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Achter Brief.

Paris, den 23. März 1842.

Ehe meine Empfehlungen wirken, muß ich mich in den Theatern zerstreuen. Ich werde sie künftig vergessen und beeile mich, die Aufgabe, sie zu studiren, je früher je lieber abzuthun. Ich fange sie übrigens von rückwärts an. Das Bedeutendste, wenigstens Das, was Fremde zuerst aufsuchen, behalt' ich mir für zuletzt vor. So war ich noch nicht bei den Italienern, noch nicht in der großen Oper, ging aber gestern in die komische. Die komische Oper in Paris, in das geschmackvolle, etwas zu helle ehemalige italienische Theater aufgenommen, ist ein Absenker der großen Oper, ein Absenker, der jetzt seine eignen Wurzeln schlägt. Die glücklichen Würfe Auber's und Adam's haben diesem Theater eine Selbständigkeit erhalten, die nicht ganz natürlich ist. Früher kannte man die absolute Trennung des Tragischen und Komischen in der Oper noch nicht. Man führte sie später ein, zum großen Nachtheil für das Opernwesen selbst. Bedenkt man, daß Paris den Ton für alle Theater Europas, mit Ausnahme der italienischen, angibt, so wird man diese dauernde Trennung beider Operngattungen um so gefährlicher finden, als wir grade ihr den Verfall der reinen musikalischen Rhetorik vorzuwerfen haben. Die tragische Oper, um immer tragisch zu sein, hat das Repertoir der klassischen und romantischen Tragödie geplündert. Die komische Oper, um immer komisch zu sein, ist zum größten Theil dem Vaudeville verschuldet. Drüben in der Rue Lepelletier hat die musikalische Malerei der Leidenschaften, die Ausmalung der decorativen Staffagen, das Aufgebot großer Effekte und massenhafter Anhäufungen so überhand genommen, wie hier die Musik zum Spiel, der gesunde kräftige Ton zur schaumgebacknen Spielerei herabgesunken ist. So geht die eigentliche Bedeutung der Musik fast verloren. Der tragische oder komische Zweck des Librettos überwiegt den Werth der Töne, die hier nur noch zur grelleren Belebung des Sujets verwandt werden.

Aber nicht blos, daß durch diese Trennung der komischen und heroischen Opernmusik der Zweck der dramatischen Tonmalerei leidet, auch die Kunst des Gesanges geht verloren. Drüben in der Rue Lepelletier singen die Sänger fast nur noch Dialog und Recitative, hier in der Rue Favart sprechen sie mehr, als sie singen. Wenn auch bei einer Einigung beider Operngattungen die Hauptstimmen verwandt würden je nach ihrem Talent, für das Ernste oder Komische, so gibt es doch eine Menge untergeordneter Parthieen, deren Besetzung keine Specialitäten verlangt. Ein großer Theil des Personals der komischen Oper, fand ich, singt und spielt sehr tragisch. Um mich von dem Verhältniß der deutschen Bühne zur französischen genau zu unterrichten, wollte ich grade mir bekannte Sachen sehen. Man gab an einem Abend: Johann von Paris und Richard Löwenherz.

Der Darsteller des Johann von Paris heißt Puig, ein Tenor, lang und hager, d. h. nicht gebaut, wie Tenore gebaut sein müssen. Unschöne Stimme. Einige kräftige Brusttöne, das Uebrige Fistel, die mit widerlicher Geschmacklosigkeit zuweilen bis in die höchsten Regionen schweifte. Der Gesang so brodirt und colorirt, daß man oft die ursprüngliche Grundlage des Tons kaum wieder erkannte. Puig kann sich weder im Gesang, noch im naiven Spiel mit Mantius vergleichen. Doch, was sage ich, naiv? Puig spielte seinen Johann von Paris mit einem dicken modernen Backenbart, ohne die Spur chevaleresken Humors, ganz in der Tournüre des modernen Dandysmus, d. h. gar schön frisirt, sonst aber phlegmatisch, eitel und geistlos.

Die Prinzessin von Navarra war Mad. Rossi, eine große Schönheit, eine Stimme vom reinsten Metall. Sie wußte ihre Stimme auf eine schwindelnde Höhe zu bringen, trillerte rein und stickte ihren Gesang mit den feinsten brüsseler Tonspitzen aus. Bei aller frischen Schönheit war sie todtenkalt, eckig und steif in jeder ihrer Bewegungen. Sie schien aus dem Chor genommen und zum ersten Male auf eine Stelle befördert zu sein, in der sie, was Spiel betrifft, von der gewöhnlichsten deutschen Roturière, wie vielmehr von Sophie Löwe würde übertroffen sein.

Der Seneschall war mittelmäßig, Pedrillo schlecht, Olivier, der Page, wurde durch eine hübsche Dem. Revilly erträglich wiedergegeben. Das Chorpersonal müßte für die pariser komische Oper anmuthigere Gestalten aufweisen. Im Arrangement bemerkte ich einige Abweichungen von unsrer Art, dieses einfache Operettchen darzustellen. Zu empfehlen scheint mir, daß nur Olivier das Troubadourlied vorn singt, Johann aber und die Prinzessin ihren Vers von der Tafel aus singen. Bei uns gehen die beiden letzten gleichfalls an die Lampen, was der Situation gänzlich unangemessen ist und dem scherzenden Tafelliede den absichtlichen und daher unpassenden Stempel einer Gesangsprobe aufdrückt. Bei uns entfernt sich Johann, als ihn der Seneschall zu den Füßen der Prinzessin findet. Hier bleibt er, kann auch daher nicht im Moment der Erkennung seinen Mantel abwerfen und à l'allemande seinen prinzlichen Stern zeigen. Dafür ziehen seine Reisebegleiter in dem Augenblick, als er ihnen seine Braut vorstellt, ihren Degen und legen ihn als Zeichen der Huldigung auf die Brust.

Richard Löwenherz, die zweite Oper, die ich hörte, verfolgt mich schon von Lüttich aus, wo Grétry, der Erfinder dieser schönen rührenden Töne, mitten unter den Fabriken und Schmiedehämmern geboren wurde. In Brüssel wie in Lüttich sang den Blondel Chollet, einst gefeierter Spieltenor der pariser komischen Oper, jetzt ausgeschieden. Hier sang ihn Masset, der früher der Dirigent des Orchesters dieser Bühne war und vom Kapellmeisterstuhl auf die Breter gestiegen ist. Stimme und Spiel erschienen mir frisch, ohne grade bedeutend zu sein. Anziehend war, daß er seine Geige selbst spielen konnte. Richard war wieder der lange Puig, dem ich auch jetzt, wo er ohnedies schon heiser geworden war, keinen Geschmack abgewinnen konnte. Anna Thillon, eine geborne Engländerin, die »Freundin« Auber's, eine Lionne der Gesangswelt, sang Laurette mit zarter Stimme, spielte graziös und wirkte durch ihre zarte Figur und ihr sprechendes Auge. Daß sie das Französische englisch aussprach, schien sie dem Publikum noch pikanter zu machen. In der Anordnung gefiel mir das Schlußtableau. In Deutschland wird Richard meist mit einigem Blechgerassel, einigen pappenen Harnischen, einigem Kolophonium und mehreren Todten und Verwundeten befreit. Hier sieht man nur den eroberten Dürrenstein, malerisch staffirt mit Flaggen und Sturmleitern, Alles unbeweglich, ein lebendes Bild. Dagegen schien mir das Wiederfinden Blondel's und Richard's nicht so gut arrangirt, wie in Hamburg, wo ich die liebliche Oper zuletzt sah. Wurda, obgleich nicht mehr im Besitz einer Stimme, wie Masset's, riß doch mehr hin. Masset steigt hier auf einen Baumstamm, um seinen König zu sehen. Der Baumstamm ist zu schwächlich für die ergreifende Situation. Auch interessirt man sich mehr für die Gefühle des Freundes, der den König entdeckt, als für die Gefühle des Königs, der den Freund findet. Deshalb muß Blondel, mit dem wir mehr empfinden, auch mehr in der Mitte des Bildes stehen und die Scene beherrschen.

Diese Oper hat Manchem in der Revolution das Leben gekostet. Die Worte: Richard, ô mon Roi, l'univers t'abandonne, harmlos hingesungen, konnten auf die Guillotine bringen. Es ist noch jetzt die Oper der Henriquinquisten. In dem bekannten Lied von Sultan Soliman vermißte ich den Refrain: »Was gehen uns die Türken an!« eine Anspielung, die in Berlin so viel Anklang gefunden hat, als es sich darum handelte, Deutschland um die Interessen Rußlands, Frankreichs und Englands in einen Krieg zu verwickeln. »Was gehen uns die Türken an!« Die Franzosen würden diesen Refrain nicht so aufgenommen haben, wie die Berliner; denn sie halten sich, trotz Victor Hugo, für die einzig legitimen Erben der Türkei.

Die Beziehungen Frankreichs zu Rußland werden noch lebhafter hier besprochen, als die mit Deutschland. So auffallend es klingt, so sind die Franzosen doch mit Rußland vertrauter, als mit Deutschland. Der Grund ist, weil die Bildung, die Rußland an den europäischen Angelegenheiten Theil nehmen läßt, eine nur französische ist. Ein russischer Gesandter wurde französischer Minister, der Herzog von Richelieu, und ein französischer Minister wurde russischer Gesandter, der Graf Pozzo di Borgo.

Die deutsche Sprache macht sich in Petersburg durch die deutschen Ansiedler und Einwohner geltend. Die französische ist die, durch welche sich der Russe zur Bildung emancipirt. Seit Katharina der Großen, die Voltaire's Bibliothek an sich kaufte und in ihr wahrscheinlich die Entwürfe jener Dramen fand, für deren Verfasserin sie gilt, ist Rußland in geistiger Hinsicht eine Commandite Frankreichs. Rußland ist für Frankreich, was für England seine Kolonien sind. Mit keiner europäischen Nation kann sich der Franzose leichter verständigen, als mit der russischen, denn diese legt von allen Nationen am meisten von ihrer Ursprünglichkeit ab, um dem Franzosen zu ähneln. Der Kaiser Nicolaus bekämpft zwar dieses System, aber da er sein Land bilden will, so kann er das einzige Mittel dazu, die leichten, mundgerechten französischen Elemente, nicht gänzlich unterdrücken. In Petersburg ist ein französisches Theater, das in unmittelbarem Verkehr mit Paris steht. Petersburg ist noch immer die Zuflucht der Tanzmeister, Friseurs, Hauslehrer, Gouvernanten, Fechtlehrer und Schauspieler von Paris. Die jüngste Ukase des Kaisers hebt die Pensionirung nach zehn Jahren für alle fremden Künstler auf. Die hiesigen Journale machen darüber einen großen Lärm. Wer den Franzosen seine Bildung verdankt, den behandeln sie am wenigsten wie einen der Ihrigen. Niemand wird hier mehr verspottet, als Katharina und Friedrich der Große. Wenn den kleinen Blättern der Witz ausgeht, so polemisiren sie gegen Preußen und Rußland. Sie drohen jetzt Petersburg, daß Paris sich entschlossen hätte, es zur Strafe für jene Ukase verwildern zu lassen. Und doch warten ganze Scharen auf das nächste Dampfboot, das von Havre nach Petersburg geht: Tanzmeister mit steifen Füßen, Maler, die hier von den Daguerreotypisten verdrängt werden, Gelehrte, die bei aller ihrer Unwissenheit doch immer den Vortheil voraushaben, daß sie französisch können, Schauspieler, die nicht einmal bei den folies dramatiques mehr unterkommen konnten, ein jeune premier, der schon einen Bauch ansetzt, eine première amoureuse, die schon über das Alter Balzac's hinaus ist. Die Taglioni haben die Russen schon. Die Rachel werden sie bald auch haben können. Zwar ist sie mündig geworden, zwar ist sie Societaire der »Schauspieler des Königs«, dennoch sehnt sie sich von Paris fort. Seit einigen Wochen schließt sie sich von aller Welt ab und erscheint nur noch, wenn sie auf der Bühne zu knirschen oder die Augen zu rollen und dabei ihre Alexandriner zu singen hat. Die Arme! Sie ist das Opfer der Männer, das Opfer unsrer Bosheit geworden! Die Rachel würde jetzt nach London gehen können und gewiß sein dürfen, daß sie die Königin Victoria nicht mehr in ihre Cirkel zöge. d'Arlincourt kann sie nicht mehr als die neue Jungfrau von Orleans besingen. Man hielt früher so viel auf ihre Tugend, sie machte Aufsehen damit, daß sie sich im Leben für eben so kalt gab, wie sie in ihren Rollen spielt. Nun ist sie überführt, daß sie auch lieben kann. Lieben? Paris ist nicht so kalt, um einem jungen Mädchen die Glut ihres Herzens zum Vorwurf zu machen. Paris würde die Rachel noch ehren, auch wenn sie ihrer Leidenschaft erlegen wäre. Aber sie hat Véron erhört, sie hat jenen bekannten Véron, der, ohne Schriftsteller zu sein, die Revue de Paris begründete, der, ohne von Musik etwas zu verstehen, die pariser große Oper zur Direction, d. h. wie man es hier nennt, zum Exploitiren erhielt, sie hat Véron erhört. Véron soll um den Besitz der Rachel an der Table d'Hote des Hotel des Princes gewettet haben, wie Richelieu in dem bekannten Lustspiele von Dumas über den Besitz der Demoiselle de Belle-Isle wettet, wie vor einigen Jahren ein Cavalier in Berlin um die Tänzerin Wandt wettete. Man würde die Rachel bemitleiden, wenn Véron jung wäre. Véron ist aber alt, dick und häßlich. Diese Liebe ist nichts als wieder eine Maklergeschichte des Papa Felix gewesen; denn Véron hat Geld. Man darf in Paris lieben, lieben bis zum Scandal, aber man muß kein Geld nehmen.

Das ewige Schaukelsystem der hiesigen Politik ist Anschließung entweder an England oder Rußland. Man begreift aber nicht, was eine Allianz mit Rußland sagen soll, während die Antipathie des russischen Kaisers gegen den gegenwärtigen Zustand der Dinge in Frankreich eher zu- als abnimmt. Vielleicht will Louis Philippe nur vermeiden, daß sich das kaiserliche Haus nicht zu sehr mit den Prätendenten seines Thrones verschwägert und nach einem Leuchtenberg auch einen Bourbon in seinen Familienkreis aufnimmt. Die Politik Louis Philipp's ist leider mehr dynastisch, als national, mehr seiner eigenen Befestigung, als den Interessen Frankreichs gewidmet.

In der orientalischen Frage, da sie nun doch durch Richard Löwenherz angeregt ist, wird Rußland sich immer nur durch Isolirung behaupten. Rußland legt die eiserne Faust auf die Erbschaft des Türkenreiches, es hat den Vorsprung der Oertlichkeit, es braucht seine beiden Arme nur vom schwarzen Meer und Persien zusammenzudrücken, um zu haben, was es wahrscheinlich will. Es liegt etwas Stolzes, etwas Großes in dieser ruhigen Kälte, die Rußland Frankreich gegenüber stellt, es liegt etwas Kleines in diesem Buhlen Louis Philipp's um Eintracht mit dem Kabinet von St. Petersburg. In der orientalischen Frage wird sich Frankreich eben so wenig geltend machen können, wie in der Rheinfrage, obgleich es den Rhein einen französischen Fluß und das mittelländische Meer einen französischen See nennt. Es fehlt dem Frankreich von heute an Muth und Entschlossenheit. Louis Philippe, sich selbst für den unveränderlichen Gedanken des Schicksals haltend, überläßt es vielleicht seinen Söhnen, die Demüthigungen ihres Vaters einst zu rächen. Er selbst ist Bürger, seine Söhne erzieht er zu Kriegern.

Die Anrede an den König, die immer noch hier zu Neujahr üblich ist und die der König nicht missen will, weil sie ihn in jener Eintracht mit den Fürsten sehen läßt, die er so sehr wünscht, würde in diesem Jahre bekanntlich auf den russischen Gesandten gefallen sein, er hat sich entfernt. Dafür ist der französische Ambassadeur am petersburger Hofe gleichfalls nicht auf seiner Mission. Ich hatte das Vergnügen, den Baron von Barante kennen zu lernen. Ein feiner, zuvorkommender Staatsmann, der in der gelehrten Welt als Historiker eines bedeutenden Rufs sich erfreut. Seine Geschichte der Herzöge von Burgund in sechs Bänden ist eines der gediegensten Werke, welches die neue historische Literatur aufzuweisen hat. Herr von Barante sagte, er wäre der einzige französische Schriftsteller, der sich über die belgischen Nachdrucker nicht zu beklagen hätte. Sie hätten ihm zwar das Eigenthum seines Buchs geraubt, dafür aber aus belgischen Hülfsquellen, aus den Archiven der ehemaligen Theile Burgunds, die an Belgien gekommen sind, sein Werk so vermehrt, vervollständigt und berichtigt, daß es ein ganz neues und viel besseres geworden wäre. Herr von Barante bemerkte unter Andern: »Sie werden Frankreich sehr still finden!« – desto besser läßt es sich studiren. Hier ist nichts still. Der Lärm ist nur zuweilen entfernter, zuweilen näher. Die Leidenschaften schlummern nur und träumen. Aus diesen Träumen muß man wahrsagen und deuten die Geheimnisse. Frankreich ist jenem geblendeten Simson zu vergleichen, der nur im Stillen abwartet, bis ihm wieder die Locken wachsen. Er wird sie noch einmal schütteln, entweder siegen oder sich vielleicht auf immer unter den Trümmern begraben müssen.


 


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