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Dreiunddreißigstes Kapitel.
Ich entwische

Es dauerte nicht lange, da sah ich Forrest und noch sechs Mann das Boot besteigen. Ich verfolgte die Fahrt und bemerkte währenddem, wie Fräulein Temple an der Reling erschien, das Boot eine kleine Weile beobachtete, dann aber wieder verschwand. Daraus erkannte ich ihre Enttäuschung, mich unter den Insassen nicht gefunden zu haben.

Das Boot glitt längsseit, und die Mannschaft stieg an einer von Wetherley und Simpson heruntergehängten Strickleiter an Bord. Einige Minuten standen alle beieinander, dann ging es an des Geschäft des Reffens.

Da mich dies wenig interessierte und ich hören wollte, ob die Nacht auf der Insel oder an Bord zugebracht werden sollte, schlenderte ich zu den Leuten hinüber, die sich im Grase gelagert hatten, ihre Pfeifen pafften und hin und her rieten, wo der richtige Fleck sein könnte.

Es ist doch eine verfluchte Geschichte, empfing mich Lush, daß Sie gar nichts mehr davon wissen, in welcher Richtung und Entfernung vom Ufer das Versteck liegt. Er sagte das in einem so argwöhnischen Ton, als ob er glaubte, ich könnte es schon sagen, wenn ich nur wollte.

Na, wenn ich nur einen Schimmer davon hätte, wüßten Sie es schon lange, fuhr ich ihn an. Glauben Sie, daß es mir Spaß macht, hier wie ein Narr herumzustehen? Keiner von euch kann es mehr ersehnen als ich, daß das verdammte Gold endlich gefunden wird und die vermaledeite Fahrt, zu der ich gepreßt wurde, bald ein Ende nimmt.

Die Heftigkeit, mit der ich sprach, schien ihn von der Aufrichtigkeit meiner Worte zu überzeugen, denn sein Gesicht verlor den drohenden Ausdruck; er erwiderte aber nichts, und ich fuhr deshalb fort:

Was wollen Sie denn nun machen?

Hier übernachten, wenn wir heute nichts mehr finden – antwortete er trocken – und morgen bei Tagesanbruch wieder anfangen.

Das hatte ich nur wissen wollen. Im Innern dachte ich: Gott sei Dank, murmelte aber, wie wenn ich von dieser Aussicht nur wenig erbaut wäre: Na, wenn es nicht anders geht, wird man ja auch mal eine Nacht im Freien schlafen können, und schritt wieder davon.

Das Boot kam nun wieder zurück. Als die Leute an Land sprangen, bemerkte ich Simpson unter ihnen, vermißte aber dagegen Forrest.

Das versetzte mich in große Unruhe. Gott im Himmel, dachte ich, was hat das zu bedeuten, daß gerade dieser freche, gefährliche Bursche drüben bleibt? – Die schrecklichsten Vorstellungen begannen in mir aufzusteigen. Was konnte der Mensch nicht alles planen? Ich betete inbrünstig, daß das Mädchen sich vor ihm verborgen halten möge. Die lange Nacht lag vor uns! Wetherley konnte schlafen! – Meine Aufregung war furchtbar. – In wahrer Todesangst schritt ich umher, und doch durfte ich mir nichts anmerken lassen. – War das wieder eine Qual!

Noch hatten wir eineinhalb Stunden Tageslicht. Die Leute aßen und tranken jetzt wieder. Lush rief mir zu: Wollen Sie nicht mithalten, Herr Dugdale? Wenn Ihnen unsere Gesellschaft nicht gefällt, können Sie sich ja wo anders niederlassen, aber etwas essen werden Sie doch wollen?

Ja, gewiß, antwortete ich, meine Stimmung bemeisternd, und setzte mich mitten unter sie. Der Seemann, dessen Gesellschaft mir zu schlecht wäre, müßte ein miserabler Kerl sein.

Einer reichte mir ein Stück Pökelfleisch und ein anderer einen Becher kalten Grog, der mir besonders recht war, da ich zu meinem Vorhaben einer kräftigen Stärkung bedurfte.

Essen und Trinken übten ihre Wirkung und die Stimmung wurde bald animiert. Schlechte Witze und gesalzene Seemannsgeschichten lösten einander ab. Häufig begleitete schallendes Gelächter die Mahlzeit.

Endlich sah der Zimmermann nach der Sonne. Was meint Ihr, Jungens, rief er, ich denke, wir haben uns jetzt genug ausgeruht und nehmen, bis es dunkel wird, noch die dritte Baumgruppe vor?

Alle waren damit einverstanden und brachen auf. Bald war der Lärm verstummt, und man hörte nichts mehr als das Geräusch von Schaufel und Hacke.

Der Sonnenball war schon verschwunden, als der Zimmermann mit einem Fluch seine Schaufel durch die Luft schleuderte und rief: Ich bin für heute fertig! Hört jetzt auch auf, Jungens, morgen fangen wir beizeiten wieder an. Weiß der Teufel, wo die verfluchten Schufte das Geld versteckt haben, aber wir wollen es finden, und wenn wir der Insel ihre Eingeweide vierzig Faden tief ausreißen müßten!

Wütend schritt er nach der Lagerstelle, goß einen vollen Becher durch seine ausgepichte Seemannsgurgel, und begab sich dann, während die Leute müde und von neuem niedergeschlagen, ebenfalls zur Quelle zurückkehrten, nach dem Boot, wo er dessen Befestigung prüfte, nach der Bark blickte und eine Weile den Himmel forschend betrachtete. Mir pochte das Herz bis an den Hals vor Angst, daß er am Ende seinen Entschluß, auf der Insel zu übernachten, ändern könnte.

Als er sich auf den Rückweg machte, richtete ich mich so ein, daß ich gleichzeitig mit ihm bei den Leuten eintraf.

Will Euch was sagen, Maats, sprach er. Der Himmel ist ringsum klar; die Bark liegt ruhig; wir wollen die Nacht hier bleiben. Aber der Reihe nach muß immer einer im Boot zwei Stunden Wache halten. Man kann doch nicht wissen, ob es hier nicht Wilde gibt. – Was meinen Sie dazu, Herr Dugdale? grinste er mich höhnisch an.

Was soll ich dazu meinen, erwiderte ich, als hätte ich seine Anspielung nicht verstanden. Wenn Sie und die Leute hier bleiben wollen, muß ich mich eben fügen. Offen gestanden, begreife ich aber nicht, weshalb Sie mich nicht wenigstens für die Nacht an Bord lassen, um der Dame durch meine Anwesenheit ein Trost zu sein.

Was braucht denn die Trost, entgegnete er roh. Sie ist gut aufgehoben und braucht Sie nicht, während Sie uns hier immer zur Hand sein müssen.

Na, das ist eben Ansichtssache, brummte ich und schritt wieder davon.

Die Nacht sank klar und dunkel herab. Der Wind strich gleichmäßig sanft über das Gewässer und erzeugte ein leises Plätschern am Strande. In dem schwarzen Wasser der Lagune spiegelten sich die größeren Sterne. Die Bark war kaum mehr zu unterscheiden und auch am Lande entschwanden die einzelnen Gegenstände mehr und mehr. Nur der weiße Korallenkies da, wo das Boot lag, schimmerte wie eine vom Mond beschienene Fläche.

Gegen halb elf Uhr trat ich an den Kreis heran und fragte, ob ich auch noch einen Schluck vor dem Schlafengehen bekommen könnte. Dabei merkte ich, daß alle schon recht schwere Augen hatten.

Man wird doch allmählich müde, äußerte ich gegen Lush. Wo werden Sie denn schlafen?

Wo denn sonst als hier, antwortete er grob. Das Gras gibt ein weiches Bett.

Mag sein, aber ich möchte mich nicht hineinlegen, es könnten Schlangen drin sein.

Keine Spur, sagte einer. Wir haben genau nachgesehen. Sie brauchen sich nicht zu fürchten.

Nein, danke. Wenn ich mir meine eigene Matratze wählen darf, so gehe ich – ich zeigte mit der Hand – bis da hinter die nächste Biegung der Lagune. Dort habe ich im Gestrüpp ein kleines Fleckchen reinen Sand entdeckt, auf dem sich's ganz gut schlafen würde.

Meinetwegen legen Sie sich wohin Sie wollen, brummte der Zimmermann.

Danke. Na, dann gute Nacht.

Ich ging nach dem von mir eben bezeichneten Platz. In sitzender Stellung konnte ich von ihm aus, über das Gestrüpp hinweg, sowohl das ungefähr achtzig Schritt entfernte glimmende Feuer, wie auch den etwas weiter dahinter und tiefer gelegenen weiß schimmernden Strand und das an demselben liegende Boot erkennen.

In fieberhafter Spannung spähte und lauschte ich in die Dunkelheit hinein. Nach Verlauf von etwa zwanzig Minuten bemerkte ich auf dem weißen Strand eine dunkle Gestalt schwerfällig nach dem Boot schreiten. Sie bestieg es, entschwand dann aber infolge des dunkeln Hintergrundes meinem Auge. Es war jedenfalls die Bootswache.

Ich wartete und wartete. Endlich vernahm und sah ich nichts mehr. Das unbeschreibliche nächtliche Schweigen des Ozeans senkte sich auf das einsame Riff.

Jetzt hielt ich den Moment des Handelns für mich gekommen. Ich dankte Gott, daß der Mond nicht schien, selbst das Flimmern der Sterne war mir für meine Absichten schon zu viel. Mit Sehnsucht wünschte ich Wolken und mit ihnen einen wenigstens etwas stärkeren Wind herbei.

Eben wollte ich mein Vorhaben beginnen, als mein Ohr das leise Geräusch nahender Schritte vernahm. Im Nu lag ich auf der Seite, den Kopf auf dem Arm, die Beine etwas angezogen, und tat, als ob ich schliefe. Die Augen nur zu einem Schlitz geöffnet erkannte ich den Zimmermann, der wie suchend einherkam. An seinem plötzlichen Stehenbleiben merkte ich, daß er mich entdeckt hatte. Ich fürchtete, daß er bei seinem Mißtrauen andern Sinnes geworden sein könnte und mich nach dem Lager holen wollte, doch blickte er mich nur eine Weile forschend an und schritt dann langsam wieder zurück.

Noch eine geraume Zeitlang wagte ich mich nicht zu rühren. Der mißtrauische Hund konnte sich am Ende noch einmal anschleichen.

Nur ganz allmählich, immer gespannt horchend und in die Dunkelheit lugend, richtete ich mich endlich wieder in sitzende Stellung auf. Mitternacht war längst vorüber, die Zeit drängte. Ich mußte ans Werk, selbst auf die Gefahr meines Lebens hin. Ein inbrünstiges Stoßgebet um Mut und Hilfe zum Himmel sendend, ließ ich mich auf Hände und Knie nieder und begann, durch das Gestrüpp zu kriechen.

Ich nahm meinen Weg zunächst zu den umgegrabenen Stellen. Hier konnte ich wagen, eine Strecke in aufrechter Stellung weiter zu schleichen. Als ich oberhalb des Lagers das hohe Gras erreichte, ließ ich mich wieder auf Hände und Knie nieder und kroch am Rande des Grases entlang hinunter nach dem Baum, an dem das Boot angebunden lag. Das war die Stelle, an der sich mein Schicksal entscheiden mußte. Wachte der Mann im Boot, dann mußte er mich in meinem weiteren Tun bemerken, und alles war aus. Halb tot vor Aufregung und Angst lag ich eine Weile platt auf der Erde, nur den Kopf vorsichtig erhoben, um den Kerl zu erspähen und mich zu überzeugen, ob die anstrengende Tagesarbeit und der viele Grog die von mir erhoffte Wirkung erzielt hätte. Meine Augen bohrten sich förmlich durch die Dunkelheit, vermochten aber den Mann nicht zu entdecken. Endlich erkannte ich seinen auf die Brust niedergesunkenen Kopf. Er saß in tiefem Schlaf, mit dem Rücken gegen eine Buchte gelehnt, auf dem Boden des Boots. Ein tiefer Atemzug der Erleichterung entstieg meiner Brust. Ich erhob mich behutsam, durch den Baumstamm gedeckt, und löste mit bebender Hand die Bootsleine vom Baume. Im nächsten Augenblick lag ich wieder im Schutz des Grases und sah, wie das Boot, vom leisen Winde getrieben, langsam in die Lagune glitt.

In qualvollem Warten fürchtete ich, daß der Mensch erwachen und Lärm schlagen würde, doch er schlief ruhig weiter, und auch im Lager blieb alles still.

Nachdem das Boot genügend weit vom Ufer abgetrieben war, entkleidete ich mich bis auf Hemd und Hosen, kroch auf dem Bauche wie eine Schlange über den freien Strand und erreichte das Wasser.

Als guter Schwimmer schwamm ich zunächst eine Strecke unter Wasser und darauf auch nur mit leisem Strich, um kein Phosphoreszieren des Wassers zu erzeugen. Dann aber fuhr ich wie ein Delphin dahin. Ich fühlte weder Ermüdung noch Kälte. Die Stille am Lande erfüllte mich mit Frohlocken; die Freude belebte mich wie starker Wein.

Nach etwa zwanzig Minuten lag meine Hand auf der untersten Sprosse der am Fallreep herunterhängenden Strickleiter. An ihr hielt ich mich eine Weile fest, um Atem zu schöpfen und zu horchen, denn obwohl ich niemand auf dem Schiff bemerkt hatte, mußte ich, da ich Forrest an Bord wußte, auf alles gefaßt sein und die äußerste Vorsicht beobachten, wenn ich nicht plötzlich ein Messer in den Rippen haben wollte.


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