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VIII.

Der Fall hatte sich weniger herumgesprochen, als ich dachte. Alles hatte sich innerhalb von anderthalb Stunden abgespielt, und so hatte Frau Kunde, die sonst schnell beflügelt ihre Arbeit zu tun pflegt, noch nicht recht Zeit gefunden, umherzufliegen.

Am andern Tage war alles im alten Gleise, denn das ewig rauschende Berlin mit seinem Wogenkampf des Lebens flutet über alles mit Gleichgültigkeit hinweg. Nur der Sturm rüttelt es auf und dann auch nur auf Stunden und höchstens auf einen Tag.

Als ich am Vormittag meine Krankenbesuche machte, redete mich ein Herr mit den Worten an: »Ich denke, Sie sind tot!« Ich erwiderte lachend, daß ich mich wieder besonnen hätte, und er lachte von Herzen mit.

Zum erstenmal seit langer Zeit benutzte ich nicht meinen Wagen. Ein Widerwille gegen meinen Kutscher hatte mich erfaßt, so daß ich mir vorgenommen hatte, mich von ihm nicht mehr fahren zu lassen. Bevor ich ihn ablohnte, sollte er noch einige Tage bösen Gewissens haben, und inzwischen würde Ersatz geschafft worden sein.

Nun, da eine neue, und zwar wohlige Nacht hinter mir lag, war mein Kopf außerordentlich klar geworden. Tote Dinge wurden in mir wach: der Schrei meiner Frau, ihr anfänglicher Schmerz, das weinen, das Schluchzen meines Jungen – alles, alles!

Auch das seltsame Beileid der dicken Hauswirtin war in meinem Gedächtnis wieder munter geworden, und zwar seit dem Augenblicke, als sie sich zum zweiten Male sehen ließ – es war noch am Nachmittag desselben Tages – und ihre »Gratulation« anbrachte. Sie gratulierte wirklich, wie zu einem Geburtstage. Und ich sah noch ihr verblüfftes Gesicht, als ich ihr mitten in die Wortparade fuhr mit der Bemerkung, daß es nun »vorläufig« bei nur zwei Witwen im Hause bleiben müsse. Sie wurde sprachlos und empfahl sich rascher, als sie gekommen war.

Nur ein Glied fehlte in dieser Kette, und das war die Unterhaltung mit dem Liebhaber meiner Frau, hier schwand meine Gewißheit und verirrte sich wieder in das Reich des Unbestimmten. Alle meine Träume fielen mir ein, die paradiesisch-schönen Schlafbilder mit dem Zauber unbekannter Welten, wo meine Augen sich nur berauschten, wo ich schwebte, nur in stummes verzücken geriet, die Farbenpracht mich in Wonne wiegte, kein Laut aber an mein Ohr drang. Und so erschien mir auch jene widerwärtige Szene wie plötzlich heraufbeschworen als düsteres Gegenstück, in Grau verwoben mit den lichten Bildern.

Ich redete mir wenigstens mit Gewalt ein, daß es so und nicht anders sein konnte. Wie hätte es auch in Wirklichkeit stattfinden können! Wie hätte meine Frau mich jemals betrügen können, mich, den besten aller Männer (ich maßte mir wenigstens an, es zu sein), der ich ihr meinen Namen, ein behagliches Leben gegeben hatte, der ich der Vater unseres Knaben war.

Ich ging die ganzen Jahre unserer Ehe zurück, mit ihren Freuden und auch kleinen Leiden; ich zermarterte mir das Gehirn, um irgendeiner Veranlassung nachzuspüren, die sie zur Untreue gegen mich hätte verleiten können, ich führte mir im Geiste alle Männer unserer Bekanntschaft vor, um zum Scheine irgendeines Beweises zu kommen – es blieb nichts hängen zu ihrer Belastung.

Verkehr hatten wir wenig, und der, den wir pflegten, bestand aus einigen Familien, in denen die Verführung nicht zu suchen war. Die paar offiziellen Diners, die ich mitmachte, waren Fachsimpeleien mit Ausschluß von Damen. Dann kam ein Abfütterungsabend bei mir, in der Regel gleich nach Neujahr, wozu ich meine näheren Bekannten einlud, quasi, um einen Strich durch die gesellschaftliche Verpflichtung zu machen und über die »Gegenleistung« zu quittieren. Kleinere familiäre Zusammenkünfte konnten nicht gerechnet werden.

Das höchste, was wir uns an Vergnügungen leisteten, war das Ballfest der Presse, das wir seit einigen Jahren regelmäßig mitzumachen pflegten. Irgend etwas Außergewöhnliches mußte ich meiner Frau gönnen, und so konnte sie dort ihr Ballkleid mit Stolz spazieren führen und dabei ihre Schultern und Arme zeigen, die sich »sehen« lassen konnten, wie der unverbesserliche Schopp meinte.

Ich ließ auch die Bekanntschaften, die wir dort flüchtig gemacht hatten, in meinem Gedächtnis neu erstehen, ohne in meinen Vermutungen weiter zu kommen.

Es mußte so sein: während ich ihre Stimme vernommen hatte, war ich jedenfalls eingeschlafen, und so hatten die bösen Geister sich meiner bemächtigt und mir ihr dunkles Schattenspiel gezeigt.

Diese Selbstberuhigung dauerte jedoch nicht lange, dann gestalteten sich diese Schlafgeister zu Dämonen der Wirklichkeit und hielten mir ein Stück Leben vor. Das Mißtrauen reckte sich empor und brachte mich auf Dinge, denen alles Traumhafte abgestreift war.

Weshalb sollten alle übrigen Gespräche Wahrheit sein, nur dieses eine nicht? Stimmte nicht alles: unsere Reisepläne, der Besuch von Tristan und Isolde, und später das Zusammensein in der Weinstube? Sollte mir der Traumgott alle diese Dinge nur vorgegaukelt haben, um sie in Verbindung mit meinem Nebenbuhler zu bringen?

Nein, nein – es war Wahrheit, schreckliche Wahrheit! Mein Ohr hatte mich nicht betrogen. Alles, was ich gehört hatte, hatte Irma wirklich gesprochen. Es war nur die andere, die bisher in ihr geschlummert hatte, und die nun, da sie mich gestorben wähnte, mit häßlichem Ausdruck erwacht war.

Ich hatte es an diesem Vormittag nicht eilig mit meinen Besuchen, denn so schwerfällig mein Gedankengang war, so langsam waren auch meine Schritte. Mochten die Kranken auch einmal warten, wo ich ein Seiden mit mir herumschleppte, gegen das ich selbst im Augenblick schwach war.

Brütende Hitze lag in den Straßen, durch die das betäubende Leben der City zog. Der rote Koloß des Rathauses erschien wie in Blut getaucht, und der blendende Asphalt bog sich unter den Hufen der Pferde. Die Omnibusse schwankten, die elektrischen Wagen heulten, mächtige Lastfuhrwerke durchrollten die Fahrdämme, und die Eisen der Pferde klapperten und sprühten Funken, sobald die Kutscher straff anzogen. Dazwischen das anhaltende Läuten der Straßenbahnen, das Klingeln der Dreiräder, das ewige »hoho« der Pferdelenker, das in Fluchen und Schimpfen ausartete, wenn Zwei sich nicht aus dem Wege fuhren.

Und dieses Getöse, das die Häuser erzittern machte, war begleitet von dem dumpfen Massentritt der Menge, die vorwärts und rückwärts flutete, unaufhörlich, wie losgelöste Punkte eines ungeheuren Körpers, die sich am Tage durcheinanderschlangen, sich häuften, sich wieder lösten, in langen Reihen toll durcheinanderwirbelten, am Abend sich immer mehr verkrümelten, bis sie sich nachts wieder zusammenfanden zu dem vieläugigen Häuserriesen, der sie in seine Arme nahm, um sie am andern Morgen wieder loszulassen.

Tausend Sinne vereinten sich zu einem großen Wunsch: kämpfen, um zu genießen, rücksichtslos vorbei am lieben Nächsten, wich er nicht aus, dann über ihn hinweg. An solchen heißen Tagen, wo die Straßenfronten im weißen Licht der Sonne die Hitze von Backöfen ausströmten, erschienen mir die Menschen immer wie schleichende Zinnfiguren, die befürchten, nach und nach zu schmelzen.

Und ich schlich ruhig mit. Es war mir ein Genuß, mich so langsam dörren zu lassen und dabei die Gedanken zu spinnen, die mir auch im Innern noch brennende Qual verursachten. Fortwährend dachte ich an meine Frau, an dieses Geschöpf, das mir immer wie ein großes Kind vorgekommen war und das nun plötzlich den Abgrund seiner Seele gezeigt hatte.

Endlich entsann ich mich einer alten Dame, die mich zu sich gerufen hatte, und so bestieg ich das Verdeck eines Omnibusses. Ich wollte mir einmal die Welt von oben betrachten, vielleicht, daß dann größere Ruhe über mich käme.

Und während ich, eingekeilt zwischen den Fahrgästen, dem Nordosten zusteuerte, die Häuser mit ihren Riesenscheiben und ihrer Musterkarte von bunten Schildern, die in ihrer Entfernung wie hingeworfene Farbenspritzer wirkten, an mir vorüberziehen ließ; während das Gewimmel unter mir ameisenartige Gestalt annahm, das Rollen, Klingen und Lärmen wie die Brandung um eine schwimmende Insel sich ausnahm, auf der ich nun in Sicherheit sei – klang mir die Stimme des Unbekannten in den Ohren wieder und verließ mich nicht. Sie stieg aus dem Getöse empor, hob sich scharf und klangvoll von dem Summen und dumpfen Grollen des Millionenungeheuers ab, gleichsam, als wollte sie mir zurufen: »Ich bin da, ich verfolge dich, um dich zu peinigen, dir die Ruhe zu nehmen, an die ewige Unvollkommenheit des Menschen zu denken.«

Wer war er, wie hieß er, wo war er zu finden? Reckte er soeben unter den Tausenden da unten den Hals nach mir empor, sah er mich, lächelte er vielleicht, den geheimen Gedanken mit sich forttragend: »wenn du wüßtest, was für ein süßes Geheimnis mich mit deinem Weibe verbindet?«

Und plötzlich mischte sich mit seiner Stimme diejenige meiner Frau mit ihrem Schwanken zwischen Schmerz und Freude. Es war mir jetzt, als vernähme ich jedes Wort ihrer Unterhaltung: seinen Zynismus, ihre Vorwürfe, denn wieder sein Liebesgirren, und endlich den Widerhall erstickter Küsse.

»Was sind Weiberschwüre! Chloroform der Seele; die Sinne opfern immer wieder.« So ungefähr hatte er gesagt. Und die Worte kamen mir nun vor, als enthielten sie auch bittere Wahrheit für mich.

Es gab eine schnelle Lösung: ich sagte ihr einfach alles ins Gesicht, zwänge sie zu einem Geständnis. Und die Folgen? Trotz der Hitze packte mich ein kalter Schauer, und ich brach mit Gewalt den Gedanken daran ab. Die Furcht, mich lächerlich zu machen, rang mit der Scham vor mir selbst. Es wird immer so sein bei reinen Gemütern: sie scheuen sich, das Gemeine zu berühren, aus Angst, es könnte doch so sein, wie sie annehmen, und sie müßten sich dann schämen statt des andern. –

Auf dem Rückwege, schon in der Nähe meiner Wohnung angelangt, bannte ich meine Schritte. Ich wußte, daß das Mittagessen meiner zu Hause harrte, aber ich hatte heute eine unüberwindliche Abneigung, mit Irma an einem Tische zu sitzen. Und so ging ich in die Weinstube des Ratskellers und speiste für mich allein. So konnte sie denken, ich hätte mich wie so oft verspätet.

Es war seit einem Jahre nicht passiert, daß ich die häusliche Kost verschmähte. Mit einer gewissen Wehmut saß ich zuerst an der Tafel, dann aber, nach dem ersten Glase Roten, wechselte die Stimmung, und schon nach dem zweiten nahm ich mir vor, alles so zu nehmen, wie es käme.


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