Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Zweites Kapitel.

Der alte Herr Meier hatte nahe bei der Stadt ein hübsches Häuschen, welches in der Mitte seines geräumigen Gartens lag. Er hatte es für seinen Sohn bauen lassen, in der Absicht, daß er sich mit der Zeit ein holdes Weib gewinnen und mit ihr dort in erfreulicher Umgebung, in den schönen nach Sonnenaufgang zu gebauten Zimmern wohnen und ein erquickliches, ruhiges Dasein genießen möchte. Heinrich aber war bis jetzt unbeweibt geblieben und die Hoffnung, daß er sich zu einer solchen gewünschten Veränderung bequemen möchte, schien immer mehr zu verschwinden. So stand dieses Wohnhaus, die schönsten Sommermonate ausgenommen, wo sich Heinrich manchmal einige Wochen dort aufhielt, fast immer unbewohnt. In diese Wohnung zog dieser jetzt mit seinem Freunde Georg. Die obern Zimmer räumte er ihm gastfrei ein; während er selbst nur das große Zimmer im Erdgeschosse für sich behielt.

Georg fand mit Allem, was er nur wünschen konnte, sein Zimmer ausgestattet und verziert. Schöne Kupferstiche schmückten die Wände, lange gestickte Vorhänge die Fenster, und selbst der bunte Teppich auf dem Fußboden gab dem Ganzen ein zierliches Ansehen.

Von den Fenstern aus konnte er die Aussicht auf die schönen Kornfluren, und von der andern Seite auf das freundliche Städtchen genießen. Nicht minder angenehm war die nächste Umgebung des Hauses.

Eine Quelle, welche unter einem, in der Ecke des Gartens stehenden, Felsenstücke hervorquoll, war in einem mit Steinen sauber ausgelegten Graben an der Einfassung der Beete zur Bewässerung derselben hingeleitet, und weckte mit ihrem geschwätzigen Plätschern den Gesang der Vögel umher in den Baumwipfeln. –

Bald hatten sich Georg und Heinrich zusammen hier eingerichtet. Gewöhnlich ließ Heinrich durch die alte Haushälterin, welche in der Hinterstube jetzt wohnte, Speise und Trank von seiner Mutter herausbringen. Welche glückliche Tage der Ruhe und der Freundschaft gingen den beiden Freunden hier mit heiterem Lächeln vorüber!

Heinrich hatte seinen Freund in mancherlei angenehme Beschäftigungen verwickelt. Einer Menge tüchtiger, munterer Bürgerknaben lehrte er das Zeichnen, in der Schule die Geschichte des Vaterlandes, dem er bei aller Mißlaunigkeit auf dasselbe, mit wunderbarer Neigung anhing. Auch im Garten pflanzten die beiden Jünglinge fleißig und warteten der seltenen Blumen, welche Heinrichs Vater aus allen Orten und Enden allmälig herbeigeschafft hatte.

Der ältere Meier wich fast nicht von Georgs Seite, und Frau Meier klagte nur darüber, daß sie, mehr an das Haus gebunden, nicht immer um den Liebgewonnenen sein konnte.

Die einzige trübe Wolke, welche sich gewitterhaft in dieser Zeit über Georg heraufzog, bildete sich aus einem eigenen Verhältnisse, in welchem er zu Lina, Heinrichs Pflegeschwester, zu stehen gekommen war.

Lina hatte vom ersten Augenblicke, wo ihr Georg entgegen gekommen war, nicht verhehlen können, daß der Fremdling einen unauslöschbaren Eindruck auf sie gemacht habe. Minuten lang konnten ihre blauen, schwärmerischen Augen an seinem Gesichte hängen. Zerstreut und gedankenvoll saß sie immer in seiner Gesellschaft da; und dennoch wich sie ihm mit einer wahrhaft ängstlichen Scheu aus, wenn er sich ihr freundschaftlich anzunähern suchte. Selten, und nur dann, wenn sie Georg nicht im Garten vermuthete, ging sie hinaus zu ihren vielgeliebten Blumenbeeten.

Wie aber auch Georg seine Empfindungen zu bekämpfen suchte, so konnte er es dennoch sich nicht abläugnen, daß, wenn er je wieder ein Weib lieben könnte, Lina die Einzige sei, welche über ihn Alles vermöchte. Aber er trug sein wunderbares Traumbild zu treu im Herzen, als daß er je hätte wanken können.

Er hatte sich angelobt, an die Verrathene und Verlorene ewig allein und liebend zu denken. Daher kam es, daß er, diesem liebenswürdigen Mädchen gegenüber, starr, kalt und unempfindlich schien.

So vermieden sich in seltsamer Verirrung diese beiden, für einander geschaffenen Seelen. Nur an festlichen Tagen, wo die übrige Gesellschaft der jungen Leute häufig in dem Meierschen Hause in der Stadt, oder bei Heinrich im Garten, versammelt war, trafen die Beiden zusammen. Alsdann hatte aber Georg mannichfaltige Reisebegebenheiten oder alte Sagen und neue Geschichten der muntern Gesellschaft zu erzählen, so daß an ein näheres Bekanntwerden mit der zarten, schüchternen Jungfrau nicht zu denken war.

An einem klaren Morgen saß Georg mit seinem Freunde unten auf der Grasbank im Garten. Er spielte gedankenlos auf der Laute.

Lina war herausgekommen, um Levkoi und Reseda zum duftenden Strauße zu brechen. Wie die schlanke Gestalt des Mädchens, im weißen Gewände, ein blaßrothseidenes Band um den Leib geschlungen, mit dessen langen Enden der Wind spielte, durch die Blumenbeete dahinschwebte, suchten ihn auf einmal die lang und schwer bekämpften Gefühle, welche ihn zu der Liebenswürdigen hinzogen, zu überwältigen.

Ei griff stärker in die Saiten und sang leise vor sich hin:

Es bricht im Fliederstrauche
Gleich blauen Flämmchen vor,
Der Duft vom Blüthenrauche,
Steigt in der Luft empor.

Zu all den lichten Räumen
Der scheuen Lenzeslust
Stieg gern das alte Träumen
Hervor aus meiner Brust.

Wie schwer hab' ich gerungen
Mit meines Herzens Leid;
Doch bleibt es unbezwungen
Zu solcher Frühlingszeit.

Bevor noch Georg dieses Liedchen ausgesungen hatte, war Lina zum Garten hinausgeschlüpft.


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