Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Jadwiga von Rosowska.

Sie erwarteten den Herrn Vater aus Breslau zurück. Er hatte sich endlich entschlossen, die Tochter als Frau Kantorin Leisetritt in ihrem eignen Heim zu begrüßen und – was die Frau Mutter noch viel wichtiger dünkte – die Bekanntschaft des jungen Kantorleins und Enkels zu machen.

Früh im Jahre war der Herr Vater ausgezogen, man war just bis in die Mitte des zweiten Mondes gelangt, dem Februar des Jahres 1763. Da die Frau Mutter sich baß drob erstaunen wollte, hatte der Herr Vater angegeben, daß dies just die rechte Zeit sei für einen Landwirt, da annoch keine Feldarbeit dränge. Daß ihn dagegen und zumeist von innen etwas dränge, Tochter und Enkelsöhnlein zu sehen, das hätte der Herr Vater nun und nimmer zugestanden.

Und so war er gegen Mitte des Februarmondes ausgezogen und wurde heute zurückerwartet.

Und da holperte es auch schon auf dem Straßenpflaster und jetzt schnoben die Gäule um die Ecke. Unter dem Halbverdeck des Chaiseleins sah man des Herrn Vaters geruhiges rotes Gesicht und das Pfeiflein hing ihm wie immer geruhsam in einem Mundwinkel. Genau so saß er in seinem Sorgensessel am Kachelofen oder am offenen Fenster jeweilen, wie es die Jahreszeit mit sich brachte.

Die Frau Mutter flog die Treppenstufen vor der Haustür herunter, als sei sie die jüngste Maid, die den Herzallerliebsten begrüßen käme.

»Wie geht es dem Kindelein, Mann? Gedeihet es fein? Und machen ihm die Zähnlein nit allzuviel Plagen? So red' doch, Mann! Hat dir die Reisen etwan das Wort verschlagen?«

Der Riese lachte in sich hinein, derweilen er sich aus dem Chaiselein schälte. »Hab' gedenket, die Eile gelte der Wiedersehensfreude mit mir, Weib. Vermeinete, die Trennung sei dir sauer worden als wie in deinen jungen Tagen. Ha, ha, ha! Hätt' nit gedenket, daß einstmalen ein Wickelkindlein sollt' triumphieren über mich. Will mir gar bitter eingehen.«

»Mach nit weiter Redensarten, Mann. Sag, wie ergehet es dem Wichtlein?«

»Schreiet noch allweil so musikalisch, als wie es dies von Anbeginn hat tun mögen und verdrehen der Leisetritt und die Malene noch allweil drob die Augen und bestaunen das Weltenwunder. Ist aber die Krau Kantorin ein gar stattlich Frauenbild geworden, wo selbsten ihre Frau Mutter mag in Schatten stellen. Und weil daß nun endlich Frieden ist worden, verhoffet auch der Leisetritt einen gedeihlichen Fortgang aller Dinge.«

»Frieden, Mann? Und das lässest du so nebenbei laut werden?«

»Hätt' nit können groß zu Wort kommen bevor, ha, ha, ha!«

»Frieden, Herr Vater? Hurra! Hurra! Hurra!« War das Elflein, das also posaunete und dem Herrn Vater am Halse hing, ehedenn er sich dessen erwehren konnte. Er sah denn auch gar hilflos nach der Frau Mutter hin. Die erbarmete sich sein und beförderte die Kleine mit festem Griff auf die Treppenstufen zurück, von denen aus sie den Herrn Vater angesprungen hatte.

»Jetzo red', Mann! Und du, Mädchen, gibst Ruhe!«

Erst sog sich der Herr Vater noch einmal Mut aus dem tröstenden Pfeiflein – die Worte standen ihm nicht eben leichtiglich zu Gebot – und dann sagte er: »Soll ein Jagdschloß in Sachsen liegen, Hubertusburg genennet, alldorten haben sie Frieden gemachet, am 15. Februaris 1763. Wird uns der Tag gedenken, sollt' ich vermeinen. Sie sagten, es solle alles an dem bleiben, als wie es zuvor gewesen ist, ehedenn vor sieben Jahren der Krieg ist ausgebrochen. Weshalben er denn hat sein müssen, weshalben so viel Blut hat müssen fließen, weshalben so vieler Mütter Söhne haben müssen ins Gras beißen, kannst du das verstehen, Mutter?«

»Ich nit, Mann, wo der Weiber Verstand noch kürzer soll sein, als der Mannen ihrer, wie sie sagen. Und dafür hat müssen unser Bub sein Bein hergeben!«

»Klaget nit, Herr Vater, Frau Mutter, wo denn endlich unser aller Herzenswunsch ist wahr worden. Frieden! Frieden! Muß dem Goliath die Botschaft bringen!« Fort war sie und man hörte ihr helles Stimmlein die Freudenkunde durchs Haus schmettern: »Frieden! Frieden!«

Die Glocken trugen die Kunde über die schlesischen Lande und allüberall war ein heiliges Freuen. – – – – – –

Die Märzensonne meinte es gut in diesem Jahre des Friedens 1763. An den Hängen und Stellen, so ihr zugänglich waren, hatte sie allbereits den Schnee verdränget und es lag ein Lenzahnen über Busch und Strauch.

Fritze Viktoria Mollwitz, unser Elflein, hatte an diesem Sonnenmorgen sogar schon ein Blauveigelein, ein klein winzig scheues, keckes Dingchen, das Köpfchen recken sehen, dort an sonnigster Stelle, wo Mauer und Hag den geschütztesten Winkel bieten. Auf den Knieen lag die Kleine vor dem Blümlein, schichtete mit sorgender Hand ein Moospolsterchen rings, dem kecken blauen Vordringerlein zur Wehr gegen alle Unbill jeglicher Art.

»Bist jetzo geborgen, mein Kleines! Geh noch ein bissel schlafen, du. Tauget nit allzu großer Fürwitz, ha, ha, ha!«

Und das Lachen und die Lust und das Freuen an dem blauen Lenzbotengängerlein war noch in ihren Braunaugen, da Fritze Viktoria Mollwitz sich jetzt auf die Mauer schwang, die Garten und Straße trennte, und sich von der Sonne anwärmen und anlachen ließ, zurücklachte in junger unbändiger Lebenslust. Da war ein Pferdetraben von ferne. Das Elflein spitzte die Ohren, also trabete kein Ackergaul. Leichtfüßig stoben flinke Pferdebeine daher, war aus den Lauten der Hufe das edle Blut zu erkennen. Und da bog auch schon ein Reiter unfern um die Straßenecke, parierte sein Tier am Brunnen und rief dem Nachbars Peter, der dort just Maulaffen feilhielt, ein paar Worte zu.

Der Peter grinste – deutlich sah es das Elflein – war ein Geringschätziges dabei. Wie konnte auch einer aus der Welt so dumm sein, nicht zu wissen, wo das Brömelhaus stand? Wußte das doch jedes Kind im Ort! Und so ein ausgewachsener Mensch fragte erst. Einer dazu auf solchem Gaul, mit Uniform, ein Soldat! Schnurrig war die Welt. Aber der Peter wies mit Kopf und Hand nach dem erfragten Hause.

War nit von vielen Worten, der Peter.

Und da stob das Roß auch schon heran und der darauf saß, hielt dicht an der Mauer, just da, wo das Elflein mit den großen glänzenden Braunaugen neugierig und atemlos harrte.

Bild: H. Grobet

Höflich salutierte der Reiter: »Wollte die Demoiselle mich gütigst belehren, wo ich meinen Kameraden und Lebensretter Jost Brö– –.«

Mitten drin brach die Stimme ab und des Fragenden Augen weiteten sich in Staunen, in ungläubigem Schreck schier. Sie hatten dem Elflein dicht in das Gesicht geschaut und darin gesehen, was den Mund verstummen machte.

Der flüsterte jetzo nur: »Wenn noch ein Zweifel hätte sein können, der wäre anjetzo – – nein solche unglaubliche Ähnlichkeit – –.« Wiederum verstummte der Mund.

Was er geflüstert hatte, war dem Elflein nimmer zu Ohren gekommen. Das hatte was gestottert von: Sofort Jost melden, war hochrot und verwirrt von der Mauer gesprungen und schon wer weiß wie weit.

Daß es rasche Arbeit getan hatte, bewies das fast sofortige Erscheinen Josts. »Herr, die Freude! Die Ehre!« also stammelte der Goliath.

»Und das ist Er also, mein alter Jost? So sieht Er aus im Frieden, he?«

»Zu Befehl, Herr Rittmeister. Und der da möcht' auch vorgestellet sein.« Er wies dabei auf seinen Stelzfuß und lachte ein Weniges grimmig.

»Laß Er gut sein, mein alter Jost. Muß auch Männer des Friedens geben. Absonderlich jetzo, allwo wir das Schwert in die Scheide stecken sollen, also will es unser König und Helde!«

» Vivat Fridericus Rex!« Des Goliath Stimme donnerte, aus seinen Augen lief ihm das helle Wasser über die Backen. »Wollen der Herr Rittmeister gütigst gestatten!« Er hatte das Tier am Zügel und führte seinen Rittmeister nun auf den väterlichen Hof.

Im Hause hatte das Elflein allbereits die Frau Mutter in Trab gebracht. Mit einer ganz frischen weißen Haube bewaffnet, begrüßte die danach mit viel Würde ihres Buben Rittmeister und gütigen Vorgesetzten.

»Verhoffe, der Herr möchten eine Zeit bei uns verweilen und Rast machen nach der sauren Kriegszeit. Wär' uns eine große Ehre, meinem Brömel und mir, von dem Jost ganz zu geschweigen!« Also sprach die Frau Mutter.

»Wollet nit allzusehr drängen darauf, ha, ha! Wisset nit, was sich die Frau Mutter heraufbeschwören!« also lachete der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky. War gar ein junges, frisches, frohes Blut, man sah es ihm an den hellen Schelmenaugen an, sofern man hineinschaute.

Waren jetzo auf die Fritze Viktoria Mollwitz geheftet und war hinwiederum ein großes Staunen und Verwundern darinnen zu lesen. »Wollet mich gütigst Dero Demoiselle Pflegeschwester präsentieren, Jost Brömel!« Der Rittmeister verneigte sich tief. Konnte nicht ahnen, was für einen Berg er dem braven Jost aufpackte.

Der stotterte denn auch erbarmenswert, war so rot und heiß, daß es schier ängstlich anzusehen war. Das Elflein kam ihm als freundliche Retterin, bot dem Gaste die Hand und sagte mit seinem frohesten Lachen: »Da wir beide ja genau wissen, wer wir sind, so bedarf es keiner weiteren Präsentation. Oder doch? Fritze Viktoria Mollwitz zu dienen!« Mit seinem schelmischsten Knicks tauchte das Elflein unter.

Der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky hielt die ihm gebotene Hand und neigte sich zum Kusse drüber. »Gestatten die Demoiselle, Jaroslav von Rosowsky.«

Da versank das Elflein desgleichen in einem Knickse, als ob es bei Hofe sei, hatte eine ernste würdevolle Miene und ließ sich den Handkuß gefallen, als ob es derlei Speise alltäglich zu kosten kriege.

Die Frau Mutter und Jost stauneten nur so und ein Fremdes wollte sie überkommen. Dann kam der Herr Vater, der verständigt worden war, begrüßte des Sohnes Gast und wiederholte die Einladung der Frau Mutter zu längerem Verweilen, was der Rittmeister genau so scherzend erwiderte, wie er es bei der Frau Mutter getan hatte.

Wie das Mahl vorüber war, saßen alle noch geruhsam um den Tisch und lauschten des Gastes Worten, die der gar unterhaltsam zu setzen wußte. Von manchem lustigen Reiterstücklein berichtete er dem Jost und dem brannte das Gesicht im Erinnern und Bedauern, da ihm die entschwundene Zeit lebendig wurde. War doch ein ander Leben gewesen! Wollte ihm schier das Herze schwer werden.

Die Frau Mutter sah ihres Buben Not und lenkte ab. »Werden sich der gnädige Herr anjetzo nit in die Heimat begeben? Weiß, wie einer Mutter zumut ist, derweilen sie ihr Fleisch und Blut dort draußen weiß, wo die Kugeln fliegen, und wie sie sich sehnet, ihr Kind heil umarmen zu können und sich zu überzeugen, daß es nit habe Schaden genommen in irgendeiner Weise. Werd's nimmer vergessen, wie sie mir meinen Buben gebracht haben und wie ich beruhigt war, ihn in meiner Hut geborgen zu wissen. Wollt' Dero Frau Mutter dasselbige gewünschet haben.«

»Bin selbstverständlich auf dem Wege heim. Verlanget mich selbsten nach der Heimat und nach denen darinnen, als wie es den Dürstenden nach einem frischen Trunk Wassers verlanget. Hab' aber zuvor meinem guten Jost Brömel und Lebensretter wollen die Hand drücken und – – ja, ich will es gestehen, hab' zumeist und zuvörderst noch einen anderen Grund gehabt, daß ich nit bin alsobald in die Heimat gezogen. Habe der Demoiselle Pflegetochter eine Mitteilung zu machen« – damit wandte er sich dem Elflein zu, das an seiner Seiten saß, und ihn nun mit erloschenen Augen aus schlohweißem Gesichtlein anstarrte, also daß er sich baß erschreckte.

»Muß die Demoiselle sich nit erregen, ist keine schlimme Kunde, die ich zu bringen habe, möchte dieses zuvörderst betonen. Wollte die Demoiselle mir gütigst angeben, ob sie noch etliches hat aus der Zeit, allwo sie ist gefunden worden in jener Schneenacht, wie mir der Jost berichtet hat?«

Das Elflein sah in seine forschenden Augen, war aber von Tränen blind, auch wollten die zitternden Lippen keine Worte formen. Bis die Frau Mutter zu Hilfe kam: »Werd' dem gnädigen Herrn alsbald das kleinwinzige Bündelein herunterholen, das uns mit dem Wichtlein dermalen ist ins Haus getragen worden. Sag's aber gleich, viel wird der Herr nit darinnen finden.«

War eine Totenstille im Zimmer, derweilen die Frau Mutter hinausgegangen war. Nur des Elfleins leises wehes Schluchzen unterbrach sie in Pausen. Dem Rittmeister Jaroslav von Rosowsky sowohl als dem Herrn Vater und Jost war nicht wohl dabei zumute. Des Mitleids voll sahen sie nach der Kleinen, fand aber keiner ein Wort, wo denn die Mannen von Anbeginn der Welt an denen Weibertränen gegenüber hilf- und wehrlos sind, als wie das Lamm in des Wolfes Rachen. Eine drückende Weile dauerte die Stille.

Und dann erschien die Frau Mutter wieder und trug ein kleinwinzig Bündelein, das gar vergilbet war und legte es vor das schluchzende Elflein auf den Tisch: »Da wäre denn, Kind, was sie uns als dein Eigentum mit dir selbiges Mal ins Haus geliefert haben. Öffne es, daß der Herr nachschaue!«

So tat die Kleine mit erbarmenswert zitternden Händen.

Es kam zu Tage, was der Kindelein erste Notdurft erheischet, einige gar winzige Hemdlein, Jäcklein, Tüchlein und Hauben. War alles so wunderfein, als wie ein Hauch, und die Spitzenkanten waren von der zierlichsten Art. Man sah, es war dies alles für ein geliebtes Kind aus reichem Hause mit Liebe und Fürbedacht angefertiget worden.

Also sagte die Frau Mutter, da sie alle mit Andacht schier der Reihe nach die Sächelein fingerten. Und sie sagte ferner: »Sehen der gnädige Herr, wie an jedem Stück sind die Namen gar fürsorglich herausgetrennet worden, oftmals sonder Acht herausgeschnitten? Hat die Person, so es getan, nit wollen, daß man solle daraus ersehen können, wem die Sächelein bestimmt waren. Hab' die Dinglein schon gar oftmalen unter Augen gehabt, vermeinete jedennoch eine Spur entdecken zu müssen. Ist nur ein einzig Tüchlein da, allwo die Zerstörerin ihr Werk nit hat gründlich tun mögen, ist ihr selbiges wohl entgangen. Hier dies Tüchlein mit den feinen Spitzenkanten ist sicherlich aus Versehen unter die Kindersachen gemenget gewesen. Ist ein Schneuztüchlein, als wie es eine vornehme Dame wohl benützen mag, unsereiner wüßt' nit, was anfangen mit derlei Gebilde, ha, ha! Nehmen es der gnädige Herr.«

Da saß nun der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky, hielt das ihm gebotene Tüchlein in der Hand, besah sich dessen eine Ecke, die deutlich ein hineingesticktes R wies, über dem eine Krone angebracht war. Die Stickerei zeigte nur geringe Verletzungen, so als ob nicht Zeit gewesen wäre, die Sache gründlich zu tun. Ein versuchter Schnitt ging nur an einer Seite her.

Lange sah der Rittmeister daraufhin, nickte zuweilen, hob die Augen, sah nach der schluchzenden Kleinen, räusperte sich und – blieb stumm. Es währte eine lange Zeit. War diesmal die Frau Mutter die Ungeduldige, die nit konnte erwarten, bis der Stumme würde Worte finden. Derweilen dampfte der Herr Vater geruhsam, dem langen Jost half seine angeborene Schwerfälligkeit, auch belangete es ihn nicht sonderlich nach den Enthüllungen, die der Rittmeister zu machen hatte, da er ahnte, daß sie irgendwie einen Wechsel bringen würden.

Die die Sache aber zumeist betraf, Fritze Viktoria Mollwitz, das Elflein, das weinete Ströme von Tränen, also daß man darin sämtliche vergilbete kleine Sächlein, die ihren einzigen Reichtum bedeuteten auf dieser Erde, hätte mögen rein waschen.

Auch dem Kinde ahnete, daß was nun käme, einen Wechsel bedeute in seinem jungen Leben. – Ob zum Guten?

Da die Stille allzulange währen wollte, trommelte die Frau Mutter in einiger Ungeduld auf die Tischplatte, räusperte sich nachdrücklich, und die weiße Haube geriet in bedrohlich schwankende Bewegung.

Das weckte den zaudernd Sinnenden, an dem aller Augen hingen. Er suchte in seinen Taschen, förderte ein Schächtelein ans Tageslicht, dem er den Ring entnahm, den Fritze Viktoria Mollwitz dem Goliath und Pflegebruder dermalen als Schutz und Schirm gegen alle Gefahr mit in den Krieg gegeben hatte.

Neben das Taschentuch legte der Rittmeister den Ring, räusperte sich noch einmal umständlich, schnaubte sich desgleichen und dann begann er endlich: »Zuvörderst möchte ich der Demoiselle« – er hatte sich Fritze Viktoria zugewendet, die ihn nun aus großen tränenden Augen unverwandt anstarrte – »gebührendlich meine submissesten Entschuldigungen zu Füßen legen, daß ich selbiger den Ring so lange entzogen habe, war die Schuld an denen Kriegsläuften, so alles durcheinander wirbelten.«

»Hab' ihn nit vermisset,« stammelte das Elflein, »wirklich nit. Hab' ihn in guten Händen gewußt. War ja auch des Jost Eigentum für die Zeit.«

»Verbindlichsten Dank für gnädigsten Pardon. Möcht' aber doch ein Weniges erklären. Da ich hab' den Ring bei meinem guten Jost entdecket, ist er mir sofort aufgefallen, war aber meiner Sachen nit ganz sicher, da Geschehnisse und Erzählungen aus meiner fernsten Kinderzeit damit verknüpfet waren, die mir nur noch als wie aus einem Nebel auftaucheten. Mußte drum zuvörderst die befragen, die mir davon gesprochen hatte in jenen fernen Tagen – meine Mutter. Ließ ihr also den Ring zustellen benebst der Beschreibung der Umstände, wieso ich ihn entdecket und was mein guter Jost davon und von seiner Besitzerin mir zu berichten wußte. Es dauerte eine gar lange Weile, bis meine Mutter mir das bestätigte, was ich vermutet hatte. Da aber selbiges sich nit gut schriftlich erklären ließ, so verschob ich alles bis auf die Zeit, da mir der erfolgte Frieden gestatten würde, mich der Demoiselle persönlich vorzustellen und ihr zu sagen, was ich zu sagen habe.«

Unverwandt hob ihm das Elflein das schlohweiße Gesichtlein zu, in dem die Augen brannten. »Und was wäre dies?« Es kam wie ein Hauch.

»Zuvörderst möcht' ich noch bemerken, daß wenn ich irgendeinen Zweifel geheget hätte an der Richtigkeit meiner Vermutungen, selbiger durch den Fund hier« – er wies auf das Tuch mit dem gestickten, gekrönten R – »sowie zumeist durch den Anblick der Demoiselle selbsten, ist von Grund aus widerleget worden. Aber ich werde weit ausholen müssen und bitte schon im voraus um Verzeihung hiefür.«

»Machen der gnädige Herr keine weiteren Redensarten,« also gemahnte die Frau Mutter und hatte ihr Ton denselbigen strengen Beigeschmack, womit sie ihr eigenes Jungvolk zur Ordnung zu rufen pflegte. »Einen bittern Trunk schlürfet man leichter schnell.«

Des also Gemahnten Blick ging von der Frau Mutter zu dem Elflein hinüber und er verstand, daß ihr Mutterherz, so die Fremde mit einer Mutter großer Liebe umfangen hatte, vor den Enthüllungen bangete, da ihr ahnete, daß ein Fremdes sich zwischen sie und das Kind ihrer Sorge drängen werde.

So begann er ohne weitere Umschweife:

»Dicht an der Grenze, die Polen von den schlesischen Landen scheidet, liegen zwei Edelhöfe, darinnen die Rosowsky hausen, Zweige aus einem der edelsten der polnischen Geschlechter. Ursprünglich war es eine Besitzung gewesen, aber einer der Urväter hatte einstmals zwei ihm gleich liebe Söhne gehabt, deren keinen er hätte mögen bevorzugen auf des andern Kosten. So teilte er seinen Besitz in zwei gleiche Hälften, wodurch die zwei Edelhöfe entstanden sind, beide demselben Geschlecht angehörig. So hat mir mein Vater oft erzählt, wenn er mir von denen unseres Blutes sprach.

»Ein Unterschied aber hatte sich im Laufe der Jahre herausgebildet. Die Rosowsky führen Rosen im Wappen. Eine war es ursprünglich gewesen. Der sich abzweigende Teil nahm dann deren drei auf. Wie sie dieser Ring hier zeigt. Gedulde sich die Demoiselle nur noch ein weniges, gleich bin ich so weit.«

Das galt dem Elflein, das mit wehem Laut nach dem Ring gegriffen hatte und ihn an die Lippen preßte. »Weiter!« stammelte es, »weiter!«

»Vor 23 Jahren etwan starb der Letzte der Rosowsky mit den drei Rosen. Es war ein weitläufiger Vetter meines Vaters, den dieser aber als einen Bruder liebte, wie denn die Rosowsky durch alle Jahre immer treu als Brüder zusammengestanden sind. Dunkel erinnere ich mich seiner. Er war ein schöner, schlanker Mann, der auch bedeutend im Geiste gewesen sein soll, wie mir mein Vater stets betonte, wenn er von ihm redete. Auf einer Jagd ist er ums Leben gekommen, man sagt durch Mörderhand. Es wurde auch einer seiner Hörigen dafür am Leben gestrafet, ob zu Rechtens oder schuldlos, keiner konnte es beweisen.«

In der Pause, die folgte, hörte man nur Fritze Viktorias Schluchzen.

»Sein junges Weib – deutlich sehe ich sie noch vor mir, ich liebte sie sehr, denn sie war gleich einem Engel mit uns Kindern – starb, nachdem sie kurze sechs Monate zuvor einem Töchterlein das Leben gegeben hatte. Ein arm vaterlos Waislein. Trat meine Mutter zu uns in die Stuben, da wir lärmeten, waren eine gar wilde Bande unsrer fünfe. ›Kinder,‹ sagte sie – ich höre noch den ernsten Ton ihrer lieben Stimme – ›Kinder, bei Tante Jadwiga ist ein kleinwinzig Mägdelein angekommen. Müsset es liebhaben, als sei es der euren eines, wird Liebe vonnöten haben, wo es den Vater muß missen von Anbeginn.‹

»Nahmen es dermalen nit gar schwer, hatten noch keinen Begriff von des Lebens Ernst. Starreten das kleinwinzige Mägdelein an, da wir es zu sehen kriegten, hatten es aber gar bald danach vergessen. Höchstens, daß wir eifersüchtig waren, da Tante Jadwiga annoch nur für das kleinwinzige Mägdlein zu leben schien. Gar wenig sahen wir von ihr.

»Kamen dann zwei Tage, die mir fest sind im Gedächtnis eingegraben geblieben. War ein bitterkalter Wintertag, da kam ein Bote gesprenget, der Kunde brachte, daß drüben auf dem Nachbarhofe das kleinwinzige Mägdlein verschwunden sei. Daß die alte Petruschka desgleichen nicht aufzufinden wäre, daß sie wohl aus Rache für den gerichteten Sohn, von dem sie schwor, daß er der Mörder des gnädigen Herrn nicht gewesen sei, daß sie aus Rache das kleinwinzige Mägdelein geraubet und mitgenommen habe, keiner wisse, wohin.

»Und der zweite Tag, den ich aus meinem Kinderleben nimmer vergessen kann, war ein Tag im Lenze. Hell schien die Sonne über den Wiesengrund, allwo wir unser Wesen trieben, die Schwestern sinnig mit Blümleinpflücken, wir Brüder mit Balgen und Raufen, als wie es der Buben Art ist seit Anbeginn der Welt.

»Kam durch den Wiesengrund daher ein junger Reitknecht vom Nachbarhofe, den wir Buben absonderlich liebten, da er ein lustig Blut und uns gar oftmals zu willen war in unsern Anschlägen.

»Heut stürmete er an uns vorüber und wehrete uns, da wir ihn halten wollten. ›Kann heute nit, Junkerlein, will die gnädige Frau sterben. Muß eilen, ihr den Priester holen.‹

»Noch wie heute weiß ich, daß weniger die Worte, als des Burschen Gesicht mir Eindruck machte. Es liefen ihm die hellen Tränen darüber.

»Also ist Tante Jadwiga, die Gute, Schöne, in ihrer Jugend gestorben, da ihr des Lebens Bürde zu schwer geworden war. Den Tod des Gatten hatte sie überlebt, des kleinwinzigen Mägdeleins Verlust tötete sie.«

Mit lautem Schluchzen lag nun das Elflein der Frau Mutter im Schoße, am Herzen, und die hatte der linden, leisen Trostesworte eine Menge. Dem Herrn Vater war die Pfeife erloschen und Jost hatte hilflose, erschreckte Augen.

So dauerte es eine Weile.

Und dann sagte der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky: »Hätte ich nach der Auffindung des Ringes noch den leisesten Zweifel haben mögen, wäre nit das Zeichen hier im Tuche untrüglich, der Demoiselle große, frappante Ähnlichkeit mit der Verstorbenen, die wir Kinder Tante Jadwiga nannten, hätte mich müssen aus die Spur des vermißten kleinwinzigen Mägdeleins bringen.«

Er stand auf und neigte sich tief vor dem Elflein, das scheu von der Frau Mutter Hals her auf ihn schaute: »Ich begrüße die Demoiselle als liebwerteste Base und chère cousine

Er faßte nach des Elfleins Hand und führete diese mit zartester Huldigung an seine Lippen. »Werde es mir zur Ehre anrechnen, der Demoiselle Jadwiga von Rosowska – also haben sie das kleinwinzige Mägdelein dermalen getaufet – werde es mir zur ganz besonderen Ehre anrechnen, der chère cousine ihr Eigentum, den väterlichen Hof, zurückzuerstatten. Kann dieses ohne Vorbehalt sofort versprechen, da ich der alleinige Erbe und das Haupt derer von Rosowsky bin. Ist mir der Vater vor zehn Jahren gestorben, desgleichen die Brüder, der ältere und der jüngere. Leben mir nur noch Mutter und Schwestern, die die Demoiselle und chère cousine liebend werden ans Herze nehmen, des bin ich gewiß.«

»Aber – aber, ich müßte ja Ihnen fortnehmen, was – – ach und was wäre mir Geld und Gut, wo meine Eltern – –« Die Kleine lag mit dem Kopf auf der Tischplatte und weinte herzbrechend.

»Und was wären alsdann wir?« In der Frau Mutter Ton grollete es und war zugleich ein Wehes drinnen. Sie riß das Kind schier mit Gewalt ans Herze und ein dräuender Blick streifte dazu den Rittmeister.

Der schaute so hilflos drein, als wie es der Herr Vater und Jost taten.

Da hatte auch schon das Elflein sich selbsten wieder gefunden. Ein Blick, der durch Tränen aufleuchtete, traf die Frau Mutter und war ein gar weiches Flehen in der Stimme, da die Kleine jetzo sprach: »Wollet nit zürnen, Frau Mutter, Herr Vater und du, Jost. Habet mich ans Herze genommen, als sei ich euer eigen Fleisch und Blut und also fühle ich auch. Bin ganz die Eure in Liebe und Zugehörigkeit, wollet es mir glauben. Da nun aber einer kommen ist, der mir vermeldet, von wannen ich stamme, da hätt' ich wohl mögen meine leiblichen Eltern wiederfinden zusamt dem Namen und Eigentum. Könnet ihr es mir verdenken?«

Sie konnten es nicht, was die Frau Mutter mit einem herzhaften Kusse, der Herr Vater und Jost aber mit unverständlichem Brummen bestätigten.

Ein Weniges schluchzte die Kleine noch, dann brach sich der Kobold in ihr, der köstliche Frohmut, die Kinderneugier Bahn. Ein Schelmenblitz überflog den Rittmeister. »Und so behaupten der cher cousin, daß die Fritze Viktoria Mollwitz gar nicht zu Rechtens existiere, he?«

»Hab' mir nur gestattet, festzustellen, daß jenes vermißte kleinwinzige Mägdelein dermalen ist anders getaufet worden.«

»Wie nannten es der cher cousin

»Jadwiga von Rosowska.«

»Hm! Ist ein stolzer Name, was saget die Frau Mutter?«

»Kind, mein alter Kopf möcht' schwer umlernen.«

»Und der Herr Vater?«

Der dampfte nur und knurrte, beharrete dabei.

»Und der Goliath?«

Der warf den Blondschopf hintenüber. »Stehen der deutschen Zungen welsche Namen gar schwer an. Tat' allweil lieber beim Fritze Viktörchen verbleiben.«

»Ich auch, Goliath, ich desgleichen,« nickte die Kleine. »Was tät' auch mein Helde und Patenkönig vermeinen, wollt' ich den Namen, so er mir Höchstselbsten hat beigeleget, geringachten und wenn es für meiner leiblichen Eltern Namen wäre.«

»Tät' mir submissest erlauben vorzuschlagen, daß die chère Cousine einstweilen die Sache ruhen ließe. Ist noch keine Suppen so heiß ausgegessen worden, als wie sie gekochet war.«

»Da hat der gnädige Herr ein wahres Wort gesprochen,« nickte die Frau Mutter voller Billigung. »Gemahnet mich auch das Wort an meine Pflicht in Küche und Keller, allwo das Auge der Hausfrau vonnöten ist. Hab' mich allzulange versäumet.« Und die Frau Mutter erhob sich, wobei sie das Elflein festhielt. »Komm mit, Kind, die Arbeit rufet.«

Zögerte die Kleine erst und war ein Erstauntes in ihren Augen. Schien ihr die Alltagspflicht ein gar beschwerlicher Mahner zu dieser besonderen Stunde. Aber die Frau Mutter wußte, daß eben diese Alltagspflicht der größeste Helfer ist, der treueste Tröster just in derlei besonderen Stunden, die uns aus der gewohnten Bahn werfen und unser Innerstes aufwühlen. So hatte sie keinen Blick für der Kleinen befremdetes Zögern.

Die Arbeit des Tages ging ihren Gang weiter. – – –

Also tat sie es auch in den Tagen, die da folgten.

Der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky hatte nimmer wieder vom Bleiben oder Weiterziehen geredet, er war einfach geblieben. Ob es die Freundschaft war, die ihn mit seinem Kameraden und Lebensretter verband, ob es der Frau Mutter Küche und sonstige Betreuung war, ob der Herr Vater in seinem geruhsamen Schweigen es ihm angetan hatte, ob die traute Heimatlichkeit des Brömelhauses überhaupt ihn hielt – wer wollte das bestimmen?

Aber es waren der Wochen zween allbereits verflossen und noch weilte der Gast, sprach auch mit keinem Wort vom Weiterziehen.

Er vertrieb sich die Zeit zumeist damit, daß er den Bewohnern des Brömelhauses bei ihren verschiedenen Tagesarbeiten zusah, auch half, wo es sein Können verstattete.

Daß es sich dabei zumeist ergab, wie des Elfleins Tun ihm vor dem der andern zusagte, war wohl natürlich, da er weder für Kochen und Schalten im Hause, noch für Hof- und Feldarbeit erzogen war. Die Kleine aber hantierte überall ein Weniges und lag ihr der Garten gar sehr am Herzen und dort gab es desgleichen für einen Unbewanderten zu tun, wenn er den guten Willen dazu hatte, und den hatte der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky.

Wenn dann das helle jungfrische Lachen der beiden über die Gartenmauer in den Hof tönte, wo des Jost Tätigkeit und Regiment gelegen war, so zeigten des Goliath Mienen keinen Widerhall der Fröhlichkeit. Der hatte einen Kampf mit sich zu kämpfen in diesen Tagen. Aber er blieb Sieger, denn er war klug genug zu wissen, daß ihm die Demoiselle Jadwiga von Rosowska ein ganzes Teil ferner gerücket war, als das Elflein und Pflegeschwesterlein Fritze Viktörchen.

So gingen die Tage hin.

War wiederum so ein sonniger Tag im Märzen, da hatten die zwei Gartenarbeiter die langen Blumenrabatten zur Seiten des schnurgeraden Weges, der zur Geißblattlaube führte, von der schützenden Winterhülle befreiet und saßen nun in der Laube, sich vom vollbrachten Werk zu verschnaufen.

Der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky fingerte in seiner Taschen und brachte ein Brieflein ans Tageslicht, das ihm diesen Morgen zugegangen war durch einen reitenden Boten, der des Weges zog.

»Möge die Demoiselle verstatten, daß ich ihr einen Brief lese, so mir meine Mutter geschrieben hat?« Also wandte er sich an seine Gefährtin.

Und die nickte Gewährung, vermochte nit Worte zu finden, da sie just in eine Butterschnitte gebissen hatte, ihre Arbeitskräfte zu heben.

So las denn der Rittmeister:

»Mein geliebter Sohn!

»Es will mich bedünken, als ob die Auffindung und Rehabilitierung der chère petite cousine, wovon Dein Schreiben vermeldete, eine gar ungebührlich lange Zeit in Anspruch nähme, die Deiner Mutter verloren gehet. Ich bin charmieret von der Idee, die verlorene Tochter meiner cousine bien-aimée Jadwiga wieder aufgefunden zu haben et de plus, de pouvoir la voir et l'embrasser! Frage die chère petite, ob sie nicht in unsre Arme eilen wolle, ob ich ihr nicht Mutter sein dürfe? Je l'aimerai comme une telle, dites-le-lui. Et toi, mon fils, dépêche-toi! Mach, daß Du heimkommst zu

Deiner Mutter.»

Der Rittmeister hatte gelesen. Er sah mit fragenden Augen nach dem Elflein, das also mit seiner Brotschnitte beschäftiget schien, daß es nicht zu erkennen war, ob es gehöret und verstanden hatte, was er gelesen.

Er drängte drum: »Und was saget die chère cousine

»Hm!« machte die Kleine und war nicht ersichtlich, ob die vollen Backen sie am Weiterreden verhinderten oder sonsten etwas.

So drängte er weiter: »Wollen die chère cousine gestatten, daß meine Mutter ihre Mutter werde?«

Da stand das Elflein bolzenstrack vor ihm und war ein Sprühen von Kobolden und Neckteufelein in der Kleinen Augen, wie er es annoch darinnen zu bemerken nicht Gelegenheit gehabt hatte. »Will solch ein Ding gar gründlich überleget sein, mon cher cousin, weil daß – – ha, ha! – –. Ist aber der Arbeit noch gar viele zu tun, wollen die Blauveigelein dorten am Hag nun Luft haben, daß sie die Köpflein zur Sonnen zu recken vermögen. Ist nit Zeit für Allotria, mon cher cousin. Allons, ans Werk!«

Und die Kleine lag schon auf den Knieen am Hag, wühlte im gefallenen Winterlaub und half den kleinen Blumenkindern ans Licht der Sonnen.

Was blieb dem Rittmeister Jaroslav von Rosowsky anders übrig, als sich daneben niederzulassen und desgleichen zu tun? Verwunderte sich aber im stillen ob der Frauen Sonderbarlichkeit. War auch eine leise Mißstimmung in ihm, daß der Mutter freundliches Anerbieten also geringgeachtet wurde.

Und als ob das Elflein in seinen Gedanken lesen könne, sagte es jetzo mit einer leisen Stimme, der man ein Wehes anmerkte, und hielt dabei den Blick schämig auf die kleinen Blauveigelein geheftet: »Müsset nit vermeinen, cher cousin, daß ich Dero Frau Mutter Angebot nit hoch wertete. Sollt' es ein arm Waislein, als wie ich eines bin, nit gering anschlagen, wo ihm einer Mutter Liebe wird angetragen. Wollet der Guten vermelden, daß ich ihr danke mit jedem Blutströpflein, das in mir ist. Kann aber annoch nit das Herze fassen, daß ich die verließe, so mir Eltern- und Geschwisterliebe gaben, da ich verstoßen und verlassen war, ein Läublein im Winde.«

Und fort war sie, flog den langen schnurgeraden Weg zwischen den Blumenrabatten hin, als sei sie das Läublein im Winde, von dem sie just geredet hatte. Sah ihr der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky und cher cousin mit einem Gesichte nach, das sich nicht eben durch Klugheit auszeichnete. Schüttelte dann den Kopf und ging mit langen und langsamen Schritten auf den Hof, allwo der Goliath mit dem Anschirren der Gäule beschäftigt war. Da konnte der Rittmeister seine Dienste anbieten, das schlug in sein Fach.

Zeigte der Jost aber eine etwas steife Miene, schien nicht sonderlich erbauet ob der gebotenen Hilfe seines Rittmeisters. Sagte: »Haben denn der Herr Rittmeister nit ein Besseres zu tun. Das Fritze Viktörchen – –?«

»Ist mir die Demoiselle Pflegeschwester ausgekniffen, alter Jost, da ich sie fragete, ob meine Mutter ihre Mutter sein dürfe, wie diese solches angeboten aus warmem Herzen. Versteht Er dies, mein Freund? Vielleicht, daß Er sich bester auskennet bei denen Frauenzimmern.«

Des Jost Miene zeigte zuvörderst ein Staunen, dann ein Trübes, das aber danach den Schalk triumphieren ließ, da er seinem Rittmeister ins Antlitz schaute.

»Bedenken der Herr Rittmeister, was es unter Umständen für eine Jungfrau bedeuten möchte, wenn ein Mann sie befraget, ob seine Mutter ihre Mutter sein dürfe? Vielleicht, daß ein Mißverstehen – – –«

Nun war die Reihe an Jost, mit etwas dummer Miene hinter seinem Rittmeister herzustarren. Der hatte sich bei des Jost Morten nicht eben sanft vor die Stirne geschlagen und stürmete gerade zum Tor hinaus, ins Blaue hinein, ohne sich des weiteren um seinen Kameraden und Lebensretter zu kümmern.

Der sah hinter ihm her, ein Schweres in den Augen. Dann warf er den Blondschopf zurück und reckte sich, als ob er eine Last abwerfen wolle.

»Hü, Fuchs, holla, Braune, werd' euch Beine machen!« Damit sauste die Peitsche mit Knallen durch die Luft, nicht etwan auf den Rücken der also Angefeuerten. Die spitzten die Ohren, zogen an und der Wagen rollte vom Hofe, der Tagespflicht zu, die auch hier Trostwerk vollbrachte. – –

Dem Rittmeister Jaroslav von Rosowsky war aber ein größeres Verständnis für der Frauen Art und Wesen aus den Worten seines Lebensretters und Kameraden aufgegangen, hatte sich auf dem im Sturmschritt vollbrachten Laufe noch vertieft. Es leuchtete ihm aus den Augen, wie er danach heimkehrte.

Da er es aber am Abend bei der chère cousine und Demoiselle Fritze Viktoria Mollwitz anbringen wollte, da – – ja, da stieß er ihrerseits anscheinend auf gar wenig Verstehenwollen, aber aus viel Neckerei und Koboldlachen.

Mußte ihn dieses dennoch nicht abgestoßen haben, denn er fand noch immer nicht das Weiterziehen, und das Brömelhaus ließ ihn nicht.

»Tätst nit vermeinen, Weib, daß unser Gast, der gnädige Herr, sollt' Heimweh haben nach dem eignen Hofe? Wüßt' nit, wie ich sollt' so lange Zeit fern gewesen sein von dem meinen und dann erst nit heim möcht' finden können. Hätt' nimmer gedenket, daß die Freundschaft für den Buben dürfte so groß sein bei dem fürnehmen Herren.« Also sprach der Herr Vater eines Abends im Bette.

»Hätt's desgleichen nit gedenket, Mann,« sagte die Frau Mutter und war ein Spotten in ihrer Stimme, daß es selbsten dem Herrn Vater auffallen mußte, trotz seines am Tage schon nicht leichten Verstehens, das sich um die Schlafenszeit noch merklich verringerte.

»Oder wäre es etwan ein anderes, das ihn hielte, he?« Der Herr Vater gähnte.

»Schätz' wohl, deine Gesellschaft, Mann. Ha, ha, ha!«

»Könnt' mir – Selbiges – nit – einbilden – – weil daß – – –« Da schlief er schon.

Und die Frau Mutter stülpete sich die Haube der Nacht über und war ein Schmunzeln in ihrem guten roten Gesicht, da sie den allbereits schnarchenden Eheherrn betrachtete: »Oh, Mannen! Mannen!« lachte sie dazu vor sich hin. – – – – – –

Es war Kunde gekommen, daß des Königs von Preußen Majestät das schlesische Land noch einmal zu bereisen gedenke, ehedenn er sich in sein treues Preußen und seine getreue Stadt Berlin zurückbegeben werde.

»Herr Vater, Frau Mutter, wir müssen ihn sehen. Ich muß meinen Patenkönig und Helden noch einmal geschauet haben, ehedenn ich – – Er – –«

Da saß das Elflein fest und war ins Stottern gekommen. Half sich aber gar flink aus der Klemme, trumpfte auf: »Sehen muß ich ihn. Kommet ihr nit mit, schaff' ich's alleine und wenn ich sollt' zu Fuß nach Breslau wandern. Wird mir dorten die Frau Kantorin schon Unterschlupf gewähren.«

Also trumpfete die Kleine auf, fand sich aber schnell zu ihrem innersten Wesen zurück, hing dem Herrn Vater am Halse, flehete gar beweglich: »Wollet mitkommen, Herr Vater. Könnt' nit glücklich sein hinfüro, hätt' ich meinen Helden nit noch einmal sehen mögen!«

Wär' dem zu widerstehen gewesen?

Keiner vermochte dies, nicht der Herr Vater, nicht die Frau Mutter, nicht der Jost und Goliath, auch nicht der Rittmeister und cher cousin Jaroslav von Rosowsky.

Denn der war noch immer da. Konnte nicht fortfinden vom Brömelhaus und nicht von – nun eben nicht von denen, die darinnen waren. Mit der chère cousine stand er auf sonderbarem Kriegs- und Neckfuß seit jenem Tage, da er ihr seine Mutter als die ihre angetragen hatte. Die Kleine war voller Spitzen und Dornen und voller Neckteufelein. Wo er ihr nahete, drohte ein Dorn, wollte er sich aber fernhalten, so wurden sie eingezogen und Röselein schienen an deren Stelle sprießen zu wollen. Redete er aber gar vom Ziehen, wo die Dornen zu bedrohlich dräueten, da sahen ihn Braunaugen an, darinnen die Sonnen erloschen schien.

Da aber nun die Fahrt nach Breslau beschlossen war, des Preußenkönigs Majestät zu sehen, wie es das Elflein so beweglich erflehete, daß nicht zu widerstehen war, da kündete der Gast, der cher cousin und Rittmeister Jaroslav von Rosowsky, daß er mitziehe, um danach von Breslau aus die Heimfahrt anzutreten. »... sintemalen die chère cousine sich einstweilen noch nit entschließen zu können scheinet, ihrer Väter Hof und die ihr allda verbliebene Sippe heimzusuchen ...,« was er von Herzen beklage.

Die chère cousine sah ihn darauf mit einem schwer zu enträtselnden Blick an, der was Vorwurfsvolles und was Übermütiges zugleich hatte, drehte sich um die eigene Achse und jauchzte: »Ich werde meinen König und Helden sehen! Hurra!«

*

Vor des Preußenkönigs Majestät Quartier zu Breslau stand in diesen Tagen stets allerhand Volk, das seiner harrete, ihn mit Jubel zu empfangen, wo er sich zeigte. Heute hatte sich allda ein Trüpplein aufgestellet und hatte sich mit Bedacht den Ort erwählet, allwo es des Königs Majestät absonderlich ins Auge fallen mußte, so er den täglichen Ritt unternahm.

Der Herr Vater und die Frau Mutter standen da im Festgewand, würdevoll und ihres Werts bewußt, jeder Zoll, die sie waren, der Herr Verwalter Brömel mit seiner Frau Eheliebsten, nicht zu übersehende Leute daheim am heimatlichen Ort. Und bei ihnen stand das Jungvolk: die blonde, stattliche Frau Malene mit ihrem Kantor und Leisetritt, das Kantorlein in den Armen, ein flachshaarig Büblein, das aus hellen, klugen Augen in die Welt schaute und durch dies erste Lebensjahr das Weltwunder geblieben war, als das es des Lebens Licht erschaute. Dann der blonde Jost, breit und stattlich aufgerecket, also daß sein Stelzfuß gar manchen bedauerlichen, erschreckten Blick ausforderte.

Es standen da noch zweie in des würdevollen Elternpaares beschützendem Schatten; das Elflein, zierlich und schmiegsam, im Festgewändlein gar niedlich anzusehen. Und ihm zur Seiten der cher cousin, der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky, gar vornehm angetan in seiner roten Husarenmontur mit Kalpak und Dolman, mit Schnüren und blitzendem Pallasch. Ohne daß er es merkte, traf ihn manch ein bewundernder Blick seiner kleinen Nachbarin und chère cousine. Alles Volk hatte die Augen auf den Eingang des Schlosses geheftet, von wo er nahen würde, der Helde und König.

Und da erschien Er! Aus einem Schimmel ritt er daher. Ein einfacher grauer hochgeknöpfter Rock umschloß seine Gestalt, unscheinbar, ohne Prunk, wie er es liebte. Der Große wußte, daß er keiner äußeren Abzeichen bedurfte, alle zu überstrahlen, die mit ihm lebten. Auf dem Kopf, den er ein weniges gebeugt hielt, trug er den Dreispitz, der Zopf hing ihm im Rücken, wie aus Stein gemeißelt schienen seine Züge, dafür war alles Leben in den Augen – den leuchtenden, strahlenden Königsaugen, die dem, auf den sie sich richteten, in Herz und Nieren schaueten.

» Vivat Fridericus Rex! Fridericus Rex vivat! Es lebe des Königs Majestät! Hurra, unser Alter Fritze!« So schaltete es ihm allüberall begeistert entgegen und er ritt langsam aus seinem Schimmel dahin und neigte das Haupt freundlich nach allen Seiten.

Sah aber dennoch drein wie einer, dessen Geist hoch über allem weilet, in Fernen, zu deren Flug ihm so leichtiglich keiner folgete. Wob sich des Helden Gloria um seine Stirn, die zugleich den Stempel des Weisesten seiner Zeit trug, wie denn sein Auge eines tiefen Denkers Linnen zeigte, wo nicht der helle Blitz schärfsten Beobachtens und Aufmerkens hindurchfuhr.

So jetzo, da des Königs Majestät unfern von dem Grüpplein anlangete, das wir zuvor erwähnet haben. Keiner, den sein Königsauge je geschauet, mit dem sein Königsmund geredet hatte, entschwand seinem Gedächtnis, sei es der Höchsten, sei es der Geringsten einer.

Wie drum das Strahlenauge unser Grüpplein zu fasten bekam, das sich also verschoben hatte, daß des Elfleins Ungeduld es ganz nach vorn gedränget, wo sich des Rittmeisters und cher cousin Ungeduld dicht an seiner Seiten hielt, also daß dies junge Paar die Blicke zuvörderst auf sich lenken mußte, da – ja da fuhr ein Blitz des Erkennens durch die Königsaugen hin und die Königshand lenkte den Schimmel dicht heran. Und also sprach der Königsmund: » Bon jour, ma petite. Bin charmieret, die Demoiselle wiederzusehen. Voyons, hat ja diemalen einen andren Galan an der Seiten. Parbleu, lass' ich mir gefallen! Wär' ja nun auch wohl an der Zeit, an die Mariage zu denken, he petite? Ha, ha ha! Was sagt Sie dazu?«

Die also Befragte sagte zuvörderst nur: »Guten Tag, Euer Majestät!« Sagte es hell und klingend, jauchzend als wie Posaunenton. Und was der Mund nicht sagte, das kündeten die Augen, in denen Jubel und Begeisterung loheten als wie lodernder Fackelbrand.

Des Königs Majestät schien aber selbiges Feuerwerk nicht zu genügen. » Eh bien?« fragte er und war eine leichte Ungeduld in seinem Ton.

Da überstürzeten sich die Worte aus der Kleinen Mund, also daß sie sich drängeten und überpurzelten, als wie Wasserwellchen in schäumendem Sturz. Es hätte keiner draus klug werden können, der die Dinge nicht miterlebet, auch der Weiseste nicht, und des Königs von Preußen Majestät ebensowenig.

So furchete er die Heldenstirn, Unklarheit war ihm vor allem zuwider. Sein Königsauge fuhr über den Husaren und Galan an des sich verhaspelnden Mägdleins Seiten, und Er winkete diesem gnädig mit leichtem Spottblick nach der Kleinen hin. »Red' Er, Monsieur! Aus dem Frauenzimmerchen mag der Kuckuck klar werden. Aber red' Er, so daß man Ihn verstehen kann, darum möcht' ich gebeten haben, wovon faselt die petite? Elternerbe und Edelhof? Was meinet sie damit?«

Und der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky berichtete klar und knapp und sachlich, also daß ein Dummkopf ihn hätte begreifen müssen, wie viel mehr des Königs von Preußen Majestät.

Ruhig ließ er den Berichterstatter zu Ende kommen und dann fragte er zuvörderst etwas, das nicht zur Sache gehörte, nämlich: »Er ist mir bekannt, Monsieur. Hat Er mir nicht schon einmal etwas zu vermelden gehabt? War Er's nicht, der mir am Abend von Torgau die Kunde brachte, daß mein alter Zieten die Batallje gewonnen habe? Bin Ihm von dorther noch obligieret.«

»Majestät sind zu gnädig. Daß Majestät sich noch erinnern. Majestät – – – –«

Also stotterte der Rittmeister und war in Gefahr, sich zu verhaspeln, wie es das Mägdlein an seiner Seiten zuvor getan hatte.

Aber der König achtete schon nicht weiter auf ihn, hatte sich dem Elflein zugewendet und lachte: » A la bonne heure! Lass' ich mir gefallen. Ist ein Avancement, das sich sehen lassen kann. Wird die petite noch Schloßherrin auf dem elterlichen Hofe. Hätt' sich keiner träumen lassen in selbiger Schneenacht dermalen, da wir das Würmlein fanden.«

Das Elflein lachte unter Tränen: »Sollt' doch meines Heldenkönigs Patentochter etwas vor andern voraushaben dürfen, Majestät.«

» Eh bien, voyons, Sie erinnert mich an etwas. Hab' die dermalen in Lissa versprochenen Subsidiengelder wiederum eingestellet. Ist dem alten Fritz ein Mehreres durch den alten Kopf gegangen in sotanen Zeiten. Wird jeder begreifen, der begreifen will. Werd' die Schuld anjetzo nachholen. Werd' die Summe in einem auszahlen und zwar an den Mann da, den ehrlichen Nährvater. Braucht keinen Kratzfuß zu machen, Mann, habet es redlich verdienet. Werdet das Geld brauchen in dieser Zeit der schweren Kriegsnot, parbleu! Will, daß meine Untertanen wieder die Ohren recken können. Und für die Demoiselle ist ja nun gesorget. Dankbarkeit ist die oberste vertu, kleine Schloßherrin! Sie ist doch einverstanden?«

»Jawohl, Majestät.« So schmetterte das Elflein mit klingender Stimme, leuchteten ihm dazu die Augen, daß ihr Strahl zünden zu wollen schien.

»Und noch eines, petite,« also sprach der König weiter. »Hab' ich Ihr nicht die Erfüllung eines Wunsches zugesagt, damals als Sie für den langen Pflegebruder – –? ah, da ist er ja!«

Des Königs Auge schien jetzt erst den langen Jost und zugleich dessen Stelzfuß zu entdecken. Ein warmer, mitleidiger Schein flog ihm über das Gesicht.

»Er hat seines Königs Sache ein Bein geopfert, wie ich sehe, mein Sohn. Geb' Er mir die Hand. Ich dank' Ihm, Kamerad!« Und die Königshand griff nach des Goliath linkisch und verschämt gebotener Riesenfaust und schüttelte sie herzhaft.

Wie mit Blut übergossen stand danach der Goliath. Aber er reckte sich, als sei er urplötzlich noch um eines Hauptes Länge gewachsen, seine Augen leuchteten und streiften schier mit Zärtlichkeit das hölzerne Bein, das ihm diesen Königsdank eingetragen hatte. Jegliche Bitterkeit gegen sein Geschick war von diesem Tage aus des Jost Herzen geschwunden. Für seines Lebens Dauer blieb ihm der Stelzfuß fortan ein geheiligtes Vermächtnis aus der großen Stunde, da sein Held und König ihm Dank sagete.

Indessen hatte sich der König wiederum dem Elflein zugewendet: »Und nun der Wunsch, petite! Allons vite, Jadwiga von Rosowska!«

Die Nennung dieses annoch fremden Namens aus dem Königsmunde fuhr der Kleinen durch die Glieder und ein Gedanke fuhr ihr durchs Gehirn. »Mög' der Herr König verstatten, daß ich mich weiter Fritze Viktoria nennen darf, als wie mir der Name von meinem königlichen Paten ist zuerteilt worden.«

»Sei Ihr in Gnaden gewähret. Auf das Mollwitz leget Sie wohl kein allzu großes Gewicht, was in Anbetracht der Umstände auch zu verstehen wäre, ha, ha, ha!« Und dieweil er lachte, sah der König so bedeutsam von dem Elflein zu dessen Nachbarn, cher cousin und Rittmeister, hin und von diesem wieder zu der Kleinen zurück, daß beide drob hoch erglüheten und das Kind, die Fritze Viktoria, gern den Kopf hinter der Frau Mutter breitem Rücken geborgen hätte, was aber in Anbetracht von des Königs Gegenwart sich nicht tun ließ.

So tat sie ein anderes und hob ihn um so steiler, je mehr sie ihn gern geborgen hätte. Und dabei fiel ihr Blick von ungefähr auf den, der neben ihr stand. Der hatte seine Verlegenheit ob dem Königswort als Mann und Husar leichtiglich niedergerungen und jetzo war in seinen Augen, die er der chère cousine zuwandte, ein heißes Flehen, das der Kleinen hinwiederum das Blut ins Gesichtlein, aber auch den Schalk in die Augen trieb.

Belustigt hatte des Königs Majestät vom einen zum andern geschaut, bald Höchst seinen Husaren und Rittmeister, bald Höchst sein Patenkind ins Auge gefasset. Er hatte dazu ein Weniges in sich hinein gelachet und seine Augen hatten gar vergnüglich geleuchtet. Nun drängele er aufs neue: » Eh bien, und der Wunsch, Fritze Viktoria, meine Patentochter? Weiter hätten wir nichts zu wünschen? He! kleine Schloßherrin?«

Da regete sich der Schalk so mit Macht in der Kleinen, also daß sie nicht widerstehen konnte und losfuhr: »Den da zum Schloßherrn, Herr König!« Tausend Neckteufelein sprüheten dabei aus der Kleinen Augen, da sie auf den Rittmeister und cher cousin wies.

» A la bonne heure, die petite hat keinen üblen Gusto! Wäre nicht abgeneiget, den Wunsch zu erfüllen für meine Person. Muß aber erst die Gegenpartei befraget sein bei jeglichem Handel. Was hätte Er dabei zu bemerken, Monsieur?

Der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky hatte in seinem jungen Leben mancher forschen Reiterattacke die Stirne zu bieten gehabt und war ihr gewachsen gewesen. Dieser unerwartete übermütige weibliche Angriff drohte, ihn zuvörderst aus der Kontenance zu bringen. Eine Flamme lohte ihm über das Gesicht und er geriet ins Stottern und Stammeln.

Also daß die Königsstirn sich kraus zog und die Königsstimme grollte: »Bin gewöhnet, daß meine Offiziers forsch in jegliche Aktion eingreifen. Was ist's, Monsieur? Red' Er frei heraus. Hätt' Er gegen den Wunsch meiner Patentochter eine Einwendung zu machen, he?«

»Nur zu glücklich, Majestät – – innig ersehnet – – große Überraschung – –.« Also stotterte der Rittmeister.

Aber die Königsstirn blieb kraus. »Sollt' sich ein forscher Husar niemalen überrumpeln lassen, hm – hm! Und so will Er also meinen Rock ausziehen, Monsieur?« klang die Königsstimme schier barsch, aber in den Königsaugen war etwas, das den Husaren und Rittmeister den Kopf hintenüber werfen ließ: » Ce que femme veut, Dieu veut, Majestät.«

»Da hat Er denn ein freies und ein wahres Wort geredet, Monsieur. Zieh Er hin in Frieden, Sein König stecket das Schwert desgleichen in die Scheide. Geh Er, mein Sohn, und mach Er mir meine Patentöchter glücklich, hört Er. Ich bleibe Ihm sein wohl affektionierter König. Bon jour, ma petite, vergesse Sie Ihren König und Paten nicht! Hört Sie, Fritze Viktoria Mollwitz! Ha, ha, ha! Bon jour! Bon jour!«

Mit freundlichem Kopfneigen, ein Lachen in den Strahlenaugen reitet Er dahin auf seinem Schimmel, der Große, der Einzige. Noch einmal wendet er das Haupt, ein letzter leuchtender Blick umfaßt die Truppe der Zurückbleibenden, ein Wink der Hand gilt sichtlich dem Elflein, das glühend und leuchtend und strahlend mit beiden Armen winket und dem die hellen Tränen über das Gesichtlein strömen.

» Vivat Fridericus Rex!« Also schmettert das klingende begeisterte Stimmlein und die es hören, fallen ein. » Vivat Fridericus Rex! Es lebe des Königs Majestät! Hurra, unser alter Fritze!«

Nun war er um die Straßenbiegung verschwunden und das Elflein, Fritze Viktoria, lag an der Frau Mutter Brust und weinete zum Herzbrechen.

Aber wo diese sonst mitleidig zufassete, wenn es einen jungen Schmerz zu stillen galt, da hielt sie jetzo die Arme steif am Leibe nieder und warf den Kopf steil in den Nacken. Grollete: »Hält' ich also die Jungfer unterwiesen, daß sie sich solchergestalt einem Manne an den Hals wirst, statt fein züchtig zu harren, bis daß er redet, he?«

Da hob das Elflein das erglühende Gesicht und sprühete der Schalk hinwiederum aus seinen Augen, »Vermeinet die Frau Mutter nit, daß es allerhand Art geben könne, auf zuvor gestellete Fragen zu antworten?«

»So wäre demnach die Jungfer geziemendlich zuvor gebeten worden?« Mißtrauen grollete annoch in der Frau Mutter Stimme, lauerte in ihren Augen.

»Hab' es verschiedendlich versuchet, Frau Mutter, parole d'honneur! Entschlüpfete mir aber die chère cousine geflissentlich als wie ein Eidechslein. Hab' schon wollen alle Hoffnung schwinden lassen. Vivat Fridericus Rex

Selbigen Ruf donnerte der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky in die blauen Lüfte und entlud also sein bedrängtes, bis zum Rand gefülltes Herze. Da aber der König allbereits um die Ecke verschwunden war, so trug dem Rittmeister sein Postfestumruf allerhand absonderliche Blicke ein, solche, die der Neugier frönten und solche, die ihn voll Mißtrauen ob seines Geistes Zustand umfasseten. Selbigem ein Ende zu machen, da es ihr von je ein Unliebes und Genierliches war, der Menschen Augen auf sich zu lenken, hob die Frau Mutter den Kopf, schob resolut das Elflein von sich und sagte mit der allerheimatlichsten, befehlgewohnten Stimme, der keiner der Ihren je Widerpart zu halten sich getrauete: »Und jetzo marsch heimwärts! Wär' nit gesonnen, mich zum Schaustück zu machen für die Stadt Breslau. Wer's tun will, mag bleiben!« Und damit stapfte die Frau Mutter mit ihren resolutesten Schritten davon, hatte den Kopf im Nacken und die Nase in der Luft.

Keiner der Ihren war gesonnen, von der Frau Mutter gnädiger Erlaubnis zum Bleiben Gebrauch zu machen. Dicht hinter ihr stapfte der Herr Vater mit gewichtigem Tritt, nur daß er die Augen am Boden hielt und ihm das Pfeiflein, an dem er sich sonst Rats und Muts erholte, empfindlich mangelte.

Das kantorliche Ehepaar mit dem Weltwunderlein folgeten, ihrem Namen gemäß, mit leisen Tritten, während daß der blonde Jost hinterher das Haupt gar aufrechttrug und mit festem Schritt den Boden trat.

War ihm auch heute ein jeweilen noch leise glimmender Hoffnungsfunke endgültig erloschen, als wie ein Stern zerstiebet am Himmelszelt, so blieb dennoch der Tag mit güldnen Lettern in seinem Herzen eingezeichnet und sein Glanz würde nimmer verlöschen.

Hinter dem Jost kam das so urplötzlich neu verlobte Paar. Der cher cousin hielt die chère cousine an der Hand gefasset, sprach gar lebhaft auf sie ein und über ihr ihm zugewandtes Gesichtlein huschten schämige Scheu und neckischer Übermut, wechselnd als wie am Aprilentag Sonnenblick und Regenschauer.

Im Kantorhause angekommen, ließ es sich die blonde Malene und Kantorin nicht nehmen, die Würde des Hauses zu wahren mit gebührendlicher Feier des großen Ereignisses.

Sie hielt das Bräutlein im Arme. »Wirst denn nit zu fürnehm werden, mein Kleines, für unsereinen?«

»Wo ihr mir die Liebsten seid in der Welt, schlimme Malene!« Vorwurf war in der Kleinen Stimme.

»Ho, ho! und was wäre dann ich – wir?« protestierte es in dräuendem Husaren-Männerbaß.

»Und wo wäre ich ohne die Guten? Verkommen – erfroren im Schnee. Herr Vater, Frau Mutter, es reichet mein Leben nit aus, zu danken, was ich zu danken habe, wird Er seines dazu nehmen müssen.« Ein Wink nach der Richtung, von wannen der Männerbaß gegrollet hatte, zeigte an, wen sie damit vermeinete.

Und fand keinen Widerspruch. Im Gegenteil, derweilen die Kleine an der Frau Mutter Halse hing, schüttelte der nun zu ihr gehörete für Leben und Tod, schüttelte der Rittmeister Jaroslav von Rosowsky an des Herrn Vaters Hand, daß der sich und sein Pfeiflein kaum zu retten wußte und recht unbehaglich dreinschaute.

Und dann kam ein Abschied. Des Elfleins Verlobter und cher cousin zog der Heimat zu, wie er verheißen, ehedenn sie allesamt die Fahrt nach Breslau angetreten hatten. Am liebsten freilich hätte er das Bräutlein aufgepacket und es mitfortgenommen als sein bestes Eigentum, aber die Frau Mutter widersetzete sich mit großem Nachdruck.

»Hab' das Kind in Herz und Haus genommen, als mein eigen Fleisch und Blut. Würde mir übel anstehen, wollte ich es ziehen lassen als ein Zigeunerdirnlein, so nit Habe brauchet und Gut. Muß alles seine Ordnung haben. Wenn der gnädige Herr Bräutigam will auf den Herbst wiederkehren, findet er die Braut wohl bereitet und werde ich mich alsdann nit widersetzen, daß er sie einführet in die neue Heimat, so es ist das Los der Frau, eines aufzugeben, um ein andres zu gewinnen.«

So war also die Wiederkehr zum Herbste beschlossene Sache, wo alsdann keine Trennung mehr sein sollte und machete diese Aussicht dem verlobten Paare den dräuenden Abschied leichter.

Der war nun da. Oben am Fenster des Kantorhauses neigete sich des Elfleins tränendes Antlitz noch ein letztes Mal dem Manne zu, der soeben sein Tier bestieg, wobei ihm Jost den Steigbügel hielt.

Ein Händedruck dem: »Leb' Er wohl, mein Lebensretter und Kamerade! Behüt' Er mir mein höchstes Gut, bis ich wiederkehre!«

Ein Winken zu dem Fenster oben: »Leb' wohl, mein Lieb!«

Ein Schnalzen der Zunge, ein Anziehen des Zaumes, ein Wiehern des edlen Tieres, ein Tänzeln und Steigen, ein fröhliches Davonstieben.

Auf seinem Rücken trug das Tier seinen Herrn der Heimat zu – fort von dem tränenden Elflein am Fenster dorten.

Ein letztes Grüßen, ein letztes Winken. Die Straße war leer.

Und oben schloß eine feste Hand das Fenster. »Kind, es flieget die Zeit, wirst selbiges auch erfahren, wenn du sie richtig nützen willst. Kopf hoch und Augen klar! Kommt einmal ein Abschied an jeden! Ist der da nit das bitterste Leid.«

*

Im güldensten Herstsonnenschein war er wiedergekommen, der Bräutigam, alswie er es versprochen hatte an jenem Tage im Märzen in der Stadt Breslau, allwo er selbigesmal Abschied nahm und bedrückten Herzens der Heimat zuzog.

Manche Botschaft war währenddessen hin und her geflogen zwischen dem verlobten Paare und das Bräutlein, Fritze Viktoria Mollwitz – sie hatte annoch auf dem Namen bestanden, – hatte die Sippe des Verlobten, zuvörderst dessen Mutter, schätzen und lieben und sich auf die neuen Verwandten freuen gelernt.

Noch güldener und strahlender aber, wenn es ihr möglich war, stand die Sonnen am klarblauen Herbsthimmel, da der Tag heraufgezogen war, der das verlobte Paar einen sollte fürs Leben.

Ihr hatte ein Gesichtlein frühmorgens entgegengeschaut, das mit ihr wetteiferte in Leuchten und Strahlen. Die Sonnen war auch nit untergegangen auf dem Gesichtlein beim Schreiten zur Kirche, auch nit vor dem Altar, da geweihter Segensspruch die Hände der Verlobten ineinanderlegte und sie band, auf daß sie sich nit lassen sollten, bis daß der Tod sie einst lösete.

Jetzo aber, da die Neuvermählten aus dem Gotteshause traten und feierlicher Orgelklang ihnen das Geleite gab, als wolle er sie bedeuten: vergesset nimmer dieser Stunde, bewahret diese Klänge in seinem Herzen, wenngleich sie euren Ohren verstummet sind – jetzo war es, als ob der Sonnen auf der jungen Frauen Antlitz das Erlöschen drohe.

Dort hielt die Chaise mit dem stolzen Gespann, darinnen der Bräutigam die Braut wollte der neuen Heimat zuführen. Laubgewinde zierten die Chaise und Blumensträuße zierten der Rosse Geschirr gar festlich, auch an des Lenkers Peitsche steckten Blumen und bunte Bänder wehten munter von ihr nieder. Das war des Jost Gedanke und Werk, der kleinen Pflegeschwester Auszug aus der Heimat ein gar festliches Gepräge zu geben. Es hatte ihm des Dankens viel von der also Geehrten eingetragen.

Aber jetzo, da ihr Auge von der Tür des Gotteshauses her auf Chaise, Gewinde und Blumen fiel, da verdunkelte ein Schatten ihr Sonnengesichtlein. Scheiden ist ein gar bittrer Trunk. Schlürfen ihn die Jungen beschwerlicher als das Alter, so da gelernet hat, daß Sichfügen die einzige Waffe ist, damit der Mensch sich wehret gegen ein hartes Muß.

Wie drum das Elflein, die junge Frau Baronin Fritze Viktoria von Rosowska, kein Ende finden konnte sich mit Tränen, Küssen und Umarmen zu wehren gegen den bitteren Trunk, so ihr das Geschick anjetzo kredenzete, da griff die Frau Mutter mit fester Hand zu, wiewohl ihr die Augen nit trocken blieben.

Sie schob das Kind ihres Herzens und ihrer Güte, dessen Geschick es ihr entführete – ein gutes Geschick, dem sie vertrauete – sie schob das Kind von ihrem Halse weg, allwo es weinend hing, mit festem Griff in die Chaise hinein, ins neue Leben hinein, an die Seite des Mannes, auf den sie gleichfalls bauete. Aus ihrer beider Einverständnis geschah dies schnelle Abreisen, da: ein bittrer Trunk besser schnell getan würde.

Und die Frau Mutter tat ihn resolut.

»So geh denn mit Gott, Kind, unser Segen gehet mit dir. Sei glücklich und mache glücklich, dies ist einer Frauen fürnehmste Aufgabe. Unser Haus wird dunkel werden, aber Entbehren ist aller Eitern Los, die Kinder großgezogen haben. Geh mit Gott, Kind, du hast uns nur Freude gegeben. Bringe die Freude dahin, wohin du ziehest. Der Herr segne dich!«

Das Kind, die junge Frau, zerfloß in Tränen. Halben Leibs hing sie zum Fenster des Wagens heraus, denn mittlerweile hatten auf einen Wink des jungen Eheherrn die Tiere angezogen, langsam, langsam dreheten sich der Räder Speichen – das Geschick war im Rollen.

»Herr Vater, Frau Mutter, wie soll ich danken? Haltet an, ich kann nit fort von daheim, ich kann nit in die Fremde ziehen! Herr Vater, Frau Mutter, nehmet mich an euer Herze!« Also wehrete sich die Jugend gegen den bitteren Scheidetrunk.

Aber der, der ihn ihr bieten mußte, der jungen Frau, der wußte auch ein Mittel gegen die allzugroße Bitternis. Es griff ein Arm aus dem Fenster und zog die Weinende zurück. Und wie danach das liebe Gesichtlein hinwiederum auftauchte, da – ja da wollte die Sonne schon wieder vorbrechen.

Und das Stimmlein, das eben noch so verzweifelt geflehet, hatte weichen süßen Laut, da es Abschied bot: »Herr Vater, Frau Mutter, ade, ade! Wollet mein gedenken, als wie ich euer nit vergesse bis zum Tode. Und des Dankes nimmer vergesse. Ade, Jost, mein Bruder, ade! Und grüßet mir Malene, die Schwester. Ade! Ade!«

Da fuhr die Chaise hin. Viele sahen ihr nach, viel warme Wünsche flogen hinterher, viel gute Gedanken.

Sie hatte nur Freunde gehabt, die Patentochter des alten Fritz. – – – – – – – – – – – –


 << zurück