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Drittes Kapitel.
Der Putsch von Puerto Plata

Hohe Politik in Santo Domingo – Ein Pronunciamcnto des »Generals« Olivar – Der Ruf nach einem neuen Präsidenten – Der Adjutant Seiner Exzellenz – Eine kleine Stärkung, und was darauf folgt – Rebellion und Besänftigung – Don Alberto ernennt sich selbst zum Präsidenten – Die große »Schlacht« und die verhängnisvolle Pauke


Die Geschichte, von der ich erzählen will, liegt schon eine Reihe von Jahren zurück. Ich befand mich damals als wohlbestallter Direktor einer großen Pflanzung in Santo Domingo, und zwar an der Nordküste unweit der Hafenstadt Puerto Plata. Es war an einem heißen Tag im April. Ich hatte in den Morgenstunden in Puerto Plata bei unserem Reeder zu tun gehabt, war dann heimgeritten und lag nun nach dem zweiten Frühstück, das heißt um die Mittagszeit, auf der schattigen Veranda meines Hauses im Korbsessel, um ein Stündchen der Ruhe zu pflegen. Dabei war ich nach alter Gewohnheit ein wenig eingenickt. Aber wie man sagt, daß der Müller erwacht, wenn die Mühle nicht mehr geht und das Geklapper verstummt, so fuhr ich plötzlich empor, nicht wegen eines Geräusches, sondern im Gegenteil wegen eines Mangels an Geräuschen, wegen einer verdächtigen Stille. Es ist nämlich Brauch, daß die Peons, die schwarzen und halbblütigen Tagelöhner, bei der Feldarbeit ständig zu singen pflegen. In jeder Gruppe stimmt einer irgendeine Strophe an, und die andern fallen dann allmählich ein. Es sind endlose Melodien mit Stegreiftexten, aus allen möglichen Anlässen, wie der Tag sie gerade bietet, kunstlos zusammengereimt. Von früh bis Feierabend summt und brummt es aus den Feldern, wie aus einem Bienenschwarm. Solange der Peon singt, ist er zufrieden. Aber wenn der Gesang verstummt und die sonst so redseligen, liederfrohen Lippen sich schließen, ist das nach alter Pflanzererfahrung ein böses Zeichen. Es geht dann irgend etwas, und eben nichts Gutes, in den Leuten vor. Diese Neger und Mulatten sind wie die Kinder. Im allgemeinen sanft und willig, lassen sie sich mit Güte und Gerechtigkeit gern leiten. Aber bei ihrer Unwissenheit und ihrem Mangel an Einsicht fallen sie leicht allen Einflüsterungen zum Opfer, besonders wenn der Versucher sie mit dem heißbegehrten Gift des Branntweins lockt. Dann werden sie gefährlich, und dann muß man ihnen mit aller Entschiedenheit entgegentreten, bevor es zu spät ist.

Als ich noch darüber nachdachte – denn es spukten wieder neue Umsturzgerüchte, und es ging wie ein Fieber durchs ganze Land –, sah ich Fuentes, den Verwalter, über den Hof gehen. Ich rief ihn zu mir. Fuentes, ein Kreole stämmigen Wuchses von spanischem Geblüt, stand alsbald vor mir auf der Veranda, seinen breitkrempigen Filzhut mit der silbernen Troddel respektvoll in der Hand. Er war ein bewährter, wackerer Mann, auf den man sich unbedingt verlassen konnte, und das will viel sagen in unseren Zonen.

»Was ist mit den Peons, Fuentes?« fragte ich. »Die Leute sind so still. Liegt etwas vor?«

Fuentes zischte einen seiner greulichen spanischen Flüche zwischen den Zähnen hervor und sagte verdrießlich: »Herr, mir gefallen die Leute auch nicht. Hergelaufenes Gesindel, das seit ein paar Tagen die Hazienda umschleicht, macht sich an sie heran und tuschelt ihnen dumme Geschichten ins Ohr. Ich habe vorhin zwei von den Burschen mit Hunden verjagt, zum Dank bekam ich eine Kugel nachgeschickt, die gottlob fehlging. Und diesen gedruckten Zettel hier habe ich soeben gefunden.«

Mir fiel bei den Worten des Verwalters ein, was mir des Morgens der Reeder in der Stadt erzählt hatte: daß es nämlich in der hohen Politik von Santo Domingo wieder einmal gäre und eine Bande von Abenteurern drauf und dran sei, den Präsidenten der Republik zu stürzen. Ein sogenannter »General« namens Olivar, von dem die Rede ging, daß er ein entlaufener Sträfling wäre, hätte sich an die Spitze einer Schar verwegener Gesellen gesetzt, um seine ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen und selber Präsident zu werden. Also ein Putsch oder »Pronunciamento«, wie man es in Mittelamerika nennt, nach bewährter Schablone. Nur daß »General« Olivar die Sache schlauer begann als seine Vorgänger. Um nämlich die große Masse auf seine Seite zu bringen, ließ er überall verkünden: wenn erst einmal er, Olivar, die Macht in Händen hätte, dann würde er dafür sorgen, daß alle Ländereien unter die Peons verteilt werden und sie für die Zukunft in Freuden leben und soviel Feuerwasser trinken könnten, wie ihnen beliebe.

Der Zettel, den der Verwalter gefunden hatte, enthielt den Text des Pronunciamentos. »Vertreibt die fremden Ausbeuter!« hieß es zum Schluß der geschwollenen Phrasen. »Versagt den hergelaufenen Bedrückern den Gehorsam! Es lebe das wahrhaft freie, unabhängige Santo Domingo! Es lebe unser Führer zum Sieg, der ruhmreiche, tapfere, edelmütige General Olivar!«

Ich hatte vormittags den Erzählungen des Reeders kein großes Gewicht beigelegt, weil man bei uns an solche Geschichten nachgerade gewöhnt war. Bisher hatte man bei derartigen Haupt- und Staatsaktionen die Fremden immer in Ruhe gelassen, und wir Kolonisten bekümmerten uns deshalb grundsätzlich nicht um den politischen Hader der Parteien, von denen die eine gewöhnlich genau soviel wie die andere wert war. Diesmal aber sah die Sache doch ernster aus, diesmal stand anscheinend eine Empörung gegen die Fremden bevor, womöglich von Plünderungen und anderen Gewalttaten begleitet.

Schnell überlegte ich, was zu tun wäre. Außer mir befanden sich zur Zeit nur noch einige wenige weiße Beamte, darunter zwei Deutsche, auf der Hazienda. Auf diese Männer, sowie auf Fuentes, konnte ich mich natürlich unbedingt verlassen. Aber das war auch alles. Sämtliche Arbeiter waren Schwarze oder Mulatten. Wie sollten wir, knapp ein Dutzend, uns Hunderte von Empörern vom Leibe halten!

Ich befahl dem Verwalter, meine beiden jungen Landsleute, die Eleven Fink und Treller, zu mir zu rufen. Fuentes ging, und ich prüfte inzwischen in meinem Arbeitszimmer die vorhandenen Waffen, ein halbes Dutzend Gewehre und einige Revolver und Pistolen. Da erscholl vom Hof her Pferdegetrappel und Lärm, und gleich darauf stürzte mein Diener, ein Negerbursche, mit der Meldung herein, ein Offizier mit vier anderen Berittenen sei angelangt und wünsche mich sofort zu sprechen. Zugleich überreichte mir der Bursche eine reichlich schmutzige Visitenkarte mit dem Aufdruck: Oberst Cabrera, persönlicher Adjutant Seiner Exzellenz des Generals Olivar.

»Laß den Herrn eintreten,« befahl ich dem Diener.

Alsbald trappste und polterte es mit schweren Schritten die Freitreppe zur Veranda herauf. Die Tür wurde aufgerissen, von zwei zerlumpten Negersoldaten flankiert, und zwischen ihnen stolzierte, aufgetakelt wie eine Fregatte im Galaschmuck, mit bärbeißigem Gesicht und dennoch eine kleine Befangenheit nur schlecht verbergend, Oberst Cabrera ins Zimmer. Beinahe hätte ich über diesen famosen »Oberst« laut aufgelacht. Seine Uniform wäre das Paradestück jeder europäischen Maskenverleihanstalt gewesen. Der langschößige, himmelblaue, mit unechten Goldstickereien überladene Rock mochte noch aus der Zeit des ersten Napoleon stammen und einmal auf abenteuerlichen Wegen nach Venezuela verschlagen sein. Auf dem Kopf trug Oberst Cabrera einen befiederten Schiffshut, den er jetzt grüßend abnahm, um die Hüften einen schweren Schleppsäbel und an den Füßen ungeheure, bis über die Knie reichende Stiefel. Den höchsten Stolz seines irdischen Glanzes machten aber die Orden aus, die des Obersten Heldenbrust in verschwenderischer Fülle bedeckten und eine verdächtige Ähnlichkeit mit Kotillonorden hatten.

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»Womit kann ich dem Herrn Oberst dienen?« fragte ich verbindlich und rückte dem unerwünschten Gast einen Sessel hin.

Soviel Höflichkeit schien der persönliche Adjutant Seiner Exzellenz nicht erwartet zu haben. Er milderte seinen martialischen Ausdruck ein wenig, räusperte sich und begann, indem er den Schleppsäbel zur Bekräftigung seiner Worte hin und wieder auf den Boden stieß:

»Caballero! Das Banner der Freiheit ist entrollt. Das Volk von Santo Domingo hat es satt, seine Geschicke von Schurken lenken zu lassen, die sich die Taschen mit Staatsgeldern füllen. Wohlan, mein erhabener Freund und Gönner, der rühmlichst bekannte tapfere General Olivar, hat sich, wie Sie bereits wissen werden, an die Spitze der revolutionären Bewegung gestellt. Er ist im Begriff, seine von unbeschreiblicher Begeisterung erfüllten Truppen gegen die Hauptstadt zu führen, den Präsidenten abzusetzen und – und ...«

Oberst Cabrera verlor den Faden seiner auswendig gelernten Rede und schnappte nach Luft. »Und dort selber zu stehlen und sich die Taschen vollzupfropfen,« so wollte ich schon den Satz ergänzen, aber ich unterdrückte wohlweislich meine Gedanken und sagte nur: »Ich wünsche Ihrem wahrhaft patriotischen Unternehmen besten Erfolg, Herr Oberst.«

Der Oberst verstand die Ironie meiner Worte nicht, verbeugte sich dankend und fuhr fort: »Zunächst wollen wir die Unabhängigkeit unserer engeren Heimat, der Stadt und der Provinz Puerto Plata, proklamieren. Puerto Plata soll selbständiger Freistaat werden, mit eigener Verfassung, eigenem Parlament und – und ...«

»Und eigenen Briefmarken vermutlich,« warf ich ein, denn es ist ja bekannt, welche wichtige Rolle die Ausgabe neuer Briefmarken für den Säckel solcher Revolutionsstaaten spielt.

»Natürlich, auch mit eigenen Briefmarken,« bestätigte Oberst Cabrera, ganz erfreut darüber, wie schnell ich auf seine Idee einging. Dann fuhr er nach neuem Räuspern etwas stotternd fort: »Um aber auf den Hauptzweck meines Besuches zu kommen ... Caballero, Sie wissen, daß zu einem Pronunciamento vieles gehört ...«

»Aha, jetzt kommt der Knalleffekt,« dachte ich, »die Erpressung.«

»Also kurz und gut, Caballero, ich muß Ihnen die Mitteilung machen, daß Seine Exzellenz General Olivar mich beauftragt hat, Sie um praktische Beihilfe zu unserem Befreiungswerk zu ersuchen. Ein glühender Patriot wie Sie, der seine zweite Heimat Santo Domingo leidenschaftlich liebt, wird sich nicht dagegen sträuben. Es würde Ihnen auch, wie ich hinzuzufügen genötigt bin, nichts nützen. Wir brauchen 20 Pferde sowie 10 000 Dollar in bar, die Sie mir gefälligst gegen Quittung sofort zu überweisen belieben.«

Alle Wetter, das war stark! Die Burschen gingen gleich aufs Ganzem Offenbar hatten sie Wind davon bekommen, daß erst vor einigen Tagen eine Koppel wertvoller junger Pferde in unseren Ställen angelangt war. Was sollte ich tun? Wäre ich meiner Peons vollkommen sicher gewesen, so hätte ich keinen Augenblick gezögert und den famosen Oberst samt seiner Lumpengarde in einer Weise hinauskomplimentiert, daß ihm die Lust zum Wiederkommen vergangen wäre. Aber leider konnte ich mich auf meine Arbeiter keineswegs mehr verlassen, denn die Verführungskünste der Aufwiegler hatten offenbar schon zu gut gewirkt. Ich mußte mich also mit List aus der Schlinge ziehen; auf keinen Fall wollte ich gutwillig das mir anvertraute Eigentum unserer Gesellschaft opfern.

Während mir das durch den Kopf schoß, entging es mir nicht, daß Oberst Cabrera an diesem Tage zweifellos schon stark »gefrühstückt« hatte. Sein Auge glänzte sicherlich nicht allein von patriotischer Begeisterung, und die Unsicherheit seiner Zunge bekundete deutlich, wie fleißig er bereits der Flasche zugesprochen hatte. Ich hatte da jedenfalls einen Mann vor mir, der einem guten Tropfen nicht abgeneigt war, und ich beschloß, mir den Umstand zunutze zu machen.

»Herr Oberst,« sagte ich also, »die Erledigung der Angelegenheit erfordert einige Formalitäten. Aber während ich das Nötige besorge, müssen Sie mir den Gefallen tun, sich ein wenig zu erholen und eine kleine Erfrischung anzunehmen. Bitte betrachten Sie mein Haus als das Ihrige und nehmen Sie mit dem Wenigen vorlieb, was mein bescheidenes Junggesellenheim zu bieten vermag.«

Als Cabrera das Wort »kleine Erfrischung« hörte, verzog sich sein Mund zu einem begehrlichen Schmunzeln. Und als er weiter sah, wie ich den Wandschrank aufschloß und meiner »Hausapotheke« einige Flaschen entnahm, Whisky, Curaçao und Anisette, da funkelten seine Augen wie glühende Kohlen.

»Ein echter Caballero und ein echter Deutscher obendrein!« rief er und schnalzte im Vorgenuß mit der Zunge. »Es gibt keine edleren Gastfreunde als die Deutschen.« Und den beiden Negersoldaten, die noch immer an der Türe standen und ebenfalls gierig nach dem Feuerwasser schielten, befahl der Oberst: »Heda, ihr Leute, geht auf den Hof und macht es euch dort bequem.«

In diesem Augenblick kehrte Fuentes in Begleitung von Fink und Treller zurück. Ich sagte zu dem Verwalter: »Laßt den Leuten des Herrn Oberst zu essen und zu trinken geben, Fuentes,« und tuschelte ihm weiter ins Ohr: »Mehr als reichlich, versteht Ihr?« Fuentes zwinkerte mit den Augen, er verstand. Den Eleven aber gab ich verstohlen den Wink, auf die Felder hinauszureiten, ein achtsames Auge auf die Peons zu haben und mit den anderen weißen Beamten sofort ins Haus zurückzukehren, wenn ich als Notsignal einen Pistolenschuß abfeuern sollte.

Die anderen verschwanden wieder, ich blieb mit dem Obersten allein. Señor Cabrera ließ sich nicht lange nötigen. So gute Sachen hatte er offenbar noch niemals vorgesetzt bekommen. Während er ein Gläschen nach dem andern hinter die Binde goß, zog er alle Schleusen seiner Beredsamkeit auf und eröffnete ein wahres Trommelfeuer von Ruhmredigkeit, Wichtigtuerei und Geflunker auf mein armes Haupt. Er war der tapferste, unerschrockenste Soldat und Feldherr von Nord-, Mittel- und Südamerika, der gewiegteste Politiker, der größte Volksbeglücker. Der aufgeblasene Maulheld merkte bei seinen Prahlereien nicht, wie ihm die Zunge immer schwerer wurde und der Kopf bald nach vorn, bald nach hinten hinüberfiel. In seiner Trunkenheit wurde er sehr gerührt, umarmte mich, und es fehlte nicht viel, da hätte er mir wohl gar Brüderschaft angeboten.

Dann kam er vorübergehend ein wenig zur Besinnung und lallte: »Also, Caballero – um zum eigentlichen Zweck meines Besuches zurückzukommen –, wie steht es mit den Pferden – Und mit den 10 000 Dollar? ... Wir müssen jetzt das Geschäft in Ordnung bringen – es ist schon spät ...«

»Aber gewiß, Herr Oberst,« sagte ich und öffnete die Tür zum Nebenzimmer. Hier stand ein altes Ruhebett, auf dem ich mich bei der Siesta auszustrecken pflegte. »Belieben Sie einzutreten, Caballero.«

Oberst Cabrera erhob sich mühsam und wankte, eine Whiskyflasche in der Hand, in das Gemach. Sobald er es betreten hatte, schloß ich die Tür hinter ihm zu. Der war besorgt und aufgehoben! Ich hörte noch, wie er eine Weile im Zimmer ratlos hin und her taumelte, Flüche ausstieß, mit Händen und Füßen gegen die Tür trommelte und sich endlich auf das Ruhebett warf. Was jedenfalls auch das Gescheiteste war, das sich in seiner Lage tun ließ.

Ich griff zum Hut, steckte einen Revolver ein und verließ das Haus. Als ich den weiten Hof überschritt, fiel es mir auf, daß nirgends eine Menschenseele zu sehen war; selbst jene schattigen Ecken, in denen sonst immer ein paar faule Schlingel herumzuliegen pflegten, waren leer. Kein gutes Zeichen. Ich rief nach Fuentes und nach den Boys – keine Antwort. Wie verhext lag das Gehöft im Sonnenglast des Nachmittags da, und nur das Hühnervolk scharrte geschäftig im Sande.

Als ich mich dem Tor in der Mauer zuwandte, die den Herrschaftshof von den Wohnbaracken der Arbeiter schied, schlug mir von dort erst gedämpfter, dann immer lauter anschwellender Lärm entgegen, zu dem sich alsbald das Knallen vereinzelter Schüsse gesellte. Gleich darauf stürzte Fuentes durch das Tor und rief mir von weitem zu: »Herr, schnell ins Haus zurück, die Höllenbande meutert!«

Noch unschlüssig, ob ich der Aufforderung folgen oder den Peons sogleich entgegentreten sollte, sah ich hinter Fuentes auch Fink, Treller und die anderen Beamten erscheinen, alle bemüht, die jetzt durch das Tor drängende, schreiende, heulende Menge zurückzuhalten, wobei sie hin und wieder aus ihren Revolvern Schreckschüsse über die Köpfe hinweg abgaben. Es war noch ein Glück, daß infolge des strengen Waffenverbots keiner der Peons eine Feuerwaffe besaß; dafür hatten sie sich zum Teil mit Sensen und Knütteln versehen, und fuchtelten damit wild herum.

»Hört mit dem Schießen auf!« rief ich den Beamten zu. »Sammelt euch um mich, wir nehmen Aufstellung beim Hause.«

Fuentes und die anderen folgten dem Gebot, und wir zogen uns langsam bis zur Freitreppe der Veranda zurück.

Als die Peons meiner ansichtig wurden, legte sich der Lärm ein wenig, und die Vordersten folgten uns, unter dem Druck der hinten Drängenden, nur zögernd nach. Der Respekt vor dem Herrn, dem obersten Leiter der Plantage, war trotz der Aufregung doch noch immer zu groß, als daß sie sich hemmungslos zu groben Ausschreitungen hinreißen ließen.

»Wo stecken die Soldaten des Obersten?« fragte ich den Verwalter.

»Die liegen schwer betrunken im Stall,« lautete die Antwort.

Der Hof hatte sich inzwischen mit der gesamten Arbeiterschaft gefüllt, im ganzen etwa 200 Mann. Ich überlegte in Eile, was zu tun war. Gewiß blieb uns Weißen noch Zeit, ins Haus zu flüchten und von dort im Notfall das Feuer auf die Aufrührer zu eröffnen. Aber war uns mit einem so verzweifelten Mittel gedient? Wohl konnten wir ein paar Dutzend der Leute unschädlich machen, was bedeutet das jedoch bei der Masse! Es war dann im Gegenteil mit Bestimmtheit zu erwarten, daß die Überzahl das Haus stürmen und kurzen Prozeß mit uns machen würde.

Ich hielt es also für ratsamer, den Stier bei den Hörnern zu packen und mit den Leuten zu verhandeln; wußte ich doch, mit welcher Passion diese Eingeborenen Reden anhören und debattieren. Während ich, auf den Stufen der Verandatreppe stehend, ihre vordersten Reihen musterte, fiel mein Blick auf einige ältere Peons, die ich persönlich kannte. Diese, es waren drei oder vier, winkte ich zu mir heran. Die Leute traten verlegen, mit niedergeschlagenen Augen, vor; sie mochten sich wohl, wie noch viele andere, nur gezwungen und mit Widerstreben den gewaltsamen Elementen angeschlossen haben.

Ich gebot Ruhe und ließ meine Stimme, so laut ich nur konnte, über den Hof erschallen.

»Leute,« so sprach ich, »was wollt ihr eigentlich? Welcher böse Geist ist in euch gefahren, daß ihr euch in so unerhörter Weise gegen eure Vorgesetzten und gegen mich, euren Herrn, benehmt? Bin ich euch nicht allezeit, seitdem ich hier weile, ein gütiger und gerechter Herr gewesen? Habt ihr nicht immer pünktlich euren Lohn, eure Kost, und was euch sonst gebührt, erhalten? Seid ihr jemals schlecht behandelt worden? Wer eine Klage hat, der möge vortreten, und wir wollen in Ruhe darüber sprechen.«

Eine Weile herrschte betretenes Schweigen, die alten Leute vor mir nickten und murmelten zustimmend, dann aber ertönte es hier und dort aus dem Haufen: »Wir wollen eine neue Regierung! General Olivar ist unser Mann. Wo steckt Oberst Cabrera? Ihr haltet ihn gefangen, gebt ihn heraus!«

Die Rufe nach Oberst Cabrera erschollen immer stürmischer. Man wollte durchaus Cabrera sehen. Nun, diesem Wunsche konnte entsprochen werden, es war mir sogar sehr recht.

Das Zimmer, in dem ich den Trunkenbold eingesperrt hatte, ging mit einer breiten Flügeltür auf den Hof hinaus. Ich schritt zu der verschlossenen Tür und rief von neuem, diesmal in Fortissimo:

»Ihr wollt Oberst Cabrera, den Abgesandten des Generals Olivar, sehen? Wohlan, euer Wunsch soll erfüllt werden, gleich werdet ihr ihn zu sehen bekommen. Betrachtet ihn euch genau, den tapferen Caballero. Verhaltet euch aber ruhig und stört ihn nicht bei der wichtigen Arbeit, mit der er gerade für das Wohl unseres geliebten Landes und für eure Zukunft beschäftigt ist.«

Damit riß ich die Flügeltür weit auf, so daß man freien Einblick in das jetzt vom Sonnenglanz hell erleuchtete Zimmer hatte.

Die Peons reckten die Hälse und drängten sich neugierig zur Tür heran. Dort im Zimmer lag quer über den Diwan, in tiefen Schlaf versunken, der edle Oberst. Mit der Rechten umklammerte er noch krampfhaft die geleerte Whiskyflasche, Uniformrock und Weste hatte er weit aufgeknöpft. Dem offenen Mund in dem hochroten Antlitz entfuhren fürchterlich rasselnde Schnarchtöne, und sie dröhnten, da sich alles mäuschenstill verhielt, weithin über den Hof.

Lange starrten die Tagelöhner, aufs höchste verblüfft, auf das unerwartete Bild, dann wandten sich die Nächststehenden mit Unwillen und Beschämung ab. Der Eingeborene hat ein feines Empfinden für Anstand und Würde. Läßt er sich selbst bei gebotener Gelegenheit auch gern einmal gehen, so verlangt er doch von den großen Herren tadellose Haltung. Wer als Weißer in dieser Hinsicht versagt, der kann sich keinen Respekt mehr verschaffen. Als die Peons sahen, in welchem Zustand sich der Abgesandte des Generals Olivar befand, dieser famose Herr Oberst, der ihnen vorher in seiner goldstrotzenden Uniform und mit seinem donnernden Phrasenschwall so mächtig imponiert hatte, da schämten sich alle Besseren unter ihnen für den Mann, schämten sich ihrer eben noch so glühenden Hingabe an die Sache der Revolution.

Nun galt es, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war. Ich mußte mir den beginnenden Stimmungsumschlag schleunigst zunutze machen.

»Da seht ihr, Leute,« so rief ich von neuem, »wie sich der Adjutant des Generals Olivar hier einführt. Und einem solchen Trunkenbold wollt ihr Vertrauen schenken? Überhaupt, was sind das für Menschen, von denen ihr euch verführen laßt? Wer ist dieser angebliche General Olivar, der euch goldene Berge verspricht und dem ihr gutmütigen Narren auf den Leim gehen wollt? In Puerto Plata weiß jeder, daß er nichts anderes als ein Desperado ist, ein Abenteurer, der sich auf Kosten anderer die Taschen füllen will. Ja, man erzählt sich sogar, daß er ein davongelaufener Sträfling sei. Von mir hat er durch diesen sogenannten Oberst, den ihr hier liegen seht, 20 Pferde und 10 000 Dollar erpressen wollen.«

Ein immer lauter werdendes Murmeln ging durch die Menge, es summte und brummte. Meine Worte verfehlten, das merkte ich wohl, ihre Wirkung nicht; viele der Peons, vielleicht schon die Mehrzahl, waren schwankend geworden und schienen ihr Tun zu bereuen. Es waren jener aber noch immer genug, die sich so leicht nicht umstimmen lassen wollten. Minutenlang sprachen die Leute unter sich in abermals wachsender Erregung hin und her, und erst vereinzelt, dann allgemeiner ertönten von neuem Rufe: »Wir wollen einen anderen Präsidenten haben! Puerto Plata soll Freistaat werden!«

Da schoß mir urplötzlich ein toller Gedanke durch den Kopf! Wenn die guten Peons in ihrer konfusen Schwärmerei nichts weiter wollten, als auch einmal hohe Politik treiben und durchaus ein neues Staatsoberhaupt erwählen, so konnte ihnen geholfen werden, konnte man wenigstens für den Augenblick Ruhe schaffen. Ich ergriff also wiederum das Wort und sprach:

»Leute, ich verstehe eure Wünsche sehr gut. Ihr wollt unserer Heimat Puerto Plata zu einem eigenen Staatswesen verhelfen, und ihr verlangt einen Präsidenten, dem ihr Vertrauen entgegenbringen könnt. Aber ist General Olivar wirklich der geeignete Mann? Ihr wißt so gut wie nichts von ihm, ihr hört, wie man über ihn denkt, und ihr seht, mit was für Kreaturen er sich umgibt. Was ihr braucht, das ist ein Mann, den ihr schon kennt, von dem ihr wißt, daß ihr euch auf ihn verlassen dürft. Seid ihr noch einen Augenblick im Zweifel darüber, wo ihr einen solchen Mann zu suchen habt? Leute, dieser Mann steht vor euch! Ich selber bin bereit, euer Präsident, Präsident von Puerto Plata zu werden, und ich denke, ihr werdet es nicht bereuen, mir eure Stimmen zu geben.«

Einen Augenblick herrschte verdutztes Schweigen. Da trat Fuentes, der die Situation sofort erfaßt hatte, auf die Verandatreppe, schwenkte seinen ungeheuren Hut und rief mit dröhnender Stimme: »Wer es gut mit unserer Heimat meint, der schließe sich unserem geliebten Herrn Don Alberto an. Es lebe Präsident Alberto! Es lebe der Freistaat Puerto Plata! Nieder mit General Olivar und seinen Kumpanen!«

O Volksgunst, wie bist du wandelbar! O Macht der Rede und des »Bluffs«, was bringst du nicht alles fertig! Zweihundert Arme flogen in die Luft und über zweihundert Lippen kam es brausend: »Es lebe Präsident Alberto, es lebe der Freistaat Puerto Plata, nieder mit General Olivar!«

Ich sprach noch einige Schlußworte und ermahnte die Leute, jetzt ruhig in ihre Behausungen zu gehen, Feierabend zu machen und morgen früh in gewohnter Weise mit der Arbeit zu beginnen, alles weitere würde sich dann finden«

Der Lärm hatte Oberst Cabrera aus seinem süßen Schlummer geweckt. Er erhob sich vom Diwan, rieb sich die Augen, begriff nicht recht – bis ihm Fuentes in meinem Auftrag den Wink gab, sich so rasch wie möglich aus dem Staube zu machen, da ihm sonst etwas recht Unangenehmes zustoßen könnte. Der aus allen Himmeln gefallene Caballero verstand allmählich den Zusammenhang, stieg wütend in den Sattel und verschwand samt seinen inzwischen ebenfalls ernüchterten Begleitern unter dem Hohngelächter der Peons, leider ohne die 20 Pferde und ohne die 10 000 Dollar«

Es wäre besser gewesen, ihn nicht so schnell entwischen zu lassen. Denn der famose Oberst hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun, als ins Hauptquartier des Generals Olivar zu reiten, das sich, wie wir später erfuhren, nur wenige Meilen von unserer Hazienda befand.

Die Rache des Generals ließ nicht lange auf sich warten. Wir sollten sein erstes Angriffsziel, seine erste Beute sein.

Als der nächste Morgen heranbrach, riß mich Lärm vom Lager empor. Schon glaubte ich, daß die Peons abermals unruhig geworden wären, aber da stürzte mein Diener herein und rief, vor Angst und Aufregung schlotternd: »Herr, ein großer Heereshaufen kommt angerückt! Sie umzingeln die Hazienda!«

Die alarmierten Peons strömten schon auf den Hof. Bei unserem Mangel an Feuerwaffen war die Lage sehr kritisch, denn die Bande Olivars mochte sich, wie ich vom Dach des Hauses aus schätzte, auf etwa 300 Bewaffnete beziffern. Aber da ich mich diesmal auf meine Leute verlassen konnte, sollten der General und seine Spießgesellen doch keine leichte Arbeit mit uns haben.

Ich hatte mich in meinen Tagelöhnern nicht geirrt. Sie hielten jetzt treu und fest zu ihrem »Präsidenten«. Mit Sensen, Knütteln und allerlei anderen Notwaffen ausgerüstet, nahmen sie unter Fuentes' Leitung Aufstellung, dann zogen wir, die Weißen mit den wenigen Feuerwaffen voran, unter dem Schutz der Scheunenmauern dem Feind entgegen.

Au unserem Glück erwies sich Olivars Bande als das feigste Lumpengesindel, das jemals in jenen gesegneten Zonen Revolution gemacht hat. Man hatte wohl gar nicht mit ernstem Widerstand gerechnet, und schien nicht die geringste Lust zu verspüren, das kostbare Leben aufs Spiel zu setzen. Zwar feuerten die Kerle aus ziemlich weiter Entfernung lustig auf die Hazienda los, aber sie schossen so erbärmlich, daß außer ein paar in Scherben gehenden Fensterscheiben kein ernsthaftes Unheil zu beklagen war.

Das ging so eine Stunde hin und her, ohne daß sich der Feind zum Sturm entschließen konnte. Ich überlegte schon mit Fuentes und den Beamten, ob wir nicht unsererseits einen plötzlichen Ausfall wagen sollten. Unter den Peons befanden sich viele mutige Burschen, und da sie sahen, mit was für Memmen sie zu tun hatten, brannten sie vor Begierde, mit dem Feind in Nahkampf zu kommen, selbst auf die Gefahr hin, dabei starke Verluste zu erleiden.

Ich schwankte noch, ob es zu verantworten wäre, wertvolle Menschenleben zu gefährden – da auf einmal, was war das? ... Aus der Ferne erklangen Hornsignale. Und während wir noch aufhorchten, bemerkten wir, wie in den Reihen des Feindes auffällige Unruhe entstand.

Die Auflösung des Rätsels ließ nicht lange auf sich warten. Die Nachricht vom Ausbruch des Putsches war nach der Hauptstadt gelangt, und der Präsident, der richtige Präsident, hatte noch in der Nacht telegraphisch eine Abteilung Regierungstruppen aus der nächsten Garnisonstadt mit einem Extrazug nach dem gefährdeten Gebiet beordert. Nun kamen die Truppen, nachdem sie den gegenwärtigen Aufenthaltsort Olivars in Erfahrung gebracht hatten, in Eilmarsch angerückt, ein paar hundert zuverlässige, gut bewaffnete Soldaten.

Was sich gleich darauf abspielte, konnte den Kenner der Verhältnisse nicht weiter wundernehmen, war aber komisch genug. Sobald die Banditen die Regierungstruppen zu Gesicht bekamen, rückten sie aus. Viele warfen in ihrer Angst die Gewehre fort, nur vereinzelte besaßen den Mut, sich zum Kampfe zu stellen. Jetzt schwärmten auch meine Peons aus, aber die »tapferen Freiheitskämpfer« waren ihnen im Laufen entschieden überlegen, so daß die Sache ausging, wie das berühmte Hornberger Schießen.

Während es dem »Obersten« Cabrera gelang, zu entwischen, ereilte den »General« Olivar sein Geschick. Und zwar auf höchst lächerliche Weise. Er hatte nämlich zuletzt auf einem alten spitzen Termitenbau gestanden, um von diesem »Feldherrnhügel« aus den Rückzug der Seinigen zu leiten. Als er sah, daß alles verloren war und ihm keine andere Rettung mehr blieb als die Flucht, wollte er von dem Hügel eiligst herunterklettern, glitt dabei aus und stürzte nach rückwärts – und wohin? Auf die große Pauke, die der bereits ausgerissene Paukenschläger seiner Regimentskapelle (denn auch Musik durfte dem »Revolutionsheer« nicht fehlen) neben dem Termitenbau stehen gelassen hatte. Exzellenz setzte sich nun bei seinem Fall einigermaßen unsanft auf das Paukenfell, so daß dieses unter der Wucht des Aufpralls in die Brüche ging. Als wir im nächsten Augenblick am Schauplatz des unrühmlichen Abschlusses seiner militärischen und politischen Laufbahn anlangten, steckte der Unglücksgeneral dermaßen eingezwängt in der Pauke, daß nur der Oberkörper und die Beine daraus hervorragten, während der – Südpol seiner irdischen Erscheinung in die Pauke eingeklemmt war. Exzellenz machte verzweifelte Anstrengungen, sich zu befreien, fuchtelte wild mit dem Säbel herum und stieß die abscheulichsten Flüche aus. Welch ein jäher Absturz vom Erhabenen zum Lächerlichen! In diesem Augenblick tat mir der Bursche fast leid, obwohl er wahrhaftig kein Mitgefühl verdiente.

Wir entrangen seiner Hand den Säbel und befreiten ihn aus seiner Lage. Olivar wurde noch an demselben Tage vor ein Kriegsgericht gestellt und als Anstifter und Leiter des hochverräterischen Unternehmens zum Tode verurteilt. Aber sein bewährtes Spitzbubenglück blieb ihm treu. In der folgenden Nacht, die eigentlich seine letzte Nacht auf Erden sein sollte, gelang es dem alten geübten Ausreißer, die Wache zu überlisten und spurlos zu verschwinden. Man hat nichts weiter von ihm gehört. Wer weiß, wo den Gauner endlich einmal sein Schicksal erreichte.

Nun möchten Sie zum Schluß gewiß noch erfahren, wie das mit meiner Präsidentenwürde ausgegangen ist. Besser als ich dachte. Denn zuerst war mir doch ein wenig bange, ob mir nicht aus meiner natürlich gar nicht ernst gemeinten Selbsternennung zum Präsidenten von Puerto Plata Unannehmlichkeiten entstehen könnten, da ich nun eigentlich auch ein Hochverräter war. Aber die Peons, diese ausgewachsenen Kinder, waren vom ruhmreichen Ausgang der »großen Schlacht« so befriedigt, daß diese neue Sensation ihre ganze Seele erfüllte und sie an die Ereignisse des vorherigen Tages anscheinend gar nicht mehr dachten. Jedenfalls ließen sie von ihrem Verlangen nach einer Republik Puerto Plata und einem dazu gehörigen Präsidenten nichts mehr verlauten und gingen fortan wieder so friedlich singend, wie nur jemals zuvor, ihrem Tagewerk nach.

So ist es gekommen, daß ich doch einmal in meinem Leben, wenn auch nur zwölf Stunden lang, Staatspräsident gewesen bin, und ich habe damals, wie schon oft, die Erfahrung gemacht, daß der liebe Gott einen guten Deutschen nicht im Stich läßt, weder in Europa noch unter dem Gluthimmel der Antillen.

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