürchteten beide nicht mehr, seit sie ihrer Beständigkeit und Treue sicher waren. Und doch empfanden Lienhard und Beate, sobald sie sich nur sein Halunkengesicht vergegenwärtigten, ein Grauen, ja, eine heimliche Furcht vor dem Menschen.

Mit dem Erlös für die an den Farmer verkauften Sachen reichten sie noch einige Tage. Lienhard hütete die Summe, die ihm Frau Sutter aus Dankbarkeit für den Ankauf eines Stück Landes gegeben hatte, davon durfte nichts für den Lebensunterhalt verbraucht werden.

Doch nicht bloß die Not, auch die Liebe macht erfinderisch.

Am Abend sprach er so zu seinem älteren Freunde: »Sehen Sie, Herr von Rochow, da habe ich mir etwas ausgedacht. In wenigen Tagen sitzen wir wie in einer Falle, haben das bißchen Geld ausgegeben und müssen noch mehr verkaufen, um nicht auf die Straße gesetzt zu werden.«

»So ist es. Wie kommen wir nur hier fort? Ich bin etwas schwerfällig, nicht wahr? Weiß mit Menschen auch nicht gut umzugehen, weil ich – nun ja, weil ich zu leichtgläubig bin. Und dann, lieber Lienhard, Sie wissen ja, meine Schwäche – –, die mir zum Verhängnis wurde, uns zu Bettlern machte. Seitdem bin ich völlig kopfscheu geworden. Will mit den Mitmenschen, die einen nur ausplündern, nichts zu schaffen haben. Sie verstehen. Wenn ich aber zu einer Arbeit gestellt werde, die einen Mann braucht, wenn man mir sagt: das schaff', das arbeite, dann bin ich auf dem richtigen Platz.«

»Weil ich das weiß, lassen Sie mich für Sie, für uns alle handeln. Morgen in aller Frühe geht ein Boot nach Sakramento und Sutters-Fort. Ich will zu Sutter –«

»Und Johnson?« rief Beate ängstlich.

»Ohne Sorge, dem geh' ich aus dem Wege. Von Sutter kaufe ich Land. Etwas versteh' ich mich darauf, war ja nicht umsonst Gärtner, hab' auch vom Metier des Landmanns eine gute Ahnung. Dann schaffen wir uns mal zunächst eine Hütte, um über den Winter zu kommen. Und zum Frühjahr wird gesäet und Gemüse, Obst und etwas Getreide angebaut. Und dabei helfen Sie, einverstanden?«

»Und ich helfe auch,« sprach Beate sehr ernst.

»Ja, Beate hilft in Feld und Küche und ist unser Hausmütterchen.«

Rochow hatte ihn umarmt. »Ja, lieber Lienhard, führen Sie uns, wir folgen. Sie sind unser Schutzengel.«

»Nein, dagegen protestiere ich. Der Engel steht hier.« Damit küßte er Beate, die sich dagegen gar nicht wehrte.

Lienhard reiste ab und versprach, Vater und Tochter in sechs bis acht Tagen zu holen. Kaum war er fort, da meldete sich Mr. Graham bei Herrn von Rochow. Vor der Tür wäre ein Herr, ein vornehmer Herr, der Herrn von Rochow seine Aufwartung machen möchte.

Herr von Rochow ging die wenigen Schritte ihm entgegen. »Sie wünschen, mein Herr?«

»Kapitän Montgomery, von der Kriegsschaluppe ›Portsmouth‹, hier im Hafen.«

Mißtrauisch musterte ihn Rochow von Kopf zu Fuß. Dann sprach er: »Ich heiße von Rochow. Was wünschen Sie von mir?«

»Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, mein Herr. Wünschen? O nein. Eine Bitte führt mich zu Ihnen, eine kleine Bitte.«

»Nun denn, wenn's nicht lange dauert, – bin nämlich pressiert, Herr Kapitän, war im Begriff, mit meiner Tochter Besorgungen zu machen.«

»Ganz recht. Nur eine Minute noch. Habe seit gestern einen lieben Freund zu Besuch, Gentleman, Kavalier, sehr reich, Aristokrat mit jedem Blutstropfen. Ist ein Spanier, aber Gentleman durch und durch. Sitzt auf seiner herrlichen Plantage in Monterey, ganz in der Nähe. Ein paar Stunden Segelfahrt nur. Der, – würden wir nicht besser tun, das Gespräch unterwegs fortzusetzen? Ein paar Schritte nur. Ich bemerke eben, daß Ihr Wirt sehr neugierig ist – –«

Mister Graham hatte sich ungeniert zwei Schritte hinter Rochow aufgepflanzt, um zu horchen.«

»Gut. Ich rufe nur meine Tochter.«

Der Kapitän tat entzückt, die Bekanntschaft der jungen Dame zu machen. Und Beate wußte vor Verlegenheit nicht, was sie sagen sollte. Als sie genügend weit von Graham-House entfernt waren, sagte der Kapitän:

»Also, daß ich meine Bitte vorbringe: Mein Freund in Monterey, Don Alonzo, ist Junggeselle, sehr reich. Auf hundert Meilen im Umkreis ist, hier Wildnis. Man sieht nur wenig Einwanderer oder die schmutzigen Indianer oder Vieh. Er will mal zivilisierte Menschen bei sich sehen. Menschen von kultureller Erziehung. Sie verstehen.«

»Nicht ganz. Sollte das so schwer sein, da Sie, Herr Kapitän, doch sein Freund und Ihre Kameraden doch alle als Gentlemen anzusprechen sind?«

»Es ist, wie Sie sagen, – insoweit es sich um Männer handelt. Aber an Frauen mangelt es in diesem herrlichen Lande augenblicklich vollständig. Würden Sie deshalb gestatten, daß ich Ihr Fräulein Tochter und Sie zu dem Fest der Weinlese in seinem Namen einlade? Sagen Sie ja, und helfen Sie« – mit diesen Worten wandte er sich an Beate – »durch den Zauber Ihrer Gegenwart das Fest verschönen.«

Rochow Vater und Tochter waren durch die unerwartete Einladung sprachlos. Sollte er ja sagen? Dagegen sprach vieles. Es konnte ein Sklavenhändler sein. Doch nein, da begegneten ihnen Matrosen, die den Kapitän ehrerbietig grüßten. Da wieder. Und Beate mochte er gern ein festliches Vergnügen gönnen, ihr, die seit der Mutter Tode wahrlich nur in Kummer gelebt hatte. Daß der Kapitän ihnen fremd war, was tat das. In der Fremde nähert man sich rascher und ohne viel Zeremonie. Er nahm die Einladung kurz entschlossen an.

Sie waren am Hafen. Hier stießen sie auf Don Alonzo, den Gastgeber, der nur spanisch, kein Wort deutsch und wenig englisch sprach. Alonzo war kein Jüngling mehr, ein Mann in den Fünfzigern und von gutem Aussehen, durchaus Vertrauen erweckend. Ein paar Marineoffiziere gesellten sich zu ihnen, und schließlich wurde vereinbart, sich morgen früh am Hafen zu treffen.

Ein Segelboot nahm die Festteilnehmer auf. Als das Boot das Meer gewann, blies ein guter Wind in die Segel, und dann flog es lustig über den Stillen Ozean. An der Küste entlang ging's nach Süden, bis das Boot nach kurzweiliger Fahrt in Monterey war. War's ein Dorf? Nannte es sich nur Städtchen? In Gärten und auf Hügeln, an der Mündung des Sulinas, lugten die Häuschen aus dunklem Grün hervor. Guter Kalifornierwein gedieh auf den Bergen, und die Menschen gediehen scheinbar auch.

Der Tag zeigte den Besuchern frohe Menschen. Und am Nachmittag wurde ein Tänzchen probiert, an dem Beate schüchtern teilnehmen mußte. Ein paar junge Mädchen, Spanierinnen, und ältere Frauen vertraten das schöne Geschlecht. Junge Burschen gab es mehr als genug. Die wenigen Tänzerinnen kamen deshalb nicht zur Ruhe, sie mußten in einemfort tanzen.

Eine eigenartige Sitte sahen Rochows hier. Ein junger Spanier, der seine Schöne besonders ehren wollte, zerbrach, als er mit ihr zum Tanze antrat, ein Hühnerei auf ihrem Kopf! Nicht genug, er strich das Eidotter auseinander, damit Weiß- und Gelbei sich über das Haar ausbreitete. Dann streute er eine Handvoll fein geschnittener Goldflitter darüber. Auf diese Auszeichnung war die Schöne nicht wenig stolz. Daß ihr nach und nach kleine weiße und gelbe Rinnsale über Hals und Nacken liefen, beachtete sie gar nicht.

Der Kapitän, der Gastgeber und einige ältere Herren hatten sich in ein anderes Zimmer zurückgezogen und Herrn von Rochow gebeten, mitzukommen. Es dauerte nicht allzu lange, da war er wieder bei der Tanzgesellschaft. Erst sah man ihm eine starke Verlegenheit an. Als ihn Beate befragte, wurde er plötzlich so vergnügt, wie er's seit langem nicht gewesen. »Sie spielen, ich sollte mithalten. Ich lehnte ab. Sie hätten gehört, ich wäre reich, ein deutscher Baron, wollten mir, wenn ich kein Geld mithätte, eine Summe vorstrecken. Da mußt' ich lachen, sagte, ich hätte jegliches Spiel verschworen. Und empfahl mich. Sie waren verblüfft, glaubten, ich sei ein reicher Vogel, dem die Federn leicht auszurupfen wären. Das war der Grund, uns einzuladen. Scheint eine internationale Spielerbande zu sein. Wenn wir nur erst wieder fort wären.«

Beate war über die Worte ihres Vaters froh. Das war, als ob eine Sorge von ihrer Seele fortflöge. Und dankerfüllt drückte sie ihm die Hand.

Die Rückfahrt war bewegter. Der Stille Ozean war nicht still, er zeigte Wellen und lebhaften Wind, so daß mehr als einmal sich das Boot bedenklich zur Seite legte. Aber schließlich kamen die Teilnehmer unversehrt in San Franzisko an.

 

Als Lienhard den Hügel hinaufstieg, auf dem Sutters-Fort stand, sah er schon von weitem einen hochgewachsenen Indianer vor dem Tore stehen. Unbeweglich, wie aus Stein gemeißelt, starrte er auf das geschlossene Tor. Er veränderte auch seine Stellung nicht, als Lienhard näher kam; auch nicht, als er vor ihm stand. Was die Blicke des Indianers so mächtig anzog, das war der Indianerskalp, dessen lange schwarze Haare noch immer im Winde flatterten und der an dem Querbalken über dem Eingangstor angenagelt war.

Lienhard hatte das »Wahrzeichen« von Sutters-Fort gleich bei seiner Ankunft äußerst peinlich berührt, die Roheit hatte ihn angewidert. Was mochte in dem Indianer vorgehen? War der Skalp der traurige Überrest einer ihm nahe stehenden Person? Vielleicht sein Vater? Sein Bruder?

Und Weiße hatten ihn getötet. Weshalb? Und seinen Leichnam geschändet und die Kopfhaut ans Holz geschlagen. In Lienhard stieg es grollend auf. Und ohne viel zu bedenken – das tat er nicht einmal, wenn er sein Leben einsetzte, um andere zu retten – trat er zu dem Indianer. Er faßte ihn am Arm, zog ihn ans Eingangstor, machte ihm Zeichen – ob er sie begriff oder nicht, war jetzt gleich –, drückte seinen Oberkörper etwas vornüber und saß im nächsten Augenblick auf seinen Schultern. Und mit seinem Dolchmesser schnitt er – ritzratz – den scheußlichen Kriegsschmuck ab, glitt zur Erde und steckte den Skalp in die Hand des Indianers.

Die Rothaut stand mit weit aufgerissenen Augen da, dann sprach er Worte, die Lienhard nicht verstand. Er nickte ihm freundlich zu, öffnete die Tür zum Fort, während der Indianer in weiten Sprüngen davonlief.

Niemand hielt Lienhard auf, als er in den Hof getreten war. Ein halb betrunkener Mensch lehnte an der messingnen Kanone. Vermutlich, um den Eingang zu bewachen und die Eintretenden zu kontrollieren. Lienhard ging an ihm vorüber nach der Ostseite des Hauses, in dem er das erstemal gewesen war, fand auch in dem großen Zimmer Sutter, der an einem Tisch saß und mit einigen Männern Wein trank.

Die Scheu, die das erstemal Lienhard befangen gemacht hatte, hatte er jetzt überwunden. Er trat ohne weiteres an den Tisch: »Habe ich die Ehre, Herrn Kapitän Sutter zu sprechen?«

»Mein Name ist Sutter, was wünschen Sie?«

»Ich bin Lienhard von Bilten. Ihre Gemahlin wird Ihnen von mir erzählt haben. Diesen Brief soll ich Ihnen, Herr Kapitän, übergeben.« Sutter öffnete den Brief, las ihn, dann stand er auf, reichte Lienhard die Hand und wandte sich zu den Männern, die mit ihm am Tisch saßen: »Hier stelle ich Ihnen einen jungen Freund vor, dem ich großen Dank schulde. Er hat mit eigener Lebensgefahr das Leben meiner Frau und Kinder gerettet. Er ist sechs Monate über die Prärie und das Felsengebirge gereist, um sich hier anzusiedeln. Ich heiße Sie jetzt herzlich willkommen. Sie können meiner vollen Dankbarkeit sicher sein. Setzen Sie sich, und seien Sie mein Gast.« Er schob ihm ein Weinglas hin und füllte es. Dann stießen sie auf eine gute Zukunft miteinander an.

Dann ging's ans Fragen. Wann er das letztemal seine Frau und die Kinder gesehen, wie er sie verlassen hätte. Wie es in der Heimat aussehe. Ob man von ihm spräche. Was über seine Tätigkeit gesagt würde. Lienhard gab auf alles Bescheid, und wie er aus der sich immer mehr erhellenden Miene Sutters merkte, schien seine Antwort einen, guten Eindruck auf diesen zu machen. Besonders das, was Lienhard in den heimatlichen Zeitungen gelesen hatte, mußte er ihm wiederholen. Und was die Leute über den Kapitän Sutter sprachen, daß sie voll Stolz auf ihren berühmten Landsmann blickten und seine kolonisatorische Tätigkeit als eine geniale Leistung bezeichneten, das schien den alternden Mann glücklich zu machen. »Also, mein lieber junger Freund, Sie sind heute mein Gast zu Mittag. Da können wir über Ihre Wünsche sprechen.«

Sutter wurde abgerufen, und Lienhard wandte seinen Blick jetzt den Männern zu, die am Tisch saßen. Da sprach einer von ihnen: »Nun kommen wir doch wieder zusammen. Sie werden sich meiner erinnern, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie vor acht Tagen in Ihr Hotel geleitet habe.«

Es war Mister Marshall, der, wie Lienhard bald erfuhr, bei Sutter in Stellung getreten war. Er sollte eine Sägemühle bei Kalama, den Sakramento hinauf beim Federfluß, anlegen. Marshall war schon dort gewesen und hatte die Gegend sehr geeignet gefunden. Wasser war genug zum Betrieb und zum Transport des Holzes.

»Schöne Gegend,« sagte Marshall, Lienhard zunickend, »viel Urwald, dabei gebirgig und zwischen den Felsenbergen gute Täler mit Wiesenflächen. Bächlein rieseln da. Und der Fluß, auf dem man mit dem Canoe fahren kann, ist ganz in der Nähe.«

»Wie weit, Herr Marshall, mag's von hier entfernt sein?«

»Einen Tag braucht man gut. Sehen Sie sich den Platz mal an. Ich hörte schon, Sie wollen Land kaufen. Hätt' ich Geld, tät' ich's gleich. So aber muß ich warten bis mir das Glück begegnet.«

»Ja ja, das Glück,« lachte Lienhard und dachte dabei herzlich an Beate.

»Das Glück,« seufzte Marshall, »an das ich tagaus tagein denke. Ach Gott, wenn es doch unsereinen durchs Goldene Tor einließe.«

»Wozu das? Braucht man denn wirklich Gold, um glücklich zu sein? Gesundheit und Arbeit, die machen das Glück aus, das ist meine Ansicht.«

Marshall erwiderte etwas erregt: »Wie Sie so reden. Das – das klingt doch sehr – jugendlich. Entschuldigen Sie. Sie mögen die Nase mehr in Bücher gesteckt haben als ich. Kann sein, Sie wissen mehr als ich. Aber vom Glück, entschuldigen Sie, wissen Sie nichts und was dazu gehört.«

»Was? Ich sollte nicht –? Wie Sie mich hier sehen, bin ich einer der glücklichsten Menschen. Jawohl, da gucken Sie. Und hab' kein Gold. Denn die paar Dollars sind morgen schon fort, wenn ich Sutter ein Stück Land abgekauft habe. Bin dann, ohne Gold, erst recht glücklich, verstehen Sie. Nein, ohne Gold kann man glücklich sein. Das echte Glück ist das ohne Gold.«

»Glück ohne Gold? Mein Lebtag hab' ich solchen Unsinn nicht gehört,« lachte jetzt Marshall. »Scheinen ein Spaßvogel zu sein, wie? So einen Nachbar hätt' ich gern da oben bei der Sägemühle. Sollen's nicht bereuen. Sehen Sie sich die Gegend an. Versteh' mich darauf. Weiter unten am Sakramento, Gott bewahr' mich, würd' ich keinen Yard breit geschenkt nehmen. Meilenweit ins Land die vielen Überschwemmungen, Pflanzen Sie da mal, alles geht zugrunde. Und bauen? Nicht daran zu denken. Und geht der Fluß zurück, bleibt ein Sumpf zurück. Morgen geht einer von Sutters Leuten hinauf; ein Neuer, für die Heak-Farm. Ist dicht bei mir. Wär' aber nett, wenn Sie auch 'raufkämen. Ringsum nichts als schmutzige Indianer. Von dem Neuen versprech' ich mir nicht viel für meine Unterhaltung. Hat eine Frau und ein Rudel Kinder und eine Herde Schafe zu hüten. Würden uns gut vertragen. Wenn Sie bauen wollen, werden Sie den Rat eines Zimmermanns nicht abweisen, denk' ich. Und das mit dem Glück, – wer, wie ich, viel Unglück hatte, möcht' doch gern die glückliche Kehrseite des Lebens kennenlernen. Und da gibt's nur eine Hoffnung: das Goldene Tor muß sich einem auftun.«

Marshall trank sein Glas aus und erhob sich. Die Tür ging auf, und Johnson trat ins Zimmer. »Sehen Sie den an,« raunte Marshall Lienhard zu, »der soll am Sakramento teufelmäßig viel Sumpfland von Sutter gekauft haben.« Johnson hatte prüfend über den Tisch geblickt, war aber stracks in Sutters Privatkontor gegangen.

Um dem Menschen nicht zu begegnen, verließ Lienhard das Zimmer. Bis Mittag war noch reichlich Zeit, um sich weiter umzusehen. Sein Weg führte ihn die Straße nördlich vom Fort, bis er an Sutters Gerberei, am Amerikanfork, einem kleinen Flusse, anlangte. Wen traf er da? Seinen alten Bekannten von der Reise, den braven Weimer, als er dabei war, in ein Segelboot Körbe und Kisten zu verstauen. Und um ihn in buntem Durcheinander seine Kinder, soweit sie imstande waren, zu klettern, zu springen und unnütze Dinge zu tun. Die Frau trug das Jüngste, saß still lächelnd am Ufer, in warme Decken gehüllt, und sah dem Treiben zu.

»Oh, Herr Lienhard, woher und wohin? Viktoria, ich hab's geschafft, bin untergekommen, auf Sutters Heak-Farm, oben in den Bergen, wo er eine Sägemühle anlegt. Hab' freie Kost und Wohnung und 25 Dollars dazu im Monat. Doch famos? Glück gehört zu allem. Was hätt' ich sonst hier anfangen sollen? Glück muß der Mensch haben. Und Sie, Herr Lienhard? Wo wollen Sie sich niederlassen? Wo sind Rochows?«

Lienhard antwortete ausweichend. Seine Aufmerksamkeit wurde von dem bunten Familienbilde abgelenkt. Denn plötzlich schrien die Kinder wie besessen. Neben ihm stand der Indianer von heute morgen. Er hatte ihn nicht kommen hören.

Weimer schien ihn schon zu kennen: »Wie ist's, Könnök? Kommen deine Arbeiter?« – Der Indianer nickte und hob drei Finger.

»Drei Mann? Wann aber? Gleich? Oder morgen?«

Aus Könnöks Gesten konnte man annehmen, sie würden bald kommen.

»So sagte mir auch Sutter, gegen Mittag etwa.«

Lienhard verabschiedete sich. »Glückliche Reise, vielleicht sehen wir uns bald wieder.« Er wollte wieder nach Sutters-Fort.

Er ging noch ein Stück am Ufer hin, dann kletterte er die Böschung hinauf. Nun mußte er sich einen Pfad durch das Unterholz bahnen. Im Walde fand er sich schon eher zurecht. Plötzlich sah er sich Könnök gegenüber.

Lienhard sah ihn verwundert an. Noch verwunderter war er, als die Rothaut neben ihm einherging. »Willst du was?« fragte er den Indianer.

Da sprach der Wilde das erstemal ein paar englische Worte, die etwa bedeuten sollten: »Ich bin dein Freund, bin dir Dank schuldig. Auf mich kannst du stets zählen. Der weiße Mann ist ein schlechter Mann. Du bist gut. Du gabst mir den Skalp meines Bruders, heute früh. Weiße hatten ihn erschlagen, ohne Grund. Nun kann ich ihn begraben und er wird Ruhe finden und in die großen Jagdgründe kommen. Könnök ist dein Freund, weil du sein Freund bist.«

Nachdem er dies gesprochen hatte, schritt er würdevoll davon. Lienhard ging kopfschüttelnd nach dem Fort zurück. Unterwegs mußte er immer daran denken, wie eine solch kleine Tat einen Freund gewinnen konnte. –

Bei seiner Rückkehr begrüßte ihn Sutter, der mit Johnson am Tisch saß, sehr freundlich. Sutter stellte Lienhard vor. »Oh, wir kennen uns schon länger,« sagte Johnson. »Sie wollen sich hier ankaufen, hörte ich. Dann kaufen Sie von mir, nicht von dem alten Sünder,« sprach er dreist.

Sutter verzog unmutig das Gesicht. Doch Johnson fuhr fort: »Lassen Sie mich auch mal was verdienen, Sutter. Ihnen entgeht ja doch keiner von den Auswanderern, Sie alte Spinne. Hören Sie,« wandte er sich wieder an Lienhard, »ich biete Ihnen treffliches Land an. Feine Gegend. Unten am Sakramento. Alles fruchtbar. Herrlicher Getreideboden. Nur kurze Zeit noch, und es wird eine Stadt nach der andern unten am Fluß entstehen, wenn Sie dann verkaufen, können Sie Millionär sein.«

Jetzt parierte Sutter die Grobheit von vorhin, indem er sagte: »Nun, mein lieber Johnson, warum wollen Sie denn andere beglücken und nicht selber Millionär werden?«

»Weil ich keine Zeit zu warten habe und ein gewisser jemand, den ich kenne und der hier neben mir sitzt, nicht mehr länger warten will. Er will die Sachen dem Gericht übergeben, weil ich ihm ein paar Dollar schuldig bin. Wie ist es also?« wandte er sich wieder an Lienhard. »Wollen wir hinunter zum Fluß und die Sache in Ordnung bringen?«

»Meine baren Mittel,« antwortete Lienhard, »sind ganz gering. Ich habe auch nicht die Absicht, am Fluß zu bleiben. Ich bin aus einem Gebirgslande und möchte mich in einer Gegend niederlassen, die meiner Heimat ein wenig ähnlich sieht.« Johnson warf ihm einen giftigen Blick zu, stand auf und verließ die Stube. Lienhard atmete auf.

»Ein smarter Junge,« sagte Sutter halblaut, »nehmen Sie sich vor dem in acht. Er ist mir viel Geld schuldig. Ich wollte was draufzahlen und den Verlust ertragen, wenn er die Gegend ganz und gar verlassen würde. Er ist rasch mit der Pistole und noch rascher mit dem Messer.«

Jetzt war die Gelegenheit für Lienhard, seine Wünsche vorzutragen. Die Stunde war günstig. Sutter bezeigte ihm alles Entgegenkommen. »Wir wollen morgen hinauf nach Kalama. Sehen Sie sich das Land an. Wenn's Ihnen gefällt, will ich Ihnen den Acre mit fünf Dollar berechnen. Kaufen Sie dann, soviel Sie wollen. In der Heak-Farm sollen Sie Kredit haben, wenn Sie Hammel kaufen wollen. Auch Mehl, Zucker und Rindfleisch, geräucherte Fischeier gebe ich Ihnen für die erste Zeit mit. Was gedenken Sie denn zu treiben? Wollen Sie von der Viehzucht leben oder wollen Sie pflanzen?«

»Ich habe die Gärtnerei gelernt und will Obst und Gemüse bauen.«

»Der Gedanke ist gut. Sämereien können Sie auch von mir beziehen. Sie bezahlen mich dann mit den Erträgnissen Ihrer Ernte, denn Sutters-Fort konsumiert viel. So haben Sie für die erste Zeit gleich einen Absatz.«

Auf diese Weise setzten sie das Gespräch bis in den Nachmittag fort. Am andern Tag traten sie die Reise nach dem Gebirge an. Hier trafen sie schon Weimer mit seiner Familie vor. Auch Marshall fand sich ein. Eine Anzahl Indianer fällten Bäume unter seiner Leitung. Nach einigen Stunden war Lienhard mit Sutter einig. Er hatte 10 Acres gekauft und etwas angezahlt. Der Kaufvertrag wurde geschlossen. Er verpflichtete sich, das Restgeld in bestimmten Terminen in bar zu zahlen oder in Naturalien, die nach dem Tagespreis zu berechnen wären. Somit behielt Lienhard für allerlei Anschaffungen, die er brauchte, für Geräte, Spaten, Hacken und dergleichen noch eine kleine Summe übrig.

Nun lag ihm daran, so schnell wie möglich Rochows und die Koffer aus San Franzisko zu holen.

»Das können Ihnen die Indianer besorgen. Da ist Könnök, der Häuptling, mit dem ist die Sache abzusprechen.« Sutter winkte ihn heran und erzählte ihm, um was es sich handle. »Sprechen Sie mit dem Indianer englisch, das versteht er, wenn er's auch nicht gut spricht.«

Alles ging rascher, als er sich's gedacht hatte. Kaum hatte er Könnök Mitteilung davon gemacht, daß er fortan in seiner Nähe wohnen würde, ging ein freundliches Strahlen über dessen Gesicht. Lienhard erzählte ihm, daß noch ein Freund und eine junge weiße Frau mit ihm wohnen würden.

Lienhard war entzückt. Das Naheliegendste hatte er in seiner Aufregung vergessen. Nun wurde Marshall geholt und im Verein mit Könnök der Platz abgesteckt, auf dem die Hütte erstehen sollte. »Ich denke, wir setzen gleich ein festes Blockhaus hin, und ich will Ihnen zeigen, was ein richtiger Zimmermann in drei Tagen fertig bringt. Könnök ruft seine Leute zusammen. Dann geht's ans Baumfällen, und hier, denke ich, mit der Aussicht auf die Berge, nach Norden durch den Wald geschützt, nach Süden die große Grasebene, ist der geeignete Ort; einen besseren Platz wüßte ich nicht zu finden. Und zu mir ist es nicht weit. Die Schlucht hinunter, und in zehn Minuten sind wir beieinander.«

Könnök hieß Lienhard folgen. Ganz nahe rieselte ein Bächlein vorbei, das hinunter zur Sägemühle lief. »Inzwischen machen Sie es sich auf der Heak-Farm bequem, oder, wenn Sie nicht hier bleiben wollen, dann fahren Sie wieder ab. Unterhalb Sutters-Fort wird heute in vier Tagen jemand mit einem Boot sein, um Sie und Ihre Sachen abzuholen.« Lienhard schüttelte allen dankbar die Hände und versprach Könnök noch klingende Belohnung. Dann trat er die Rückreise nach San Franzisko an.

 

Starke Regenfälle und Sturm leiteten die rauhe Jahreszeit ein. In dem fest gefügten Blockhaus wohnten schon längst Lienhard und Rochow. Für jede Partei waren zwei Räume eingerichtet. Der Kochraum mit einem soliden Herd war genügend groß, und durch die trauliche Wärme, die darin herrschte, ein angenehmer Aufenthalt und ein Zusammenkunftsort für Rochows und Lienhard. Da wurden auch die Mahlzeiten eingenommen. Von hier hatte man einen guten Ausblick auf den Weg, so daß man jeden, der ihn benutzte, schon von weitem sehen konnte. Lienhard und Rochow, unterstützt von Marshall, waren unermüdlich tätig, um Tische, Bänke und andere für den Haushalt nützliche Gegenstände zu zimmern. Das geräucherte und gesalzene Fleisch, das sie von Sutter bezogen hatten, mundete auf die Dauer nicht. Da war es Könnök, der ihnen Fische lieferte, die seine behenden Leute fingen. Felle handelten sie von dem zutraulichen Völkchen ein und überließen ihm Kleinigkeiten aus ihrem Besitz. Immer waren ein paar Indianer in der Nähe, um nach Arbeit zu fragen. Es war dies eine Höflichkeit des Häuptlings, dessen freundliche Zuneigung zu Lienhard nicht nachgelassen hatte und der sich nicht genug tun konnte, den jungen Ansiedler in seinem Vorhaben zu unterstützen.

Ihre indianischen Freunde waren ein schön gewachsener Menschenstamm, schlank und von gutem Ebenmaß. Der Mund war breit und volllippig, die Haare grob und schwarz. Viele Männer trugen gewöhnlich Schnurr- und Knebelbart, die meisten waren jedoch bartlos. Man sah sehr selten einen Mann mit starken Armmuskeln. Das kam daher, weil sie zu wenig strenge Arbeit ausführten. Ihre Fußspitzen waren einwärts gerichtet, wie bei allen Indianern, während der Weiße die seinigen mehr nach außen zu kehren pflegt. Die härtesten Arbeiten vollführten auch hier die Frauen. Die mußten das Eichelmehl mit schweren Steinen stampfen. Sie mußten Wurzeln und Gras sammeln. Sie mußten die Lasten in großen, oft wasserdichten, trichterförmigen Körben, mit Hilfe eines Tragbandes über dem Kopf, auf dem Rücken tragen, während die Männer in stolzer Haltung mit Pfeil und Bogen vor ihnen hergingen. Das einzige, was die Männer trieben, war der Fischfang. Besonders wenn die Lachse den Fluß hinaufkamen, um zu laichen, und leicht gefangen werden konnten, da waren sie unausgesetzt tätig, um sie später auszunehmen und zu räuchern. Den Rogen dörrten und räucherten sie.

Auch Enten, Gänse und andere Wasservögel fingen sie, um sie geräuchert aufzubewahren. Sie stellten aus Schilf und Binsen Flöße her, mit trockenem Gras und trockenem Erdreich bedeckt, die sich wie kleine schwimmende Inseln auf dem Wasser ausnehmen. Darauf setzten sie ausgestopfte Vögel zum Anlocken, streuten Samen darauf, die den Enten und Gänsen als Leckerbissen dienten. Im Hintergrund war ein Bogen von der Länge der schwimmenden Insel angebracht mit einem Netz darauf. Der Bogen stand ungefähr, wenn er offen war, im rechten Winkel zur Bodenoberfläche. Oben war ein Seil befestigt, das von einem im Gebüsch versteckten Indianer festgehalten wurde. Kommen nun die Schwärme von Enten und Gänsen herangeflogen, so läßt der Indianer täuschend ähnliche Töne, wie sie die Vögel ausstoßen, hören. Die hungrigen Zugvögel wurden dadurch sicher gemacht und angelockt. War der günstige Moment da, dann zog er mit kräftigem Ruck den Bogen über das schnatternde Federvieh. Ein Entweichen war dann nicht mehr möglich. War der Fang so groß, daß die Tiere nicht frisch gegessen werden konnten, so wurden die übrigen geräuchert und aufbewahrt. Aus den Federn machten die Indianer warme Decken, die sie bei kaltem, nassen Wetter um sich schlugen. Diese Decken bildeten das einzige Kleidungsstück sowohl der Männer wie der Frauen. Zum Fangen kleiner Fische stricken die Frauen Netze, ebenso zum Fangen kleinerer Vögel.

Es gab auch viele Baumspechte. Diese wurden mit Fackeln gefangen. Man weckt sie aus ihrem Schlaf, erschreckt sie, so daß sie aus dem Nest zu fliegen suchen, während man ein Netz vor die Öffnung hält.

Die Hasen suchten sie ebenfalls mit langen Netzen zu fangen. Sie machten das so, daß sie den Ort, wo sie sie vermuteten, mit einem Netz absperrten und die Tiere durch Schlagen auf das Gebüsch zur Flucht veranlaßten. Gingen sie nicht ins Netz, so suchten die Verfolger sie mit Pfeilen zu schießen.

Im Sommer beschäftigten sie sich mit Fangen von unzähligen Heuschrecken. Es wurden eine Anzahl trichterförmiger Löcher in den Erdboden gegraben. Oben waren sie drei bis vier Fuß breit und verengerten sich bis auf anderthalb Fuß nach unten. Das letzte Ende ging senkrecht und war nur einen Fuß breit und einen Fuß tief. Der obere Teil des Fangloches wurde sorgfältig abgeglättet, damit die Tiere keinen guten Stand hatten. Wenn die Gruben fertig waren, nahm jeder der am Fang beteiligten Indianer einen großen Ast und schritt langsam in weitem Kreise um die Gruben herum, indem sie die Tiere den Fanglöchern zujagten. Je näher sie den Vertiefungen kamen, desto wilder gebärdeten sich die großen Hüpfer. Zuletzt blieb ihnen nichts mehr übrig, als die Sprünge aufs Geratewohl zu machen, so daß sie in die Grube fielen und nicht mehr heraus konnten. War das geschehen, so wurden sie aus den Fanglöchern herausgenommen, in die Körbe geworfen und mit breiten Pflanzenblättern zugedeckt. Die Körbe wurden dann rasch ins Lager getragen und die Tiere mit heißer Asche getötet und Stück für Stück geröstet. Das geschah, indem man sie in ein Stäbchen einklemmte und auf glühende Asche hielt. Die Indianer aßen die Heuschrecken als Leckerbissen. Sie vertilgten sie in Massen.

Über die Wohnungen der Indianer ist noch ein Wort zu sagen. Sie haben Sommer- und Winterhäuser. Die letzteren sehen einem riesigen Maulwurfshügel ähnlich. Der Raum befindet sich drei Fuß unter dem Erdboden. In der Mitte sind mehrere starke Pfosten angebracht. Diese bilden die Hauptstütze des »Gebäudes«. Darauf wird das Dach gesetzt. In einem Durchmesser von 12 bis 20 Fuß, je nach der gewünschten Größe des Hauses, werden starke, biegsame Stangen im Fußboden befestigt. Gegen die Mitte hin werden sie so gebrochen, daß der dünnere Teil auf dem Mittelpfosten liegt und dort festgemacht werden kann. Dazu verwenden sie Schlingpflanzen. Dieses Rahmenwerk sieht einem Schirmgestell ähnlich. Quer über die Stangen kommen dann leichtere, biegsamere Hölzer. Diese werden mit den andern ebenfalls wie ein Geflecht mit Lianen verbunden. Darauf kommt eine Schicht Lehm oder Ton, gut gestampft oder getreten, die dann geglättet wird. Außen sowohl als innen. Im Dach wird meist ein Luftloch gelassen, das auch als Abzug für den Rauch dient. Über der Erde ist eine Eingangspforte in Gestalt eines Loches von zwei bis drei Fuß Höhe. Der Hausrat besteht im großen und ganzen nur aus einer Anzahl verschiedener Körbe. Die wasserdichten wurden auch zum Holen und Aufbewahren von Wasser benutzt. Diese undurchlässigen Körbe sind in ihrer Art Kunstwerke. Die Feuerstelle besteht aus einem Loch im Erdboden. An den innern Hauswänden dienen ein paar einfache Matten aus Sumpfgras oder Binsen als Betten.

Ganz anders sind die Sommerwohnungen. Sie bestehen aus Binsenmatten, die schichtweise über das Rahmenwerk, wie bei den Winterhäusern, gelegt sind. Alles ist aber leichter gearbeitet. Die Sommerhäuser stehen flach auf dem Erdreich. Von außen haben sie große Ähnlichkeit mit einem Heuschober. Um das Haupthaus werden oft kleinere, ähnlich verfertigte Hütten gestellt, in denen Getreide, Eicheln und Wurzeln aufbewahrt werden.

Als Hauptbrotfrucht betrachtet der Indianer die Eichel. Je nach der Eichenart ist auch die Frucht in Form und Geschmack verschieden. Aus dem Mehl der Eicheln bereiten sich die Indianer eine Art Mehlsuppe und auf heißen Steinen gebackene Kuchen. Als Gemüse kommen verschiedene Kräuter, Wurzeln und Grassamen in Betracht. Sie schätzen eine Wurzel sehr, die Ähnlichkeit mit den Kartoffeln hat. Auch Knoblauch und Zwiebeln lieben die Indianer und schätzen ihre Wirkung auf die Gesundheit.

Friedlichere Menschen, als es die Indianer in Kalifornien waren, konnte man sich nicht denken. Es waren harmlose Kinder, die sich nicht viel um Kleidung, Wohnung und Nahrung kümmerten. Das milde, fruchtbare Klima ersparte ihnen alle Sorgen. Die meisten Ansiedler konnten unbekümmert sein; ihr Leben, ihr Eigentum war vor den Indianern sicher.

Untereinander hatten die Indianer mitunter Streit. Den trugen sie dann in der Stille der Wälder aus. Einmal sagten die Buscheny-Indianer den Sakramento-Indianern »Krieg« an. Der Krieg war nichts als eine Rauferei, bei der ein Indianer verwundet wurde.

Als die Weißen einwanderten und Arbeitskräfte brauchten, lockten sie die Indianer aus ihren Wäldern, um sie gegen Nichtigkeiten, wie Glasperlen, kleine Spiegel und dergleichen für ihre Arbeiten anzuspannen. Daß sie den Naturkindern noch wertvolle Felle im Eintausch gegen etwas Tabak abnahmen, verstand sich bei dem unehrlichen Gelichter, aus dem sich fast durchweg die Weißen zusammensetzten, von selbst. Zumeist waren es Abenteurer und Verbrecher, aus aller Welt in die kalifornische Wildnis geflüchtet, um hier ungestörter Gaunereien zu treiben.

Gewiß gab es unter ihnen auch redliche, gute Menschen. Das waren solche, denen die Heimat keine Möglichkeit gewährt hatte, sich ein eigenes Heim auf eigenem Grund und Boden zu schaffen. Hier, wo alles noch im Urzustande war, wo man Land für ein paar Groschen bekam und froh war, daß es besiedelt wurde, erwuchs diesen tätig-arbeitsfrohen Menschen eine heitere Zukunft. Und von diesen zu den Indianern knüpfte das Schicksal oftmals ein freundschaftliches Band wie zwischen Lienhard und dem Häuptling Könnök.

 

Täglich arbeiteten die drei Insassen des Blockhauses, um die Wohnräume gemütlicher und bequemer zu gestalten. Der langgestreckte Küchenraum hatte mit seiner Wärme auch andere Bewohner angelockt. Es hatten sich große Feldmäuse mit weiten Backentaschen und kurzem Schwanz eingefunden. Als Lienhard einmal eine von ihnen gefangen hatte, fand er ihre Backentaschen mit Wurzelstücken und Krautstengeln angefüllt.

Mit der Munition für die Büchse und die Pistole wurde sparsam umgegangen. Lienhard und Rochow, die allein oder zusammen zur Jagd gingen, lieferten manches Wildbret für die Küche, gebrauchten aber meist Pfeil und Bogen. Einmal hatte Lienhard auf einen Vertreter einer großen Eichhörnchenart einen Pfeil abgeschossen. Das Tier hatte eine große Ähnlichkeit mit einem Präriehund. Es lebte mit seinen Artgenossen meist nicht auf Bäumen, sondern zwischen den Wurzeln alter Eichen oder in Höhlen. Es war sehr schwierig, eins von ihnen zu schießen. Als es Lienhard geglückt war, sah er, wie das Tier sich bemühte, den Pfeil, der ihm ins Fell gedrungen war, wieder herauszuziehen. Das gelang ihm auch. Dann kletterte es an der Eiche empor und war verschwunden.

An einem Spätnachmittag war die Tür offen geblieben. Lienhard war hinausgegangen, um Holz zu holen. Da sah er in der Dämmerung, wie ein Tier durch die geöffnete Haustür in den Küchenraum schlüpfte. Er trat herein, suchte in allen Ecken, fand aber nichts. Er glaubte, es sei ein Waschbär, nahm ein großes Gefäß mit Wasser, und als er endlich das Tier in einer Ecke entdeckte, goß er ihm das Wasser über den Kopf. Lienhard hatte einen jungen Hund namens Tiger, der noch täppisch und unerfahren war. Der sprang nun herzu, um den Eindringling zu packen. Da kam plötzlich aus der Ecke ein so fürchterlich durchdringender, tausendfach konzentrierter Knoblauchgestank, daß jedes Atmen unmöglich wurde. Der Hund fing zu heulen an. Beate stürzte ins Freie, um nicht zu ersticken. Hinter ihr her das Stinktier, um zu entweichen. Der alte Rochow wollte sich vor Lachen ausschütten, ihm verging aber das Atemholen. Auch er lief vor die Tür. Lienhard versuchte, die Stelle, wo der Skunks den grauenhaften Gestank verspritzt hatte, fortzuwaschen. Er öffnete Fenster und Türen, um durch Zugluft den entsetzlichen Geruch herauszubringen. Alles war vergeblich. Er zündete auf dem Lehmboden ein großes Feuer an. Darauf schüttete er spanischen Pfeffer. Er schloß nun eilig Fenster und Türen, um den Raum auszuräuchern. Auch das half nichts. Sie bekamen entsetzliche Kopfschmerzen und flüchteten alle im Sturmschritt durch die Küche in die andern Wohnräume, um sich dort einigermaßen zu erholen. Es dauerte viele Wochen, bis der Geruch sich verlor.

Nach den regnerischen Tagen kam auch wieder die Sonne zum Vorschein und verbreitete ungeahnte Wärme, wie sie im Dezember in Europa, besonders in Deutschland, sehr selten ist. An diesen Tagen blieb die Tür zum Küchenraum weit geöffnet, um die Sonne hereinzulassen.

Bald darauf war Lienhard einmal damit beschäftigt, aus einem Fäßchen mit Getreidekörnern eine Handvoll herauszunehmen, um die Hühner zu füttern. Da sah er auf dem Boden etwas Länglich-rundes, das wie ein großer Ring aussah. Er sah näher zu und fand, daß es eine Klapperschlange war. Beate kam in diesem Augenblick aus der Wohnung. »Zurück!« rief er ihr zu, und schon sauste ein Hieb auf das gefährliche Tier, das sofort getötet wurde. Die Schlange war drei Fuß lang und hatte sieben Ringe. So hatte er Beate ein zweites Mal vor dem Biß einer Klapperschlange bewahrt.

Ein andermal fand sich in der Nähe des Hauses eine Klapperschlange, die ein Indianer tötete. Und dann war Lienhard einmal Zeuge, wie eine Henne ihre Küchlein gegen solch ein giftiges Reptil verteidigte und dabei ihr eigenes Leben einbüßte. Doch nicht genug damit. An einem Sonntag unterhielt er sich mit Pfeilschießen im Freien. Da sah er im Grase zwei Klapperschlangen. Er hoffte sie mit einem Pfeil zu durchbohren. Er traf aber nur eine von ihnen, und diese biß so heftig in den Pfeil, daß man noch nachher die Bißstelle im Gefieder sehen konnte. Außer diesen Gästen fanden sich allnächtlich Wölfe in der Nähe des Blockhauses ein. Diese unangenehmen Besucher verjagte man mit Büchse und Pfeilen.

Marshall baute inzwischen an Sutters Sägemühle. Er hatte auch eine Schmiedewerkstatt in Gang gebracht, um für Sutters weitläufige Farmen und Äcker Geräte aller Art zu schmieden, daneben auch Schadhaftes in Menge auszubessern. Sobald aber Feierabend war, stieg er die Schlucht hinauf, um am Herdfeuer bei Lienhard und Rochow zu sitzen, sein Pfeifchen zu schmauchen, zu plaudern oder ein Kartenspielchen zu machen. Mitunter kam Weimer von der Heak-Farm dazu, brachte wohl an jeder Hand einen Jungen mit, damit – wie er sagte – die Kinder sich nicht völlig des Anblicks zivilisierter Menschen entwöhnten.

So ging das Jahr 1847 zu Ende.

Nach Neujahr hatte Lienhard in Sutters-Fort zu tun. Er sollte sich Setzlinge und Schnittlinge von Reben, Feigen, Oliven, Quitten holen sowie junge Bäumchen von Pfirsich, Aprikosen, Mandeln, Zwetschgen, Nektarinen, Äpfeln, Birnen und dergleichen, die Sutter aus San José und San Franzisko hatte kommen lassen.

Als er abends die Tür zu seinem Blockhaus öffnete, blieb er starr vor Staunen. Am Tisch, bei Rochow und Beate, saß der gefürchtete Johnson. Er tat sehr freundschaftlich zu ihm, war sehr gesprächig und machte Beate den Hof. Dann brach er grob los, suchte aber seine Malizen in ein spaßiges Gewand zu kleiden, was ihm nicht gelang. »Wissen Sie, junger Herr, daß Sie ein großer Duckmäuser sind? Daß man ihnen nicht trauen darf? Daß man sich vor Ihnen in acht nehmen muß?«

Lienhard erwiderte kühl: »Ich wüßte nicht, daß ich mich jemals in Ihr Vertrauen geschlichen hätte. Dazu sind wir uns zu fremd. Aus dem Grunde haben Sie kein Recht, so zu mir zu reden wie eben jetzt. Das möcht' ich mir ein für allemal verbeten haben.«

Johnson stutzte. So fest war ihm noch niemand entgegengetreten. Und das sollte er sich bieten lassen? Noch dazu in Beatens Gegenwart? »Sie haben mich angelogen,« fuhr er ihn an, »und wer mich anlügt, beleidigt mich. Und ich bin nicht der Mann, der sich beleidigen läßt.«

»Ruhe, meine Herren,« fiel Rochow ein, »bitte, mäßigen Sie sich und bedenken Sie, daß Sie in meinem Hause sind.«

Doch Johnson ließ sich nicht beirren. »Weshalb sagten Sie, auf meine Frage nach dem Fräulein, Sie wüßten nichts von ihr? So daß ich glauben mußte, sie wäre in St. Louis geblieben? Fast wäre ich hinübergeritten, wenn nicht der Zufall mir den Aufenthaltsort verraten hätte. Das ist – ist eine Niederträchtigkeit, eine Beleidigung, über die wir noch miteinander an anderem Ort reden werden.«

»Und von Ihnen ist es unverschämt, sich um meine Braut zu kümmern.«

Johnson war aufgesprungen, doch Lienhard trat ihm wütend und furchtlos entgegen, als Johnson ironisch lachte.

»Ja, wir sind verlobt, das wird Herr von Rochow Ihnen bestätigen. Und keinen Menschen geht es etwas an, ob Beate in St. Louis wohnt oder hier. Ich bin Ihnen keinerlei Rechenschaft schuldig. Und da das Haus auch mein Haus ist, ersuche ich Sie, es zu verlassen. Wir haben uns nichts mehr zu sagen.«

Rochow suchte zu vermitteln. Er goß jedoch nur noch Öl ins prasselnde Feuer. Und wenn nicht Marshall und Weimer gerade gekommen wären, hätte es vermutlich gleich blutige Köpfe gesetzt. Johnson ging wortlos fort, warf aber noch Lienhard einen haßerfüllten Blick zu, der nichts Gutes für die Zukunft verhieß.

Wenn Lienhard jetzt nach Sutters-Fort mußte oder fortging, um einen Hasen oder sonst etwas für die Küche zu schießen, blieb Beate in Angst zurück, sie bangte um sein Leben. Lienhard war stark und behende, dem um einen Kopf größeren, muskulöseren Johnson aber nicht gewachsen.

Rochow schüttelte den Kopf. »Das sind Eifersüchteleien und haben nicht viel auf sich. Lienhard tat recht, ihm klaren Wein einzuschenken. Nun hat der Raufbold keine Ursache mehr zu einem Besuch. An meiner Unterhaltung kann ihm nichts gelegen sein. Was Lienhard sagte, mußte gesagt werden.« Dann sprach man nicht mehr von dem häßlichen Vorfall.

Marshall hatte heute auch von etwas anderem zu erzählen, von der Schleuse für die im Bau begriffene Sägemühle. »Dauerarbeiter sind die Indianer nicht. Hat einer ein paar Tage ausgehalten, bleibt er zu Haus oder geht auf die Jagd.« Rochow fragte, ob sein Schmiedegesell Trifield und der Tischler Hudson nicht helfen könnten. »Gewiß helfen sie, dann bleiben eben die andern Arbeiten zurück. Die Arbeit geht langsam vorwärts. Es ist ja niemand, der verlangte, daß alles bis zum 1.Februar oder etwa 1. März fertig sein soll. Sutter, nun ja, der läßt sich gelegentlich mal sehen, hält aber nicht lange stand. Husch, fort ist er. Für wen also? Ja, wenn's nicht für Fremde wäre, wenn man, wie Sie, für's Eigene schaffen könnte – – –«

»Nicht schlimmer machen, als es ist,« sprach Weimer begütigend. »Man lebt. Und gibt sich schließlich zufrieden. Was soll ich sagen mit meinen zehn Kindern und meinen vielen Sorgen.«

»Wie weit ist denn die Sägemühle gediehen?« Rochow stellte die Frage. Marshall zuckte die Achseln.

Die noch unfertige Sägemühle stand am Südarm des Amerikanfork, wo er durch ein enges Tälchen zwischen Bergen fließt und eine starke Biegung nach rechts macht. Für den Kanalbau wurde die Biegung durchschnitten, um genügend Gefälle zu haben. Nachdem der Kanal ausgegraben war, hatte man zur Probe das Wasser durchlaufen lassen und dann wieder abgestellt, um eine Schleuse anzubringen.

Am 19. Januar kamen die Männer wieder zu Besuch ins Blockhaus, Weimer hatte einen seiner Jungen mit, einen munteren Buben von neun Jahren. Er hatte sich erst mit dem Hund abgegeben; als der zubiß, rief ihn der Vater zu sich und wies ihm den Platz neben sich an, damit er still sitze. Das behagte dem Knaben wenig. Da rief ihn Lienhard zu sich. »Komm, Peter, wir wollen wieder spielen.«

»Ja, Herr Lienhard, aber mit Karten und um Geld.«

»Ja, mein Jung', wir spielen um Geld, wie hoch soll der Einsatz sein? Hundert Dollars?« – »Nein, nicht Dollars, die hab' ich nicht. Aber gelbe Kugeln setz' ich. Wer gewinnt, dem gehören sie.«

»Gut, Peter. Und ich setze fünf Cents, die gehören dir, wenn du gewinnst. Hier ist mein Einsatz.« Lienhard legte das Geldstück auf den Tisch. – »Nun leg du deine Erbsen daneben.«

Der Junge holte aus der Tasche eine kleine Handvoll seiner gelben Kugeln und ließ sie neben die Münze gleiten. In der Mitte des Tisches brannte ein Talglicht, das einen matten Schimmer darauf warf. Lienhard schob die Dinger zusammen. Er glaubte, es wären Kiesel, nahm einen zwischen die Finger und legte ihn wieder hin. Langte sich einige von neuem und wunderte sich, wie schwer so kleine Kiesel wären.

»Sonderbar,« sprach er für sich. – »Was ist sonderbar?« fragte Beate.

»Sehen Sie doch mal, Marshall, was der kleine Peter für Steine hat. Oder ist das am Ende Metall?«

Die Männer traten heran und nahmen die »gelben Kugeln« prüfend in die Hände. Sie waren sich sofort darüber einig, daß es keine Kiesel, daß es Metallstückchen wären.

»Peter, komm her,« rief der Vater mit strenger Miene.

»Lassen Sie mich fragen,« rief Lienhard. »Sag', Peterchen, wo hast du die gelben Kugeln her? Hast du sie gefunden?« – »Ja, gefunden.«

»Wo lagen sie? Gehörten sie vielleicht den Indianern?«

»Nein, die liegen so da, unten, wo das Wasser lief.«

»Bei der Sägemühle?«

»Ja, dort. Im Sand haben wir sie gefunden und zwischen den Kieselsteinen. Karl und Fritz haben auch welche, wir haben noch viele zu Hause.«

.

»'s ist gut, Peter, und du darfst dir die fünf Cents nehmen und Vater kauft dir was dafür, wenn er zum Fort hinunter kommt.«

Marshall und Weimer waren erregt stehengeblieben. Dann riefen sie wie aus einem Munde: »Wenn es Gold wäre. Es kann Gold sein!«

Rochow wog die kleinen Klümpchen in der Hand. »Gold ist's. Für mich kein Zweifel. Was soll es sonst sein?«

Lienhard nahm ein paar der goldähnlich glänzenden Körner und sagte nichts weiter als: »Kommt mit. Wir wollen es gleich in Marshalls Schmiede feststellen.«

Die fünf Erwachsenen mit dem Jungen gingen oder liefen im Eilschritt die Schlucht hinunter zur Schmiede. Dort trafen sie auf Trifield und Hudson und einen Schneider John Muot, der in Sutters-Fort wohnte und dort tätig war. Marshall hieß den Gesellen Trifield einen Blechlöffel reinigen, dann tat er einige der glänzenden Körnchen darauf, erhitzte sie über dem Feuer, bis sie weißglühend waren, brachte sie auf den Amboß und begann die Masse zu hämmern. Während er hämmerte, herrschte eine lautlose Stille in der Schmiede. Keiner der Anwesenden wagte zu atmen. Da hörte er mit dem Hämmern auf: er hielt ein ganz dünnes Blättchen in der Hand, es war von reinstem Gold! Wie ein Blitzstrahl war es da durch alle gegangen. En einziger Jubelruf erscholl. Alle jauchzten, schrien, pfiffen, sangen wie toll. Sie gebärdeten sich wie Trunkene.

John Muot sprang wie besessen und brüllte aus Leibeskräften: » Gold! Gold!« Und der Chorus der sonst so ruhigen Männer schrie mit: » Gold! Gold! Gold

Trifield und Hudson rannten hinaus, kamen wieder zurück, liefen wieder fort, um bald mit einer Hacke, einem Spaten, einem Kochgeschirr, ein paar Blechbüchsen, einigen Wolldecken wiederzukommen.

»Wohin, wohin?« riefen ihnen alle nach.

»Wohin jeder eilt, wenn er nicht zuletzt kommen will.«

»So ist's. Die sind klug, die tun recht. Vorwärts! Was steht ihr noch herum wie saurer Wein?!«

Sie liefen durcheinander, jauchzten, lärmten, taumelten hinaus und stießen auf Trifield und Hudson, die außer Atem zurückkamen. Sie holten Lebensmittel, die sie ganz vergessen hatten.

Muot, der Schneider, hatte inzwischen Sutters-Fort alarmiert und die Menschen mit der Nachricht rein toll gemacht. Sutter betrank sich vor Freude. Denn nun sah er erst eine Möglichkeit, seine ungeheuren Schulden zu bezahlen und sein schwelgerisch-üppiges Leben fortzusetzen. Wer Gold graben wollte, mußte von ihm eine Lizenz erwerben. Ihm mußten alle kommen. Und er würde sich die besten Landstücke vorbehalten.

Die Nachricht von den Goldfunden in Kalifornien verbreitete sich über die ganze Welt. Und bevor noch der Troß der Goldsucher die menschenleeren Gegenden überflutet hatte, war Sutter nicht müßig gewesen. In weitem Umkreise hatte er alle Lebensmittel und aus den mexikanischen Städten ungeheuere Mengen Schnaps und Wein aufgekauft.

Es dauerte nicht lange, da liefen Nachrichten über Goldfunde um, die die allgemeine Aufregung noch steigerten. Es wurde erzählt und geglaubt, daß einer täglich für ein paar tausend Dollars Gold auswaschen könne. Jeder, selbst der ruhigste, besonnenste Mensch, wurde bei solchen Nachrichten von Aufregung erfaßt. Wenn das Gold so leicht zu gewinnen war und damit alle Genüsse des Lebens, weshalb sollte man sich da noch weiter plagen und mühevoll arbeiten und sich sorgen. Fort mit der Arbeit! Weg mit der festen Stellung! Hin, zum Gold, zur Quelle des Glücks. Lin Tor, wer sich noch mit der Arbeit abquält, wo sich allen jetzt das Goldene Tor des Daseins auftut. – – –

Und Sutters Getreidemühle wurde von allen Arbeitern verlassen. Jeder eilte, um nicht zu spät in den Bereich der Goldfunde zu kommen.

Die ersten Goldwäscher waren also der Schmied Trifield und der Tischler Hudson. Zu denen gesellten sich einige junge Mormonen, unter deren Anleitung und Sorgfalt außerordentliche Ergebnisse gezeitigt wurden. Diese sehr ergiebige Stelle, zu der anfangs alle drängten, erhielt den Namen Mormon Island.

Der Frühling kam und der Sommer, und die kalifornische Einsamkeit wimmelte von Menschen. Alle Länder der Welt hatten ihren menschlichen Kehricht ins neue Goldland ausgespien. Abenteurer, Entgleiste, Verbrecher, zugrunde gegangene Existenzen, Spieler, Hochstapler bildeten die Mehrzahl. Alle rasten in die Berge, um nach Gold zu graben. Die Arbeiter ließen die Ernte im Stich, das Goldfieber war mächtiger als der Trieb, die Ernte und damit das Brot zu bergen. Die Matrosen entliefen von den Schiffen und ließen die Kapitäne allein zurück. Und die Kapitäne ließen ihre Schiffe im Stich und wurden Goldgräber.

Auf Wegen und Straßen, auf Feldern und Bergen traf man nur Leute mit Pickel und Schaufel bewehrt. Oder, wer die Geräte nicht auftreiben konnte, eilte mit einem Eisenstab oder einem Kratzer den Goldminen zu. Selbst die bis jetzt bedürfnislos gewesenen Indianer wurden vom Goldrausch erfaßt. Auch sie gruben nach Gold, um es bei Sutter in – Schnaps einzutauschen. So lernten sie das Feuerwasser kennen und wuschen fortab nur nach Gold, um sich zu berauschen.

Die Demoralisation, die empörende Unkultur, brachten die Weißen den Indianern. Leere Schnapsflaschen konnte man überall auf den Straßen, in Bächen und Flüssen finden. In Sutters-Fort gab es ganze Haufen davon. Denn wer zu den Minen ging oder von dort kam, mußte an Sutters-Fort vorüber. Und vorüber ging keiner, ohne dort einzukehren. Das Fort war der Platz für die, die sich – mit Gold in der Tasche – für die erlittenen Entbehrungen und Mühsale in den Minen hier entschädigen wollten. Das Fort wurde jetzt zum Tummelplatz eines wüsten, wilden, ausschweifenden Treibens. Schauerliche Auftritte waren täglich zu sehen. Spiel, Betrug, Raub, Sauferei und Mord waren bald an der Tagesordnung. Von Gesetz oder ordnungsmäßigen Zuständen war kein Schatten übrig. Die Goldwäscher kamen gröhlend, schreiend, fluchend, verwahrlost ins Fort und verlangten zu trinken. Für den Fusel gaben sie ungemünztes Gold. Sie tranken, tranken, bis sie besinnungslos berauscht in einer Ecke lagen. Wenn sie nach langen Stunden aufwachten, waren ihre Taschen ausgeräumt, ihr Gold fort. Wurden die Ausgeplünderten rabiat, verlangten sie das ihnen gestohlene Gold zurück, so wurden sie von Sutters Kreaturen auf die Straße geworfen und arg zugerichtet. Das Leben und Treiben in Sutters-Fort konnte man sich ekelhafter und gemeiner kaum denken.

In den Minen gab's ebenfalls fast täglich Mord und Raub. Die Mormonen, angewidert von diesem Treiben, verließen deshalb die Minen und wanderten nach den Salzseen.

Johnson hatte sich unter die Goldgräber gesellt und in Mormon Island eine Zeitlang gegraben. Das Resultat schien seinen Erwartungen nicht zu entsprechen, die Arbeit ihm nicht zu behagen. Noch weniger ein hartes Lager im Zelt oder die Wäscherei in der prallen Sonne oder im Regen. Schon am zweiten Tage entfesselte er einen Streit, indem er brutal einen desertierten Soldaten mit dem Messer traktierte. Als mehrere gegen ihn losgingen, setzte er sich auf sein Pferd, das ihn täglich von Sutters-Fort herauftrug, und entfloh. Er blieb dann eine Woche oder zwei fort, kam wieder, grub ein wenig, um dann immer seltener zu kommen.

Er hatte im Fort eine Spielhölle eingerichtet, in der es die ganze Nacht durch hoch herging. Dort hatte er es viel bequemer, den Gimpeln, die in sein Netz gegangen waren, das lautere Gold abzunehmen. Es wurde unehrlich gespielt, und wer so töricht war, zu gewinnen, dem wurde mit Trinken zugesetzt, war er berauscht, wurde er beraubt. So wurde Johnson rasch und mühelos reich.

Lienhard und Rochow hatten, jeder für sich, abseits von Mormon Island, weiter oben im Gebirge zu graben begonnen, beide mit wenig Glück. Lienhard gab die Stelle bald auf, er überließ sie Rochow.

Könnök hatte Lienhard eines Tages einen Wink gegeben, ihm zu folgen. Er führte ihn durch tiefes Dickicht in ein einsam-wildes Tal, das von steilen Felsen umschlossen war.

»Mein weißer Bruder wird hier Gold finden.«

»Und du, Könnök, gibst mir das Geheimnis preis? Die Hälfte von dem, was ich finde, ist dein, wir wollen die Funde natürlich teilen.«

»Könnök will kein Gold. Bringt es meinen roten Brüdern nicht Unglück? Sie tauschen dafür Feuerwasser und sind matt, sind krank, die Kinder sterben davon. Der ganze Stamm geht daran zugrunde.«

»Aber ich werde durch dich reich, und du bleibst arm. Willst du nicht einen Teil annehmen?« – »Könnök ist zufrieden. Und du bist sein Freund.«

»Ja, das bin ich und bleib' ich. Aber kann ich dir gar keinen Wunsch erfüllen?« – »Das kannst du.«

»So sprich, ich werde es tun, wenn es in meiner Macht steht.«

»Zeige keinem deiner weißen Brüder dieses Goldtal.«

»Auch meiner Braut nicht?«

»Frauen sind geschwätzig. Ist das weiße Mädchen verschwiegen?«

»Für sie bürge ich. Zu allen Menschen sonst werde ich schweigen.«

»Und wenn du mir deine Büchse und Kugeln dazu geben willst,« fuhr er zögernd fort, »wirst du Könnök Freude machen.«

»Dein Pfeil trifft den Vogel im Fluge, – willst du mit Pfeil und Bogen nicht mehr schießen?«

»Mein Pfeil trifft sicher. Könnök will lernen, mit der Büchsenkugel zu treffen wie du. Höre noch. Du wirst hier Gold finden, viel Gold. Versteck' es hier, trag es nicht fort. Der schwarze Teufel« – er meinte Johnson – »verfolgt dich, er lauert dir auf. Könnök weiß mehr als er sagt. Aber er läßt seine Augen für dich wach sein.« – »Ich will dir gern folgen. Soll ich das gefundene Gold unter einem Baum vergraben?«

»Dort wirst du es sicher verstecken.« Er zeigte aufwärts und winkte ihm zu folgen. Und Lienhard kletterte hinter Könnök den Felsen hinan, der kahl und steil in die Luft ragte. Er war schwer zu erklimmen. Oben verbreiterte sich das Gestein zu einer Fläche von etwa vier oder fünf Fuß im Geviert. Und aus dem unregelmäßigen Felsenquadrat wies eine armdicke Felsspitze wie ein riesiger Finger als krönender Abschluß des Ganzen zum Himmel. Das Plateau bot nur knapp für zwei Menschen Raum. Wer aber würde so tollkühn sein, da hinauf zu klettern und sein Leben auf dieser Felsschroffe zu riskieren! Denn rings fiel der Fels jäh ab.

Lienhard wurde bedenklich, als er Könnök auf dem Plateau sah.

»Mein weißer Bruder,« lächelte dieser, indem er auf den steinernen Riesenfinger zeigte, »kann sich hier festhalten.« Lienhard kletterte hinauf.

»Und hier, unter unsern Füßen, wird niemand das Gold holen, das du graben wirst.« Könnök bückte sich und hob, nicht ohne Anstrengung, einen der Steine aus seinen mit Gras bewachsenen Fugen. Lienhard sah in eine Vertiefung, die so geräumig war, daß sich ein Wolf in ihr zusammenkauern konnte. »Prächtig, ausgezeichnet! Das hast du gut gemacht, Könnök. Es soll so sein, wie du sagtest.« Könnök ließ den Stein wieder in seine Fugen gleiten. Lienhard sah, wie er das Gras glatt strich und die Erdkrumen entfernte.

Der Abstieg war halsbrecherischer; denn Könnök bestand darauf, daß ihr Weg mitten durchs dichte Unterholz führte bis zum Bache im Tal.

»Hier,« zeigte Könnök, »und da.« Zwischen den Kieseln glänzte es golden. Lienhard bückte sich und sammelte in einigen Minuten etwa eine Unze Gold, die 16 Dollars wert war. – »Leb' wohl,« sagte Könnök. Und bevor Lienhard ihm danken konnte, war er fort.

»Edle, treue Seele,« sprach Lienhard, »besser und uneigennütziger, als es je ein Weißer sein würde. Wahrlich, die Farbe der Haut macht es nicht. Auch nicht, ob man an Christus glaubt oder an Mohammed. Dieser Könnök glaubt an den Großen Geist. Und die Dankbarkeit und Treue. Was braucht es mehr, um ihn zu lieben. Könnök, mein Freund, den Liebesdienst vergesse ich dir nicht. Dann, sobald ich genügend Gold beieinander habe, – fort von hier mit Beate.«

 

Rochow hatte in der von Lienhard aufgegebenen Grube indessen weitergearbeitet, weil die Ausbeute in der seinigen geringer wurde. Er war aber unverdrossen und stieß in einer tieferen Schicht endlich wieder auf Gold. Es war nicht übermäßig viel, und für die angestrengte Arbeit einer Woche oder mehr, war das Ergebnis eigentlich dürftig zu nennen.

Die Goldgräber ringsum beobachteten und kontrollierten einander voll Mißgunst und Eifersucht. Einer suchte vor dem andern seinen Gewinn zu verbergen. Denn wer erfolgreich gearbeitet hatte, konnte eines Überfalls sicher sein. Tat es einer nicht allein, taten sich zwei zusammen, meuchelten den dritten ab, teilten den Raub, bis dann einer der beiden Mörder den andern umbrachte. Die meisten dieser Galgenvögel waren mit Mordwaffen aller Art ausgerüstet. Das Faustrecht herrschte, und Mord war ein Vorkommnis, von dem man nicht viel Aufhebens machte.

.

Rochow hatte ein paar Unzen Gold ausgewaschen und setzte sich gerade auf den Rand der Grube, um zu ruhen, als Johnson wie von ungefähr vorüberkam. Er heuchelte eine große Freude, »den lieben Baron Rochow« nach langer Zeit und bei so einträglicher Tätigkeit zu sehen.

»Da Ihr heißsporniger Schwiegersohn in spe nicht hier ist, darf ich mir wohl erlauben, mich nach dem Befinden der reizenden Miß Beate zu erkundigen? Und Mister Lienhard ist wohlauf? Oh, ich bin ihm gar nicht böse, nicht mehr. Sie können aber meinen Ärger begreifen, denn beinah' hätte er mich durch seine unwahre Auskunft nach St. Louis geschickt, wohin ich wollte, um Sie und Miß Beate wiederzusehen. In der Tat. Nun, ich muß mich trösten, so schmerzlich es auch ist, Sie verstehen, nicht wahr? Daß Sie sich aber, bester Baron, der paar Goldkörner wegen so plagen und schinden. Glauben Sie mir, auf die Dauer lohnt es nicht. Hab' es auch versucht, aber wieder aufgegeben. Die Plackerei ist doch nur für Dummköpfe. Für vornehme Naturen, wie Sie, Herr Baron, und ich und Kapitän Sutter, ist das nichts. Kapitän Sutter, ein smarter Mann, echter Gentleman, sollten Sie kennenlernen. Keine verlorene Zeit, wenn Sie uns im Fort einmal abends die Ehre geben wollten. Machen dann ein nettes Spielchen, unter Gentlemen nur. Mitunter lassen wir gern ein paar der Goldwäscher teilnehmen. Warum nicht? Einmal ist keinmal. Und Gold, wissen Sie, mein Herr, ist Gold. In einer Stunde kann ich da ein paar Tausend Dollars gewinnen, in der Tat, während ich in den Bergen – auf Kosten meiner Gesundheit – tage- und wochenlang schwer arbeiten muß, um ein paar Dollars zu ergattern. Und die langen kaum hin für Speck, Mehl und Brot. Müssen Sie mir da nicht recht geben?«

Rochow lehnte dankend ab. Er brauchte allerlei Ausreden, doch der satanische Verführer ließ nicht ab. Er lockte und lockte und zeigte ihm den mühelosen Gewinn und damit die gleißenden Farben, den Glanz des »Goldenen Tores«, durch das er schon früher einmal – daheim – schreiten und alle Sünden und alle Genüsse der Welt erkaufen wollte. Die Erinnerung daran ließ ihn widerstreben. Auch damals hatte der Versucher ähnlich zu ihm geredet. Und am Ende des teuflischen Spiels war grenzenloses Elend über die Seinen gekommen. Durch sein Verschulden. Und sein Gewissen hatte seitdem keine Ruhe gefunden. In schlaflosen Nächten hatte er sich angeklagt, immer von neuem, und sein armes Herz zermartert. Und jetzt sollte er – –

»Sehen Sie mich, Mister Rochow, früher hatte ich Schulden, jawohl, ich scheue mich nicht, es zu sagen. Und jetzt bin ich schon ein Mann von fast einer halben Million Dollars. – Auf Wiedersehen, und eine herzliche Empfehlung der jungen Frau im einsamen Blockhaus. Der Bräutigam hilft wohl zu Haus?« fragte er hohnvoll lachend.

»Nein, Mister Johnson, Mister Lienhard hat Geschäfte unterwegs. Geht auch auf Jagd.« – »So so, Geschäfte. Er scheint für die Goldgräberei kein Interesse zu haben? Es mangelt ihm an Glück?«

»Glück, wie man's nimmt. Beim Graben verlor er bald die Geduld. Und sehen Sie, ich fand, wenn auch nicht viel, doch eine Wenigkeit.«

»Das Glück scheint mit dem kleinen Erfolg seine Visitenkarte bei Ihnen abzugeben. Nun aber heißt's, herzhaft zugreifen.«

Die Worte machten Eindruck auf Rochow. Das merkte der gerissene Menschenkenner gleich und ließ nicht nach, bis er den Graubart soweit hatte. Er brauchte ja gar nicht zu spielen. Dazu wären genug andere da. Und so viel, um ein Spielchen zu riskieren, scheine er auch nicht zu haben. Aber ein gemütliches Plauderstündchen mit Gentlemen sollte er als Gebildeter nicht ablehnen, wo es doch hier so wenig vornehme Kavaliere gäbe.

»Ich will's nicht verreden, nicht ja und nicht nein sagen. Vielleicht kommt Mister Lienhard mit.«

»Oh, um so besser, würde mich unendlich freuen. Auf Wiedersehen.«

Hundert Schritte entfernt murmelte er: »Soll nur kommen. Werd' ihn von Brandy so vollpumpen, daß er's Nachhausefinden ein paar Tage verlernen soll. Und das Grünhorn, diesen Bräutigam, – er kann sein Testament machen. Und während die junge Schwalbe im Blockhaus auf die Heimkehr der Männer wartet, habe ich Zeit, ihr erneut einen Heiratsantrag zu machen. Lehnt sie den ab, wie in St. Louis, dann – dann – nun, sie mag sich vorsehen – – –.«

Während die immer zahlreicher herbeijagenden Menschen die kalifornische Erde wie die Rasenden nach Gold zerwühlten, nahm die Zuchtlosigkeit, die Unsicherheit für Leben und Eigentum von Tag zu Tag zu. Mord, Raub und andere Verbrechen waren da, wo Goldgräber wirkten. Das war so am Sakramento, am Federfluß, am Yuba und überall sonst. Die Indianer, die sich stets für sich hielten, wurden, wenn sie Gold gewaschen hatten, von den Weißen darum begaunert, indem diese ihnen wertloses Zeug dafür aufhängten oder für Gold im Werte von hundert Dollars eine Flasche mit Fusel, die mit einem Dollar überzahlt war. Die Vertreter der weißen Rasse gingen dann zum offenen Raub über. Sie hielten den indianischen Goldwäschern die Pistole vor mit dem Rufe: »Gib das Gold her oder ich schieße.« Die Armen verloren den Ertrag ihrer Arbeit, oft ihr Leben. Nicht genug damit, begannen sie die Indianer wie Sklaven zu behandeln. Sie zwangen sie durch Drohungen und Schläge, für sie zu arbeiten. Natürlich rissen die Gequälten aus, nicht ohne sich vorher an dem Peiniger gerächt zu haben. Die Folge war, daß die weißen Rohlinge, sobald sie einer Rothaut ansichtig wurden, auf sie losschlugen oder schossen. In den Minen sah man nun keine Indianer mehr. Die Weißen mußten ihre eigenen Knechte sein. Das hatte zwei Goldgräbern, einem Franzosen und einem Engländer, nicht gepaßt. Sie verließen die Mine und erschienen – bis an die Zähne bewaffnet – in einem Indianerdorf am Yuba. Dort ergriffen sie den vierzehnjährigen Aboga und schleppten ihn mit Gewalt fort. Auf das Geschrei des Knaben stellte sich Abogas Vater den Menschenräubern in den Weg, den sie verwundeten. Jetzt erhielt der Franzose einen Pfeilschuß als richtige Antwort. Der Engländer mußte den Jungen freilassen und sich seines verwundeten Kumpans annehmen. Die Pfeilschußwunde war keineswegs tödlich, trotzdem starb der Franzose nach acht Tagen an der Wunde. Und das wurde der Anlaß zu furchtbaren Taten.

Als Lienhard bei Anbruch der Nacht nach Hause kam – er kam jetzt niemals früher, seit er in dem unbekannten Tal Gold wusch –, fand er Beate und ihren Vater in großer Erregung. Rochow erzählte, die Goldgräber planten einen Rachezug gegen die Indianer. Auch ihn hätten sie aufgefordert, teilzunehmen. Sie wollten den Franzosen rächen.

»Oh, die Schande!« rief Lienhard voll gerechter Empörung. »Das sind nun Christen, und das ist die Zivilisation, die sie den ›Wilden‹ bringen: Raub, Qual, Mord, Schnaps und Verderbnis in jeder Beziehung. Ich schäme mich, dieser Rasse anzugehören, schäme mich dieser Mordbuben. Könnök sagte jüngst zu mir, die vielen Weißen täten, wie wenn sie über alles Herr wären. Und doch hätten seine Eltern und Voreltern immer hier gewohnt. Und sie lebten in Frieden und ohne Schnaps und Kaffee und Zucker und brauchten die glänzenden Dinge, Glasperlen und dergleichen, nicht, die die Weißen mitbrachten. Wenn ich an Könnöks Stelle wäre, hätte ich mich längst an den Weißen gerächt, wenn ich der rechtmäßige Besitzer des von meinen Voreltern ererbten Landes wäre.«

»Ja, lieber Sohn, du hast recht. Ich zweifle nicht, daß es unter den Indianern genug Männer gibt, die ebenso denken. Was sollen, was können sie gegen die Übermacht tun. Mit Pfeil und Bogen kommen sie gegen unsere Mordwaffen nicht auf.«

»Auch nicht, lieber Vater,« fuhr Lienhard erregt fort, »auch nicht gegen unsere Grausamkeit, unsern Rachedurst, wenn ich die infame Lüge höre, wenn von den ›zivilisierten, christlichen, humanen‹ Weißen gesprochen wird, sträuben sich mir alle Haare.« Er hing Büchse und Kugeltasche um.

»Wohin gehst du, jetzt bei Nacht?« fragte Beate.

»Wohin ich muß, Geliebte, die Freunde warnen.«

 

Könnök war nicht in seinem Dorfe, als Lienhard ankam. Er kam gerade, als sie dabei waren, ein Schaf zu töten, das zum Abendschmaus bestimmt war. Die Indianer töteten das Tier unblutig und rasch. Zwei Männer hielten das Schaf fest und ein dritter drehte ihm flink den Kopf um. Dadurch brach der Wirbel und der plötzliche Tod trat ein.

Lienhard machte es Vergnügen, den Schmausenden zuzusehen, wie ihnen das Fett aus den Mundwinkeln tropfte. War ein Stück abgetrennt und gebraten, ward es gegessen; währenddem lagen die andern Stücke schon wieder auf dem Feuer. Die Haut verspeisten sie als Delikatesse zuletzt. Sie legten sie mit der Wolle auf glühende Kohlen und aßen sie mit besonderer Wonne. Auch die Därme aßen sie, wobei sie sogar noch die Zehen benutzten, um sie zu halten.

Erst gegen Mitternacht war Könnök da.

»Ich suchte den weißen Bruder, um ihn zu warnen. Der schwarze Teufel aus dem Fort schleicht dir nach. Gib acht auf den Weg.«

»Und ich suche dich, Könnök, mein roter Bruder, um dich zu warnen und deine roten Brüder.« Er erzählte ihm von dem geplanten Rachezug der Goldgräber und verriet ihm, daß der kommende Tag hierzu bestimmt war. – »Du bist gut, und Könnök ist dein Freund. Ich danke dir. Wir gehen fort von hier.« – »Für immer?«

»Für Tage, – bis alles vorüber ist. Wir sehen uns wieder.«

Der Häuptling rief seine Stammesgenossen sogleich zusammen. In wenigen Worten nannte er ihnen die drohende Gefahr. Der armselige Hausrat war bald zusammengepackt. Und noch während Lienhard zusah, wie die Leute alles mit mäßiger Eile für den Aufbruch zusammentrugen und die Pferde sattelten, war alles zum Abmarsch fertig. Der Zug ging in nördlicher Richtung davon. Könnök hatte noch versprochen, Eilboten zu den benachbarten Stämmen zu schicken, um sie zu warnen. Das Dorf war schon völlig verlassen, als Lienhard noch immer sinnend stand und in das verglimmende Feuer sah, das allein Kunde davon gab, daß noch vor kurzem Menschen hier gewohnt hatten.

Lienhard ging nun auf dem ausgetretenen Pfad zurück. Es war inzwischen lange nach Mitternacht. Er hatte nur noch den Wald zu durchqueren, der zum Tal und zu seinem Blockhaus führte. Da pfiff es dicht an seinem Ohr vorüber. Ein Knall erschütterte die Luft, weithin gab das Echo den Donner wieder. Könnöks Warnung war wohl berechtigt gewesen. Er wußte keinen, der ihm feindlich gesinnt war, außer Johnson.

Im Blockhaus ging man noch lange nicht schlafen. Die Aufregung über den versuchten Meuchelmord ließ die Gemüter nicht zur Ruhe kommen. Erst gegen Morgen fanden sie den ersehnten Schlummer.

Rochow war schon mit dem allerfrühesten zur Mine gewandert. Die Abwesenheit des Alten benutzte Lienhard, um mit Beate zu reden. Sie mußte ihm feierlichst geloben, über das, was er ihr zu sagen hatte, zu jedermann zu schweigen. Auch zu ihrem Vater. Sein Leben und die ganze Zukunft hing von ihrem Schweigen ab. Als sie das Versprechen gegeben hatte, erzählte er ihr von Könnök und dem edlen Beweis seiner Freundschaft. Ihm habe er es zu danken, daß er jeden Tag jetzt große Goldmengen fände. Und was fast noch wertvoller sei, das wäre das prachtvolle Versteck. Für Leben und Sterben wollte er es ihr zeigen. Da er auf Könnöks Warnung hin vorsichtig verfahren wollte, machten sie erst Umwege von vielen Stunden, um einen etwaigen Späher irre zu führen. Als er sich dann vergewissert hatte, daß ihnen niemand gefolgt war, führte er sie zu der Stelle seiner Goldfunde und zeigte ihr den bereits angesammelten Goldschatz. Es waren große Blechbüchsen, die die größeren Goldklümpchen bargen und Glasflaschen, die mit feinen Goldkörnern angefüllt waren, »wenn mir das Glück noch einige Wochen so hold ist, dann sind wir reich genug, um von hier fortzugehen und dann – –« – »Und dann?« – »Dann – können wir heiraten.«

Glückstrahlend fiel sie ihm um den Hals, und durch einen Kuß wurde der Bund neu besiegelt.

Rochow war unterdessen auf eine Kiesbank gestoßen, die an einem Tage mehr Gold ergab, als er in den ganzen Wochen zusammen bisher zutage gefördert hatte. Nach ungefährer Schätzung mochte der Wert fünf- bis sechstausend Dollars betragen. Das wäre eine passende Gelegenheit, um ein Gläschen Wein zu trinken und dabei das halb und halb Johnson gegebene Versprechen einzulösen. Schließlich war er doch kein Kind, das man gängeln und behüten mußte, dem man vorschrieb, was es zu sprechen und was es zu verschweigen hatte. Und einen an bitterer Erfahrung so reichen Mann brauchte man wirklich nicht an sein früheres Unrecht zu erinnern, wenn sie auch seit dem Tode ihrer Mutter noch kein lautes Wort, das er als Vorwurf deuten konnte, zu ihm gesagt hatte, so waren doch Beatens Augen beredte, stumme Ankläger gegen ihn. Aber einmal mußte er doch auch davon absolviert werden. Sein Unrecht hatte er bisher schwer getragen und viel gebüßt. Nun sollte man ihm aber auch vertrauen und sollte wissen, daß man ihn zum Spiel nicht mehr bewegen konnte. Er war seiner selbst so sicher, daß er einen Eid leisten wollte, am Spieltisch zu sitzen und dem Spiel stundenlang zuzusehen, ohne die Lust zu bekommen, es wieder einmal zu versuchen. Ja, er getraute sich sogar, eine Runde zu spielen und dann aufzustehen und kein Kartenblatt mehr anzurühren. Er hatte in der Lebensschule gelernt. Vor allem hatte er gelernt, sich zu beherrschen. Und ob nun ein Mann daher kam, der Mister Johnson hieß, oder ob es Kapitän Sutter war oder irgendeine andere namhafte Persönlichkeit, er entbehrte das Spiel nicht und war in die neue Welt gegangen, um daran zu arbeiten, daß er eine neue Existenz und ein Fundament für die Zukunft seiner Tochter gewinne. Das von ihm zutage geförderte Gold betrachtete er nicht als sein Eigentum. Jedes Körnchen gehörte seiner teuren Beate, für die er arbeitete, für die er sparte. Und es war ein törichter Gedanke von diesem Johnson, ihn zum Spiel einzuladen, damit er das mühsam Gewonnene leicht verlieren sollte. »Nein!« rief er laut und stieß den Spaten heftig ins Erdreich. »Und wenn der Teufel und seine Großmutter mich darum bäten, ich rühre keine Karte an. Niemals spiele ich mehr. Was ich mir im stillen so oft gelobt habe, das will ich halten. – Aber das Gelöbnis hindert mich keineswegs, einmal aus der Einsamkeit des Waldes herauszutreten und mal wieder unter Menschen zu gehen, mit denen man ein Stündchen ungestört verplaudern kann. Darin hat dieser Johnson recht. Schließlich verbauert man ja vollständig, wenn man weiter nichts sieht und hört als diese plumpen Goldgräber. Und Beate ist auch in der letzten Zeit so wortkarg gewesen, und Lienhard läßt sich nur bei Nacht sehen. Was er bei Tage treibt, weiß ich nicht. Und wenn er Gold graben sollte, warum würdigt er mich nicht seines Vertrauens? Bin ich ihm denn ein Fremder? Es scheint aber, daß er nichts zutage fördert. Er bringt kein Goldkorn nach Hause. Nun, da bin ich doch glücklicher gewesen. Die Ausbeute des heutigen Tages ist doch außerordentlich.«

Er packte seinen Reichtum zusammen und schlug den Weg nach dem Blockhaus ein. Dort schüttete er ihn vor Beate aus, die vor freudiger Verwunderung die Hände zusammenschlug. Dann, nach dem Abendessen, stelzte er davon, ohne ihr weiter etwas zu sagen, als: ich mache nur einen kleinen Spaziergang und komme bald zurück.

Den Weg nach dem Fort hatte er unterschätzt. Er dauerte mehrere Stunden. Erst in der Nacht langte er an. Das Fort lag aber nicht in völliger Finsternis, wie er gedacht hatte. Es kamen Menschen und gingen, und aus dem großen Hause scholl Lärm und Schreien. Da war ein schlafmütziger Kerl, halb berauscht, der fragte ihn, wo er hin wollte.

»Zum Kapitän Sutter.«

»Sutter. Soso. Den finden Sie unten. Hier um die Ecke, die Treppe hinunter, im Keller.«

Rochow konnte nicht fehl gehen. Aus den Fenstern des Kellergeschosses drang Tabaksqualm, scholl wüstes Rufen und Gläserklingen. Er stieg die Treppe unlustig hinunter und fand sich in einem weiten Raum, in dem an einem langen Tisch das schmutzigste Gesindel stand und saß. Goldgräber waren es, das sagt genug. Jeder dieser Burschen trug eine Binde oder einen breiten Riemen um den Leib, in dem die Stoß- und Schießwaffen steckten. Man beachtete den Eintretenden gar nicht. Er war an den Tisch herangetreten, an dem er nur Johnson erkannte, der in Hemdsärmeln mit weingerötetem Gesicht dasaß und die Karten zum Hasardspiel auflegte. Gold in gemünzten Stücken oder in zutage geförderten oder zusammengeschmolzenen Barren und Körnern lag auf dem Tisch. Sobald Johnson gewann, häufelte er das Gold in einen neben ihm stehenden, mächtigen Eisenkasten, dessen schwerer Deckel jedesmal ins Schloß schnappte, wenn er ihn fallen ließ.

Rochow stand so eine Weile und sah dem Treiben zu, das von Flüchen und rohen Späßen begleitet war. Dazwischen wurde unablässig getrunken. Bevorzugt wurden Brandy und Drinks mit phantastischen Namen. Dazu forderte Sutter, der neben Johnson saß, in einemfort auf. Die Spieler saßen mit blöden, verschwommenen Augen da und gossen den Fusel durch die Kehle. Manche waren schon entschlummert.

.

Andere lagen mit dem Kopf auf dem Tisch. Und wieder andere erhoben sich mühsam und torkelten in eine dunkle Ecke des weiten Raumes, um da ihren Rausch auszuschlafen. Einer der Trinker hatte einen hirschledernen Beutel vor sich. Er war so betrunken, daß er gar nicht hörte, was der Bankhalter ihm zurief. Er holte eine Handvoll nach der andern des edlen Metalls heraus und warf das Gold vor den unersättlichen Johnson hin. Dann leerte er den ganzen Beutel um, so daß der ganze Tisch von dem Gold überrieselt wurde. Dann nahm er den Lederbeutel und schlug ihn dem Bankhalter ein paarmal ins Gesicht, um dann selbst schwer wie ein Klotz umzufallen. Die Spieler stießen ihn mit den Füßen beiseite. Auf den leer gewordenen Platz setzte sich ein anderer, und um den am Boden Liegenden kümmerte sich keiner.

Da blickte Johnson auf und sah Rochow. Er stand auf und tat überglücklich, als ob Rochow sein bester Freund wäre. Das Spielen erfuhr eine kleine Unterbrechung.

»Einen Augenblick, Gentlemen! Wir haben einen hohen Gast unter uns. Mister Rochow, ein deutscher Baron, der uns die Ehre seines Besuchs zuteil werden läßt. Bitte, Platz für Mister Rochow!«

Ohne Umstände packte er den Mann, der mit dem Gesicht auf dem Tisch lag und schlief, am Genick, zog ihn vom Stuhl in die Höhe, schleifte ihn zur Tür und setzte ihn in deren Nähe unsanft auf den Boden. Diese Prozedur fand allgemeinen Beifall. Auf dem leer gewordenen Platz, Johnson gegenüber, mußte Rochow Platz nehmen. Der Aufwärter hatte auf Sutters Geheiß ein paar Flaschen mit Wein gebracht. Es wurde eingeschenkt und auf das Wohl des neuen Gastes getrunken. Auch von den Umsitzenden bekam jeder sein Teil, denn Sutters und Johnsons Taktik war, den Spielern soviel Alkohol als möglich einzuflößen, damit sie beim Spielen – oder Falschspielen – um so rascher ihren Gewinn einstreichen könnten. Von allen Seiten wurde nun auf das Wohl Rochows getrunken. Johnson heuchelte immer wieder von neuem seine Freude über die Ankunft seines Freundes. Er betonte, daß Rochow heute sein Gast sein müsse und daß er nicht dulde, daß dieser auch nur einen Cent hier ausgeben würde. Rochow war ganz verwirrt und gab sich schließlich mit allem zufrieden.

Als von dem allzu reichlichen Alkoholgenuß seine Glieder schwer wurden – er hatte seit einem Jahr fast keinen Tropfen getrunken – und er sich anschickte sich zu erheben, brauste Johnson auf, das würde er als eine Beleidigung empfinden. Das wäre eine Verletzung des Gastrechts, und ähnliche Phrasen mehr sprudelte er hervor. Rochow war auch gar nicht mehr imstande, sich zu sträuben. Der Alkohol hatte seine Nerven lahm gelegt, und jeder neue Zutrunk, wie er ihm reichlich dargebracht wurde, verwirrte seine Sinne immer mehr. Als Johnson ihn nun fragte, ob er nicht noch ein kleines Spielchen riskieren wolle, war er völlig willenlos und ließ alles mit sich geschehen. Da er kein Geld oder Gold bei sich hatte, so wurde ihm der Verlust kreditiert. Als er soviel getrunken hatte, daß er mit dem Kopf hinten überfiel, stellte Johnson vor »ehrenwerten Zeugen« fest, daß Mister Rochow an ihn 9000 Dollar im Spiele verloren habe. Er schrieb das Resultat auf ein Blatt und ließ einige seiner Freunde ihre Namen darunter setzen. Rochow wurde dann irgendwo für die Nacht untergebracht. Die Spielhölle löste sich erst gegen Morgen auf. Etwa so, wie die Raubtiere von der Prärie verschwinden und in ihre Höhlen kriechen, wenn die Sonne am Himmel erscheint.

 

Ein Tag der Schmach und Schande für die Weißen und ihre Zivilisation brach an. Vierzig weiße Goldgräber hatten ihren Rachezug gegen die Indianer angetreten. Das Indianerdorf am Sakramento wurde überfallen. Bis dahin schienen Könnöks Boten noch nicht gekommen zu sein. Ahnungslos traten die Menschen vor die Türen ihrer Behausungen. Kinder und Frauen liefen neugierig herbei, um zu sehen, was so viele Weiße bei ihnen wollten. Da fielen auch schon die Schüsse mitten in die Menge. Kreischend flüchteten alle, und als die »Helden« sich umsahen, war alles im nahen Walde verschwunden, nur ein paar Frauen- und Kinderleichen lagen auf dem Boden. Dann zogen sie weiter nach Kalama hinauf ins Gebirge. Dort – da sie mit dem »Erfolg« am Sakramento nicht zufrieden waren – hatten sie sich in Banden geteilt, um von allen Seiten das Dörfchen zu überfallen. Da entkamen nur sehr wenige von den Eingeborenen. Einem Indianer waren zwei Kinder gestorben. Der Vater war gerade dabei, zwei kleine Gräber in der Nähe seines Hauses auszuheben. Da kamen die wohlbewaffneten Banden der Weißen und schossen ohne jede Veranlassung den Vater und die trauernden Verwandten nieder. Nachdem sie diese Schandtat verübt hatten, war der Anführer der Bande noch so frech, einen von den Überlebenden zu fragen, ob er ihm gutwillig Ochsen verkaufen wolle.

Die Menschenjagd auf die armen Naturkinder ging weiter. Doch je höher sie in die Berge kamen, um so weniger Menschen fanden sie. Da hatten Könnöks Boten ihren Auftrag ausgerichtet. Die auf so sinnlose Weise erschossenen Indianer hatten sie ihrer Kopfhaut beraubt und den Skalp an den Zaum ihrer Pferde gehängt. Das waren die »Heldentaten« der eingewanderten Weißen in Kalifornien. Im Blutrausch hatten die Goldgräber friedliche Menschen gemordet, und kein irdischer Richter fand sich, um die Greueltaten zu sühnen. Nach einiger Zeit kehrten die Geflohenen in ihre verlassenen Dörfer zurück. Könnök jedoch war schon am nächsten Morgen da, um zu rekognoszieren, und hielt sich in der Nähe verborgen. Die Entdeckung des Goldes in Kalifornien ist unlöslich mit den Schandtaten der weißen Einwanderer verknüpft. Diese bilden die Veranlassung zu den in den nächsten Jahrzehnten sich immer wiederholenden vergeltenden Bluttaten der Indianer.

 

»Dem Vater muß was geschehen sein!« Mit diesem Rufe alarmierte Beate in aller Frühe ihren Verlobten. »Er sagte, ich komme bald wieder, nachdem er mir den reichen Ertrag des Tages auf den Tisch geschüttet hatte. Das mochte gegen Sonnenuntergang gewesen sein. Seitdem habe ich auf seine Heimkehr gewartet. Ich habe kein Auge zugemacht. Haben ihn die Indianer überfallen? Oder sollte er mit trunkenen Goldgräbern zusammengekommen sein?«

»Die Indianer tun ihm nichts. Darauf möchte ich wetten. Und was sollten die Goldgräber bei einem alten Mann für Schätze suchen? Es kann aber sein, daß er in Unkenntnis der Wege eine andere Richtung eingeschlagen und sich verirrt hat. Sicherlich sitzt er wohlgeborgen in einem Indianerdörfchen. Paß auf, daß er zum Frühstück wieder zurück sein wird.«

Beate ließ sich von den Worten Lienhards etwas beruhigen. Doch ihre Unruhe konnte sie nicht ganz verscheuchen. Der Morgen war so schön, daß eine trübe Stimmung jedoch nicht so recht aufkommen konnte.

»Und dann,« fuhr Lienhard, um sie noch mehr zu beruhigen, fort, »du kennst ja mein Versteck. Solltest du mich nötig haben, brauchst du mich nur zu holen.«

Sie begleitete ihn vor die Tür und sah ihm nach, wie er mit der Büchse im Walde verschwand, die er immer mit nahm. Einmal zu seinem Schutz, und dann, um alle irre zu führen. Jeder sollte glauben, er wäre ein eifriger Nimrod und kümmerte sich keinen Deut um die Goldwäscherei. Beate ging ins Haus zurück, ihrer Arbeit nach und merkte nicht, daß etwa eine Stunde später Johnson eingetreten war.

»Herr Lienhard nicht zu Hause, wie ich vermute? Ich nehme mir daher die Freiheit, Ihnen, schönstes Fräulein, meine Aufwartung zu machen.« Beate überlegte, ob sie aus dem Hause gehen oder ihm die Tür weisen solle. Er schien ihre Gedanken zu erraten. Deshalb beeilte er sich, ihr zu sagen, daß er von ihrem Vater käme und einen Gruß bestellen solle.

»Sie wissen, wo mein Vater ist? Ist ihm etwas zugestoßen?«

»Ihr Vater ist in Sutters-Fort, wo er mich gestern Abend besuchte. Ich hatte ihn wiederholt eingeladen, und auch Kapitän Sutter hatte das Verlangen, Ihren Vater kennenzulernen.«

»Und was weiter?«

»Ihr Vater hat sich anscheinend das lange genug überlegt, bis er gestern Abend uns durch seinen Besuch überraschte. Wir haben dann ein Gläschen miteinander getrunken und auf Ihr Wohl besonders angestoßen.« Beate ahnte instinktiv, daß sich hinter den Worten des schlauen Johnson noch allerlei verbarg. Sie fragte deshalb wieder: »Und was weiter? was ist sonst noch geschehen?«

»Sonderbare Frage, was sollte denn geschehen? Ihr Vater hat sich in der Gesellschaft der netten Gentlemen sehr wohl gefühlt, wir haben einen Drink nach dem andern auf Ihr Wohl genommen, und schließlich ist er etwas schläfrig geworden. Der Weg war ihm zu weit, und zum Nachhausegehen war es zu spät. Und dann haben wir ihn im Fort einquartiert, und nun schläft er noch und wird, sobald er munter ist, herauskommen.«

Beate hielt ihre zornerfüllten Augen auf den Sprecher gerichtet. Sie sah ihn eine Weile an, dann sagte sie: »Wie konnten Sie, wenn mein Vater noch schläft, von ihm erfahren, was Sie mir jetzt bestellt haben?«

»Konnte Ihr Vater nicht inzwischen einmal aus seinem Rausch aufgewacht sein? Machen Sie sich keine Sorge um ihn. Er hatte einen vergnügten Abend gehabt, und das sollten Sie dem alten Herrn gönnen. Ich weiß wohl von seinem Vetter in St. Louis, daß er in den letzten Jahren argen Kummer gehabt hat. Wollen Sie ihm nicht das kleine Vergnügen, die bescheidene Abendunterhaltung und das Glas Wein gönnen? Wenn er auch etwas über den Durst getrunken hat, es scheint, er verträgt nicht viel, so lassen Sie ihn schlafen. Wer schläft hat keine Sorgen. Sehen Sie, ich habe Sorgen und bin schon vorzeitig unterwegs und schnell herbeigeritten. Sie allein wären imstande, meine Sorgen zu verscheuchen. Was meinen Sie, schönstes Fräulein, wenn ich Sie erneut bäte, die Meine zu werden. Ich habe genug erspart. Ich hoffe bis zum Herbst mein Vermögen zu verdoppeln. Wenn ich dann meine Ländereien am Sakramento noch gut verkaufe – und das hält nicht schwer bei der großen Einwanderung –, dann bin ich Millionär. Ich würde dann nach den Staaten gehen oder nach Europa oder wohin es Ihnen sonst gefällt. Nun sprechen Sie ein gutes Wort. Lassen Sie Vergangenes vergangen sein und glauben Sie mir, eine bessre Partie können Sie nicht machen. Und ich könnte kein schöneres Mädchen als Sie finden.«

Als Beate weiter schwieg, und als er nichts weiter vorzubringen hatte, als dieselben Phrasen von seinem Reichtum und seiner großen Zuneigung zu ihr zu wiederholen, begann er ungeduldig zu werden. Er änderte den Ton und sprach herrisch: »Sie wollen mir also nicht antworten. Ihr Schweigen ist beleidigend. Sie ziehen also das Grünhorn, der ein unreifer Bursche gegen mich ist, mir vor? Nehmen Sie sich in acht. Ich lasse nicht mit mir spaßen. Ich habe im Leben alles durchgesetzt, was ich wollte. Und ich will, daß Sie mein werden. Besinnen Sie sich, ob Sie sich stark genug fühlen, mir zu trotzen.«

Mit verhaltenem Zorn entgegnete Beate: »Sie mißbrauchen das Gastrecht. Niemand hat Sie ersucht, hier einzutreten.«

Als er darauf etwas einwerfen wollte, fiel sie ihm ins Wort: »Auch mein Vater nicht. Ich glaube Ihnen kein Wort. Sie wissen, daß ich verlobt bin. Niemand hat Ihnen ein Recht gegeben, so zu mir zu reden, wenn Sie so dreist sind, weil Sie mich schutzlos glauben, so irren Sie sich. Und ich geben Ihnen die Worte, die Sie mir eben zuriefen, zurück: Nehmen Sie sich in acht.«

Johnson lachte. »Sie wollen mir drohen? Etwa mit diesem Mister Lienhard? Oder gar mit Ihrem Vater, der mir 9000 Dollars schuldet? Ja, ja, machen Sie nur große Augen. Seit heute Nacht ist er mir die Summe schuldig. Hier sehen Sie ein Protokoll, von Zeugen unterschrieben, damit jeder sieht, daß das Spiel rechtmäßig gespielt worden ist.«

Beate war erblaßt. Diese Nachricht hatte sie nicht erwartet. Um so schmerzlicher wurde sie von der Tatsache getroffen. Den Rückfall in seine alte Spielleidenschaft mußte sie Johnson glauben. Ob die Höhe der Summe, die er vorwies, richtig war, konnte sie nicht nachprüfen. Wenn dem aber so war, sollte er bezahlt werden. Soviel Gold war sicher schon beisammen, »Wenn Ihnen mein Vater den Betrag, den Sie nannten, schuldig ist, dann wird er Ihnen die Summe auch bezahlen. Jetzt aber muß ich Sie ersuchen, das Haus zu verlassen. Tun Sie es nicht, so tue ich es.« Und schon war sie an ihm vorbeigeschlüpft und zum Hause hinaus. Es blieb ihm nichts übrig, als zu folgen.

»Allright« sagte er. »So weit sind wir. Aber wir sind noch nicht zu Ende. Das Spiel mit Ihnen gebe ich noch nicht verloren. Überlegen Sie es sich. Sie sind so klug, wie Sie schön sind. Wiegt ein junger Habenichts in Ihren Augen nicht mehr als ein Millionär? Ich lasse Sie nicht aus den Augen und werde wiederkommen.« Er pfiff seinem Gaul, der in der Nähe graste, schwang sich in den Sattel und ritt davon.

 

»Zünde das Licht nicht an, Beate, mein liebes, armes Kind. Laß mich dir sagen, wie mir's um mein bedrücktes Herz ist. Ich schäme mich vor dir, schäme mich vor Lienhard. Laßt mich reden und im Dunkeln sitzen. Wahrhaftig, ich kann euch nicht in die Augen sehen.«

Der alte Rochow machte eine längere Pause, ehe er fortfuhr.

»Könnt's nicht, weil ich mein Wort gebrochen habe, das ich mir selbst gab. Ich allein bin schuldig. Ich brauchte ja nur fest zu bleiben und den Teufel nicht herauszufordern. Das Gold verführte mich. Darf ich dem toten Metall die Schuld aufbürden? Nein, Kinder, ich verdien' nicht, daß ich lebe, ich bin's nicht wert. Und ich bin entschlossen –«

»Du sprichst unvernünftig, Vater, glaub' mir das, deine Zerknirschung und Reue, – gut, dagegen hab' ich und Beate nichts einzuwenden. Aber der Stärkste wäre den Lockungen eines so raffinierten Gauners erlegen. Du hast dich tapfer gehalten, aber vom mühelosen Gewinn verleiten lassen. Ob da nicht auch ein Anderer gestrauchelt wäre? Was mühelos gewonnen wird, achtet der Mensch nicht. Er verschleudert's, vertut's wieder, als ob's nicht gewesen wäre. Der Verlust schmerzt nicht. Und deshalb beginnt mir vor dem zuströmenden Gold zu grausen. Es flößt mir Angst ein, weil ich weiß, daß es andere verleiten wird, es mir zu rauben und mein Leben zu bedrohen. Die Entdeckung des Goldes in Kalifornien scheint ein großes Unglück für die Menschen zu sein. Von einer friedlichen Entwickelung, vom Ackerbau und dergleichen ist doch keine Rede mehr. Unser angebautes Feld, unser bepflanzter Garten, – kümmert sich einer von uns darum?«

»Ja, ich,« rief Beate.

»Ja, du, Liebchen. Du hast einige Melonen und Kartoffeln geerntet, im übrigen ist alles verdorrt. Das Gold hat uns in seinen Bann geschlagen, wir graben Gold, wir suchen Gewinn ohne Mühe. Aber der Segen ruht nur auf der Arbeit, wenn sie mit Schweiß vollbracht wurde, wenn sie Mühe gemacht hat. Meine Ansicht zu dem, was dich, lieber Vater, und den Mister Johnson betrifft, wäre: wir wollen keinen Streit mit dem Ehrenmann und keinen Rechtshandel daraus machen, in dem doch nur der siegt, der am raschesten den Gegner niederknallt. Wie gewonnen, so zerronnen. Du sagst, du hättest gar nicht gespielt. Ich glaube es, du warst angetrunken und deiner Sinne gar nicht mehr mächtig. Mister Johnson und seine Miträuber werden das Gegenteil beeiden. Nicht du, – ich reite morgen früh zum Fort, um deine Spielschuld zu begleichen. Damit sind wir den Kerl los und den Verdruß. Was macht's aus! In ein paar Tagen hast du neues Gold gefunden.«

Rochow ließ sich mit solchen Worten nicht beruhigen. Sein Gerechtigkeitsgefühl wehrte sich dagegen, einem Falschspieler die Früchte seiner Arbeit so ohne weiteres auszuliefern. Ihm war durch das Vorkommnis der ganze Aufenthalt verleidet. Seit die wüsten Goldgräber ihr Unwesen trieben, war ihm das ganze Land ein Greuel. An eine Besserung der rechtlosen Zustände mochte er nicht glauben. Jeder Tag brachte neue Scharen von Gold suchenden Abenteurern und jeder suchte sich zu behaupten, indem er die Roheiten der andern überbot. Er machte aus seinem Abscheu gar keinen Hehl und wünschte, eher heute als morgen seine Zelte abzubrechen. – »Und wohin möchtest du?« fragte Lienhard. »Willst du in die Staaten ziehen? Willst du zurück zur Prärie?«

»Wenn ich sagen sollte, was ich empfinde, so wünschte ich mir, ich hätte dieses Land nie gesehen. Ich wäre daheim geblieben. Vielleicht ist das neue Land etwas für jüngere Leute, die sich den Menschen anpassen. Ältere Menschen in fremde Länder zu verpflanzen, ist nie gut.«

»Ach Vater!« rief Beate. »Du hast mir aus der Seele gesprochen. Ich bin zwar auch noch jung, aber ich kann mich auch hier weder an die Menschen noch an das Land gewöhnen. Und ich weiß auch, meine Ansicht wird in fünf Jahren und in zehn Jahren noch dieselbe sein wie jetzt. Ich zähle die Tage, die uns noch an dieses Mordland fesseln.«

»Gut also. Das ist wenigstens klar und deutlich. Die Majorität ist dafür, fortzugehen, nach Europa zurückzukehren. Ich schließe mich der Majorität an,« sprach Lienhard.

»Herrlich!« rief Beate. »Wann darf ich die Sachen packen?«

»Eile mit Weile. Bis morgen werden wir kaum zur Abreise fertig sein. Es können noch Wochen vergehen, ehe wir daran denken können. Oder es müßte sich ein Käufer für unser Land finden. So billig, wie wir es erstanden haben, brauchen wir es nicht loszuschlagen, denke ich. Der Wert ist doch sicher gestiegen.«

Es wurde des längeren hin und her debattiert, wann die Rückreise anzutreten wäre und wie sie am besten, das heißt am sichersten und unberaubt in einen sichern Hafen gelangen könnten. Denn das war allen klar, wenn sie jetzt fortgehen würden, kämen sie nicht ungerupft aus der Umgebung heraus. Jedenfalls waren sie sich darüber einig, in Kürze das Land zu verlassen. Bis dahin würde sich ja noch etwas Gold abbauen lassen. Wenn sie das Land verkauften, kam immer ein tüchtiges Stück Geld zusammen, das ihnen die Rückreise ermöglichte.

Rochow war von der Unterredung sehr gerührt. Er gelobte heilig und fest, über die Absicht mit niemandem zu sprechen und auch nie wieder nach dem Fort zu gehen.

Am nächsten Tage hatte Lienhard auf seiner Wage soviel Gold abgewogen, als die Spielschuld betrug. Er steckte auch noch etwas mehr in einen kleineren Beutel. Der Ritt verlief ohne Zwischenfall. Im Fort wurde er von Sutter zuvorkommend empfangen und Johnson wurde herbeigeholt. Johnson reichte ihm freundlich die Hand entgegen, als ob er niemals auf ihn hinterrücks geschossen, als ob er ihn niemals beleidigt hätte. Lienhard tat, als sähe er das nicht. Er war in seinem Auftreten kühl. Seine Worte waren gemessen.

»Es ist mir lieb, Herr Kapitän, daß Sie unserer Unterredung beiwohnen. Ich komme von meinem künftigen Schwiegervater, Herrn von Rochow, um Mister Johnson 9000 Dollars in Gold zu zahlen. Sie behaupten doch, Herr Johnson, daß Herr von Rochow diese Schuld bei Ihnen kontrahiert hat?« – »Ja, Herr. Er hat sie im Spiel bei mir verloren. Dafür sind eine ganze Anzahl Zeugen vorhanden.«

»Herr von Rochow behauptete aber, er wäre berauscht gewesen, als er das Spiel begann, so daß er gar nicht Herr seiner Vernunft und seines Tuns war. Wenn Sie das nicht bestreiten, so wundere ich mich, daß Sie auf Zahlung der Schuld bestehen, die wirklich nicht kontrahiert sein kann, denn mit einem Unvernünftigen kann man doch nicht spielen.«

»Ich habe Ihnen darüber keine Rechenschaft zu geben!« brauste Johnson auf. »Die Zeugen sind da, die dem Spiel beigewohnt haben. Der Betrag ist an mich verloren worden und an mich zu zahlen. Zahlt er nicht, dann treibe ich mir das Geld schon ein, darauf können Sie sich verlassen.«

»Ich möchte die Unterredung,« entgegnete Lienhard, »beendigen. Sobald Sie diese Empfangsquittung unterzeichnet und erklärt haben, daß Sie keinerlei Ansprüche an Herrn von Rochow dann mehr haben, werde ich Ihnen in Gegenwart des Herrn Kapitäns hier die 9000 Dollars in Gold auszahlen.«

Johnson prüfte das Papier und unterschrieb. Nachdem es Lienhard in seine Tasche gesteckt hatte, holte er seine Wage heraus.

»Überzeugen Sie sich, meine Herren, daß die Wage stimmt, prüfen Sie auch die Gewichte.«

Als dieses geschehen war, schüttete er aus dem mitgebrachten Ledersack Gold auf, und zwar so lange, bis der geforderte Wert erreicht war.

Mit funkelnden Blicken verfolgte Johnson die Prozedur. Er sah auch, daß der Lederbeutel bis auf das letzte Körnchen seinen goldglänzenden Inhalt auf die Wage entleert hatte. Auch Lienhard hatte die gierigen Blicke seines Todfeindes gesehen, und um ihn irre zu leiten, seufzte er schwer und sprach: »So ist denn unsere gesamte Arbeit von vielen Monaten auf einmal fort. Nun sind wir so arm, wie zu Anfang.«

Johnson trug sein Gold gleich aus dem Zimmer. Als Lienhard mit Sutter allein war, fragte er ihn, ob er nicht eine gute Büchse hätte, die er ihm verkaufen wollte. Auch ein paar Pistolen wolle er kaufen. Er gab vor, daß seine Büchse nichts mehr wert sei, und daß er auch für Herrn Rochow eine Handwaffe haben müßte. Ja, auch seiner Braut wollte er eine Pistole mitbringen.

Sutter hatte alles bei der Hand. Sie wurden handelseinig, und Lienhard zog mit einer guten Kentuckybüchse, einem Pulverhorn und einem großen Beutel mit Kugeln davon. Auch für die drei Pistolen, die er sich gekauft hatte, hatte er sich einen guten Kugel- und Zündvorrat erstanden. Er zahlte aus dem kleinen Beutel mit Gold und saß bald wieder im Sattel. Unterwegs stieß er unvermutet auf den Schmied Trifield, der ihn freundlich begrüßte. Lienhard erzählte ihm von dem Handel, den er mit Johnson gehabt hatte, und daß er ihm soeben einen Haufen Gold, um des lieben Friedens willen, abgeliefert hätte. Trifield war wütend und schimpfte auf Johnson. Er war der Ansicht, daß man dem Kerl ein paar Zoll kaltes Eisen hätte zwischen die Rippen jagen müssen.

»Sie sehen, lieber Trifield, wie es uns geht. Wir graben jeden Tag, und nun holt's der Kuckuck auf eine solche Art. Wir sind unlustig und wollen weg. Unser Blockhaus und unser Stück Land würde ich gern verkaufen, wenn ich einen Käufer fände, der mir das Geld gleich auszahlte. Allerdings müßte er mehr geben, als ich bezahlt habe.«

»Wenn Sie einen Käufer suchen, dann haben Sie ihn schon. Mein Freund Hudson und ich, wir nehmen's unbesehen. Sagen Sie den Preis.«

»Besuchen Sie uns eines Abends auf eine Pfeife Tabak. Dann wollen wir es absprechen.« Trifield versprach, an einem der nächsten Abende zu kommen und Hudson mitzubringen.

Trifield hatte nichts Eiligeres zu tun, als die Nachricht brühwarm Sutter zu bringen, und auf diese Weise erfuhr auch Johnson den Plan.

»Eigentlich täte es mir leid, wenn er wegginge, der Lienhard,« sprach Sutter. Der Trunkenbold war ausnahmsweise nüchtern, als er das sagte. Auch von der Verpflichtung, die er gegen ihn hatte, sprach er.

»Glauben Sie ihm nicht,« tröstete Johnson. »Das ist schnell gesagt. Aber zwischen Reden und Vollbringen klafft noch ein weiter Spalt. Der Habenichts hat ja sein letztes Körnchen Gold hier gelassen. Wenigstens sagte er so. Aber ich mißtraue ihm. Meine Späher erzählen etwas anderes. Richtig ist nur, daß der alte Rochow das Gold gegraben hat. Es mag wohl auch etwas von ihm dabei sein. Wo steckt aber der Bursche den ganzen Tag? Daß er jagen geht, kann er einem andern weiß machen. Ich glaube ihm kein Wort. Es ist ganz sonderbar um diesen Jäger und diese Jagd bestellt. Meine Leute haben ihn noch niemals schießen hören und ich auch nicht. Ja, mein lieber Kapitän, in dem Grünhorn täuschen wir uns beide. Wissen Sie, was ich von ihm halte? Das ist ein ganz Schlauer. Der ist nicht so leicht zu fangen. Der hat irgendwo eine gute Goldquelle entdeckt und da gräbt er. Und wenn er sich noch eine Büchse dazu gekauft hat und die auch noch um die Schulter hängt, so glaube ich ihm doch nicht, daß er jagen geht. – Die 9000 Dollars haben Sie hier auf dem Tisch gesehen, wo soviel war, steckt noch mehr. Und ein solcher Goldfisch sollte uns durch die Maschen gehen? An den Spieltisch ist er nicht zu locken. Von offener Gewalt sind Sie als Vertreter der Regierung kein Freund?«

»Nein, lieber Johnson. Nur kein Blutvergießen. Das darf nicht sein. Wenn's in der Stille zu machen ist, weshalb Lärm schlagen?«

»Ich bin ja auch dafür und habe deshalb das Netz um ihn aufgestellt. Es gibt keinen Weg, mein lieber Kapitän, der nach San Franzisko führt, weder auf dem Flusse noch auf dem Lande, den ich nicht mit zuverlässigen Männern besetzt hätte. Überall wird er auf mein Geheiß angehalten. Und setzt er sich zur Wehr – fort mit ihm. Das Gold soll uns nicht entgehen. Er soll nur fleißig sein und soll recht viel graben und sammeln und fußhoch anhäufen. Es entgeht uns nicht, wie uns keiner entgeht, der in unsere Netze geraten ist.«

Die beiden Biedermänner sahen sich verständnisinnig an und lachten. Und weil Sutter jede Gelegenheit ergriff, um zu trinken, so rief er nach dem Aufwärter und nach Wein. Wie aus dem Boden gewachsen stand der indianische Junge vor ihm. Hatte er gelauscht? Wo kam er plötzlich her? Er brachte Flaschen und Gläser und zog sich wieder zurück.

Es war Nye, ein zu Könnöks Stamm gehöriger, intelligenter Junge von etwa 16 Jahren, der im Fort Aufwärterdienste tat.

 

Noch vor Tau und Tag war Lienhard zur heimlichen Arbeitsstätte gepilgert. Ihm lag daran, einen Überblick über den gewonnenen Reichtum in seinem Felsenversteck zu haben. Er hob den Stein, der die Schätze verbarg, und wog mit der Hand die Schwere des Reichtums. Er überzählte die vielen Behälter, in denen das Gold gleißte und blitzte. Wenn der Preis der Unze mit Dollars bezahlt wurde, so wäre er schon im Besitz eines Vermögens, das nach Hunderttausenden zählte. Auf was wollte er noch warten. Das war genug, um in der Heimat einen guten Landbesitz zu erwerben und sorgenfrei zu leben. Er ließ den Stein wieder zurückfallen, entfernte alle Spuren, so wie er es bei Könnök gesehen hatte, und kletterte durchs Dickicht ins Tal. Ihm war heute so überselig zumute. Ganz anders sah er die Sonne und die Welt ringsum an. Jetzt hatte er die Mittel, um dieser Hölle zu entfliehen. Er arbeitete und hatte nach wie vor Glück. Er fand heute wieder mehr, als er je erhofft hatte. Auf einen kahlen Erdfleck hatte er das blitzende Metall gehäuft. Eine Weile stand er dabei und sah zu, wie die Sonne das ihr so ähnliche Metall mit Glanz übergoß.

Auf dem Kies knirschte ein Schritt. Er wandte sich um und Könnök stand vor ihm. Nachdem sie sich begrüßt hatten, erzählte ihm Lienhard alles Vorgefallene. Könnök nickte bedächtig.

»Ich höre, was mein weißer Bruder sagt. Ich höre auch, daß er das Land meiner Väter verlassen will. Das macht mich traurig. Was soll Könnök tun? Hier ist sein Leben und das Leben seiner roten Brüder vor den weißen Teufeln nicht sicher. Wir beraten, ob wir nicht besser tun, fortzuziehen und drüben, über dem Fluß, uns eine neue Heimat zu bauen.« Die beiden Männer setzten sich in den Schatten eines Felsens. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Keiner sprach ein Wort. Könnök, der Pfeil und Bogen trug, hatte seine Waffen beiseite gelegt und sein großes Dolchmesser ins Erdreich gestoßen. Er tat das mehrere Male hintereinander, bis er im Geviert ein Stück Erde losgelöst hatte. Er hob weitere Erdstücke auf, und siehe da, es lagen Goldkörner da. Er hob sie auf und warf sie Lienhard zu.

»Danke Könnök. Habe schon genug, willst du nicht auch etwas behalten?«

Könnök schüttelte mit dem Kopf. »Ich möchte jedem weißen Einwanderer die Goldkörner zuwerfen, nur damit er rasch unser Land verläßt.«

»Ich kann dich verstehen, Könnök. Ich werde der Erste sein, der froh sein wird, wenn er das große Wasser wiedersieht, um heimzufahren.«

»Mein weißer Bruder möge hören, was ich zu ihm sagen werde. Es ist besser, er wählt den Weg nicht, wenn er lebend seine Eltern wiedersehen will. Mein weißer Bruder wähle einen andern Weg, wenn er nicht wünscht, daß ihm die Goldkörner geraubt werden.«

Könnök erzählte ihm jetzt, was er durch Nye, den Indianerjungen, erfahren hatte, und daß Johnson ihn mit seinen Häschern umstellt hatte. Könnök bestätigte ihm, daß er die Posten gesehen habe. Lienhard ließ die Wege, die ihm zu Gebote standen, im Geiste vorüberziehen. Den Hauptweg, am Fort vorbei, unbemerkt zu gehen, war gar nicht möglich. Der Weg über Kalama und den Fluß kam auch nicht in Frage. Ein schnelles Entweichen oder Verbergen war auf dem Flusse ausgeschlossen. Da blieb noch der Weg am jenseitigen Ufer. Aber auch der würde ihm nicht viel nützen, denn schließlich führte dieser an Sakramento vorbei, und da würde ein so schlauer Fuchs wie Johnson seine Späher aufgestellt haben.

»Du sinnst,« sprach Könnök, »und wirst bei allem Nachdenken keinen Weg wissen. Ein Mensch kann sich leicht verbergen. Du aber gehst mit dem alten Mann und deiner Braut. Dazu kommen die Kisten oder Körbe mit dem Gold. Es ist schwer. Du kannst es allein nicht tragen. Und auch wenn der alte Herr tragen hilft, ihr schafft es nicht fort. Könnök sagt die Wahrheit, willst du's probieren? So nicht, glaube mir. Auf dem Wege zum großen Wasser bringst du das Gold nicht fort. Der schwarze Teufel raubt es dir.«

Als Lienhard sein Gesicht in sorgenvolle Falten zog und keinen andern Ausweg wußte, lächelte Könnök: »Könnök ist dein Freund. Er kennt die Welt nicht und weiß nicht, ob es noch andere Wege nach deiner Heimat gibt. Doch ich meine, daß auch dieser Wald noch einen andern Ausweg haben muß, als den, den wir kennen.«

»Ja, Könnök. Gewiß hat der Wald noch einen andern Ausgang. Und wenn er zu Ende ist, kommt ein anderer Wald und dann wieder einer. Und dann muß man über Berge und über Flüsse und dann wieder durch heiße, dunkle Wälder. Und dann kommt ein anderes großes Wasser, und auch von dort finde ich mit meinen Lieben den Weg zur Heimat.«

»Dann ist es gut. Dann wird alles so sein, wie du gesagt hast. Und da Könnök dein Freund ist, geht er mit. Er begleitet dich, bis er weiß, daß du sicher nach deiner Heimat fahren kannst. Drei von meinen roten Brüdern werden mitgehen, um die Kisten mit Gold zu tragen.«

»Wie soll ich dir für deine Treue, für deine Liebe danken, du guter, herrlicher Mensch. Ich nehme deine Hilfe mit großem Dank an. Nicht jetzt, aber wenn ich fortgehe, gebe ich dir zum Andenken an mich eine gute Büchse und Kugeln, und deine Brüder will ich auch beschenken.«

Zwischen den beiden wurde dann noch alles Nähere besprochen. In aller Stille wollte Könnök Lebensmittel für mehrere Tage besorgen. Auch Kisten für das Gold wollte er von seinen Leuten zimmern lassen. Zwei Maultiere wollte er auch für Rochow und Beate besorgen. Wo der Proviant und die Tiere seiner warten sollten, war Könnök überlassen.

Das Füllen der Kisten mit dem wertvollen Metall sollte erst kurz vor dem Abmarsch, noch vor Sonnenaufgang, erfolgen. Könnök versprach mit seinen Leuten ganz in der Nähe und eines Winkes von Lienhard gewärtig zu sein. Beate und Rochow sollten schon in der Nacht, von einem Indianer geführt, vorausgehen. Der Tag der Abreise konnte noch nicht bestimmt werden. Bis dahin wollte Lienhard noch weiter Gold graben und seinen Schatz vermehren.

 

Tag um Tag verrann, ohne daß sich Trifield sehen ließ. »Wenn er nicht binnen drei Tagen hier ist, lassen wir lieber alles im Stich. Die Zeit drängt, und es würde schwer halten, in so kurzer Zeit einen neuen zahlungsfähigen Käufer zu finden,« sagte Lienhard eines Abends zu seinem Schwiegervater. Doch da war ihm Fortuna hold.

Am nächsten Tage schon kam Trifield und mit ihm Hudson. Sie boten nicht übermäßig viel. Es war aber doch etwas mehr, als Lienhard selbst gezahlt hatte. Sie zahlten in Gold und der Kaufvertrag wurde unterschrieben. Trifield fragte nun: »Wann wollen Sie fort und wann können wir in das Haus ziehen?«

Da meinte Lienhard, daß das so rasch doch nicht ginge. Er hätte noch allen möglichen Kleinkram in Kisten zu packen. Er nannte einen ziemlich entfernt liegenden Tag. Jedenfalls meinte er, daß es ein bis eineinhalb Monat währen würde, ehe er zur Abreise fertig wäre. Er hätte auch noch große Lust, etwas Gold zu finden, was ihm nach dem Verlust, den ihm Johnson bereitet hatte, niemand verdenken könnte.

»Ja, Johnson!« sagte Trifield. »Was haben Sie dem nur getan? Der haßt Sie ja wie eine giftige Viper. Ich mußte ihm versprechen, ihm sofort mitzuteilen, ob der Kauf zustande gekommen wäre oder nicht. Sind Sie ihm denn noch Geld schuldig?«

»Keinen Cent,« antwortete Lienhard. »Hier sehen Sie das in Sutters Gegenwart unterschriebene Dokument, in dem er erklärt, daß er keine Ansprüche an Mister Rochow oder an mich hat.«

»Ja, dann verstehe ich's nicht, was er dann will. Trifield, sagte er, zehn Flaschen Wein gebe ich zum Besten, wenn Sie mir sagen, wann Lienhard die Ansiedlung verläßt.«

»Man sieht, daß Johnson ein Gemütsmensch ist. Gewiß will er noch zärtlichen Abschied von mir nehmen. Und ein Glas dabei leeren. Ja, lieber Trifield, sagen Sie ihm nur alles, was Sie wissen, und daß ich noch mindestens einen Monat oder gar länger hier hausen werde.«

Als die Männer gegangen waren, nickten sich die drei Bewohner des Blockhauses freudig zu.

»Jetzt haben wir es bald überstanden,« sagte Lienhard zu seinen Freunden. Und alle beglückwünschten sich, daß der Verkauf so glatt vollzogen war. Nun war alles geordnet, und die Abreise wurde auf den übernächsten Tag festgesetzt.

 

Im Blockhaus wurden die Habseligkeiten nachgesehen, was unbedingt mitzunehmen wäre und was zurückbleiben könnte. Vom Hausrat durfte nur ein Kochgeschirr mitgehen, dazu noch Waffen, Decken, Kleidung und Wäsche. »Da ist noch die Segelleinewand, die wir als Plane über dem Wagen hatten, Lienhard, bleibt die hier)«

»Nein, lieber Vater, das wäre schade. Ich nehm' sie Könnök mit, der soll damit die Goldkisten verkleiden.«

Noch einen Tag und noch einen. Die Gepäckstücke waren unauffällig von den Indianern fortgeschafft worden. Dann war der letzte Abend gekommen. Noch spät huschte Könnök ins Blockhaus.

»Was gibt's, Könnök, ist was Besonderes vorgefallen?«

»Der schwarze Teufel hat Verdacht. Er hat sich in der Sägemühle einquartiert und beobachtet dich. Gestern ist er dir gefolgt. Durchs Dickicht wagte er sich nicht, er hatte Furcht. Ich hatte schon einen Pfeil auf ihn angelegt. Da wandte er sich um, und ich verbarg mich schnell. Ich komme, um dich zur Vorsicht zu mahnen.«

»Ich danke dir, lieber Freund. Es bleibt aber sonst alles, wie verabredet?« »So bleibt es. Besser wäre es, wenn der alte Herr und deine Braut jetzt schon mit mir gingen. Ich führe sie auf einem geheimen Pfad zu meinen Leuten. Frage sie, ob sie bereit sind?«

Das waren sie. Ein kurzer Abschied, ein Händedruck. Dann waren sie in der waldigen Finsternis verschwunden.

Lienhard setzte sich in die Nähe des Fensters, hier wollte er warten, bis die Zeit für ihn gekommen war. Das waren nur ein paar Stunden. Vor Sonnenaufgang mußte er am Felsen sein, um das Gold zu bergen. Auf sein Zeichen sollten dann Könnök und seine Leute mit den leeren Kisten vorkommen. Genau war alles zwischen ihnen verabredet worden.

War die lange Gestalt mitten auf der Wiese nicht Johnson? In der Tat, er spionierte und glotzte ins Haus. Lienhard verschloß die Tür, stellte sich ans Fenster und zündete umständlich sein Pfeifchen an. Er sollte sehen, daß der Vogel noch nicht fortgeflogen war.

Doch Johnsons Schlauheit war derjenigen Lienhards überlegen. Ihm war es gewiß, daß sein Feind heimlich eine Goldmine abbaute. Ergiebig, sehr ergiebig mußte sie sein, sonst würde er sein Tun nicht so in Heimlichkeit hüllen. Er wollte ihm auflauern, hinter das Geheimnis kommen. Alle Möglichkeiten hatte er vorgesehen, die Wege mit Beobachtern umstellt, und war nun seit drei Tagen selber hinter ihm her. Ein paar Stunden Schlaf wollte er sich gönnen, aber mit Sonnenaufgang wieder hinter ihm her sein. Er mußte das Grünhorn irgendwie fassen.

Lienhard sah ihn weggehen, und eine Traurigkeit überkam ihn, über die er sich keine Rechenschaft geben konnte. Was hatte er dem Abenteurer zuleide getan, daß der ihn haßte und verfolgte?

Was hatte er getan, um sich die Zuneigung, die Freundschaft der Indianer zu erwerben? Eigentlich nichts. Denn die kleine Gefälligkeit, die er anfangs Könnök erwies, war nicht der Rede wert. Und daß er sie rechtzeitig vor dem Rachezug der Weißen warnte, war selbstverständlich. Sie zeigten ihm aber lange Zeit vorher, daß sie ihn gern hatten und ihm viele Dienste uneigennützig erwiesen. Liebe und Haß, unergründlich-geheimnisvolle Kräfte. Rätselvoll wie das Glück.

Er spann den Gedanken weiter und sann und sann – und begann zu träumen. Müde von den Aufregungen der letzten Tage, schlief er ein.

Da fuhr er erschreckt auf. Im Osten begann es schon zu dämmern. Er kam zu spät. Er langte nach Büchse und Kugeltasche und ging den gewohnten Weg mit ruhigem Schritt. Erst im Walde, als er sich unbeobachtet wähnte, beeilte er sich. Hinter einer mächtigen Eiche lugte Johnsons Kopf einen Moment hervor. Aha, also doch. Lienhard tat, als hätte er ihn nicht gesehen, schlug einen andern Weg ein, erst bergauf, dann bergab, dann wieder quer durchs Unterholz. Dann duckte er sich, um zu lauschen. Als alles still blieb, ging er vorsichtig weiter, mußte, um den Umweg und die verlorene Zeit einzubringen, erneut eilen, so daß er, ganz ermattet, erst beim Aufgehen der Sonne zur Stelle war.

Erst leuchtete ein rotgoldener Schimmer dem werdenden Tage voran, dann überflutete die Sonne mit glühgelbem Gold den blauen Himmel, Wälder und Täler. Die Vögel begannen zu singen, und überall regte es sich in den Baumkronen. Gar zu gern hätte Lienhard dem Werden des Tages gelauscht, wie er das so oft mit frommem Entzücken getan hatte. Die Notwendigkeit, der Lebenskampf gebot es anders.

Er nahm seine Büchse von der Schulter, lehnte sie an einen Baum, – sie hätte ihn bei seiner Arbeit jetzt gehindert. Dann horchte er angespannt, ob sich kein verdächtiges Geräusch vernehmen ließ. Nur Vogelgesang war zu hören und ein sanfter Wind, der die Zweige bewegte und ihm kühlend über sein erhitztes Gesicht strich. Er suchte in den dichten Gebüschen seine indianischen Freunde. Sicherlich waren sie längst da, hatten ihn wohl schon gesehen, lagen aber unsichtbar gut versteckt. So war's ja mit Könnök verabredet, der seine besonderen Gründe dazu hatte.

Hatte er eigentlich nicht recht? Ein einziges Wort Johnsons hätte das ganze Heer der goldgrabenden Räuber an seine Seite gerufen, um Lienhard die geahnte Beute abzujagen. Johnsons Habgier hatte das Wort noch nicht sprechen lassen. War etwas zu ergattern, wollte er allein den Schatz gewinnen. Hatte das Gold vielleicht magnetisch-geheime Kräfte, die die Menschen anzogen, und in deren traurigem Gefolge Sünde, Blut, Verbrechen? Was er seit der Entdeckung des Goldes erschütternd mit ansehen mußte, war eine endlose Kette von Unglück und Leid und Demoralisation. Die philosophische Ruhe Könnöks, seine Gleichgültigkeit, ja, seine Abneigung gegen das der Erde entrissene Edelmetall, zeigte sie nicht seinen gesunden Instinkt? Und eine sittliche Überlegenheit des Naturkindes gegenüber dem zivilisierten Weißen?

In dem Augenblick ergriff Lienhard eine Abneigung gegen seinen Goldschatz, weil er künftiges Unheil für sich und seine Lieben fürchtete. Doch Beate und deren Zukunft galt es, für sie hatte er gegraben und gesammelt und für sie wollte er gegen jedes drohende Unheil kämpfen.

Er hatte es gewagt und wollte es weiter wagen. Er kniete nieder und hatte sein Messer gezogen, um den Stein besser auszuheben. Da hielt er inne. Ein Zweig hatte geknackt. Er war aufgesprungen, das Messer hielt er in der Hand. War es Könnök, der ihm ein Zeichen gab?

Mit der Linken hielt er den grotesken Ausläufer der Felspartie, den »steinernen Riesenfinger«, umklammert, seine Rechte hielt kampfbereit sein Messer. So stand er vorgebeugt und horchte und beobachtete jeden sich bewegenden Zweig, jedes fallende Blatt. Nichts regte sich sonst. Ein unheimlich banges Gefühl überschlich ihn mit einemmal. Er ahnte, er wußte es, daß ihm Gefahr drohte. Von wem? welche Frage, nur von seinem Todfeind konnte sie kommen. Und jetzt war er überzeugt, daß dieser in der Nähe war. Er hatte das Gold gewittert, wie die Hyäne das Aas. Sollte er es ihm hinwerfen oder darum kämpfen? Die Beantwortung der Frage wurde ihm erspart, denn Johnson stand plötzlich mit teuflischem Grinsen am Fuße des Felsens.

»Hier also, Bursche,« rief er Lienhard zu, »hier hast du das Gold versteckt. Heraus damit, das hast du uns gestohlen, mir und dem Kapitän Sutter. Denn uns gehört das Land, uns hast du's abzuliefern, sonst – –«

»Was sonst, Herr Johnson? Ich dachte, Sie wären nur ein Räuber, der sein trauriges Handwerk bei Nacht betreibt, seine Opfer beim Spiel betrügt, betrunken macht und beraubt. Ich sehe aber, daß Sie auch am hellen Tage friedliche Menschen anfallen und berauben wollen. Holen Sie sich das Gold, das Sie so dringend brauchen. Sie sollen es haben.« Lienhard erhob sein Messer und wartete.

Johnson ging ein paar Schritte rückwärts. Lienhard auf seiner luftigen Warte verfolgte jede seiner Bewegungen. Mit einem leisen Schreckensruf fuhr er auf. Johnson hatte Lienhards Büchse, die er vorhin an einen Baum gelehnt hatte, erfaßt. »Ja, du sollst deinen Wunsch erfüllt sehen,« schrie Johnson, »ich will mir das Gold holen. Vorher werd' ich dich zum Teufel schicken. Ich darf doch deine Braut recht herzlich von dir grüßen?«

Lienhard war erbleicht, als er den Schurken mit größter Sorgsamkeit die Büchse heben, anlegen und zielen sah. Nur Sekunden vergingen, bis der Schuß dröhnte. Die Kugel streifte Lienhards Kopf. Doch was war das? Johnson wankte, die Büchse entfiel ihm, und er selbst schlug wie ein Stein hintenüber. Ein Pfeil ragte aus seinem Halse, der Wunde entströmte viel Blut, die große Schlagader war getroffen.

Könnök mit dreien seiner Leute trat aus dem Walde. Es waren Abaye, Walltop und Kemula. Sie schleppten den Toten ins Gebüsch und brachten die mit Segeltuch beschlagenen Kisten, drei an der Zahl. Dann erst kam Lienhard, der tief erschrocken dagestanden hatte, wieder zu sich. Der Stein wurde entfernt und das Gold in die Kisten verstaut. Lienhard sah apathisch zu, wie sie das schwere Metall seiner Bestimmung zuführten, und die war: durch die Welt zu wandern, vielleicht Glück zu schaffen, gewißlich aber großes, tränenreiches Leid hervorzurufen.

»Geht der Tod des schwarzen Teufels meinem weißen Bruder zu Herzen? Er wollte dich töten, fast wäre es geschehen,« – er wies dabei auf das aus Lienhards Kopfwunde sickernde Blut. »Es ist gut so, wie es ist.« Er gab Abaye einen Wink, der verschwand darauf. »Was sinnt mein Freund? Sollte Könnök zulassen, daß er tötet? Und sieh, auch hier, wie bisher immer, folgt dem Gold das – Blut. Könnök glaubt jetzt, daß Gold und Blut zusammengehören.«

Abaye kehrte mit Kräutern zurück. Die preßte Könnök auf Lienhards Wunde. Mit langen Gräsern band er das Ganze fest. Dann setzte sich der kleine Zug in Bewegung und tauchte in der Waldeinsamkeit unter.

 

Rochow und Beate waren weit voraus. Erst am Spätnachmittag sahen sie sich wieder. Da gab es ein großes Verwundern und Fragen und Erzählen. Und Beate, die sich lange beherrscht hatte, begann zu weinen. Dann fiel sie Lienhard um den Hals und küßte ihn, um mit dem Umhalsen wieder zu beginnen, wenn sie mit dem Küssen fertig war.

»Beate,« sprach ihr Vater, »nutz' ihn nicht so schnell ab, er soll noch längere Zeit vorhalten und unser Reiseführer bleiben.«

»Ja, Väterchen, das soll er. Aber denk' nur, um ein Haar – wie schrecklich, das zu denken –. Wenn Könnök nicht gewesen wäre –«

Sie lief zu Könnök, um ihm die Hand zu schütteln und lobend sein langes schwarzes Haar zu streicheln. Der Indianerhäuptling verzog sein ernstes Gesicht zu einer Grimasse, die besagen sollte: schon gut, ich weiß, ihr meint's redlich.

Mitten im Walde, wo sie waren, blieben sie. Sie waren zu müde, Lienhard seelisch erschüttert. Gerade er bedurfte der Ruhe. Der mitgenommene Mundvorrat schmeckte, die Männer, die weißen und roten, rauchten noch, um dabei zu beraten. Könnök und seine Leute wußten über die Weiterreise nichts zu sagen und auch Rochow und Lienhard konnten das Ende des Weges nur vermuten. Mit dem schweren Gepäck durften sie nicht aufs Geratewohl in der Wildnis umherziehen. »Über Nacht wird uns der gute Gedanke kommen, morgen früh wollen wir uns schlüssig machen.« Als Lienhard gesprochen hatte, wickelte sich jeder in seine Decke und streckte sich zum Schlafen aus. Die Indianer hielten abwechselnd Wache. Die Nacht verlief ruhig und der neue Tag brachte die gewünschte Klarheit.

»Liebe Freunde,« sprach Rochow, »wollen wir hier weiter wandern, kämen wir nur tiefer in die Wildnis, wir müßten über unwegsame Gebirge, über Flüsse, oder würden in Gegenden kommen, wo schlechte Menschen sind, die uns berauben. Wir haben kein Boot, auch nicht genug Lebensmittel. In den Bergen fehlte uns das Futter für die Pferde. Den Weg, zu dem wir ein halbes Jahr brauchten, um nach Kalifornien zu kommen, wollen wir nicht zurückgehen. Er ist zu zeitraubend und zu gefährlich, jetzt erst recht, wo wir einen so großen Reichtum mit uns führen. Ich denke, ihr werdet mit folgendem Vorschlag einverstanden sein: wir wenden uns nach Südwesten. In der Richtung treffen wir zur Küste. Dort sehen wir zu, ein Boot bis Franzisko zu bekommen.«

Die Indianer waren einverstanden. »Und dann, Vater?«

»Von Franzisko aus können wir nach Akapulko gelangen, dessen entsinne ich mich genau; in jeder Woche fährt ein Schiff nach Süden. Und von dem mexikanischen Hafen können wir über Panama weiter kommen, vielleicht in ein bis zwei Wochen, genau weiß ich's nicht.«

»Und dann, lieber Vater?«

»Dann soll uns das nächste Schiff zurück in unser Vaterland tragen.«

»Und dann, liebstes Väterchen?«

»Nicht dann, Beate,« lachte Lienhard, »nein vorher schon, in New York, gibt uns das Väterchen zusammen, damit wir als Mann und Frau vor meine Eltern treten können.« – »Recht gesprochen. So soll es sein,« sagte Rochow voll Güte. »Ja, so soll es sein,« jubelte Beate.

»Wenn Gott es will,« fügte Lienhard ernst hinzu.

Vor dem Aufbruch erhielten die Indianer die von Sutter gekauften Schießwaffen nebst Munition, worüber sie sich kindisch freuten. Könnök hing gleich Büchse, Kugelbeutel und Pulverhorn um. Rochow bedeutete ihn, nunmehr Pfeil und Bogen fortzuwerfen. Doch Könnök blickte finster, offenbar verstand er die scherzhaft gemeinte Bemerkung falsch. »Nicht früher,« sprach er, »bis der letzte böse Weiße aus dem Land meiner Väter vertrieben ist.«

Nach einigen Tagen angestrengter Wanderung, wobei die Tiere die Lasten trugen und beim Übersetzen über zwei Flüsse von Wert waren, gelangten sie zwischen Kovelo und Ukiah wieder an die Küste. Das große, weite Meer lag vor ihnen, das ihnen Freiheit und Heimkehr verhieß. Es war Mittag. Die Berge fielen steil zur Küste ab, und Lienhard wäre gern noch vor der Nacht in San Franzisko gewesen, das nur noch wenige Meilen entfernt sein konnte. Er besprach sich mit Könnök. Zwei seiner Leute sollten hinunter, um ein Boot zu suchen.

Ein paar Stunden später hatten sie eins gefunden, das aber so viele Menschen nicht faßte. Abaye und Könnök blieben, die beiden andern sollten nach Hause reiten. »Sie werden finden und – schweigen.«

.

Als die Sonne untergehen wollte und den Ozean und die nahe Küste in Gold tauchte, fuhren die Wanderer mit ihrem schwankenden Nachen gerade durch das »Goldene Tor«, die Einfahrt in den Hafen von San Franzisko. Glückliche Fahrt, wo reine Herzen sind und gute Taten das Licht der Sonne sehen.

Das Boot mit der kostbaren Ladung stieß an Land. Lienhard fand im Hafen wenig verändert, nur mehr Müßiggänger und viel fragwürdige Gestalten lungerten allenthalben herum. Er hieß seine Freunde im Boot bleiben, kehrte nach kurzer Zeit freudig zurück und befahl, zur »Panama« zu rudern. Eine kurze Strecke nur, dann stiegen sie an Bord.

»Das Glück ist uns hold, schon morgen in aller Herrgottsfrühe lichtet das Schiff die Anker.« Glück, Gunst, Gold, – auch die Götter wählen unter den Menschen und haben ihre Lieblinge.

Die schwere Stunde kam, die Stunde des Abschieds, die Stunde der Trennung, die die Zwillingsschwester des Todes ist. Könnök wußte, daß er seinen weißen Bruder jetzt zum letzten Male sehen würde. Er stand mit Abaye abseits an der Reling und blickte auf die Wogen.

Rochow und Lienhard schleppten eben wieder zwei Bündel mit ihren Kleidern an Deck. Über die sollte Könnök fortan verfügen. Ein paar Wolldecken behielten sie zurück. Dafür hatten sie besser die Hände frei und konnten ihr Augenmerk ganz ihren Goldkisten widmen. Um die Habgier der Menschen unterwegs und beim Transport über Land nicht zu wecken, wollte Rochow sich als Gelehrter, als Mineraloge, ausgeben, der im Felsengebirge und in Kalifornien Steine gesammelt hat.

Das Zeichen zum Verlassen des Schiffs ward gegeben. Könnök hielt Lienhards Rechte fest umschlossen. Beide sprachen kein Wort, man sah ihnen die innere Bewegung an, um Lienhards Mund zuckte es. Ein Grüßen, ein Winken, – gute Menschen hatten sich für dieses Leben getrennt, um sich nie wieder zu sehen. Aber um sich nie zu vergessen.

Der Glaube an gute Menschen und gute Taten wird in Könnök und Lienhard weiter leben und in edlem Sinne weiter wirken, auch wenn Länder und Meere zwischen ihnen liegen. Sie wissen, daß nicht die Farbe der Haut, daß es nicht die Rasse ist, die ausschließlich gute oder böse Taten bei den Menschen zeitigt. Unter allen Völkern,, gleichviel ob sie mit gelber, brauner, roter, schwarzer oder weißer Hautfarbe vom Schöpfer bedacht sind, werden gute Menschen zu finden sein, wie böse. Die Tat allein, die Betätigung edler Gesinnung nur verleiht dem Menschen seinen Wert.

Am sogenannten Wässerungsplatz legte die »Panama« nochmals an, um frisches Wasser und Rindfleisch einzunehmen. Der Bug des 1100 Tonnen großen Schiffes richtete sich jetzt gegen das offene Meer. Lienhard und Beate standen Arm in Arm und sahen zurück, wie die Küste wich und kleiner wurde. Ihre Augen waren auf einen Punkt gerichtet, war es Könnök, nach dem sie sahen? Vermutlich. Die Entfernung wurde größer, und alles verschwamm in eine einzige Linie, was Wunder, daß sie sich abwandten, ihr Blick war von Tränen getrübt.

»Guter, treuer Mensch, Menschenbruder, leb' wohl, auf ewig. Wir werden dich nie vergessen.«

Lienhard sprach es leise und Beate sagte ebenso: »Wir werden seiner in treuer Dankbarkeit gedenken bis zum letzten Atemzuge.«

 

Die »Panama« fuhr in den Hafen von Akapulko durch eine verhältnismäßig schmale Einfahrt zwischen Hügeln hindurch in die vielleicht eine Meile weite, runde Bai hinein. Akapulko liegt am nordwestlichen Winkel der Bai, die hier von einer schmalen, aus niedrigen Hügeln bestehenden Landzunge getrennt ist. Früher war der Hafen der verkehrsreichste für den Handel Mexikos am Stillen Ozean. Die Hauptstraße nach der Residenz führte hier durch.

»Auf dieser Straße war ein junger Schweizer aus dem Innern gekommen, in größerer Gesellschaft,« erzählte der Kapitän, der Baily hieß und die Leute auf der Herreise an Bord hatte. »Die Gesellschaft war gut beritten, alle hatten Maultiere. Bewaffnet war ebenfalls jeder. Da wurden sie an einer einsamen Stelle überfallen. Einer oder zwei waren dafür, sich zu verteidigen, denn numerisch war die Gesellschaft der Räuberbande überlegen. Die Mehrzahl war feig, sie fürchteten, ermordet zu werden. Gut denn, jeder schafft sich sein Schicksal selbst. Die Räuber waren sehr höflich, als sie den Zitternden ihre Juwelen, Uhren, Waffen und alles Gold abnahmen, während einige Räuber die Reisenden und ihr Gepäck untersuchten, standen andere mit Waffen in der Hand dabei und drohten jeden niederzuschießen, der sich rühren würde. Der junge Schweizer riskierte ein forsches Wort: ›Ihr habt mich ausgeplündert, und ich wollte nach Kalifornien. Ihr Lumpenkerle, wie kann ich jetzt nach Akapulko kommen, ich kann mir ja nicht einmal unterwegs ein Essen kaufen‹. Da gab ihm einer der Banditen zwei Dollars zurück. Darauf machten sie sich aus dem Staube.«

In Akapulko blieb das Schiff zwei Tage. Rochow blieb als Hüter der Goldkisten an Bord, während das junge Paar an Land ging. An einer Quelle wuschen Negerfrauen Kleider. In der Nähe blühten prachtvolle Kakteen. Beate bewunderte die herrlichen Blüten, bückte sich, um eine zu pflücken. Da schlug ihr eine Negerin schnell die Hand weg.

Was soll das heißen?« fragte Lienhard.

»Wenn ich das Fräulein hätte die Blume pflücken lassen, würde sie jetzt die Hand voll feiner Stacheln und längere Zeit Schmerzen haben.«

Beate besah ihre Hand. Sie hatte die Blume nur schwach berührt, und entdeckte wirklich mehrere feine Stacheln in der Haut, die ein juckendes Gefühl verursachten. Der Schmerz hielt tagelang an. Staub und Hitze trieben sie bald zum Schiff zurück.

Das Schiff fuhr von jetzt an in der Nähe der Küste, so daß man ohne Fernglas alles gut unterscheiden konnte. Städte und Dörfer waren nicht mehr zu sehen, die ganze tropische Landschaft war mit Urwald bedeckt. Hochstämmige Palmen ragten allenthalben hervor.

Die Tage schlichen bleiern hin, bis endlich auch diese Fahrt zu Ende ging und der Dampfer in Panama festmachte, das war bei Nacht. Als es Tag wurde, kamen viele Boote von Panama zum Dampfboot, darunter so große, daß 25 Passagiere samt Gepäck darin Platz hatten. Die großen Boote hatten Maste und Balancierstangen, damit sie nicht umkippen konnten, denn die Fahrt bis zum Land betrug drei Meilen. Das Landen war amüsant, da die Passagiere ein Stück weit durchs Wasser getragen werden mußten. Pferde und Wagen gab's in Panama nicht, das Gepäck wurde Lastträgern anvertraut, die es ins Hotel schafften, scharf von Rochow und Lienhard bewacht.

Die Weißen, die sie hier zu Gesicht bekamen, sahen bleich wie Tote aus. Das war die Wirkung des Tropenklimas.

Das erste Geschäft für Lienhard in Panama war: Maultiere für die Reise nach dem 24 Meilen entfernten Kruzes zu besorgen. Eine Anzahl der Passagiere schloß sich ihnen an. Erst am andern Morgen kamen die Maultiertreiber mit den Tieren, und es wurde zehn Uhr, bevor alle im Sattel saßen und das Gepäck auf die Tiere verladen war. Bald ließen sie die Stadt hinter sich. Sie kamen auf eine etwas erhöhte Savanne, von der aus sie einen herrlichen Blick auf die Bai von Panama hatten. Das Wasser erschien wie flüssiges Silber. Nachdem sie drei Meilen im Sattel zurückgelegt hatten, begann der Urwald.

Ein Schauer der Ehrfurcht durchrieselte die Menschen beim Anblick dieser Herrlichkeit der Natur. Staunend und bewundernd sahen sie die Urwaldriesen, deren Baumkronen hoch zum Himmel ragten, die Pracht und Mannigfaltigkeit der Orchideen, das Gewirr der Lianen. Undurchdringlich schienen Büsche und Ranken den Pfad zu sperren; und in der Tat mußten die Treiber oft den Weg mit ihren langen Messern bahnen. In den Baumwipfeln huschten Kolibris, wie Lichtfunken, wie glänzende Sternchen. Buntfarbige Papageien und zahllose andere Vögel erfüllten die Luft mit Kreischen und schmetternden Tönen. Insekten summten und surrten, Affen tummelten sich in den Zweigen und sahen neugierig auf die Kavalkade unter ihnen.

Als Lienhard und Beate in das geheimnisvolle, dunkle Ast- und Blattgewirr starrten, sagte vieldeutig ein Maultiertreiber zu ihnen: »Sennor, Sennora, dort haust der, der alle meistert, der Jaguar.« Beate zuckte unwillkürlich zusammen und Lienhard griff nach seiner Büchse. Er hatte jetzt keinen gesehen, er meinte nur, daß der Jaguar der Meister sei und alle Tiere verstummen, sobald er sich nähere.

Rieseneidechsen, Schlangen huschten über den Erdboden, und auf einem umgestürzten Stamm sahen sie ein Chamäleon furchtlos sitzen, als sie einen Augenblick hielten. Da sahen sie, wie eine dünne, lange, grasgrüne Schlange einen Frosch verfolgte, der durch rasche, hohe Sprünge zu entfliehen suchte. Sie war mit großer Schnelligkeit hinter ihm her und ermüdete ihn offensichtlich. Da blähte sich der Frosch um das drei- oder vierfache auf, sie gab ihr Opfer aber nicht frei. Ein Treiber machte dem Kampf ein Ende, indem er mit einem schweren Stein nach der Schlange warf und sie traf.

Auf einem schmalen, schlechten Maultierpfad ging's weiter. An einigen Stellen war er so tief eingeschnitten, daß die Treiber an solchen Orten laut schrien, damit auf der andern Seite jeder mit seinem Gaul anhielte, weil ein Kreuzen mit beladenen Tieren unmöglich gewesen wäre.

Ein heftiger Platzregen, dem noch mehrere unter Blitz und Donner folgten, ging nieder. Die überraschten Reisenden waren nicht wenig verwundert, als sich ihnen auf dem Weg eine schwarze, kotige, zwei Fuß hohe Wassermasse entgegenwälzte. Sie mußten still halten, bis die Hauptströmung vorüber war.

Der Weg ging selten in gerader Richtung, meist in Schlangenwindungen, so daß nie die ganze Karawane zu übersehen war. Lienhard war, aus Klugheitsgründen, der letzte im Zuge. Da die Packtiere vor den Reitern hergetrieben wurden, wollte er nach seinem Tier mit den kostbaren Kisten sehen. Er ritt voran oder vielmehr wand sich bis zum ersten Maultiertreiber durch, ohne das gesuchte Tier zu finden. Vor Schreck geriet er außer sich. Er fragte jeden Reisenden, die Treiber, – keiner hatte das Tier gesehen. Da riß er sein Reittier blitzschnell herum und ritt, so schnell es der Weg zuließ, zurück. Er forschte vergeblich links und rechts in dem üppigen Laubwerk. Eben war er im Begriff in einen tiefen, quer durchbrochenen Einschnitt hineinzureiten, als er rechts am Wege, auf einer höher gelegenen Stelle, das Tier ruhig stehen sah. Er vermutete mit Recht, daß die Treiber es absichtlich dahin getrieben hatten, weil ihnen das Gewicht der Kisten beim Aufladen aufgefallen war; kam doch der Reisende aus dem Goldland. Von jetzt ab ließ er das Tier mit dem Gepäck nicht mehr aus den Augen. Für die Schönheiten und Merkwürdigkeiten des Urwaldes hatte er kein Interesse mehr.

Kurz vor der Dämmerung wurde eine Hütte mitten im Urwald erreicht. Das Dach bestand aus Bambusblättern, sonst sah sie einem Heuschober ähnlich. Hier mußte übernachtet werden. Da die Treiber keinem davon etwas gesagt hatten, hatte niemand genügend Proviant mit.

Rochow übernahm es – Lienhard verließ die Kisten nicht mehr –, mit der Besitzerin der Hütte, einer alten Negerin, zu reden. Sie erklärte, sie hätte nichts, könne nichts abgeben. Er bot ihr für den Hahn und einige Hühner etliche Pesos, – sie wollte davon nichts wissen. Scherzweise fragte er sie, ob sie den Hund und die Katze – sie waren beide spindeldürr – verkaufen wolle. Ihre Antwort war wieder: » No, Sennor, no quiero«, nein, Herr, ich will nicht. Schließlich verhandelten die Maultiertreiber mit ihr, sie brachten es zuwege, daß sie für zwei Pesos eine alte Truthenne hergab, die für zwölf Menschen zum Nachtessen und Frühstück ausreichen sollte. Keiner wurde satt.

Die Nacht war drückend schwül. Das Nachtlager feucht, es wimmelte von Moskitos und – Ratten. Alle waren froh, als die Nacht vorüber war und wieder aufgesessen wurde. Die Hitze war groß, Platzregen folgten wieder aufeinander, der Weg war womöglich noch schlechter als tags vorher, bis endlich mittags ein Uhr die Reisenden durchnäßt Und beschmutzt aus dem dunkeln Wald auf grasiges Gelände kamen. Sie waren am Ziel. Vor ihnen lag Kruzes am Chagresflusse.

Nun ging's auf dem Fluß in Canoes flußabwärts. Brennende Sonnenglut blieb ihnen treu, ebenso die Regengüsse. Recht ermattet machten sie am Abend am linken Flußufer ihre Boote fest, sie beschlossen, hier zu übernachten. In Hütten von Eingeborenen schlafen oder in den Canoes? Die Frage wurde von Lienhard rasch zugunsten der Canoes entschieden, da er sich gelobt hatte, die drei Goldkisten nicht mehr zu verlassen. Die Nacht brachte keinen erquickenden Schlaf, weder den Reisenden in der Hütte, noch in den Booten. Die Mozas (Bootsleute) hatten am Ufer, unter hohen Palmen, ein Feuer gemacht, kochten ihr Abendessen, und legten sich, nachdem sie gegessen hatten, zum Schlafen nieder. Das Feuer verlöschte und ringsum herrschte Schweigen, bis auf die Hunde, die den Hüttenbewohnern gehörten, frei umherstrichen und ohne Grund bellten. Es waren große Tiere, und den Wölfen ähnlich. Das von Rochows und Lienhard besetzte Boot war das zweite von den vieren. Die beiden Männer saßen in bequemer Lage im Vorderteil des Canoes und rauchten, um sich die Zeit zu vertreiben und die Moskitos abzuwehren. Die geladene Büchse lag »für alle Fälle« an Lienhards Seite.

Im ersten Canoe hatte sich einer der Mozas häuslich eingerichtet, weil die Reisenden in einer Hütte besser zu ruhen glaubten. Der Mann konnte jedoch nicht zur Ruhe kommen. Er sang oder pfiff, ging aus dem Canoe und am Ufer hin und her, dann wieder ins Boot zurück, um das unruhige Spiel von Neuem zu beginnen. Endlich wurde er still. Lienhard sah ihn Feuer schlagen, um seine Tabakspfeife anzuzünden, dann sah er nur aus der Dunkelheit seinen Kopf und das Glimmen des Tabaks.

Beate lag auf weichen Decken auf dem Boden des Canoes. Sie schien zu schlafen. Der Fluß rauschte mehr als am Tage, – das schien jedoch den Wachenden nur, weil der Tageslärm verstummt war. Lienhard kam es vor, als ob das Wasser lebendig geworden wäre. Waren es aufgestörte Fische? Auf der Wasserfläche trieb Holz langsam der Mündung zu, starke Äste, Baumstämme, langes Gras und Schilf, das die eilenden Fluten vom Ufer losgewaschen hatten.

Hallo, was war das? Beate war erwacht, hatte sich aufgerichtet. Rochow, der ein wenig geschlummert hatte, war nach vorn gefallen, in Lienhards Arme. Und Lienhard dachte nicht anders, als daß die Hüttenleute, vereint mit den Bootsleuten, einen Überfall auf seine Goldkisten vor hätten. Das Canoe hatte plötzlich einen starken Stoß erhalten, das Schwanken hielt an und schien sich zu verstärken. Dann wurde alles wieder ruhig, und Lienhard war froh, daß durch seine Vorsicht ein Unheil verhütet war. Er hatte nämlich das Canoe am Heck und Bug doppelt mit Lianen an starken Bambusstauden vertaut.

»Da haben wir die Ursache,« sagte Rochow, »ein Baumstamm, der mit anderen Hölzern unterm Kiel sich gestaut hatte. Wäre das Schifflein nicht so fest am Ufer verankert, hätte es leicht kentern können.«

»Das wäre nicht so leicht geschehen. Bedenke, daß es gut beschwert ist.«

»Hm, ja, du meinst also goldsicher?«

»Hinterher läßt sich gut scherzen,« sprach Lienhard. »Weißt du, lieber Vater, ich wollte, wir wären – schon anderswo. Nun weiß ich, was es heißt, nervös sein. Aber sieh doch, was das für sonderbare Baumstämme sind, sie schwimmen sogar der Strömung entgegen.«

Rochow überzeugte sich, daß Lienhard richtig gesehen hatte. Ein ansehnlicher Holzstamm kam quer über den Fluß, auf die Canoes zu. In seinem Gefolge war noch einer – und ein dritter. Oder waren es mehr? Sie hielten auf das erste Canoe, in dem der Mozas allein schlummerte, wahrscheinlich vom Schaukeln des Nachens sanft eingewiegt. Denn die Sicherung am Bug war fort, sie war zu sorglos befestigt gewesen.

Was jetzt geschah, ging weit schneller vor sich, als es sich erzählen läßt. Ein heftiger Schlag ins Wasser – ein lauter Schrei – und Lienhards donnernder Schuß zerriß die Stille der Nacht. Ein zweiter Schuß folgte. Alles stürzte aus den Hütten ins Freie. Eine Holzfackel flammte auf. Die Mozas waren aufgesprungen und liefen ratlos am Ufer hin und her. Rufe, Schreie gellten. Ein zweites Holzscheit ward entzündet. »Hier ist er,« riefen sie, »dort, dort« – – Lienhard hatte wieder geladen und in die schwarzen Fluten gefeuert, um die Alligatoren zu verscheuchen. Sie hatten das erste Canoe zum Kentern gebracht. Der Moza war herausgeschleudert worden, doch glücklich ins Schilf, so daß er schon längst außer Gefahr war, als seine Kameraden herbeieilten, um ihn zu retten. Anders wär's ihm allerdings ergangen, wenn er in den Fluß gefallen wäre. Die allgemeine Aufregung legte sich nach und nach, auch das Gekläff der Hunde, die den Lärm durch lautes Bellen vergrößert hatten, und nach einer Stunde schlief alles wieder in den Hütten.

Als der lichte Tag erschien, sahen die Bootsleute im Sande ganz frische Spuren eines Jaguars. Die Fährte führte um das Lager der Mozas zu den Hütten. Schweißspuren konnten verfolgt werden. Die Eingeborenen stellten fest, daß er sich einen Hund geholt hatte.

Flußabwärts ging's weiter, Scharen von Papageien begleiteten mit schrecklichem Gekreische die kleine Flottille. Chagres wurde gegen Mittag erreicht, noch zur rechten Zeit, als der Segler »Crescent City« nach New York abfahren wollte. Rochow und Lienhard trugen ihre kostbaren Kisten selbst an Bord und waren froh, als sie in der Kajüte geborgen waren.

Die Reise ging zu Ende, und eines Abends lag das Schiff fest im New Yorker Hafen. Kutscher, Diener, Kommissionäre, Hotelbedienstete überschwemmten das Deck und bedrängten und belästigten die Passagiere.

Am Franklin House am Broadway landete zuletzt Rochow mit dem jungen Paar nebst dem Goldschatz. Dieser wurde schon am nächsten Tage in ein Bankhaus übergeführt. Als das geschehen war, sagten alle drei fast gleichzeitig: »Gott sei Dank! Nun sind wir endlich die große Sorge los, die uns Tag und Nacht gequält hat.«

Nun erst waren sie frei, so frei, daß sie nur die Kleider besaßen, die sie auf dem Leibe trugen. Bald hatten sie Koffer erstanden, Wäsche, Kleider und allerlei Sonstiges. Nach etwa 8 Tagen wurde Beate von Rochow Frau Lienhard.

Und einige Wochen später sahen sie Hamburg wieder, deutsches Land. Als Beate in der Heimat die Freunde und Verwandten begrüßt hatte, fuhr das junge Paar nach der Schweiz, um Lienhards Eltern aus der Not und der Enge des täglichen Lebens in eine lichtere Gegenwart zu führen. Er kaufte das Landgut in Kilchberg bei Zürich, auf dem er mit seinen Lieben noch lange, glückliche Jahre verlebte.

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