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Zehntes Kapitel.
London

»Durchgehende Varietévorstellung« verkünden gewaltige, helle elektrische Lettern an einem halb Dutzend Ecken dieser geschäftigsten, vergnügtesten, wohlhabendsten Stadt Europas; in dieser Krisenzeit gibt es für ein vergnügungssüchtiges Publikum, das allen äußeren Anzeichen nach nichts von der Existenz einer Krise zu wissen scheint, jetzt etwas ganz Neues: Varietétheater, die durchspielen.

Die Vorstellungen laufen von zwei Uhr bis zwölf Uhr nachts, und das Publikum ist in einer Stimmung, die in einem Programm folgendermaßen gekennzeichnet wird: »Ein toller Wirbel von vergnügtem, verrücktem, tollem, lustigem, nicht endenwollendem Lachen – ein Bild unüberbietbarer Munterkeit und Fröhlichkeit.«

Das klingt ein wenig übertrieben. Aber das Haus ist voll. Das Publikum lacht oft und lange, und während es in beständigem Wechsel herein- und hinausströmt und immer wieder die Bar aufsucht, um sich zu erfrischen, hat man den Eindruck, es gebe keinen zweiten Ort auf der ganzen Erde, der so weit von einer Wirtschaftsdepression entfernt wäre wie diese Stadt mit ihren acht Millionen unverwüstlichen britischen Seelen.

Die in Wahrheit »tolle«, »unüberbietbare« durchgehende Darbietung zeigt die Stadt London selbst. Auf ihrer Bühne stehen teure, bis auf den letzten Platz besetzte Restaurants, Straßen und Plätze, auf denen sich der Verkehr drängt, Trottoirs, auf denen die elegantest gekleideten Männer der Erde paradieren, und Schaufenster, angefüllt mit Luxusgegenständen von den Enden der Erde, betrachtet von Menschen, die es schon müde sind, nach etwas auszuschauen, was sie noch nicht besitzen.

Nach allen anderen Hauptstädten Europas wirkt London unermeßlich reich. Seine Bevölkerung scheint völlig sorglos zu sein. Denn ununterbrochen sieht es sich die durchgehende Vorstellung »England hat es besser« an.

Es hat es besser als alle anderen Länder Europas; es hat es besser, als es selbst erwartete; es hat es in vielerlei Hinsicht besser als früher. Das beweist das Programm.

Die erste und augenblicklich fesselnde Programmnummer ist »Der Lebensstandard der Nation«. Die Mehrzahl der Engländer ißt heute besser, kleidet sich besser und verbraucht mehr als je zuvor. Da die Löhne seit 1929 nur um 4 Prozent und die Lebenskosten um 14 Prozent gesunken sind, ist die Kaufkraft der Konsumenten heute größer als jemals seit dem Krieg.

Auf den britischen Tischen steht heute besseres Essen als jemals in den Zeiten, für die Statistiken zu haben sind. Man ißt qualitativ besser. England importierte im Jahre 1931 doppelt soviel Butter, Speck, Geflügel und Sahne wie 1913.

Wirtschaftlich hat das seine Nachteile. Es erklärt mit die Notlage der englischen Industrie, und so kann es dazu kommen, daß der künftige Lebensstandard unter dem heutigen vielleicht leiden wird. Im Augenblick aber ist das Leben auf den britischen Inseln an den materiellen Gütern, die als Grundlage der Zufriedenheit gelten, reicher als jemals, soweit die Erinnerung der Lebenden zurückreicht.

Es wäre zwar ein Hohn, zu behaupten, daß die Erwerbslosen in ihrer Arbeitslosigkeit froh und vergnügt seien, aber trotzdem muß gesagt werden, daß sie höhere Einkünfte beziehen als alle anderen Arbeitslosen in Europa. Trotz der unlängst erfolgten Kürzung der Unterstützungen bekommen sie noch immer doppelt so viel wie ihre deutschen Kollegen, und heute, da ein alleinstehender Mann 15 Shilling 3 Pence, und ein Mann mit Frau und Kind 25 Shilling 3 Pence in der Woche bezieht, haben es die englischen Erwerbslosen entschieden am besten von allen in der Welt. Obwohl sie eine zehnprozentige Kürzung hinnehmen mußten – die erste Herabsetzung der Unterstützung, die vorgenommen wurde – haben sich die Kosten ihrer Lebenshaltung um 14 Prozent gesenkt, so daß sie in Wirklichkeit in der Lage sind, heute um 4 Prozent mehr zu kaufen als die Arbeitslosen im Jahre 1929.

Für den zweiten Akt des Programms braucht die Leitung nur einen großen Spiegel auf die Bühne zu bringen, in dem die Briten ihre eigenen vergnügten Gesichter sehen können. Dieser Akt heißt »Optimismus der Nation«.

Das vollkommene Vertrauen der englischen Öffentlichkeit, das Fehlen jeglicher Bestürzung ist ebenso markant wie die entgegengesetzten Eigenschaften bei den Franzosen. So, wie das französische Gefühl der Unsicherheit die französische Politik bestimmt, scheint das englische Gefühl der Sicherheit die Haltung zu bestimmen, welche die Engländer der Krise gegenüber einnehmen. Es kommt gar nicht darauf an, ob das Gefühl gerechtfertigt ist, denn das, worauf es ankommt, sind, wie Sir Josiah Stamp bemerkte, nicht die Tatsachen der Wirtschaft, sondern die Gedanken, die sich die Menschen über die Tatsachen der Wirtschaft machen.

Sie haben das Gefühl der Sicherheit hinsichtlich ihrer Währung, hinsichtlich ihrer Banken, hinsichtlich ihrer Gegenwart und hinsichtlich ihrer Fähigkeit, diese und alle anderen Krisen zu überwinden. Dämmerschlaf – so hat Raymond Swing diesen Geisteszustand genannt. Er ist für ein Volk in einer Krise ebenso wertvoll wie das Betäubungsmittel für den Patienten auf dem Operationstisch. Ganz entschieden war in allen Ländern in der Wirtschaftsdepression der größte Teil des Leidens geistiger Natur. Die Beobachtungen bestätigen die statistische Feststellung, daß wirklicher Hunger, das Äußerste physischen Leidens infolge der Wirtschaftslage, überall in der Welt selten war. Von dem geistigen Leiden lernte England ein bißchen kennen, als sein Stolz durch den Sturz des Sterlings von der Goldbasis verletzt wurde. Aber auch dies wurde kompensiert durch die Erleichterung, die es für die Nation bedeutete, von der Finanzvorherrschaft der Franzosen befreit zu werden, und heute scheint dieses Land von Sorgen, dem Hauptübel der Depression, weniger geplagt zu sein als alle anderen europäischen Staaten.

Wiederum erfreuen sich die Arbeitslosen eines spezifisch britischen Optimismus in bezug auf ihre Stellung in der Gesellschaft. Fast überall sonst in der Welt bedeutet es für den erwerbslosen Mann zumindest eine kleine Demütigung, Arbeitslosenunterstützung hinnehmen zu müssen. Hier betrachten sich die Unterstützungsempfänger als Arbeitsreserven, die Anspruch auf ihre Unterstützung haben und höchst resolut darauf bestehen, sie zu bekommen.

Auf den Optimismus-Akt folgt unmittelbar der Höhepunkt des Programms von »England hat es besser«. Dieser Teil, »Überlegenheit der britischen Finanzen«, wird eingeleitet von der Nummer »Ausbalanciertes Budget«. Allerdings verbirgt sich hinter dem Papierkostüm ein Defizit von rund 1 Milliarde 600 Millionen RM, aber davon weiß das Publikum nichts, und das »Ausbalancierte Budget« ist eine ständige Lieblingsnummer.

Dann kommt die »Konvertierungsanleihe«, stolz angekündigt als die »Größte Finanztransaktion aller Zeiten«. Nahezu drei Millionen englische Kriegsanleihezeichner nahmen eine 1 1/2prozentige Kürzung, von 5 auf 3 1/2 Prozent, ihres Einkommens von rund 2 Milliarden Pfund Sterling hin und erleichterten damit das Budget um eine Summe von netto 23 Millionen Pfund jährlich.

Die Kurse aller englischen Staatspapiere stiegen so hoch, daß ihre Durchschnittsverzinsung von 4 1/4 Prozent im Juli 1931 auf 3 1/2 Prozent heute fiel. Der englische Kredit besserte sich im schlimmsten Jahr der Krise um nahezu ein volles Prozent, und Lloyd's Bank Review war in der Lage, mit ruhiger Befriedigung zu erklären, daß »die englischen Staatspapiere sich eines besseren Rufes erfreuen als die aller anderen Regierungen«.

Ebenso erfreuen sich die britischen Banken eines Rufes, der nicht seinesgleichen hat. Nicht eine einzige von ihnen hat im Verlauf der ganzen Krise ihre Zahlungen eingestellt, und England wird wohl das einzige Land der Welt sein, in dem von einem Geldhamstern nichts zu merken ist. Daß die Banknotenzirkulation im Verlauf des Jahres, das mit dem Juli 1932 zu Ende ging, um nicht mehr als 8 800 000 Pfund zunahm, weist darauf hin, daß den Engländern ihre Banken über jeden Verdacht erhaben sind, und die Steigerung der Bankeinlagen um 16 Millionen Pfund ist ein klarer Beweis dafür.

Ebenso wie der Kredit der Nation auf einem Höhepunkt ist, sind Kredite für die Industrie in einem noch nicht dagewesenen Ausmaß vorhanden. Die Basis der Bankkredite, die Einlagen der Bankiers in der Bank von England stieg während des Jahres, das mit dem Juli 1932 endete, um 15 700 000 Pfund auf 85 Millionen Pfund. Aber so reich die Banken auch an Krediten sind, so arm sind sie an Nachfrage danach, und infolge der Lethargie des Handels nahmen die Vorschußzahlungen der Banken an die Wirtschaft in dieser Periode um 76 Millionen Pfund ab, so daß sie auf 836 Millionen absanken. Der außerordentlich niedrige Bankzins von 2 Prozent, für tägliches Geld weniger als 1 Prozent, der besagt, daß Geld noch nie so billig war, kann nichts daran ändern, daß die Industrie nicht in der Lage ist, zu borgen.

Hier wird das Programm »England hat es besser« auf eine etwas niedrigere Note des Optimismus herabgestimmt. Die britische Industrieproduktion hat abgenommen, wenn auch nicht so sehr wie die anderer Länder. Nur Japan und Schweden wiesen um die Mitte des Jahres 1932 einen höheren Prozentsatz der Fabrikproduktion auf.

Wenn man für die Produktion des Jahres 1932 die Zahl 100 ansetzt, kommt man zu folgendem Ergebnis: im Juli 1932 hatte Japan eine Industrieproduktion von 107, Schweden von 88, England von 80, Frankreich von 73, Deutschland von 53, Amerika von 53 und die ganze Welt von 67. An diese verhältnismäßig günstige Stellung der industriellen Produktion Englands wird bei den häufigen Diskussionen über den Verfall der englischen Industrie selten gedacht.

Die britische Ausfuhr hat allerdings trotz dem Abgehen vom Goldstandard weiterhin abgenommen, jedoch in bedeutend weniger raschem Tempo als die seiner wichtigsten Konkurrenten. Die englische Ausfuhr an Fabrikwaren, die eine Zeitlang vor der amerikanischen lag, hat jetzt den französischen Export überholt und steht im Begriffe, an die Stelle vor den deutschen zu rücken. Das ist in Gold gerechnet. Es heißt, daß der englische Anteil am Weltexport von Fabrikwaren sich in den ersten acht Monaten des Jahres 1932 erhöht hat. Auch hier kann man sagen, »England hat es besser«.

Überdies ist – ein direktes Resultat des Abgehens vom Golde und der infolgedessen höheren Preise für Auslandswaren in Papiersterling, ferner ein Resultat des neuen Zolltarifs – die britische Einfuhr um so viel rascher gesunken als die Ausfuhr, daß England seinen Einfuhrüberschuß in den ersten acht Monaten des Jahres 1932 im Vergleich zum gleichen Abschnitt des Jahres 1931 um rund 20 Millionen Pfund Sterling verkleinert hat. Am Ende des Jahres 1932 wird es um rund 100 Millionen Pfund Sterling weniger importiert haben als 1931. Das bedeutet, daß die englischen Fabrikanten jetzt die Möglichkeit haben, ein Plus von Waren im Gegenwert von rund 1 Milliarde 400 Millionen RM zu verkaufen. Ihr innerer Markt hat sich automatisch um so viel ausgedehnt. Wiederum: »England hat es besser.«

Der Zolltarif ist ein zweischneidiges Schwert. Er hat dem britischen Export viele Hindernisse in den Weg gelegt, die sonst nicht existiert hätten. Nichtsdestoweniger ist die Verschlimmerung der Zustände für den internationalen Handel, die vielleicht eine schließliche Verbesserung im Gefolge haben sollte, nicht die einzige Wirkung des Verzichtes der Engländer auf ihre relative Freihandelspolitik. Der englische Zolltarif, die neueste und deshalb auch am wenigsten erträgliche Handelsschranke, mag sich schließlich bei irgendeiner internationalen Konferenz als die letzte Kleinigkeit erweisen, die der Schutzzollpolitik den Garaus macht.

Mittlerweile haben die Engländer jedoch einen Beratungsausschuß für Einfuhrabgaben organisiert. Mit dieser Körperschaft beabsichtigen sie die Zollfragen aus dem Rahmen der Politik herauszunehmen und ein Instrument für die Rationalisierung der britischen Industrie zu schaffen. Der Ausschuß bestimmt, welche Abgaben auferlegt werden, und zu seinen Aufgaben gehört es unter anderem, dafür zu sorgen, daß nur denjenigen Industrien Schutz gewährt wird, die sich als wert erweisen, geschützt zu werden.

Eine resolute Durchführung dieser Politik mag nach einer Anzahl von Jahren die spezifisch englische Krise, die heute von der Weltkrise in den Schatten gestellt wird, in ihrem Kern treffen. Diese spezifische, chronische englische Krise kann kurz und bündig bezeichnet werden als die Unfähigkeit der veralteten oder überzähligen englischen Schlüsselindustrien – Kohle, Textilien, Eisen und Stahl, Schiffbau – mit den modernisierten Industrien vieler europäischer Staaten, insbesondere denen des künftigen, von den Reparationen befreiten Deutschland zu konkurrieren. In dieser Konkurrenzunfähigkeit steckt das Problem permanenter Arbeitslosigkeit im Gegensatz zur zyklischen. Jedermann erkennt an, daß nichts anderes helfen kann als extensive Reorganisation, Kapitalabschreibung und Werksrationalisierung. Das sind unangenehme Maßnahmen. Der Beratungsausschuß für Einfuhrabgaben ist das erste Instrument zu ihrer Erzwingung, das England jemals besessen hat.

Der Ausschuß ist der vorletzte Akt des Programms »England hat es besser«. Das Publikum merkt nichts davon, daß in der Pause vor dem Finale eine Gruppe von Schauspielern hinter der Bühne laut Einlaß fordert, aber abgewiesen wird. Sie alle sind ausgezeichnete Darsteller, aber dem Londoner Publikum mißfällt ihr unangenehmer Realismus. Das England außerhalb Londons kennt sie sehr gut.

Der eine ist die »Zunehmende Arbeitslosigkeit«, die jetzt mit 3 036 828 ihre Höchstzahl erreicht hat. Die Regierung nennt für den August zwar nur 2 859 828, aber zum Vergleich mit dem August 1931 müssen 177 000 kürzlich Entlassene hinzugefügt werden, und das gibt eine Netto-Vermehrung von rund 300 000.

Der brutale kleine Partner dieses Riesenburschen ist die »Ständige Arbeitslosigkeit«. Er ist überaus unbeliebt. Man schätzt nämlich, daß die Nation nach erfolgter Rationalisierung der gesamten britischen Industrie 500 000 bis 1 Million Arbeiter, für die niemals Arbeitsstellen zu finden sind, pensionieren und erhalten muß.

Ein anderer Schauspieler, der von der Vorstellung »Besseres England« ausgeschlossen wird, ist der große und derbe »Lohntarif«. Die britischen Löhne sind die höchsten und unangreifbarsten Europas und sind schuld daran, daß die englischen Fabrikationskosten wahrscheinlich größer sind als die aller seiner Konkurrenten auf dem Kontinent.

Ein unangenehmes Paar sind »Britische Industrie« und »Britische Arbeiterschaft«. Der eine ist überzeugt davon, daß es ohne Lohnkürzungen unmöglich weitergehen kann; der andere ist voll Bulldoggenzähigkeit entschlossen, die Löhne hochzuhalten.

Zwischen diesen beiden steht, voll Hoffnung, ihren Streit zu schlichten, die »Nationale Regierung«, gleichfalls ein ständiges Mitglied der Truppe, die »England hat es besser« spielt. Die Engländer sehen in ihrer nationalen Regierung eine außerordentliche Errungenschaft. Sie haben die Empfindung, damit eine Anpassung der Demokratie an den Faschismus erreicht zu haben.

Elf Polizisten, die in Birkenhead ins Lazarett gebracht worden sind, können bezeugen, daß das nicht stimmt. In Birkenhead machte die englische Autorität zum erstenmal eine Verbeugung vor dem Mob, als dieser mit Knüppeln und Steinen die Rücknahme der Regierungsverordnung zur Herabsetzung der örtlichen Unterstützungssätze forderte. Nach zweitägigen Krawallen setzte er seine Forderung durch. Der Mob heißt auch Demos, und in diesem Winter wird die Demokratie sich mit der nationalistischen Regierung messen.

Ein Frontangriff auf die Löhne ist in England das Gebot des Tages, nachdem es dem Flankenangriff durch die Pfundabwertung mißlungen ist, die Engrospreise zu steigern und damit auch automatisch die Löhne zu verringern. Es mißlang, weil England, als es vom Gold abging, eine Reihe anderer Länder nach sich zog, so daß heute 50 Prozent seines Außenhandels nach Ländern gehen, deren Währungen im gleichen Maße abgewertet sind.

Aber die Vorstellung von »England hat es besser« hat ein logisches Finale. Es heißt »Englische Investierungen im Ausland«. Heute ist es noch wesentlich, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, daß England, obwohl es in den meisten Weltmachtindices an zweite Stelle nach den Vereinigten Staaten gerückt ist, noch immer Auslandsanlagen im Nominalwert von 72 Milliarden RM hat, im Gegensatz zu Amerikas 60 Milliarden RM.

Aus dieser ungeheuren Summe, deren Grundstock mit dem Anteil der Königin Elisabeth an der Beute gelegt wurde, die Sir Francis Drake mit den spanischen Galleonen eroberte, zog England bis zur Weltkrise ein jährliches Einkommen von rund 250 Millionen Pfund Sterling in Gold oder rund 5 Milliarden RM im Jahr. Im Jahre 1927 reinvestierte es, der Gewohnheit folgend, die mehr als zwei Jahrhunderte hindurch alljährlich seine Auslandsanlagen um drei bis vier Prozent erhöhte, das gesamte Amortisationsgeld und vermehrte es um 134 Millionen Pfund, im Jahre 1928 um 108 Millionen, 1929 um 47 Millionen und 1930 um 61 Millionen Pfund, aber im Jahre 1931 brachte es England, von der Weltkrise betroffen, nicht nur nicht zu Neuanlagen, sondern zehrte vom Kapital. Es verbrauchte für die Einfuhr tatsächlich 72 Millionen Pfund mehr, als es auf Grund von Warenverkäufen und Transporten aus dem Ausland bezog.

Heute hat England durch das Abgehen vom Gold diesen Prozeß aufgehalten. Die diesjährige Einfuhrdrosselung um 100 Millionen Pfund Sterling bedeutet, daß es aufgehört hat, sein Kapital zu verbrauchen. Das Finale von »England hat es besser« bringt Applaus. Alle Darsteller kommen auf die Bühne: »Hoher Lebensstandard«, »Optimismus der Nation«, »Finanzielle Überlegenheit«, »Ausbalanciertes Budget«, »Konvertierungsanleihe«, »Gebesserte Außenhandelsbilanz«, »Zollausschuß«, »Nationale Regierung« und »Investierungen im Ausland«. Der Vorhang geht herunter und sofort wieder hoch. Denn die Vorstellungen gehen ununterbrochen weiter, ebenso wie das Vertrauen des Publikums darauf, daß England wieder hochkommen wird.

Die Umwelt aber ist überzeugt davon, daß England seine Rückkehr zur Stabilität und Prosperität am besten kundgeben kann, sobald es zum Gold zurückkehrt. Und die Umwelt zahlt England die Dividenden für seine Auslandsinvestitionen, sie kauft Englands Export. Diese beiden Quellen nähren Englands Leben. Kein anderes Land ist in solchem Maße auf die Erholung der Umwelt angewiesen.

Wann wird England zur Goldbasis zurückkehren?

Die Beschaffung von Material, um eine Beantwortung dieser Frage versuchen zu können, ist die letzte und wichtigste Aufgabe bei der Untersuchung des umfassenderen Problems »Kommt Europa wieder hoch?«

*

England wird mindestens ein weiteres Jahr »ohne Goldbasis« bleiben. England gedenkt sich »ohne Goldbasis« zu erholen.

So lauten heute übereinstimmend die Meinungen der kompetenten Persönlichkeiten in London, und das ist die wichtigste wirtschaftliche Information, die in ganz Europa zu finden ist. Für eine Antwort auf die Frage »Wann wird Europa wieder hochkommen?« ist dies von entscheidender Bedeutung.

Fast genau vor einem Jahr wurde die Finanzwelt von dem schwerstwiegenden Ereignis dieser ganzen langen, lähmenden Krise erschüttert. England gab seinen Goldstandard auf. Achtzehn andere Währungen sanken nieder wie junge Baumstämme in einem Orkan. Der Handel wurde gestört, der Geld- und Kreditaustausch litt. Die Arbeitslosigkeit stieg in rapidem Tempo. Die Welt gelangte auf den Tiefpunkt der Krise.

Überall in der ganzen Welt sagten verzweifelnde Menschen den völligen Zusammenbruch des Wirtschaftssystems, wie wir es kannten, voraus. Der Zusammenbruch kam nicht. Ruhe folgte auf den Sturm, und heute erklären recht viele von den gleichen Propheten, die damals endgültiges Unheil voraussahen, daß die Erholung nur kommen könne, wenn England zur Goldbasis zurückkehre. Selbstverständlich nicht auf der alten Parität von zwanzig Reichsmark für das Pfund, aber zu einem Goldstandard.

Wie stellen sich die Engländer dazu? Wann, glauben sie, werden sie zur Goldbasis zurückkehren, und auf welchem Niveau? Machen sie die Erholung abhängig von einer Rückkehr zum Goldstandard?

Die ganze Welt erwartet heute von England eine Beantwortung dieser Fragen. Präzise Antworten könnten für Spekulanten ein Vermögen bedeuten. Die Wichtigkeit der Fragen geht weit über jedes spekulative Interesse hinaus. Selbstverständlich kann kein genaues Datum und kein genaues Niveau genannt werden.

Aber in einem Büro inmitten eines Komplexes verräucherter Schuppen im Nordwesten Londons ist die denkbar klarste Erklärung über die Bedingungen zu erhalten, unter denen England zur Goldbasis zurückkehren kann. Und aus diesen Bedingungen kann sich jeder Geschäftsmann selbst sein Urteil über die Zeit und andere in Frage kommende Einzelheiten bilden.

Die Schuppen führen den Namen Euston Station. Sie beherbergen einen Kopfbahnhof der London Midland and Scottish, des größten Eisenbahnnetzes in England, das mehr als ein Drittel aller englischen Strecken umfaßt. Sie beherbergen auch den Leiter der Eisenbahn. Und dieser Eisenbahnpräsident ist vielleicht die größte Autorität auf dem Gebiet der englischen Wirtschaft.

Sir Josiah Stamp hat in jedem einzelnen von vier großen Bezirken der englischen Wirtschaftstätigkeit nur wenige Rivalen, aber als Mann, der auf allen vier Gebieten eine führende Stellung innehat, hat er keinen einzigen Rivalen. Sir Josiah ist Direktor der Bank von England. Es gibt auch andere Direktoren. Sir Josiah ist Präsident des Verwaltungsrates der London Midland and Scottish Railway und ihr Generaldirektor. Es gibt auch andere Eisenbahnpräsidenten.

Sir Josiah war Sekretär und Direktor der Nobel Industries, Ltd., und Direktor der Imperial Chemical Industries. England hat auch andere Industrieführer. Schließlich ist Sir Josiah ein Nationalökonom von Rang, Verfasser von zwanzig Büchern und Abhandlungen über diese traurige Disziplin. Und auch auf diesem Gebiet hat er Kollegen, die sich mit ihm messen können, wenn auch sehr wenige. Aber Sir Josiah ist der einzige Mann in England, der gleichzeitig führender Bankier, Eisenbahnpräsident, Industrieller und Nationalökonom ist, so daß es keinen Engländer gibt, der besser dazu qualifiziert wäre, die Wirtschaftslage seines Landes zu umreißen und die Bedingungen zu nennen, unter denen England zur Goldbasis zurückkehren wird.

»Es gibt vier Kategorien von Bedingungen, die bestimmend dafür sein können, wann England zu einem Goldstandard zurückkehren wird«, begann Sir Josiah.

Er saß an einem großen Tisch, der neben seiner Riesengestalt klein wirkte. Der jetzt zweiundfünfzigjährige Sir Josiah ist ein großer, breitschultriger, kräftig gebauter Mann mit buschigem grauem Schnurrbart und dunklen buschigen Augenbrauen über lebhaften Augen. Sie funkeln und zwinkern, verdunkeln oder erhellen sich je nach seinen Gedanken, und ihre Lebhaftigkeit wirkt eindrucksvoller als die Gesten eines Romanen. Er ist in England bekannt als der schnellste Sprecher über wirtschaftliche Themen und auch als der gründlichste.

»Welche Kategorie entscheidend sein wird«, sprach er rasch weiter, »läßt sich nicht sagen. Ich sage, wir werden zur Goldbasis zurückkehren, weil die Regierung einmal die Absicht ausgesprochen hat, zu ihr zurückzukehren. Die Mehrzahl denkt, wir müssen zur Goldbasis zurückkehren, weil bis jetzt noch niemand ein anderes System auch nur theoretisch ausgearbeitet hat, dessen wir völlig sicher sein können, obgleich wir einige linksgerichtete Nationalökonomen haben, die dafür sind, vom Gold ganz abzugehen, ohne jedes Zwischenstadium für die nächste Generation oder etwas ähnliches.

Bei den vier Kategorien handelt es sich um die wirtschaftlichen, die finanziellen, die politischen und die internationalen Bedingungen. Innerhalb der Wirtschaftskategorie ist der wichtigste Faktor das Preisniveau. Bevor wir zur Goldbasis zurückkehren können, müssen wir ein Preisniveau haben, welches der Wirtschaft Profite von einer Art gestattet, die der Wirtschaftsmaschinerie das Funktionieren ermöglichen kann.

Da die Preise tief liegen und die Löhne erst sehr wenig reduziert sind, hat sich der Lebensstandard in England für diejenigen, denen es gelungen ist, in Arbeit zu bleiben, in einem Maße erhöht, wie es noch nie zuvor in der Geschichte bekannt war. Der Lebenshaltungsindex ist ein Beweis dafür. Die Lebenskosten sind im Laufe von zwei Jahren von einhundertsiebenundfünfzig auf einhunderteinundvierzig heruntergegangen, eine sehr bedeutende Senkung. In der Praxis bedeutet das, daß der Arbeiter in vielen Fällen tatsächlich mehr konsumiert, als er produziert.

Nun hat man den Widerstand der Arbeiter gegen Lohnkürzungen und den Widerstand der Gläubiger gegen eine Verringerung der Einkünfte aus ihren Darlehen, so daß der einzige Weg, der zur Korrektur dieser Faktoren übrig bleibt, darin besteht, daß ein Ansteigen des Preisniveaus bis auf die Höhe, auf deren Grundlage die Kontrakte abgeschlossen wurden, entweder herbeigeführt oder abgewartet wird.

Ich glaube, die Meinung der Wirtschaft in England spricht sich übereinstimmend dafür aus, daß jedes Preisniveau, das unter dem von 1928 läge, eine ungenügende Korrektur darstellen würde.«

»Wollen Sie damit sagen«, fragte ich, »daß es für England nicht möglich oder nicht ratsam sein wird, zum Goldstandard zurückzukehren, bevor das Preisniveau von 1928 wiederhergestellt ist? Dieses Niveau war sehr hoch.«

»Ich glaube, die Ansicht unserer besten Nationalökonomen geht dahin, daß unsere Kosten nur bei diesem Niveau und keinem anderen so angepaßt werden können, daß der Wirtschaft Profite ermöglicht werden.

Man bringt also die Preise zunächst auf ein Niveau, das der Innenwirtschaft des Landes ein Funktionieren gestattet. Dann paßt sich – der Sterling hat noch immer keine Goldbasis – der Wechselkurs des Sterling von selbst dem neuen Preisniveau an. Und dann muß man eine Weile warten und sehen, ob sowohl das neue Preisniveau wie der Wechselkurs im Begriffe sind, stabil zu bleiben.

Damit kommen wir zur zweiten Kategorie der Bedingungen, zu den finanziellen. Für diese Kategorie sind zwei Überlegungen ausschlaggebend: Stabilität und Prestige. Man beobachtet seine Sterlingkurse eine Zeitlang und fragt, wie sich der Sterling verhalten hat. Wenn er sich überall herumgetrieben hat, herauf und herunter gegangen ist, so ist offenbar nicht die Zeit da, zur Goldbasis, und zwar auf einem ganz zufälligen Niveau, zurückzukehren. Man wird zur Goldbasis erst zurückkehren, wenn der Kurs so lange konstant geblieben ist, daß man überzeugt sein kann, dies sei der wahre Kurs, der sich mit dem Preisniveau und mit anderen Wechselkursen ausbalanciert.

Sieht man aber seinen Kurs an, und ist er stabil gewesen, dann kann man sagen, daß man vom Standpunkt der Stabilität aus zur Goldbasis zurückkehren kann. Aber das genügt noch nicht. Das Kursniveau kann bei zehn Reichsmark liegen. Es kann bei zwölf Reichsmark liegen. Es kann bei vierzehn Reichsmark liegen.

Die Bankiers werden sich die Zahl ansehen und sagen: ›O nein. Bei einer solchen Ziffer können wir den Goldstandard nicht wieder aufnehmen.‹ Das Prestige spielt mit. Der Bankier muß an die psychologische Wirkung der Zahl auf die Umwelt denken. Er wird dann, wenn sie ihm zu niedrig erscheint, sagen: ›Wir wollen noch eine Weile auf einen besseren Kurs warten. Wir wollen, bevor wir zur Goldbasis zurückkehren, warten, bis der Sterling steigt.‹«

»Finden Sie nicht, daß die City sich jetzt so ziemlich auf die Zahl von vierzehn Reichsmark eingestellt hat?«

»Vielleicht. Aber die City könnte sich mit der Zeit auch auf zwölf Reichsmark einstellen oder sechzehn Reichsmark erwarten. Worauf ich hinaus will, das ist die Tatsache, daß die City ihren Einfluß geltend machen wird, um eine Rückkehr zum Goldstandard auf einem Kursniveau zu verhindern, das so niedrig ist, daß es dem Prestige Londons als des Zentrums der Weltfinanzen schaden könnte. Die rein ökonomischen Überlegungen hinsichtlich des Entschlusses zur Wiederaufnahme der Goldbasis werden also vom finanziellen Opportunismus beeinflußt. Das Kursniveau ist vom Verhalten des Golddollars anderer Leute ebenso abhängig wie von unserem Sterling.«

»Das alles scheint darauf hinzuweisen, daß noch ziemlich viel Zeit verstreichen muß, bevor England zum Goldstandard zurückkehrt, während bis jetzt nahezu jedermann, mit dem ich in London gesprochen habe, den Glauben geäußert hat, England werde im nächsten Jahr zur Goldbasis zurückkehren, und manche erklärt haben, es sei wahrscheinlich, daß die Rückkehr Englands zum Goldstandard ein Ergebnis der Weltwirtschaftskonferenz sein werde.«

»Mit wem haben Sie gesprochen?«

»Zum größten Teil mit Politikern.«

»Ah, damit kommen wir zur dritten Kategorie der Bedingungen, zu den politischen. Gewiß, es ist möglich, daß die Politiker die ganze Angelegenheit den Wirtschaftlern aus der Hand reißen. Aber wenn sie das Goldniveau wieder aufnehmen, bevor das richtige Preisniveau erreicht worden ist, werden sie es im Gegensatz zur Ansicht der Wirtschaft tun müssen.«

»Sie halten es also nicht für möglich, daß England im nächsten Jahr zur Goldbasis zurückkommt?«

»Als Direktor der Bank von England kann ich keine Meinung äußern. Ich kann lediglich sagen, daß die Ansichten der übrigen Wirtschaftskreise dieser Erwartung keine Grundlage gibt.

Aber es gibt noch eine Kategorie der Bedingungen. Erst muß man sein richtiges Preisniveau haben, dann muß man seinen richtigen Wechselkurs haben und eine einigermaßen gute Stabilität über einen gewissen Zeitraum, und schließlich müssen wir die Sicherheit haben, daß das System des Goldstandards funktionieren wird. Damit will ich sagen, wir müssen irgendeine Art von Gewähr dafür haben, daß die Faktoren, die zum Abrutschen Englands von der Goldbasis beigetragen haben, nicht wiederkehren und noch einmal dasselbe herbeiführen werden. Es ist unmöglich, daß der Goldstandard funktioniert, solange zwei oder mehr Länder Zahlungen auf Grund ihrer Auslandsinvestitionen fordern, sich aber weigern, Zahlungen in Waren anzunehmen, ihre Schuldner zu Zahlungen in Gold zwingen und dann das Gold sterilisieren.«

»Sie meinen Amerika und Frankreich?«

»Ja, vor allem. Aber es könnte auch bei anderen so kommen.

Man kann nicht sagen: ›Gib mir mein Geld. Deine Waren nehme ich nicht‹, das ganze Gold der Welt horten und dann erwarten, daß der Goldstandard funktioniert.«

Sir Josiah schlug mit seiner großen Faust auf den Tisch.

»Außerdem kann der Goldstandard unmöglich funktionieren, wenn die kurzfristigen Gelder weiterhin so empfindlich bleiben, daß niemand sicher vor einem Run sein kann. Nehmen wir an, wir hätten hier einen höheren Zinssatz als in New York, und eine Menge kurzfristigen Geldes wäre nach London gekommen. Was würde es England nützen, zur Goldbasis zurückzukehren, wenn dann zum Beispiel die Schweiz mit einemmal auf Grund von Berichten über kommunistische Unruhen in Liverpool erschräke und über Nacht ihr ganzes Geld zurückverlangte? Wir müssen eine neue Technik für empfindliche kurzfristige Gelder ausarbeiten. Wir müssen eine Sicherung gegen Krisen finden.«

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie es für möglich halten, eine Garantie dafür zu finden, daß diese Krise die letzte gewesen sein wird? Wollen Sie damit sagen, daß Sie meinen, wir können alle künftigen Krisen verhüten?«

»Man kann nicht dafür garantieren, daß ein Mensch nicht sterben wird, aber man kann sein Leben versichern, und man kann ihn gegen Unfall versichern.«

»An was für Maßnahmen denken Sie? Meinen Sie, das ließe sich durch eine Zusammenarbeit der Zentralbanken erreichen?«

»Eine mögliche Maßnahme müßte vielleicht eine größere Publizität hinsichtlich des Standes kurzfristiger Gelder in allen Finanzzentren der Welt sein. Wir wissen nicht genau, was für Wirkungen das haben würde, aber eines wissen wir ganz entschieden: hätten wir bessere Informationen über den Stand kurzfristiger Gelder in der ganzen Welt gehabt, so hätten wir damit wertvolle Anhaltspunkte zur Abbremsung der Panik gehabt.«

»Diese letzten Überlegungen scheinen im Verein mit den früheren die Möglichkeit einer Rückkehr Englands zur Goldbasis noch weiter in die Zukunft hinauszuschieben. Jetzt sieht es doch schon fast so aus, als würde England den Goldstandard erst wieder aufnehmen, nachdem es sich erholt hat, und als ob die Rückkehr zum Goldstandard ganz einfach das Zeichen dafür sein würde, daß es sich erholt hat. Aber auf dem Kontinent ist die Ansicht weit verbreitet, daß die Rückkehr Englands zur Goldbasis das Zeichen für den Beginn der Erholung wäre.«

»Das ist das genaue Gegenteil der Wahrheit. Unsere Rückkehr zur Goldbasis hat nichts mit Erholung zu tun. Es ist für uns durchaus möglich, zu prosperieren und nicht den Goldstandard zu haben. Unsere Taschen können vollgestopft mit Geld sein, und Sie können versuchen, uns ein altes Automobil zu verkaufen, aber wir werden ganz bestimmt zuerst fragen: ›Fährt der Wagen?‹ Ebenso ist es mit dem Goldstandard. Der Goldstandard ist das Automobil.

Natürlich ist noch nicht gesagt, daß man imstande ist, technische Maßnahmen zu ersinnen, die es ermöglichen, daß der Goldstandard unter allen Umständen funktioniert. Eines der Elemente für sein erfolgreiches Funktionieren ist der Charakter der Menschen, die Geld verleihen.

Sie dürfen nicht den Kopf verlieren.

Ich will nicht mit Steinen um mich werfen, aber wir haben hier gesessen und zugesehen, wie bestimmte große Anleihen, durch höhere Zins- und bessere Kommissionssätze angelockt und durch Ihre Hochdruckverkäufer an Ihr Publikum verkauft, nach Amerika gegangen sind, und dann haben die Menschen nach einigen Monaten Angst bekommen und zu verkaufen gesucht, so daß diese Anleihen schließlich wieder auf den Londoner Markt zurückschlichen.

Wenn das eine englische Kritik an Amerika ist, gibt es auch eine amerikanische Kritik an England. Sie erheben die Anklage gegen uns, daß wir die Profite der Industrie durch Besteuerung ausplündern, um nach allen Richtungen Subventionen und Hilfsgelder zu verteilen. Sie sagen, daß wir, solange wir weiter unbeschränkte Mittel zur Ausbalancierung des Budgets hergeben, niemals in Ordnung kommen werden. Beide Angriffe haben große Gewalt, sowohl der englische wie der amerikanische.«

»Welche Faktoren in der heutigen Lage Englands sind günstig?«

»Ein ausbalanciertes Budget, niedrige Zinsen und die Zähigkeit der Sterling-Faktura.«

»Sie wollen damit sagen, daß die Menschen sich trotz dem Schwanken des Wechselkurses weiterhin des Sterlings als Vermittlers im Handel bedienen?«

»Ja.«

»Aber diese Faktoren sind ausschließlich finanzieller Natur.«

»Es gibt keine anderen.«

»Und welches sind die ungünstigen Faktoren?«

»Unsere Unfähigkeit, unsere Ausfuhr den Weltbedingungen anzupassen, und der Mangel an Vertrauen in den Wirtschaftskreisen.«

»Aber wir haben hier sehr viel Optimismus angetroffen.«

»In London trifft das zu. Das ist finanzieller Optimismus. In der Industrie ist sehr wenig davon zu finden. Wenn Sie in den Norden hinaufgehen, wo die Arbeitslosigkeit wächst, werden Sie nicht sehr viel davon sehen.«

»Sind Sie heute einigermaßen optimistischer gestimmt als vor sechs Monaten?«

»Ja. Es gibt einige ermutigende Faktoren. Die Warenpreise haben eine Tendenz zum Steigen gezeigt. Wenn die Preise genügend steigen sollten, würden natürlich die meisten von den Schwierigkeiten, über die wir gesprochen haben, wegschmelzen wie Schnee in der Sommersonne.

Das Anziehen der Kurse auf der New Yorker Effektenbörse war ein überaus wichtiger Faktor. Solange die Atmosphäre in der Wall Street so war, wie ich sie bei meinem Besuch im letzten April vorfand, bestand nirgends eine Aussicht auf Erholung. Die Besserung in der Wall Street war schon lange überfällig. Die Baisse, die erreicht worden war, war völlig irrational. Jetzt wird sich das Ansteigen als befriedigend erweisen, wenn es nicht zu rasch vor sich geht, wenn es nicht eine zu große Abhängigkeit von britischen und französischen Staatspapieren zeigt, und wenn es nicht für politische Zwecke künstlich stimuliert wird, obwohl ich nicht sagen kann, es wäre bereits für politische Zwecke stimuliert worden.

Ohne Anziehen der Effektenkurse kann man keine Erholung haben. Die Kurse in der Wall Street sanken in einem solchen Tempo ab, daß Ihre Bankiers Anleihen zurückrufen mußten, und das zog natürlich den Kredit ein, der der Industrie für die Produktion hätte verbleiben sollen. Auf diese Weise kehrte die Geschwindigkeit des Fallens den normalen Prozeß um. Normalerweise ist es eine industrielle Zusammenziehung, die zu einem Sturz der Aktien führt, und am Ende der Hausse von 1929 traf das auch zu. Aber bis zu dieser letzten Markterholung waren die Aktien so rasch und so tief gefallen, daß sie zu einer Ursache weiterer industrieller Zusammenziehung geworden waren.

Sobald dieser Prozeß wieder umgekehrt ist, werden Sie eine notwendige Vorbedingung für die Erholung haben, und aus diesem Grunde ist die Markterholung dieses Sommers, sofern sie solide und nicht rein spekulativ ist, ein überaus ermutigendes Anzeichen.«

Der Bankier, Eisenbahnpräsident, Industrielle und Wissenschaftler sprach die letzten Worte mit Energie, und in seinen Augen spiegelte sich der Optimismus seiner letzten Erklärung wider. Er hatte in fünfundvierzig Minuten raschen Sprechens die Einzelheiten zusammengefaßt, die für die wirtschaftliche Zukunft dieses Landes und eines Dutzends anderer Länder bestimmend sein werden.

Es dürfte wohl riskant sein, diese Zusammenfassung wie ein Evangelium hinzunehmen. Bevor England von der Goldbasis abging, sagte »jedermann«, es würde bei ihr bleiben. Heute sagt »jedermann«, England werde bald zur Goldbasis zurückkehren. Aber nicht jedermann ist Direktor der Bank von England. Und nicht jedermann gehört wie Sir Josiah zu dem engeren Rat, bei dem sich der Ministerpräsident den ausschlaggebenden Ratschlag in Wirtschaftsdingen holt.


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