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Das dritte Capitel.


Nun lupft die Kapp! es tritt heran
Der wackre Herr Sebastian;
Die Feder wie das Schwert er führt,
Manch' Großmaul weidlich hat's gespürt.
Sein Wort der »Leutnambt« Adam spricht,
Regina will ihm horchen nicht;
Gekränkten Vaters schwerer Zorn
Fährt jach herab auf Markus Horn.

Kopfschüttelnd traten die Lauscher im Hause des Rathmanns Ludolf Horn von den Fenstern zurück.

»Kommet doch einen Augenblick herauf, Meister Besselmeier!« rief der Rathmann einen Mann an, welcher aus dem Haufen zurückgeblieben war, und den er trotz der Dämmerung noch erkannt hatte.

Der Angerufene nickte freundlich herauf und berührte zum Gruß das Barett. Nach einigen Augenblicken trat er in das Gemach und grüßte sittsam nach allen Seiten.

Dieser Mann war Sebastian Besselmeier, ein einfacher Bürger der Stadt, aber ein edles Blut, ein hellleuchtend Zeichen des Geistes, welchen deutsches Städtethum zu erzeugen vermochte. Treu, fleißig, bieder; gleich bereit, beim ersten Ruf der Gefahr in's Feld hinauszueilen und sein Blut für das Gemeinwesen zu verspritzen, wie geschickt nach überstandenen Gefahren den Ruhm und Preis der Stadt fernen Geschlechtern in trefflicher Aufzeichnung des Geschehenen mitzutheilen. Wir verweisen den Leser, den Mann kennen zu lernen, auf feine »Wahrhafftige Histori und Beschreibung des Magdeburgischen Krieges von Anfang biß zu Ende«, – deren Vorrede er charakteristisch anhebt wie Thucidides sein Werk über den peloponnesischen Krieg:

»Diese Histori und Beschreibung des Magdeburgischen Krieges zu beschreiben, hat mich erstlich verursacht, unsere Nachkommen und Kinder, so hinter uns leben möchten, damit sie solches zu Hertzen nehmen, gedenken, und auch wo die Nothdurfft das würde erfordern, davon reden könnten.«

Wie trefflich tritt uns dieser deutsche Bürgersmann entgegen, wenn er, während von den Wällen seiner Vaterstadt und aus den Schanzen der sie bedrängenden Feinde das Geschütz donnert, das Schwert an der Seite, das Feuerrohr neben sich, niedersitzt und schreibt:

»Es möcht aber einer, und sonderlich der jetzt draus vor der Stadt liegt, hernachmals sagen, ich hette geschrieben umb Ruhms willen oder was mir gefiel (wie dann nach dem Sprichwort offt geredt wird: Ein jeder Hirt lobt seine Küh). Hierrauff sage ich bei meinem Gewissen und der höchsten Wahrheit, daß ich solches nicht gethan, sondern alles mit guten Grundt unnd Wahrheit, niemand zu lieb und zu leid gethan habe: Welches ich alles mit meinen sichtlichen Augen gesehen, und zum öffternmal mit und bey bin gewesen. Derhalben diese Histori nicht einem jeden lieblich, sondern verdrießlich wird seyn zu lesen, ich mein oder allein die (wie oben vermelt), welche jetzt draussen liegen und unser Feind sind, umb welcher willen ich diß nicht zusammengefaßt und auffgeschrieben habe, sondern umb der andern willen, – – welches ich derhalben desto fleißiger und weitläufftiger geschrieben habe, damit hernachmals die Wahrheit desto besser zu erhalten unnb zu bezeugen sey, welches ein jeder besser verstehen mag, weder ich's an Tag kan bringen.« –

»Ei, Herr Sebastian«, sprach der Rathmann, »solch ein werther Mann wie Ihr sollte niemals vor Ludols Horn's Haus vorübergehen ohne anzuklopfen und einzusprechen. In solchen Zeiten, so der Herrgott jetzo über uns verhänget, müssen die, so sich kennen und zueinander gehören, auch zusammenhalten. Ein Jeder fühlt sich desto sicherer und muthiger, je gewisser er ist, daß er Freunde zu rechter und linker Seit' und im Rücken hat.«

Meister Sebastian, welcher eben mit Gruß und Dank, ebenfalls einen Krug Zerbster Bieres aus den Händen Regina's empfangen hatte, neigte sich gegen den Redenden und erwiederte:

»Wär' auch wohl mit Vergunst eingetreten bei Euch, Herr Rathmann, mußt' aber erst das wunderliche Wesen in der Gass' zu Ende hören. Das ist doch ein toll Ding, und man weiß eigentlich nicht, was man dazu sagen soll; ob man einstimmen soll, oder solch' Gebahren verwerfen. Was meinet Ihr dazu, Ihr Herren?«

»Ach, Meister Besselmeier«, sprach Herr Hahn von Sanct Ulrich, »die Zeit ist ein großer Kessel, darin wird jetzo eine wunderliche Suppen gekocht, und es ist nicht zu verwundern, daß es siedet, brodelt, übersprudelt und solch' wunderliche Blasen wirft.«

»Ich glaub' auch, es darf nicht durch Gewalt gehindert werden, daß also von den Ecksteinen gepredigt wird«, meinte der Magister Flacius, der Illyrier. »Nur ein aufgeregt, gespannt Gemüth mag große Dinge thun, und diese Stadt Magdeburg darf ihr Volk nicht einschlafen lassen.«

»Und so sind die Prädikanten den heißen Gewürzen in der Suppen zu vergleichen«, fiel der Doctor Alberus ein. »Ich denke und halte auch, daß es gut sei, daß das Volk erschüttert werde in seinem Tiefsten, auf daß es in der rechten Stunde geschickt sei, dem großen Sturm zu begegnen. Thun wir doch eigentlich mit Reizen, Stacheln, Reden und Schreiben dasselbige, was dieser Mann auf dem Ecksteine thut. Die Welt hat ein bös' hitzig Fieber und muß mit scharfen Mitteln angegriffen werden, wenn die Heilung erfolgen soll.«

»Ihr möget wohl Recht haben, günstige Herren«, sprach der Bürger, »aber es will mir doch solch' ein Gelärm und Getös nicht recht in den Sinn. Ich mein' mit Vergunst, es sei ein gefährlich Spiel mit der Menge und kann leichtlich in das Gegentheil von dem, was man erwartet, umschlagen. Gott gebe, daß es nicht in der Noth heiße: Auswendig Streit, inwendig Furcht!«

Zustimmend nickte der Rathmann mit dem Kopfe: »Recht, recht, Meister Besselmeier! Es ist ein gefährlich Ding um solch ein Spiel. Es ist auch im Rath die Rede davon gewesen; aber die Stimmen sind dort so getheilet, wie hier. Was soll man thun? Was soll man lassen? Aber es ist mir immer, als sehe ich den Schatten von Gottes Hand über dieser Stadt ausgebreitet. In diesem Schutz müssen wir abwarten, daß sich Alles zum Besten wende.«

Eine Magd trat jetzt leisen Schrittes in das Gemach und stellte eine Lampe auf den Eichentisch. Die anwesenden geistlichen Herren sammt dem Meister Sebastian wollten darauf eben Abschied nehmen, als sich ein Klopfen an der Thür hören ließ.

Auf den Hereinruf des Hausherrn trat ein nicht viel über dreißig Jahre alter Mann, mit Schwert und Brustharnisch angethan, herein. Blond von Haar und Bart, aber mit dunkeln, scharfen, etwas unruhigen Augen, schlank und zierlich gebaut, aber allem Anschein nach muskelkräftig und gewandt zu jeglichem Werk in der Welt – nicht bloß im Blachfeld unter flatternden Fahnen und bei gefällten Spießen.

Diesem Krieger trippelte der Buchdrucker Michael Lotther mit freudigem Lächeln entgegen und reichte ihm die Hand zum Gruß, indem er ausrief:

»Da ist der Leutenambt, da ist unser Herr Vetter aus Bamberg. Tritt her, Regina, und reich ihm auch die Hand! Nun, Adam, was bringet Ihr Neues?«

Es wurden, ehe der junge Krieger Antwort gab, erst die gewöhnlichen Begrüßungen ausgetauscht, aber Regina kam nicht dem Gebote des Vaters nach, sondern zog sich aus dem Lichtschein der Lampe in die Dunkelheit zurück und trat dicht zu dem Sessel der Frau Margarethe, als suche sie unwillkürlich Schutz bei der Matrone. Diesem Gaste credenzte sie auch nicht den Becher, sondern ließ das durch die Magd besorgen, obgleich Adam Schwartze mehr als einen verstohlenen Blick zu der Jungfrau hinüberschweifen ließ, während er sprach:

»Was dem Einen gefällt, mißfällt dem Andern, Meister Lotther und werthe Herren! Die Nachricht, die dem Kriegsmann allerfreulichst erscheint, bringt Bangen und Schrecken dem Bürger und den Frauen. Es ist ein neuer reitender Bote gekommen: Der Herzog von Mecklenburg hat des Erzstiftes Grenzen wirklich überschritten mit Roß und Mann, senget und brennet und seine Rotten streifen schon gegen Wanzleben.«

Die Frauen stießen einen leisen Schreckensruf aus, die Männer blickten sich besorgt an; nur der muthige Buchdrucker rief:

»Ei, Adam, es mag auch Bürger geben, denen solche Nachricht nicht das Zittern in die Beine jagt; es mag auch Bürger geben, so sich dabei die Hände reiben können. Ich sag' Euch, Ihr Söldner werdet nicht allein im Feld stehen gegen den Feind, die Bürgerschaft wird nicht da fehlen, wo um den grünen Jungfernkranz der Stadt geworben wird auf dem grünen Feld!«

»Wohl, wohl, Meister Lotther,« lächelte der junge Kriegsmann. »Ich kenne ja Euern tapfern Sinn und wollte gewißlich nicht ein Mißtrauen oder gar eine Beleidigung aussprechen. Ich mein nur, uns, die wir der Stadt Brot essen, uns wird's auch am erfreulichsten sein, solches jetzt abverdienen zu können. Uns liegt es jetzt ob, zu zeigen, daß der Sold, welchen uns die Stadt zahlt, nicht umsonst gegeben ist. Gewißlich werden die tapfere Bürgerschaft, und auch Herr Michael Lotther ihr Bestes thun auf der Wahlstatt!«

»Ihr seid ein braver, wackerer junger Mann, Vetter Adam!« sprach Meister Lotther, geschmeichelt durch die letzten Worte des Söldnerführers. »Das seid Ihr, und ich hoffe, wir werden beiderseitig im Felde noch unsere Freud' aneinander haben. Nur Glück wünschen kann ich der Stadt, daß sie Euch in ihren Dienst nahm; und dazu, daß Ihr unsere Vetterschaft ausfindig machtet, wünsche ich mir tagtäglich Glück.«

Obgleich nun der Hausherr den Leutnant Adam auch mit großer Freundlichkeit und Zuvorkommenheit begrüßt hatte, so war er doch weit entfernt davon, ihn mit so übergünstigen Augen zu betrachten, wie der Buchdrucker. Im Gegentheil warf er oft recht ernste, prüfende Blicke auf das hübsche Gesicht Adam Schwartze's, und Meister Sebastian Besselmeier that dasselbe.

»Also das Ungewitter rückt wirklich näher, und es ist nun kein Zweifel mehr daran, daß dieser Herzog von Mecklenburg den Reigen, welcher uns aufgespielt werden soll, eröffne?« fragte Herr Nikolaus Gallus, und der Leutnant schüttelte das Haupt und sprach:

»Ich glaube nicht, daß darüber noch ein Zweifel obwalten kann. Bald genug werden wir vom Hauptmann Eckelbaum mehr vernehmen. Der Mann wird schon sein Bestes thun und wird den nicht streicheln, der ihn kratzt. Dem Mecklenburger Jürg wird's ein bös' Ding sein, das Banner von Magdeburg von der Burg zu Wanzleben zu reißen.«

»Wie stark ist die Besatzung daselbst?« fragte der Doctor Erasmus Alberus.

»Dreihundert gute Männer liegen in dem Flecken, doch wird derselbe nicht damit zu halten sein, wenn des Herzogen Macht davorrückt. Das Schloß wird Herr Bartholomäus nicht aufgeben; dem Flecken freilich gnade Gott. Die Feuerwächter der Stadt mögen gut ausschauen die kommenden Nächte durch, ob nicht der Himmel im Südwesten sich blutig roth färbe«, sprach der Söldner.

»Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakob's ist unser Schutz, Sela!« sprach Herr Flacius Illyricus. »Und jetzo muß ich gehen, ich hab' noch eine Correctur zu lesen für Meister Christian Rödinger.«

»Vergesset auch mich nicht, Herr Magister«, rief Michael Lotther. »Es ist da mancherlei, so Ihr mir versprochen, aber noch nicht gehalten habt!«

»Ei, Meisterlein,« lächelte der junge Gelehrte, »das Feuer brennet jetzt Jedermann auf den Nägeln. Gehabt Euch wohl, werthe Frauen und günstige Herren. Gott schütze die Stadt, Gott schütze unseres Herrgotts Canzlei!«

»Amen!« sprachen alle Anwesenden, und der Magister ging. Ihm folgte sogleich Meister Sebastian Besselmeier, der Geschichtsschreiber des Magdeburg'schen Krieges. Auch ihm brannte das Feuer auf den Nägeln, und er eilte, Büchse, Schwert und Spieß, Feder und Tinte zu seinem wackern Werke in Bereitschaft zu setzen.

Mit leiser Stimme unterhielten sich noch der Prediger der Ulrichskirche, der Rathmann und der Doctor Alberus. Der Leutnant Adam Schwartze hatte sich jetzt Regina genähert und flüsterte ihr allerlei Bemerkungen zu, welche sie recht gleichgiltig beantwortete. Ihr Vater blickte nachdenklich, mit beiden Armen auf den Tisch gestützt, in den vor ihm stehenden Bierkrug und baute im Geiste allerlei Feldlager und Schlachtordnungen auf. Nahe dem dunkeln Ofen saß Frau Margarethe, die Einzige, welche seit geraumer Zeit sich durchaus nicht an der Unterhaltung betheiligt hatte.

Um so überraschender, um so erschreckender für alle Anwesende war es deshalb, als sie plötzlich in ein unaufhaltsames helles Weinen, in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrach. Alle sprangen darob betroffen auf, und schnell eilten der Rathmann und Regina zu dem armen Weibe.

»Was hast Du, Margarethe? Was ficht Dich an?« fragte mit besorgter Stimme Herr Ludolf. »Sprich doch, so sprich doch, was weinst Du so bitterlich?«

»O Mütterlein, lieb Mütterlein! Was habet Ihr?« rief die Jungfrau, die Matrone in die Arme schließend, während der Eheherr derselben die Hand auf die Schulter legte.

»Aber Alte,« fragte wieder Letzterer, »so sag' doch, was Dich quält; haben Dich die bösen Nachrichten so erschreckt, sind die Gespräche dieses Abends Schuld an diesem Gewimmer? So fass' Dich doch, besinne Dich, hier sind seine Ehrwürden von Sanct Ulrich, hier ist der Herr Doctor und der Leutnant und der Nachbar! Beruhige Dich, noch ist der Feind nicht in der Stadt! Schäme Dich, Mutter, vor der jungen Dirn, der Regina, und laß solch' Heulen und Jammern ohne Grund!«

Die arme Frau schüttelte laut schluchzend das Haupt und rief mit gepreßter Stimme:

»Mein Kind, mein Kind, mein Sohn, allereinzigster Sohn! Wo ist mein Kind in dieser Noth, so seine alten Eltern, so seine Vaterstadt bedrängt! Markus, mein Markus, mein armer Sohn, bist Du in Wahrheit todt, bist Du wirklich begraben in der Erde, daß Du nicht kommst, daß Du Deine Mutter verlässest in allen Schrecken? O mein Kind! mein Kind! Gebet mir mein Kind in dieser Angst! O Markus, mein Markus!

Alle dem Hause mehr oder weniger Nahestehenden, mehr oder weniger mit seinen Geheimnissen Bekannten standen lautlos und schmerzlich bewegt da, ergriffen im tiefsten Herzen von diesem Ausbruch der Mutterliebe und des Mutterschmerzes. Aber das Gesicht des Rathmannes nahm plötzlich den Ausdruck höchster Strenge, ja den Ausdruck der Härte an.

»Schweige, Weib!« rief er. »Davon will ich nichts hören. Ist der, welcher einst mein Sohn war, todt, nun so mag ihm Gott verzeihen, und ich will's auch; lebend aber gehört er mir und meinem Hause weder im Glück noch im Unglück noch an.«

»Aber, verehrter Herr Ludolf –« wollte der Pfarrer von Sanct Ulrich sich in's Mittel legen, brach aber vor einer abwehrenden Handbewegung des zornigen Vaters sogleich wieder ab.

»Sprechet mir nicht davon, Ihr Herren; wer weiß denn und kann sagen, ob nicht Der, welchen mein armes Weib da eben zur Hilf' herbeiruft, in jetzigem Augenblick mit dem Mecklenburger gegen seine Vaterstadt feindlich anziehet? Wer bürgt mir dafür, daß Markus Horn, wenn er noch am Leben ist, nicht näher ist, als wir vermeinen, und ob er nicht im Feindeshaufen als Feind kommt?«

»Nimmer! nimmer!« schrie die Mutter in höchster Seelenangst, und Regina hielt sich todtenbleich an einer Stuhllehne, um nicht vor solchen harten Worten umzusinken. Der Leutnant Adam von Bamberg sah sie mit einem eigenthümlichen Blicke an, und es schien etwas in ihm zu kochen, was er mit aller Gewalt zu unterdrücken hatte. Wie spielend hielt seine Hand den Griff des Dolchmessers an seiner Hüfte, und über sein hübsches Gesicht fuhr ein solcher Ausdruck grimmigen Hohnes, daß er von Glück sagen konnte, daß ihn Niemand in diesem Augenblick beobachtete. Der Buchdrucker lief nach seiner Art, wenn ihn etwas aufregte, auf und ab im Gemach; der Doctor Alberus und Gallus blickten kopfschüttelnd als theilnahmvolle Zuschauer auf die Gruppe, welche der Rathmann mit seiner Ehefrau und Regina bildete.

Da erfüllte plötzlich wiederum ein wilder Lärm die Schöneeckstraße. Waffen klirrten, rauhe Stimmen jauchzten und sangen:

»Es stund ein Landsknecht wohlgemuth;
Halt't ihr die Stadt in guter Huth
Darzu in wahrhaftig Hande;
Sollten wir den Pfaffen die Stadt ufgeb'n,
Es wär uns ein' groß' Schande!«

Das Lied war eigentlich im Jahre Fünfzehnhundertneunundzwanzig in der Stadt Wien in Oesterreich entstanden, als der Türke davorlag. Aber wie aus mancher Volksweise mit wenig verändertem Text ein Kirchengesang gemacht wurde, so wurde auch dieses Lied manch' gleichgearteten Gelegenheiten leicht angepaßt, und im Jahre Fünfzehnhundertfünfzig während der Belagerung der Stadt Magdeburg von den städtischen Landsknechten und Bürgern viel gesungen.

Auf den Gesang erfolgte in der Gasse ein gewaltig Hallo und groß Vivatrufen, dann machte sich in dem Getöse eine einzelne kraftvolle Stimme bemerkbar, – wieder rief man aus vollen Kehlen, dann schien der tosende Haufe weiter zu ziehen oder sich zu zerstreuen. An dem Hause des Rathmanns Ludolf Horn wurde jetzt die Glocke gezogen; alle im Zimmer Anwesenden horchten verwundert auf; man vernahm, wie die alte Magd, welche die Hausthür öffnete, einen gellenden Schrei ausstieß; – einen Augenblick später stürzte sie mit hocherhobenen Armen in das Gemach, als habe sie ein Gespenst erblickt. Zu den Füßen ihrer Herrin fiel sie nieder und schrie:

»O Frau, Frau – er, er, oder sein Geist! Jesus Christus, Frau, Frau – da ist er!«

In der offenen Stubenthür erschien eine hohe kriegerische Gestalt, die sich bücken mußte, um eintreten zu können; – mit weiten, starren Augen erhob sich die Matrone aus ihrem Sessel, – der Hausherr trat, als erblicke auch er einen Geist, einen Schritt vor, – Regina fuhr zurück gegen die Wand, – Michael Lotther schlug die Hände über dem Haupte zusammen, die Andern standen zweifelnd und blickten sich an und den Eintretenden und das Ehepaar. Die Hand des Bambergers fuhr wiederum nach dem Dolchgriff.

Mit dem Aufschrei:

»Markus! Markus! mein Sohn! mein Kind!« wollte sich die Mutter in die Arme des heimgekehrten Sohnes stürzen, und der Sohn wollte auf die Mutter zueilen, als das Schreckliche eintrat. Zwischen den Sohn und die Mutter trat der Vater mit drohend ausgestrecktem Arm, und während er die Mutter zurückhielt, sprach er gegen den Andern gewandt:

»Wer seid Ihr, und was dringet Ihr auf solche Weise in diese friedliche Wohnung? Was suchet Ihr in dem Hause des Rathmanns Ludolf Horn? Ist diese Stadt schon so rechtlos, daß solch' ein Eindringen Jedermann nach freiem Belieben gestattet ist?«

»Vater?! Vater!« murmelte erstarrt, vernichtet Markus Horn.

»Vater?« rief der alte Rathmann. »Herr, was redet Ihr da? Herr, ich kenne Euch nicht. Ich hatte einen Sohn; aber der ist todt, und seine Eltern haben ihn vergessen müssen; – ich hatte einen Sohn, aber der hat sich von seinen Eltern losgesagt, und so haben sich seine Eltern von ihm losgesagt. Scheidet, Herr! Euer Anblick thut meiner Ehefrau wehe. Gehet zu Euern Genossen, gehet zu Euerm Kurfürst Moritz; gehet – man wird Euch sonst vermissen beim Sturm auf Magdeburg und Ihr werdet zu kurz kommen bei Austheilung der Beute. Gehet, sage ich, und verberget Euer Angesicht vor uns, bis Ihr mit der Brandfackel, dem Schwert und dem Raubsack diese Schwelle überschreiten mögt!«

»Nachbar! Nachbar! Was thut Ihr, Nachbar!« rief der Buchdrucker im höchsten Schrecken.

»Besinnt Euch, Herr Horn! Das sind zu böse Worte!« sprach beschwichtigend der Pfarrer von Sanct Ulrich.

»Es ist Euer Sohn, Herr Rathmann!« rief der Doctor Erasmus Alberus; aber taub blieb der zornige Vater allen Worten der Freunde. Ohnmächtig lag die Mutter in den Armen Reginens, und diese ließ die starren Blicke zwischen Vater und Sohn hin und her wandern, als begreife sie das Vorgehende durchaus nicht, als habe es nicht den geringsten Sinn für sie.

»Gehet jetzt, guter Herr«, flüsterte der Leutnant Schwartze dem so bös' empfangenen Sohn in's Ohr. »Gehet für's Erste, Ihr reget Euern Vater durch Euer Verweilen nur noch mehr auf, und Eure Mutter mag leichtlich den Tod davon haben.«

Markus Horn blickte den Flüsternden an, wie der Verbrecher auf dem Hochgerichte einen der Henkersknechte anblicken mag. Er sah auch eben so stier, so steinern zu Regina Lottherin hinüber. Noch einmal versuchte er, sich der bewußtlosen Mutter zu nähern; nochmals trat der eisenherzige Vater dazwischen. Zusammen war die stattliche Gestalt des jungen Kriegers gesunken; er blickte einen Augenblick lang seinem Vater in die Augen, dann sprach er mit gebrochener Stimme:

»So lebet wohl, Vater – fluchet mir wenigstens nicht über die Schwelle hinaus und – lebet wohl! Euer Wille geschehe; Ihr habet Recht, – aber – nicht nach den Worten des Evangeliums vom verlorenen Sohn. Lebt alle wohl! Und Ihr geistlichen Herren, meiner Mutter sagt, der Markus lasse sie grüßen, – saget ihr – – nein, es ist Alles aus. Lebet wohl!«

Der verstoßene Sohn fuhr mit der Hand über die Stirn, wandte sich und wankte hinaus, auf sein mächtig Schwert gestützt; geisterhaft richtete sich noch einmal die Mutter in Regina's Armen auf und sandte ihm einen verzweifelten Blick nach, dann schloß ihr eine wohlthuende Bewußtlosigkeit wiederum Sinn und Augen. Am Tisch saß der Rathmann und hatte die geballte Faust auf die Tischplatte gelegt und wehrte die Beschwörungen und den Zuspruch des Nachbars und der geistlichen Herren ab und schüttelte darob immer finsterer, immer halsstarriger das Haupt. Leise schlich der Bamberger fort; ihm folgten, als sie sahen, daß ihre Ermahnungen vergeblich waren, der Doctor Alberus und der Pfarrer Hahn.

»Komm, Mädchen, das ist ein Haus des Zorns und des Unheils«, rief der Buchdrucker seiner Tochter zu. »Wir wollen gehen! – Nachbar, Nachbar, das war nicht nach dem richtigen Recht gehandelt vor Gott und den Menschen! Kommet zur Besinnung Nachbar! Komm Regina!«

»Nein, mein Vater, lasset mich bei meinem armen, elenden zweiten Mütterlein, – o Gott, sehet sie nur an!«

Mit tonloser Stimme sprach aber Frau Margaretha, die jetzt ihr Bewußtsein vollständig wiedererlangt hatte:

»Nein, lieb' Kind, geh mit Deinem Vater! Geh jetzt! Lebt wohl, guter treuer Nachbar Lotther; geh, lieb' Regina, ich bin ganz wohlauf; aber ich muß jetzt allein sein mit meinem Ludolf, mit meinem Herrn!«

Weinend ließ sich Regina von ihrem Vater fortführen; – die unglücklichen Eltern blieben allein.

So wurde Markus Horn am vierzehnten September Fünfzehnhundertfünfzig im Vaterhaus empfangen.


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