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VII.

Hanni hatte es nicht so bald ermöglichen können, sich einen ganzen Abend für Martin freizumachen.

Albert schien Verdacht geschöpft zu haben. Und seine ungewisse Eifersucht war durch Hannis Verschulden gefestigt worden.

Als er sie am letzten Sonntag von einem Ausfluge nach Haus gebracht hatte, küßte er natürlich sein Bräutchen zum Abschied herzlich. Im Verlaufe der dieses Mal besonders zärtlich ausgefallenen Umarmung hatte ihn Hanni mit »Martin« angeredet! Tableau! Und dieser Irrtum hatte natürlich eine recht unangenehme Auseinandersetzung zur Folge.

Albert raste und wollte unbedingt Aufschluß über die ihn sonderbar bedünkende Namenverwechslung haben.

Schließlich war auch Hanni wütend geworden und hatte dem ungestümen Dränger kurzerhand den Laufpaß gegeben.

Sie schmollte, und er war tags darauf heimlich zur Mutter gelaufen, um ihr sein Leid zu klagen.

Das aber hatte Hanni ganz gegen ihren Bräutigam eingenommen, so daß sie gar nichts mehr von ihm wissen wollte.

Die Mutter aber wurde jetzt recht aufmerksam, beobachtete sie scharf und verlangte über jede auch nur kurze Spanne Zeit, die Hanni außer dem Hause verbrachte, peinlichste Rechenschaft.

Deshalb war es ihr in der Folgezeit nicht einmal möglich, sich mit Martin vom Fenster aus durch Zeichen zu verständigen.

Brieflich hatte sie ihm natürlich ihr Ungemach mitgeteilt, war aber ohne jede Antwort, die sie postlagernd erbeten hatte, geblieben, weil wohl Martin gerade mit dem in diesen Tagen beginnenden Examen genügend zu schaffen hatte.

Nachdem sie wohl zehn Tage hintereinander umsonst am Postschalter nach einem Brief gefragt hatte, wollte sie schon verzagen und zermarterte ihr Hirn nach den Gründen, die ihn abhalten konnten, ihr zu schreiben.

Immer stärker strömten alle ihre Gedanken zu diesem Menschen! Und je mehr sie ihren Ärger gegen Albert, der sie bei der Mutter verklagt hatte, in sich nährte, mit desto heißeren Flammen lohten wilde Wünsche nach Martin in ihr auf.

Im Geschäft machte sie jetzt öfter kleine Fehler, was bis dahin nie vorgekommen war.

Die Prokuristen, die wohl gemerkt hatten, daß zwischen ihr und ihrem Bräutigam nicht alles in Ordnung war, ließen, wenn sie ihr Versehen rügten, hin und wieder scherzhafte Tadelworte mit einfließen oder fragten etwas aufdringlich, ob sie etwa Liebeskummer hätte.

Hanni ließ sie dabei – – bezwang sich. Sie zeigte nur lachend ihre blendend weißen Zähne! Und keiner der Vorgesetzten konnte ihr lange böse sein!!!

Innerlich aber verging sie vor Schmerz um Martin.

Bei Tage versuchte sie – um nicht plötzlich in Weinkrämpfe zu verfallen – durch allerlei äußere Zerstreuungsmittel ihren Gram um den vermeintlich für sie Verlorenen zu vergessen, ohne daß es ihr für längere Zeit gelang.

Dann wieder sagte sie sich, daß sie ihm vielleicht nicht fein genug sei, daß er, der künftige Offizier, doch sicher ganz andere Damen für seinen Verkehr gewinnen könnte, als sie, eine schlichtbürgerliche Handwerkerstochter!

Manchmal aber durchdrang es sie wieder machtvoll wie junge Hoffnung. Allnächtlich erschien er ihr im Traum. Sie wähnte ihn an ihrer Seite, und ihre Sinne drängten in heißer Begehrlichkeit danach hin, sich ihm zu eigen zu geben – ihn zu besitzen.

Schweißgebadet erwachte sie plötzlich und fand sich allein.

Die ganze Nacht durchwachte sie dann mit offenen Augen und machte sich selbstquälerische Vorwürfe, daß sie nicht zärtlich genug zu ihm gewesen sei, daß sie ihm einen harmlosen Kuß verwehrt hatte, während doch Albert sie immer hatte küssen dürfen!

Mit allen Fasern ihres verwaisten Mädchenherzens wünschte sie ein Wiedersehen mit dem täglich sehnsüchtiger geliebten Manne herbei! O, wie sollte sie ihn an sich ziehen und herzen und küssen – – –!!!

Aber noch eine ganze Woche ging sie vergeblich nach dem Postamt, bis ihr am Ende der dritten Woche Martins Brief von dem dabei vielsagend lächelnden Schalterbeamten überreicht wurde …

Der Atem blieb ihr in der Kehle stecken, als sie endlich ein Zeichen von seiner Hand ihr eigen nennen durfte. Überglücklich versteckte sie den Brief zunächst in ihrem Handtäschchen und eilte nach Haus.

Dort schloß sie sich in ihr Zimmer ein.

Mit vor Freude zitternden Händen öffnete sie mit einer rasch herausgezogenen Haarnadel den Briefumschlag, dem sie eine Visitenkarte und – einen Fünfmarkschein entnahm. Martin schrieb ihr »in Eile«, daß er ein Examen gehabt habe. Augenblicklich weile sein Vater zur Feier dieses freudigen Ereignisses in Berlin, reise aber bereits heute nachmittag ab. Dann bat er sie, bestimmt am nächsten Dienstag um sieben Uhr sein Gast zum Abendessen zu sein.

»Und abends wird getanzt,« so schloß er lustig mit der Bitte um baldige Zusage.


Hanni war selig.

Unzählige Male führte sie Martins Brief an die Lippen, und soviel Jubel war in ihr, daß sie die vorsichtig freigelegte Klebstoffklappe des Kuverts besonders zärtlich küßte, da seine Lippen nach ihrer Ansicht vor dem Briefverschluß diese Stelle berührt haben mußten.

Nun aber stieg auch eine Sorge in ihr auf! Wo sollte sie in aller Welt die freie Zeit für einen ganzen Abend hernehmen?!

Nach einigem Überlegen beschloß sie, sich – wie es oft schon geschehen war – mit einer Geschäftskollegin für einen Theaterbesuch zu verabreden und so vor der Mutter ihr Alibi nachzuweisen.

Die Freundin tat ihr den Gefallen schon! Und wenn nicht? – – In ihrem stark überreizten Zustand war sie zum Äußersten fähig und erwog mit sich schon ernstlich den Plan – wenn ihrem Sehnen irgendwer hinderlich in den Weg treten sollte –, sogar das Elternhaus zu verlassen und sich auf eigene Füße zu stellen!

Am nächsten Morgen hatte Martin für seine Einladung ihre Zusage.


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