Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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18.

Der Medizinmann.

Unter den sechzehn Schiffen – englischen, amerikanischen, deutschen und französischen Dampfern und Seglern – welche im Hafen von Mgwanna ankerten, befanden sich auch die ›Vesta‹ und der ›Amor‹.

Es war Ellen doch nicht gelungen, so oft es auch den Anschein hatte, für dreißig Tage die ›Vesta‹ den Augen der Engländer zu entziehen. Immer wußte der Kapitän der kleinen Brigg das befreundete Schiff wieder aufzufinden, weder Wind, noch Sturm, noch Finsternis hatten vermocht, ihn von der Spur abzubringen.

Mgwanna ist der größte Hafen des Negerreiches Dahomeh, von den Europäern Mungana genannt.

Dahomeh, ein etwa fünfzigtausend englische Quadratmeilen umfassendes Gebiet, (vier englische oder Seemeilen machen eine deutsche aus) liegt im Norden der Sklavenküste von Oberguinea, nicht weit vom Aequator entfernt, mit der Hauptstadt Abome.

Dahomeh ist wenig gebirgig, aber reich an Wäldern und Feldern. Die Eingeborenen verstehen es, den äußerst fruchtbaren Boden zu bebauen und ziehen hauptsächlich Reis, Durra, eine arabische Getreideart, Zuckerrohr, Indigo, Tabak, Melonen und Jams. Jam ist eine der Kartoffel ähnlich schmeckende, weiße Wurzel.

Ferner gedeihen noch wilde Orangen, Melonen und die Kokospalmen in Unzahl. Die ungeheuren Urwälder wimmeln von Tieren aller Art, nicht nur von Affen, Vögeln, Wildschweinen, Rehen und Hirschen, sondern auch von Panthern und anderen Raubtieren, und in dem östlichen Gebiete kommt der Löwe noch häufig vor.

Wo der Wald durch Steppe unterbrochen wird, findet man zahlreiche Gazellen, Antilopen, Gnus, Zebras und Giraffen, und von der Jagd auf das Rhinozeros, Flußpferd und den Elefanten leben viele Eingeborene. Die Ausfuhr von Elfenbein bildet sogar einen wichtigen Teil des Handels.

Die Dahomehneger haben sich der Religion der Araber, dem Islam und noch mehr dem Christentum gegenüber immer feindlich gezeigt und sind noch dasselbe, was sie vor Jahren waren, Fetischdiener, das heißt, Götzenanbeter. Der mächtigste ihrer zahlreichen Götter ist Priope, welchem Menschenopfer dargebracht werden.

Im Jahre 1858 schaffte König Gheso, ein Herrscher, welcher sein Volk gern der Zivilisation zuführen wollte, was ihm aber nicht gelang, die Menschenopfer ab. Schon bei seinem Tode jedoch ließ sein Sohn Bahadung zur Erhöhung der Begräbnisfeierlichkeiten des Vaters nicht weniger als 8000 Kriegsgefangene hinschlachten, die Engländer machten gewaltige Anstrengungen, dies zu verhindern, aber sie konnten es nicht, und werden die Menschenopfer seitdem auch nicht mehr so öffentlich betrieben, so kommen sie doch noch häufig genug vor.

Die Dahomehneger sind ein großer, kräftiger, kühner und überaus kriegerischer Menschenschlag. Zwar treiben sie Feldbau und fertigen Metallarbeiten, aber mit Freuden vernehmen sie den Kriegsruf im Land. Sie lassen den Hammer und den Pflug liegen und marschieren, mit Bogen, Pfeilen, Lanzen, Wurfspießen, Schwertern und dem fast zwei Meter hohen, mit Büffelhaut überspannten Schild ausgerüstet, unter Führung der Ortshäuptlinge dem Feinde entgegen. Im Kampfe sind sie bemüht, möglichst viele Gefangene zu machen, welche verkauft werden. Dahomeh war früher das Land, welches die meisten Sklaven lieferte, seitdem aber im Jahre 1843 der Sklavenhandel abgeschafft wurde, werden diese nicht mehr öffentlich von den Häfen aus verschickt. Doch finden sich in den Arabern noch immer willige Abnehmer für die lebendige Ware, für das schwarze Ebenholz, denn es gibt eben Länder, deren Bewohner nicht ohne Sklaven leben können, so zum Beispiel der ganze Orient und viele Teile Afrikas und Asiens.

Die Weiber nehmen in Dahomeh eine sehr untergeordnete Stelle ein, sie werden wie die Lasttiere behandelt, wie aber überall Gegensätze gern bestehen, so auch hier. Der König von Dahomeh hält sich stets eine Leibgarde von 5000 Frauen und Mädchen, welche einzig und allein zum Schutze ihres Gebieters da sind und einen Rang einnehmen, wie etwa die Ritter in unseren früheren Zeiten, sie sind immer unter Waffen, ihre einzige Beschäftigung im Frieden ist das Waffenspiel, im Kriege der Kampf, und ihre Kinder, deren Väter die edelsten Dahomehneger sind, werden von der Jugend auf einzig und allein für die Waffen erzogen, das heißt, nur wenn sie nach einer genauen Musterung dafür tauglich befunden werden.

Haben sie aber nur den kleinsten Fehler an sich, oder scheinen sie schwächlichen Körperbaues zu sein, so werden sie aus der Truppe dieser Amazonen entfernt und treten zu der anderen, verachteten Weiberklasse über.

Die kriegerische Erziehung der Kinder dieser Weiber ähnelt fast jener, wie sie im alten Sparta eingeführt war, wo bekanntlich alle Kinder, wenn sie nicht schön und stark gebaut waren, in eine Schlucht geschleudert wurden und wo die gesunden und starken ausschließlich zu Kampf und Waffenspiel erzogen wurden.

Im Jahre 1864 wurde diese Amazonentruppe einmal völlig vernichtet.

Bahadung hatte Abbeokuta, den König des östlich Dahomeh gelegenen Reiches Jorubi, mit Krieg überzogen, aber es war ein unglücklicher Krieg gewesen. Die Angreifer wurden in der Entscheidungsschlacht geschlagen, und als schließlich Bahadung selbst in Gefahr kam, gefangen zu werden, ließ er seine Amazonen schwören, zu siegen oder zu sterben, und die Weiber hielten den Schwur.

Unter ihrer Führerin Yamyhla stürzten sie sich in die dichtesten Reihen der Feinde und hielten nicht eher ein, als bis die letzte von ihnen unter dem Schwerte der Feinde gefallen war. Der König von Dahomeh hatte zwar dadurch seine Leibgarde verloren, wenigstens bis die Kinder herangewachsen waren, um die Waffen der Mütter schwingen zu können, aber der König selbst war befreit worden.

Die Würde der Anführerin ist unter diesen Amazonen erblich, das erstgeborene Mädchen folgt stets der Mutter, wenn nicht ein Fehler überhaupt ihren Tod nötig macht, und nicht lange sollte es dauern, so erfuhren die Vestalinnen endlich von der sonst zurückhaltenden Yamyhla, warum sie, anstatt die wieder vollzählig gewordene Amazonentruppe zu beherrschen, sich auf dem Sklavenmarkte befunden hatte.

Daß der ›Amor‹ und die ›Vesta‹ in Mgwanna zusammentrafen, war natürlich kein Zufall. Hannibal befand sich mit Yamyhla im geheimen Einverständnis, jede Stunde, die es ermöglichte, fand sie beide in eifrigem Gespräche, denn bei dem Racheakt oder zur Ausübung des Gerichtes, welches Yamyhla vorhatte, sollte Hannibal eine wichtige Rolle spielen.

Hannibal war ein Aschantineger aus dem im Westen an Dahomeh angrenzenden Gebiet.

Die Vestalinnen wunderten sich nicht, daß der ›Amor‹ schon vor ihnen in Mgwauna angekommen war. Yamyhla hatte die Damen gebeten, diesen Hafen ihres Heimatlandes anzulaufen, und es war zu erwarten, daß sie auch Hannibal davon benachrichtigte. Dieser hatte es natürlich den englischen Herren erzählt, und der ›Amor‹ war von Lord Harrlington so gesteuert worden, daß er noch eher, als die ›Vesta‹ Mgwanna erreichte, ohne aber dabei das Vollschiff zu verlieren. –

Es war Abend.

Die englischen, amerikanischen, deutschen und französischen Kontors – die Reihenfolge zeigt, in welchen Händen der Handel in Dahomeh liegt – waren geschlossen. Die Angestellten, welche den ganzen Tag mit Arabern und Negerhäuptlingen um Elfenbein, Kokosöl, Tierhäute und so weiter gefeilscht hatten, wobei sie hundert- und aberhundertmal mit der Klugheit des Verstandes dem dummdreisten Betrug der Händler zu begegnen gewußt, eilten in ihre am gesunden Hafen liegenden, aus Steinen ausgeführten Wohnungen, während die Eingeborenen sich mit langsamen, phlegmatischen Schritten, aber mit destomehr bewegter Zunge, das heißt schwatzend, ihre Lagerstätten im Viertel der Neger aufsuchten.

Hier waren die Hütten aus Lehm aufgeführt.

Wer etwas zu verkaufen hatte, der saß vor der Türe und pries dem Vorübergehenden unter Beteuerungen seiner Ehrlichkeit die Waren an, welche draußen ausgebreitet lagen, Eßwaren, Tuch oder einheimische Tauschartikel, und wer von der Hände Arbeit lebte, der hockte zwar ebenfalls vor der Tür seiner Hütte, begnügte sich aber, mit Gelassenheit eine Pfeife zu rauchen und höchstens einmal mit einem seiner Nachbarn ein Wort zu wechseln, ob nach der langen, trockenen Zeit nicht bald wieder ein Regen das Land erfrischen würde.

Natürlich, wie sollte es anders sein! Nur die fremden Eindringlinge waren daran schuld, daß so lange kein Regen mehr gefallen war, denn den Göttern wurde ja nicht mehr geopfert.

Ja, wenn Bahadung die Zügel der Regierung geführt hätte, dann wäre solch eine trockene Zeit nicht eingetreten. Er sorgte dafür, daß immer genügend Menschen geopfert wurden. Dieser König hätte sich nichts daraus gemacht, ob die weißen Fremdlinge die Menschenopfer verboten oder nicht.

Die letzte Hütte des Dorfes, von den übrigen Häusern noch etwas entfernt, zeichnete sich durch ihre Größe und bessere Beschaffenheit von den anderen vorteilhaft aus, sie glich fast der des Manyara, des Ortshäuptlings, aber der in ihr Wohnende konnte sich auch mit dem Häuptlinge an Macht messen, das heißt nur, wenn ihm Mulungu, der Gott, unter welchem alle anderen Götter stehen, gnädig gesinnt war.

Es war die Hütte des Myanga, des Medizinmannes und Zauberers des Dorfes, ohne dem ein Negerdorf überhaupt nicht existieren kann.

Zu ihm kommt man, wenn unter dem Vieh Seuchen ausbrechen, wenn man von Krankheit geplagt wird, der Neger bittet ihn, daß sein Weib keine Fehlgeburt mache, und er ist sogar dafür verantwortlich, wenn das Getreide nicht gerät, wenn es zu viel regnet, so daß die Felder in Sümpfe verwandelt werden, oder wenn es gar nicht mehr regnet.

Gelingt es ihm, durch Zauberformeln, Beschwörungen und Darbringungen von Opfern das Ohr der Götter sich geneigt zu machen, das heißt, treten die eben aufgezählten Mißstände und andere nicht mehr auf, so steht er bei dem Volke in hoher Gunst, selbst der Häuptling bezeugt ihm seine Ehrfurcht. Sollte es ihm aber nie gelingen, die Seuchen zu vertreiben, Krankheiten zu mildern und den Regen vom Himmel herabzurufen, so könnte es auch passieren, daß er schließlich mit Schimpf und Schande aus dem Dorfe gejagt würde, ja, daß er zur Strafe seiner Ohnmacht sein Leben lassen müßte.

Doch Nghwhalah Ngaraiso – diesen schönen Namen führte der Medizinmann von Mgwana – brauchte eine solche Absetzung nicht zu fürchten. Er war nur dem Namen nach der Zauberer dieses Dorfes, eigentlich war er der von ganz Dahomeh, stand er doch bei dem Könige Mizanga im höchsten Ansehen und beherrschte alle anderen Medizinmänner.

Das kam daher, weil ihm nie eine Zauberkur mißglückte, geschah dies aber doch einmal, so war Ngaraiso unschuldig, ein anderer Zauberer war schuld daran, denn Ngaraiso war schlau, so schlau, wie alle seine Landsleute zusammengenommen. Das Schönste aber war, daß er an seinen Hokuspokus selbst nicht glaubte, sondern, wenn er seine Zauberformeln hermurmelte, innerlich über die Dummheit seiner Genossen lachte, welche meinten, er könne durch Begraben eines Vogels eine Krankheit bannen, durch Fällen eines morschen Baumstammes den bösen Geist aus einer Kuh treiben, und wenn er sich, um den Himmel zum Regen zu nötigen, mit dem Messer in Arme und Beine stechen mußte, so ließ er aus einem kleinen Lederbeutel bereitgehaltenes Blut über die anscheinend gestochenen Stellen fließen, aber er ritzte sich in Wirklichkeit dabei nicht einmal die Haut.

Dennoch wußte Nghwhalah Ngaraiso mehr, als alle anderen Medizinmänner, er schien wirklich im Besitze übernatürlicher Kräfte zu sein, und das kam daher, daß er in früheren Jahren einmal längere Reisen mit einem Afrikaforscher gemacht hatte, welcher an dem aufgeweckten Neger Gefallen fand und ihn über Naturkräfte und die Verwendung derselben aufklärte. Von diesem hatte er auch verschiedene Kunstkniffe gelernt, mit welchen er seine abergläubischen Brüder in Staunen setzte, und welche ihm erlaubten, daß er sich seine Taschen mit Silber, Gold und wertvollen Steinen füllen konnte.

Der Medizinmann von Mgwana war eben das, was man einen aufgeklärten Kopf nennt, wenigstens seinen Landsleuten gegenüber.

Seine Hütte war in zwei Gemächer geteilt – schon dadurch verriet er seinen besser entwickelten Geschmack.

Der erste Raum, in den man trat, sah sonderbar genug aus, so recht, wie die Hütte eines Zauberers aussehen soll, mit irdenen Töpfen und Urnen vollgepfropft, in denen sich die Asche verbrannter Tiere, vielleicht sogar von Menschen, befand, grinsende Totenschädel lagen herum, weiße Stäbchen waren in rätselhafte Arabesken geschlungen, und das Ganze wurde von einer Nachteule und einem uralten, flügellahmen Geier bewacht, welche beide auf je einer Urne hockten und den Eintretenden aus den halbgeöffneten Augen anblinzelten.

Zu diesem Raume hatten diejenigen Eintritt, welche den mächtigen Zauberer um Rat fragen wollten, selbst die mit vollen Händen kommenden Häuptlinge wurden nur hier empfangen und wenn sie auch noch so viel Reis, Durra, Gold, Perlen und Zeug als Geschenk mitbrachten, damit der böse Geist sie nicht mehr mit Rheumatismus plage, oder damit eine ihrer Frauen glücklich gebäre.

Wie es in dem zweiten Raume aussah, das konnte niemand sagen, denn niemand erhielt Zutritt zu ihm, aber so viel war sicher, daß in diesem die eigentliche Zauberkraft von Ngaraiso lag, denn der schon bejahrte, weißköpfige und freundlich, aber schlau blickende Mann hielt sich fast immer darin auf, natürlich, um mit den Göttern Zwiegespräche zu halten.

Die Nacht war angebrochen, Dunkelheit hatte sich auf die Gassen des Negerdorfes herabgesenkt, und die schwatzenden und rauchenden Bewohner hatten sich in die Hütten zurückgezogen, um die Nacht auf ihren weichen, mit Bast überzogenen Kitundas, das heißt Bettstellen, zu verschlafen.

Vor der Hütte des Medizinmannes hielten zwei Gestalten, die eine klein, die andere groß und schlank, und klopften Einlaß bittend an die Tür.

Es mußten zwei reiche Eingeborene sein, welche den Zauberer um Rat fragen wollten, denn sie waren über und über, selbst die Köpfe, in Marikani, das heißt in amerikanischen Wollstoff gehüllt, und von diesem kostete doch der Meter fast einen Dollar.

Der Geier drinnen krächzte heiser auf, die Eule ließ ein knarrendes Schnarchen hören – besser als diese beiden Vögel konnte kein Wachhund anschlagen.

Die Tür öffnete sich auch sofort, und der weißwollige Kopf des alten Zauberers wurde in der Spalte sichtbar.

»Was wollt ihr noch so spät in der Nacht?« fragte er in unfreundlichem Tone. »Ihr stört mich jetzt im Gebet, kommt morgen wieder.«

»Wir haben einen weiten, weiten Weg zurückgelegt, um dich aufzusuchen,« sagte der kleinere der Fremden in den schnalzenden Lauten der Dahomehneger, »gewähre uns eine Stunde, um mit dir zu sprechen.«

»Woher kommt ihr denn? Seit Tagen ist keine Karawane hier eingetroffen.«

»Wir kamen mit keiner Karawane.«

»Wie denn? Habt ihr eine Uganga (Medizin), daß ihr durch die Luft fliegen könnt?« klang es spöttisch zurück.

»Wir kamen mit dem Schiff.«

»Mit einem Schiff? Seit wann fahren denn die Dahomehs auf Schiffen? Doch sprecht und haltet mich nicht auf! Woher kommt ihr?«

»Von da, wo die Sonne aufgeht,« sagte der Kleine, »wir wollen dich, Nghwhala Ngaraiso, fragen, ob du dich noch des Kababo erinnern kannst.«

Die letzten Worte, und ganz besonders der Name, waren in flüsterndem Tone gesprochen, und wunderbar war die Wirkung, welche sie hervorriefen.

Erschrocken war der alte Zauberer zusammengefahren, im nächsten Augenblick aber öffnete er die Tür etwas weiter und flüsterte, noch einen mißtrauischen Blick auf den großen Begleiter werfend:

»Kommt schnell herein, ich bin begierig, von euch Kunde zu vernehmen.«

Die beiden traten in das zuerst erwähnte Gemach, welches von einem Talglicht notdürftig erhellt wurde.

Ngaraiso suchte vergebens die Züge der Besucher und besonders die des Sprechers zu erkennen. Auch die Gesichter der Fremden waren vollständig in dem Tuche verborgen.

»Setzt euch,« sagte Ngaraiso und deutete auf zwei Schemel. »Wer bist du, Fremder, und wer ist dein Begleiter? Habt ihr den Kababu gesehen? Kennt ihr sein Schicksal? Lebt der Unglückliche noch? Ach, daß sich ein Mensch so weit vergehen konnte! Doch sagt, habt ihr den Kababo gesehen? Sprecht ohne Scheu!«

Die beiden vermummten Gestalten waren ruhig stehen geblieben, ohne der Aufforderung, sich zu setzen, Folge geleistet zu haben.

»Nicht hier,« sagte kopfschüttelnd der Kleinere, »führe uns in jenen Raum, dort wollen wir dir sagen, was uns hergeführt hat, und was wir von Kababo über dich erfahren haben.« »Ueber mich?« wiederholte der Schwarze ganz bestürzt. »So kommt denn!«

Damit öffnete er schnell die Tür und ließ die beiden in das Gemach eintreten, in welches sonst kein anderer Zutritt erhielt.

Aber alle würden sehr enttäuscht gewesen sein, die hier etwas Geheimnisvolles anzutreffen erwartet hätten. Es zeigte sich wieder, daß Ngaraifo ein Fuchs war, der die Gerüchte über diese geheimnisvolle Kammer nur aufrecht erhielt, um in seiner Bequemlichkeit nicht gestört zu werden.

Die Kammer machte den Eindruck eines recht gemütlich eingerichteten Wohnzimmers, sie war mit Teppichen, ja selbst mit Möbeln, ganz nach europäischem Geschmack ausgestattet, und nichts fehlte, was man zur Bequemlichkeit vermißt hätte.

Ngaraiso hatte eben viel mit Europäern verkehrt und herausgefunden, daß die Fremdlinge in ihrer Weise bequem lebten, und da es ihm an Geld nie mangelte, so hatte er sich nach und nach auch die Vorteile der Zivilisation angeeignet.

Nur einige herumstehende Kisten verrieten, daß der Zauberer auch noch andere Gegenstände hier aufbewahrte, so zum Beispiel enthielt ein Schränkchen eine ganze Apotheke, wie sie Afrikareisende bei sich führen.

Jetzt nahmen die beiden Fremden in Lehnstühlen Platz, ohne aber ihre Gesichter zu zeigen.

»Nun sprecht, was habt ihr mir über Kababo zu berichten?« begann wieder der Medizinmann, welcher seine sonst so imposante Ruhe, die er anderen gegenüber zeigte, ganz verloren hatte. Er schien sehr aufgeregt, sogar furchtsam zu sein. Vergebens strengte er sich an, beim Schein der Oellampe die Züge der Fremden zu erkennen.

»Wir haben allerdings Kababo getroffen,« begann der Kleine wieder nach einer kurzen Pause, »es geht ihm gut, und er hat uns versichert, daß er dir nicht zürnt, weil er für dich die Strafe erlitten, welche ihn aus der Heimat vertrieb. Er war dein Freund, ihr habt beide zusammen Blut getrunken, und so bereut er auch nicht, dir den Freundschaftsdienst geleistet zu haben, allerdings einen Dienst, den du mit Undank vergolten hast.«

Der Zauberer war, je weiter der Unbekannte sprach, immer mehr zusammengebrochen.

»Ich sehe,« sagte er endlich in ganz zerknirschtem Tone, »daß dir Kababo alles erzählt hat. Aber wer bist du, daß er dich zum Mitwisser eines Geheimnisses gemacht hat, das mir doch alles, ja, das Leben kosten kann? So sprich doch, spanne mich nicht länger auf die Folter! Wer bist du?«

Langsam enthüllte der Unbekannte seinen Kopf – das Gesicht Hannibals zeigte sich.

Mit einem lauten Aufschrei war der Zauberer in die Kniee gesunken, die Arme weit vorgestreckt, so starrte er den alten Mann wie ein aus der Erde gestiegenes Gespenst mit hervorquellenden Augen an.

»Kababo, du selbst?« stöhnte er.

»Ich bin es,« sagte Lord Harrlingtons Diener ruhig, »doch sei unbesorgt, ich komme nicht, um Vergeltung zu üben! Was du auch getan haben magst, wie schlecht du auch meine Freundschaft vergolten hast, es soll dir alles verziehen sein. Stehe auf, setze dich und gib Antwort auf die Fragen, welche ich an dich richten werde!«

Der Medizinmann richtete sich langsam auf, er schien in dieser kurzen Minute plötzlich um Jahre gealtert zu sein. Sein eben noch so volles, wohlgenährtes Gesicht war eingefallen, und die glänzenden Augen waren erloschen.

Bevor er sich aber setzte, deutete er noch auf Hannibals Begleiter, welcher noch immer dicht verhüllt und bewegungslos dasaß, und sagte:

»Wer aber ist das? Wohl will ich dir Antwort auf alle Fragen geben. Dürfen die Ohren dieses Mannes aber auch das erfahren, was mich unglücklich machen würde?«

»Sie dürfen es,« antwortete Hannibal oder, wie er, früher hieß, Kababo, »sie müssen es sogar hören.«

»Wer ist es?«

»Ein mächtiger Mann, unter dessen Schutz ich stehe. Fürchte nichts, so sicher, wie ich mich in seiner Gegenwart fühle, kannst auch du sein! Sonst würde ich wohl nicht wagen, wieder hierherzukommen.«

Der Medizinmann war beruhigt, er forschte nicht weiter über die Person des Unbekannten.

»Noch eins,« sagte er dann. »Warum stellst du Fragen, welche du doch selbst beantworten kannst?«

»Weil ich die Wahrheit aus deinem Munde bestätigt hören will,« antwortete Hannibal. »Dieser da,« er wies auf den Unbekannten an seiner Seite, »hat mir nicht geglaubt, er zweifelt an meiner Unschuld, wird sie aber glauben, wenn du gestehst.«

»So frage!« sagte Ngaraiso ganz zerknirscht.

»Bin ich es gewesen, welcher den Kriegern Dahomehs, ehe sie in den Entscheidungskampf gegen Abbeukuta zogen, den höllischen Branntwein zu trinken gab, welcher ihre Sinne umnachtete, so daß die sonst so starken Arme die Streitkeule nicht mehr zu heben vermochten, und daß ihre sonst unfehlbaren Pfeile das Ziel nicht erreichten?«

»Nein, du warst es nicht.«

»Wer war es sonst?«

»Es geschah auf Geheiß des feindlichen Anführers.«

»Und wer brachte ihnen heimlich bei Nacht das vermaledeite Getränk?«

»Bestochene Händler von Joriba.«

»Du versuchst die Wahrheit zu umgehen,« sagte Hannibal ernst, »das aber kann mir nichts nützen. Sprich dich offen aus, und sei versichert, daß dir nichts geschieht. Niemand, weder ich, noch dieser mein Begleiter werden dich verraten. Wer war es also, der alles anordnete, um die Krieger zu betäuben?« Der Medizinmann stöhnte tief auf.

»Ich selbst,« flüsterte er dann endlich, das Gesicht in die Hände vergrabend.

Fast schien es, als wäre der Begleiter Hannibals geneigt, sich auf den Mann zu stürzen. Seine rechte Hand fuhr unter das weite Gewand, als suche sie einen Dolch, er duckte sich wie ein Raubtier zusammen, aber er blieb, sich beherrschend, sitzen.

»Warum tatest du das?« forschte Hannibal weiter.

»Ich war vom Gold verblendet.«

»Und warum bezeichnetest du mich als denjenigen, welcher es getan hätte?«

»Weil du Yamyhla liebtest und von ihr wieder geliebt wurdest und ich dich, seitdem dies mir zum Bewußtsein kam, darum haßte.«

»So liebtest du Yamyhla?«

Der Medizinmann nickte.

»Und wurdest du wieder geliebt?«

»Nein,« sagte Ngaraiso dumpf, »wie konnte ich, da sie dich liebte? Es ist nicht wahr, was ich vorhin sagte, daß mich das Gold verblendet hätte. Ich war unglücklich, verzweifelt, eine mir sonst nie bekannte Wut hatte mein Herz erfaßt, als ich erfuhr, daß du von Yamyhla mir vorgezogen wurdest, und dieser Haß war so groß, daß er meine Freundschaft zu dir – einst eine wirkliche, heilige Freundschaft – ganz verdrängte. Aber nicht nur dich haßte ich, auch Yamyhla begann ich zu hassen, und schließlich alles, was mich an den Namen Dahomeh erinnerte. Alles mußte sterben, dieser Gedanke beherrschte mich vollkommen; in meiner Wut war ich blind, und so war ich es, welcher den Kriegern vor dem Kampfe den Branntwein verschaffte und ihn noch mit Aeter vermischte, welcher ihre Augen umnachtete. Ach,« fuhr der Medizinmann seufzend fort, sein Gesicht drückte wirklich unsagbare Verzweiflung aus, »wie habe ich es bereut! Aber was nutzte die Reue? Zu spät, zu spät, ich kann es nicht wieder gutmachen!« »Vielleicht doch,« sagte Hannibal freundlich. »Aber sag', Ngaraifo, hatten wir nicht Blut getrunken? Galt dir dieses Zeichen der Freundschaft nichts, ist eine solche Freundschaft nicht weit mächtiger, als die Liebe zu einem Weibe?«

Unter den meisten Stämmen Afrikas herrscht die Sitte, daß zwei Männer, welche sich Freundschaft auf Leben und Tod schwören, sich eine Ader am Oberarm öffnen und gegenseitig das Blut aufsaugen. Wer des anderen Blut getrunken, ist verpflichtet, sich für denselben aufzuopfern, und wirklich hört man oft von solchen Beispielen. Das Bluttrinken ist eine heilige und schöne Sitte.

Der Medizinmann schüttelte traurig den Kopf.

»Ich glaubte schon damals, als ich mit dir Blut trank, nicht an eine Heiligkeit dieser Handlung,« sagte er dumpf, »ich hielt sie für eine abergläubische, törichte Zeremonie, welche man ausrotten sollte, aber ich mußte mir den Anschein geben, als achte auch ich sie. Sie legte mir keine Verpflichtungen auf, der Freund war ein Freund von mir, auch ohne daß ich Blut mit ihm getrunken hatte, und haßte ich ihn, so war dies kein Grund, mich von meiner Rache abzuhalten. Fluch mir,« stöhnte der alte Mann auf und schlug die Hand vors Gesicht, »daß ich so viel mit den weißen Fremdlingen verkehrte und auf ihre Lehren hörte! Ich habe zwar viel von ihnen gelernt, aber ich habe auch das Gift eingesogen. Ich glaubte schon damals, als wir uns kennen lernten, weder an unsere Götter, noch überhaupt an einen Gott; ich lachte über sie, wie der Fremdling, dem ich diente, das Gold ward mein Gott, und meine Gefühle gaben mir die Richtung an, welche ich zu gehen hatte. Jetzt denke ich anders, ich sehe ein, wie sehr ich mich geirrt habe und wie sehr ich frevelte. Aber was nutzt das jetzt. Das Geschehene kann nicht geändert werden.«

»Ich wiederhole dir, du kannst dein Unrecht in etwas wieder gutmachen,« versicherte Hannibal zum zweiten Male. »Nun aber, Ngaraiso, erzähle mir, was unterdes in Dahomeh vorgefallen ist. Ich bin lange Zeit von hier abwesend gewesen. Wer ist jetzt die Anführerin der Leibgarde des Königs?«

»Simbawenni.«

»Wie kommt es, daß die Anführerin nicht mehr den Namen Yamyhla trägt?« fragte Hannibal erstaunt. »Diese Würde ist doch erblich.«

»Die Tochter der Yamyhla, welche du liebtest, gebar ein Zwillingspaar, einen Knaben und ein Mädchen, und wie du weißt, kann hierdurch ein Wechsel in der Herrnschaft eintreten, um es zu ermöglichen, daß, wenn eine Würdigere unter den Weibern existiert, diese Anführerin wird.«

»Ich weiß es,« entgegnete Hannibal, »der Sohn kann sich unter den Amazonen ein Weib wählen, dieses muß, wenn die Anführerin in ihrem zwanzigsten Jahre die Herrschaft über die Weiber antreten soll, sich mit ihr im Kampfe, den der König selbst bestimmt, messen, und die Siegerin wird Anführerin, während die Besiegte sich unwiderruflich aus Dayomeh entfernen muß. Ist dies der Fall gewesen?«

»Allerdings,« bestätigte Ngaraiso, »Simbawenni ist Anführerin geworden.«

»Wie alt war Yamyhla, als sie von Simbawenni besiegt wurde?«

»Noch keine zwanzig Jahre, aber die Mutter der Yamyhla war gestorben, im Kampfe gefallen, und so mußte schon vorher der Streit um die Herrschaft geschlichtet werden.«

»So, so,« brummte Hannibal, »wann war das?«

»Etwa vor zwei Jahren.«

»Was mußten die beiden Mädchen tun?«

»Es galt, den Kopf eines Häuptlings zu holen, mit dem Matamonnbo, der jetzige König von Dayomey, in Krieg lebte. Dieser Häuptling war als ein ausgezeichneter, kriegsgewandter Mann sehr gefürchtet. Simbawenni war es, welche seinen Kopf brachte.«

»So, so,« ließ sich wieder Hannibal vernehmen, »und Yamyhla? Sollte die Enkelin jenes tapferen Geschlechtes diese Aufgabe nicht erfüllt haben? Das wundert mich sehr, daß sie so aus der Art geschlagen sein soll.«

Der Medizinmann wurde wieder unruhig.

»Ich habe dir noch etwas verschwiegen, aber ich kann es dir ja erzählen,« sagte er etwas zögernd, dann aber fuhr er offener fort: »Allerdings brachte Yamyhla auch einen Kopf mit und behauptete, es wäre der des Häuptlings, sie habe ihn im Einzelkampf getötet, als sie aber das Tuch auseinanderfaltete, da lag ein anderer darin, der Kopf eines fremden Mannes, Simbawenni dagegen hatte den richtigen.«

»Wie verhielt sich Yamyhla dabei?«

»Sie schrak zusammen und behauptete dann, sie hätte den Häuptling getötet und ihm den Kopf abgeschlagen, aber Simbawenni schalt sie eine Lügnerin und sagte dasselbe. Sie hatte ja auch den richtigen Kopf mitgebracht, der Häuptling konnte nichts mehr aussagen, bei dem Kampfe im Walde waren keine Zeugen zugegen gewesen, und so lautete der Rechtsspruch des Königs, daß Simbawenni Anführerin der Amazonen würde, vorläufig nur stellvertretende, bis die Zeit gekommen wäre, da Yamyhla zwanzig Jahre alt würde. Diese aber mußte sich in die freiwillige Sklaverei begeben.«

»In die Sklaverei?« fragte Hannibal

»Ja, so war es ausgemacht worden,« entgegnete Ngaraiso, »die Besiegte sollte sich freiwillig von der Siegerin als Sklavin verkaufen lassen, damit sich ihre Wege niemals wieder kreuzten.«

»Was sagte Yamyhla dazu?«

»Sie war außer sich, sie behauptete immer, der Kopf sei ihr gestohlen worden, sie habe den Häuptling besiegt und ihm den Kopf abgeschlagen, aber das half ihr nichts, sie mußte sich dem Rechtsspruch des Königs fügen. Das Recht war auf der Seite Simbawennis.«

»Und was sagst du dazu?«

Ngaraiso zuckte die Achseln.

»Was soll ich dazu sagen?« meinte er gleichgültig. »Was geht das mich an?«

»Wessen Tochter ist Simbawenni?«

»Die Tochter Mtambus.«

»Was für einen Zunamen führt dieser Mtambu?« forschte Hannibal beharrlich weiter.

Der Medizinmann zögerte mit der Antwort, er wurde sichtlich verlegen.

Hannibal mußte die Frage wiederholen.

»Sein Zuname ist Nghwhalay,« brachte endlich Ngaraiso hervor.

»Wie,« rief Hannibal erstaunt, »so ist Simbawenni aus deinem Geschlecht?«

»Ja,« gestand jetzt der Medizinmann, »sie ist meine Enkelin.«

Eine große Pause entstand. Niemand sprach ein Wort. Hannibal blickte gedankenvoll vor sich hin. Der Medizinmann wußte nicht, wohin er seine Augen richten sollte; unruhig rollten sie hin und her, bald das ernste Gesicht Hannibals streifend, bald scheu die verhüllte Gestalt an dessen Seite musternd, welche bewegungslos dasaß. Sie hatte bis jetzt noch kein Wort gesprochen.

Endlich unterbrach Hannibal die Stille. Seine Stimme klang ernst.

»Ngaraiso,« sagte er leise, »warum sagst du mir nicht die Wahrheit?«'

»Ich habe nur die Wahrheit gesagt,« beeilte sich der Medizinmann zu versichern.

»Sei still! Du verheimlichst uns die Wahrheit! So gewiß, wie du einst, weil dir Yamyhla keine Liebe schenkte, mich, den Begünstigten, und alle Amazonen und Dahomehneger ins Unglück stürzen, vernichten wolltest, so gewiß hast du auch die Rache an Yamyhlas Kindern fortgesetzt, und um zugleich Vorteil dabei zu gewinnen, hast du deine eigene Enkelin zur Anführerin der Amazonen gemacht.«

»Das ist nicht wahr,« seufzte Ngaraiso, aber die Angst, welche sich in seinen Zügen widerspiegelte, verriet, daß Hannibal das Richtige getroffen hatte.

»Leugne nicht, es ist so,« fuhr Hannibal ruhig fort. »Hast du deine Hand selbst im Spiele gehabt, als Yamyhla der Kopf des Besiegten gestohlen wurde?«

»Ich weiß nichts davon.«

»Ngaraiso,« sagte Hannibal ruhig, »gestehe es, und dir soll nichts widerfahren. Die Reue, welche du vorhin an den Tag legen wolltest, scheint nur erheuchelt gewesen zu sein. Wisse aber, daß, wenn du nicht gestehen willst, ich Mittel und Wege finden werde, dich zum Geständnis zu zwingen.«

Da versuchte Ngaraiso hochmütig aufzufahren.

»Was könntest du mir schaden? Du weißt doch recht gut, wie sehr ich bei den Dahomehnegern und besonders beim Könige Mizanza in Ansehen stehe. Es genügte nur ein Wort, und dein Leben wäre verwirkt.«

Aber Ngaraiso war seiner Sache doch nicht so sicher, scheu wich bei diesen Worten sein Auge dem festen Blicke Hannibals aus und streifte furchtsam die stumme, verhüllte Gestalt an dessen Seite.

»Du kannst mich nicht täuschen,« sagte Hannibal kalt, »ich habe Erkundigungen über dich eingezogen und bin anderer Meinung. Ueberdies stehe ich unter einem Schutze, ebenso wie mein Gefährte hier, unter welchem mir alle Macht deines Königs nichts anhaben könnte. Aber nimm Vernunft an, Ngaraiso,« fuhr Hannibal fort, seiner Stimme einen freundlicheren Klang gebend, »ich weiß sehr wohl, wie sehr du dich jetzt darüber ärgerst, deine Enkelin zur Anführerin der Amazonen gemacht zu haben. Du hofftest, sie würde dich unterstützen, dein Ansehen aufrecht zu erhalten, denn als Beherrscherin der Amazonen ist ihr leicht, dich zum mächtigsten Manne in Dahomeh zu machen, aber du hast dich in ihr getäuscht. Sie glaubt nicht an deine Zaubereien, ebensowenig wie du selbst, aber sie fürchtet dich, weil du um das Geheimnis weißt, durch welches sie Yamyhla gestürzt hat, und statt dich nun beim Könige in Schutz zu nehmen, sucht sie dir bei jeder Gelegenheit zu schaden, und sei versichert, Ngaraiso, sie wird nicht eher ruhen, als bis sie es fertig gebracht hat, dich beim Könige als einen Schwindler anzuschwärzen und zu stürzen.

»Du selbst darfst ihr nicht entgegentreten,« fuhr Hannibal fort, »denn die Preisgabe des Geheimnisses, welches Simbawenni stürzt, kostet deinen eigenen Kopf, und sie gilt beim Könige doch etwas mehr, als du. Deshalb also, Ngaraiso, hassest du jetzt Simbawenni, du bereust, sie zur Anführerin der Amazonen gemacht zu haben und möchtest sie gern wieder entfernt sehen. Ist es nicht so, Ngaraiso? Gestehe es! Vielleicht, daß wir, ich und mein Gefährte hier, dein Schicksal ändern können. Es liegt wenigstens in unserer Macht. Ist es so?«

»Es ist so,« stöhnte der Medizinmann. »Was könntet ihr aber tun? Simbawennis Macht ist unumschränkt, ihr Spruch gilt mehr, als der des Königs.«

»Beantworte noch eine Frage!« sagte Hannibal. »Ist es wahr, daß Simbawenni den Häuptling getötet und ihm den Kopf abgeschlagen hat?«

»Nein,« entgegnete Ngaraiso zögernd, »Yamyhla hat dies getan.«

»Wie kam es, daß Yamybla den Kopf in der Versammlung nicht hatte, sondern einen anderen, Simbawenni dagegen den richtigen?«

»Kurz, ehe Yamyhla aufgefordert wurde, vor dem Könige zu erscheinen, ist ihr das Tuch, worin der Kopf gewickelt war, mit einem anderen vertauscht worden.«

»Und wer hat das getan?«

Der Medizinmann schwieg erst, dann aber sagte er: »Ich habe fast alles gestanden, es hilft mir nichts, noch etwas zu verheimlichen – ich bin doch jetzt auf deine Gnade angewiesen. Ich selbst bin es gewesen, ich habe meiner Enkelin den echten Kopf gebracht, der Yamyhla aber einen anderen untergeschoben. Doch sage jetzt, Kababo,« fuhr er in flehendem Tone fort, »wer ist dieser Mann, der so stumm dasitzt? Sein Schweigen ist mir entsetzlich.«

»Du sollst ihn nachher sehen,« vertröstete Hannibal, »auch ihn wirst du vielleicht kennen. Wann soll Simbawenni öffentlich als Anführerin der Amazonen anerkannt werden?«

»In vierzehn Tagen, beim Wechsel des Mondes.«

»So ist sie also noch nicht die erwählte Anführerin?« sagte Hannibal und atmete sichtlich auf.

»Nein, sie hat zwar oft versucht, schon früher, gleich nachdem Yamyhla verschwand, als Führerin proklamiert zu werden, aber der König konnte ihr nicht nachgeben, so gern er wollte, die Dahomehneger verlangten die Einhaltung der Frist.«

»Gut, so kommen wir noch nicht zu spät.«

»Wozu zu spät?« fragte der Medizinmann gespannt. Er wußte nicht, was Hannibal eigentlich wollte.

»Du wirst es noch von uns erfahren,« entgegnete Hannibal mit Würde und stand auf; man erkannte in ihm jetzt nicht mehr den Diener Lord Harrlingtons. »Halte dich immer zu Hause, wenigstens für die nächsten paar Tage, und wenn du gebraucht wirst, so hoffe ich, daß du uns zu Willen bist, sonst müßten wir dich dazu zwingen.«

»Ich werde dir dienen, so gut ich kann,« versicherte Ngaraiso lebhaft, die Hand aufs Herz legend, »ich wünsche nichts sehnlicher, als meine Enkelin gestürzt zu sehen. Nur,« fügte er ängstlich hinzu, »mußt du mir versprechen, mich selbst zu schützen, denn meine Geständnisse können mir das Leben kosten.«

»Du sollst gesichert sein! Doch noch eine Frage, wie heißt der Sohn der verstorbenen Yamyhla, welcher Simbawenni zur Frau wählte und ihr somit ein Recht gab, sich zur Anführerin der Amazonen aufzuschwingen.«

»Kursuri.«

»Es ist richtig,« sagte Hannibal, somit andeutend, daß er wohl in den Verhältnissen Bescheid wußte und nur ausforschen wollte, ob der Medizinmann die Wahrheit sprach.

»War es Zufall, daß Kursuri für Simbawenni Liebe empfand?«

»Nein,« gestand Ngaraiso aufrichtig; »im Einverständnis mit meiner Enkelin gelang es mir, bei ihm Liebe für das Mädchen zu erwecken.«

»Ich weiß, als Medizinmann verstehst du dich auf Liebestränke und dergleichen mehr. Was für eine Rolle spielt Kursuri am Hofe des Königs?«

»Gar keine.«

Der verhüllte Begleiter Hannibals hatte sich erhoben und wollte mit diesem die Hütte verlassen. Ngaraiso hielt Hannibal am Gewande zurück und rief in flehendem Tone:

»Laß mich nicht in Angst und Zweifel zurück! Wer ist es, der unser Gespräch mit angehört hat. Durfte er es, oder soll er nur als Zeuge gegen mich auftreten?«

Die Person hatte sich dem Medizinmann zugekehrt und löste langsam das Tuch vom Kopfe – Ngaraiso blickte in ein bronzefarbenes Mädchengesicht, aus dem die Augen wie ein paar glühende Kohlen den Neger anfunkelten.

Mit einem Schreckensschrei war Nagaraiso vor der hohen Gestalt bis in die entfernteste Ecke der Hütte zurückgewichen und dort in die Kniee gesunken, die erhobenen Arme, wie abwehrend, ausstreckend.

»Yamyhla,« kam es bebend über seine Lippen – er wagte nicht, die Augen zu erheben.

»Ich bin es,« klang es dumpf aus dem Munde des Mädchens, »doch fürchte dich nicht! Ich bin nicht gekommen, um dich für deine Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Gern möchte ich zwar den Dolch in dein ruchloses Herz stoßen, aber mein Wort, dich zu schonen, hindert mich daran. Ich werde dich nur gebrauchen, um jene zu vernichten, welche mit List und durch deine Hilfe mir den Platz geraubt hat, der mir gebührt, dann kannst du gehen, wohin du willst, nur hüte dich, daß mir dein verfluchtes Gesicht je wieder unter die Augen kommt.«

»Ich bin verloren,« hauchte der zitternde Neger.

»Du bist es nicht,« sagte Hannibal, »wie ich dir schon sagte, es steht jetzt in deiner Macht, das Geschehene wieder gutzumachen. Gestehe die Wahrheit, erzähle, wie alles gekommen ist, und ich bürge dafür, daß du dann in Sicherheit gelassen werden sollst. Magst du auch die Bande der Blutsfreundschaft nicht achten, ich halte noch an dem Glauben meiner Väter fest, mir ist sie heilig.«

»Hütet Euch!« flüsterte der Medizinmann, noch immer auf den Knieen liegend. »Simbawenni ist mächtig und listig. Erfährt sie, daß Yamyhla zurückgekehrt ist, so setzt sie alles in Bewegung, um die Gehaßte wieder verschwinden zu lassen.«

»Wir stehen unter mächtigem Schutze,« wollte Hannibal sagen, doch eine Handbewegung Yamyhlas brachte ihn zum Schweigen.

»Wie steht Simbawenni zu dem Könige?« fragte sie den Medizinmann.

»Der König liebt Simbawenni,« entgegnete er, »er hat sie, trotzdem sie verheiratet ist, zu seiner Frau gemacht. Aber nicht er ist der Gebieter, sie beherrscht ihn vollkommen, er gehorcht ihrem Wink.«

»Ich dachte es mir,« antwortete Yamyhla kurz und verließ mit Hannibal die Hütte des Medizinmannes. –

Während diese Unterredung stattfand, enthüllte Ellen im Salon der ›Vesta‹ ihren Freundinnen das Schicksal Yamyhlas, welche an demselben Tage ihrer Befreierin alles erzählt hatte, was wir soeben erfahren haben, mit der Bitte, es auch den anderen Damen mitzuteilen.

Yamyhla hatte im Sinne, an dem Tage, da sie ihr zwanzigstes Jahr erreichte, an welchem zugleich die öffentliche Proklamation der neuen Anführerin der weiblichen Leibgarde des Königs in Dahomeh erfolgte, dieser die Würde streitig zu machen. Sie hatte schon oft in ihrer Jugend erzählen hören, daß Kababo der Geliebte ihrer Großmutter gewesen wäre – unter den afrikanischen Stämmen herrscht kein strenges Ehegesetz, am allerwenigsten unter den Amazonen Dahomehs, welche zwar ebenfalls einen Mann haben, aber im Grunde genommen doch alle dem Könige mit Leib und Seele angehören, der die schönsten unter ihnen zu Weibern wählt – aber es wurde ihr auch gesagt, daß Kababo des Hochverrates überwiesen worden wäre, indem er den Kriegern von Dahomeh vor einem Entscheidungskampfe Branntwein gegeben hätte, infolgedessen nicht nur die Schlacht verloren war, sondern auch die sämtliche Mannschaft aufgerieben wurde und die Weiber ohne Ausnahme in den Tod getrieben worden seien.

Die Anklage wegen Hochverrats war von Ngaraiso ausgegangen, welcher damals zwar noch kein Medizinmann, aber doch schon wegen seiner Kenntnisse geschätzt war. Das über Kababo gefällte Urteil lautete auf Todesstrafe, aber diese sollte nicht durch Erhängen oder auf ähnliche Weise ausgeführt werden, wodurch der Tod sofort eintrat, sondern er sollte so lange gepeitscht werden, bis er ohnmächtig wurde, dann, wenn er erwachte, wieder, u. s. w., bis der Tod ihn endlich von seinen Qualen erlöste.

Kababo beteuerte vergebens seine Unschuld. Es traten Zeugen gegen ihn auf, welche ihn als den bezeichneten, der ihnen den Auftrag gegeben hätte, den Kriegern Branntwein zuzuführen.

Nur einmal wurde an dem Unglücklichen die barbarische Exekution vollzogen. Als man ihn nach einigen Stunden aus seinem Gefängnis herausschleppen wollte, um ihn zum zweiten Male zu peitschen, fand man die wohlbewachte Hütte leer. Kababo war daraus verschwunden, und man sah nie wieder etwas von ihm.

An Bord der ›Vesta‹ traf Kababo oder Hannibal, welcher durch unbekannte Freunde befreit worden war, mit der Dahomeh zusammen, und aus der Ähnlichkeit erkannte er Yamyhla, die Enkelin der Amazone, welche er einst liebte. Als er seinen Namen nannte, wollte die heißblütige Amazone ihm, dem entsprungenen Hochverräter, den Dolch ins Herz stoßen, aber sie vernahm erst seine Verteidigungsrede und gelangte nach und nach zu der Ueberzeugung, daß Kababo unschuldig war.

Als Hannibal die Geschichte Yamyhlas erfuhr, als er hörte, daß Simbawenni die Rivalin sei, da wurde ihm klar, daß es nicht nur Argwohn sei, was schon lange seine Gedanken beschäftigt hatte.

Ngaraiso und kein anderer war es, der ihn vernichtet hatte, weil er den Geliebten der Yamyhla haßte, und der seine Enkelin Simbawenni an Yamyhlas Stelle, welche er ebenfalls haßte, bringen wollte.

Die Amazone glaubte ihm, und beide beschlossen, gemeinschaftlich nach der Heimat zurückzukehren, womöglich gerade dann, wenn Simbawenni ihre Würde antrat, und sie zu entlarven.

Ngaraiso brauchte man als Zeugen, und dieser war jetzt gewonnen. Der schlaue, aber schwachherzige, nur für seine Ruhe und Bequemlichkeit sorgende Schwarze wagte nicht, zu widersprechen.

Wären sie allein auf sich angewiesen, so hätte die Ausführung des Planes sehr viele Schwierigkeiten geboten, ja, wäre vielleicht gar nicht möglich geworden; durch das Anerbieten der Damen aber, ihnen ihre Kräfte bei dem Unternehmen zu leihen, schienen alle Hemmnisse beseitigt zu werden. Die Vestalinnen betrachteten Yamyhla als eine der ihrigen, und daß sie sich auf ihre Freundinnen verlassen konnte, das hatte sie schon oft genug gesehen.

Dazu kam, daß Ellen auch die Herren hatte auffordern lassen, an einer Expedition ins Innere teilzunehmen, so daß auch diese der ihr Recht suchenden Amazone schützend zur Seite standen.

»In spätestens vierzehn Tagen müssen wir in Abomeh eintreffen,« sagte Ellen im Salon der ›Vesta‹ zu den versammelten Mädchen. »Die Erhebung der Simbawenni zur Anführerin der Amazonen wird durch Festlichkeiten aller Art, durch Waffentänze, Kampfspiele u.s.w. gefeiert, und wir werden diesen hoffentlich beiwohnen können. Zwar müssen wir wahrscheinlich störend eintreten, aber ich hoffe, daß uns der Anblick dieser Schauspiele nicht entgehen wird, nur, daß sie dann zur Ehre einer anderen Person als Simbawenni stattfinden, zu Ehren unserer Yamyhla. Nachdem, was wir bis jetzt erfahren haben, halte ich es nicht für schwer, Yamyhla zu ihrem Rechte zu verhelfen und die Nebenbuhlerin zu entlarven.

»Wie steht diese Simbawenni zu ihren Kampfesgenossinnen?« fragte ein Mädchen.

»Sie soll sich keiner großen Beliebtheit erfreuen. Allen wäre es damals lieber gewesen, wenn Yamyhla den richtigen Kopf gebracht hätte, und alle waren geneigt, deren Worten mehr zu glauben, als denen der Nebenbuhlerin. Aber es fehlte eben an Zeugen. Es wird nur eines energischen Auftretens bedürfen; und sicher werden die Amazonen der wiederkehrenden, rechtmäßigen Führerin zujubeln.«

»Wie weit ist es von hier nach Abomeh?«

»Etwa sieben Tagereisen,« entgegnete Ellen. »Wir können uns nicht anders dahin begeben, als zu Fuß, Wagen, Esel oder Pferd, und soweit wir letztere hier auftreiben können, werden wir sie als Mittel zur Reise wählen. Eine Eisenbahn existiert nicht. Wir werden überhaupt ein noch recht wildes Land antreffen.«

»Können wir auf gute Jagd hoffen?« fragte ein Mädchen.

»Zwischen hier und Abome nicht,« antwortete Ellen, »auch haben wir auf diesem Wege gar nicht viel Zeit, denn wer weiß, was für Hindernisse uns entgegentreten können. Dagegen wimmelt es östlich und nördlich von Abome von Wild, und daher, meine Damen, wollen wir, wenn Yamyhlas Angelegenheit erledigt ist, einen großen Jagdausflug ins Innere des Landes unternehmen. Eine günstigere Jahreszeit dazu, als die jetzige, hätten wir nicht treffen können.«

Unter den Mädchen brach ein allgemeiner Jubel aus, sie wurden plötzlich alle vom Jagdfieber ergriffen.

»Ein Jagdausflug in Afrika ist nicht zu vergleichen mit einem solchen etwa in Amerika,« fuhr Ellen fort, als die Zurufe verstummt waren. »Die Wege sind keine Fahrstraßen, sondern oft kaum gangbar und führen mitten durch Wälder, Dschungeln und Steppen, wir brauchen also Führer, und da wir nirgends hoffen dürfen, auf solche Bequemlichkeiten zu stoßen, wie wir sie zum Beispiel während der Nacht gern haben möchten, so müssen wir alles mit uns führen. Also brauchen wir auch Träger, Gepäckesel und so weiter für unser eigenes Gepäck und ferner für die Waren, mit welchen wir den Häuptlingen, durch deren Gebiet wir ziehen, den üblichen Tribut zahlen.

»Kurz und gut, wir müssen eine vollständige Karawane ausrüsten, wollen wir einen Jagdausflug ins Innere unternehmen. Die Herren des ›Amor‹ kommen ebenfalls mit, und da Mister Davids längere Zeit als Offizier in der Kapkolonie gestanden hat, so weiß er am besten in derartigen Sachen Bescheid und auch mit Negern umzugehen, er wird unter Beihilfe seiner Freunde die Karawane, Träger und so weiter zusammenbringen. Mgwana ist der beste Ort, von wo man aufbrechen kann, denn von hier aus gehen viele Karawanen nach dem Innern ab, und es gibt hier Kontors, welche sich nur mit dem Ausrüsten solcher Karawanen befassen.«


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