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Drittes Kapitel.
Im Pontus.

Durch die Wogen des Schwarzen Meeres brauste der »Wladimir«, im langen Strom den dunklen Dampf des Schornsteins hinter sich dreinziehend. Das Meer ging ziemlich unruhig, in jenen, ihm eigentümlichen, von Schiffern und Reisenden gefürchteten kurzen Stoßwellen, denn am Tage vorher hatte der Novembersturm über die Fläche gefegt. Das Schiff – eine Dampffregatte vom russischen Geschwader des Schwarzen Meeres – kam von der türkischen Küste und hatte vor Varna gekreuzt. Der General-Adjutant, Vize-Admiral Korniloff, hatte selbst die türkische Küste zwischen der Sulina und Burgas rekognosziert und wandte sich nun, da keine feindlichen Schiffe sich blicken ließen, gegen die anatolische Küste, an der die Escadre des Vize-Admirals Nachimoff kreuzte. Auf dem Hinterdeck standen und saßen um den Kommandierenden, Kapitän-Leutnant Butakow, die meisten Offiziere des Schiffes, Fürst Barjatinski, der Zweitkommandierende, und die Leutnants Dobrowalski und Iljinski nebst zwei Schiffsfähnrichen, während die nicht im Dienst befindliche Mannschaft an den Bollwerken in allen Stellungen lungerte, oder mit leichten Arbeiten beschäftigt war. Die Wetterseite des großen und Vorderdecks maß mit langen Schritten der wachthabende Leutnant Popandopulo, zuweilen am Burgspriet einen der Hühnerkästen ersteigend und hinausschauend auf die weite Wasserwüste, die im dunkelbezogenen Himmel bleifarben wogte, während sie süß und blau erglänzte im lieblichen Sonnenstrahl.

»Nun, Schelesnow,« fragte der erste Leutnant einen jungen Offizier, der eben die Treppe des Pavillons heraufstieg, »was meint Seine Exzellenz, sollen wir wenden?« – Der Offizier erwiderte die Frage nicht, sondern wandte sich salutierend an den Kommandierenden. – »Seine Exzellenz lassen bitten, nach dem Fahrzeug abzuhalten, dessen Rauch sich am Horizont zeigt; es wäre von höchster Wichtigkeit, Nachrichten aus dem Bosporus zu erhalten.« – Der Kapitän erwiderte den Gruß und wandte sich an den Fürsten ... »Wollen Sie die nötigen Befehle geben, Herr Leutnant?«

Damit kehrten alle unbekümmert zu ihren Zigarren und der begonnenen Plauderei zurück ... »Steuerbord umlegen! – Halten Sie auf das Fahrzeug ab, das in Sicht ist.« – Die Befehle gingen durch das Schiff und der Lauf desselben wandte sich nach dem Süden ... »Wache dort oben! welche Richtung steuert der Dampfer in Sicht?« – »West-Nord-West, Euer Wohlgeboren, er kommt auf uns zu.« – »Es muß ein Türke sein,« sagte der Kapitän bedächtig; »die Eskadre des Admirals kann unmöglich in dieser Gegend sein. Hinauf in den Mastkorb und wohl ausgelugt!«

Der Fähnrich, dem er den Befehl erteilt, eilte, das Fernrohr um den Hals, an der Leiter des großen Mastes empor. – »Der Dampfer gibt ein Signal,« lautete nach kurzer Zeit die Meldung. – »Flagge auf! Geben Sie das Privat-Signal, Popandopulo!« Die weiß-blaue Flagge flatterte lustig im Winde, darunter das Fähnchen, das die Signalfarben zeigte ... »Er zieht die Flagge auf, es ist einer der Unseren.«

Die Offiziere und Mannschaften wandten sich verdrießlich ab – für einen Seemann auf blauer Flut ist der Anblick der feindlichen Farben willkommener, als der eines Freundes ... »Können Sie die Nummer des Signals noch nicht erkennen? Sehen Sie scharf zu, Bitschesko. Sie haben sonst ja gute Augen.« – »Sogleich, Kapitän. Hol' mich der Teufel! Das Schiff schwankt wie ein wandernder Kirchturm. Halt, ich hab' ihn! – Nr. 86.« – »Es ist die »Bessarabia«, ich weiß die Namen auswendig,« sagte der Kapitän. »Melden Sie es Seiner Exzellenz, Herr Adjutant.«

Schelesnow ging hinunter. – Die Schiffe näherten sich jetzt rasch, in Zeit von einer halben Stunde konnten die Signale deutlich spielen. Der Dampfer schlug jetzt die Richtung nach Südost ein und telegraphierte das Signal: »Anschließen«. – »Der Bursche hat offenbar etwas im Schilde,« sagte der Kapitän. »Er hält auf Kap Kerempe ab und das ist zum Glück bis auf zwei Strich im Winde unsere eigene Richtung. In einer Viertelstunde werden wir näheres wissen.«

Während die beiden Schiffe in der angegebenen Richtung ihren Lauf fortsetzten, kamen sie einander immer näher und waren bereits in Rufweite, als der Lugmann aus dem Mastkorbe meldete: »Zwei Dampfer in Sicht!«« – »Welchen Kurs?« – »Der eine Ost zu Süd, der andere weiter nach Norden.«

Der Admiral war jetzt auf das Verdeck gekommen. Der kleine weiße Wimpel im Flaggentau des Fockmastes zeigte seine Anwesenheit auf dem Schiff, und der kleinere Dampfer setzte bereits sein Boot aus, um den kommandierenden Offizier an Bord der Fregatte zu schaffen. – »Ah, Sie sind es, Kapitän Glasemann,« sagte der Admiral, sich über das Bollwerk lehnend; »kommen Sie geschwind herauf und bringen Sie mir Neuigkeiten! Diese Herren verlangen sehnlichst danach.« – Einige Augenblicke nachher war der Kapitän-Leutnant der »Bessarabia« auf dem Deck und begrüßte ehrerbietig seinen Vorgesetzten. – »Was haben Sie, Kapitän? woher kommen Sie? wo befindet sich die Eskadre?« – »Admiral Nachimoff, Exzellenz, ist auf der Rückkehr nach Sebastopol begriffen. Ich hatte Befehl zu kreuzen und erfuhr durch Schiffer, daß ein egyptisches Kriegsdampfboot den Weg nach der abchasischen Küste genommen hat, und war im Begriff, ihm zu folgen, als ich Euer Exzellenz fand.« – »Ist eines der Schiffe, die in Sicht sind, der Egypter?« – »Ich hoffe es.« – »Haben Sie irgend einen Verdacht, wer der zweite Bursche ist, der nach Norden steht?« – »Ich wüßte nicht, wenn es nicht etwa das Passagierboot des Lloyd sein sollte, oder ein Franzose, obschon ich sichere Nachricht habe, daß die englisch-französische Flotte noch vollständig im Bosporus ankert und keines ihrer Schiffe Rumili-Kawak Das thrakische Kastell am Meereseingang des Bosporus. überschritten hat.« – »So weit kommen die Österreicher nicht. Aber du kannst recht haben, Söhnchen, es mag eines der Transportboote sein, doch ein türkisches. In jedem Falle wollen wir uns die Burschen näher besehen. Lassen Sie die Maschinen ihre Schuldigkeit tun, Kapitän Butakow! Sie, Kapitän Glasemann, werden die Höhe gewinnen und dem Fremden den Rückzug abschneiden.«

Da wechselten die beiden fremden Dampfer Signale, wendeten plötzlich und schlugen die Richtung nach dem hohen Meere ein. Dieser schwankende Lauf war jedenfalls verdächtig und konnte nur durch das Erblicken des Geschwaders veranlaßt sein. Namentlich war das Dampfschiff vor dem »Wladimir« sichtlich bemüht, eine Begegnung zu vermeiden, und änderte jetzt mehrfach seinen Kurs. Um 9¼ Uhr wurde auf der Fregatte das Privat-Signal aufgehißt und eine Kanone gelöst, es erfolgte jedoch keine Antwort; darauf wurde die russische Flagge aufgezogen und der Befehl erteilt: »Fertig zum Gefecht!«

Alsbald löste sich die aufregende Neugier, die bisher Offiziere und Mannschaften auf dem Deck und an den Bollwerken gehalten hatte, in rasche Tätigkeit; die Kanonen wurden losgemacht, die Pulverkästen geöffnet, die Sandsäcke um die Maschinen gehäuft. Die Mannschaft stand bei ihren Geschützen, auf den Kugelkästen saßen die Pulverjungen, der Wundarzt mit seinen Gehilfen im Unterraum, die Deckmeister machten mit dem Zimmermann die Runde, die Marinesoldaten standen auf den Gangwegen, und die Offiziere, die Befehle erwartend, mit gezogenem Degen auf ihren Posten. Eine Viertelstunde später richtete das verfolgte Dampfschiff seinen Lauf gerade gegen den »Wladimir« und zeigte die türkische Flagge, den weißen Halbmond mit dem Stern im roten Felde. Bald darauf änderte es nochmals seinen Lauf; die Schiffe waren jedoch einander bereits so nahe, daß bei der starken Maschine der russischen Fregatte an ein Entkommen nicht zu denken war. Da Admiral Korniloff sah, daß das feindliche Schiff schwächer war, als der »Wladimir«, befahl er nach der Seeseite, ihm eine Kugel vor dem Bugspriet vorbeizusenden, als Aufforderung, sich zu ergeben. Der Türke antwortete mit einer vollen Seitenladung, die jedoch der noch vorhandenen Entfernung wegen ganz unschädlich blieb. Der »Wladimir« aber fiel alsbald ab und in das Kielwasser des türkischen Schiffes, das er mit seinen Bug-Kanonen der Länge nach bestrich. Hierdurch wurde der Gegner genötigt, fortwährend beizulegen, um eine Salve geben zu können und dann wieder eine neue Richtung zu steuern.

Die »Bessarabia« verfolgte unterdes das zweite Dampfschiff, das durch Anwesenheit der »Eskadre« unter dem Winde verhindert war, seine Richtung nach dem Osten zu nehmen, und die hohe See zu halten strebte. – Der Kampf hatte auf diese Weise bereits drei Stunden gedauert, und obschon es dem »Wladimir« leicht gewesen wäre, ihn fortzusetzen und den Rumpf des Gegners zu durchlöchern, beschloß der Admiral doch, dem Spiel ein Ende zu machen und auf Kartätschenschußweite heran zu gehen. Die Fregatte wandte, schoß mit der vollen Kraft der Maschine an der Seite des Feindes auf und gab ihm eine volle Kugellage. Der Erfolg in dieser Nähe war furchtbar, und die Maschine des Feindes hörte sofort auf zu arbeiten. Dennoch setzte er sich noch zur Wehr und gab eine neue Salve. Eine Granate zerschmetterte die Brust des Leutnants Schelesnow. Der »Wladimir« umfuhr den türkischen Dampfer. Zwei weitere Lagen, die eine mit Kartätschen, durchlöcherten den Rumpf und säuberten die Verdecke. Jetzt senkte der Moslem seine Flagge; der erste Seesieg in diesem Kriege war erfochten!

Das genommene Schiff war der egyptische Dampfer »Pervas Bachri« von 220 Pferdekraft und mit 10 Kanonen bewaffnet. Von seiner Mannschaft waren der Kapitän, 2 Offiziere und 19 Matrosen getötet, 18 verwundet und 134 Mann wurden gefangen genommen.

*

Das Schiff, das während des Kampfes die »Bessarabia« jagte, war der »Djerib«, ein türkisches Passagier-Dampfboot, das von Varna kam und nach Sinope bestimmt war, Passagiere, Kupfer und Pulver an Bord hatte und eine wertvolle Beute war. Schiffsvolk und Reisende hatten sich auf dem Verdeck zusammengedrängt und beobachteten eifrig das in der Ferne sich entspinnende Gefecht. Auf dem Deck, in der Nähe des Steuers saß der Kapitän, ein dicker, behäbiger Türke mit grauem Bart, auf der Bank, den Schibuck im Munde, den einer der Schiffsjungen sorgfältig in Brand hielt.

Einer der Passagiere erregte besondere Aufmerksamkeit: ein hoher, schlanker Mann von schönem, etwas hartem Gesicht und hochblonden Haaren, der reiche orientalische Kleidung trug; doch hätte ein aufmerksamer Beobachter leicht gemerkt, daß sie ihm ungewohnt saß. Auch sprach er nur mit zwei Männern, die offenbar seine Diener waren, einem Griechen und einem Manne, dem die orientalische Tracht noch ungefügiger stand, als ihm. Er ging mit sichtlicher Unruhe auf dem Verdeck auf und ab, häufig nach der Treppe der großen Kajüte blickend, aus der von Zeit zu Zeit eine ältere Frau heraufstieg und ihm eine kurze Botschaft zu bringen schien. Der Passagier war kein andrer als Sir Maubridge, der sich mit Diona, einer Griechin zu ihrer Aufwartung, und zwei Dienern in Varna eingeschifft hatte, um sich nach der anatolischen Küste zu begeben und dort die Niederkunft seiner Geliebten abzuwarten, für die er eine zärtlichere Liebe empfand, als er den Drohungen des Bruders gegenüber zugestanden. Um wenig Aufmerksamkeit zu erregen, hatten alle orientalische Kleidung angelegt. Sir Maubridge war von lebhafter Besorgnis bewegt, weil Diona, schon von der Seefahrt angegriffen, im Schreck über die plötzlich hereinbrechende Gefahr erkrankt war. Unmutig trat er bereits zum zehnten Male zum Kapitän, um ihn zu fragen, ob Aussicht vorhanden, dem russischen Kreuzer zu entgehen. Der bequeme Moslem aber schüttelte nur mit seinem ewigen »Bismallah« bedächtig den Kopf. Ungeduldig rief der Baronet endlich seinen griechischen Diener herbei, um mit dessen dolmetschender Hilfe das begonnene Gespräch fortzusetzen.

»Frage dieses Faultier von einem Menschen,« befahl er ärgerlich, »ob es möglich sei, die Schnelligkeit unserer Fahrt zu verstärken? Mich dünkt, die Entfernung hätte sich schon bedeutend verringert!« Der Grieche wiederholte die Frage auf Türkisch. Der Kapitän aber blies den blauen Rauch in die Luft ... – »Was kann ich tun? – Ein Schiff ist ein Schiff, und diese Russen haben den Teufel im Leibe.« Er blieb ruhig sitzen; der Engländer ballte entrüstet die Faust ... »Sie werden uns nach Sebastopol schleppen!« – »Inshallah! wie Gott will. Es ist unser Kismet.« – »Frage das türkische Vieh, ob er sich denn nicht zu verteidigen gedenkt? Wir haben vier Kanonen an Bord und Hände in Menge! – »Der Sohn eines Lords ist toll,« meinte der Kapitän auf die etwas höflicher übersetzte Frage. »Ich habe den Vätern und den Müttern des Moskow das nötige erwiesen; wir sind keine Kriegsleute.«

Die Bessarabia war unterdes immer näher gekommen, und ein scharfer Schuß an dem Bug des Djerid vorbei, mahnte die Türken, beizulegen. Indessen zeigte sich auch hier die Zähigkeit und Sorglosigkeit des Nationalcharakters; denn statt dem eisernen Winke Folge zu leisten, setzte das Schiff nach wie vor seinen Weg fort. Eine Hand berührte jetzt den Arm des Baronets. Es war das griechische Weib, Dionas Dienerin ... »Herr,« sagte sie, »der Schrecken hat über Eure Dame das Wehe der schweren Stunde gebracht. Sie windet sich in den Schmerzen, die dem Weibe süß sind.« – Maubridge fuhr auf. – »Verstehe ich Euch recht? sie sieht der Niederkunft entgegen, einer zu frühen Geburt?« – Die Frau bejahte. – »Ich will zu ihr.« – »Halt, Herr! Ihr würdet das Harem verletzen, und die Moslems sind streng darin.«

»Was kümmern mich die Narren,« sagte der Brite aufgeregt. »Ich will zu meinem Weibe!« und mit zwei Sätzen, während ein zweiter Schuß des russischen Dampfers donnerte und die Kugel durch die Takelage des Djerid schlug, sprang der Baronet die Treppe zum Pavillon hinab und wollte die Tür desselben aufreißen, als eine kräftige Faust ihn zurückstieß.

»Bosch! Was willst du?« – »Atsch! öffne! ich muß hinein!« – »Das ist das Haremlik meines Herrn, kein Mann darf es betreten!« ... Die drohende Gebärde, mit welcher der schwarze Sklave sich vor die Tür warf, zeigte besser als die ihm unverständliche Sprache das Verbot. Zugleich suchte flehend die ihm nachgeeilte Griechin, sich zwischen ihn und die Tür zu drängen.

Auf den türkischen Schiffen ist eine der Kajüten ausschließlich für die Frauen bestimmt und wird gleich dem Haremlik geachtet. Kein Mann darf eintreten. Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht durch das Schiff: ein Mann verletzt den Schutz des Haremliks. Die Moslems drängten sich heran; denn der drohende Frevel gegen die geheiligte Stätte bewegte sie mehr, als die Gefahr von außen, die ja in Allahs Hand stand ... »Wer ist der Hund, daß wir ihm das Seine tun? Seid Ihr ein Kind des Teufels, daß Ihr es wagt, uns in den Bart zu speien?« ... Wilde Drohungen umtobten den Briten, Waffen erhoben sich gegen ihn, und vergeblich suchte sein englischer Diener, sich zu ihm Platz zu machen ... Auch der Kapitän war herbeigekommen ... »Tut ihm nichts zuleide, er ist der Sohn eines Lords ... Was wissen diese Inglis von Gott und dem Propheten?« – »Ein Dschaur in der Kleidung der Moslems? was will das ungläubige Schwein unter uns? Er ist an allem Unglück schuld, er hat uns die Moskows über den Hals gebracht. Tötet den Franken!«

Der Baronet, der noch immer vergeblich um den Eintritt rang, schwebte in der größten Gefahr, ein Opfer des unvorsichtig erregten Fanatismus zu werden. Da donnerte und krachte es über und neben ihnen, und eine schwere Kugel prasselte, die Splitter umherstäubend, durch das Holzwerk und fuhr durch die Frauenkajüte. In Todesfurcht stürzten die Frauen hinaus ... Alles floh in blindem Schrecken, sich in den unteren Räumen des Schiffes zu verbergen, und im Augenblick sah sich Maubridge allein mit seinem Diener auf dem behaupteten Kampfplatze. Er drang schnell in die Kajüte, die mit Staub und Trümmern gefüllt war. In der hintern offenen Kabine auf dem Schmerzenslager allein lag Diona. Er stürzte an ihre Seite und verschwendete tausend Zärtlichkeiten an sie. Dazwischen donnerte draußen über die Wogen her Schuß auf Schuß, und die Kugeln fuhren durch Takelwerk und Rumpf.

Die Mannschaft hatte den Kopf verloren und vermochte nicht einmal die feurigen Grüße zu beantworten oder die Flagge zu streichen, bis endlich einer der Maschinisten, ein Italiener, aus dem Rumpfe sprang und das Flaggentau durchschnitt. Der rote Wimpel mit dem Halbmond flatterte ins Meer, und ein Jubelruf erhob sich am Bord des russischen Schiffes, das bereits seitlängs lag und seine Haken an den feindlichen Bord warf. Wenige Augenblicke darauf sprangen die russischen Offiziere, den Degen in der Faust, über die Bollwerke und im Nu war das Verdeck des Djerid mit Mannschaften überflutet ... Aber Widerstand war nirgends zu finden, die Weiber jammerten und schrien, die Moslems krochen geduldig hervor und begaben sich in das unvermeidliche Kismet, während der Kapitän von dem ersten Leutnant der Bessarabia genötigt wurde, die Papiere über Ladung und Passagiere vorzulegen.

In Angst und Besorgnis saß der englische Baronet am Eingang der Kabine, in der Diona, die arme Getäuschte, von der griechischen Dienerin unterstützt, mit den Schmerzen rang, die das werdende Leben begleiten. Seine ganze kalte, harte Natur schien sich umgewandelt zu haben in zärtliche Sorge um das junge Wesen, dessen Wimmern und Schmerzensruf wie glühender Stahl sein Herz durchbohrte. Da legte eine Hand sich auf seine Schulter, und eine Stimme befahl ihm barsch, aufzustehen. Als er emporfuhr und die Angreifer zurückstoßen wollte, fielen diese, zwei russische Matrosen, über ihn her und schnürten ihm die Arme zusammen. Ein Offizier mit dem türkischen Kapitän trat eben in die Kajüte. Auf den ersten sprang Maubridge zu und verlangte mit ungestümen Worten, sofort freigelassen zu werden, und Schutz für sich und seine Leute.

Der Offizier sah ihn groß an ... »Ich bin ein Brite. Unser Gesandter in Konstantinopel wird Rechenschaft fordern für jede Beleidigung, die mir widerfährt.« – Der Offizier lächelte malitiös ... »Ein Engländer in türkischer Kleidung? Wahrscheinlich ein türkischer Spion, um unsere Häfen zu inspizieren. Ihre Papiere, mein Herr!« – Der Baronet erbleichte vor stolzer Wut ... »Ihre Leute haben mich gebunden. Lassen Sie mein Portefeuille aus der Tasche nehmen, meine Papiere befinden sich darin. Ich hoffe, Sie werden die Banknoten dabei schonen!«

Der Russe befahl kalt, ihn zu durchsuchen, öffnete am Tisch die Brieftasche, während Maubridge zähneknirschend daneben stand ... »Einen Paß für den Baronet Maubridge und seinen Diener. Das wäre richtig. Sieh' da, Briefe an Churschid-Pascha Der frühere Insurgenten-General Guyon. und Selim-Pascha, also ins feindliche Lager. Und hier ein solcher an Schamyl. – Das ist kein übler Fang« – »Herr, Sie haben kein Recht, sich an meinen Briefen zu vergreifen.« – »Einem Engländer trauen wir alles zu, und mit einem Spion machen wir nicht viel Umstände. Bringt den Mann zu den anderen Gefangenen.«

Ein Schmerzensruf erscholl aus der Kabine, deren Tür halb geschlossen war. – Der Baronet überwand seine Wut und seinen Stolz ... »Sie werden menschlich sein, mein Herr, und in diesem Augenblick mich nicht von der Frau da drinnen trennen, die jeden Moment ihre Niederkunft erwartet.« – »Wer ist das Weib?« – »Eine Griechin. Sie gehört zu meiner Begleitung.« – »Davon steht nichts in dem Paß. Pflegen die Herren Briten vielleicht auch schon ihre Harems mit sich zu führen?« – »Sie ist« – er zögerte einen Augenblick – »ich bitte die Dame als meine Gattin zu achten!« – »Dummkopf, wer's glaubt! – Fort mit dem Burschen! die Weiber werden hier besser am Platze sein, wie er. Sie können in diese Kajüte gesperrt werden.« – Die Russen faßten den Baronet und zerrten ihn fort. Da – an der Tür klang ihm zum letzten Male der schneidende Wehruf des Mädchens ins Herz – dann ein anderer Laut, – er war Vater!

*

Es war am dritten Morgen nachher, als ein einfacher Trauerzug aus dem Quarantänegebäude der russischen Pontus-Festung Sebastopol sich nach dem nahen, am Ende des Quarantänehafens befindlichen Kirchhof bewegte. Ein russischer Geistlicher ging dem Sarge voran, der nach griechischer Sitte offen und niedrig getragen wurde. Nur wenige Personen hatten sich dem Zuge angeschlossen, einige Diener aus dem Hospital der Quarantäne, eine griechische Frau und ein Mann in orientalischer Kleidung zwischen zwei russischen Marinesoldaten: Edward Maubridge, der Baronet; im offenen Sarge, den Rosmarin in den dunklen Locken und auf der Brust, lag Diona Grivas, die Schwester der Caraiskakis. In der Nacht nach der Geburt war sie gestorben – sie hatte das allzu frühe Leben des Kindes mit dem ihren erkauft. Ihr Verführer war fern von ihrem Sterbebett, an dem nur der Pope der Fregatte Wladimir und die in Varna geworbene Dienerin mit den gefangenen türkischen Weibern stand. Dennoch war sein Name im Tode auf ihren Lippen, Vergebung in ihrem Herzen. Sie ließ sich das Kind, einen Knaben, bringen, segnete ihn und übergab ihn dem Geistlichen ihres Glaubens mit dem Geschmeide, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Erst am andern Morgen erfuhr der Baronet ihren Tod. Die Nachricht erschütterte den trotzigen Mann im Innersten; er ließ dem Kommandierenden des Schiffes die dringende Bitte stellen, zu der Leiche geführt zu werden, und als ihr gewillfahrt worden, verließ er dieselbe nicht mehr, bis das Schiff in der Nacht auf der Reede von Sebastopol Anker warf. Am nächsten Morgen lieferten die russischen Dampfer ihre Beute im Quarantänehafen ab, und die Gefangenen wurden in ein zu ihrer Aufnahme bestimmtes Gebäude, die Leiche aber nach dem Hospital gebracht, von wo aus das Begräbnis am nächsten Tage erfolgte. Durch sein Gold erlangte der Baronet die Erlaubnis, die Tote zu ihrer letzten Ruhestätte zu begleiten.

Am fünften Tage nach der Ankunft der Gefangenen war ihre Quarantäne zu Ende und sie wurden in die Stadt gebracht. Hier ward der Baronet, trotz seiner Protestationen, von der griechischen Dienerin und dem Kinde getrennt und erhielt seinen Aufenthalt im Fort Sankt Nikolas angewiesen, wo er in strenger Absonderung mit seinem englischen Diener gehalten wurde. Nur der Grieche durfte ab und zu gehen und sorgte für ihre Bedürfnisse. Durch ihn erfuhr Maubridge, daß die Wärterin mit dem Kinde in der Familie des Geistlichen vom »Wladimir«, die in Sebastopol wohnte, Aufnahme gefunden hatte.

Von dem Fenster seines hochgelegenen Gemaches aus übersah der Baronet die schöne Felsenbucht von Sebastopol mit den riesigen Befestigungen der Nordseite, dem Fort Konstantin, dem Katharinen-Fort, der Sukaia-Batterie und der großen Zitadelle, während rechts der Blick am Eingang des Militärhafens vorbei, dessen andere Seite, Fort Nikolas gegenüber, das Fort Sankt Paul beschützte, bis ans Ende der Bucht zu den Höhen von Inkerman schweifte, wo die beiden Leuchttürme des Nachts dem Schiffer ihr leitendes Feuer zeigten. Links am Artilleriehafen hin, zwischen dem Fort Nikolas und der großen Batterie, reichte seine Aussicht bis zum Fort Alexander und den beiden Quarantäne-Forts, die auf der Südseite, Fort Konstantin gegenüber, den Eingang der Bucht decken. Dies ganze prächtige und großartige Schauspiel lag unter den Augen des Gefangenen, doch betrachtete er es mit Gleichgültigkeit. Mit dem Tode Dionas war eine auffallende Veränderung in seinem Wesen und Charakter vorgegangen; er fühlte, daß er das Mädchen mit der ganzen Kraft seiner Seele geliebt und dennoch unehrenhaft an ihr gehandelt hatte. Das machte seinen hochmütigen Sinn noch erbitterter, heftiger, abgeschlossener. All sein Gefühl, sein Denken und seine Entschlüsse konzentrierten sich jetzt auf das Kind, das er das seine nannte. Täglich mußte der griechische Diener zum Hause des Popen wandern, um ihm Nachricht von dem Knaben zu bringen, und eine bedeutende Summe sandte er für die Pflege desselben.

So verstrichen mehr als zwei Wochen. All seine Beschwerden, Aufforderungen und Drohungen, ihn in Freiheit zu setzen, waren von den russischen Behörden unbeachtet geblieben, er erhielt nicht einmal eine Antwort, und die Offiziere des Forts vermieden ihn, wenn er die Erlaubnis hatte, auf den Wällen spazieren zu gehen ... Es war am Nachmittage des 26. November, als er am Fenster seiner Zelle saß und mit finsterm Brüten gedankenlos dem Fluge der Möven zuschaute, die über die Bucht strichen, mit ihrem ängstlichen Geschrei eine Erneuerung des Sturmes verkündend, der bereits mit kurzen Unterbrechungen seit zwei Tagen getobt hatte. Da wurde seine Aufmerksamkeit durch ein kleines Dampfschiff erweckt, das von der Höhe der See, ohne, wie die gewöhnliche Vorschrift erheischte, vor den Eingangs-Forts beizulegen, mit aufgehißten Signalen in die Bucht schoß und am Fort Nikolas beilegte. Sogleich wurde ein Boot herabgelassen, und mehrere Personen fuhren zum Ufer. Es war dem Baronet, als sei ihm eine derselben nicht unbekannt, doch war die Entfernung zu groß, um genaueres zu erkennen ... Die Dämmerung begann unterdes einzutreten und mit dem Abend sich der Wind aufs neue zu erheben. Regen und Hagel peitschten gegen das Fenster der Zelle, an welchem der Gefangene noch immer saß, in den beginnenden Kampf der Elemente hinausstarrend. Plötzlich donnerten rasch nacheinander drei Signalschüsse von der vorderen Bastion des Forts, und Maubridge konnte bemerken, daß Signale mit bunten Laternen aufgezogen wurden, die bald darauf von den Schiffen in der Bucht und auf der Reede am Eingang erwidert wurden. Ein lebendiger, rascher Verkehr schien sich trotz der unruhigen See zwischen der Flotte und dem Ufer zu erheben, Boote, schwer mit Mannschaft beladen, gingen und kamen, und die ankernden Dampfer begannen zu heizen.

Eine wichtige Nachricht mußte eingetroffen sein, das zeigte auch die Bewegung im Fort selbst und die Unruhe auf den nächstliegenden Straßen ... Es mochte gegen 9 Uhr abends sein, als Tritte sich seiner Tür näherten und ein Offizier, in Begleitung zweier Marinesoldaten mit aufgepflanztem Bajonett, eintrat, während vier russische Matrosen an dem Zugang stehen blieben ... »Ich habe Order, mein Herr,« sagte der Offizier, »Sie sofort zum Kommandanten zu geleiten. Zugleich ersuche ich Sie, Ihren Leuten Anweisung zum Packen Ihrer Effekten und zur Überweisung derselben an diese Männer zu geben, die sie befördern werden.« – »So bin ich meiner Haft entlassen und kann abreisen?« – »Ich befinde mich außerstande, Ihnen Antwort zu geben,« erklärte der Offizier; »ich erfülle die Befehle meiner Vorgesetzten und bitte Sie, mir zu folgen.«

Der Baronet war zu stolz, um weiter zu fragen, und nach einigen Befehlen an seine Diener alsbald bereit. Der Russe riet ihm höflich, seinen Regenmantel zu nehmen, da draußen das Wetter immer heftiger tobte, und führte ihn dann in Begleitung der Wachen durch die Gänge und Höfe des Forts. Zum Erstaunen des Briten schlug der Offizier den Weg zum Tor ein, gab dort die Parole und verließ mit ihm die Zitadelle. Auf den Straßen war, trotz der üblen Witterung, reges Leben und Treiben, Licht an allen Fenstern, Matrosen und Marinesoldaten kamen und gingen in Trupps aus und nach den Magazinen, Offiziere eilten in ihre grauen Schiffsmäntel gehüllt dahin, und vor dem großen Eingang des Admiralitätsgebäudes, der Wohnung des Oberbefehlshabers Admiral Berg und zur Zeit des Fürsten Mentschikoff, brannten große Pechfackeln. Der Baronet wurde in ein Vorzimmer des ersten Stockes geführt, und nach wenigen Minuten winkte ihm der begleitende Offizier, in den anstoßenden Saal einzutreten.

Derselbe war von Offizieren und Marinebeamten gefüllt. An einer großen Tafel, auf der große Seekarten ausgebreitet lagen, waren mehrere höhere Flottenoffiziere eifrig beschäftigt und in einer Debatte begriffen ... Der Wind war unterdes immer heftiger geworden, fegte in einzelnen langen Stößen durch die Bergschluchten und ließ die hohen Fenster des Saales erklirren.

»Es wird kaum möglich sein, Nowossilsky, daß Sie die Anker lichten können und die hohe See erreichen in diesem Wetter,« sagte ein alter Offizier in der Admiralsuniform, der an der Mitte des Tisches saß. »Warten Sie bis morgen.« – »Wir würden höchstens das Tageslicht zum Gewinn haben, Exzellenz, und dafür eine kostbare Zeit verlieren,« entgegnete ein Mann von kühnem, seemännischem Aussehen, der Kommandant der vierten Flottendivision, Konter-Admiral Nowossilsky. »Sie kennen unsere Stürme und wissen, daß sie ihre Zeit haben müssen. Die englisch-französische Flotte könnte leicht Nachricht erhalten haben und aus dem sichern Bosporus herauskommen. Nachimoff hätte dann das Nachsehn.« – »Nun, wie Sie wollen. Kapitän Tschigiri, haben Sie die Order bereit?« Der Offizier du jour reichte das Papier und Admiral Berg unterzeichnete es.

»Ich werde mich durch die Bessarabia hinausbugsieren lassen,« fuhr der Konter-Admiral fort. »Wann erwarten Sie Korniloff zurück?« – »Morgen. Sie werden die Bessarabia kommandieren, ihm entgegen zu fahren.« – »Nun, hoffentlich läßt er uns anderen auch etwas übrig ... hat er doch bereits drei Dampfer den Türken genommen, während wir kaum das Bugspriet aus dem Nest gesteckt haben. Doch wie steht es mit dem Passagier, Exzellenz, den Sie mir mitgeben wollten? Die Zeit drängt.« – »Haben Sie den Engländer hier, Rogula?«

Der zweite Hafen-Kommandant, an den die Frage gerichtet war, sah nach der Gruppe an der Tür ... »Der Gefangene soll vortreten.« – Maubridge trat mit finsterm Blicke bis zu dem Tisch und stützte die Hand darauf.

»Wer von den Herren,« fragte er, ohne die Anrede abzuwarten, »ist Fürst Mentschikoff? Ich wünsche ihn zu sprechen.« – Der greise Offizier winkte ... »Der Fürst ist abwesend. Ich bin Admiral Berg, der Oberkommandant der Festung, und Sie werden sich mit mir begnügen müssen.« – »Dann lege ich Protest bei Ihnen ein im Namen der britischen Nation, wegen der unwürdigen Behandlung und rechtswidrigen Haft, die mir hier geworden ist. Ich werde mich bei unsern Gesandten in Petersburg beschweren.« – Der Admiral schien die Phrase nicht zu beachten ... »Sie heißen?« – »Edward Maubridge, Baronet.« – »Nach dem Bericht des Kapitän Juschkin sind Sie am 6. auf dem türkischen Dampfboot Djerid gefangen genommen worden auf dem Wege nach Sinope. Man hat bei Ihnen Briefe an die türkischen Befehlshaber in Anatolien und selbst an Schamyl gefunden, die beweisen, daß Sie mit den Feinden Rußlands in Verbindung stehen.« – »Ich bin Engländer und habe niemand Rechenschaft zu geben, wohin ich gehe und mit wem ich in Verbindung stehe. England ist bei Ihrem Kriege eine neutrale Macht.« – Der Admiral lächelte ... »Wie man's nehmen will! Ich habe jedoch nicht Zeit, mich mit Ihnen in eine politische Kontroverse einzulassen. Ich will Sie, trotz jener Verbindungen, als Reisenden gelten lassen, und wir werden Sie an den Ort schaffen, wohin Sie gehen wollten. Sie haben sich demnach nur über eine Haft zu beklagen, die durch die Umstände geboten war. Unser Geschwader geht in einer Stunde nach Sinope ab und wird Sie dort mit Ihren Dienern ans Land setzen. Treten Sie ab.« – »Einen Augenblick mein Herr – ich will alles vergessen, aber ich kann diese Stadt nicht verlassen ohne mein Kind! Lassen Sie mein Kind holen mit seiner Wärterin.« – »Ihr Kind? – Meinetwegen. Doch sehe ich nichts von einem Kinde in Ihrem Paß erwähnt. Was ist damit, Kapitän Juschkin?« ... Der Kapitän der Bessarabia trat vor ... »Ein griechisches Weib, Exzellenz, ist nach dem Gefecht eines Knaben genesen, den Pope Alexowitsch in seine Pflege nahm, da die Frau starb.« – »Welches Recht haben Sie an dem Kinde?« – »Es ist das meine, die Verstorbene war Lady Diona Maubridge.«

»Lügner!« gellte es durch den Saal von den Lippen eines bleichen Mannes, der im Haufen der Umstehenden bis jetzt mit atemloser Spannung dem Verhör und der Verhandlung beigewohnt hatte, das Auge voll Haß keinen Moment von dem Briten abwendend. »Lügner! Beweise dein Anrecht an Diona Grivas, die du gemordet, dein Recht, das du selbst mit Füßen getreten und verleugnet hast!« – Der Baronet stand bleich, – ihm gegenüber der Bruder und Rächer des toten Mädchens, Gregor Caraiskakis ... »Euer Exzellenz,« sagte der Grieche, und Schmerz und Zorn erstickten fast seine Stimme, als er sich zu dem Admiral wandte: »Wenn der Dienst, den ich Ihnen geleistet, wenn Eifer und Treue für die Sache Rußlands eine Anerkennung verdienen, so gewähren Sie mir Gerechtigkeit gegen diesen Mann. Zweimal entführte er meine Schwester durch heuchlerische Künste und entehrte sie, indem er durch ein höllisches Spiel mit der Arglosen sie glauben machte, sie sei seine angetraute Gattin. Als ich ihr Recht von ihm forderte, leugnete er es, und Diona Grivas, die Schwester des Caraiskakis, wurde durch seinen Trug zu seiner Maitresse erniedrigt. In diesem Augenblick erfahre ich, der Bruder, aus seinem Munde, dessen Spur ich bis Varna verfolgte, den Tod der Unglücklichen und ich segne ihn, denn er deckt ihre und unsere Schande. Aber das Kind, das Kind aus dem Blute meiner Schwester, soll der falsche Engländer nimmer besitzen und sollte ich es ihm mit dem Leben entreißen!«

Die verächtlichen drohenden Blicke der Offiziere ringsum hafteten auf dem Briten, der bleich und trotzig im Kreise umherschaute ... »Das Kind ist mein, ich nehme das Recht des Vaters und Engländers in Anspruch!« – »Herr Caraiskakis,« sagte der Admiral ernst, indem er sich erhob, »wir sind Ihnen verpflichtet durch den Dienst, den Sie uns erwiesen haben, indem Sie keine Gefahr scheuten, um Admiral Nachimoff und dann uns Nachricht zu bringen von dem verräterischen Unternehmen des türkischen Geschwaders. Wir möchten Ihnen gern Gerechtigkeit gewähren an diesem Manne, doch – das Recht des Vaters ist ein heiliges, und als solcher kam er in unsre Gewalt.« – »Einen Augenblick, Exzellenz,« unterbrach der Vizeadmiral Rogula den Greis. »Wenn ich Kapitän-Leutnant Juschkin recht verstanden habe, erfolgte die Entbindung erst nach der Wegnahme des Schiffes?« – »So ist es,« bestätigte der Kapitän. – »Dann, mein Herr,« sagte mit Würde der Admiral, »ist das Kind unter russischer Flagge geboren und genießt russischen Schutz, bis Ihre Ansprüche bewiesen sind, was durch den Tod der Mutter unmöglich werden dürfte.«

Der Baronet stampfte mit dem Fuße auf. »Ich will mein Kind!« Ein Sturmstoß erschütterte das Gebäude, daß es in seinen Grundvesten zu erbeben schien ... »Hören Sie die Stimme des Allmächtigen, Herr,« sprach streng der Greis, »der mit seinem Sturmwind über jene Wogen fährt, denen bald Ihr Leben anvertraut sein wird, und bereuen Sie Ihre Handlungsweise. – Fort mit ihm, und Sie, Nowossilsky, zu Schiff, zu Schiff, damit Sie die hohe See erreichen, ehe der Sturm nach Süden umsetzt!« – Er reichte dem Konter-Admiral die Hand, und die Schiffsoffiziere verließen eilig den Saal und die Admiralität. Knirschend fügte sich der stolze Brite in die Befehle, da einige deutliche Winke ihn belehrten, daß er sonst mit Gewalt an Bord geschleppt werden würde. – Als er am Quai stand und auf das Boot harrte, legte sich eine Hand auf seine Schulter, und sich umwendend schaute er wieder in das vor Haß glühende Auge des Griechen. – »Ich hoffe,« sagte dieser mit zischendem Tone, »wir werden uns wieder begegnen, wo Sie nicht unterm Schutz der Gefangenschaft stehen. Holen Sie Ihr Kind, Mylord, wenn Sie den Mut dazu haben!« – »Ich werde es holen! Goddam!« Er sprang ins Boot und die dunklen Wellen trennten die Gegner.

*

Die russische Pontusflotte hatte bisher ungehindert auf dem Schwarzen Meere und bis dicht an die rumelischen und anatolischen Küsten gekreuzt und bereits mehrere türkische Dampfschiffe, darunter noch während der von Omer-Pascha dem russischen Oberbefehlshaber in den Fürstentümern gestellten Frist den »Medari Tidjaret«, genommen. Die türkisch-ägyptische Flotte ankerte währenddessen noch im Bosporus in der Bucht von Beykos. Das französisch-englische Geschwader war am 8. und 9. vor Konstantinopel eingetroffen. Die mächtigen Schiffe lagen jetzt vom Eingang des Goldenen Horns bis Bujukdere hinauf an dem europäischen Ufer des Bosporus, und ihre Mannschaften füllten die Straßen von Konstantinopel, wobei das anständige und freundliche Benehmen der französischen Matrosen einen grellen Gegensatz gegen das brutale und rohe Treiben der englischen Seeleute bildete.

Am 28. Oktober hatte Selim-Pascha, der Oberbefehlshaber der türkischen Truppen in Anatolien, das Fort Nikojalowst, den elften russischen Posten an der südlichsten Spitze der Küste von Kaukasien zwischen Batum und Redutkale, überfallen und nach siebenstündigem, hartem Kampfe genommen. Der Kommandant der Truppen in Grusien, Oberst Karganow, versuchte zwar, den Posten wieder zu nehmen, wurde jedoch zurückgedrängt. Der Verlust auf beiden Seiten war erheblich. Die türkische Armee überschritt hierauf auch an anderen Punkten die russische Grenze und nahm einige kleine Posten weg, bis Fürst Bariatinsky, der Chef des Generalstabes der zweiten aktiven Armee, dem Feinde in einer vorteilhaften Stellung bei Alexandropol am 14. November eine Niederlage beibrachte und zirka 1000 Türken zu Gefangenen machte. Bald darauf, am 26., erfocht Fürst Andronikoff einen zweiten glänzenden Sieg über das türkische Korps, das Achalzik eingenommen hatte und die Festung belagerte. Die Türken verloren hier an 5000 Mann, 12 Kanonen, 7 Fahnen, die ganze Bagage und große Munitionsvorräte.

Es ist eine bekannte Sache, daß die tscherkessischen Stämme in ihrem Kampfe gegen Rußland seit Jahren im stillen von England unterstützt wurden. Bei Beginn der orientalischen Verwicklungen war daher eines der ersten Mittel, das die sogenannte neutrale Intervention ins Auge faßte, die Aufreizung Schamyls zu einem Angriff gegen die russischen Forts an der abchasischen Küste und die ganze Stellung am Kaukasus. Im Diwan wurde eine Expedition an die abchasische Küste beschlossen, um den Bergvölkern Geld, Waffen und Truppen zuzuführen, und alsbald ins Werk gesetzt. Mit dem Kommando des Geschwaders war, auf die Einwirkung des Kapudan-Pascha, dieses zweiten Führers der Kriegspartei, der 61jährige Osman-Pascha betraut, der sich wenigstens durch einen 41jährigen Seedienst, indem er schon 21 Jahre im Dienste Mehemed Alis gestanden, empfahl. Mit wenigen Ausnahmen hat die Türkei nie gute Seeoffiziere besessen, auch sind die Türken keine tüchtigen Seeleute, und die türkische Flotte war bis zum Beginn des Krieges zum großen Teil mit griechischen Matrosen bemannt, die, bei der allgemeinen fanatischen Stimmung unter der griechischen Bevölkerung, jetzt ihren Dienst verließen. Noch trauriger war es auf der ägyptischen Flotte bestellt. Das Geschwader, mit dem Osman-Pascha in der ersten Hälfte des November Befehl erhielt, unter Segel zu gehen, bestand aus 7 Fregatten von 74, 60, 52, 56, 50, 38 und 42 Kanonen, 2 Korvetten; 1 Sloop und 2 Transportschiffen, und hatte über 5000 Mann Landtruppen, unter Kommando Mustapha-Paschas, zur Ausschiffung an der tscherkessischen Küste an Bord, sowie 20 Millionen Piaster in englischem Golde, nebst bedeutenden Vorräten von Waffen und Munition. Mehrere englische Offiziere und Ingenieure, sowie eine Anzahl politischer Flüchtlinge, befanden sich auf den Schiffen ... Dies war die wichtige Nachricht der russischen Agenten in Konstantinopel, die Caraiskakis von Varna aus, indem er ein auf der Höhe der Bucht kreuzendes Schiff erreichte, dem Geschwader des Vizeadmirals Nachimoff und von diesem mit der »Bessarabia« nach Sebastopol überbracht hatte.

Am 24. erblickte Vizeadmiral Nachimoff, in der Aufsuchung des türkischen Geschwaders begriffen, dasselbe im Hafen von Sinope, wohin sich Osman-Pascha, der am 16. von Trapezunt abgesegelt war, zurückgezogen hatte, teils um Schutz vor den Stürmen zu suchen, teils um abzuwarten, daß die an der abchasischen Küste kreuzenden russischen Schiffe sich zurückzögen. Auf der Reede von Sinope glaubten sich die Türken vollkommen sicher vor jedem Angriff ... Am folgenden Tage verhinderte ein heftiger Sturm aus Westen den Admiral, sich Sinope zu nähern, und er sandte sofort die »Bessarabia« nach Sebastopol mit der Nachricht ab, indem er mit den Linienschiffen »Kaiserin Maria« von 120, »Tschesme« und »Rosstisslaw« von 84 Kanonen und den Fregatten »Kagul« und »Kulewtschi« die Reede blockierte. In der Nacht zum 28. traf der Konter-Admiral Nowossilski mit seiner Abteilung bei dem blockierenden Geschwader ein, das nunmehr aus sechs Linienschiffen und zwei Fregatten bestand. Am 28. traf Nachimoff seine Dispositionen, um beim ersten günstigen Winde den Feind anzugreifen. Endlich am Morgen des 30., Mittwoch, trat ein leichter, günstiger Ost-Nord-Ost ein. Um 10 Uhr morgens gab der Admiral das Zeichen, sich zum Kampfe fertig zu machen. Am Tage vorher war Sir Maubridge mit seinen beiden Dienern durch ein Boot in der Nähe der Stadt ans Land gesetzt worden.

Admiral Nachimoff hatte mit seinen Offizieren auf der Schanze »Maria« seinen Platz genommen und beobachtete mit dem Fernrohr die Schlacht. Lustig arbeiteten die Kanonen auf den Decks; dichter Pulverdampf hüllte die Schiffe in fast undurchdringlichen Nebel, daß kaum die Mannschaften der Geschütze nebeneinander sich sehen konnten. Nur der ermunternde Zuruf der Offiziere, das Ächzen der Verwundeten unterbrach die stille Arbeit an den Kanonen

Eine Stunde hatte das Feuer in voller Heftigkeit gedauert, als es auf türkischer Seite zu ermatten begann. Die Boote der Schiffe, die noch See halten konnten, bedeckten, mit Flüchtenden gefüllt, den Raum nach dem Ufer. Hunderte warfen sich ins Wasser, um schwimmend ihre Rettung zu versuchen. Um 2 Uhr hörte das Feuer von den türkischen Fahrzeugen fast ganz auf; drei Fregatten, darunter die des türkischen Admirals, standen in Flammen, und von den zwei durch die Kugeln durchbohrten und gesunkenen Transportschiffen waren nur die Masten sichtbar. Eine der Korvetten war gleichfalls in Grund gebohrt, die andere Korvette und die Sloop kampfunfähig. Um 2½ Uhr gab Admiral Nachimoff das Signal, das Feuer einzustellen. Zugleich wurde Leutnant Birjuleff mit der Parlamentärflagge nach der Stadt gesandt, um den türkischen Behörden anzuzeigen, daß, wenn noch ein Schuß von den Batterien oder vom Ufer aus fallen sollte, der Admiral von Grund aus die Stadt zerstören oder abbrennen werde. Der Offizier verweilte fast eine Stunde unbehindert am Ufer, ohne eine obrigkeitliche Person auffinden zu können. Ein panischer Schrecken hatte sich der Moslems bemächtigt und die türkische Bevölkerung sich sämtlich in die nächsten Dörfer geflüchtet. –

Während die Schlacht im Hafen von Sinope wütete, hatte sich auf der See jenseits der einbuchtenden Landzunge eine andere Kampfszene ereignet.

Am 29., sobald der General-Adjutant, Vizeadmiral Korniloff, den die »Bessarabia« aufgesucht hatte, mit einem Dampfergeschwader, bestehend aus den Dampfschiffen »Odessa«, »Krim« und »Chersones«, in Sebastopol eingetroffen und die Schiffe zum Auslaufen wieder bereit waren, ging er zur Eskadre Nachimoffs ab. Am 30., bald nach 12 Uhr, bemerkte man auf dem Dampfer, der sich bereits der anatolischen Küste genähert hatte, über die Landzunge von Sinope hinweg, daß die Schlacht begonnen, und die Dampfschiffe beschleunigten alsbald ihren Lauf so sehr als möglich, um die Reede zu erreichen. Als sie am Vorgebirge von Sinope vorübergingen, wurde ihnen die türkische Dampf-Fregatte »Taïf«, von 20 Kanonen, sichtbar, die, auf dem linken Flügel der türkischen Stellung postiert, weniger gelitten und bereits vor Beginn des Kampfes geheizt hatte und jetzt bemüht war, durch die Flucht der allgemeinen Vernichtung zu entgehen. Der Vizeadmiral Korniloff befahl alsbald, seine Flagge aufzuziehen und dem türkischen Dampfschiffe, das nach der hohen See steuerte, den Kurs abzuschneiden. Der »Taïf«, obschon er fast dreimal stärker war, als die »Odessa«, änderte jedoch, sobald er das russische Manöver gewahr wurde, seine frühere Richtung und lief längs dem Ufer hin. Als das Dampfschiff »Odessa« sich bis auf Kanonenschußweite genähert, eröffnete es das Feuer aus dem langen Neunpfünder auf seinem Vorderteil ... »Bei Gott,« sagte der Admiral, »die Schurken werden den Kampf nicht annehmen, sondern verlassen sich auf die stärkere Maschine. Wir müssen zu dem letzten Mittel greifen, sie zum Fechten zu zwingen. Lassen Sie die Enterhaken bereit machen, Kapitän Stanißlaw, und die nötige Mannschaft an die Schanzverkleidungen treten.« In wenigen Augenblicken waren die Vorbereitungen getroffen, und die Schiffe näherten sich rasch einander, denn der Kapitän des »Taïf« sah ein, daß er dem russischen Dampfer nicht ausweichen könne, ohne auf die Klippen des Ufers zu geraten. Die Mannschaften beider Schiffe standen auf den Decks, die Türken mit Rudern und Stangen bewaffnet, um das feindliche Schiff abzuhalten. Auf den Radkästen und an den Seiten der »Odessa« waren die Enterer postiert, Kapitän Stanißlaw auf der Brücke über der Maschine, um die Kommandos für die Bewegung zu geben. – »Was tun Sie hier, mein Herr?« sagte einer der Offiziere zu einem Manne in einem der grauen russischen Militär-Kapots und darunter in Zivilkleidung, der, das Glas am Auge, einen Säbel in der Faust, am Bugspriet des Dampfers auf einer gefährdeten Stelle sich hielt. »Sie gehören nicht zur Equipage und setzen sich hier unnütz der Gefahr aus.« – Der Angeredete verwandte kein Auge von dem heranbrausenden Gegner ... »Bitte, lassen Sie mich hier,« sagte er dringend, »ich habe von dem Admiral die Erlaubnis erhalten, den Kampf mitzufechten, und bin begierig, Ihnen zu zeigen, daß mein Volk die Gefahren seiner Beschützer zu teilen wünscht.«

Es war keine Zeit zu langem Streit, denn die Schiffe waren etwa nur noch 20 bis 30 Faden weit auseinander, und Gregor Caraiskakis, – denn er war es, der an der Brustwehr stand und, nachdem er noch in Sebastopol verschiedene Verfügungen über das Kind seiner Schwester getroffen hatte, auf seine ausdrückliche Bitte auf dem Schiff des Vizeadmirals aufgenommen worden war, um seinem Gegner nach Sinope zu folgen, – behielt seinen Platz.

Während der »Taïf« in grader Linie seinen Lauf fortsetzte, schoß die »Odessa« in einem spitzen Winkel gegen ihn heran. In der Entfernung von etwa einer halben Seemeile eilten die beiden andern Dampfschiffe herbei. Es war die Absicht des Admirals, das Bugspriet des kleinen Dampfers womöglich in den Radkasten der türkischen Fregatte aufzurennen, die Enterhaken zu werfen und die Türken so im Kampf festzuhalten, bis die beiden andern Dampfer herankommen konnten. Die Enterhaken wurden zwar geworfen, fanden hier aber wenig Halt, und ein kurzer Kampf entspann sich auf den Decks, während der Dampfer von dem Anstoß sich langsam herumschwenkte und seitlängs der Fregatte legte.

Einige der russischen Matrosen versuchten an der höheren Brüstung des türkischen Schiffes emporzuklettern, wurden aber zurückgeworfen oder ins Wasser gestürzt. Unter denen, die vergeblich sich damit bemühten, befand sich auch Caraiskakis. Er hatte mit der Linken sich an eine der herabhängenden Bootsketten festgeklammert und war im Begriff, sich über den feindlichen Bord zu schwingen, als ein donnerndes Krachen verkündete, daß die »Odessa« die vier kleinen Kanonen gelöst, die ihre Breitseite bildeten. Die Schwere der Geschütze war zu gering, um selbst in dieser Nähe eine gefährliche Wirkung auf die Fregatte auszuüben, der Rückstoß der Salve bewirkte jedoch, daß die Schiffe von einander prallten und einige Ketten der geworfenen Enterhaken sprangen, während andere von dem türkischen Schiffsvolk gelöst wurden. Zugleich schoß die Fregatte mit aller Kraft der Maschinen vorwärts und war im nächsten Augenblick schon mehrere Schritte an der »Odessa« vorbei. Ein wilder Ruf des Schreckens ertönte von den Lippen derer, die noch an dem türkischen Schiff hingen, und vergeblich jetzt wieder an den eigenen Bord zu gelangen suchten. Einige ließen sofort los und vertrauten sich den Wellen an, andere wurden von den Türken heruntergestoßen. Caraiskakis, der zu spät die Schanze des russischen Schiffes unter seinen Füßen weichen fühlte, wurde, ehe er noch einen Entschluß fassen konnte, hart von einem Türken bedroht, gegen den er sich, so gut er es in dieser Lage vermochte, mit dem Säbel verteidigte. Schon wollte er den schwankenden Halt aufgeben und sich gleichfalls ins Meer stürzen, als er sich von hinten am Kragen ergriffen und von einer kräftigen Faust emporgehoben und über Bord geschwungen fühlte. Im nächsten Augenblick, als er sich emporraffte, starrte er seinem Besieger ins Antlitz, der ruhig die Moslems von seinem Gefangenen zurückwehrte – es war Sir Maubridge.

Die »Odessa« verlor mehrere Minuten mit dem Auflesen ihrer Leute und dem Wenden. Als sie die Verfolgung des »Taïf« wieder aufnahm, war dieser bereits eine ziemliche Strecke entfernt, und obschon die Maschine aufs höchste angespannt wurde, zeigte es sich doch bald, daß der Lauf der Fregatte zu überlegen war, um ein Einholen möglich zu machen. Sobald diese daher außer Schußweite gekommen, befahl der Admiral, die Jagd einzustellen, und die drei Dampfer wandten sich eilig nach der Richtung von Sinope, um dort ihren Teil am Kampfe zu nehmen. Aber sie kamen hier zu spät. Auf der Reede von Sinope war die Schlacht beendet. Die eintreffenden Dampfer »Krim« und »Chersones« erhielten sofort die Order, die russischen Schiffe aus der Schußweite der noch kampffähigen Uferbatterien zu bugsieren für den Fall, daß es dem Feinde einfallen sollte, in der Nacht sein Feuer zu erneuern. Die »Odessa« aber wurde beordert, die türkische Fregatte »Damiette«, welche am wenigsten von den Kugeln gelitten hatte, in Besitz zu nehmen und vom Ufer fortzuführen. Dies geschah ohne Widerstand. Man fand auf der Fregatte kaum noch 100 Mann der Besatzung und etwa 50 Verwundete. Der Kommandeur und die Offiziere hatten das Schiff schon im Anfange der Schlacht verlassen, indem sie sich mit sämtlichen Ruderbooten in schimpflicher Flucht ans Ufer retteten.

Am 1. Dezember bei Tagesanbruch waren von den 12 Fahrzeugen, aus denen die türkische Eskadre bestanden hatte, auf der Reede nur noch die Fregatte »Damiette« im Schlepptau der »Odessa«, die Sloop und die zweite Korvette ganz zerschossen auf dem Strande am Südufer der Bucht zu erblicken. Am Abend des 1. Dezember fand sich auf der Reede von Sinope kein türkisches Fahrzeug mehr auf dem Wasser.


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