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XI.

Als ich wieder erwachte, war es in und außer dem Hause schon ganz lebendig. Die Enten plätscherten im Teiche des vordern Hofes; die unzufriedenen Schweine und Hühner beschwerten sich grunzend und gackernd über ihre stärker beschnauzten oder klügeren Nebenbuhler; mit fröhlicher Stimme belehrte Tib ihre Kühe und Kälber; nur der angenehme regelmäßige Fall der Dreschflegel in der Scheune, welcher zu all den ungeregelten Tönen des geschäftigen Lebens den Takt zu schlagen pflegte, ließ sich nicht vernehmen, und durch seine Abwesenheit kam mir zu Sinn, daß es Sabbath sei.

Allein all diese trauten Töne schienen mir fremdartiger als das nächtliche Geheul des Sturmes und das Geprassel des Hagels gegen die Fensterscheiben. Ich war ungeduldig über die Thiere, über Tib und den unveränderlichen Lauf des alltäglichen Lebens. Denn war nicht Roger – unser geliebter Roger – in größerer Angst als wenn er auf den Tod krank läge, in der Ungewißheit, ob seine Hand einen Todesstreich geführt hatte? Mußten wir nicht befürchten, sein ganzes Leben von diesem Moment an wie durch einen Fluch umnachtet zu sehen?

Und doch wollten die Kälber gefüttert sein und die Schweine im Troge schnüffeln, und grunzen, falls sie nicht damit zufrieden waren, und die Enten plätschern und sich putzen, als ob nichts vorgefallen wäre.

Es gibt Zeiten im Leben, wo uns der ruhige Lauf des Alltagslebens, wie er vor unserer Thüre an den wohlbekannten Gräsern und Kieselsteinen vorübergleitet und plätschert, schwerer auf's Herz fällt als der Sturm, welcher die Wogen des Oceans zu Bergen aufwühlt und die Maste der größten Schiffe wie Strohhalme zerknickt.

An jenem Morgen machte ich zum ersten Mal diese Erfahrung.

Der Sturm war ganz vorüber. Noch kämpfte die Morgendämmerung mit dem kalten winterlichen Mondlichte. In der Ferne stahl sich der graue Morgenschimmer über die Bucht, wo ich oft Stunden lang schweigend und Rogers Fischkorb hütend zu sitzen pflegte, während er angelte; reichlich belohnt durch seinen Ausspruch, daß es wenigstens ein kleines Frauenzimmer auf der Welt gebe, die den Mund zu halten wisse, und durch meinen Antheil an seinem Triumphe, wenn er den Korb voll Fische für unser Abendessen nach Hause brachte. Noch im letzten Herbst waren wir dort gewesen, und jetzt schien eine ganze Lebenszeit dazwischen zu liegen!

Ganz in der Nähe schimmerte noch der Mondschein auf dem Teiche.

Tante Gretchen war angekleidet und fort. Mein letzter Schlummer war tief gewesen. Ich machte mir Vorwürfe über meine Hartherzigkeit, daß ich überhaupt geschlafen hatte.

Noch war es düster genug, um das röthliche Licht in Vaters Stube zu erkennen. Wachte er wohl noch immer?

Meine Frage wurde durch den Gesang eines Psalms, der von der Wohnstube herauf drang, wo die Familie zur Morgenandacht versammelt war, beantwortet. Dies erinnerte mich auf's Neue, daß es Sonntag war, der einzige Tag der Woche, an welchem beim Morgengebet ein Psalm gesungen wurde. Ich kniete an das Fenster, während man sang, und unterschied deutlich die Stimme meines Vaters, welche vorsang, Tante Dorotheens kräftigen Alt und Tante Gretchens zitternden Sopran – aber Rogers Stimme hörte ich nicht. Es kam mir so seltsam vor, singen zu hören, anstatt daran Theil zu nehmen. Dies war mir noch nie vorgekommen. Tante Gretchen mußte gedacht haben, es sei gut für mich, länger zu schlafen, und wie ein Geist fortgeschlichen sein. Aber das Gefühl des Draußenseins war mir schrecklich. Es brachte meine ehemalige Angst zurück, ich möchte mich »auf der unrechten Seite des Baumes« befinden. Aber es war mir nicht sowohl um mich, als um Roger bange. Um Roger! Meinen Roger! Wenn er sich so ausgeschlossen fühlen sollte! – ausgeschlossen von den Gebeten, dem Gesange, den heiligen Familienzusammenkünften, ausgeschlossen von Licht und Willkommen! An diesem Morgen fühlte ich etwas davon, was unter der äußersten Finsterniß zu verstehen ist. Selbst die Finsterniß kam mir nicht so furchtbar vor, als das Ausgeschlossensein. Denn es wies mich darauf hin, daß drinnen eine Heimath, Licht, Musik, eines Vaters Willkomm war, – und wir draußen! Ob wohl Roger in diesem Augenblick dasselbe fühlte?

Alles dieses schnitt mir durch's Herz, während ich so auf meinen Knieen dem Gesang der Familie lauschte.

Dann kleidete ich mich hastig an und ging hinab.

»Roger ist hier gewesen, Olivia,« sagte Vater, meine Blicke beantwortend. »Er brachte den Wundarzt nach dem Schlosse und kam dann nach Hause, ging aber wieder zurück, um zu wachen.«

»Sir Launcelot ist also nicht außer Gefahr,« sagte ich.

»Nein,« erwiderte er, »aber es ist Hoffnung vorhanden.«

Unser Morgenspaziergang unterblieb. Mein Vater zog sich auf sein Zimmer, die Tanten in die ihrigen zurück, und ich begab mich in die Stube, wo die getrockneten Kräuter lagen, theils weil es mein und Rogers Parlamentshaus für den Sonntag war, theils weil ich von hier aus die Thürme von Schloß Davenant erblicken konnte.

Wir waren in unserer puritanischen Familie in dem festen Glauben an die gesegnete Wirkung der Einsamkeit erzogen worden. Der Spruch: »Wenn Du betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Thüre zu, und bete zu deinem Vater im Verborgenen,« bildete einen feierlichen Theil unseres Rituals. »Das einzige genau bestimmte und nicht zu verkennende Kirchengesetz des Neuen Testaments« nannte es mein Vater. Denn er pflegte zu sagen: »Einsamkeit ist nicht nur der Ort, wo der Erlöser mit dem Tode gekämpft und der Apostel bitterlich geweint hat, es ist auch der Ort der größten Versammlungen. Denn indem wir uns da über die Schranken der irdischen Versammlung erheben, treten wir ein in die Gemeinde und Kirche der Erstgeborenen, und in den Tempel Gottes im Himmel, der nicht mit Händen gemacht ist. Jede Religion,« sagte er, »deren verborgene Quellen nicht weit über das Wasser der Oberfläche hinausgehen, wird unter der Last und Hitze des Tages verdunsten.«

Wir gingen wie gewöhnlich zur Kirche und kehrten langsam und schweigend zurück, indem wir so viel als möglich den gewöhnlichen Begrüßungen der Nachbarn auszuweichen suchten. Mit besonderer Aengstlichkeit suchte ich Placidia's Theilnahme zu entgehen.

Allein dies war unmöglich. Doch schien sie bei unserm Zusammentreffen wirklich besorgt, ja sogar zu sehr ergriffen, um einen passenden Spruch zu finden. Sie nahm mich freundlich bei der Hand und sagte:

»Wir müssen das Beste hoffen, Olivia.«

Und dieses »Wir«, und die Kürze ihrer Worte brachte mir Thränen in's Auge, und ich mußte denken, daß doch vielleicht eine harte Stelle in meinem Herzen geblieben sei, welche erweicht werden sollte.

Aber als wir eben den Kirchhof verlassen hatten und ein Paar Schritte vor dem Thore auf dem Fußpfade nach Netherby gegangen waren (ich war die Letzte im Zuge), legte sich eine weiche Hand auf meine Schulter und mein Gesicht wurde zu Lätitia Davenants Küssen herabgezogen, die mit leiser Stimme sagte:

»Ach, Olivia! Ich bin gewiß, Sir Launcelot wird wieder genesen. Meine Mutter hat die ganze Nacht hindurch gebetet. Und Roger ist so fromm. In der That, Roger trägt nicht die Hälfte der Schuld. Sir Launcelot sagte solch empörende Dinge über die Rigoristen und Heuchler und Deinen Vater.«

» Was hat er gesagt, Lätitia?« fragte ich leidenschaftlich.

»Meine Mutter sagt, wir müßten bittere Worte vergessen,« erwiderte sie; »und ich denke, daß wir es jedenfalls thun sollten, bis er besser ist.«

»O Lätitia,« flehte ich, »sage es nur mir allein, damit ich es wisse, wenn er nicht genesen sollte! Roger sagte meinem Vater, es sei ganz seine Schuld; aber ich weiß – ich wußte es gleich von Anfang, daß dies nicht der Fall war. Ich werde dies glauben, wenn Du mir auch kein Wort weiter sagst, und vielleicht mir noch schlimmere Sachen vorstellen, als er gesagt hat.«

»Es waren nicht sowohl die Worte – diese waren ziemlich gewöhnlich – als der Ton, worin er sprach,« sagte sie. »Ueberdies ist es so schwer, eine Unterredung getreu zu wiederholen, und es war ein so kurzer Moment, daß ich es Dir kaum sagen kann. Der Streit begann über Lord Strafford und über Herrn Hampden und Herrn Pym, die er winselnde Heuchler, und über Herrn Cromwell, den er einen bettelhaften Bierbrauer nannte. Hierauf murmelte Sir Launcelot in weinerlichem Tone etwas davon, daß er sich wundere, wie Rogers Vater ihm erlaube, sich an solch ungöttlichem Vergnügen wie Freudenfeuer zu ergötzen; und Roger sagte, es sei nicht billig Jemand anzugreifen, wenn man wisse, daß der Andere es nicht zurückgeben könne (er meinte, weil ich zugegen war). Sir Launcelot entgegnete, er glaube, die Rigoristen hielten es nie für billig, wenn sie angegriffen würden, außer hinter guten Stadtmauern. Und nun folgte ein Wortfeuer, worin die Ausdrücke Feigheit, Heuchelei und Verrath vorkamen, und zuletzt etwas davon, daß Dein Vater Sorge getragen habe, noch eben zur rechten Zeit, für seine Sicherheit, den deutschen Kriegsdienst zu verlassen. Da sah ich Rogers Hand aufgehoben, mehr, wie mir schien, um Sir Launcelot zurückzustoßen, als um ihn zu schlagen. Allein im nächsten Augenblick sah ich Sir Launcelot auf dem Boden liegen mit dem Kopf gegen einen knorrigen Stamm, dessen anderes Ende im Feuer war, und Roger zog ihn hinweg, während Sir Launcelot über den »puritanischen Hund« fluchte, der ihn »gemordet« habe. Nun sah ich das Blut aus einer Kopfwunde fließen. Ich gab Roger mein Tuch, um es zu stillen; allein es wollte nicht aufhören zu fließen. Sir Launcelot sank in Ohnmacht, und Roger bat mich, zu meiner Mutter zu eilen. In wenigen Minuten waren alle Leute zur Stelle und Roger saß zu Pferde, um den Arzt zu holen. So, nun habe ich Dir Alles gesagt, was ich weiß,« sagte sie; »es mag Recht sein oder nicht. Aber sprich mit Roger nicht davon; denn ich versuchte ihn damit zu trösten, daß er so gereizt worden sei. Aber es tröstete ihn nicht im Mindesten. Ja er sah mich ganz grimmig an, – sogar mich, gegen die er sonst so freundlich und sanft war!« sagte Lätitia, in Thränen zerfließend. »Und er sagte, für Mord gebe es keine Entschuldigung. Er war ganz außer sich vor Kummer,« fuhr sie schluchzend fort, »gar nicht mehr derselbe, Olivia! Und seitdem weiß ich gar nicht mehr, was ich ihm sagen soll. Du weißt, Eure Weise und die unsrige sind nicht immer gleich. Daher bin ich mit Mamma in ihrem Betzimmer gewesen. Es ist so schwierig Jemand zu verstehen. Allein ich hoffe, Gott versteht uns Alle. Ich glaube es ganz gewiß. Mamma konnte kein Kirchengebet finden, das ganz auf unsern Fall paßte; aber sie setzte mehrere zusammen aus den kurzen Gebeten, den Krankenbesuchen und der Litanei, welche genau Alles ausdrückten, was sie sagen wollte. Ich wußte nie zuvor, welch tiefe Bedeutung darin liegt. Ich meine, Gott muß uns erhören. Und Roger ist ja stets so gut. Er mag sagen, was er will – so gut gegen mich und Jedermann.«

Lätitia's Thränen öffneten die Schleusen der meinen und waren mir ein großer Trost; und auch der Gedanke an die lieben freundlichen Stimmen, welche in Lady Lucia's Betzimmer sich vereinigten, that mir wohl.

Als wir nach Hause kamen, war der große Tisch in der Halle gedeckt, und die Knechte und Mägde standen rings herum.

Mein Vater trat an das obere Ende und sprach das Tischgebet. Dann sagte er:

»Freunde! die Hand Gottes liegt heute schwer auf mir; und Ihr werdet nicht erwarten, daß ich Brod esse, so lange durch Einen, der mir lieb ist wie meine eigene Seele, ein Leben in Gefahr schwebt. Ich könnte mich überwinden und eine heitere Miene zeigen. Aber Ihr sollt wissen, daß ich gedemüthigt bin. Den Schlägen eines Feindes können wir männlich die Spitze bieten. Unter der Ruthe des Herrn müssen wir uns beugen, wie gezüchtigte Kinder. Und Ihr sollt wissen, daß ich es thue. Jedoch kann ich nicht unterlassen, Euch zu sagen, daß der Schlag geführt wurde wegen bitterer Worte über fromme Männer. Dies muß ich zur Entschuldigung des Knaben sagen, obgleich Gott verhüte, daß ich die Sünde beschönigen sollte.«

Mit diesen Worten verließ er den Saal und jedes Auge war feucht, indem es ihm nachblickte.

Das allgemeine Urtheil war nichts weniger als hart gegen Roger, wie man aus den wenigen leise geflüsterten, kurzen Worten, welche die Stille dieses traurigen Mahles unterbrachen, und aus Tibs Antworten, der ich in's Geheim mittheilte, wie furchtbar Roger gereizt worden, leicht entnehmen konnte.

»Das wußt' ich wohl, Fräulein Olivia,« sagte sie. »Dieser Sir Launcelot könnte einen Heiligen in Harnisch bringen, wie sein Reitknecht dem Liebsten meiner Margarethe gesagt hat. Und die Leute mögen sagen, was sie wollen, aber ich gebe keinen Heller für einen Heiligen, der nicht auch aufgebracht werden kann.«

Das allgemeine Urtheil war es nicht, was Roger zu fürchten hatte. Tante Dorothea, bleichen und strengen Antlitzes, nahm meines Vaters Platz am obern Ende des Tisches ein und schnitt das Fleisch, aber ohne ein Wort zu reden, noch einen Bissen zu essen. Tante Gretchen ging unter mancherlei Vorwänden herum und sprach halb leise mit den ältern Dienern des Hauses; aus den abgerissenen Bruchstücken ihrer Reden, die ich auffing, merkte ich, daß ihre Besorgniß, den Verwundeten zu hart zu beurtheilen, und ihr Wunsch zu beweisen, daß Roger es nicht so böse gemeint hatte, sie in große historische Schwierigkeiten verwickelte. Und ich hätte indessen diese schreckliche Mahlzeit kaum aushalten können ohne Rogers Jagdhund Leo, der sich dicht an mich schmiegte, seinen großen Kopf unter meine Hand drückte, durch leises Stöhnen meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen suchte und mich von Zeit zu Zeit unbemerkt der Nahrungsmittel entledigte, die ich nicht hinunter zu bringen vermochte. Unbekümmert um die Folgen verschlang er heimlich, was ich ihm reichte, als ob er sagen wollte: »Du und ich, wir verstehen einander. Unsere Herzen sind am selben Orte. Ich esse, nicht weil es mir im Geringsten darum zu thun ist, sondern um Dir gefällig zu sein und um ihm zu dienen.« Nur einmal da meine Thränen reichlich auf seine Nase fielen, als ich mich zu ihm hinabbeugte, sie zu verbergen, überwältigten ihn seine Gefühle, und seine großen Pfoten erschienen einen Augenblick auf dem weißen sonntäglichen Tischtuche, indem er mit fragendem Stöhnen aufsprang, mein Gesicht zu lecken, womit er wohl sinnbildlich meine Thränen trocknen wollte. Allein bei der leisesten Berührung seiner Pfoten zog er sie mit einem ängstlichen Blick auf Tante Dorothea zurück, welche übrigens weder ihn selbst noch die braunen Spuren auf dem Tischtuche bemerkte. Von dieser Zeit an beobachtete er stets seine gewohnte gentlemanmäßige Zurückhaltung und beschränkte allen fernern Ausdruck seiner Gefühle auf ein krampfhaftes Wedeln mit dem Schwanze und auf den rührenden Ausdruck seiner großen treuen Augen, die er keinen Augenblick von mir abwandte. Denn Hunde wissen stets, wenn man traurig ist. Nur können sie unglücklicher Weise nie herausbringen warum. Rogers alte Feindin, die große, graue Katze schlich indessen mit einem Stücke Fleisch, das der Hund fallen ließ, davon. Und ich sah sie dasselbe in einem Winkel, ganz unbekümmert um die Familienverhältnisse, mit großem Wohlbehagen verzehren.

Jeder geringfügige Umstand an jenem Tage steht so lebhaft und deutlich vor meiner Erinnerung, wie die Schnitzwerke von Schloß Davenant, als die Flammen der zwölf Freudenfeuer sie beleuchteten.

Die Mahlzeit verging in so tiefem Schweigen, daß Tante Gretchens leise geflüsterten Worte und jeder Seufzer Leo's deutlich vernehmbar waren. Aber gleich darauf zerstreuten sich die Männer hastig auf den Hof und in die Ställe, Tib verfügte sich mit Knochen und Ueberbleibseln zu ihren Hühnern und Schweinen, und die Mädchen begannen die hölzernen Teller des Gesindes und unsere zinnernen abzuräumen, wobei mir das Klappern und Klirren sonderbar geräuschvoll erschien ohne das gewohnte fröhliche Geplauder, womit sie sonst diese Arbeit zu verrichten pflegten.

Tante Dorothea, Tante Gretchen und ich wurden hierauf in Vaters Gerichtsstube gerufen. »Wo zwei oder drei versammelt sind,« sagte er, und ohne fernere Vorrede knieten wir alle nieder, während er in wenigen und (für das Ohr) ruhigen Worten betete. Denn er schien die Gegenwart des großen, liebenden allmächtigen Wesens zu fühlen – nicht in weiter Ferne, wo nur lautes Rufen Ihn erreichen könnte, sondern ganz nahe, überschattend, innewohnend – fast zu nahe zum Reden. Und wir fühlten dasselbe.

Als er geendet, blieben wir noch einige Minuten auf den Knieen liegen. Und in der Stille vernahm ich etwas wie eine Antwort, wie ein »Amen«, wie eines jener »Wahrlich«, das durch so manches Wort des Evangeliums hindurchscheint und es so erleuchtet, daß man es in der Dunkelheit zu lesen vermag, in der Dunkelheit, wo wir es am meisten bedürfen.

Ehe wir ihn verließen, sagte ich ihm, daß Lady Lucia und Lätitia in ihrem Betkabinet für Roger die Gebete aus dem Kirchenbuch beteten.

Mein Vater wendete sich mit bebenden Lippen gegen das Fenster. Tante Gretchen schluchzte, und Tante Dorothea sagte mit schwacher Stimme:

»Gott verzeihe mir, wenn ich etwas über Lady Lucia gesagt habe, das ich nicht hätte sagen sollen!«

Noch hatten wir das Zimmer nicht verlassen, als Lätitia's weißer Zelter vorbei trabte, und einen Augenblick darauf war sie bei uns unter dem Thorweg.

»Sir Launcelot wird am Leben bleiben!« sagte sie. »Der Arzt gibt alle Hoffnung; und er schläft. Wenn er beim Erwachen sich besser fühlt, wird Alles gut gehen. Roger wacht bei ihm, denn er ist noch immer in Sorge. Aber ich bin gewiß, daß Alles gut gehen wird. Ich konnte es nicht ertragen, daß Ihr länger in Ungewißheit bliebet; daher hat Mamma mir erlaubt, herüber zu reiten.«

Mein Vater vergaß in seiner Dankbarkeit ganz die ceremonielle Höflichkeit, womit er sonst Lätitia zu behandeln pflegte; er beugte sich zu ihr herab, schloß sie in seine Arme, als ob sie seine Tochter wäre, küßte und segnete sie, und nannte sie »Gottes lieblichen Friedensboten und Hoffnungstaube« und betete, daß sie es ihr ganzes Leben lang bleiben möchte. Tante Gretchen verschwand um den Andern die frohe Nachricht mitzutheilen. Aber Tante Dorothea blieb stehen wo sie war, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und ließ – eine höchst ungewöhnliche Sache – – ihren Thränen freien Lauf.

Lätitia, welcher ihr feines Gefühl stets sagte, wann sie kommen oder gehen sollte, war im nächsten Augenblick auf den Stufen vor der Thüre, und ohne die Hülfe ihres Reitknechts abzuwarten, hatte sie sich in den Sattel geschwungen, winkte uns mit der Hand Lebewohl zu und verschwand uns aus dem Gesichte, indem sie sich unserm Danke entzog und uns der neubelebten Hoffnung überließ.

Allmälig versammelten sich im Speisesaal die Hausgenossen alle, aus Ställen, Scheunen und Feldern, wohin sie sich zerstreut hatten, – obgleich ein unsichtbares Band sie nach dem Mittelpunkte gezogen, dem sie sich doch nicht nähern wollten, – und Vater sprach:

»Freunde, Gott hat uns Hoffnung geschenkt, daher laßt uns beten.« Und nun knieten wir alle nieder, während er in kurzen, glaubensvollen Worten betete und mit dem Vaterunser schloß, in das Alle einstimmten, wenigstens Alle, die es vermochten; denn es flossen viele Thränen.

Hierauf las mein Vater Luthers Lied: »Ein' feste Burg ist unser Gott, Ein' starke Wehr und Waffen etc.«

Wir fühlten die Wahrheit dieser Worte. Damit war der Gottesdienst geendigt, und die Hausgenossen zerstreuten sich von Neuem. Denn Roger sollte noch zurückkommen, und wir konnten uns wohl denken, daß er jetzt eine Begrüßung im Familienkreise nicht wohl ertragen könnte. Daher zog sich Tante Dorothea auf ihr Zimmer zurück, Tante Gretchen setzte sich mit ihrem deutschen Gesangbuche an's Kamin, ich nahm meinen gewöhnlichen Platz zu ihren Füßen ein und dann begab ich mich unter das Thor, um zu warten. Denn Vater war Roger entgegen gegangen.

Keiner sprach je von dieser Zusammenkunft.

Sie kehrten mit einander zurück. Mein Vater hatte seine Hand auf Rogers Schulter liegen, halb als ob er ihn wie ein Kind liebkosen wollte, halb um sich, wie ein Greis, auf den Sohn zu stützen.

»Sir Launcelot ist außer Gefahr!« sagte Vater beim Eintreten.

Roger küßte mich und Tante Gretchen im Vorbeigehen; er ergriff meine Hand und wollte sprechen, vermochte es aber nicht und ließ mich nur eine Minute an seiner Brust weinen; dann ging er in sein Zimmer hinauf.

In unserm puritanischen Hause war man mehr daran gewohnt, seine Gefühle zu bemeistern als dieselben zu äußern. Leo war der Einzige, der seine Gefühle offen zur Schau trug und auf eine für seine riesenhafte Gestalt sehr unziemliche Weise Roger umkreiste und an ihm emporsprang. Wir hörten ihn hierauf Roger bis an die große Treppe geleiten. Allein selbst in der heftigsten Aufregung hätte unter Tante Dorotheens Regiment kein Hund sich weiter hinauf gewagt; daher kam Leo, nachdem er eine Weile unten an der Treppe gewartet hatte, um mir auf etwas gemäßigtere Art seine Freude auszudrücken.

Bei der Abendandacht erwähnte mein Vater nur in einer kurzen Anspielung inbrünstiger Dankbarkeit der gnädigen Bewahrung an diesem Tage. Mehr hätte weder er noch Roger ertragen können.

So endete dieser unruhige Sabbath für uns, aber nicht für Roger, wie ich freilich erst lange hernach erfuhr. Denn kein Licht bezeichnete den nächtlichen Kampf, welchen er zu bestehen hatte, und Niemand wagte ihn am andern Morgen, als er hinunter kam, wegen seiner verstörten Miene zu befragen.

Denn während wir Andere uns der Errettung freuten, krümmte er sich in furchtbarer Angst unter der Last und in den Fesseln seiner Sünde.

Der Zufall, daß gerade ein Klotz im Wege lag, der die That zum Morde hätte machen können sowie der andere Zufall, daß die Wunde nicht einen Zoll näher am Schlafe, und nicht ein Gerstenkorn tiefer war, machte durchaus keinen Unterschied in dem Gewicht, das auf ihm lastete. Wenn Sir Launcelot gestorben wäre, hätte seine Strafe – aber nicht seine Reue größer sein können. Und obgleich seine Rettung Rogers Herz mit innigster Dankbarkeit erfüllte, so erleichterte sie ihm nicht das Gefühl seiner schweren Verschuldung. Denn die Quelle der Sünde, tief in seinem Herzen, war es, was Roger den bittersten Kummer machte.

Jetzt begann er den Sinn der Worte zu verstehen: »Aus dem Herzen kommen hervor arge Gedanken.« Nun bestürmten ihn wieder die alten Zweifel, welche wir Beide auf dem Apfelbaume und im Kräuterzimmer besprochen hatten. Jetzt begann er zu fühlen, daß es keine blos unterhaltende Frage metaphysischer Dynamik sei, ob er freien Willen habe, sondern eine Frage sittlichen und ewigen Lebens oder Todes.

Hätte er der Versuchung, Sir Launcelot zu schlagen, widerstehen können oder nicht? So instinktmäßig und fast eben so unbewußt wie die Röthe der Entrüstung seine Wangen überzog, hatte er die Hand zum Schlage erhoben. Was hatte diesen plötzlichen Zorn in seiner Brust erweckt? Noch weit bitterere Worte von den Lippen eines Fremden hätten ihn nicht so gereizt, wie Sir Launcelots spöttischer Ton. Die Gewalt jener unseligen Regung war nur die angesammelte Kraft der Erbitterung für zahllose kleinliche Aufreizungen, welche nicht äußerlich wiedervergolten worden waren, aber im Herzen hatten gähren dürfen. Auch wurzelte dieses Gefühl nicht ganz in der Sünde. Rogers Selbstprüfung war zu aufrichtig gegen sich und Gott, um ihn in jene blinde Leidenschaft der Selbstanklage verfallen zu lassen. Es war mehr als zur Hälfte gerechter Unwille über Ungerechtigkeit, edle Entrüstung über niedrige Verleumdung, über freche Lügen empörte Aufrichtigkeit. So allmälig und zum Theil gerecht war der tiefgewurzelte Abscheu vor Sir Launcelots Charakter in ihm entstanden, daß diese letzte Handlung, die in den Augen der Welt zum Verbrechen hätte werden können – und die es in Gottes Augen, der nicht nach den Folgen urtheilt, wirklich war, beinahe eben so instinktartig und unwillkürlich wurde, wie das Bewegen der Augenlider, um ein Stäubchen daraus zu entfernen.

Wann hätte er also seinen Widerstand beginnen können? Wann wäre es noch möglich gewesen, den kleinen Fluß aufzuhalten, der, zum reißenden Strome geworden, ihn beinahe in's Verderben gerissen hätte? Wo war der Punkt, auf dem Sünde und Tugend, Haß, der zum Morde führt, und Gerechtigkeit, die Mutter aller Tugenden, sich zu verflechten begannen, bis sie so unauflöslich in einander verschlungen waren, daß es nicht mehr in seiner Macht stand, sie zu trennen, oder wenigstens zu unterscheiden? Gab es überhaupt einen solchen Punkt? Mußte nicht Alles, seiner und Sir Launcelots Natur nach, gerade so gehen, wie es ging, und zu dem Ende führen, wohin es gekommen war?

Allein hier ließ sich die leise, unvertilgbare Stimme des Gewissens vernehmen:

»Diese Qual ist nicht die Frucht unvermeidlicher Nothwendigkeit. Es war Sünde – es war Sünde. Ich habe gesündigt.« Und dann:

»Ich habe gesündigt, weil in mir Sünde ist. Nicht blos einzelne Fehler, nicht vereinzelte böse Thaten, sondern eine Quelle des Bösen ist in mir, woraus alles Böse entspringt. Aus dem Herzen kommt es – nicht von außen her; nicht einmal blos etwas in mir ist es – ich selbst bin sündig. Dieses eine Böse, das verschieden von anderem anscheinendem Bösen – wie Stürme, Fröste, oder Verderben und selbst Tod – nie gute, sondern nur schlimme Früchte trägt, quillt unerschöpflich aus den innersten Tiefen meines Wesens.

»Frei? Ich bin nicht frei. Ich bin in Gefangenschaft. Ich bin gebunden und gefesselt. Allein diese Knechtschaft ist keine Entschuldigung; eben darin besteht meine Sünde. Ich kann es nur fühlen, aber nicht erklären. Ich fühle es an der Qual, der ich so wenig entrinnen kann, als man den Schmerzen in seinem Gebein entrinnen kann, so viel man sich auch krümmen und winden mag. Denn dies ist nicht der Schmerz von Schlägen oder Wunden, sondern von innerer Krankheit, die aus dem innersten Herzen kommt und an meinem innersten Leben zehrt. O Gott! ich habe gesündigt. Ich bin ein sündiger Mensch. In mir finde ich keine Hülfe. Gibt es keine im ganzen Weltall? – keine bei Dir?«

Da kam aus der Tiefe der Angst auch der Trost. Der Gedanke kam ihm plötzlich:

»Wenn nicht ein Wesen, das noch schlimmer ist, als die Menschen sich je den Teufel vorgestellt haben, der Schöpfer und Regierer der Welt ist, so können wir unmöglich in uns selbst so machtlos sein, die Sünde zu überwinden, und doch so peinliche Qualen der Reue fühlen, ohne daß es eine Rettung für uns gibt.«

Dieser Gedanke und die Erschöpfung durch den Kampf beschwichtigte auf eine Weile seine Angst. Denn seine Gedanken hatten ihn so umgetrieben, bis ihm das Denken selbst verging. Mitten in dem Wirbelwind trat plötzlich Ruhe ein und er lag stumm und erschöpft auf dem Boden.

Doch nicht allein.

In seinem von vergeblichem Denken ermüdeten Geiste, in seinem vom Leiden erstarrten Herzen klangen während dieser Pause des Sturmes alte, süße, wohlbekannte Worte, leise Stimmen, sanfter Wiederhall heiliger Lieder, die er als Kind gelernt; jene alten, trauten, einfachen Worte, womit der heilige Geist, gleich einer über den Wassern schwebenden Taube, in sturmbewegte Seelen Einlaß zu gewinnen weiß, wenn neue Worte, und wären sie so tief und weise, wie die eines Erzengels, vor dem Geheul des Windes und dem Toben des Meeres, worauf sie umherschwanken, ungehört verhallen würden.

Alte, bekannte Worte wie:

»Gehe hin im Frieden, deine Sünden sind dir vergeben.«

Worte der Heilung für so Viele!

Vergebung; nicht erst in Folge eines in strengen Bußübungen zugebrachten Lebens, sondern umsonst, unmittelbar; und vollständiger Frieden, nicht erst nach jahrelangen, ungewissen Kämpfen, sondern gleich jetzt, um für den Kampf zu stärken. Allein dies waren nicht die Worte, deren er jetzt am meisten bedurfte. Er fühlte sich nicht sowohl gedrückt unter dem Gewichte seiner Schuld, als von der Sünde wie mit Ketten gebunden. Nicht nach Frieden, sondern nach Kraft verlangte ihn vorzüglich, nach Freiheit, um zu kämpfen, nach Kraft, um zu überwinden. Er sehnte sich nicht so sehr nach dem »Gehe hin im Frieden,« als nach dem »Komm, ich will dich züchtigen, ich will dich zu Boden werfen und in den Staub demüthigen; aber ich will dich gesund machen.«

Nicht sanfte Trostesworte bedurfte er, sondern kräftige Hoffnungs- und Verheißungsworte, und diese schienen ihm nicht zuströmen zu wollen.

Vor Tagesanbruch schlich er aus dem Hause, um sich im Schlosse nach Sir Launcelot zu erkundigen und durch äußere Bewegung die Unruhe seines Herzens zu beschwichtigen.

Sein Weg führte ihn am andern Ende des Dorfes an der Schmiede vorüber, wo Hiob Forster mit seiner Frau wohnte.

Es brannte noch ein Licht in Hiobs Stube; ein seltener Anblick in seinem geordneten, kinderlosen Haushalt. Der rothe Schimmer, den es auf den Weg warf, kämpfte mit der wachsenden Dämmerung. Bei Rogers Annäherung wurde das Licht ausgelöscht, und als er eben die Thüre erreicht hatte, ging dieselbe auf und Hiobs hohe Gestalt trat heraus.

Hiob schritt auf Roger zu und faßte seine Hand.

»Du würdest besser thun, nicht so allein in der Dunkelheit wie ein Geist im Land herum zu schweifen,« sagte er. »'s ist nicht recht geheuer!«

»Was gibt es bei Euch?« fragte Roger ausweichend.

»Uns fehlt nichts,« erwiderte Hiob.

»Ich sah Licht in Eurer Stube und dachte daher, Rahel könnte krank sein,« sagte Roger.

»Uns fehlt nichts,« wiederholte Hiob, und setzte nach einigem Zaudern hinzu: »Wir dachten nur an Dich.«

»Ihr pflegtet sonst keiner Lampe zum Nachdenken zu bedürfen,« bemerkte Roger, tiefer gerührt, als er zeigen mochte.

»Nein, so wenig als zum Beten,« sagte Hiob. »Aber wir verlangten nach einer Verheißung, sie und ich. (Hiob nannte sein Weib selten anders als sie.) Wir wollten eine Verheißung für Dich haben, Junker. Denn sie dachte, der Teufel werde gerade jetzt gewiß recht geschäftig um Dich sein, und das dacht' ich auch.«

»Habt Ihr eine gefunden?« fragte Roger.

»So zahlreich wie die Sterne,« sagte Hiob; »aber wir konnten immer die rechte nicht finden. Und es ist schlechte Arbeit, an den Verheißungen zu hämmern, um sie passend zu machen, wenn es nicht gleich die rechten sind.«

»So zahlreich wie die Sterne, aber keine, welche auf mich paßt,« wiederholte Roger, unwillkürlich seine Kämpfe der vergangenen Nacht verrathend. »Frieden und Vergebung, und Alles, was ein Jeder bedarf, nur nicht was mir Noth thut. Ihr fandet keine, Hiob? Dann war natürlich nichts mehr zu machen. Ihr und Rahel habt das Suchen gewiß nicht so leicht aufgegeben!«

»Nein, Junker Roger, das thaten wir auch nicht,« sagte Hiob. »Aber wir machten Halt und gaben das Suchen eine Weile auf. Und ich saß auf einer Seite des Bettes und sie auf der andern, ohne zu reden. Aber sie weinte fast so bitterlich wie Esau; denn sie hatte stets ein zärtliches Herz für Dich, da sie keine eigenen Kinder besitzt, und Du keine Mutter. Plötzlich lächelte sie unter Thränen und rief: ›Ei, Hiob! da jagen wir nach einer Verheißung und haben sie doch alle ganz nahe zur Hand, alle in Ihm! Ja und Amen in Ihm! Wir haben den lieben Heiland vergessen!‹ Nun fiel mir auf einmal ein, was für Thoren wir waren, und ich hätte vor Freuden lachen können, wenn ich nicht gefürchtet hätte, sie könnte mich für verrückt halten. Darum sagte ich nur: ›Ei, Kind, da haben wir geplappert wie die Kraniche, als ob wir noch im Halbdunkel wären, wie der arme Hiskia (2 Kön. 20; Jes. 38). Wir haben nach Verheißungen gesucht und haben doch die Gabe selbst! Wir haben nach Worten herumgetappt und haben doch das Wort!‹ Nun knieten wir noch einmal nieder und baten den Herrn inbrünstig, daran zu denken, wie Er selbst versucht und verlassen worden, und sich Deiner anzunehmen, wie Er nur könne. Und wir Beide, sie und ich, standen wunderbar getröstet auf. Und nun fielen die Verheißungen hageldicht um uns her. Vor Allem der Spruch: ›So Euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei‹; und: ›Denn so wir Gott versöhnt sind durch den Tod Seines Sohnes, da wir noch Feinde waren, vielmehr werden wir selig werden durch Sein Leben, so wir nun versöhnet sind‹; und: ›Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben!‹«

»Hiob!« sagte Roger, »ich denke, so ist's gut; diese passen für mich.«

»Glaub's wohl, Junker Roger! Es sind kräftige Worte. Aber Gott gebe, daß Du und sie und ich nie vergessen, was wir in dieser Nacht gelernt haben. Das tausendste Mal sind die Worte nicht immer so kräftig wie das erste Mal. Aber Seine Stimme dringt immer tiefer, je öfter wir darauf hören. Und jede Wunde bedarf einer neuen Salbe. Aber Seine Berührung ist eine Salbe für jede Wunde. Sei Du nur nie ein solcher Narr wie wir waren, Junker Roger! Krieche Du nie in die Dunkelheit zurück, um nach einer Verheißung zu suchen, während Du vergißt, daß sie alle Ja und Amen sind in dem Herrn. Keine ›Wenn‹ oder ›Vielleicht‹, sondern ewig für uns Alle ›Ja und Amen in Ihm!‹«

Roger drückte schweigend Hiob's Hand und ging, um sich nach Sir Launcelot zu erkundigen.

Die Nacht war ruhig gewesen; das Fieber hatte ihn verlassen, und die Gefahr war vorüber. Und Roger kehrte auf sein Zimmer in Netherby zurück, um Gott zu danken, daß er von einem Andern die Gefahr, von ihm einen Fluch abgewendet hatte; aber vor Allem für die herrliche Verheißung der Freiheit, jetzt und auf ewig – Freiheit, die Sünde zu überwinden, Freiheit, Gott zu dienen, Freiheit in dem freimachenden Heiland, Kindschaft in dem Sohne, jetzt und auf ewig.


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