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Kapitel 252

Gleichnis vom strenggerechten König, den schließlich die Liebe überwindet

Am 24. September 1850

1 Spricht der Offizier: »O Vater! viel zu viel Gnade für uns arme Sünder! Wie aber können oder sollen wir Dir je zur Genüge danken können für solche Gnade? Was sollen wir tun? Wie sollen wir es denn anstellen, um solcher Gnade würdiger zu werden?« – Sage Ich: »Freund und Bruder! Ein mit Liebe zu Mir erfülltes Herz ist Mir der größte und vollkommenste Dienst, den Mir zu Gefallen ein Mensch tun kann. Ich sage dir, bei Mir reduziert sich am Ende alles auf die Liebe.

2 Es war einmal auf der Erde ein mächtiger König, in allem seinem Tuen und Lassen unerbittlich streng und gerecht. Nie nahm er ein Wort, das er einmal ausgesprochen hat, zurück. Sein Volk gehorchte ihm aus Furcht, da es wohl wußte, daß bei ihm jedes Vergehen strenge bestraft wird ohne allen Unterschied des Standes; aber von einer Liebe zu solch einem allergestrengsten Herrscher war wahrlich keine Rede. Man lobte wohl seine unbestechlichste Gerechtigkeit, aber dennoch scheute sich alles vor ihm und zitterte und bebte, so er den Richterstuhl bestieg. So wie aber dieser König beschaffen war, waren es auch seine Beamten; die übten das strengste Recht; aber von einem Nachlasse irgend einer Strafe war da nie eine Rede.

3 Es befand sich aber in der Stadt auch ein ganz einfacher Mensch, der sich mit allerlei nützlichen Wissenschaften abgab und hie und da auch so manches an's Tageslicht brachte, das den Menschen gar manchen Nutzen bereitete. Ein Gebot des Königs aber bestand darin, daß da ein jeder Künstler oder Gelehrte alle seine Werke eher dem Könige zur Prüfung unterbreiten solle, damit nicht etwa irgend etwas unter's Volk käme, was bei unkundigem Gebrauche solch eines Werkes demselben einen Schaden physisch oder moralisch bringen könnte. Dieser Mensch aber wußte kaum, daß da ein solches Gesetz bestehe und brachte daher ohne Vorwissen des Königs mehrere seiner sehr nützlichen Werke unter das Volk, das da nicht unterließ, den Künstler zu loben über alle Maßen.

4 Es kam aber das auch dem Könige zu Ohren und dieser sandte sogleich seine Diener hin und ließ gefangen nehmen den Künstler und ihn bringen vor des Königs Richterstuhl, um ihm hier das gemessene Gesetz vorzulesen und zugleich auch die auf solche wissentliche oder unwissentliche Übertretung gelegte Strafe. Nach der Diktierung der Strafe warf sich das anwesende zahlreiche Volk vor dem Könige nieder und bat ihn, bei diesem Manne, der so viel Gutes und Nützliches in's Leben rief durch seine Talente und Geschicklichkeiten, Gnade für Recht ergehen zu lassen; aber es half nichts; des Königs Wort war wie ein Fels unbeugsam.

5 Da das Volk durch sein dringend Flehen beim Könige aber nichts ausrichtete, so fing es über die Härte des Königs laut zu murren an und bedrohte ihn wohl gar in großer Masse. –

6 Da stand der einfache nun zur Strafe bestimmte Mensch auf und sprach: »Großer, gerechtester König! gestatte mir nun, bevor ich in meine wohlverdiente Strafe abgeführt werde, einige Worte an dies dein aufgeregtes Volk zurichten.« –

7 Der König gewährte dem der Strafe Verfallenen diese Bitte und dieser sagte zum Volke: »Liebe Freunde und Brüder! murret nicht über euren für euer Bestes über alles besorgten Vater. Meinet ihr denn, daß er seinetwegen so strenge und gerecht ist? O ihr irret euch darin aller äußerst mächtig! Aus zu großer Liebe zu euch ist er in allem so strenge. Ich habe euch zwar Gutes erwiesen; ihr habet es anerkannt und seid mir nun dafür dankbar. Ich hätte euch aber auch Gift für Balsam verkaufen können; ihr hättet es anfangs nicht erkannt und hättet euch damit weidlichst töten können. War es bei mir auch durchaus gerade kein böser Wille, des Königs heilsames Gesetz zu übertreten, so war es dennoch eine sträfliche Fahrlässigkeit, daß ich mich nach dem heilsamen Gesetze so wenig erkundigt habe, und habe dadurch nicht geachtet des weisen und guten Vaters Liebe und Sorge für's Wohl seiner Kinder; und so trifft mich die Strafe ganz gerecht. Lobet und liebet darum den weisesten König, als euren für euer stetes Wohl nur zu ängstlich besorgten Vater; so werdet ihr dadurch ihm den besten Tribut in euren Herzen zollen.«

8 Sich zum Könige wendend: »Dir, du guter weiser Vater deiner Völker, aber danke ich mit dem liebeerfülltesten Herzen für diese gerechte Strafe. Mein Auge sagt es dir, daß ich dich liebe mehr denn mein Leben! Erlaube mir zuvor noch, bevor ich den verdienten Kerker besteige und im selben die verdiente Zuchtrute über meinen Schultern verkoste, aus großer Liebe zu dir den Saum deines Gewandes mit meinen Lippen zu berühren und mit den Tränen meiner großen Liebe zu dir zu benetzen!«

9 Hier steht der König auf, öffnet seine Arme und sagt: »Mein Sohn! in deinem Munde bewegt sich keine Schlangenzunge, denn dein tränenfeuchtes Auge und dessen ernstsanfter Blick ist mir ein getreuester Bürge, daß du mich aus allen deinen Kräften liebest. Komme her in meine Arme; die Liebe bedecket die Menge der Sünden! – Mein Herz ist nun auch voll Freude, aus meinen vielen Kindern einmal eines gefunden zu haben, das in mir den liebenden Vater erkannt hat. Weil du mir mit Liebe entgegenkamst, so sollst auch du bei mir Liebe gefunden haben. Anstatt dich zu strafen nun, sollst du mit königlichen Ehrenkleidern angetan werden und wandeln an meiner Seite.«

10 Siehe nun, du Mein lieber Bruder! Gerade also ist es auch bei Mir. Jedes Meiner Worte bleibt zwar ewig unwandelbar in dem Bereiche Meiner Ordnung und Weisheit; aber wer durch die Liebe zu Mir kommt, dem wird alles nachgesehen; denn – bin Ich schon in der Weisheit ein Diamant, so bin Ich aber in der Liebe dennoch weicher wie Wachs und lasse sehr mit Mir handeln!« – –


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