Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Sechstes Kapitel.

Gelehrte Männer.

Betrachtet man die Reihe bedeutender Menschen, welche Corsica in kaum hundert Jahren hervorgebracht hat, so muß man staunen, daß eine so kleine und so gering bevölkerte Insel auch in der Erzeugung großer Männer so reich ist. Ihre Staatsmänner und Feldherrn sind von europäischer Bedeutung, weniger bedeutend freilich ihre wissenschaftlichen Talente, welche bei der Beschaffenheit der Insel und ihrer Geschichte natürlich hinter jenen zurücktreten mußten.

Aber auch die Wissenschaft hat in neuerer Zeit manche gute Kraft von einheimischer Wirksamkeit erzogen, und Namen wie Pompei, Renucci, Savelli, Raffaelli, Giubega, Salvatore Viale, Caraffa, Gregori sind Zierden Corsica's. Es ist bemerkenswert, daß die meisten glänzenden Köpfe unter ihnen dem Advokatenstand angehören. Sie haben sich besonders in der Rechtswissenschaft und in der Geschichtschreibung ihres Landes hervorgethan.

Vor allen zeichnet sich Giovanni Carlo Gregori aus, einer der verdienstvollsten Männer Corsica's, dessen Andenken dort nicht erlöschen wird. Er war im Jahre 1797 in Bastia geboren aus einer sehr angesehenen Familie der Insel. Dem Recht sich widmend wurde er nach und nach Auditeur in Bastia, Instructionsrichter in Ajaccio, Rat am königlichen Hof in Riom, dann am Appellhof zu Lyon, wo er auch als Präsident der Akademie der Wissenschaften thätig war und am 27. Mai 1852 starb. Außer seinen Studien über das Römische Recht beschäftigte ihn unablässig die patriotische Leidenschaft für die Geschichte Corsica's. Er hatte den Plan gefaßt, sie zu schreiben, er hatte viele Materialien dafür gesammelt, aber der Tod überraschte ihn, und der Verlust seiner Arbeit ist nicht genug zu beklagen. Indessen hat Gregori seinem Vaterlande schon große Dienste geleistet; er besorgte die neue Ausgabe des nationalen Historikers Filippini, welchen er hatte fortsetzen wollen; ebenso die Herausgabe der corsischen Geschichtsbücher des Petrus Cyrnaeus; im Jahr 1843 gab er ein höchst wichtiges Werk heraus, die Statuten Corsica's. In jüngeren Jahren hatte er eine Tragödie Sampiero geschrieben.

Unter seinen nachgelassenen Manuscripten befindet sich ein Teil seiner Geschichte Corsica's und reiches Material zu einer Geschichte des Handels der Seenationen. Der Tod Gregori's erfüllte nicht allein Corsica, sondern auch die Männer der Wissenschaft in Frankreich und in Italien mit tiefem Schmerz.

Er und Renucci erwarben sich Verdienste um die Bibliothek in Bastia, welche 16000 Bände stark in dem ehemaligen Gebäude der Jesuiten ausgestellt ist. Sie haben dieselbe eigentlich erst geschaffen; sie ist jetzt neben der Bibliothek in Ajaccio die zweite der Insel. Das wissenschaftliche Leben Corsica's ist überhaupt noch sehr jung. Wie der Geschichtschreiber Filippini, der Zeitgenosse Sampiero's klagte, ließ die durch den ewigen Krieg wesentlich kriegerisch gewordene Natur der Corsen und die daraus folgende Unwissenheit die Literatur nicht gedeihen. Aber es ist doch merkwürdig, daß die Corsen im Jahre 1650 eine Academie der Wissenschaften stifteten, deren erster Präsident der Dichter, Advocat, Theolog und Historiker Geronimo Biguglia war. In jener Zeit liebte man es solchen Academieen die wunderlichsten Namen beizulegen; die Corsen nannten die ihrige Academia dei Vagabondi, und passender konnten sie damals den Namen nicht wählen. Der Marquis von Cursay, dessen Andenken in Corsica sehr gefeiert ist, stellte diese Academie wieder her, und Rousseau, selber ein Vagabunde in seinem Leben, schrieb für sie eine Abhandlung: »welches ist die für Helden notwendigste Tugend, und welches sind die Helden, welchen diese Tugend gemangelt hat?« Auch diese Ausgabe ist echt corsisch.

Die literarischen Anstalten – jene Academie ist aufgelöst – sind in Corsica überhaupt sehr dürftig. Bastia besitzt ein Lyceum und geringere Schulen. Ich wohnte einer Preisverteilung in der ersten Mädchenschule bei. Sie fand im Hof des Jesuitencollegium statt, welcher zierlich ausgeschmückt und Abends erleuchtet war. Die Mädchen, alle weiß gekleidet, saßen in Reihen vor den angesehensten Bürgern und den Behörden der Stadt und empfingen Lorbeerkränze, wenn sie dieselben sich errungen hatten. Die erste Lehrerin rief den Namen der Siegerin aus, worauf diese an das Katheder trat und den Lorbeerkranz empfing; sie brachte diesen einem der angesehenen Herren der Stadt, ihm stillschweigend die Gunst gebend, sie zu krönen. Was dann in zierlicher Weise geschah. Es wurden solcher Lorbeerkränze ungezählte ausgeteilt, und manches liebliche Kind trug deren wol zehn bis zwölf für seine unsterblichen Arbeiten davon, und wußte sie mit Grazie zu empfangen. Doch schien es mir, als schmeichelte man zu sehr angesehenen Eltern oder alten Familien, und ohne Aufhören krönte man Fräulein Colonna d'Istria, Fräulein Abbatucci, Fräulein Saliceti, so daß diese jungen Damen mehr Lorbeeren nach Hause trugen, als genug sein würde, die unsterblichen Poeten eines Säculum zu krönen. Den Schluß dieser Feier, die wol nichts anderes ist, als eine französische Schmeichelei der Eitelkeit, machte ein kleines Bühnenstück, welches die jungen Mädchen ganz artig aufzuführen wußten.

Eine einzige Zeitung hat Bastia, die L'ère nouvelle, Journal de la Corse, welche auch nur am Freitage erscheint. Ihr Redakteur war bis zum Sommer der Advocat Arrighi, ein talentvoller Mann; der neue Präfect Corsica's, den man mir als einen jungen Beamten ohne Erfahrung schilderte, eifrig bemüht sich bemerklich zu machen, wie ehemals die römischen Präfecten in ihren Provinzen es thaten, bedrohte jede mißliebige Aeußerung der corsischen Presse, der unschuldigsten in der Welt, mit Entziehung der Druckerlaubniß, und er zwang so Herrn Arrighi zurückzutreten. Das Journal, ganz bonapartisch gesinnt, besteht noch fort; das zweite Corsica's ist das Regierungsblatt in Ajaccio.

Bastia hat drei Buchhandlungen, von denen die Libreria Fabiani selbst einer mittlern deutschen Stadt Ehre machen würde. Gut ausgestattete Werke sind in ihrem Verlag erschienen.


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