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Viertes Capitel.

 

Schüler.

Wer ist der, durch den der Geist thätig? Wer ist der, durch dessen Macht der ursprüngliche Lebenshauch wirksam? Was ist, durch dessen Macht die menschliche Rede sich gestaltet? Wer ist der Gott, durch dessen Macht Gesicht und Gehör ihr Amt verrichten?

Lehrer.

Das Ohr des Ohres, die Intelligenz der Intelligenz, das Wort des Wortes, der Lebenshauch des Lebenshauches, das Auge des Auges.

Kena-Upanischad des Sama-Veda.

 

Es war an dem Morgen, der auf Tibets glücklichsten Tag folgte. Die Einwohner von Lassa kehrten zu ihren gewohnten Geschäften zurück. Die Straßen pflegten in der Frühe immer von ihrer theologischen Bevölkerung befreit zu seyn, denn die Priester waren des Morgens in ihren Klöstern mit mannichfachen Hanthierungen beschäftiget, und erst wenn die Sonne höher stand, trafen gewöhnlich die geistlichen Herren auf den Spaziergängen und Plätzen ein, um ihre reichlichen und kostbaren Mahlzeiten zu verdauen.

Aus den Werkstätten tönte der Hammer und das feilende Eisen; die Zimmerleute richteten Häuser auf, die Maurer füllten die Fugen, und die Steinmetzen arbeiteten an dem Ehrendenkmale, das dem verstorbenen Regenten gesetzt werden sollte; denn in Tibet, einem Lande, ohne alle geschichtliche Erinnerung, und ohne die Materialien und Kenntnisse, welche eine solche nur erhalten können, konnte es nicht auffallen, daß man die Geschichte in solchen kostbaren Denkmälern, die die Stelle der Buchstaben und Declamationen vertreten, aufzeichnete. Es ist erstaunlich, daß das civilisirte Europa mit seiner historischen Kunst, seinen besoldeten Historiographen, seinen tausend Bibliotheken, den historischen Werken des In- und Auslandes, dennoch die Sitte der steinernen Denkmäler von den barbarischen Völkern fortwährend entlehnt. Thaten, die in den Annalen der Geschichte verzeichnet sind, bedürfen keines Marmors, um sie zu verewigen.

Nur in der Gegend, wo am gestrigen Tage die Procession ihren Weg genommen hatte, und über Nacht das weiße Spalier abgebrochen war, herrschte eine ungewöhnliche Unruhe. Neugierige Müßiggänger, verspätete Nachzügler trieben sich auf dem geweihten Boden herum, um ihr Mißgeschick zu beklagen, oder die Mildthätigkeit der Betenden in Anspruch zu nehmen. Tibet leidet, wie alle hierarchisch regierten Länder, an einer unzähligen Menge von Bettlern. Dieß ist die natürliche Folge einer zahlreichen Priesterschaft. Wo man eine ansehnliche Anzahl von Menschen beim Nichtsthun in den besten Umständen leben sieht, da gewöhnen sich auch die Fleißigen an eine gewisse Trägheit, und die Faulen an einen völligen Müßiggang.

Die größten, obschon privilegirten Müßiggänger sind bekanntlich in allen Staaten die Soldaten. Sie hatten ihre Casernen verlassen und einen Ort aufgesucht, der ihnen die meiste Abwechselung gewährte. Einige Rotten waren aber zu einer andern Absicht an diese heilige Stätte gekommen. An ihrer Kleidung und ihrer tatarischen Gesichtsbildung erkannte man die kalmückischen Reiter, welche von dem Bruder des Dalai Lama befehligt wurden, und den Kern der tibetanischen Truppen bildeten. Diese wilden Söhne der mittelasiatischen Hochsteppen sind die eifrigsten Anhänger des Lamaismus, und es ließ sich daraus ihre Verzweiflung erklären, daß sie, die den gestrigen Zug an der Spitze eröffnet hatten, durch Erfüllung ihres Dienstes um die höchste Seligkeit gekommen waren, um den Anblick des jungen Dalai Lama. Sie warfen sich jetzt, um doch etwas wenigstens von seiner Nähe zu empfinden, auf den Stellen nieder, die sie von seinem Baldachin beschattet glaubten. Wie ungewiß mußten die Armen seyn, ob sie die rechten gefunden hätten!

Unberufene Zuschauer mischten sich in diese Handlungen, indem sie den Kalmücken bei Auffindung der geweihten Fußstapfen beistehen wollten. Hier wollte der Eine den rechten Ort bemerken, hier ihn der Andere. Da sollte das Pferd mit den Pantalons des Dalai Lama gestanden haben, dort vermaß sich einer hoch und theuer, daß der erste der Baldachin-Träger seinen Fuß eingedrückt habe, und also zwei Schritte davon die Stelle seyn müsse, über welcher der Angebetete einen Augenblick geschwebt habe. Besonders mischten sich die Chinesen, theils Soldaten, theils Diener von der Gesandtschaft in den Streit. Ihr Vorwitz war genug, ihnen den Beruf dazu zu geben, ihr Eigendünkel trat immer mit einer Autorität auf, die entscheiden sollte, und ihren hämischen, satyrischen Charakter konnten sie da am wenigsten verläugnen, wo sie ihn ungestraft zeigen zu können glaubten. Die chinesischen Cavalleristen, längst mit den kalmückischen in gespannten Verhältnissen, trieben offenbar mit den letzten, die jetzt in einer so demüthigen Stellung sich im Staube wanden, ihren Spott. Sie riefen die Kalmücken bald hieher, bald dorthin, wollten hier einen kleinen Flecken in der Erde bemerken, dort schrien sie, müsse der Lama Athem geholt haben, so daß sich der Fußboden davon aufgekräuselt hätte, kurz, sie trieben ihre mit vielfältigen Bemerkungen vermischten Spöttereien so weit, daß die Kalmücken derselben endlich überdrüssig wurden, und sie mit Schlägen erwiderten.

Die feigen Chinesen wußten diesen Angriffen nichts entgegenzusetzen als Schimpfreden, mit denen sie ihr ganzes von Herrn Klaproth herausgegebenes Wörterbuch erschöpften; dazu kam, daß sie im Handgemenge mit den kräftigen, nicht dickbeleibten Kalmücken wenig gewinnen und nur Alles verlieren konnten. Ein zerrissener Aermel hätte ihnen von ihrem Befehlshaber Stockprügel, der Verlust des Zopfes den Abschied zugezogen. Ihr Rücken war daher am meisten verwundbar, und ihr Zopf zwang sie, ihn nicht zu kehren, und tapfer zu seyn. Die Kalmücken setzten den Religionsspöttern hart zu. Die Einwohner nahmen ihre Partei und die Chinesen ihre Zuflucht zu einem abscheulichen Geschrei. Obgleich sie damit ihre Cameraden nicht herbeiziehen konnten, von denen voraus zu sehen war, daß sie von dem Schauplatz der Verwirrung eilen würden, um ihre Zöpfe in Sicherheit zu bringen; so erreichten sie damit doch, daß sie sich selbst zum Widerstande anfeuerten, und ihn mit besserm Muthe leisteten. Aber die Kalmücken schwangen nur um desto kräftiger ihre siebensträhnigen Peitschen, die sie um den Leib trugen, und wurden darin von Lassa's Lazaronis unterstützt. Der Tumult nahm zu, das Aufruhrgeschrei verbreitete sich durch die Stadt, Alles lief neugierig aus den Häusern, und der Auftritt würde die ernstlichsten Folgen nach sich gezogen haben, hätte eine neue Erscheinung ihm nicht ein wirksames Ende gemacht.

Ein Mann in langem, fliegendem Haare, mit Thierfellen nur halb gekleidet, warf sich unerschrocken unter die kämpfenden Parteien. Seiner gewaltigen Körperkraft gelang es, die Erbittertsten in die Reihen der Ihrigen zurückzudrängen, und jedem neuen Angriff in die Arme zu fallen. »Unverschämte Fremdlinge,« rief er, »wer hat euch die Thore dieser heiligen Stadt geöffnet, um sie mit euern Worten und Gewalttätigkeiten besudeln zu lassen? Habt ihr in euern Salzwüsten die Sitten zurückgelassen, die euern Eltern die Achtung ihrer Freunde erwarben? Und ihr, Chinesen, seyd ihr deßhalb hiehergekommen, um die Laster, welche die Luft um den grünen und gelben Fluß verpesten, in unsre Berge zu verpflanzen? Ihr zur Rechten, warum beschlagt ihr nicht eure Pferde? Ihr zur Linken, warum nehmt ihr nicht eure Schreibfedern zur Hand, schickt euern Tanten Grüße und den Pagodenvorstehern und Mandarinen euers Orts die Neuigkeiten, die euch verdächtig scheinen, und von euch ausspionirt sind? Stört die Ruhe dieser heiligen Gegend nicht, von der ihr eine Handvoll Erde nehmen solltet, um sie einst in euer Grab legen zu lassen!«

Die Menge wich ehrerbietig von dem kühnen Sprecher zurück. Die Kalmücken befolgten heulend den Rath, den er ihnen am Schlusse gegeben hatte, und verzogen sich; die unberufenen Zuschauer gingen an ihre Arbeit, und die Chinesen, lächelnd nach ihren Zöpfen fühlend, kehrten in die Casernen zurück, um ihre Cameraden mit Prahlereien und Lügen zu bedienen.

Die besänftigende Dazwischenkunft war vor einem Manne ausgegangen, den wir schon einmal in einem nächtlichen Gespräch mit Gylluspa kennen lernten, und ihn von seinen wilden, phantastischen Tänzen, die er vor Hali-Jong und seinen Brüdern ausführte, Schamanen nannten. Wir wollen ihn auch ferner mit diesem Namen bezeichnen, obschon ihm Einiges fehlte, um denselben ganz zu verdienen. Er eilte, von den scheuen Blicken der Menge verfolgt, der Gegend der Stadt zu, in welcher die Burg des Lama lag.

Wir haben von Maha Guru, dem jüngern Bruder des Schamanen gehört, und mußten die sonderbare Ausdrucksweise bewundern, mit der der ältere Bruder von ihm sprach. War es nicht, als erwies er ihm eine göttliche Ehre? Diese Frage ist jetzt nicht mehr zweifelhaft, denn Niemand anders als Maha Guru war der neue Dalai Lama.

Die Lehre von der Seelenwanderung ist der einzige Erklärungsgrund für den merkwürdigen Cultus, der auf dem höchsten Gipfel der Erde herrscht. Die Annahme, daß die einen sich auflösenden Körper verlassende Seele wieder einen neuen Sitz zu suchen hat, um ihre Fortdauer zu sichern, erlaubte die Anbetung eines Menschen, auf den sich die Fülle des göttlichen Geistes herabgelassen habe. Der Dalai Lama ist kein Papst, kein Stellvertreter der Gottheit, sondern diese selbst, der Schöpfer und Erhalter der Welt, der Lenker der Himmelsbahnen, der Spender unserer Lebensloose, der Richter über böse und gerechte Handlungen. Die Tibetaner sehen die Hülle ihrer Gottheit geboren werden und sterben, aber in dem Augenblicke, da der Körper von dem Geiste bewohnt wird, der ihnen der Höchste ist, unterscheiden sie auch das Aeußere und Innere nicht mehr, sondern halten die vergängliche Kleidung der Gottheit wie von ihr selbst durchdrungen und untergetaucht in den Glanz ihrer unsterblichen Seele. Sie kennen die Eltern, Brüder und Verwandten ihres Gottes, aber wie zärtlicher Empfindungen sie fähig seyn mögen, so schätzen sie in dieser Rücksicht die Bande des Bluts für das Geringste. Die Priester lehren, daß die Geister alle nur Ausflüsse einer und derselben Seele seyen, daß wir alle unsre Großmutter in dem Princip des Guten und Großen finden. Wer ist in dieser Kindschaft bevorzugt? Da gibt es keine Einschränkung auf Raum, Volk, Religion; sondern die Guten sind alle untereinander Brüder und Väter. Dieß ist nach der Weisheit von Tibet die wahre Aehnlichkeit und Verwandtschaft.

Wenn Gott seines Körpers überdrüssig wird, ihn verläßt und stirbt, so vertritt ein erfahrner Mann interimistisch seine Stelle, und sorgt für die Auffindung eines neuen Körpers, der sich zur Aufnahme der Gottheit eignen dürfte. Ich drücke dieß Geschäft nur von seiner praktischen Seite aus, während die metaphysische erhabener ist. Denn die Priester sollen ja nur lauschen, wo sich die entschwundene Gottheit hingeflüchtet hat; sie sollen die Geisteskräfte der Tausende von tibetanischen Kindern untersuchen, und überzeugt seyn, da die Weltseele wiederzufinden, wo sie die meiste Empfänglichkeit, Lebhaftigkeit, Geistesschärfe antreffen. Ein Kind, das in seinem ersten halben Jahre schon laufen konnte, mit einem Jahre alle Zähne hatte, und den Namen des Vaters und der Mutter aussprechen konnte; ein Knabe, der im dritten Jahre die vier Species begriffen hatte und im vierten eine leserliche Hand schreibt, der im sechsten Antworten gibt und Urtheile äußert, die eines Erwachsenen würdig sind – da finden wir den Gott wieder, der eines alten runzlichten Körpers müde, sich in ein frisches junges Leben flüchtete, und von hier aus die Erkennungsscenen vorbereitete. Die Priester fallen vor einem solchen Kinde nieder, heben den Gott aus den Windeln, hüllen ihn in ihre weiten Kutten, und bringen ihn in eine einsame Gegend, wo er der ihm gebührenden Ehre und eines sorgfältigen Unterrichtes genießt. Hier bleibt er so lange, bis es ihm gefällt unter die Menschen zurückzukehren, oder bis der Augenblick erscheint, wo ihn das gesetzliche Alter zu seiner Wiederkunft verpflichtet.

Daß sich Gott aber zuweilen auch Rücksichten unterwarf, bewies sein Wiedererscheinen in Maha Guru. Wir wollen keineswegs seine Legitimität antasten, obschon damit in unserm Falle wenig Gefahr verbunden ist; aber wir sehen aus der Geschichte seiner Berufung, daß zuweilen eine Empfehlung auch in dieser schwierigen Aufgabe half. Tibet war lange in der betrübtesten Verzweiflung. Die Priester reisten vergeblich im Lande herum, um den heimlichen, verborgenen Gott zu entdecken. Sie legten den Kindern auf den Landstraßen verfängliche Fragen vor, die sie aus dem Stegreif beantworten sollten, erhielten aber zu ihrem Schrecken immer nur Antworten, die entweder sehr dumm herauskamen, oder deren Salz mit vieler Erde versetzt war. Da sagte der General der kalmückischen Cavallerie zu den obersten geistlichen Behörden, als die Boten von ihren Examinationsreisen mit wiederholten schlechten Erfolgen zurückkehrten: »Warum haltet ihr euch nur in den Umgebungen von Lassa? Die Seele Gottes ist beflügelt; glaubt ihr, daß sie von einem dreistündigen Fluge schon müde ist? Geht nach Tassissudon, steigt auf die Mauern von Dukka Jeung, und lauscht dort nach dem, was ihr nicht finden könnt!« Die Priester sandten an den bezeichneten Ort und trafen einen Knaben, der schon zum Jüngling reifend, von den gewöhnlichen Offenbarungen, in denen sich Gott zeigte, dem Wuchs und Alter nach sehr verschieden, dem Geiste und Verstand nach aber Niemand war, als der Heilige, den sie als verschollen schon beklagt hatten. Von Stund an wurde Maha Guru, dem jüngern Bruder des Kalmücken-Generals, göttliche Ehre erwiesen, ihm der Sitz auf einem Schlosse bei Lassa eingeräumt, und seiner reifen Bildung nichts mehr gegeben, als die ihm noch fehlende theologische Richtung. Man würde sich eines sehr falschen Ausdruckes bedienen, wenn man Maha Guru's zunehmende Göttlichkeit ein sich Zurechtfinden in seiner neuen Würde nennen wollte. Nein, er war nicht der letzte, der an sich glaubte, er trat überall mit dem festen Bewußtseyn seiner Allmacht auf, und wenn ihn je ein Zweifel beschlich, so betete er zu sich selbst, und sein inwohnender Geist schlug den widerspänstigen Leib zu Boden.

Maha Guru's Brüder waren seine eifrigsten Anbeter, obschon sie in ihren Wünschen sich trennten. Keiner von beiden zweifelte, mit dem wahren Schöpfer Himmels und der Erden einst Versteckens gespielt zu haben; aber während der General die verstorbenen Eltern und sich selbst am meisten deßhalb glücklich pries, beklagte der mittlere Bruder, daß ihm Maha Guru einen solchen Streich gespielt, und wünschte seinem Bruder die nackte sterbliche Menschheit wieder, die ihm einst so nahe stand, und deren Schicksal er theilen durfte. Er wußte, wie vergeblich diese Wünsche waren, und gerieth dadurch in einen Zwiespalt mit sich, der Welt, der Gottheit, den wir uns nicht erklären können, weil er auf für uns zu sonderbaren Voraussetzungen beruht. Er durchstreifte die Gebirge seines Landes, und suchte der Erinnerung an seinen vergötterten Bruder zu entfliehen, die ihm doch überall folgte, in den Gesteinen, den Quellen, den Sternen des Himmels, in den Werken dessen, dem er nirgends aus dem Wege gehen konnte. Auf Alles, was er sah und hörte, auf Alles, an das er seine Klagen richtete, hatte Maha Guru seinen Stempel gedrückt. Niemals können die beiden Pole der Liebe und des Hasses sich näher gelegen haben. Was er anbetete, das mußte er fürchten, und was er mit heißer Liebe umfing, das stieß er in demselben Augenblicke mit Unwillen von sich. Dieser Zustand gränzte an Verzweiflung. Er entzog sich Monate lang dem Anblicke seines Bruders, der ihn zwar zur tiefsten Anbetung aufforderte wie den General, ihn aber den leiblichen Bruder nicht vergessen machen konnte. Hier war Hingebung und Freundschaft ein Verbrechen geworden. Er irrte nach den Auftritten, in denen er seinem beklommenen Herzen Luft machte, in den Wäldern und Bergen umher, warf sich in toller, fanatischer Entzückung unter die wilden Schwärme der wandernden Fakirs, in welcher Umgebung wir ihm zum ersten Male begegnet sind.

Der Schaman hatte seinen Bruder früher nur als Gott gesehen, heute sah er ihn als Dalai Lama. Er war unter den Dienern wohlbekannt und tief verehrt. Kein Hinderniß stand seiner Audienz entgegen.

Vor dem Audienzzimmer trat er in einen großen, hohen, länglichen Saal, der von einer Colonnade umringt war, und durch eine Oeffnung über dem Mittelpunkte erleuchtet wurde. Die Luft, das Licht und die Wärme der Sonne werden dadurch hereingelassen, daß man ein bewegliches, unmittelbar vor der Oeffnung befindliches Dach von ihr wegnimmt. Die Säulen der Colonnade waren karmoisinroth gemalt und reich mit Gold geziert, so wie auch die Spitzen der obern, sich schlängelnden Bogen mit verschiedenen symbolischen Wappen geschmückt. Die Wände waren blau gemalt, und mit zwei breiten, rothen Streifen eingefaßt, durch welche ein gelber hinlief. Der Fußboden bestand aus einer Composition von braunen und weißen Kieseln, die mit Erde vermischt war, und einen hellen starken Glanz annimmt.

Ich sagte, dieß Zimmer habe sich vor dem Audienzsaale befunden. Nein, er ist es selbst. Durfte ich mich in der Nähe einer solchen Erscheinung, wie sie vor unsern Augen steht, erst auf eine Beschreibung der vier Wände einlassen? Wir sind an den Stufen, die auf den Götterberg führen. Der Thron steht in einer Nische, einige Fuß über dem Boden erhaben, umringt mit Kissen von gelbem Atlas, die auf jeder Seite mit seidenen Franzen von verschiedenen Farben und reichem Brocat geziert waren. Am Fuße des Thrones standen dünne Kerzen von der Mischung, wie sie in den Tempeln als Weihrauch zu brennen pflegten, und Vasen mit wohlriechendem Holze, das, langsam verbrennend, den Saal mit seinen Düften erfüllte.

Maha Guru? Wär' er allein gewesen, dann hätt' ich des Schamanen Eintritt in den Saal nur mit Farben schildern können, die aus dem Blau des Himmels, dem Weiß der Gestirne, dem Roth des Abends und Morgens gemischt seyn mußten; aber er war nicht allein. Maha Guru saß in menschlicher Gestalt auf den gelbseidenen Kissen, seinen Bruder, den frommen General, dadurch beglückend, daß er die allmächtige Hand auf seine Kniee legte. Der Schaman stürzte nieder, küßte die Stufen des Thrones, die er mit heißen Thränen benetzte.

Maha Guru war ein schöner, mannhafter Jüngling, mit einer blendend weißen, durch seine eingeschlossene Lebensart, zart erhaltenen Haut, dunkeln Augen und schwarzem, langgekämmtem Haare, das unter einer viereckigen Mütze in den Nacken floß. Er war in ein gelbseidenes, mit chinesischen Golddrachen durchwirktes Gewand gehüllt. In seinen Mienen wehte eine sanfte Milde, die Vertrauen erweckte, ja nach der Freude über das Wiedersehen seines lang vermißten Bruders machte sein Antlitz und sein Benehmen einer Schüchternheit, einer Schalkhaftigkeit Platz, die dem hochgestellten Jünglinge zur Ehre gereichte, ihm aber nichts mit der Majestät des olympischen Jupiters Gemeinsames gab.

Der Schaman hatte die in Tibet gewöhnliche Begrüßungsformel, welche in einem Auswechseln seidener Schärpen besteht, an diesem Ort für nicht anwendbar gehalten; aber sein Bruder kam ihm darin zuvor, ergriff eine weißseidene, neben ihm liegende Binde, und überreichte sie dem Verlegenen, der diese Höflichkeit nicht erwidern konnte. Der General gab dem, was der Schaman darüber empfand, Wort: »Wie glücklich sind wir, mein Bruder!« sagte er; »die Hand des Himmels reicht sich uns durch die Wolken, daß wir den warmen Puls der Gottheit fühlen können.«

Der Schaman schwieg, aber Maha Guru entgegnete: »Du rühmst dich eines Vorzugs, Theurer, den der Himmel Jedem gewährt. Ihr seyd nur lebhafter von ihm durchdrungen, weil ihr mir näher steht. Aber gehet hinaus in die Welt und lauscht auf ihre Werke, ihr Thun und Treiben, und ich weiß, ihr werdet mich in Allem wieder erkennen. Dieß ist der ewige Verkehr, den ich mit meiner Schöpfung unterhalte. Ich bin zugegen, wenn die Mutter an der Wiege ihres Kindes Gebete in den Himmel sendet; ich begleite den Jüngling in die Welt, wenn sein Geist sich Nahrung sucht und sein Herz von großen Entschlüssen anschwillt; der Vater des Hauses, zu den Göttern auf seinem Herde betend, weiß, daß ich ihm die Kraft dazu verleihe, und der sterbende Greis streckt die Hand nach mir aus, um seine Seele die Wege wandeln zu lassen, die ich ihr zeige. Nein, meine Brüder, ich bin keiner von den vornehmen Göttern, die sich durch den Umgang mit den Menschen besudelt glauben, die nicht selbst hinuntersteigen, um ihre Angelegenheiten ins Reine zu bringen, sondern ihre Gesandten, ihre Propheten, ihre Söhne schicken, unter deren unerfahrenen Händen sie immer schlechter gerathen müssen.«

»Du sprichst von dem Wunder deiner Allgegenwart,« sagte der Schaman; »aber die Weisen lehren noch etwas Anderes. Sie zeigen auf die Pflanze, den Stein, das Thier, und nennen sie alle deine Offenbarungen. Aber wie? dann wärest du ja unterthan, nicht nur deinen eigenen Gesetzen, sondern auch denen, welche Menschen über dich verhängen. Wo ist die Gränze, mein Bruder, da ein Eichbaum noch ein todtes, blättertreibendes Holz ist, das ich fälle, und in den Ofen werfe, wenn du ihm sein Leben gibst und seinen Tod doch nicht hindern kannst.«

Maha Guru antwortete und sprach: »Ich bin der Herr der Schöpfung, ihr Meister, und kann nicht mein eignes Werk seyn. Aber wie der Künstler seinen Schöpfungen sich hingibt, ihnen Alles einprägt, was seine Seele erfüllt, wie ein Kenner sich vor sie hinstellt, und in ihnen den Geist des Schöpfers wiederfindet, nicht anders der, welcher die Erde wie einen Thonball in seiner Hand hält. Nur der gute wird jedoch den Stempel erkennen, den ich auf alle meine Werke gedrückt habe.«

»Aber wie soll ich es verstehen,« fragte der General, »daß die Schöpfung ein vollkommnes Werk ist, und sich dennoch in ihr eine Abwechslung findet, die uns Neues und oft Besseres bringt? Welche Dinge führen uns nicht die Fremdlinge über die Gebirge zu? Daß ich nur von meinem Fache spreche, wie verschiedenartig sind die Bewegungen auf dem Pferde bei uns und ihnen, wie sonderbar sind die Handgriffe des Exercitiums! Sie haben sogar die beschwerlichen Lunten nicht mehr, mit denen wir unsre Gewehre abbrennen. Wenn ich dieß bedenke, so scheint mir die Schöpfung noch unvollendet. Wirst du sie vollenden?«

»Oeffne dein Ohr,« sagte Maha Guru, »ich werde dich mit Wahrheit bedienen. Sage zuvörderst nichts von den unglücklichen Fremden, die meine Gebote verlassen haben, und falsche Götter anbeten. Ich verlieh ihnen einst Schärfe des Geistes, Beweglichkeit der Phantasie und schöne, grüne Thäler, die reizender sind, als mein treues Volk von Tibet auf seinen Bergen eine Vorstellung davon hat. Aber diese Gaben steigerten ihren Uebermuth, und dem Uebermuth folgte das Schicksal auf den Fersen. Sie sind eingegränzt in enge Städte, aus denen sich der Rauch nicht herausfinden kann; sie haben schlechte Nahrung, und das Bedürfniß der Kleidung können sie nur mit großen Opfern befriedigen. Ihr Geist strengt sich an, während ihre Herzen verwildern; sie machen Erfindungen, die die Vorwelt nicht kannte. Sie lernten die Elemente bezwingen und den Himmel ersteigen; aber ach, die Erfolge ihrer Entdeckungen haben der Freude nie entsprochen, die sie empfanden, als sie ihnen zum erstenmale gelangen! Denn welches ist das Loos, das ihre Fortschritte unaufhörlich begleitet? Sie sind der Zahl nach weit geringer als wir und unsre Nachbarn; aber sie werden beherrscht von Königen und von den Brüdern der Könige und von ihren Schwägerinnen. Diese vernichten morgen Alles, was sie heute gewonnen haben; es ist eine alte Feindschaft, die eine Schlange in die Herzen der Könige gesäet hat. Das Elend in jenen Ländern ist groß, aber Alles, selbst die Erleichterungsmittel des Elends müssen dazu dienen, es zu vermehren. Ihre Vorfahren kannten nichts von den Fortschritten der Bildung, und die Laster, die auf ihnen lagen, waren geringer, als sie jetzt sind. Denn wenn die Feinde dieser Völker vernehmen, daß wieder ein großer Geist ein Element bezwungen hat, so bedrücken sie ihn, daß er von Stund an seines Fundes nicht froh werden kann; denn jede Erleichterung ist für sie nur ein Grund, die Zügel schärfer anzuziehen. Ach du unglückliches Volk, warum verließest du mich!«

Der Schaman küßte weinend die Füße seines Bruders; denn an diesem Bilde sah er die Folgen eines Zweifels an dem einzigen Gotte. Maha Guru aber fuhr fort: »Die Schöpfung ist nicht mein Leben, sondern nur eine Beschäftigung meines Lebens. Die Welt ist meine göttliche Thätigkeit. Nehmt das kunstvolle Uhrwerk, das im Vorhofe dieses Palastes hängt! Der Zeiger und das Zifferblatt sind die Welt; wer wollte sagen, daß die Räder und Wellen auch zur Welt gehören? Aber das Eine schreibt dem Andern Gesetze vor, und keines besteht ohne das Andere. Die Welt wird auch niemals untergehen, wie Irrlehrer behaupten; denn kann ich jemals sterben? Können unsre Weiber aufhören, Kinder zu zeugen, in deren Leibern ich meinen Sitz nehme? Ich sage euch aber, die Welt ist vollkommen, weil sie keines Menschen Werk ist, und ich sage euch wiederum, die Welt ist unvollkommen, weil ich noch lebe und noch unzählige tausend Jahre zu leben gedenke.«

»Zu den größten Unvollkommenheiten dieser Welt,« bemerkte der General, »gehören unter andern die kurzen Gewehrläufe meiner Cavallerie. Je länger sie sind, desto weiter tragen sie, du solltest sie abschaffen, mein Gott!«

»Wenn es nicht zu viel kostet,« sagte der Herr des Himmels, setzte aber nach einer Pause hinzu: »dieß ist nicht die einzige Unvollkommenheit, es gibt deren in den sechszehntausend Königreichen der Welt noch unzählige; ja, in der Harmonie des Weltsystems ist noch Vieles nachzubessern. Tretet hinaus in die geheimnißvolle Stille einer Mondnacht. Dieß Flüstern in den Zweigen, dieß Säuseln im Winde, dieß Glühen der Käfer, diese wunderbaren Laute, die ich in den Tagen, da ich noch Mensch war, vernahm, hielt ich damals noch für einen seligen Traum der Schöpfung, für einen leisen Monolog der Gottheit, die lustwandelnd sich in die Bewunderung ihrer selbst vertieft. Nein, daß ich euch nichts verschweige, diese Töne, diese Stimmen, die schallend durch die Luft klingen, kommen von dem sausenden Webstuhle der Zeit, und von den Schlägen, die auf das eherne Firmament des Himmels fallen. Einer frommen und reinen Seele wird es nicht entgehen, daß Gott in diesen Stunden an seinen Werken sogar feilt.«

Die Brüder staunten über diese Mittheilungen, und das Herz des Schamanen jubelte; denn er fühlte, daß ihm die Göttlichkeit seines Bruders immer näher rückte. »Dann geschieht es wohl auch oft,« fragte der General, scheu zu Maha Guru aufblickend, »daß sich Gott von seinen Werken ausruht, da er sie ja im Nu vollenden könnte?«

»Du sprichst die Wahrheit,« antwortete der, welcher über sich selbst unstreitig die beste Auskunft geben konnte. »Es gibt Menschen, die man die Ruhepunkte der ewigen Schöpfung nennen darf. Die Gottheit vergaß ihnen die Gaben zu verleihen, die sie allen Sterblichen schenkte; aber weil dennoch die Fülle der Allmacht auf ihnen ruhte, so erhielten sie einige Vorzüge, die sie im außerordentlichen Grade besitzen. Manche erhielten ein Herz ohne Tugenden, aber Gaben des Geistes, die Erstaunen erregen. Eben so scheint an der körperlichen Bildung Vieler vergessen zu seyn, daß sie zu den Menschen gehören sollten, aber in diesen mißgestalteten Formen wohnt oft eine unbeschreibliche Güte des Herzens, und noch öfter eine solche Fülle geistiger Vermögen, daß jedem Bucklichten das Vorurtheil entgegen kommt, er sey der scharfsinnigste Denker. An diesen Menschen sieht man es, daß die Schöpfung ohne einen Plan angelegt ist.«

»Wie?« rief der General, »dann wäre ja Gott planlos zu Werke gegangen.«

Man mußte dieß Wortspiel in der tibetanischen Sprache hören, um darüber lachen zu können. Die Brüder thaten es mit Wohlbehagen. Aber so schnell die beiden ältern ihre Lachmuskeln in Bewegung gesetzt hatten, so schnell blieben sie ihnen krampfhaft stehen; denn das Außerordentlichste, das sie nur geahnt, das sie als Lästerung von sich gewiesen hätten, hatte sich in diesem Augenblicke ereignet. War es möglich, daß Gott über den Witz eines Menschen lachen, daß er überhaupt lachen konnte?

Maha Guru sah das verlegene Erstaunen seiner Brüder, und wußte die Ursache davon, ohne sie zu errathen. »Ihr seyd betroffen, mich lachen zu sehen?« fragte er mit einem liebenswürdigen Ausdruck von Milde und Leutseligkeit; »warum sollten die Götter über euch nicht lachen, da ihr ihnen so oft Gelegenheit gebt, über euch zu weinen? Ich habe gelacht, als auf mein erstes Wort eine Welt entstand; denn ich gestehe, diese erste Probe meiner Macht überraschte mich. Ich habe gelacht, als mich die Philosophen bald im Wasser, bald in der Luft, bald im Feuer suchten. Ich weinte, als die Menschen anfingen bös zu werden und sich von mir abwandten; aber lächerlich erschien es mir, als sie ein Wesen erfanden, das sie seit dem Urbeginn der Tage mit mir in Kampf stellten und das böse Princip nannten, um ihr schlechtes Herz damit zu entschuldigen. Ach! wie lächerlich war es, als man mich mit dem Lichte verglich, das ohne Schatten gar nicht denkbar wäre, und daraus einen urweltlichen Gegner meiner Macht herleitete, von dem ich euch versichern kann, daß er nicht existirt. Wie vieles Andere hat mich nicht ergötzt! So wie mich überhaupt die Thorheiten meiner Feinde betrüben, so haben mir die Albernheiten meiner Freunde doch immer den größten Spaß gemacht. In meinem Namen sind Tausende getäuscht worden, und eben so viel haben sich selbst betrogen; man hat die schlechte Poesie in meinem Namen befördert, und in neuester Zeit hat man sogar eine gewisse Politik auf meinen Namen getauft. Aber am schallendsten schlug mein Gelächter immer an die Wölbung des Himmels, wenn es einem Sterblichen einfiel, mein höchst eigenes, wohlversichertes Daseyn zu läugnen. Dann rief ich alle meine Genien um mich her, versammelte die Wolken, die Winde, befreite die Nymphen aus ihren Bäumen und Quellen, und alles lärmte und tobte mit Spott und Neckerei; die Sphären fuhren lachend zusammen, der Erdboden schüttelte sich, daß es eine Freude war, bis der unglückliche Verfolger entweder in den lachenden Chor mit einstimmte, und von den Menschen in ein Tollhaus gesperrt wurde, oder sich verzweifelnd von einem Felsen ins Meer stürzte. Diese Seelen werden dann im Jenseits meine besten Freunde, sie schlagen sich über ihre Dummheit vor den Kopf, seitdem sie Nektar und Ambrosia von meinen Realitäten überzeugt haben; sie schämen sich, wenn sie einst geglaubt hatten, mich durch ihr Läugnen zu reizen; ja die Atheisten bilden dort oben meine Leibgarde, die mich nie verläßt, und für eine launige Unterhaltung sorgen muß.«

Die Brüder sahen ein, daß man nicht besser umgehen könne, als mit Göttern; sie fingen allmählich an, in diesem Himmel einheimisch zu werden, sprachen ohne Rückhalt, und nur den General überfiel einige Male der Zweifel, ob diese Seligkeit nicht ein höherer, jenseitiger Zustand seyn könnte; ob sein Körper über dem vielen Sprechen nicht vielleicht unversehens gestorben, und er hinübergegangen sey in die Ewigkeit, ohne von seinem Tode etwas zu spüren. Aber diese Besorgnisse verschwanden gänzlich, als ein Diener mit einer großen metallenen Theekanne hereintrat, sich dem Dalai Lama demüthig näherte, einigen Thee vorher in seine eigene hohle Hand goß und sie hinunterschlürfte, zum Zeichen, daß dem himmlischen Meister und seinen Gästen nichts Vergiftetes kredenzt werden sollte.

Die Tibetaner trinken ihren Thee unstreitig von besserer Güte als wir, aber in einer Mischung, der wir kaum unsern Beifall schenken würden. Was soll man von einem Thee sagen, der mit Mehl, Butter und Salz versetzt wird? Diese abscheuliche Mixtur wird jedem in einer flachen, lakirten Tasse präsentirt, die der Empfänger auf seinen Fingerspitzen ruhen läßt, um sie allmählich auszuschlürfen. Es versteht sich von selbst, daß die dem Trinken vorangehende Libation, die von einem langen murmelnden Gebete begleitet wird, nur von den beiden ältern Brüdern geopfert wurde. Maha Guru senkte, während sie zu ihm beteten, sein Haupt, und spiegelte es nachdenklich in der trüben Fläche des Thee's.

Als diese Ceremonie beendigt war, und die Tassen durch eine geschickte Bewegung der Zunge gereinigt, mit seidenen Läppchen umwickelt wurden, begann der wißbegierige General wieder aus der vor ihm sitzenden Quelle alles Wissens zu schöpfen, und seinen Bruder um einige Erläuterungen seiner jüngsten Worte zu fragen. »Wie versteh' ich es, mein großer Meister,« sagte er, »daß du von den Werken der Lüge wie von einer Frucht sprichst, deren Samen, aus Niemands Hand gestreut wird? Ich bin gewohnt, in den Dingen die Erfolge von ihren Anfängen herzuleiten. Wenn ich daran nicht unrecht thue, wer flüstert uns die Handlungen der Bosheit ein?«

Maha Guru mußte das wissen, und er antwortete: »Es ist eine alte lügenhafte Fabel, daß die Welt aus Liebe und Haß entstanden. Der Widerspruch ist niemals der Anfang der Dinge gewesen. Merk' auf die Worte der Weisheit, die mein Mund dir verkünden will! Es gibt nichts Böses auf der Welt, sondern nur Verwirrung im Guten. Wo sollte der Gott seinen Ursprung genommen haben, welcher mit feindseligen Ansprüchen und widerwärtigen Handlungen gegen mich aufträte? Nein, es ist die Liebe selbst, die zuweilen den Schein des Hasses annimmt, um ihre Werke zu befördern. Ihr könnt dieß nie begreifen, wenn eure Sinne an jener Liebe fest kleben, die ihr beschwört, um euer Treiben zu segnen; ich rede von derselben Liebe, welche die Leidenschaften des Menschen fesselt, ihm sein Bewußtseyn raubt, ihm die Augen des Geistes aussticht. Die Gottheit liegt noch immer in diesen alten Banden. Dieselbe Begierde, welche die Götter auf die Erde trieb, um sich mit den Töchtern derselben zu vermischen, währt noch fort, obschon die Freude an dem Anblick der Schönheit, als die Schöpfung noch jung war, als die Götter von den irdischen Wesen noch überrascht wurden, gegen eine lange Gewohnheit längst verschwunden ist. Aber Maja lebt noch immer fort, die alte Kupplerin des Himmels, welche die lodernden Liebesbrände auch in die Herzen der Götter warf. Sie ist die Göttin der Verwirrung, des Unverstandes, des Truges; sie nimmt dem Regierer der Welt die Zügel aus der Hand, oder blendet ihm so die Augen, daß er auf Augenblicke sie fallen läßt. Gibt es eine Liebe, welche die Schöpfung belebte, so gibt es auch ihre Thorheit, ihre Kopflosigkeit, ihre Schwärmerei, kurz die ganze süße Verwirrung der Leidenschaft, welche ein aller, von Propheten genährter Wahn Haß genannt hat. Nein, meine Brüder! laßt den Glauben an ein böses Princip, und fürchtet nicht, daß ein uralter Erbfeind auf meine Schultern steigen könne; nur ein Gegner droht dem Herrn der Welten, er sich selbst.«

Den Schamanen hatten diese Worte aus tiefem Nachdenken geweckt. »Lebt Gylluspa's Bild noch in seiner Seele?« fragte er sich selbst; »ist sie es, deren Macht er fürchtet?« Er schwankte, ob er dem Allmächtigen die aufgetragenen Grüße bestellen durfte; ob er Erinnerungen wecken sollte, die dieser vielleicht schon verloren hatte, oder welche ihn in Kreise zurückzögen, von welchen er sich für immer getrennt haben mußte. Und ohne zu erwägen, daß ihm Niemand in dem Verlauf dieser Gedanken hatte folgen können, rief er aus: »Ach, es wird niemals eine Vergangenheit für ihn geben, die kürzer wäre, als der Anfang seines göttlichen Lebens. Er hatte nie eine Jugend, deren Widerschein sonnenhell in seinem Gedächtnisse leuchtete. Die Sphären-Harmonie ist jetzt sein Liebesgeflüster, das Leuchten der Sterne sein Liebäugeln, die Züge der Wolken seine Umarmungen.«

»Ja, du mächtiger Löwe,« sagte der General zu Maha Guru, »wer könnte würdig seyn, dich in seine Arme zu schließen? Du hast dir die Natur zu deiner Braut gerichtet, und die weiten Räume der Welt als die Kammer, in welche du sie führen willst. Und wir, dem Leibe nach deine Brüder, stehen an der Pforte lauschend, wie du die Glücklichste umfängst, mit ihr kosest, und mit deinen Allmachtsküssen den Bund besiegelst. Die Sitte unserer Väter verlangt es, daß des einen Bruders Gattin auch das Bett der andern Brüder theile; du wirst es deinen sterblichen Freunden nicht wehren, daß sie den Saum vom Kleide deiner hohen Braut küssen; daß sie die Stellen erblicken, wo du sie an deine Brust drücktest; daß sie wenigstens an uns vorüberrausche und einen Blick des Erbarmens auf die sündigen Anbeter deiner Herrlichkeit werfe. Dürfen wir diesen Theil an deiner Liebe nehmen?«

Maha Guru senkte das Haupt, legte die Arme unter die Brust und schwieg. Dann erhob er sie und streckte sie aus mit himmelwärts gerichteten Augen, und rief begeistert: »Sie kommen, die Boten der Liebe, die Vögel und Bäche des Waldes, die Blumen und Quellen der Gebirge, mit ihren klingenden, duftenden Grüßen. Hörst du ihren leisen Tritt über das schwellende Gras? Hörst du das Murmeln der Blätter im Walde, wie die Heilige an ihnen vorüberzieht? Siehst du das Leuchten dort weit in der Ferne, die goldenen Strahlen, den Widerglanz ihres Stirnbandes, ihres Gürtels? Sie ist es mit den dunkeln Locken, den funkelnden Rubinen, die auf ihr schwarzes Haar gesäet sind. Beflügle deine Schritte, geliebtes Mädchen; denn ermattet sinken mir die Arme, da sie sich nach dir ausstrecken! Verwehre mir nicht den Saum deines Kleides, die Spitzen deiner Finger; ziehe deinen Fuß nicht zurück, daß ich ihn auf mein gebücktes Haupt setze! Du fliehst mich, Geliebte? Du kennst ihn nicht mehr, den Freund deiner Jugend, seitdem er König der Welten geworden ist? Bei meiner Allmacht, bleib zurück! Gylluspa, gehorche deinem Gotte!«

Maha Guru lag mit ausgestreckten Armen auf seinem Polsterthrone. Der Schaman, jeden Ausdruck seines Bruders nachempfindend, berührte mit seiner Stirn den Boden, und stieß einzelne Worte aus, die seine zwischen Freude und Schmerz wechselnden Gefühle bezeichneten. Der General der Kalmücken endlich war, erstaunt über diesen Ausbruch der Begeisterung, aufgesprungen, um so mehr erschrocken, als in diesem Augenblicke ein Besuch in den Saal getreten war.

Es war der chinesische Correspondent, der mit seiner schönen Schwester Schü-King vor den Thron des Lama getreten, und ihm das Opfer seiner Huldigung darbringen wollte. Maha Guru kehrte sogleich wieder in die Lage zurück, die seiner Würde gebührte, und hörte, während noch der Schaman in leisem Murmeln dem Fußboden seine Gedanken anvertraute, die Anrede, die der Correspondent in den zierlichsten Ausdrücken an ihn richtete. Wir ersparen uns die Pein, sie hier wieder zu geben. Es war ein Gemisch von den unverschämtesten Schmeicheleien, die gegen die beigefügten Erklärungen des chinesischen Kaisers, dem Lama seinen Schutz zu sichern, und gegen die Anerbietungen seines Gesandten, auffallend abstachen. Bei aller Lüge, die in dieser langwierigen Rede herrschte, war aber dennoch eine gewisse Scheu vor dem Glauben, welcher ein ganzes Volk an den Angeredeten kettete, nicht zu verkennen. Wie leicht konnte hinter diesem Glauben eine Wahrheit stecken, die sich an dem Läugner derselben empfindlich hätte rächen können?

Schü-King spielte bei dieser Audienz eine Rolle, die ihrem Charakter entsprach. Sie drehte, auf einem seidenen Kissen sitzend, ihren bunt gemalten Fächer in tausend Wendungen und setzte den jungen Gott durch ihre Coquetterie nicht wenig in Verlegenheit. Sie empfand ein sichtliches Wohlgefallen an Maha Guru's frischem Ansehen, an seinen bescheidenen Sitten, seinem sanften und milden Ausdruck in der Rede, und wenn sie gegen das Ende der Audienz aufhörte in ihren eiteln, gefallsüchtigen Bewegungen, so dürfen wir mit Recht schließen, daß der junge Mann einen tiefern Eindruck auf sie gemacht hatte.

Die Höflichkeiten des Correspondenten waren nur die Präliminarien weiterer Verhandlungen gewesen, in denen er gleichsam andeuten wollte, unter welchen Voraussetzungen ein Dalai Lama sich Wohlbefinden und der Duldung des chinesischen Kaisers gewärtigen könne. »Ich höre mit Bedauern,« fuhr er fort, auf den Kalmückengeneral die giftigsten Blicke schießend, »daß vor kurzer Zeit in den Straßen dieser Hauptstadt die Söhne des himmlischen Reiches einer Mißhandlung ausgesetzt gewesen sind. Es ist beklagenswerth, daß Tibet die Fremdlinge der Wüste in seine Thäler ruft, um von ihnen einen Thron vertheidigen zu lassen, dessen Schutz nur dem Sohne des Himmels gebührt; aber es ist eine sträfliche Vermessenheit, die Diener des mächtigsten Kaisers angreifen zu lassen, und ihn zu beleidigen, indem man seine Gnade mit Undank belohnt.«

»Was ist geschehen, das die Gränze des Gesetzes überschritten hätte?« fragte bestürzt der General.

Der Correspondent erzählte den am Morgen stattgehabten Auftritt, wurde aber von dem Schamanen unterbrochen, der seine falschen Angaben berichtigte und seine Uebertreibungen milderte.

Der Kläger behauptete, die Verletzung des Rechtes sey so weit gegangen, daß es ihm schwer ankomme, darüber zu schweigen. »Wie,« sagte er zum Schamanen, »du willst das Uebertreibung nennen, was du selbst für so wichtig gehalten hast, dich hineinzumischen? So viel ich höre, ist bei der Rauferei ein Zopf verloren gegangen und ein anderer schwebt noch in der Gefahr, abgenommen zu werden. Man muß einen solchen Verlust zu würdigen wissen, um darüber Worte zu verlieren. Ich werde den Ausgang des zweiten Zopfes abwarten, und unfehlbar darüber an den chinesischen Thron berichten, wenn er verloren geht.«

Maha Guru, der die Tyrannei der Chinesen wohl fühlte, seufzte, und Schü-King war entzückt, wie schön dem Jünglinge sein schwermüthiger Blick stand.

Der Correspondent konnte in seinen Beschwerden kein Ende finden. Er hatte sie alle auf einer Papierrolle verzeichnet, die er im linken Rockärmel versteckt hielt, und immer noch weiter hervorzog, obwohl sie schon lang auf der Erde lag. Sein ganzer Leib schien mit diesem Verzeichniß umwickelt, das bis auf das letzte Ende mit Erinnerungen, Klagen, Vorwürfen bedeckt war. Seine letzten Bemerkungen faßte der gefürchtete Mann in diese Worte: »Ich beklage den Herrscher dieser Lande, gleich bei seinem Regierungsantritt in einer Umgebung zu stehen, die sich seiner Autorität bedient, um eigenmächtige Handlungen zu beschönigen. Im Kloster der schwarzen Gylongs sind, wie ich höre, höchst gesetzwidrige Unordnungen vorgefallen. Ein Gottesläugner, ein Religionsspötter wird aus den südlichen Gegenden dorthin citirt, und bis zu seiner Verurtheilung in gefängliche Haft gebracht. Wie weitläuftig ich dieß dem Allwissenden erzählen muß! Am Morgen nach der Ankunft jenes Elenden und vor seiner verdienten Hinrichtung, erscheint jener Mann, welcher durch die Ehre neben dem Dalai Lama zu sitzen, auch Verbrechen entschuldigen will, die er vorgibt, in Gottes Namen zu begehen. Ich frage dich, kecker Knabe (er meynte den Schamanen), warum du den schwarzen Gylongs ihr Opfer geraubt hast? Im Namen meiner Mission, wohin hast du den grauen Sünder verborgen? Gib ihn heraus, oder du ladest den Rachezorn eines Mächtigen auf dich!«

Die Unverschämtheit des Correspondenten ging weit. Er mischte sich in Dinge, die ihn nicht berührten. Wie von einem heiligen Feuer ergriffen, loderte Maha Guru auf und donnerte mit mächtigen Worten auf den unberufenen Unterhändler, den geistliche Angelegenheiten nicht betrafen, ein: »Wer sind die schwarzen Gylongs? Diener, die meinen Befehlen gehorchen! Wer bist du, chinesischer Correspondent? Ein Narr, der mit seiner irdischen Weisheit den Himmel erklettert, um vom Glanz der ewigen Sonne geblendet, in die Tiefe zu stürzen. Wer ist der Gottesläugner? Ich kenne sie nicht, die mich nicht kennen, und dürste nicht nach dem Blute derer, denen ich Verzeihung gewähre, daß sie mich an meiner Liebe verstehen lernen. Weiche zurück, du lästiger Rabe, den ich nie mehr in diesen Mauern krächzen hören mag. Glaubst du, Schwachkopf, den Himmel in deinem Sacktuch zu fangen? Wehe, wehe über den Lästerer, der dem ewigen Gesetz Gesetze geben will!«

Und der Donner rollte über dem bebenden Zimmer, und Blitze zuckten schlängelnd vom Dache herunter, das sich öffnete und den Himmel in rothen Zornesflammen leuchtend zeigte. Ein geisterhaftes Flüstern rauschte durch den Saal, und die Wände fingen an, sich zu bewegen. Die Umstehenden fielen zitternd vor dem zornigen Gotte zu Boden, und als sie die Augen aufschlugen, hatte ihn eine Wolke umhüllt, daß er ihrem Anblick entzogen war.

 


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