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Sechstes Kapitel.

Die beiden nächsten Tagen ließen den Erfolgen, welche die kluge Tante errungen hatte, wenig zu wünschen übrig. Der Doctor war so gelehrig, als sie es wünschen konnte, so liebenswürdig verständig, wie sie sagte, daß ihre Belobigungen nicht ausblieben.

Wirklich, sagte Frau von Graßwitz, als sie mit ihrer Nichte am Kaffetische saß, wir können jetzt mit ihm zufrieden sein. Er hat an Hertner geschrieben ganz wie ich ihm dictirte, voller Betheuerungen unvergänglicher Freundschaft, aber sein Vermögen hat er ganz bestimmt zurück gefordert. Er tröstet sich damit, fuhr sie dann lachend fort, Hertner werde gewiß nicht böse sein, denn er werde glauben, daß er sein Freund bleibe. Ein vortrefflicher Mann, Dein Mann. Jetzt sitzt er in seinem Hinterzimmer seit frühem Morgen bei einigen ungeheuren Büchern und vergißt darüber Hören, Sehen und Denken. Ich habe nur hinein geschaut und ihm gesagt, daß er nicht vergessen möge, daß heut Abend der Ball sei, und daß Du Vormittag noch ausreiten würdest, er Dich also in dem neuen Reitkleide sehen könnte; endlich daß Sternau kommen würde, um wegen des Geldes mit ihm zu sprechen. Er war ganz selig vor Freude, nickte mir wonnevoll zu, sagte ja, bestes Tantchen! und sah wieder in sein Buch. Wir müssen ihm unsere Dankbarkeit beweisen. Die Männer sind einmal so. Ein Lächeln, ein schmeichelndes Wort, thut bei ihnen mehr als die vernünftigsten Gründe.

Bei ihm, erwiederte die junge Frau mit triumphirender Sicherheit, reicht ein Blick hin, um Alles zu erlangen.

Die Tante nickte ihr zu.

Deine Blicke sind aber auch bezaubernd, sagte sie leise mit dem Finger drohend. Ich kenne andere Leute, die das ebenfalls empfinden.

Emma wurde nachdenkend, sie schien zu erschrecken und blickte halb fragend, halb verlegen auf die Versucherin.

Aber Du thörichtes Kind, was machst Du denn für ein ernsthaftes Gesicht? rief die Majorin sie küssend und laut lachend.

Ich habe mir selbst schon Vorwürfe gemacht, erwiederte die junge Frau stockend. Man könnte glauben – Leopold – es ist nicht recht. Er nimmt sich viel heraus.

Dein Verwandter, der Freund Deines Mannes, ein junger, liebenswürdiger Cavalier, der ganz für Dein Alter paßt, fiel die Tante ein. Warum sollst Du Dir nicht den Hof machen lassen, Kind? Das ist ein sehr unschuldiges und angenehmes Vergnügen. Und es wäre ja traurig, wenn eine junge, schöne Frau alle andern Männern fliehen sollte, obenein, wenn sie –

Aber die Menschen, sagte Emma leise.

Welche Menschen? fragte Frau von Graßwitz. Die ordinaire Gesellschaft, der Herr Stadtrath und Consorten, o ja, die haben ihren spießbürgerlichen Abscheu vor allem Höheren und Besseren. – Was soll denn aber eine junge Frau thun, wenn ihr Mann so wenig zu ihr paßt?

O, Tante! flüsterte die Doctorin und ihre Augen flogen scheu durch das Zimmer, als fürchte sie sich vor dem Worte, das sie gehört hatte, wie vor einem Gespenst, das sie umschwebte und seine Hand nach ihr ausstreckte. In ihrem Herzen rief eine Stimme, nein! und eine andere Stimme sagte: ja. Sie wagte nicht zu widersprechen.

Wir müssen uns niemals über uns selbst täuschen, fuhr inzwischen die Tante fort; was wir thun, muß immer mit der nöthigen Besonnenheit geschehen. Leichtsinnige Frauen sind mir fatal; ich vertheidige ihren Lebenswandel nicht, denn gewöhnlich nimmt er ein übles Ende. Wenn jedoch eine unpassende Heirath stattgefunden hat, so darf sich Niemand beklagen, im Fall das Herz unbefriedigt bleibt und einen Ersatz sucht. Lieben wir den Mann, den wir wählen, hängen wir ihm leidenschaftlich an, ist er in unseren Augen ein Heros, dann freilich kommen weder Alter noch Häßlichkeit in Betracht. Ich habe die schönsten, liebenswürdigsten Frauen gekannt, die ihre bejahrten Männer in lächerlicher Weise anbeteten.

Johannes ist gut, sehr gut, sagte Emma, und ich – ich liebe ihn auch.

Die Tante erwiederte nichts, allein sie sah ihre Nichte in einer Weise an, daß diese sich verwirrt abwandte, und eine glühende Röthe ihr Gesicht bedeckte.

Du hast ganz Recht, mein liebes Kind, antwortete sie dann; einen so guten verständigen Mann, den man mit einem Blicke um den Finger wickelt, der so folgsam und so artig ist, muß man auch lieben. Man liebt ja auch ein Schooshündchen, liebt einen Papagei, um so mehr also einen gelehrten Herrn, der sein Glück anerkennt, eine junge, schöne Frau zu besitzen, die er verehrt, wie es sich gebührt, wobei er verständig genug ist einzusehen, daß er bescheiden sein muß.

Ich will Dir etwas sagen, mein Kind, fuhr sie lächelnd fort, etwas was nicht neu ist, aber jedenfalls immer wahr bleibt. Wir können leichtsinnige, verbrecherische, verrätherische Männer lieben, Männer, die den schlechtesten Ruf haben, ihre Laster verschwinden vor uns, aber einen Mann, und wäre er aller Güte Inbegriff, der sich lächerlich macht, den wir um den Finger wickeln können, den liebt kein Weib.

Sie hatte bei diesen Worten die junge Frau umarmt und ihr den Schlußsatz ins Ohr geflüstert. Emma eilte damit fort, sie mochte nichts weiter hören.

Nach einiger Zeit trat sie in das Zimmer ihres Mannes. Da saß er an seinem Schreibtisch versenkt in Betrachtungen über ein großes, gelehrtes Buch, das mit Bildwerken gefüllt war. Er hörte sie nicht, denn er beugte sich über den Folianten, aber sie konnte in seinem Gesicht den Ausdruck freudiger und gespannter Erwartung erkennen. –

Nein, er war nicht schön, er war nicht jung, er war nicht angenehm leicht und beweglich. Seine dünnen Haare fielen wirr auf die breite Stirn; seine groben, starken Züge trugen in ihren Falten die Spuren angestrengter Arbeiten; die Hand, auf welche er den schweren Oberkörper stützte, war nicht schmal und nicht sorgsam gepflegt. In seinem grauen, abgetragenen Rocke, ein Morgentuch nachlässig um den dicken Hals geschlungen, bot er den musternden Blicken der jungen Frau, die sich nachsinnend auf ihn hefteten, nichts dar, was ihr ein freudiges Gefühl erregte.

Sie stand einige Minuten lang nachsinnend und ohne sich zu regen, dann aber hellten sich plötzlich wie von einem Entschluß belebt ihre Mienen auf, und indem sie dicht herantrat und lächelnd über seine Schulter fortblickte, legte sie auf diese ihre weichen Finger.

O! rief er sich aufrichtend voller Freudigkeit, Du bist es!

Freilich bin ich es, erwiederte sie. Aber ich komme wohl nicht zur rechten Zeit?

Immer kommst Du zur rechten Zeit, immer, meine liebe Emma! sagte er; nur jetzt, ja wirklich, – er warf einen lächelnden verlangenden Blick auf das große Buch – jetzt bin ich sehr beschäftigt. Wolltest Du mir etwas mittheilen?

Was beschäftigt Dich denn so sehr? fragte sie.

Das ist etwas ganz Neues, höchst Interessantes! rief er mit großer Lebendigkeit. Es ist ein Werk von dem berühmten Layard, seine Berichte über die Ausgrabungen in Babylon und Niniveh. Das sind wunderbare Entdeckungen, von denen man bisher nichts ahnte; die Trümmer und Reste von Bauwerken, Städten, Tempeln und Palästen, gegen welche Alles, was die neue Zeit hervorbrachte, Kartenhäuser und Kinderspiele sind. Der Kaiserpalast in Niniveh hat mit seinen Bauten mehr Raum eingenommen, als alle Römerpaläste zusammengenommen, und, denke Dir, Niniveh war wenigstens drei Mal so groß, als London jetzt ist. Von diesem ältesten Culturleben der Menschen wissen wir gar nichts, und doch haben sie viele Jahrhunderte lang große Staaten gebildet, Künste und Wissenschaften getrieben, und wunderbare Werke ausgeführt. Ich finde hier neue Beweise dafür, daß Assyrier und Aegypter die Lehrer der Griechen waren, die griechische Kunst sich aus der Kunst dieser ältesten Völker herausbildete. – Es kann auch gar nicht anders sein, fuhr er mit glänzenden Blicken fort, man hat Säulenschäfte und Verzierungen entdeckt, die den dorischen durch aus ähneln und nicht fortzuläugnen sind. Du kannst denken, beste Emma, wie das Alles meine Theilnahme erregt und mich beschäftigt.

Mehr als Deine Frau, sagte sie spottend.

Allerdings, in ihrer Art, das heißt – nun ja, Du weißt wohl, wie ich es meine, erwiederte er. Wo man in vergangene, festverschlossene Jahrtausende blickt, vor denen plötzlich ein Vorhang fortgezogen wird, da ist es verzeihlich, wenn man sich ganz darein vertieft und den Staub der Gegenwart vergißt.

Ich wage als ein solches Staubkorn mich kaum weiter bemerkbar zu machen, fiel sie ein.

O! Du mußt nicht böse sein! bat er ihr beide Hände reichend. Du mußt mir verzeihen, wenn ich wie ein Gelehrter spreche.

Gut, sagte sie, ich will es dem Gelehrten nicht nachtragen, daß er sich lieber mit babylonischen Ruinen, als mit seiner hübschen Frau beschäftigt, aber ich verlange jetzt von ihm, daß er sich wenigstens auf einige Stunden herabläßt mich zu begleiten.

Begleiten? fragte der Doctor. Wohin denn?

Ich glaube, erwiederte sie, daß es schicklicher ist, wenn ich nicht immer mit der Tante allein gehe, und daß es besser ist, wenn Du Deinen Willen dabei doch auch zuweilen geltend machst. Thue es, Johannes; komm, mache Deinen Willen geltend.

Meinen Willen? fragte er ganz erstaunt, als begriffe er nicht, wie sein Wille in Betracht kommen könne. O, fügte er dann freudig hinzu, ich will ja Alles, was Du willst, und die Tante ist eine so kluge Frau, die in allen Dingen Dir den besten Rath geben kann.

Meinst Du? sagte Emma, indem sie ihn anblickte, und wenn er das geringste Weltverständniß gehabt hätte, würde er an dem Klange dieser Worte und an den Lippen seiner Frau warnende Zeichen genug entdeckt haben.

Aber er sah und entdeckte nichts. Die größte Vertrauensgläubigkeit leuchtete aus seinem Gesicht.

Ganz sicher! rief er aus, es ist unmöglich, daß es besseren Rath und Beistand geben kann.

Die junge Frau stand einige Minuten nachsinnend und schweigend, während er ihre Hand. hielt und mit unruhigen Augen darüber weg nach seinem Buche blickte.

Weißt Du auch, sagte sie, daß Leopold, ich meine Sternau, mir heut den ersten Unterricht geben will? Das Reitkleid ist so eben gekommen.

Das ist ja vortrefflich! erwiederte er seine Hände reibend.

Nun meinte ich, fuhr sie fort, Du solltest mit uns in den Park fahren und wenigstens zugegen sein, oder, setzte sie rascher hinzu, ich lasse es auch ganz, wenn Du glaubst, es sei besser. Meinst Du das nicht, lieber Johannes?

Gewiß nicht! sagte er zärtlich, Du hast es ja gern und es soll so gesund sein. Aber ich, meine liebe Emma, ich bin wirklich nicht im Stande Dich zu begleiten, denn ich muß meine Zeit benutzen; ich habe sehr dringende Geschäfte.

Ich müßte mich also Sternau allein anvertrauen, da Du mich nicht begleiten willst.

Der gute Sternau! Er wird alle Sorgfalt für Dich haben, erwiederte der Doctor ohne ihren Blick zu verstehen. Ich will mich besonders bei ihm bedanken, aber begleiten kann ich Dich nicht. Ich bin, wie ich glaube, auch völlig überflüssig dabei.

Sein argloses Lächeln und diese gedankenlose Liebesfreudigkeit, so unfähig einen Zweifel aufkommen zu lassen, würden zu anderer Zeit und unter anderen Beziehungen das Herz der jungen Frau mit Wonne gefüllt haben, jetzt aber verschärften sie die geheime Abwendung ihrer Gefühle und den Streit, der in ihr wühlte.

Sie war hierher gekommen, weil die Tante ihr einen Spiegel vorgehalten hatte, vor dem sie erschrak, denn was sie darin erblickte, wollte sie sich selbst abläugnen und Lügen strafen. Die Ueberlegenheit der Tante hatte sie gedemüthigt; die Blicke, mit denen die kluge Frau die Behauptung erwiederte, daß auch sie ihren Mann liebe, waren in ihre Seele gedrungen wie Diebe, die mit frechen Augen einen Genossen verlachen, der ihnen ins Gesicht behauptet, er sei ehrlich und wahrhaftig. Rücksichtslos hatte die Tante in die dunkle Kluft ihrer geheimsten Gedanken gegriffen, was sie vor sich selbst verbarg ans Licht geholt, ihr gezeigt, daß sie wisse, was sich in ihr rege, und ihren Segen dazu gegeben.

Aber noch erfüllte diese Entdeckung sie mit Unwillen; sie fühlte sich erniedrigt, beleidigt von der gewaltsamen Vertraulichkeit, die sich ihr aufdrängte, eine Stimme sagte ihr, daß die Tante sie damit vollständig beherrschen werde. So gelangte sie zu dem Entschlusse, ihren Mann aufzusuchen, um ihn zur Hülfe zu rufen gegen den Feind in ihrem Herzen. Sie wollte der Tante beweisen, daß sie ihn noch liebe, und er sollte inne werden, was auf dem Spiele stehe.

Gleich bei seinen ersten Worten, bei seinem Empfange, sank ihr jedoch der Muth. Wie sollte sie ihm die männliche Energie geben, die ihm mangelte? Als er mit seinem sanftmüthigen geduldigen Lächeln und den milden, freundlichen Augen sie ansah, wußte sie, daß es unmöglich sei. Obenein aber merkte sie bald, wie sehr er sie fortwünschte, wie die erbärmlichen Striche und Linien in seinem Buche weit größeren Reiz für ihn hatten, als alle ihre Bitten, ihre Einladungen, ihr schmeichelndes Gelächter. Sie sagte es ihm deutlich genug, warum er sie begleiten solle, um sie und sich zu behüten; er antwortete mit dem Bekenntniß, daß er überflüssig sei. –

Sie wandte sich von ihm und ging der Thür zu; er rief sie nicht zurück. Es schien sogar, als habe er ihre Gegenwart vergessen, denn er bückte sich schon wieder über den Folianten. Der Unwille ihres Herzens verwandelte sich in Spott, der tief herauf bis auf ihre Lippen stieg und aus den Blicken leuchtete, mit denen sie ihn anschaute. Wenn Einer ihm gesagt hätte, dieser Sternau will dein Buch stehlen, er würde grimmig aufgefahren sein, alles Andere mochte er nehmen, er blieb gleichgültig. –

Ist das nicht lächerlich? schrie der böse Geist in ihr Ohr. Was kümmerst du dich darüber, was kränkst du dich? hat die Tante nicht Recht? Kann ein Weib solchen Mann lieben?!

Lebe wohl, Johannes! rief sie plötzlich ihm zu.

Er blickte überrascht auf.

O, da bist Du ja noch, meine liebe Emma, erwiederte er so freundlich wie immer. Versäume nur nichts und recht vieles Vergnügen.

Sie lachte hell auf.

Das soll meine Sache sein, sagte sie, indem sie hinaus ging.

 

Eine Stunde darauf kam Sternau zu dem Doctor.

Es hilft Ihnen nichts, lieber Freund, begann er, Sie müssen sich von Ihren interessanten Untersuchungen auf einige Zeit trennen, die gnädige Tante schickt mich her. Sie sollen Ihre schöne Frau sehen, ehe ich sie fortführe, sie sieht als Amazone entzückender als je aus. Vorher haben wir noch fünf Minuten Zeit, um Finanzangelegenheiten zu ordnen. Ich habe alles Nöthige eingeleitet, morgen oder übermorgen sollen Sie das Geld haben. Unterschreiben Sie nur diese Wechsel. In vier Wochen zahlen Sie zurück, bis dahin ist das Capital auf ihr Haus leicht geschafft.

Das sind fünf Wechsel zu tausend Thaler ein jeder, sagte Der Doctor, indem er in die Zettel sah, welche Sternau vor ihn hin legte. Herzlichen Dank, bester Herr von Sternau, allein ich glaube, wir haben nur dreitausend nöthig.

Der junge Herr schlug lachend mit der Reitgerte durch die Luft.

Ja, mein bester Doctor, rief er, bei solchen Gelegenheiten sind die Leute, welche das Geld hergeben sollen, unverschämt in ihren Zinsforderungen. Uebrigens brauchen Sie auch mehr, denn Sie wollen doch das Pferd für Cousine Emma kaufen. Ich habe darauf hin den Handel abgeschlossen. Ein ausgezeichnetes Thier, aber theuer. Alles in Allem müssen wir auf hundert Louisdor rechnen, was auf mein Wort! nicht zu viel ist. Es wird somit doch nicht viel mehr als die nöthigen dreitausend Thaler übrig bleiben. Die Wechsel lauten auf meine Ordre, ich girire sie, wie man es in der Kunstsprache nennt, das heißt verpflichte mich mit Vergnügen ebenfalls, um Ihnen das Geld zu verschaffen. Setzen Sie Ihren Namen hierher, Doctor, Sie wissen nicht damit Bescheid.

Der Doctor wußte jedoch besser damit Bescheid, als Herr von Sternau dachte. Er kannte die Bedeutung des Wechsels recht gut, da er auf seinen Reisen und in seinen Lebensverhältnissen häufig mit solchen gefährlichen Papieren zu thun gehabt hatte, auch war er durchaus nicht so blödsinnig, um nicht auf der Stelle zu begreifen, daß er um eine bedeutend höhere Summe sich versicherte, als er erhalten solle.

Einen Augenblick lang ging ein häßlicher Gedanke blitzartig durch seinen Kopf. Vor wenigen Tagen erst gab er dem aufopfernden Freund ein Darlehn, das dieser eingesteckt hatte, ohne ein Wort darüber zu verlieren; jetzt gab er ihn die fünffache Summe und es stand nicht weniger in seinem Belieben, damit zu machen, was ihm gut dünkte. In der nächsten Minute aber erschrak er beschämt vor diesem schwarzen Mißtrauen. Sternau wollte sich ja sogar für ihn verbürgen; er unterzeichnete daher, so schnell er konnte, und drückte ihm dankbar die Hände.

Ich bin Ihnen sehr vielen Dank schuldig, sagte er, auch Emma, wir Alle. Sie werden am besten wissen, was nöthig ist. Ich vertraue auf Ihre Freundschaft, gewiß, ich habe das größte Vertrauen zu Ihnen.

Die herzliche Güte, mit der er ihn anblickte, hatte etwas Ueberwältigendes selbst für Sternau. Es war, als fühle er Mitleid oder noch mehr als das, als fühle er Theilnahme, allein es blieb bei einer augenblicklichen Regung dazu. In der nächsten Minute war Alles vorüber.

Verlassen Sie sich auf mich, erwiederte er, Sie sollen mich immer bereit finden, Ihnen zu helfen und zu dienen. Sie sind ein Gelehrter, der seine Zeit anders anwenden muß, wie andere Leute, und mit den gewöhnlichen Freuden und Leiden des Lebens so wenig wie möglich geplagt werden darf. Wir wollen Alle dafür sorgen und helfen, daß Sie Ihrem hohen Berufe nicht entzogen werden. Kommen Sie jetzt, bester Doctor, bewundern Sie Ihren Schatz, um den Sie so sehr zu beneiden sind; dann können Sie bis Mittag ganz ungestört arbeiten.

Noch Eines, fuhr er fort, als Johannes ihm freudig zunickte. Mein Schwager hat ihre Abhandlungen gelesen und findet sie ganz meisterhaft. Nur einige kleine Abänderungen will er Ihnen vorschlagen. Wenn er heute Abend mit Ihnen spricht, gehen Sie ja sogleich darauf ein, denn diese Aenderungen sind, wie er behauptet, nothwendig, ehe die Sache an den Minister geht.

Der Doctor erklärte sich gern dazu bereit, und Sternau nahm ihn mit sich fort.

Nur einige Minuten, lachte er, die müssen Sie opfern, dann überlassen wir Sie allen reizenden Göttinnen von Babylon und Niniveh.

Emma erwartete schon im Amazonenkleide und Castorhut ihren säumigen Begleiter und in Wahrheit, die neue Tracht stand ihr ausnehmend gut. In dem knappen dunklen Jäckchen, den Hut über die lang rollenden Locken, mit dem männlichen Anstrich, den Halstuch und Kragen ihr gaben, erhielt das liebliche Gesicht einen Ausdruck größerer Kraft und Kühnheit.

Voller Freude rieb Johannes seine Hände und schaute sie mit glänzenden Augen an. Weil er sie liebte, weil er sah, wie gut sie sich selbst gefiel, weil ihre Blicke ihm auffordernd entgegen kamen und die Tante ihm entgegen rief, ob Emma nicht noch schöner aussehe als das bekannte Bild der schönen englischen Dame, die zur Jagd reitet, darum nickte er mit einem seelenvollen Lächeln ihr zu.

Sie müssen stolz sein, mein Lieber, eine solche Frau zu besitzen! rief die Tante.

Und ich bin auch stolz, sehr stolz! antwortete er, Emma's Hände drückend.

Lassen Sie Emma los, sagte Frau von Graßwitz. Ihre Finger sind schon wieder ganz schwarz, auch haben wir keine Zeit mehr zu verlieren. Geben Sie ihr den Arm, Leopold.

Adieu Johannes! rief die junge Frau mit einem leichten Gruße zu ihrem Gatten zurückblickend.

Er dankte und sah ihr voll inniger Freudigkeit nach. Wie zierlich sie das schleppende Kleid hielt, wie schwebend ihr Gang war, wie ihr voller Arm in Leopolds Arm ruhte! Und welch passender Cavalier war Sternau! Schlank, groß, biegsam, männlich schön und dazu die blitzenden Sporen und das ritterliche Wesen. –

Er stand am Fenster, bis der Wagen fortrollte, denn die Pferde warteten im Park, und als er sie nicht mehr sah, blickte er in den blauen Frühlingshimmel, der in den Himmel seines Herzens sich niedersenkte.

Wie sie sich freut, wie glücklich und froh sie ist! flüsterte er. Und wie mich das entzückt, wenn ich ihre Freude sehe! Sie ist so lieb, so gut, ich habe keinen Namen dafür.

Mit diesen Empfindungen kehrte er in sein einsames Zimmer zurück; auf dem Wege dahin bemerkte er jedoch in einem Seitengemach, dessen Thüre eben von dem alten Peter geöffnet wurde, seine Freundin Marie, welche damit beschäftigt war, Kanten und Kragen sammt anderem Damenputz zu plätten. – Er hatte sie in den beiden letzten Tagen fast gar nicht gesehen, jetzt fiel ihm das ein und er trat näher.

Was machen Sie denn da, liebe Marie? fragte er.

Einige kleine nothwendige Arbeiten für den Ballputz der Frau Doctorin und der Frau Majorin, erwiederte sie.

Für Emma, sagte er. Sie sind immer hülfreich und freundlich.

Die gnädige Frau hat mir die Arbeit aufgetragen, war ihre Antwort, und ich thue es sehr gern.

Wirklich! rief er; ja, ich glaube es Ihnen. Sie thun Alles gern, was Andern Freude macht, und denken nicht an sich selbst.

O! sagte sie, ihre milden Augen zu ihm aufhebend, das thun Sie selbst ja in viel größerem Maße, als Jeder.

Ich – ich! versetzte er lächelnd, das weiß ich nicht; aber nein, ich denke viel mehr an mich selbst, als vielleicht recht ist. Denn sehen Sie, eben heut zum Beispiel habe ich es Emma abgeschlagen, sie zu begleiten, weil ich so gerne zu Hause bleiben wollte.

Dann hätte die Frau Doctorin ebenfalls zu Hause bleiben sollen, antwortete sie, indem sie weiter sich beschäftigte.

Gewiß das wäre auch geschehen, fiel er ein, hätte ich es zugegeben, aber wie sollte ich ihr eine Freude verderben?

Marie erwiederte nichts. Der alte Diener stand noch an der Thür und schien auf etwas zu warten. Er sah trübselig seinen Herrn an, als dieser nach ihm hinblickte.

Nun alter guter Brinkmann, Du bist doch nicht krank? sagte er.

Nein, Herr Doctor, ich nicht, nein! antwortete Peter.

Aber es sitzt Dir etwas Betrübtes im Herzen, fuhr Johannes fort. Was hast Du denn in der Hand? Einen Brief.

Ein paar Worte von mir an den Herrn Onkel, sagte Marie. Er hat sich in einer Angelegenheit an mich gewendet, die eine Antwort erforderte. Dabei fragte er zugleich nach dem Befinden unseres lieben Gotthold, auch darüber habe ich ihm Nachricht gegeben.

Doch gute Nachricht, nicht wahr? Die Tante versicherte gestern, es gehe gut mit ihm, Emma meinte es auch.

Die Frau Doctorin hat das Kind in den letzten Tagen wohl nur sehr flüchtig gesehen, erwiederte Marie, heut gar nicht.

Warum nennen Sie Emma die Frau Doctorin? fragte er, denn jetzt fiel es ihm auf.

Die gnädige Frau Tante wünscht es so, sagte Marie, das Kind aber ist heut wirklich kränker, als es war. Ich bin zwar aus der Kinderstube verwiesen worden, allein ich kann es dennoch nicht unterlassen hinein zu blicken.

Thun Sie es, beste Marie! rief er bittend. Aber es ist doch keine Gefahr? Man muß sich nicht umsonst ängstigen. Die Tante ist eine Frau von großen Erfahrungen, und darin hat sie gewiß Recht; man muß mit einem Kinde nicht zu viel Umstände machen.

Das muß man nicht, antwortete sie. Seien Sie unbesorgt, was irgend geschehen kann, wenn Gefahr eintreten sollte, wird gewiß geschehen.

Ich bin auch ganz ruhig, sagte er ihre Hand drückend, denn wenn ich Sie ansehe, weiß ich, daß nichts zu fürchten ist. Doch Frau Doctorin dürfen Sie Emma nicht nennen, auch nicht im Scherz, nein! niemals. Wir haben Alle unsere Schwächen, beste Marie, fuhr er bittend und lächelnd fort, und wer – ja wer will denn vergeben, wenn es die Gerechten nicht thun wollen!

Er wußte nicht, was er noch hinzufügen sollte. Einen directen Tadel mochte er nicht über die Tante aussprechen, und doch fühlte er, daß sie es sei, welche die trennende Entfremdung der Jugendfreundinnen bewirkte und mit hochmüthiger Hartnäckigkeit fortfuhr die vertraute Gefährtin zu einer Dienerin zu machen, um sie aus dem Hause zu treiben. Es war, als ob er dies Alles erkannte und vergüten wollte, denn er blickte sie voll Güte an und sagte mit dem edelsten Ausdruck:

Emma hat keine solche treue Freundin, wie Sie es sind, und ich, beste Marie, ich achte und ehre Sie höher, als ich es sagen kann. Das ist Wahrheit, volle Wahrheit! Erproben Sie es.

Er entfernte sich, ohne eine Antwort abzuwarten. Marie beugte sich tief nieder.

 

Lange Stunden war er jetzt allein, zerstreuter bei seinen Beschäftigungen, als es früher der Fall gewesen, denn zuweilen richtete er sich von seinen Büchern und Blättern auf, und indem er sich auf einen Arm stützte, sah er starr vor sich hin und strich mit der Hand über seine Stirn, um diese nachsinnend fest zu halten. Allerlei Gedanken durchkreuzten seinen Kopf. Sein Kind fiel ihm ein und einige Male ging er nach der Thür und kehrte wieder um, denn plötzlich dachte er daran, daß die Tante gesagt hatte, es schicke sich nicht, daß ein Mann von Stande in die Kinderstube laufe. Sein Kind werde ihm gebracht werden, wenn er es zu sehen wünsche, Emma hatte das auch gemeint, und wenn die Wärterin erzählte, daß er da gewesen, würde er verhöhnt werden.

Seine Stirn faltete sich, als ihm das einfiel, er gab es auf und arbeitete wieder. Doch nicht lange, so kam ihm das Gesicht des alten Peter wieder vor, wie sonderbar kläglich er ihn betrachtet hatte, und der Brief an seinen Onkel. Eine Unruhe überlief ihn. Was hatte Marie geschrieben? Was war es, was der Onkel wissen wollte? Er stützte sich immer wieder auf den Arm und deckte die Hand auf seine Stirn, bis er über sich selbst lächelte.

O! es ist gewiß etwas Gutes, flüsterte er, was es auch sein mag, und er lächelte dazu; denn es kam ihm vor, als hörte er, wie Marie mit ihrer festen klaren Stimme freundlich ja sagte.

Er fing von Neuem an sich zu beschäftigen; endlich aber war er erfreut, als ihm berichtet wurde, die Damen seien zu Haus und das Essen bereit.

Alles war vorüber, als er bei Emma saß und sich erzählen ließ, wie köstlich das Vergnügen gewesen, und wie vortrefflich es abgelaufen sei. Die gnädige Tante konnte nicht genug rühmen, wie graziös Emma ausgesehen habe, wie sie angestaunt wurde, und wie ein paar Offiziere, die Sternau kannte, sie einige Zeit begleitet und unterhalten hatten. Eben so rühmlich wurde des Pferdes gedacht, das die schöne Reiterin getragen und ihr nun ganz gehören sollte. Es war ein herrliches Thier, echter Araber, wie die Frau Majorin mit Kennermienen sagte, die Offiziere hatten es außerordentlich gelobt, weil sie es genau kannten.

Der gute Doctor hatte mehre Stunden lang das Vergnügen, von diesen Gegenständen fortgesetzt sprechen zu hören, und die Tante hatte einen Plan gemacht, wie das Pferd in das Haus genommen und untergebracht werden könnte, wobei sie auseinander setzte, daß zwei Pferde eigentlich wenig mehr kosteten als Eines, daß eine Equipage doch später für Emma nöthig sei und daß der alte Brinkmann nichts tauge, sondern ein junger rascher Diener nöthig wäre, den Sternau besorgen würde, und welcher die Wartung des Pferdes übernehmen könne.

Der Doctor ließ sich Alles ohne Widerspruch gefallen, nur den alten Diener wollte er nicht opfern, und als zwischen den Damen die Streitfrage verhandelt wurde, was mit dem steifen, halbblinden Mann anzufangen sei, ob man ihn in ein Hospital schicke oder ihm lieber eine kleine Pension gebe, sagte er erschrocken lächelnd:

Ach, ich bitte um Gnade für meinen armen Peter, er wird mich nicht verlassen wollen, und ich will es auch nicht.

Eine enorme Zärtlichkeit! rief die Tante lachend, aber mein Lieber, Sie können uns doch nicht zumuthen, daß wir unnütze und unbrauchbare Leute halten! In Emma's Stelle würde ich ihn längst fortgeschickt haben, und jetzt geht es nicht anders, das werden Sie einsehen, wir haben einen raschen Bedienten nöthig, und ich sagte Ihnen schon, Leopold wird uns damit versorgen.

Sternau wird uns morgen einen vorzüglich brauchbaren Menschen zuschicken, sagte Emma, und die Tante hat Recht, Johannes, es geht wirklich nicht länger mit Deinem alten Freund.

Aber ich weiß nicht, begann der Doctor hartnäckig, Peter ist doch noch recht rasch und –

Hören Sie auf, Lieber, fiel Frau von Graßwitz ein, schon dieser Name ist äußerst lächerlich. Er soll ja nicht auf die Straße geworfen werden, wir werden für ihn sorgen, allein fort muß er. Ich glaube, Emma verlangt dies mit voller Ueberzeugung.

O! sagte er sanftmüthig bittend, das wirst Du nicht thun.

Doch zu seinem Erschrecken antwortete sie ganz wie die Tante:

Allerdings, Johannes, er ist nicht mehr zu brauchen. Du wirst Dich darein finden müssen, fuhr sie unbewegt fort, obwohl ich mir denken kann, wie nahe es Dir geht, denn Du bist ein Mann der Gewohnheiten, und ich finde es ganz natürlich, daß auch diese grauhaarige Gewohnheit Dir lieb ist. – Trösten wir uns gemeinsam, denn ich glaube, daß auch mir ein Verlust –

Sie beendete ihre Worte nicht, denn die Tante gab ihr einen Wink, und der Doctor sah vor sich nieder und schien nicht zu hören.

Wir behalten uns ja, Johannes! rief sie, und ich hoffe noch recht lange, obwohl ich so müde bin, daß ich auf immer einschlafen möchte.

Du darfst nicht länger ruhen, Kind, sagte Frau von Graßwitz; es ist die höchste Zeit, an Deinen Anzug zu denken. Wir haben Sternau versprochen, so früh als möglich zu kommen. Auch Sie, mein Lieber, müssen sich ankleiden, Sie haben Zeit nöthig. Gehen Sie jetzt. Die Sache mit dem Franz zu ordnen überlassen Sie mir nur. Machen Sie sich keine Sorgen darüber, es wird Alles, was gut ist, geschehen.

Der Doctor wagte nichts mehr zu antworten, er war jedoch sehr unruhig.

Er sieht ganz unglücklich aus, sagte Emma, als er hinaus war.

Laß ihn nur, versetzte die Tante, er wird sich beruhigen und morgen überzeugt sein, daß es so sein muß. Mache Dein Haus rein von allen alten Anhängseln des Herrn Stadtraths, sonst hören die Zwischenträgereien nicht auf. Ich habe den alten Schelm in dringendem Verdacht, daß er Rapport über Alles abstattet, was hier geschieht; er sowohl wie seine Gönnerin Marie. Die Kinderfrau hat mir gesagt, daß er einen Brief auf die Post gebracht hat für die Mamsell, und daß der Doctor eine ganze Weile bei ihr gewesen sei. Sie müssen beide fort.

Emma stützte den Kopf in ihren Arm. Sie antwortete nichts darauf, aber sie war damit einverstanden.

Was wollte er denn bei ihr? fragte sie nach einem langen Schweigen halblaut und in sich hinein.

Die Tante blickte sie scharf lächelnd an.

Ich weiß es nicht, erwiederte sie, es schickt sich jedoch allerdings nicht und es ist Zeit, mein Kind, sie muß aus dem Hause.

 

Johannes ahnte von Alledem nichts. Er ging lange Zeit unruhig in seinem Zimmer auf und ab, bis es darüber finster wurde. Es that ihm sehr weh, daß er den treuen Diener fortschicken sollte, noch weher, daß Emma so gar keine Theilnahme für ihn gezeigt hatte. Sie hatte, ohne ihn zu fragen, einen neuen Diener angenommen, den Sternau ihnen ausgesucht. Er fühlte sich darüber gekränkt, aber was sollte er thun? Vorstellungen halfen ja nichts, und das Einzige, was er thun konnte, das verwarf er, denn er fürchtete sich davor.

Aber eben so unmöglich schien es ihm, daß Emma ungerecht und hart sein sollte. O, nein, sie wollte ja für den alten Mann sorgen, und bildete sich ein, es so am besten zu thun. Er nahm sich vor morgen noch einmal mit ihr darüber zu sprechen, sie dringend zu bitten, ihm seinen lieben Peter zu lassen, und das würde sie gewiß nicht abschlagen, nein gewiß nicht!

Mitten in seinen Betrachtungen trat der, um den es sich handelte, mit einem Lichte herein.

Ach, mein Herr Doctor! sagte er erschrocken, Sie sollen ja fortfahren, und der Wagen ist da und die gnädige Frau ist bereit.

O! wirklich, rief Johannes eben so erschrocken, ich habe es ganz vergessen.

Der alte Mann stellte das Licht auf den Tisch, und dicht an seinen Herrn tretend, sagte er leise:

Es ist ein rechtes Unglück.

Der Doctor sah ihn verlegen an und wandte dann die Augen ab. Wir müssen zusehen, wie wir es abwenden, flüsterte er.

Ja, ja! erwiederte der Alte. Sie wissen es also schon?

Ich weiß es, allerdings, die Frau Majorin hat es mir gesagt.

Ach, die – die! rief Brinkmann, Gott verzeihe es mir! die macht sich nichts daraus, die sagt, es ist Kleinigkeit; die fühlt nichts!

Es wird noch Alles gut werden, Peter, erwiederte der Doctor beruhigend. Du mußt nicht so heftig sein. Hilf mir jetzt ein wenig, hole meinen Rock.

Der alte Mann legte seine zitternden Hände auf des Doctors Arm.

Sie sollten uns nicht verlassen, sagte er. Sie nicht!

Ich will auch nicht, Peter, gewiß, ich will nicht! versetzte er unruhig. Aber ich bin – was soll ich zuletzt thun?

Sagen Sie nein, absolut nein! antwortete Brinkmann, und seine blöden Augen blitzten feurig auf. Wenn ich es wäre, ich thät's nimmermehr.

Aengstige Dich nicht, Peter, nein, ängstige Dich gar nicht. Ich muß jetzt gehen; warte nur bis morgen.

Bis morgen, versetzte der Alte traurig. Ja, dann ist es zu spät.

Nicht doch, Peter. Sprich nicht so – so thöricht! sagte der Doctor.

Es ist Ernst, lieber Herr, es geht zu Ende in dieser Nacht; vielleicht schon in dieser Stunde!

Was sagst Du da? fragte der Gelehrte erschrocken. Du mußt es Dir nicht so zu Herzen nehmen.

Nicht zu Herzen nehmen! rief der alte Mann seine Hände faltend. Mein Gott! Die es thun sollten – es muß heraus, lieber Herr – die haben kein Herz, und die Eine, der das Herz dabei brechen möchte, wird wie eine Magd dafür gescholten. Doch wenn sie nicht wäre, lebte das arme Kind längst nicht mehr.

Wer? Mein Kind! schrie Johannes auf. Die Tante meint, es habe nichts zu bedeuten, setzte er ruhiger hinzu.

Sie weiß es besser, was es zu bedeuten hat, fuhr Brinkmann fort, aber sie will es nicht wissen. Es soll Niemand etwas der Frau Doctorin sagen, weil es ihr schaden könnte und weil's dann wohl mit dem Ausfahren nichts wäre. Der Doctor soll kommen und das Haus nicht in Unruhe versetzt werden um ein bischen Fieber.

Nein, nein! Emma darf nichts erfahren, sagte der Doctor. Es wird auch nicht sein, Peter, es ist ja schon öfter so gewesen, und die Tante ist sehr erfahren, sehr klug.

Gott weiß es, ja! stöhnte der alte Mann kläglich. Aber gehen Sie nicht von hier. Es ist Gottes Gebot, daß ein Vater sein Kind nicht verlassen soll in der letzten Stunde.

In dem Augenblick machte Emma die Thür auf, und hinter ihr stand die Tante. Sie war im glänzenden Ballkleide, Blumen im Haar, Blumenschleifen zu beiden Seiten. Ihr Fächer hauchte Wohlgerüche aus, und wie mit Sternengeflimmer umgab sie das weite, silberstreifige Gewand. – Es ließ sich kaum eine lieblichere Erscheinung denken, als diese junge, schöne Frau, so reich geschmückt und so voller Lebenslust und voll Verlangen nach den Freuden, die ihrer warteten.

Als sie ihren Gatten erblickte, der noch immer in seinem grauen Rocke stand und nicht im Geringsten festlich aussah, schlug sie ein lebhaftes Gelächter auf, das ein grelles Gegenstück zu der Betrübniß bildete, die ihre dunklen Hände über die Augen des armen Doctors legte.

Da steht er wahrhaftig noch wie er war! rief sie. Er hat es vergessen und sitzt an den Wassern von Babylon, bei denen, die da weineten.

Bei ihrem frohen Gelächter und ihrer Spötterei machte Johannes eine gewaltsame Anstrengung, ebenfalls zu lächeln und seine Augen thaten sich freundlich auf und ruhten auf seiner schönen Frau. Wie hätte er ihr ein Wort sagen können, das alle diese Blumen und Bänder mit einem Schlage welk und schwarz gemacht hätte? Nein, sie durfte nichts wissen, nicht in Angst und Schrecken gesetzt werden. Sie durfte nichts erfahren, was alle Freude, auf welche sie hoffte, plötzlich weit von ihr getrieben hätte. Es war wohl auch nur unnütze Besorgniß, Täuschung oder doch Uebertreibung, und indem er einen Blick auf die Tante richtete, wurde er darin bestärkt, denn sie schüttelte mit stolzer Ueberlegenheit den Kopf und sah ihn mit gebietender Würde an.

Ich bin so beschäftigt gewesen, sagte er, und noch jetzt – noch jetzt. Es ist auch noch so früh, liebe Emma, viel zu früh.

Im Gegentheil, sagte Frau von Graßwitz, es ist ziemlich spät.

Und was fangen wir nun an? fiel Emma ein.

Die kluge Tante ahnte ohne Zweifel, was hier vorgegangen war, und in Betracht aller Umstände schien es ihr vielleicht paßlich, wenn Johannes zu Haus bliebe. –

Zur Strafe, sagte sie, nehmen wir ihn nicht mit und lassen ihn bei den Babyloniern. Kommen Sie also nach, mein Lieber, wir wollen Sie vorläufig bei dem Geheimrath entschuldigen.

Das ist das Beste; ja, ja! rief der Doctor dankbarlich erfreut. Bitte, liebe Emma, entschuldige mich.

Ich dachte es wohl! lachte die schöne Frau, indem sie übermüthig ihn anschaute. So wollen wir gehen, da er uns die Erlaubniß giebt.

Du bist doch nicht böse? bat er nach ihrer Hand fassend.

Gar nicht, sagte sie sich abwendend, ich denke sehr vergnügt zu sein. Unterhalte Dich gut. Es giebt gewiß hier Gegenstände, die für Deine Unterhaltung sorgen werden.

Er blieb, mit seinem sanften Lächeln auf den Lippen, stehen, bis sie ihn verlassen hatten. Sie hatte gethan, als bemerkte sie seine Hand nicht, sie hatte ihn gehöhnt, während sein Herz voll zärtlicher Sorge um sie war, und dies Herz schlug jetzt in großen, vollen Schlägen; ein Weh lief schaudernd darüber hin. Er drückte seine Finger, wie er es oft that, wenn Unruhe in ihm war, fest auf seine Stirn, und so stand er einige Minuten lang, bis ein großmüthiges Gefühl wie eine Sonne durch Nebel drang.

Sie ist doch gut; sagte die Stimme der Liebe in ihm. O! ich kenne sie ja, ich weiß ja, wie gut sie ist. Sie wird froh sein, sie wird keine Thränen vergießen, und morgen wird sie mir danken, morgen wird sie erfahren, warum ich lieber zu Haus blieb. Und nun nun, mein Kind!

Er ging hastig durch den Corridor und blieb dort horchend stehen. Der Wagen donnerte eben durch die Gasse, der die junge Mutter zum Balle führte, und mit dem Klirren der Fenster mischte sich, als er leise die Thür öffnete, das Aechzen und Wimmern des kleinen Kranken. Die Lampe war verhängt, ein matter Schein fiel auf das Bettchen und auf Marie, welche daneben saß und kummervoll sich niederbeugte.

Betroffen ängstlich schaute er darauf hin.

Ist denn wirklich Gefahr? fragte er.

Große, sehr große Gefahr, erwiederte sie.

Wo ist der Arzt? War er hier?

So eben, ja. Er mußte uns wieder verlassen.

Was haben Sie da in der Tasse?

Moschuspulver, sagte sie.

Und was was meint er?

Marie schwieg. – Wenn der Krampf nicht nachläßt, flüsterte sie endlich, so ist menschliche Hülfe vergebens.

Keine Hülfe! rief er mit gepreßter Stimme. Das kann nicht sein, daß wird nicht geschehen! – Mein armes Kind! O, Emma! –

Er dachte an sie, die in den Ballsaal geeilt war, an ihre Leiden, wenn der Morgen kommen würde, wo Alles hier still sei, und er setzte sich zitternd an dem Schmerzenslager nieder und blickte auf das fieberheiße, röchelnde Kind mit der Trostlosigkeit und dem Grauen eines Vaters.

Es ist noch nicht Alles verloren, sagte Marie. Ich habe Beispiele erlebt, wo die Aerzte alle Hoffnung aufgegeben hatten, und dennoch half sich die kräftige Natur. – Das Kind ist in großer Unruhe, wir müssen es aufnehmen, ihm die Medicin einzuflößen suchen.

Ich will es tragen, erwiederte er, geben Sie es mir.

Sie legte es in Betten gehüllt in seinen Arm, und bemühte sich mit unendlicher Mühe, ihm die festzusammengepreßten Gaumen zu öffnen. Es wollte nicht glücken; ein heftiges Schlucken stellte sich ein, das kleine Gesicht verzerrte sich im Krampfe.

Da lag es auf seinen Knieen und länger als eine Stunde kniete Marie vor ihm, in immer neuen Mühen um das fliehende Leben seines Kindes. Die Wärterin lief weinend und kopflos umher, er selbst sah, wie der Tod sich immer deutlicher seiner Beute bemächtigte, nur sie hörte nicht auf zu hoffen und immer wieder zu versuchen, was helfen möchte. –

Der Arzt hatte gesagt, daß nichts mehr zu erwarten sei, daß der Zahnreiz die Krämpfe tödtlich machen würde und daß ein Hirnschlag das Ende sein werde. Je mehr die Pulse flogen, die brennenden Lippen zitterten, die Muskeln und Augen zuckten, um so unverkennbar näher rückte die Minute der Vernichtung.

Es stirbt! sagte er endlich aus tiefer Brust. Mein liebes Kind! welche Qualen, welche ohnmächtige Qualen!

Sie nahm es aus seinen Armen und preßte es an ihre Brust. In inbrünstiger Zärtlichkeit und mit einem Ausdruck, als sammle sich alle ihre Kraft darin, blickte sie den Knaben an. Plötzlich hob sie den Kopf auf.

Geben Sie mir das Etui dort, sagte sie, wir müssen es versuchen. Nehmen Sie das Licht, leuchten Sie mir, ich fühle mit meinem Finger den scharfen Zahn und mir ist es so, als wäre dies die einzige mögliche Hülfe.

Ohne zu wissen, was sie beabsichtigte, erfüllte er ihr Begehren; aber er gerieth in Bestürzung, als er sah, daß sie ein kleines, scharfes Messer aus dem Etui zog und es öffnete.

Was wollen Sie thun? fragte er.

Leuchten Sie ganz dicht heran, erwiederte sie. Ich mache einen Schnitt durch das Zahnfleisch.

Ihre Entschlossenheit wirkte auf ihn zurück. Das Kind lag leblos in ihrem Schoos. Als sie mit fester Hand das Messer einsetzte zuckte es zusammen und that einen jähen, schmerzlichen Schrei. Das Blut floß aus seinem Mund über ihre Hand fort; sie ließ sich dadurch nicht abhalten, noch einen Schnitt zu thun.

O, du mein Gott! rief die Wärterin, das ist sein Tod! Was haben Sie gethan? – Das ist sein Tod!

Schweigen Sie still, antwortete Marie. Warmes Wasser, warme Schwämme! Her damit, geschwind!

Eben kehrte der Arzt zurück. – Verwundert ließ er sich den Hergang erzählen und nachdem er eine Zeit lang das Kind beobachtet hatte, sagte er Mariens Hand drückend: Sie sind ein College, vor dem man Hochachtung bekommen muß, denn mit größerer Geschicklichkeit und größerem Muthe hätte Niemand eine solche Operation machen können. Wie war es möglich? Wie sind Sie darauf gekommen?

Ich weiß es nicht, erwiederte sie. Allein es war mir so, als könnte es allein noch helfen und – es wird helfen! setzte sie hinzu, indem sie ihre Stimme und ihre Augen erhob.

Der Arzt ordnete Mittel an zu vermehrten Ableitungen, endlich aber sprach er bestimmt aus, daß eine wohlthätige Krisis eingetreten sei, und wiederholte, daß der kühne Entschluß Mariens ohne Zweifel das Leben des Kindes in der entscheidenden Minute gerettet habe. Das Fieber nahm ab und Schlaf trat ein, er hoffte davon das Beste, nur sollte die größte Aufmerksamkeit beobachtet werden.

Diese bin ich von Ihnen gewiß, fuhr er dann fort, Sie werden, ehe der Tag kommt, den Platz nicht verlassen, den Sie so manche Nacht schon behauptet haben. Ja, Herr Doctor Gerber, Sie haben eine Schutzheilige in Ihrem Hause, der Sie einen besonderen Cultus weihen müssen. Gott weiß es! die zärtlichste Mutter könnte nicht mehr thun.

Der Doctor saß lange schweigend bei seinem Kinde. Die tiefe Stille umher unterbrach kein Laut. Die Wärterin war fortgeschickt, um zu ruhen, die umhüllte Lampe beschränkte ihr Licht auf einen kleinen Kreis. Er kreuzte die Arme über seine Brust und horchte auf die Athemzüge des Kranken, aber leise und langsam wandten sich seine Blicke von ihm ab und schauten zu dem Wesen auf, dem er dies Leben dankte.

Eingehüllt in ein großes, weißes Tuch kam es ihm vor, als schwebe eine leuchtende Wolke um sie, und rund umher sei Nacht. Er sah ihr Gesicht wie mit himmlischem Glanz erfüllt, ihre Augen voll Strahlen, ihre Mienen so schön und ruhig klar, wie man Heilige malt. Trotz der dunklen Schatten, welche Alles mit ihren Fäden umspannen, glaubte er dies genau zu sehen, und ein wunderbar gläubiges, inniges Gefühl durchbebte ihn. Je mehr er darauf hinsah, um so heller wurde das Licht, um so heißer seine Freudigkeit, um so weiter seine Brust. Sie regte sich nicht, aber ihre Augen ruhten auf ihm, wie Sonnenschein.

Langsam streckte er die Hand über das Bett seines Kindes fort, und er fühlte, wie sie ihre Hand hineinlegte. Kein Wort kam über seine Lippen, aber seine Finger zitterten. Ein Schmerz zuckte durch seinen Arm, er schloß sie fest zusammen.

In diesem Augenblick fuhr ein Wagen auf der Gasse und hielt vor dem Hause still. Die Klingel an der Hausthür, mit Heftigkeit gezogen, schallte durch die Flur, und Johannes stand auf. Wie ein langes Seufzen klang der tiefe Athemzug, mit dem er das Zimmer verließ.



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