Friede H. Kraze
Amey
Friede H. Kraze

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Doktor Vernow hatte nach der Begrüßung durch Amey seine Haltung wiedergefunden. Die andern redeten. So wurde sein Schweigen nicht bemerkt. Seine Augen konnten Amey nicht verlassen. Die zarte Linie ihres Nackens verfolgten sie, das Spiel des gedämpften Lampenlichts auf ihrer Haut. Er saß wie ein träumender Knabe. Er war durch jedes Nein der Zeit gegangen, und vor dem brennenden Christbaum hatte er alles vergessen und war selig in Gläubigkeit.

Man war schon beim Tee und dem Kuchen, dessen Inneres dem Äußeren nichts schuldig blieb, als es wieder und wieder klingelte. Amey begriff, daß das Heim der Bronklava, diese billige, vier Treppen hohe Wohnung in einer der übelsten Mietskasernen von Berlin N, der Sammelpunkt jener Künstler war, in denen die Zeit am heftigsten fieberte. Dieses Geschlecht der heimlich Verschworenen und Visionäre. Der Widersacher alles Augenfälligen.

»Wir haben es uns nicht bequem ausgesucht«, sagte ein langer Mensch mit Brille, der etwas Transparentes an sich hatte. Allein sein kindliches Gesicht schwebte rund und greifbar über einer ungeheuren meeresblauen Krawatte. Die andern nannten ihn den Professor. »Wer wieder ganz Mittelpunkt werden will, darf nicht auf ruhige Tage spekulieren. Von der Peripherie unserer Zeit und aus unserer zerhackten Jugend her müssen wir uns zurückholen. Aus Fabrikdistrikten, Irrenhäusern und Konzertsälen. Aus dem Schmutz der Gosse und aus soviel Lauheit, Kälte und Furcht. Wir sind uns selber noch sehr fern, ja. Und wir kommen von weither. Etliche kommen aus dem nächsten Kaffeehaus, aber das ist nicht näher als Amerika. Und ein Bordell« . . . Er schwieg plötzlich. Er sah mit seinen kurzsichtigen, bebrillten Augen zu Amey hinüber. Das kindliche Lächeln wurde ergreifend. Er machte eine unbeholfene Handbewegung, die um eines Wortes willen, das ihm zum ersten Male als verwehrt erschien, um Entschuldigung bitten sollte.

»Sie haben weite und schwere Wege«, sagte Amey sanft. »Ich glaube, ich verstehe. Es gilt eine Heimkehr zu einem lange und tief Verschütteten!«

Der Professor sah sie an in dankbarem Staunen.

Auf der anderen Seite des Tisches entstand eine Bewegung. Ein ganz junger rothaariger Mensch mit schweren, breiten Schritten und nach vorn gekrümmtem Rücken, als hätten seine Vorfahren Jahrhunderte hindurch unter Lasten gekeucht, hatte der Bronklava ein Bild mitgebracht. Es war noch feucht vom Firnis. Er trug es wie ein Präsentierbrett. Aber er trennte sich von ihm wie von einer Geliebten.

Zwei Menschen waren auf dem Bilde dargestellt. Es sollte ihren höchsten Moment darstellen. Ihre letzte Steigerung. –

Alle standen um das Bild. Amey war in den Vordergrund und in die Mitte geraten. »Es erscheint mir irgendein Bruch darin?« Sie fragte grübelnd und wie im Wunsch, eines Besseren belehrt zu werden. »Auf der einen Seite stehn sie ganz im Jenseitigen. Sie sind ganz Rausch und Ekstase. – Ja – und dann scheinen sie mir zugleich sehr tief gebunden. So ganz ohne süßes Spiel. – Sie sind Gott – – oder Tier . . . Ist das der Mensch?« Sie erschrak.

»Du bist noch immer viel zu konkret, Peter«, sagte jemand mit hohen slawischen Backenknochen, der immerwährend seine Finger aus den Gelenken riß. »Du willst noch immer das Gegenständliche um dich ausdrücken. Das ergibt Mißverständnisse. Ich male nur noch Ungegenständliches.«

»Wieso?« sagte Amey. »Ich verstehe nicht. Sie meinen nicht, Sie malen Begriffe?«

»Erbarmen, Marsyas!« Die Bronklava lachte. Der mit den hohen Backenknochen schien mit seinen Fingergelenken zu sprechen. »Begriffe? Gott soll mich bewahren. Was gäbe es denn, was zu begreifen wäre? Empfindungsinhalte natürlich!« –

»Aber wie kann man eine Empfindung darstellen, ohne einen Gegenstand? Sie muß doch irgendwie in Erscheinung treten?« Amey staunte. »Bitte erklären Sie mir. Ich habe Kubisten und Futuristen noch nicht begriffen, und jetzt sind Ihnen diese auch schon wieder zu deutlich?«

»Es handelt sich nur noch um Linie und Farbe«, sagte der Marsyas Genannte ungeduldig und dennoch irgendwie bemüht, gefällig zu erscheinen. »Früher waren die beiden Knecht. – Nehmen Sie an: spitze, zackige Linien: sie sind das Satanische, das Boshafte! Oder dann dick geknetete, eingewürgte« – seine Hände, die eben mit gespreizten Fingern hin und her teufelten, fingen an zu kneten und zu würgen. »Das ist Brutalität des Lebens, Zerquetschtsein, Alptraum. – Und jetzt, sehen Sie: gerundete Linien, weich, verschlungen, Kreise« – er bildete aus seinen Händen ein Nest – »fühlen Sie das Geborgensein? Die ganze Wärme und Zärtlichkeit?« Er sah Amey an. Plötzlich errötete er und verwirrte sich.

»Ja«, sagte Amey glücklich. »Dies kann ich verstehen.« Bei den gekneteten und eingewürgten Linien hatte sie die Fischhaut im Rücken gefühlt. Jetzt empfand sie sich geborgen in diesen großen Jungensfäusten. »Aber Sie wollen nicht sagen, daß Sie fortab nur noch Zacken und Kreise machen werden und Linien kneten?«

Alle lachten. Es war sommerliche Atmosphäre in dem weiten, hohen Raum. Sommergutsein, Duft, Flötenlieder. Alle sahen auf Amey. Wie eine durchsichtige und heitere Lichtalbin, die einen geheimnisvollen Freudenborn in ihrer zarten Hand hielt, stand sie in dem rosenfarbenen Nebel der verhüllten Lampe.

»Also voran«, sagte der Transparente, Bebrillte. »Also Farbe. Lila, zum Beispiel. Malerisches Lila – hm.« Er stotterte, im Eifer sich zu entfalten. »Denken Sie an alte Münster zum Beispiel. Vor Tag.« Amey nickte freudig. – »Diese Farbe dann vom Gegenstande gelöst, an sich im Raum! Zusammengebildhauert. Der Grund obsidianschwarz, bepurpurt. Und dann irgendwo ein verlassenes Aqua marin und matte Umrisse von tropfendem Silber. – Nun . . .?«

Er rief auf wie zum Bekenntnis.

Amey faltete die Hände und sah mit einem Blick angestrengten Nachdenkens in die kurzsichtigen Augen. Die Brille war beschlagen, der Professor mußte sie putzen.

»Ein Rebus?« sagte sie. »Niemals in meinem Leben habe ich ein Rätsel erraten. Es ist eine besondere Veranlagung. Wie Mathematik. Ich sterbe vor Neugier. Üben Sie Gnade!«

Ihre Stimme war unsicher und zugleich schmeichelte sie wie eines höflichen, geliebten und viel beschenkten Kindes Stimme.

Wieder lachten alle gerade heraus. Auch der rote Peter.

Amey sah sich im Kreise um. Sie fühlte sich getragen und beschützt, als ob sie in einen Ring seltsamer Fabelwesen geraten wäre, die zu entbannen sie dennoch das Wort wußte!

»Preisrätsel!« Marsyas hatte sich alle zehn Finger aneinander zerschunden. Er zerkrümmte sich zu einem Horn auf seinem Stuhl. –

»Wehmut!« schrie der Professor über das tosende Lachen. »Was kann es andres bedeuten?« –

»Wehmut?« – Amey staunte. »Ja, da malen Sie also eine Philosophie?« –

»Ist denn kein Schulbeispiel zur Hand?« – Marsyas wühlte in Mappen und Kästen und stürzte Staffeleien.

»Im Wandschrank«, rief die Bronklava herzueilend. Aber Marsyas nahm die kleine Dame wie einen Ziergegenstand, der im Wege stand, und hob sie auf einen Tisch.

»Heiliger Cézanne!« Er verzückte sich plötzlich. »Eine Jacke?« Er rieb sich die Augen, faßte mit zwei Fingern die Schulter der Bronklava und drehte sie behutsam wie ein kostbares Schaustück.

»Ja, wieso denn?« Die kleine Malerin auf ihrem erhöhten Standort lachte und schalt. Zugleich staunte sie mit weltfremden Augen. Die Fingergelenke des Marsyas musizierten wie ein Xylophon. »Weil ich ihr mit dem Milchtopf die Tischdecke verschandelt hab', schick' ich ihr eine neue. Echt Indien, von Wertheim – und« . . . – wieder fing er an, die Bronklava zu drehen.

»Oh, Emilie!« rief Doktor Gutenberg. »Sagte ich es nicht immer, etwas hierbei stimmte nicht?« – Er sah völlig aus wie Jizo. –

»Alles stimmt.« Thomas Vernow verbeugte sich flüchtig in der Richtung auf Amey zu. »In einer Zeit, wo jedes Tapetenmuster zur Philosophie werden kann, warum sollte in einer Zeit, wo alle Grenzen sich verflüchtigen, eine Kaffeedecke nicht als Kleiderstoff gelten dürfen!« Seine Stimme war gereizt. Er wußte nicht, was ihn so quälte.

»Oh, Emilie«, wieder rief Doktor Gutenberg. Er lachte hingegeben und dennoch höflich und gemäßigt. Wie man in Japan lacht. – »Man muß Sie gegen mich in Schutz nehmen! Es ist weit gekommen mit uns!« Zart gebaut wie er war, hatte er dennoch die Bronklava vom Tisch heruntergehoben, ehe Thomas Vernow dazu gelangte.

Amey legte der Bronklava die Arme um den Hals wie einer vertrauten Freundin. »Es ist gar so lieb hier«, sagte sie glücklich. »Aber so rasend zurückgeblieben komme ich mir vor!« Ihre Augen warteten auf Marsyas und den roten Peter, die im Wandschrank wühlten. Thomas Vernow sah sie nicht.

»Hier«, schrie Marsyas. Er zerrte eine Pappe ans Licht. Da er sehr oft die Wohnung wechselte, pflegte er seine Skizzen und Bilder bei der Bronklava zu beheimaten. Alle Gelb und Braun und Rot der Erde waren auf dem unteren Teil dieses Bildes. Schwerer Ocker und tigerhaft gebrannte Sienna. Versonntes Chrom und flackerndes Schwefelgelb. Rostrot wie heimliche Waldwege. Lichte Braune, wie erster Blätterfall, und tiefes, gesegnetes Braun, wie reife, gesegnete Erde.

Amey sah voll Glück auf dieses Bild, das eigentlich kein Bild war, und das in der Sprache seiner Farben zu ihr redete wie in einer Sprache aus uralten Heimaten. Der graue Grund der oberen Hälfte war durch wenige Striche seiner Tonigkeit und Schwere entkleidet worden. Rosenrote Perlen verzückten sich, und goldene Aufströme gipfelten höher und höher. – »Nun?« Marsyas wartete atemlos.

Amey hatte die Hände um ihre Knie geschlungen. Plötzlich hob sie den Finger glücklich wie ein Schulkind.

»Verklärung,« rief sie . . . »Verklärung!«

»Erbarmen!« Die Bronklava beschwor. Denn der Geschundene schonte weder Möbel, noch Bücher, noch Götter in seiner Raserei. Wie er herumstürzte, sich wand und schrie, konnte man wirklich annehmen, daß man ihn aus seiner Haut herauspeitschte. »Verklärung!« Er sprang über einen der kleinen Tische. »Oh, glühender Schmerzenspunkt unserer Erlebnisse! – Raserei der letzten Anspannung! Ich befehle die Herrschaft des Inwendigen. Wir sind. Das genügt. Der ewig Wandelbare hat dem Erstarrten den Krieg erklärt. Und der Sohn wird wider den Vater stehen! Und der Geist wider die Form! Es wird nur noch hüben geben und drüben. Und die Mitte, – ja – die zähe Unbewegte werden unsere Schuhe zerstampfen!« – Er riß ein Taschentuch heraus, umfangreich wie ein Tischtuch. Er warf es sich über den Kopf und rieb sich wütend wie ein Schwimmer. Als er es herunterzerrte, sah er sich mit staunenden Kinderaugen im Kreise um: »Ich habe den Herbst gemalt. Und sie sieht ihn bereits als Symbol!«

Der Japaner lächelte sanft. »Wir auch,« sagte er, »auch wir im alten Nippon gaben das Geheimnis der Dinge. Aber wir verschmähten nicht die Subtilität konkreter Darstellung.«

»Ja,« sagte Amey, schnell und kurz atmend, als müsse sie alte Heiligtümer gegen das klirrende Heranstampfen von Eroberern verteidigen. »Dies ist eine Art, Seelenvorgänge darzustellen. Aber warum soll man andre, die es anders zuwege brachten, darum schelten? Denken Sie an Grünewald. Der Henker z. B. – Alle Not seines Schicksals blutet in seinen Augen! Und die Maria vom Isenheimer Altar! Aber vielleicht kennen Sie am besten den gegeißelten Christus aus der Pinakothek. Wenn Sie einzig die Hände nehmen! Diese gespreizten Finger! Das Leiden ist schon Krone geworden. Die Seele feiert bereits.«

»Ja, mein Gott, Grünewald! Wer spricht denn von Grünewald?«

»Ich hätte auch die Mona Lisa anführen können!« sagte Amey. »Wie das betörende Geheimnis ihres Lächelns mit dem Geheimnis der mondblauen Landschaft verschmilzt!« Niemand antwortete ihr. Alle sahen sie an: »Und dein Lächeln? Und das betörende Geheimnis in dir?« Aber Amey konnte nicht achten auf ihre Gedanken. Hatte sie nicht einen Vorsprung gewonnen? »Oder die Einfachheit und die Größe der Antike hätte ich anführen können, – oder die Andacht und die demütige Liebe zu den kleinen Dingen, wie auf Bildern von Hans Memling. Oder Hände, wie sie Dürer malte, oder Rembrandtsches Licht!«

»Wer verlangt denn so etwas?« Der rote Peter riß sich los vom Gesicht Ameys. Es sah aus, als wolle er sich auf jemanden stürzen. Was verlangt wurde, oder von wem, wußte er nicht.

»Ja, aber wenn Sie all diese gelten lassen,« rief Amey staunend und halb schon beglückt, »wem wollen Sie dann eigentlich den Garaus machen? Denken Sie an meine seligen Lichttrunknen? – Gott! – Monet!« Sie ging wieder mit Onkel Rhaban durch Paris. Sie spürte den bebenden Atem dieser Stadt. Sie schritt am Quai d'Orsay und sah die Seine überspiegelt mit Wolken und Brücken, und über flimmernden Bäumen im Dunst die zarte verblauende Spitze von Sacre Coeur. Sie wanderte durch den Wald von Fontainebleau, und sie sah ihn mit Rousseaus Augen. Sie konnten doch wohl nicht Rousseau im Sinne haben, den großen Unschuldigen? Oder Cézanne und seinen Rhythmus streng wie ein Sonett?

»Nein«, riefen die Verschwörer endlich. Alle riefen sie zugleich. »Nein!« – Jede Epoche habe einmal ihr Recht gehabt.

Ja, dann betrachteten sie sich also nicht als das Endgültige? – Nichts anderes verlangten sie als das Recht der Entwicklung?

Nichts andres verlangten sie. Sie sagten das alle, wiewohl es ihnen eigentlich jetzt eben erst als letzte Wahrheit ins Bewußtsein trat. Nichts als das Recht des ewigen Weiter. Und den ewigen Fluß und das Wandelbare.

Amey schöpfte ihren Atem tief herauf. Sie spürte den heißen und neuen Lebensstrom. Aber zugleich empfand sie ihre Seele verankert im Gestern, das verklärt war durch die Wehmut des Todgeweihten.

Aber die Verschwörer wußten nicht, wohin Amey gewandert war. Wer von ihnen hätte ihr zu folgen vermocht? So riefen sie und schworen bei Rousseau und Cézanne, daß Amey sich soeben als eine der Ihren dokumentiert habe.

»Nein. O nein.« Amey lachte, und es war ein heimlicher Schmerz auf dem Grunde ihres Lachens. Gab es keinen Ausweg? Würde sie ihn nicht finden? Das Heute hatte recht. – Jawohl. Aber mußte man darum alle Brücken abbrechen zum Gestern? Amey erschrak. –

»Nein«, sagte sie bang und wie im Traum. Sie sah weit hin, zum andern Ufer. Drüben stand das Neue. Es lockte und saugte sie zu sich hin. Mit heißen und jungen Munden. Ihr war, als schritte sie, gezogen vom Mond. An Lotrechten entlang. Am Tode entlang. Und mußte dennoch mit starren, aufgehobenen Armen dem Neuen zu – dem unbekannten König.

Aber plötzlich schien sie sich zurückzureißen. – Eine Hellberg? Und allein sollte sie kommen? Und alles dahinten lassen, was ihrem Geschlecht als heilig gegolten? – Etwas in ihr schmerzte zum Weinen. – Wohlan. – So würde sie einmal im Leben den Mut der Ketzer haben. – Denn hier war das Alte das Ketzerische. – Nein: eine Hellberg ließ nicht im Stich. Die letzte ihres Geschlechts würde nicht die große Absage vollziehen. Und wenn sie sich mit eignem Hand den Scheiterhaufen schichten mußte. – »Welcher neue König dürfte Vasallen trauen, die zuvor den alten erschlugen?« Leise hatte sie die Worte gesagt. Zärtlich. Als tröste sie ein weinendes Kind.

Niemand erwiderte ihr. Alle hingen an ihrem Gesicht. Alle spürten es irgendwo tief in einem brennenden Punkt: Sie selber war das weinende Kind. Sie spürten eine bange erschrockene Sehnsucht zu ihr hin . . .

Amey sah sich um. Das Geheimnis ihres Wesens war ihr verborgen. Sie wußte nicht, daß sie mit dem warmen Atem ihrer Brust so lange die kleine Flöte blasen mußten bis alles um sie her in Blüten stand. Sie wußte nichts daß sie selber erblühte oder verging, wenn Liebe ihr nah stand oder fern. Aber wie sie in alle die Augen sah, die an ihr hingen, erschien ihr nicht der ferne, schwindelnde Glanz einer Brücke?

»Ich habe eine Hoffnung!« rief sie außer sich. »O bitte!« Die Tränen kamen ihr vor Glück. »Haben Sie Geduld! Erst muß alles sich ein wenig beruhigen.« Ihr Blick ging zu Marsyas. »Sie sagten, die Mitte . . .« Sie verwirrte sich, sie lachte zart. – Alle lachten. Sie dämpften ihre Stimmen. Sie waren wie große zottige Hunde. Als das Herrenkind sich betrübte, waren sie betrübt geworden. Jetzt, da es scherzte, waren sie zum Scherzen ach – so bereit. »Ja,« rief Amey, »Sie wollten sie doch zerstampfen!« Sie stampfte lachend den schmalen Fuß auf den Teppich. »Aber ich komme nicht aus der Mitte. Ich komme von ganz weit drüben. Dort war alles schön und gut, und die leisen Dinge so voller Bedeutung. Und die große glückselige Einheit zwischen Wesen und Schein, der Rhythmus zwischen Leben und Kunst war bei uns da drüben!«

Sie horchten auf. Zugleich erschienen sie erschreckt und beschämt. Jetzt sahen sie aus wie Kinder der Armut, die mit bestaubten Füßen vor fremden Sälen und Hallen stehen. Was wußten sie zu sagen über diese Art Rhythmus, der allein den Namen Kultur verdient? Was wußten sie über die Bedeutung der leisen Dinge? Der Japaner und die Bronklava lächelten sich zu. Etwas ergriff sie bis zu Tränen. Die andern hatten den Kopf gesenkt. Auch Thomas Vernow. Jeder sah sich selbst auf den Grund. Wo der große Bruch war und die Verzweiflung.

»Ja«, sagte Thomas Vernow zuletzt. Seine Stimme hatte etwas Gezerrtes. »Sie kommen von drüben her. Wir aber stehen mitten drin in der Zeit!« – Er sprach, als stünde er im Morast bis zur Brust. –

Amey erbleichte.

»Wie wir's so herrlich weit gebracht!« sagte Thomas Vernow. Er schwieg hart. – Was für Sinn hatte es? Was für Worte gäbe es, ihr die Wunde begreiflich zu machen, an der sie alle verbluteten? War es nicht schamlos, Wunden zu entblößen? »Du«, dachte er, und seine blauen, geschliffenen Augen wurden matt wie Stahl unter dem Hauch eines Mundes. »Du Feine, du Fremde, du!! Wie sollte man dir die Tore aufschließen, daß du das Heute siehst, wie es vor uns steht! Diese stinkende Leiche in purpurne Binden gewickelt! Dies sollte man dir zeigen? – Und wir« – dachte Thomas Vernow. »Sähest du uns, wie Gott uns sieht, würdest du nicht taumeln vor Entsetzen, du Feine, du Fremde! Du!« – Seine schlanken, erregten Finger schlossen sich zu Fäusten. Er trieb die Nägel in die Handflächen bis zum Schmerz. – Ja, waren sie nicht alle genährt mit der giftigen Milch dieser Zeit, die sterben mußte und nicht sterben wollte? Und waren entsprungen aus ihrem Schoß und standen da wie Mörder und fühlten sich befleckt und wollten den neuen König auf den Thron heben und wußten, es konnte ihnen nicht erspart werden: sie mußten den alten zuvor erschlagen. Wo war der Mensch, der keinen alten König in seiner Brust erschlagen mußte? Der aus dem strengen, süßen Morgen emportauchen würde, unbefleckt und ganz, mit der Unschuld der Kinder Gottes?

Amey sah Thomas Vernow an, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Sie beugte sich ein wenig zu ihm hinüber. Sie hob die Hände: »Dennoch«, sagte sie leise. »Ich glaube dennoch an die Möglichkeit der Brücke. Wie könnte man in die Schlacht ziehen ohne Glauben an Sieg?« – Es waren plötzlich Fanfaren in ihrer Stimme. Fanfaren, denen die Hellbergs folgten, seit Jahrhunderten. – »Könnte ich Sie nur alle einmal bei uns haben! Oh« – ihre Augen wurden wie reife Weinbeeren unter der Sonne, wenn der Gott darin tanzt. Sie legte der Bronklava den Arm um die Schultern. Aber es schien, als ob sie mit dieser Zärtlichkeit alle zu sich nähme. – »Sie müssen einfach kommen« – rief sie. »Aber alle müssen Sie kommen! – Im Sommer! – Wenn es bei uns am schönsten ist!«

Niemand antwortete ihr. Sie waren unterm Rausch ihrer Augen. »Wer bist du?« dachten sie alle. »Bist du eine Wirklichkeit? Träumen wir dich endlich einmal, da unser Verlangen so unaufhörlich und schmerzvoll nach dir gerufen hat? Bist du ein Bürger bereits jener neuen Welt? Schenkst du dich uns als Symbol unserer Sehnsüchte? Du Feine, du Fremde! Du Seele! Du Frau! Nicht mehr ein vereinzelter Aufstrom der Liebe – sondern die süße Liebe an sich. Bist du die Erlösung von allem Bösen?«

»Ja,« sagte Amey eifrig und glückselig, »wenn Sie bei uns sind« – sie sprach für alle Hellbergs – »Sie werden alles begreifen. – Ich meine nicht nur das Spukzimmer oder die Pferdeköpfe auf den Ställen. Ich denke nicht an die Käuzchen in der Ruine oder den Ahnensaal und den kleinen griechischen Tempel unter den Zypressen am See, wo alle Hellbergs in den schmalen, zinnernen Särgen stehen.« – Ihre Stimme bebte. Sie spürte plötzlich den starken Geruch vieler Maiblumen, die aus Warmhäusern kamen. – »Nein, nicht dies allein. Oder was sonst meine Vorfahren bauten und gründeten, und worüber sie schalteten und Recht sprachen. Ich meine nicht dies allein, worin sie groß waren und gütig und herrlich, oder worin sie sündigten . . . – – Ach – – all das möchte ich Ihnen zeigen, was mit ihnen dort gewachsen ist und geblüht hat, in Wäldern und Fluren. Immer schon. – Alle die tausend heimlichen Stimmen sollten Sie hören, die wir Hellbergs im Blut haben.«

Die schiefen Häuser standen plötzlich vor ihr, das steinerne Meer ohne Halm und Segen. Sie zog die schmalen Schultern zusammen, als ob sie fröre. »Oh, unsere Sonne!« sagte sie träumerisch. »Wenn die ganze Luft voll ist vom Geheimnis der letzten Erfüllung! Wenn man denkt: Morgen! – Morgen steht die Sonne auf dem Gipfelpunkt. – Und dann kommt plötzlich ein Ton, – durch die feine Melodie der Zikaden kommt ein Tom – Man glaubt ihm nicht. Pan – denkt man – Pan! – Die Akazien blühen ja doch und die Rosen! Aber der Ton kommt wieder – und jetzt muß man ihn annehmen. Er ruft – wie Aufgebot – und plötzlich scheint alles dunkel zu werden. – Man fühlt ein feines Ziehen und Schmerzen.« – Amey legte die Hände wie still gefaßt und übereinander auf ihr Herz. – »Das Dengeln der Sensen ging durch den Sommertag.«

Amey sah in die Weite. Seufzte sie? Aber wie sie die Hände auf ihr Herz gedrückt hielt – war nicht an dieser Stelle einmal ein ganz feiner, glühender Punkt gewesen? Wie das Herz ihres Herzens?

Eine große selige Zuversicht überkam sie. »Und unsere Mondnächte! – Wenn die Nebelfrauen geistern! Dann gehn die Pferde wie Gespenster über den moorigen Grund. Die Weidenbüsche haben Teufelsgesichter, und hinter den Erlen huschen blaue Flämmchen. Und alles ist voll von jenseitigen Dingen. Ganz voll von Schicksal und Schimmer und Grauen. – Ja – auch wir,« rief sie, »auch wir wissen von den großen Zusammenhängen. Nicht die Dinge an sich lieben wir, sondern die Seele der Dinge!«

»Wie im Zauber bin ich«, dachte Thomas Vernow.

»Eben noch war ich umhüllt von Sonne und Glück, und jetzt rieche ich den Moorrauch und fühle, wie jedes meiner kleinsten Haare sich aufrichtet. Was ist mit mir? Wie sie mich ansieht, ist mir's als erblicke sie mich so, wie Gott mich gedacht hat. Weiß sie alles von jenem Abend, und was mich trieb, und was mich erlöste?« Etwas in ihm war wie ein neues und fremdes Leben.

Marsyas saß mit aufgestützten Armen und sah zu Amey hinüber. Seine Hände waren beruhigt. Seine Augen hatten ein seltsam Schwimmendes. Er war ein Knabe, der am Feiertag das weiße Chorhemd über seinem ärmlichen Linnen trug. Er schwenkte das Weihrauchfaß und sah durch das blaue, duftende Gewölk die Gesichter von St. Barbara und St. Veronika und die heilige Klara. Die Priester verbeugten sich, die Glocke ertönte, alle stürzten sich auf die Knie in der kleinen, bunten Kirche, und die Schauer vor dem Wunder der Verwandlung schüttelten ihn wie ein Frost. Er betete an. Er war aus sich hinausgehoben in Ekstasen. Er dachte Gott, er dachte seine Kunst. Aber er sah Amey. War sie nicht Gott und Kunst? Hielt sie nicht alles, was selig und heilig und gewaltig war in dieser kleinen, schmalen, weißen Hand, die einer fernen Epoche anzugehören schien in ihrer Unkörperlichkeit? Und in deren Fläche das blaue W sich abzeichnete wie ein Stigma? –

»Wir haben eine Stütze bekommen, Erich.« Die Bronklava lächelte selig, stolz. »Jetzt wird der Kampf nicht mehr so ungleich sein.«

»Ich will es nicht«, schrie in diesem Augenblick der rothaarige Peter, »gleich werden wir alle ihr aus der Hand fressen und dann . . . Sie wird schon viele verhext haben! Die!«

Er stampfte mit dem Fuß auf die Erde.

Amey sah entsetzt zu ihm hin. »Peter!« rief die Bronklava. »Peter!« riefen die andern. Marsyas hatte sich aufgereckt. Er streifte die Ärmel in die Höhe. Seine Haare sträubten sich. Er duckte den Kopf zwischen die Schultern. Er sah komisch aus und schrecklich zugleich. Thomas Vernow setzte die Zähne so fest aufeinander, daß seine Lippen vonsammen sprangen. Seine geballte Faust legte sich langsam und schwer auf die Lehne von Ameys Stuhl.

»Was kümmert mich das alles!« schrie der rote Peter noch immer wild in seinem Schmerz. »Ich will es nicht, daß sie mich irre macht! Ich will nicht verführt werden! Ich kann sie nicht widerlegen. Ich bin nicht klug und nicht gelernt genug. Mein Vater war Packträger und meine Mutter Waschfrau.« Er schlug sich plötzlich auf den Mund. Es sah aus, als wolle er in Tränen ausbrechen. – »Alles, was von denen da drüben kommt, ist schlecht und verfault. Jawohl – Gott – oder Tier – und das ist der Mensch. Alles andere ist erstunken und erlogen.« Er röchelte. »Ihr sollt so sehen, wie ich's euch zeige«, befahl er. »Wenn unsere Seelen verzerrt geworden sind und krank, wenn wir Satanisches sehen, Unmögliches, so sollt ihr das jetzt als das Gegebene glauben. Wir sind nicht auf dem festen Boden der Tradition verankert. Wir haben keine Schlösser und Ahnengalerien. Wir sind nicht Fronvögte gewesen viele hundert Jahre. – Keiner von uns hat Pan erlebt, wie Ihr auf Euern Wiesen und Wäldern. Unser harter Gott ist der Stein. Kein Halm kann blühen auf seiner Hand.« Der Schweiß stand auf seiner Stirn. Sein Atem keuchte. »Wir haben unser Boot abgestoßen. Wir schiffen frei zwischen Leben und Tod. Das Ufer mit den Lichtern und mit den Menschen liegt weit. Alles, vor dem bis jetzt auf dem Bauch gelegen worden ist, bestreiten wir. Wir kennen die Bürger nicht mehr. Und Ihr« – er fuhr zu Amey herum. Es schien, als taumelte er. »Ihr habt jetzt lange genug an den Fettöpfen gesessen und Kultur gemacht. Solange bis sie sich selber wieder auswürgt. Nee. Is nich. – Alles das ist zu Ende. Ganz was andres muß anfangen. Jenseits« . . . Er sah aus wie mit Blut bedeckt. Entformt. Und zugleich wie hoch über ihn hinausgerissen, hinein in eine Welt anderer, fremder und werdender Gesetze.

»Oh!« sagte Amey. Sie wollte aufstehen. Sie wußte gar nicht, daß er sie beschimpfte. Sie sah nur den unsäglich leidenden Menschen. Brachen nicht die Peitschenschläge, die er gegen sie geführt hatte, an seinem eigenen Leibe in dunkeln Wunden auf? – Wie war das alles geschehen? Warum? Sie sah sich um. Sie hatte keine Gewalt über ihre Glieder. –

Ehe die Bronklava um den Tisch mit der feinen Decke herum zu dem jungen Menschen getreten war, der wie ein Fakir am Übermaß seiner Inbrunst zu ersticken schien, hatte der rote Peter sich bereits zusammengerissen. Er klirrte an der altmodischen Kommode, auf welcher die Senschu Kwa-non stand, vorüber. Im nächsten Augenblick hörte man ihn draußen auf dem Flur.

Die Tür krachte. Er war fort ohne Lebewohl. – – – –

 

An diesem Abend war es Amey unmöglich, in der Pension zu Tisch zu sitzen. Das Fieber kam wieder. Wie an jenem Abend nach der Friedrichstraße.

Sie konnte auch nicht zu Bett gehen. Sie hatte den seidnen, weichen Kimono übergeworfen und lag auf ihrer Couchette. Das warme Licht der kleinen, goldfarbenen Schirmlampe entkleidete den ursprünglich unpersönlichen Raum, der nach und nach im Duft und in tausend Kleinigkeiten einen zarten Abdruck von Amey empfangen hatte, jedes letzten Pensionsmäßigen. »Was ist geschehen?« dachte Amey. Die Bronklava hatte sie nicht fortlassen wollen nach dem grellen Schluß dieses Nachmittags. Aber irgend etwas trieb Amey: Angst, Unrast, ein Drang. Hatte sie diese Begleitung von Dr. Vernow gefürchtet oder gewünscht? Sie wußte es nicht. Alles war wirr und aufgerührt. Es war gut gewesen, daß der Professor und Marsyas gebeten hatten, sich anschließen zu dürfen. Der Japaner einzig blieb bei der Bronklava, wie er an jedem Montag zu tun pflegte. – Man war zuerst zu Fuß gegangen. Amey hatte gemeint, die Luft würde ihr gut tun. Durch diese aufgeschreckten Straßen waren sie gegangen, die selbst der Abend ihrer grellen Zerrissenheit und hoffnungslosen Trauer nicht zu entkleiden vermochte. Die schiefen Häuser standen plötzlich wieder vor Amey. Sie ertrug dieses alles nicht mehr. Man winkte einem Taxameter. Mit unbedeutenden Worten, die den Versuch machten, zu scherzen, und unter deren dünner Decke jeder seine Seele fragen und sein Blut brausen fühlte, fuhr man durch dieses Berlin. Am Ziel fragte Dr. Vernow, wann er kommen dürfte und die notwendigen Erklärungen bringen. Er fragte, als gälte es nur den Zeitpunkt für ein längst Besprochenes festzusetzen. Amey hatte ihm den folgenden Nachmittag erlaubt.

Während Amey ruhte, empfand sie wieder den Blick dieser tiefgelagerten und geschliffenen Augen, aber daneben standen plötzlich zwei knochige, zornige Hände, als ob sie sie würgen wollten, und der ganze Haß und die Empörung des roten Peter fiel wieder über sie her. Und nun – oh – es waren garnicht seine Hände, sondern die armen, froststarren Finger des Mädchens . . . »Wie seltsam«, dachte Amey, – auch sie hatte rote Haare und dieses Anziehende und Abstoßende zugleich. Auch sie wollte mir weh tun bis ins Herz! Die Tränen stürzten Amey plötzlich aus den Augen. »Warum ist dies alles? Hab' ich Schuld?« Sie richtete sich jäh in die Höhe. Der Handspiegel in der kostbaren silbernen Fassung klirrte auf die Erde. Er lag in tausend Splittern. Amey sah den Splittern hinterdrein. »Aller Schönheit Ende«, sagte sie. – Aber dann wendete sie sich wie gleichgültig von ihm fort. Bilder drängten sich. Sie erschütterten sie. Sie sah tropfende Linien, zackige und zerrissene. Jemand sagte: »Schmerz und Raserei und Inbrunst und Gier.« Sie schauderte. Sie drückte die feinen geballten Hände in die Schläfen. Etwas kreiste um sie. Sie wurde fortgerissen ins Uferlose. »Sie leiden!« sagte plötzlich eine Stimme. Amey lächelte. Sie spürte diesen feinen, glühenden Punkt inwendig wie das Herz ihres Herzens. – Sie streckte die Knie aus, die sie hochgezogen hatte. Alles, was wie Ketten einschnitt, wurde weich und weit. Jetzt wagte sie den Sprung. Getragen von einer Kraft außer ihr, schwamm sie dahin in den rosigen Nebeln des Uferlosen und Entformten, wo allein das Wesen, die Kraft und die Liebe sich wußten. – –

Am folgenden Tage frühzeitig kam die Bronklava. So dünn und gestaltlos sie war, kam sie dennoch wie ein weiches, warmes Federbett.

Amey hatte die Augen geschlossen, während die kleine Dame in ihrer Papageienjacke um sie hantierte mit Kissen, Kakao, Kölnisch Wasser und einem riesenhaften zinnernen Bettwärmer, den sie in einem Koffer aus ihrer Wohnung mitgeschleppt hatte. Amey öffnete plötzlich die Augen. Sie schlang der Bronklava die Arme um den Hals. »Mütterchen«, sagte sie. – Im Gesicht der Malerin mit den markanten und zugleich hilflos kindlichen Zügen ging etwas vor. »Alle Formen des Anhangens sind Leiden!« sagte die Bronklava plötzlich mit starker Stimme. Sie schüttelte abwehrend ihre kurzen Pagenlocken, als ob sie sich vor einer wahren Teufelei beschwören müßte. Aber irgendein feiner Kitzel schien ihr in Augen und Nase geraten. Sie mußte niesen, derart erschütternd und wiederholt, daß der Kakao in fröhlich braunen Wolken auf und davon ging. – Amey bebte vor Lachen. Ihr seidner Kimono, ihr gelöstes Haar mit den Sonnenflecken, die feinen schaumigen Spitzen ihrer Wäsche, die überall hervordrängten, alles zitterte in diesem Lachen. Die Bronklava schneuzte sich in Trompetenstößen. Aber sie mußte sich beeilen. Denn Amey wollte durchaus noch einmal die Arme um ihren Hals schlingen. Da ergab sich die kleine Malerin und ließ sich liebkosen und ihre Tränen ruhig überfließen. Vielleicht war sie ihrem seligen Endziel, dem Erlöstsein von allem Anhangen durch dieses Abirren wieder um die Länge einer Existenzdauer ferner gedrückt. Wohlan – so mußte sie das auf sich nehmen. Die Ernte dieses Tages erschien durch die Mühsal einer neuen Inkarnation nicht zu teuer erkauft.

Am Nachmittag kam Doktor Vernow.

»Ich war zum erstenmal um diese Zeit dort, wo wir uns trafen.« Er hatte die Tür kaum geschlossen. Er schleuderte die Worte hin, wie jemand eine unerträgliche Last von sich wirft. »Haben Sie Dank!«

Er hob die Hand Ameys zum Munde. Seine Augen trafen das blaue W. Er stutzte einen Moment. Es sah aus, als bitte er wortlos. Aber dann küßte er doch Ameys Hand, wie es üblich ist.

»Was bedeutet dieses?« fragte er.

Amey, die sich in einem heimlichen Nein verstanden und so demütig gehorsamt fühlte, ließ ihm die Hand. »Das Wunder«, sagte sie leise. – Sie lächelte zärtlich.

»Das Wunder?« Thomas Vernow sah sie an. Sie hielt seinem Blick stand, und ihr Ausdruck veränderte sich nicht. »Das Wunder!« sagte er noch einmal versonnen und mit einem glücklichen Ausdruck. Dann legte er ihre Hand wie etwas, das für sich allein lebte und das ein Unersetzliches bedeutete, in ihren Schoß zurück.

»Und nun sind Sie krank?« Seine Stimme wurde schwer. »Ich wußte es. Dieses alles ist schuld.« Er machte eine Armbewegung, als stände dieses alles draußen. »Wir hier, wir gehen zugrunde am Streit und Argwohn, und an der großen Not zwischen dem Morgen und Gestern.« Er strich über die Stirn. Seine geschliffenen Augen waren schon wieder erfüllt von den großen Müdigkeiten.

»Aber nein«, rief Amey. Sie sprang von der Couchette so heftig, wie jemand ins Wasser springt, mit dem ein kostbares Leben kämpft. »Nein.« Sie bebte, wie sie vor Thomas stand. »Ich kann den Kampf nicht aufgeben. Dies alles verstehe ich nicht. Es ist über mich hergefallen wie ein fremder Feind. Ich muß ihn kennen!« . . . Es zuckte plötzlich um ihren Mund, wie das Weinen kleiner Kinder: »Ich bin immer geliebt worden«, sagte sie.

Thomas Vernow ballte die Hände. Er sah plötzlich zuckende Kurven, verschlungene Knäuel – die Linien, von denen Marsyas gesprochen hatte. Er sah fieberndes Rot und dunkeln, brünstigen Purpur. – Ihm schwindelte. Aber zugleich knirschte etwas in ihm. Er mußte etwas erdrosseln.

»Oh!« sagte Amey. »Sie leiden!« – Sie schwieg. Sie hörte ihren eigenen Worten nach. Hatte nicht jemand anders . . .? Ihr Gesicht wurde hell. Stand sie nicht in der Sonne? Sie hob leicht die Hand. Ja, so in der Sonne, überfließend von Segen, erhob sich leicht ihre Hand zu Thomas Vernow. – Er seufzte auf. Alles, was ihn eben noch gepeinigt hatte, war versunken. Alles war Blau und Gold, und der Raum schien erfüllt vom keuschen Geruch der Frühlingswälder.

»Nichts«, stammelte Thomas Vernow. »Nein. – Erlöserin.« Er kniete vor Amey. Wie der Mann vor dem Weibe kniet in der Gruppe, die Sinding Adoration nannte. Ausgelöscht in seinem Sich-Wissen. Zusammengerafft in der Gnade der großen Leidenschaft. –

Ein leises Beben ging durch die Gestalt Ameys. War dies das letzte Geheimnis? Sie konnte ihre Gedanken nicht erjagen. Ach – sie stand noch immer weit fort in der Sonne. Überfließend von Segen. Ihre Hand lag auf dem Haar von Thomas Vernow. Das blaue W ruhte auf seinem Haar. Und Thomas Vernow weinte an ihren Knien – ohne Reue und ohne Scham. – – – – – – –

 


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