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Die Novizen.


Erstes Capitel.

Es war im Jahre 1770. Der Kaiserhof hatte das schöne Sommerschloß von Schönbrunn bezogen, und das Hoflager belebte nicht nur die hohen Räume dieser kaiserlichen Residenz, sondern auch den weiten grünen Park, dessen Linden dufteten, und dessen Wasser, Springbrunnen, Cascaden rauschend und plätschernd in der Sonne funkelten. Denn im Jahre 1770 übte die Sonne noch während der Sommermonde die süße Gewohnheit des Daseins, während sie heutzutage – grade als ob auch die Himmelsgrößen von unserer Wander- und Reiselust ergriffen seien – Wochenlang ohne Urlaub abwesend ist, wie auf Vergnügungsfahrten durch schönere Gegenden, als unser langweiliges und absterbendes Planetensystem, begriffen. Also die Sonnenstrahlen funkelten in den Fontainen, daß es hell durch die grünen Gebüsche schimmerte und reich gekleidete Herren in gestickten Seiden- und Sammtröcken, elegante Damen in wespenschlanken Taillen und langen, weit um die Hüften gebauschten Atlasroben, von einem Duftkreis von Eau de Maréchal umwallt, belebten in einzelnen Gruppen die Gänge und Alleen.

Ein auffallend reich gekleideter Mann, im Habit Français, mit einem Degen, dessen Griff mit kleinen Edelsteinen besetzt war, hatte sich auf einer der Bänke unter den überall hin vertheilten, weiß leuchtenden Stein-Gestalten aus der heitern griechischen Götterwelt niedergelassen. Er blickte ein Berceau hinab, welches sich vor ihm öffnete und mit seinen hohen grünen Thorbogen in eine Hauptallee einmündete.

Der Fremde hatte ein fein geschnittenes aristokratisches Gesicht, aber es trug in hohem Maße das Gepräge, welches die Physiognomien des Lebenslustigen vorigen Jahrhunderts kennzeichnet. Die Fatiguen des Wohllebens und der Strapazen des Ueberflusses hatten ihm ihre Spuren aufgedrückt; es war offenbar etwas aufgedunsen von den kleinen Erholungen und Erfrischungen, die unser Cavalier sich auf dem sauern irdischen Lebenswege gestattet haben mochte, den er schwerlich anders als in anmuthigem Menuettschritt zurückgelegt hatte. Zurückgelegt, sagen wir, denn in der That, es war nicht mehr der rosige Schimmer der Jugend, was seine Wangen röthete, sondern eine verdächtige Carmintinte, und das Schwarz der schön gezeichneten Brauen war eben zu glänzend schwarz, um irgend Jemanden Neid einzuflößen. Der Schnitt seiner Kleidung, die wohlgepuderte Perrücke verriethen französischen Ursprung. Französisch waren auch die lebhaften Bewegungen und kurzen unartikulirten Ausrufungen des alten Seigneurs, der offenbar ungeduldig Jemand hier erwartete und etwas von jener Natur Ludwig's XIV. zu haben schien, welche sich in dem bekannten zornigen: » J'ai failli attendre« Luft machte.

Endlich tauchte eine Gestalt am andern Ende des Berceau's auf; es mußte jedoch nicht die erwartete sein, denn die Züge des Harrenden verloren nichts von ihrer bisherigen Spannung. Plötzlich aber stand er rasch auf und ging lebhaften Schritts dem Ankommenden entgegen. Der Letztere war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, von vollkommen schönen Zügen und von einer merkwürdigen Anmuth in seiner ganzen Haltung und in jeder Bewegung. Er war sehr sorgfältig gekleidet, aber weniger auffallend als der ältere Herr. In der That mußte es um so passender erscheinen, daß er zu seinem Anzug von elegantestem Schnitt nach der neuesten Pariser Mode wenigstens dunkle Farben gewählt, weil das kleine seidene Mäntelchen, das so coquett über seinen Rücken hinabflatterte, wie ein breites Seidenband von den Flechten eines jungen Mädchens, ihn sogleich als einen geistlichen Herrn verrieth, und weil die violetten Strümpfe noch obendrein nichts Geringeres, als seine Ansprüche auf die bischöfliche Würde an den Tag legten.

»Ah, siehe da, mein vortrefflichster Herzog und Vetter!« rief dieser zierliche Kirchenfürst beim Anblick des ältern Herrn in französischer Sprache aus, indem er ihm zugleich lebhaft die Rechte entgegenstreckte. »Willkommen in Wien!«

»Ah, mein Prinz,« antwortete der Andere freudig, »wie glücklich verschafft mir der Zufall, was meinen Bemühungen bisher mißlang: mit Ihnen zusammenzutreffen, Monseigneur!«

»Mit großem Bedauern,« versetzte der Erste, indem er den ältern Herrn zu der Bank zurückführte, welche dieser verlassen – »mit großem Bedauern habe ich schon zweimal beim Nachhausekommen erfahren, daß der Herzog von Brancas bei mir vorgefahren sei. Ich hatte mir vorgenommen, Ihren noch heute meinen Gegenbesuch abzustatten. Aber nun sagen Sie mir, mein Vetter, was führt Sie hierher?

»Hierher? auf diese Bank führt mich die Absicht, meinen Sohn zu erwarten, dem ich hier ein Rendezvous gegeben habe und der mich höchst respectwidrig warten läßt – oder wollen Sie wissen, was mich überhaupt nach Wien führt? Da ist es wieder mein Muster von einem Sohn … ich rede von meinem jüngsten Sohne, denn Sie wissen, daß ich meine beiden ältesten leider kurz nach einander verlor …«

»O ich weiß, welches Unglück Sie betroffen hat; der Eine fiel im Duell, und der Andere starb in Demselben Jahre an einer Gehirnentzündung.«

»In der That ist es so,« versetzte der Herzog von Brancas; »das heißt der Aelteste starb in Folge eines Sturzes mit dem Pferde, und der Andere am Nervenfieber. Es ist sehr schön von einem Rohan, daß er die Schicksale seiner entfernten Vettern so genau im Auge behält. Die beiden trefflichen jungen Leute, welche ihrer Erziehung als Grandseigneurs alle Ehre machten, sind dahin, und nun habe ich nur noch diesen Jüngsten, dieses Phänomen, das ich der Kirche bestimmt hatte. Er war acht Jahr alt, als er seine Mutter verlor, und da ich mich damals gerade in Italien aufhielt, übergab ich ihn einem Kloster in Bologna zur Erziehung. Späterhin, zur Zeit meiner Gesandtschaft hier am Wiener Hofe, brachte ich ihn nach der Abtei Mölk Die Benediktinerabtei Stift Melk in der niederösterreichischen Wachau am rechten Ufer der Donau. Sie war im 18. Jh. eine Stätte bedeutender wissenschaftlicher und musikalischer Betätigung. Noch heute beherbergt sie das Stiftsgymnasium Melk, die älteste noch bestehende Schule Österreichs. – Anm.d.Hrsg., wo er auf dem besten Wege war, ein Muster von christlicher Tugend und Frömmigkeit zu werden, und wo er wahrscheinlich zu den übrigen großen Illustrationen des Hauses Brancas auch die einzige, welche diesem noch fehlt, gefügt haben würde. Sie wissen, Monseigneur, wir besitzen keinen Heiligen in unserm Stammbaum!«

»Das ist also vorüber,« antwortete lächelnd der Prinz Louis von Rohan, denn Niemand geringeres als der berühmte Bischof von Straßburg und spätere Cardinal halsbandgeschichtlichen Andenkens Rohan war den 1780er-Jahren als wesentlicher Akteur in die gegen Marie-Antoinette gerichtete Halsbandaffäre verstrickt. Im Verlauf dieses Betrugsskandals wurde er 1785 verhaftet und erst etwa ein Jahr später freigesprochen, verlor jedoch seine Staatsämter und musste sich auf Befehl Ludwig XVI. ins Kloster zurückziehen. - Die Halsbandaffäre, von Alexandre Dumas 1848 zu dem Roman »Das Halsband der Königin« verarbeitet, hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, die Reputation des frz. Königshauses nachhaltig zu diskreditieren und die antimonarchistische Stimmung im Volk vor der Revolution zu fördern. – Anm.d.Hrsg. – war es. »Das ist also vorüber, denn Sie werden ihn jetzt nöthiger zum Stammhalter Ihres Hauses brauchen, als ihn die Kirche, der es ohnehin daran nicht mangelt, zum Heiligen braucht.«

»Gewiß, und deshalb bin ich hergekommen. In der That war es hohe Zeit, daß ich ihn aus seiner Zelle hervorholte. Glauben Sie, daß dieser unschuldvolle Jüngling mir beinahe den Gehorsam aufkündigte, als ich ihm sagte, er müsse das Brevier von sich werfen, um sich statt dessen eine hübsche junge Frau auszusuchen?«

»Welches Original! Vielleicht dachte er, man könne, wenn auch nicht zweien Herren, doch sehr wohl zweien Herrinnen, der Kirche und seiner Dame, dienen.«

»Wenn er das Beispiel eines gewissen bischöflichen Vetters aus dem größten Hause Frankreichs vor Augen gehabt hätte – wer weiß!« – antwortete mit neckendem Lächeln der Herzog. »So aber,« fuhr er fort, »war es die reine Blödigkeit, durch seine klösterliche Erziehung ihm eingeflößt.«

»Und jetzt?« fragte der Prinz von Rohan.

»Jetzt bin ich hier, um ihn eine standesgemäße Heirath schließen zu lassen. Er hat die Ehre, mit den Rohans verwandt zu sein, und kann deshalb mit Recht die höchsten Ansprüche machen.«

»Herzog, Sie sind so über alle Maßen verbindlich für mich, daß ich auf den Gedanken komme, Sie haben irgend einen Streich gegen mich vor. Sind Sie etwa von meinen guten Freunden in Paris nach Wien abgeschickt, um mir hier einen Querstrich durch meine schwierige Negoziation zu machen?«

»Monseigneur! Selbst im Scherze thut mir eine solche Aeußerung wehe. Ich bin einzig hier, um für meinen Sohn Theodor eine passende Partie zu finden, denn in Frankreich ist das durchaus unmöglich.«

»Weshalb denn?

»Weil man ihn auslachen würde. Denken Sie, er versteht weder ordentlich französisch zu sprechen noch galant zu sein. Das Letztere hat er im Kloster nicht gelernt und das Erstere verlernt. O, wäre er ein Stück von einem Roué, meinethalben ein vollkommnes mauvais sujet, wenn er nur parliren und kokettiren könnte und esprit hätte, ich würde mit Stolz auf ihn blicken …«

»Sehr väterlich! also kann er nichts als deutsch reden und moralisiren?«

»Das Letztere ist der Hauptjammer. Von der kolossalen Tugend dieses wahren Gotteslammes haben Sie gar keinen Begriff. Jede in die Welt eingeführte junge französische Dame ist vollkommen lasterhaft im Vergleich mit ihm.«

»Vielleicht,« fiel Rohan lächelnd ein, »findet gerade deshalb eine unserer galanten Damen ihn pikant. Die Gegensätze berühren sich nicht allein, sie ziehen einander auch an.«

»Nein, nein, nein,« versetzte Brancas, »darauf kann ich nicht rechnen; das einzige Mittel ihn zu verheirathen ist, daß man für ihn irgend eine im Kloster erzogene junge Deutsche auswählt, und so männliche und weibliche Tugend, eine vollkommen der andern würdig, sich gegenseitig belohnen läßt. Für eine Deutsche ist er auch klug genug!«

»O, Sie thun den deutschen Frauen Unrecht. Ich ziehe sie den unsrigen in gewisser Beziehung sogar vor. Es hat doch etwas Angenehmes, sich sagen, wenigstens ohne Fadheit den Glauben hegen zu können, daß man höchst wahrscheinlich der einzige Geliebte einer schönen Frau sei; Denn bei diesem Punkte hört die Freigeisterei sogar bei mir auf.«

»Glauben – Freigeisterei – das lautet, als ob Sie von einem Kultus redeten – ist der Umgang mit Frauen Ihnen ein Kultus?«

»Nun, einen muß man doch haben,« antwortete lachend der Prinz, »wenn man violette Strümpfe trägt, und – mein Freund und Gönner, König Stanislaus von Polen, schreibt es mir noch gestern – sogar der rothe Hut bei der nächsten Creirung ›Kreieren‹ wird damals auch im Sinne der Beförderung zum geistlichen (Bischof) oder geistigen (Promotion zum Doktor) Würdenträger gebraucht; hier geht es um die Erhebung zum Kardinal, zu dessen Amtstracht ein großer, flacher, scharlachroter Hut gehört. 1778 erhielt Rohan in der Tat die Kardinalswürde. – Anm.d.Hrsg. in Aussicht steht!«

»Ah, in der That?« fiel der Herzog von Brancas ein – »so wünsche ich von Herzen Glück zu dieser Auszeichnung, welche Sie übrigens nicht für Ihre Consequenz erhalten, Monseigneur.

»Und weshalb nicht?«

»Weil Sie heute sehr moralisch den Frauen nur Einen Liebhaber gestatten und das letzte Mal, wo wir uns im Salon von Madame Jeanne Vaubernier Die Antwort Rohans macht klar, dass es sich bei dieser Person um Madame du Barry (»Dubarry«) handelt, die berühmte Mätresse des französischen Königs Ludwigs XV. Sie hieß eigentlich Marie-Jeanne Bécu und kam aus ärmlichen Verhältnissen. Brancas spielt auf ihre uneheliche Geburt an: als Vater wird der Franziskaner Jean Baptiste Casimir Gomard de Vaubernier vermutet. – Anm.d.Hrsg. trafen, laut behaupteten, man müsse den Frauen so viel Freiheiten verstatten wie den Männern!«

»Im Salon der Dubarry!« rief Rohan auflachend aus. »Ist da etwas anderes als höchste Toleranz am Platze?«

»Monseigneur, ich bitte Sie, schweigen wir von ihr,« fiel hier Brancas ein – »dort kommt mein Sohn, der bei dem bloßen Namen dieser Frau Krämpfe empfindet.«

»Ah, ich bin begierig, seine Bekanntschaft zu machen. Sie werden begreifen, daß für jemanden, der wie ich aus Paris kommt, dieser Charakter den Reiz vollständiger Neuheit hat.«

»Sie werden wenigstens an ihm zu loben finden, daß er das, was er ist, ganz ist. Darin liegt sein Verdienst – was man ist, muß man vollkommen sein, geistlich oder weltlich!«

»Ist das ein Stich für mich?« fragte Monseigneur.

»O, Sie sind vollkommen – als Prinz von Rohan!« antwortete der Herzog von Brancas sich verbeugend.

»Wahrhaftig … aber lassen wir den Krieg,« erwiderte der Prinz, »da ist Ihr Sohn.«

In der That hatte jetzt der junge Mann, welcher durch das Berceau heraufgekommen war, die beiden plaudernden Herren erreicht. Er war bildhübsch, hatte rosige Wangen, die nur etwas zu sehr an das Mädchenhafte erinnerten, und lange Wimpern an den Lidern, welche, niedergeschlagen, ein Paar träumerische dunkle Augensterne bedeckten. Sein Anzug war modisch und elegant, aber seine Haltung verrieth, daß er sich nicht wohl darin fühlte, und der leichte Galanterie-Degen wurde ihm augenscheinlich beim Gehen unbequem. Auch war die Verbeugung, welche er seinem Vater und dann dem Prinzen machte, ziemlich eckig und schwerfällig.

»Monseigneur, mein Sohn!« sagte der Herzog von Brancas vorstellend.

»Wie gefällt Ihnen die Welt, mein junger Freund?« fragte Rohan mit einem Tone, in welchem der junge Mann etwas zu vernehmen schien, was ihn einschüchtern mochte. Er antwortete nicht, sondern blickte mit seinen sanften Augen bald auf den Fragenden, bald auf seinen Vater.

»Theodor, ich bitte Dich, Monseigneur, dem Prinzen von Rohan, Antwort zu geben,« hub der Letztere verweisend wieder an.

»O lassen Sie ihn,« fiel Rohan lächelnd ein. »Es war Unrecht von mir, gleich bei der ersten Bekanntschaft eine Gewissensfrage an meinen jungen Vetter zu stellen. Wählen wir einen Gegenstand von geringerer Bedeutung. Was sagen Sie von den Wiener Damen?«

Theodor von Brancas schien nicht größere Lust zu haben, diese Frage zu beantworten, als die erste. Erröthend wendete er sich ab. Aber im selben Augenblicke erfaßte sein Vater ihn heftig an der Schulter und wendete ihn Rohan wieder zu.

»Theodor!« rief er mit dem Tone lebhaften Vorwurfes aus.

»Ja, ja,« sagte Rohan, »diese Frage müssen Sie mir wirklich beantworten. Denn da Sie eine wählen sollen, muß ich das schon aus Familien-Interesse wissen.«

»Ich habe kein Urtheil darüber!« stieß Theodor von Brancas kurz heraus.

»Dann ist es das Allernöthigste, daß Sie sich eines darüber bilden. Ich biete dazu mit Vergnügen meine Mithülfe an. Darf ich Sie in die liebenswürdigsten Kreise der Hauptstadt einführen?«

Theodor schwieg, auf den Boden blickend, abermals, so daß Brancas einfiel:

»Ich nehme im Namen dieses ungeschickten Jungen Monseigneurs Anerbieten mit tiefstem Danke an.«

»Ich will aber nicht!« sagte Theodor schmollend, ohne aufzublicken.

»O Tugend!« lachte Rohan.

»Verzeihen Sie, mein Prinz …« rief der Herzog von Brancas, der über das Betragen seines Sohnes vollständig verlegen wurde, aus.

»O, er ergötzt mich über alle Beschreibung,« unterbrach ihn der Prinz; »aber weshalb« – wendete er sich an Theodor – »weshalb wollen Sie die Bekanntschaft liebenswürdiger und distinguirter Damen nicht machen?«

»Weil sie mich verspotten würden, wie Sie es thun,« antwortete Theodor, wieder ohne aufzusehen.

»Ich?! Sie verspotten?!« fiel hier der Prinz von Rohan ein, mit dem Ausdruck des aufrichtigsten Erstaunens. »Nein, mein junger Freund, daran denkt meine Seele nicht, die ganz wohl Ihre Gefühle begreift. Nehme ich nicht noch heute eine bedeutend höhere Stellung in dem Stande ein, welchem Sie sich bisher angehörend fühlten? Müssen meine Gefühle den Damen gegenüber deshalb nicht um so viel schüchterner sein, als ein Bischof über einem Novizen steht?«

Bei diesen Worten warf Theodor unter seinen langen Wimpern her auf Rohan einen mißtrauischen Seitenblick.

»Dieser Blick,« flüsterte der Prinz zu dem Herzog gewendet, »war mein Bisthum Straßburg werth.«

Der Herzog von Brancas aber lächelte nur gezwungen und antwortete nicht. Die Rolle, welche sein Sohn spielte, wurde ihm offenbar peinlich; sie verletzte seine Eitelkeit so, daß er sie zu beendigen beschloß und zu dem Ende das Gespräch auf einen andern Gegenstand lenkte.

»Sie sehen, es ist nichts aus ihm herauszubringen,« sagte er, indem er aufstand und dadurch das Zeichen zum Fortgehen gab – »sagen Sie mir lieber, Monseigneur, wenn Sie Ihr diplomatisches Geheimniß einem verschwiegenen Vetter zu Gefallen in so weit lüften dürfen …«

»Also Sie wissen …«

»Wer wüßte nicht,« antwortete Brancas, »daß Sie mit dem geheimen Auftrage unseres Hofes hier sind, die Kaiserin Maria Therese zur Einwilligung in eine Verbindung unsres Dauphin Der spätere frz. König Ludwig XVI., dessen Gemahlin Marie Antoinette 1770 als Vierzehnjährige wurde. Wenn Brancas sie als »geistreich« apostrophiert, ist das pure Ironie. Sie ›schwänzte‹ oft ihre Unterrichtsstunden und zeigte keinerlei Neigung, sich zu konzentrieren oder ihre Aufgaben zu machen. Ihr Französischlehrer attestierte ihr zwar Intelligenz und Musikalität, vor allem jedoch Faulheit und Unwissenheit. - Chronologisch weicht Schücking vom tatsächlichen historischen Verlauf ab: Er versetzt die Vorgänge in die Sommermonate des Jahres 1770 (siehe Beginn des Kapitels), während bereits am 19. April 1770 in der Wiener Augustinerkirche die Trauung per procurationem stattgefunden hatte und am 16. Mai in Versailles die eigentliche Trauung vollzogen worden war. (Trauung per procurationem: Eine Trauung per Stellvertreter, d.h. eine Eheschließung, die formgültig vollzogen wird, obwohl einer der Brautleute bei der Trauung nicht persönlich zugegen ist. Ein Stellvertreter des abwesenden Partners gibt dabei per procurationem (kraft Vollmacht) in dessen Namen und Auftrag das Jawort ab.) – Anm.d.Hrsg. mit der geistreichen Erzherzogin Marie Antoinette zu bewegen.«

»In der That, ich darf es Ihnen gestehen, weil ich dem glücklichen Ziele meines offiziösen, aber noch nicht offiziellen Auftrags ziemlich nahe bin,« versetzte der Prinz von Rohan. »Die Kaiserin ist sehr geneigt, auf die Wünsche unsres Königs einzugehen, die Erzherzogin gehorcht ihrer Mutter als wohlerzogene Tochter, nur unser Dauphin hat seinen kindischen Widerwillen gegen diese Ehe noch nicht ganz besiegt. Am Ende wird man sich nicht übermäßig viel daran kehren.«

»Er ist aber doch die Hauptperson bei der Sache,« meinte Brancas.

»Die Hauptperson? In der Ehe ist die Frau die Hauptperson,« sagte Rohan.

»In der Ehe! Aber vorher kommt es doch auf den Willen des Mannes an!« bemerkte der Herzog.

»O, die Männer wollen am Ende immer!«

»Das kommt Ihnen so vor, Monseigneur, weil Sie nicht heirathen dürfen,« neckte der Herzog.

»Weshalb sagen Sie mir das? Glauben Sie, ich hörte es gern? Es ist sehr unangenehm für einen Mann, und am allerunangenehmsten für einen Rohan, sich sagen lassen zu müssen, daß man etwas nicht darf

»Welch ein Mensch,« flüsterte hier Theodor mit moralischem Entsetzen vor sich hin.

Aber wenn nun der Dauphin in der That nicht will?« fuhr der Herzog fort.

»Dafür lassen Sie seinen Großpapa sorgen. Ich habe heute Nachmittag eine Audienz bei der Kaiserin, welche hoffentlich den Abschluß herbeiführen oder doch sehr nahe bringen wird. Gleich nach her muß ich einen Courier nach Paris absenden. Aber eben fällt mir ein, der junge Peyronnet, der von mir ausersehen war, mit so guter Botschaft abzugehen, ist an einer Indigestion, welche die Wiener Küche ihm bereitet hat, krank geworben. Ich habe Niemanden anderes, denn es muß ein durchaus zuverlässiger Mensch sein, und weiß der Himmel, wie es zugeht, die Edelleute in meinem Gefolge taugen seit je alle nichts. Wie wäre es, wenn wir Ihren Sohn abschickten?«

Der Herzog drückte seine Dankbarkeit für dies Anerbieten des Prinzen aus, aber er lehnte es ab, weil eine solche Reise sich nicht mit dem Zwecke vertrage, zu welchem er mit seinem Sohne in Wien sei.

»Hat das nicht Zeit bis zur Rückkehr?« sagte Rohan; »ich meine, nach Ihrer Theorie kommt ein Freier nie zu spät.«

»Ja, lassen Sie mich reisen, Papa,« flüsterte hier Theodor flehentlich, indem er seines Vaters Arm anstieß.

»Nun, meinetwegen!« meinte der alte Herr. »Es ist freilich eine unschätzbare Gelegenheit, Dich dem Könige vorzustellen.«

Rohan's Lippen umzuckte ein maliziöses Lächeln. Er dachte, wie dankbar man ihm daheim am Hofe sein werde, wenn er zur allgemeinen Belustigung ein solches Original dorthin sende. Deshalb widersprach er auch den ferneren Einwürfen, die der Herzog von Brancas wegen der Unbeholfenheit seines Sohnes machte, und überlegte dabei den Brief, den er dem Novizen an einen Freund in Versailles mitgeben wollte, um ihn dem Gespötte der unbeschäftigten Herren des Oeil du Boeuf und der Antichambre Oeil du Boeuf: Guckloch. - Antichambre: eigentlich Vorzimmer; Zimmer, in dem Besucher bzw. Gäste warten, bis sie von einer hochgestellten Persönlichkeit empfangen werden. - Hier bildlich für die Hofcamarilla. – Anm.d.Hrsg. zu signalisiren.

In diesem Augenblicke wurde unsre Gruppe von einem Herrn eingeholt, welcher lustwandelnd hinter ihnen her geschritten kam und nach gegenseitiger Begrüßung sich ihnen anschloß, da er sowohl den Prinzen, wie den Herzog zu kennen schien. Theodor aber fühlte sich so unbehaglich in dieser Gesellschaft, daß er absichtlich stehen blieb, wie um einen wasserspeienden Triton am Ausgang des Berceau's zu betrachten. Als er sah, daß alle drei sich entfernten, ohne ihn weiter zu beachten, seufzte er tief auf. Er war außer sich über die neueste Bekanntschaft, die er gemacht hatte … über diesen Rohan! Ein Kirchenfürst und solche Frivolität! Solche Sitten! Wäre Theodor nicht durch seine unübersteigliche Schüchternheit zurückgehalten worden, er hätte wahrhaftig alle Rücksichten bei Seite gesetzt und ihm seine ganze Entrüstung gezeigt!

Die geschilderte Begegnung war für ihn ein Stachel mehr zur Ausführung eines heimlichen Entschlusses. Dieser war kein anderer, als bei der nächsten Gelegenheit seinem Vater durchzugehen und in sein stilles Kloster zurückzufliehen, wo er sich vor solchem Aergerniß sicher fühlen durfte.

»O,« sagte er sich, und dabei leuchtete ein Strahl männlichster Entschlossenheit auf seinem schönen, sanften Gesichte auf – »meinem Berufe zu folgen, daran soll mich Niemand hindern, nicht die ganze Welt, die ich verachte, denn sie ist ein Sodom und Gomorrha! Was soll ich unter diesen Menschen, die mich verspotten und die ich hasse! Ja, geben Sie mir nur Ihre Depeschen, Monseigneur, ich werde sie Ihnen treulichst in Paris abliefern, aber von dort kehre ich nun und nimmer hierher zurück, sondern geraden Weges nach Bologna, denn nach Mölk darf ich leider nicht – dort würde mein Vater mich augenblicklich suchen und wiederfinden!«

»Myrrha, Myrrha!« rief in diesem Augenblick eine helle, silberne Mädchenstimme dicht neben ihm – und mit einem Tone ängstlicher Sorge noch einmal: »Myrrha, Myrrha!«

Theodor blickte erschrocken um und wurde dunkelroth bis unter die Haarwurzeln, als er ein hastiges, sehr hübsches, junges Mädchen in seiner Nähe gewahrte. Sein erster Gedanke war, die Flucht zu ergreifen, aber er sah, daß sie ein Paar Thränen in den Augen hatte: darüber erfaßte ihn ein unbeschreibliches Mitleid, und er blieb wie angewurzelt stehen.

»Mein Herr, verzeihen Sie, entschuldigen Sie« – redete die junge Dame ihn an – »haben Sie nicht einen kleinen Bologneser gesehen?«

Theodor wurde bei dieser Anrede noch einmal so roth, wie er gewesen war, und mit zur Erde gerichteten Blicken antwortete er:

»Ich bin auf der Hinzinger Straße vielen Menschen begegnet – aber es ist mir Niemand als kleiner Bologneser aufgefallen!«

»Gehen Sie, es ist abscheulich, daß Sie mich noch verspotten,« versetzte das junge Mädchen, »Sie sehen doch, daß ich außer mir bin!«

»Ich Sie verspotten!« rief Theodor, dem jungen Mädchen näher tretend, mit dem Tone ungeheucheltster Aufrichtigkeit aus – »das verhüte die Mutter Gottes! Ich bedauere von Herzen, daß ich Ihnen von dem kleinen Buben keine Nachricht geben kann.«

»Buben? Ich suche ja keinen Buben, ich suche einen Hund,« rief das junge Mädchen aus.

»Einen Hund?«

»Wissen Sie denn nicht, daß man, wenn man von Bolognesern spricht, immer Hunde meint?«

»Nein, das wußte ich nicht,« versetzte Theodor von Brancas, und mit einem schüchternen Anlauf zu einem Scherze, fügte er hinzu: »ich war schon im Begriff, mich selbst Ihnen als Bologneser anzubieten, denn ich bin lange Zeit in Bologna gewesen.«

»In Bologna? Sie waren auch in Italien?«

»Ja, in einem Kloster!«

»Sind Sie dort erzogen? Ich bin zu Verona im Kloster erzogen – o parliamo italiano

» Ne sono contentissimo!« fiel Theodor wie elektrisirt ein – » ah la cara lingua

» La prima del Mondo!« sagte die junge Dame, deren Wangen sich jetzt ebenfalls höher gefärbt hatten.

»Ich habe leider Manches vergessen in den sechs Jahren, welche ich seitdem zu Mölk im Kloster zubrachte.«

»Schon so lange sind Sie wieder hier?« fragte das junge Mädchen. »Ich habe Verona erst vor sechs Monaten verlassen – mit schwerem Herzen!«

Und dabei hob ein Seufzer ihre siebzehnjährige Brust.

»Nicht wahr?« antwortete Theodor bewegt. »Solch ein italienisches Kloster! Die braven Mönche!«

»Die guten Nonnen!« echoete sie. »Wie lange sind Sie aus dem Kloster zu Mölk?« hub sie dann wieder an.

»Seit vier Wochen erst,« versetzte Theodor von Brancas. »Meine beiden älteren Brüder sind gestorben, und deshalb will mein Vater, daß … daß ich …«

»Nun?«

»Daß ich bei ihm bleibe!« sagte Theodor jetzt sehr rasch.

»Natürlich!« meinte die Kleine altklug: »auch sind Sie da bei weitem nicht so zu beklagen, wie ich es bin – mich ruft nur der Einfall der Kaiserin, die meine Pathe ist und die durchaus will, daß ich erst einige Jahre lang die Welt sehe, bevor ich mich für das Kloster binde … aber horch, hörten Sie nicht einen Hund bellen? Ueber mich selbst habe ich das Thierchen ganz vergessen – und doch weiß Gott, was meine Cousine mit mir anfängt, wenn ich ihr den Hund nicht wiederschaffe …«

»Ist sie eine böse, alte Frau?« fragte Theodor voll Theilnahme.

»O nein, eine junge, ganz junge Frau – aber böse dennoch, launisch und zornig. Sie schilt alle Welt außer Myrrha, er bekommt allein süße Worte von ihr zu hören.«

»Aber mir fällt ein – ich habe ihn doch gesehen,« rief nun Theodor freudig aus. »Trägt er nicht ein blaues Halsband?«

»Mit silbernen Schellchen!«

»Dann war er es – dort drüben in der Allee bin ich ihm begegnet, als ich hierher kam – es ist aber schon eine gute Weile.«

»O das thut nichts – ich finde ihn hoffentlich doch noch!«

Damit eilte das junge Mädchen pfeilschnell davon.

»Lassen Sie mich Ihnen die Stelle zeigen,« rief Theodor hinter ihr drein.

Im nächsten Augenblick hatte er sie eingeholt, und die beiden Novizen eilten in größter Hast neben einander durch die kiesbestreuten Alleen dahin.


Zweites Capitel.

Während die beiden jungen Leute hinter den Stämmen der hohen Linden des Parks verschwanden, öffneten geschäftige Lakaienhände die beiden Flügel einer Glasthüre, welche aus dem ersten Stockwerk des Schlosses auf einen Treppenperron führten. Drei Damen traten heraus, um über die breiten Stufen hinab in den Garten zu schreiten, in welchen sie der sonnige Glanz des Morgens lockte. Die Vorderste war ein junges Mädchen, nicht viel älter als unsre Novize, aber größer und schlanker gebaut als sie, und wenn auch nicht gerade schöner, doch von auffallend edlen und vornehmen Zügen. Das zurückgestrichene, ungepuderte blonde Haar, das über dem Wirbel mit einem von einer Reihe Perlen besetzten Kamm festgehalten wurde, ließ die schöne, noch kindlich vorgewölbte Stirn frei. Um die Flügel der feinen, etwas gebogenen Nase lag ein Zug von stolzem Muthe, beinahe Uebermuthe, und derselbe Anflug ungetrübten Selbstbewußtseins charakterisirte die frischen, fröhlich leuchtenden Augen von hellem Blau.

Das junge Mädchen war Marie Antoinette, Erzherzogin von Oesterreich, königliche Prinzessin von Ungarn und Böhmen.

Ihr zur Seite ging die Gräfin Caroline von Wiprechtstein, und hinter ihr kam eine ältliche Dame, die Hofmeisterin, Baronin von Virneburg.

Die junge Erzherzogin sprach sehr lebhaft. Sie war voll Freude, in der Gräfin Caroline, oder Lini, wie sie sie nannte, ihre vertrauteste Freundin und Gespielin wieder zu sehen. Denn Caroline von Wiprechtstein hatte sich vor wenig Monaten mit einem viel älteren Manne vermählt und war am gestrigen Tage von ihrer Hochzeitsreise zurückgekehrt. Marie Antoinette forderte ihre Lini ein Mal über das andre zum Erzählen ihrer Reise-Erlebnisse auf, und doch ließ sie sie mit ihrem eigenen fröhlichen Geplauder gar nicht zu Worte kommen.

»Und nun noch einmal: so erzähle doch, Lini?« sagte sie wieder: »Du warst in Paris; Du ließest Dich am Hofe vorstellen …?«

»Meine Vorstellung bei Hofe,« fiel die junge Gräfin ein, »traf unglücklicher Weise gerade mit der der Dubarry zusammen, und Ludwig XV. war so ungehalten darüber, daß keine von uns gegenwärtigen Damen neben der neuen Gräfin stehen wollte, daß er an mich keine Sylbe richtete und nach ein Paar Minuten wieder zum Saal hinausschoß. Gott behüte jeden christlichen Hof vor solcher unsaubern Maitressenwirthschaft!«

Bei diesem Worte machte die Hofmeisterin erschrocken der Gräfin sehr lebhafte Zeichen hinter dem Rücken der Erzherzogin; aber Gräfin Caroline schien sie geflissentlich zu übersehn.

»Wie sieht die Dubarry aus?« fragte Marie Antoinette neugierig.

»Bah, sie hat röthliches Haar und ein Gesicht voll Sommersprossen.«

»Die Person interessirt Sie ja sicher nicht, Kaiserliche Hoheit!« fiel die Hofmeisterin ärgerlich ein.

»Leider interessirt sie mich sehr,« versetzte die Erzherzogin. »Soll ich denn nicht den Dauphin heirathen? und beherrscht die Gräfin Dubarry nicht gänzlich meinen künftigen Schwiegerpapa und König?«

»Also ist diese Heirath wirklich arrangirt? Ich wollte es nicht glauben,« fragte die Gräfin Lini lebhaft. »In Paris sprach man freilich schon allgemein davon …«

»Und was sagte man in Paris darüber?« unterbrach die Erzherzogin.

»Nun, mancherlei,« erwiderte die Gräfin und warf dabei einen sprechenden Blick auf die Baronin von Virneburg, der hinlänglich andeutete, daß die Gegenwart derselben ihre Lippen schließe.

»Liebe Baronin, dort unten steht der Lakai, wollen Sie nicht die Güte haben, und mir durch ihn mein Mantelet holen lassen?«

Die Baronin wandte sich, um den Befehl Marie Antoinettens zu vollziehen, aber sie legte dabei, Carolinen zugekehrt, mit sehr ausdrucksvollem Mienenspiel den Finger auf den Mund.

»O ich verstehe Deine Zeichensprache, alter Argus,« lachte die Gräfin spöttisch ihr nachsehend, – »aber ich sage doch, was ich sagen muß …«

»Nun schnell, Herzenslini – rede, was sagten die Pariser zu der projetztirten Heirath?«

»Wenn Sie mich verriethen!«

»Ich Dich verrathen?! Du bist ja meine einzige Freundin … sind wir nicht seit Jahren unzertrennlich gewesen, und wen habe ich sonst, der nicht zuerst an die politischen Rücksichten denkt und dann erst an mein Lebensglück? Selbst meine gute Mutter … aber verschwenden wir die Augenblicke nicht, sprich Lini – zuerst sage mir die Wahrheit über den Dauphin – wie sieht er aus? Er ist gutgeartet, fromm …«

»Gutgeartet und fromm!« fiel Caroline mit leiser Ironie ein.

»Er ist noch sehr jung – ein Jahr kaum älter als ich, sieht er noch kindisch, knabenhaft aus?«

»»Nein, er sieht viel älter aus, als er ist, wie zwanzigjährig, aber er ist dick, bleich und hat ein melancholisches Wesen.«

»Nach dem, was Du sagst, scheint mir, daß Du diese Heirath nicht wünschest … was hast Du wider sie?«

Caroline antwortete nicht gleich.

»Ich liebe Sie so sehr, Erzherzogin …« sagte sie dann zögernd … Ab dem Herbst 1774 wurden Marie Antoinette in Pamphleten auch lesbische Neigungen vorgeworfen, die historisch allerdings keine Bestätigung erhalten haben. Es bleibt unklar, ob der Verfasser hier mit einer diesbezüglichen Orientierung spielt. – Anm.d.Hrsg.

»Du spannst mich auf die Folter!« fiel die lebhafte Erzherzogin ein.

»Nein, aufrichtig, es schmerzt mich, meine schöne, angebetete Freundin, meine süße, strahlende Erzherzogin an einen Mann weggegeben zu sehen – der sie nicht will!«

»Der mich nicht will?« rief Marie Antoinette wie erstarrt vor Ueberraschung aus. »Und warum will er mich nicht?

»Weil er, wie jeder Thronfolger, populären Ideen huldigt, und eine Allianz mit Oestreich den Franzosen tief verhaßt ist. Der Herzog von Choiseul wird blos deshalb, weil er der Stifter dieser Verbindung ist, verabscheut und » l'Autrichien« genannt …« In Wahrheit waren es die Tanten Ludwigs XVI., die Marie-Antoinette selbst verächtlich l'Autrichienne, »die Österreicherin«, nannten. Dabei handelte es sich um ein Wortspiel, da es im Französischen beinahe wie l'autre chienne ("die andere Hündin") ausgesprochen wird. – Anm.d.Hrsg.

»Populäre Ideen, Allianz mit Oestreich – und deshalb hat er einen Widerwillen gegen mich? Aber mein Gott, von Allen dem hat man mir ja keine Sylbe gesagt!«

»Nun, der König hat geschworen, daß er den Trotz seines Enkels brechen werde, und …«

»O er soll es nicht nöthig haben,« fiel die Erzherzogin, welche ein Paar rasche Schritte in stolzer Heftigkeit voraus gemacht hatte, hier ein – »er soll es nicht nöthig haben. Marie Antoinette von Oestreich braucht keinen erzwungenen Gemahl. Gelobt sei Gott, daß wir das zu rechter Zeit erfahren. Heute noch erkläre ich meiner theuren Mutter, daß ich nun und nimmer nach Frankreich gehe! O sie sollen es erfahren, daß in meinen Adern nicht umsonst neben dem langsamen Habsburgischen Strom die rasche Lebensquelle der Lothringer fließt!«

»Verrathen Sie aber um Gottes willen nicht der Kaiserin, daß ich es war, welche Ihnen diese Nachricht mitgebracht hat,« bemerkte ängstlich die Gräfin Caroline. »Auch müssen Sie dem armen Dauphin nicht zürnen, er hat Sie ja nie gesehen – er theilt ja nur das Vorurtheil des Volkes, und da alle Erbprinzen nun einmal mit dem Volke sympathisiren …«

»Ja, wie mein Bruder Joseph!« Joseph II. (ab 1780 Alleinregent als Kaiser), Exponent des aufgeklärten Absolutismus; er setzte ein ehrgeiziges Reformprogramm in Gang, von dem er kurz vor Ende seines Lebens (1790) zahlreiche Vorhaben wieder zurücknahm. – Anm.d.Hrsg. unterbrach Marie Antoinette – »aber,« sagte sie, dies Thema rasch verlassend, – »so würde mir ja auch das französische Volk nur Widerstreben und Feindlichkeit zeigen?«

»O das Volk! Das wird Ihnen hoffentlich gleichgültig sein!«

»Sage das nicht, Lini! Ich habe zwar nicht die Sympathie meines Bruders Joseph, im Gegentheil, ich fürchte das Volk, und diese Furcht stammt noch aus meiner ersten Kindheit. Ich mochte fünf oder sechs Jahre haben, da reiste ich mit meinen Eltern nach Ungarn. Der Kaiser und die Kaiserin saßen mit meinem ältesten Bruder im ersten Wagen, wir andern Kinder folgten mit unsren Hofmeistern und Damen im zweiten und dritten Wagen. In der ersten Ungarischen Stadt wurden wir dicht umdrängt. Die Freude, welche sonst die Menschen verschönert und ihre Züge verklärt, verzog die Gesichter dieser lebhaften Nation zu häßlichen Grimassen. Als sie sich an den Schlag unsres Wagens drängten, glaubte ich, sie wollten uns Kindern etwas zu leide thun, und wie gar ihre wilden Eljenrufe erklangen, da brach ich in Angstrufe aus und schrie wie wahnsinnig nach meiner Mutter! – Deshalb,« fuhr Marie Antoinette nach einer Pause wie unter der Einwirkung eines innern Schauders fort – »deshalb träume ich seitdem immer, wenn ich leide und aufgeregt bin, von wüthenden Volksmassen, die mich aus dem Wagen reißen und tödten wollen – und seitdem ergreift mich überall, wo viel Volk beisammen ist, eine unüberwindliche Furcht.« Schücking versucht hier geschichtsklitternd Marie Antoinettes vollständige Ignoranz hinsichtlich der Lage und Wünsche des ›Volkes‹ zu rechtfertigen. - Ähnliches gilt für die spätere angebliche Verweigerungshaltung der Prinzessin gegenüber der Ehe mit dem Dauphin: »Frankreich taugt nicht für mich, ich tauge nicht für Frankreich – ich habe das immer dunkel gefühlt« - Marie Antoinettes dort entfaltete Verschwendungs- und insbesondere Spielsucht beweisen genau das Gegenteil! – Anm.d.Hrsg.

»Vor dem französischen Volke können Sie in der That unbesorgt sein,« meinte Caroline verächtlich. »Das schmiegt und biegt sich vor jedem Wappen auf einem Kutschenschlage.«

In diesem Augenblicke wurde die Gräfin von Wiprechtstein unterbrochen: das junge Mädchen, welches wir früher kennen lernten, eilte rasch herbei, einen allerliebsten Bologneserhund mit langem seidenweichen Haar auf dem Arm. Sie hatte augenscheinlich die Damen hastig wieder aufgesucht, und doch blieb sie wie erschrocken oder ängstlich jetzt in einer geringen Entfernung von ihnen stehen.

»Nun – was giebt es denn, Resi?« rief ihr die Gräfin Caroline entgegen.

»Nichts!« antwortete Resi.

»Was läufst Du so im Park umher?« fragte jene mit hartem Ton.

»Myrrha war weggelaufen, und da habe ich ihn gesucht.«

»Es schickt sich nicht für ein junges Mädchen, so allein ….

»Ich war nicht allein!« fiel Resi der Gräfin schüchtern in's Wort.

»Und wer war bei Dir?«

»Ein junger Mann hat mir suchen helfen – ich traf ihn in der Allee dort …«

»Das wird immer besser,« meinte die Gräfin. »Wer war es?«

»Er sagte,« berichtete Resi, »sein Vater sei der Herzog von Brancas!«

Bei diesem Worte lachte die junge Erzherzogin laut und fröhlich auf.

»O da kannst Du stolz sein, liebe Resi,« sagte sie – »dann bist Du das erste Frauenzimmer, mit welchem dieser junge, ungeleckte Bär ein Wort gewechselt hat. Was hat er gesagt?«

»O nichts, gar nichts mehr – er ging nur neben mir und half mir den Hund suchen.«

»Das kann ich mir denken – das ist ein Original, Lini,« fuhr Marie Antoinette fort. »Denke Dir einen zwanzigjährigen Menschen, der bis jetzt im Kloster steckte, häßlich ist zum Entsetzen …«

»Haben Sie ihn gesehen?« fragte Caroline lebhaft.

»Ich – wie hätte ich ihn sehen sollen? Du weißt ja, daß ich erst diesen Winter am Hof erscheinen soll, und ich kenne deshalb noch Niemand – aber man hat mir erzählt, daß er gräßlich aussehe.«

»Wie lächerlich« – sagte Resi hier lächelnd für sich – »ich weiß das besser!«

»Und dann,« fuhr die Erzherzogin fort, »soll er so dumm, so dumm sein, daß es in's Wunderbare geht. Dies Prachtexemplar nun will sein erlauchter Vater, der Herzog Hektor Achilles von Brancas, wie er Jedermann, Der es hören mag, erzählt, mit einer Erbin aus unserer Crême vermählen. Deswegen ist er mit ihm hier. In Frankreich weiß er wohl, findet er keine Frau für einen solchen Sohn; aber für eine Deutsche ist er gut genug … Schade,« setzte sie neckend hinzu, daß er nicht drei Monate früher kam, da hätte er gleich ein Juwel noch frei gefunden.«

»Der wäre schön angelaufen,« meinte Caroline; »aber,« fügte sie hinzu, »die Anmaßung des alten Franzosen verdiente doch eine exemplarische Strafe. Man sollte ihn auf irgend eine Weise mystificiren – ihm eine falsche Braut anhängen und ihn nachher auslachen!«

»Ja, ja,« versetzte Marie Antoinette, »denke Dir etwas aus, Lini, diese üppigen und unerträglichen Franzosen zu bestrafen. Hätte ich nur auch diesen Dauphin hier, um ihn zu demüthigen und ausgelacht nach Hause zu schicken!«

»Einstweilen,« sagte Caroline lachend, »rächen wir uns an seinem Vasallen!«

»Du mußt etwas ausdenken – Du warst ja immer so fruchtbar an guten Späßen!«

»Wie wär's,« schlug die junge Frau vor – »wenn ich Vater und Sohn zur Brautschau bestellte und dann mich ihnen mit schüchternster Blödigkeit als eine frisch aus dem Kloster gekommene Erbin und Braut vorstellte?«

»Das wäre köstlich, charmant – wie wir lachen würden!

Aber ich bedürfte einer Tante, einer Duenna …«

»Nimm Resi dazu – staffire sie gepudert und gemalt als alte Madame aus – wir haben das ja so oft gethan …«

»Nein, Resi ist zu ungeschickt,« meinte die Gräfin; »das Einladungsbillet kann sie, während ich es diktire, schreiben, damit Niemand meine Hand erkennt, aber sie ist zu weiter Nichts zu gebrauchen.«

»Wenn ich nur auf eine halbe Stunde meinem Argus entschlüpfen könnte – ich hätte die größte Lust, die Rolle selbst zu übernehmen,« sagte Marie Antoinette.

»Nichts leichter als das,« meinte Caroline; »wie oft sind wir während des Mittagsschläfchens der Baronin Virneburg in das Glashaus geeilt und haben dort mit Ihren Brüdern hinter den großen Orangenbäumen Versteckens gespielt. Ohnehin ist das die beste Stunde, wenn die Baronin schläft, nach der Tafel – es ist dann schon Dämmerung …«

»Soll ich es wagen?«

»Was ist dabei zu wagen? Ich hole Sie ab, die treue Lori hält Wache …«

»Und doch, wenn …«

Seit wann sind Sie so ängstlich, Erzherzogin?«

»Nun wohl,« sagte Marie Antoinette. »Es ist mir dabei, als rächte ich meine eigene Ehre an diesen übermüthigen Franzosen. Ihr Dauphin hält sich für zu gut, der Tochter des Kaisers seine Hand zu reichen – aber der blödsinnige Novize, meinen Sie, sei gut genug für eine hochgeborne Oestreicherin. Ah, nous verrons!«

»Still, um Gotteswillen, da kommt die Baronin,« mahnte die junge Frau.

Die Hofmeisterin trat zu den Damen. Sie entschuldigte ihr langes Ausbleiben, für welches man ihr sehr bereitwillig Verzeihung angedeihen ließ. Sie hatte das Mantelet selbst holen müssen, weil der Lakai nicht gewußt hatte, wo es sich befinde; und indem sie sich zu den Gemächern ihrer Erzherzogin begeben, war sie einer Dame der Kaiserin begegnet. Diese hatte ihr im Auftrag Maria Theresia's die Weisung ertheilt, ihre Schutzbefohlene zur Kaiserin zu geleiten, da die Letztere ihre Tochter sprechen wolle, bevor der französische Unterhändler, der Prinz Rohan, heute bei ihr zur Audienz gelassen werde.

»Also eilt es, bemerkte die Baronin von Virneburg drängend.

»O es eilt durchaus nicht,« sagte Marie Antoinette. »Meine Antwort wird meiner hohen Mutter schwerlich sehr erfreulich sein …«

»Königliche Hoheit, ich bin entsetzt« – rief die Hofmeisterin einen Schritt zurücktretend aus.

»Ja, entsetzen Sie sich nur,« fuhr die Erzherzogin aufgeregt fort – »ich will es Ihnen einstweilen im Vertrauen sagen: Ich werde den Dauphin von Frankreich mit einem Korbe heimschicken. Meine geliebte Mutter wird ihren kleinen Schwan, wie sie mich immer nennt, nicht zwingen, in diesem trüben Wasser zu schwimmen; Schwäne sind für reine Fluth geschaffen. Frankreich taugt nicht für mich, ich nicht für Frankreich – ich habe das immer dunkel gefühlt; Gott sei Dank, daß ich es heute klar zu erkennen gelernt habe. Also zu meiner Mutter! Auf Wiedersehen, theure Lini!«

Und nach diesen Worten, die Marie Antoinette mit einem Tone von Hoheit und Stolz gesprochen hatte, daß das junge Mädchen, welches so eben noch mit ihrer Freundin einen lustigen Streich ausgesonnen, gar nicht in ihr wieder zu erkennen war, schritt sie an der Seite ihrer Hofmeisterin in das Schloß zurück.


Drittes Capitel.

In den späten Nachmittagsstunden machte der Prinz von Rohan dem Herzoge von Brancas seinen Gegenbesuch. Dieser fand den sonst so übermüthigen Rohan auffallend ernst und in gedrückter Stimmung. Er kam von der Audienz bei der Kaiserin, und Brancas bedurfte keines großen Scharfsinnes, um zu sehen, daß Maria Theresia's Eröffnungen für den französischen Unterhändler nicht sehr erfreulicher Art gewesen sein konnten. Auch gestand Rohan es gern ein. Die junge Erzherzogin hatte rund heraus erklärt, sie wolle den Dauphin nicht, und da sie früher ganz anderer Neigung geschienen, so hatte die Kaiserin diese plötzliche Gesinnungsänderung ihrer Tochter fremder Einflüsterung Schuld gegeben.

So lag es denn nahe, an Gräfin Caroline Wiprechtstein zu denken, die, eben aus Paris gekommen, die Erzherzogin am Morgen gesprochen hatte, und von der die Hofmeisterin gehört, wie sie Maria Antoinetten von der Vorstellung der Dubarry bei Hofe erzählt. Die Kaiserin hatte das Rohan sogar angedeutet und zugleich sich ziemlich mißfällig über diese junge Dame, welche sie frischweg eine Intrigantin genannt, geäußert.

Die beiden Herren waren deshalb denn auch ziemlich klar darüber, wem das neue Hemmniß, daß sich der Erfüllung der Wünsche Ludwig's XV. gegenüber aufthürmte, zu danken sei. Die Wiprechtstein wurde am selben Tage mit der Dubarry in Versailles vorgestellt: Der König hatte an diesem Tage mit keiner einzigen der vorgestellten Damen gesprochen, weil sie alle sich von seiner Geliebten weit entfernt gehalten. Er hatte also auch mit der jungen österreichischen Gräfin nicht gesprochen, und – was war klarer als das – diese nahm jetzt Revanche!

Das waren die Folgerungen der beiden mit allen Ereignissen ihres heimischen Hofes vertrauten Männer. Während nun Brancas Rohan beglückwünschte, daß das Schiff seiner Verhandlungen an keiner ernsteren und härteren Felsklippe als der Malice einer intriganten jungen Frau angelaufen, wodurch er ja in die angenehme Nothwendigkeit versetzt sei, en passant eine hübsche neue Eroberung zu machen und diese kleine Gräfin zur Raison zu bringen – während deß trat der Kammerdiener des Herzogs von Brancas ein und überbrachte zwei Briefe, welche eben abgegeben waren.

Brancas warf einen Blick auf die Adresse.

»Seltsam,« sagte er dann – »zwei Briefe zugleich von einer und derselben Hand!« Er erbrach den ersten; als er ihn überflogen, lächelte er und reichte ihn Rohan hin. Dieser las:

»Mein Herr Herzog!

Eine Dame, die so glücklich ist, Tante einer jungen, schönen und reichen Nichte aus einer der ersten Familien der Kaiserstadt zu sein, wünscht das ihr anvertraute junge Mädchen, welches so eben das Kloster, in dem es erzogen wurde, verlassen hat, passend zu verheirathen. Sie erfuhr vor einigen Tagen, daß der Herr Herzog von Brancas sich mit seinem Sohne in derselben Absicht hier aufhält, und schlägt dem Herzoge deshalb vor, sich Morgen Abend beim Beginne der Dämmerung, nach sieben Uhr, in der Allee des Schönbrunner Parks einzufinden, die nach dem Hause des Elephanten führt. Die Dame wird mit ihrer Nichte dasselbe thun, und wenn die jungen Leute bei der ersten Bekanntschaft keinen Widerwillen gegen einander empfinden, mit dem Herzog das Nähere besprechen. Im Falle Herr von Brancas dies Anerbieten annimmt, wird er gebeten, die Adresse dieses Briefes am Fuße der Apollostatue, rechts in der großen Schloßavenüe von Schönbrunn, noch heute niederzulegen.

Am morgigen Abend ist die Losung:

Discretion et Circonspection.«

Glücklicher Brancas – oder vielmehr glücklicher Theodor!« rief Rohan lachend aus. »Die schönsten Partien werden Ihnen auf den Händen präsentirt.«

»Spotten Sie nicht eher als bis Sie auch diese mysteriösen Zeilen gehört haben, fiel Brancas ein – und las nun dem Prinzen den zweiten Brief, den er unterdessen erbrochen und überblickt hatte, vor.

»Gnädigster Herzog!

Mit diesen Zeilen zugleich wird ein anderer Brief in Ihre Hände gelangen. Er ist die Veranlassung des meinigen; er ist von meiner Hand unter fremder Diktée geschrieben –«

 

»Zeigen Sie her, Brancas,« unterbrach den Lesenden der Prinz – und nachdem er beide Briefe verglichen hatte, setzte er hinzu:

»Das ist richtig – es ist unverkennbar dieselbe Handschrift.

»Und enthält,« fuhr Brancas zu lesen fort – »die Aufforderung zu einem Rendezvous in der Allee, welche nach dem Hause des Elephanten führt. Dies Rendezvous ist aber nichts weiter als eine Mystifikation. Man will sich mit Ihnen und mit Ihrem Sohne einen Spaß erlauben. Das junge Mädchen, von dem in jenem Briefe die Rede ist, soll von einer jungen, eben von ihrer Hochzeitsreise zurückgekehrten Frau gespielt werden, die Rolle der Tante von einer noch jüngeren und noch vornehmeren Person. Die beiden Damen stehen so hoch, daß ich in Ihrem Interesse, gnädigster Herr, Ihnen rathe, etwaige Entdeckungs- oder Vergeltungsversuche ja nicht zu machen. Wollen Sie einfach sich darauf beschränken, die Adresse nicht an der Statue des Apollo niederzulegen, die beiden Damen werden dann zu Hause bleiben und Alles zerfällt in sich selbst. Ich schließe diesen Brief mit den Worten, mit welchen der andere endet: Discretion et circonspection!

Nur unter dieser Bedingung

ein zuverlässiger Freund.«

»Charmant!« rief Rohan aufspringend – »dieser zuverlässige Freund ist zuverlässig eine Freundin, denn einen Mann werden die Damen nicht in's Geheimniß gezogen haben.«

»Weshalb nicht?« fragte der Herzog.

»O sie wissen zu gut, daß wir in solchen Angelegenheiten nicht schweigen können.«

Brancas war weit davon entfernt, die Sache so scherzhaft zu nehmen.

»Abscheulich!« sagte er. Wer mögen diese beiden Damen sein?«

»Eine von der Hochzeitsreise zurückgekehrte junge Frau?« bemerkte Rohan; »kommen wir da nicht sogleich wieder auf unsere Gräfin zurück, die Freundin der Erzherzogin, welche bei dieser so wenig von ihrer discretion gezeigt hat? Und welche andere auch könnte es wagen, Brancas? Eine andere wäre ja auch nicht sicher, daß Sie, mon cousin, sie nicht auf der Stelle erkennten, da Sie hier in der Gesellschaft lebten, bei Hofe vorgestellt wurden, in die Theater gingen …«

»Es ist wahr,« sagte Brancas – »aber die andere, die noch jüngere und vornehmere Person?«

Rohan antwortete eine Weile nicht.

»Wenn sie es wäre!« sagte er dann nachdenklich, wie für sich – doch schüttelte er gleich darauf den Kopf.

»Sie denken an die Erzherzogin selber!« hub der Herzog von Brancas wieder an. »Es ist nicht möglich. Ihre Mutter läßt sie zu ängstlich bewachen, als daß ihr Muße zu solchen Escapaden bliebe.«

Rohan antwortete wieder nicht.

»Was soll ich aber thun?« fuhr Brancas fort. »Ich kann die beiden schelmischen Gräsinnen doch nicht ohne Weiteres straflos lassen, wie mein gutmüthiger ›zuverlässiger Freund‹ es will! Das geht nicht, ma foi, dazu ist der Anschlag zu impertinent!«

»Bewahre,« nahm Rohan eifrig das Wort: »Sie müssen sich augenblicklich in den Park begeben, um die Adresse an der bestimmten Stelle niederzulegen. Lassen Sie anspannen – oder nein, es ist besser: Sie gehen; ich will Ihnen auf dem Wege Gesellschaft leisten, wenn es Ihnen genehm ist, mon cousin

»Gut, gehen wir – ich will mich zum Ausgehen ankleiden – unterdeß denken Sie einen Plan aus, mein erfinderischer Prinz, der mich an diesen Dämchen rächt – ich weiß, Ihnen ist das ein Leichtes …«

Der Herzog von Brancas schellte bei diesen Worten seinem Kammerdiener und begab sich mit demselben in sein Toilettenzimmer.

Rohan ging unterdessen auf und ab, mit bewegtem Mienenspiel. Seine Phantasie war offenbar in lebhaftester Thätigkeit. In alle Verhältnisse und Ereignisse der beiden Höfe, des heimischen und dessen, dem sie in diesem Augenblicke so nahe waren, eingeweiht, hatten unsere beiden großen Herren, wie wir sahen, ihren Scharfsinn nicht lange angestrengt, um ihren Verdacht auf eine Dame dieses Hofes zu werfen. Aber sie konnten sich auch sehr wohl darin irren. Und was Rohan jetzt ausfindig zu machen strebte, das war Etwas, was für den einen wie für den anderen Fall paßt und einen Triumph verhieß. Im Falle er recht gerathen, durfte er die Gelegenheit nicht vorüber gehen lassen, ohne seine officiösen Absichten zu fördern: im Falle des Irrthums mußte es eine Demüthigung für die zwei fraglichen Damen: und in beiden Fällen mußte es eine Genugthuung, ein Vergnügen für ihn selbst werden.

Endlich blieb der Prinz plötzlich stehen und rief mit frohlockendem Tone durch die offenstehende Verbindungsthüre in des Herzoge Toilettenzimmer:

»Ich hab's, ich habe es, mein theurer Vetter …«

»Nun – was haben Sie?«

»Wollen die Damen mit uns Komödie spielen – eh bien – zahlen wir mit gleicher Münze! Sie, mon cousin, haben dabei die leichte Mühe, ganz einfach sich selbst zu spielen – ich aber spiele – Ihren Sohn!«

»Sie, Monseigneur?«

»Ich! Glauben Sie, ich sei nicht im Stande, dies schüchterne Lamm darzustellen?«

»Louis von Rohan, der bei einer jungen Dame den Novizen spielt – wahrhaftig,« lachte Brancas laut auf, »da würden alle unsere Pariser Freunde ihre halbe Jahresrente als Entree zahlen!«

»Und doch würden sie sich täuschen, wenn sie erwarteten, ich würde die Rolle mit der unvergleichlichen Anmuth und der feinen Naivetät spielen, welche allein sie für ein so großes Opfer entschädigen könnte. Wirklich, Brancas, ich komme ganz aus der Uebung des Frauenverkehrs hier.«

Sie, Monseigneur!« rief der Herzog von Brancas ungläubig lächelnd aus.

»Ja, ja; Sie glauben nicht, mein vortrefflichster Vetter, wie hier in Deutschland mein Renommée bei den Frauen mich genirt! Denn selbst die Wienerinnen, welche trotz ihrer tugendhaften Kaiserin von allen Deutschen noch die galantesten sein sollen, sind im Allgemeinen ängstlich mir gegenüber. Jede Frau glaubt sich compromittirt, wenn sie in einer Gesellschaft mehr als drei Worte an mich richtet, ohne daß ein Dritter zuhört.

Ich entbehre dadurch ganz und gar den Reiz kleiner Liaisons; denn entweder die Frauen stürzen sich mir auf Tod und Leben an den Hals, oder sie fliehen vor mir. Leidenschaften werden mir auf diese Weise immer noch dann und wann zu Theil – aber keine pikante Tändelei, keine gracieuse Freundschaft, keine rosenrothen zweifelhaften Verhältnisse! Und ich habe seit je das Unglück, die wahrhaft entsetzliche Eigenschaft gehabt, daß von dem Augenblicke an, wo eine Frau mir ihre Liebe gestanden hat, sie jedes Interesse für mich verliert. Nur der Zweifel des Siegs macht uns Männern ja eigentlich den Sieg wünschenswerth!«

»Vortrefflich bemerkt, Sie übermüthigster, verwöhntester aller Sieger!«

Mit diesen Worten trat der Herzog umgekleidet in das Empfangszimmer zurück, und die beiden Herrn machten sich nun auf den Weg in den Schönbrunner Park, um die fragliche Adresse am Fuße der Apollo-Statue niederzulegen.

Auf dem Hinwege scherzten beide viel über die Scene, welche sie für den folgenden Tag erwarteten. Im Parke war bereits Alles still. Das kleine Blatt wurde an dem Piedestal der Statue auf den Boden geworfen, Rohan bückte sich dann, um es ein wenig in die unterste Steinfuge einzuschieben, damit der Wind es nicht entführen konnte. Während er damit beschäftigt war, ließ sich jenseits eines dichten Gebüsches etwas wie ein leichter, auf dem Kies der Pfade knirschender Schuh vernehmen. Brancas wollte sehen, wer es sei, aber Rohan hielt ihn zurück. –

»Bleiben Sie,« sagte er – »man beobachtet uns – tant mieux, wir sind sicher, daß unsre Adresse an ihre Adresse kommt!«

In der That waren die beiden abendlichen Spaziergänger beobachtet, aber nicht von der Seite, von welcher sie es voraussetzten. Wer hinter dem Gesträuch lauschte war nämlich Niemand anders als Resi. Resi wohnte bei ihrer Cousine, der Gräfin Caroline ganz in der Nähe, in der Hietzinger Sommerwohnung, welche Graf Wiprechtstein bei seiner Rückkehr von der Hochzeitsreise bezogen hatte. Aus dem Garten dieses Hauses konnte man zu jeder Zeit durch ein Hinterthürchen in den Kaiserlichen Park kommen. Diesen Weg hatte Resi jetzt unbemerkt gemacht, um mit ihren jungen Gedanken, welche seit dem Morgen in einer ganz eigenthümlichen Bewegung und Unruhe waren, eine halbe Stunde allein zu sein. An der Apollostatue war sie zuerst vorüber gegangen. Zu ihrer Freude hatte sie gesehen, daß an ihrem Fuße nichts Weißes schimmerte. Als sie aber dann die beiden Männer, welche sie nicht kannte, wahrgenommen, war sie, um ihnen nicht zu begegnen, in einen Seitenpfad geschlüpft. Da sah sie zu ihrem Erschrecken, daß der von ihr gegebene Wink ohne Frucht bleiben sollte: sie sah durch eine Lücke der Gebüsche, wozu die beiden Herren gekommen.

Als diese sich dann wieder entfernten, kam ihr der kühne Gedanke, hinzugehen und das Blatt fortzunehmen. Ihr Herz klopfte heftig auf bei dieser Versuchung … es war in der That ein kühnes Wagniß. Denn wenn nun bei ihrer Cousine die Rede darauf gekommen; wenn diese sie wohl gar gefragt hätte, ob sie das Blatt gesehen, hätte sie dann nicht lügen müssen? Und doch … während sie noch so stand und sich besann, sah sie einen Lakaien rasch herankommen – sie erkannte ihn, es war ein Diener ihrer Cousine; er war augenscheinlich als Wächter aufgestellt und bis jetzt irgendwo in der Nähe verborgen gewesen. Er nahm das Blatt auf und ging damit eilig in der Richtung fort, wo ihre Cousine wohnte.

»Es ist zu spät,« sagte sich Resi: »Nun kann ich nichts mehr thun, als Theodor mündlich warnen – wann ich ihn nur treffen kann? Er soll mir nicht von meiner spöttischen Cousine verhöhnt werden, das leide ich nicht, das darf ich nicht leiden, das ist Pflicht der Menschenliebe, und seiner mich anzunehmen, ist doppelte Pflicht für mich! Ist er nicht Novize wie ich gewesen? In Italien erzogen wie ich? Dem Kloster entrissen wider seinen Willen grade wie ich? Allein und ohne Freund in dieser Welt wie ich? O es ist klar, wir müssen zusammen halten. Auch die Schwachen sind stark, wenn sie nur einig sind …«

Und damit zog sich Resi nachdenklich aus dem Park zurück, eifrig grübelnd, wie es anzustellen, daß sie Theodor vor dem Streich behüte, der ihm gespielt werden sollte.


Viertes Capitel.

Es war um die Zeit der anbrechenden Dämmerung am anderen Tage. Aus einer Seitenthüre des Schlosses schlüpften zwei Frauengestalten hervor, welche beide trotz der warmen Jahreszeit einen weiten verhüllenden Ueberwurf trugen.

Sie vertieften sich in die Alleen des Parks.

»Nur rasch,« sagte die eine, »Alles geht gut; Sie sehen aus, als wären Sie zwanzig Jahre wenigstens älter, theure Erzherzogin, und was die gute Virneburg angeht, so schlummert sie in tiefster, seligster Ruhe: Lori bewacht sie und vor der Allee wird Resi Schildwacht stehen.«

»Und dennoch habe ich beinahe den Muth verloren!« flüsterte im raschen Fortschreiten die klangvolle Stimme Marie Antoinettens – »ich glaube, wir thun nicht Recht – mein Gefühl sagt es mir – o komm', Lini, laß uns umkehren!«

»Warum nicht gar! An der Schwelle umkehren, wäre das meiner stolzen entschlossenen Erzherzogin würdig?«

»Wenn meine Mutter Etwas davon erführe,« hub diese wieder an. »Wie oft hat sie mir nicht gesagt: »es gibt nur eine einzige Lebensregel, mein Kind, sie heißt: thue nie Etwas, dessen Entdeckung Dich beschämen würde.«

»Und dennoch schrieb sie einmal an die Pompadour!« fiel in unbedachtsamer Raschheit Gräfin Caroline ein.

»Das ist häßlich von Dir!« antwortete Marie Antoinette lebhaft. »Meiner armen Mutter einen Schritt vorzuwerfen, der ihr innerlichst widerstrebte und den sie nur that in der dringendsten Noth des Vaterlandes! Wie stand sie allein, von allen deutschen Fürsten verlassen! Ihr blieb nichts Andres übrig als das Bündniß mit Frankreich und es gab keinen andern Weg dazu als die Pompadour. So that sie diesen schimpflichen Schritt für ihr Volk, für ihre Kinder« –

»Verzeihen Sie mir das vorschnelle Wort,« unterbrach die Gräfin sie hier – »ich weiß ja, Ihre hohe Mutter schrieb an die Pompadour, um die Oestreicher zu retten. Sie helfen mir jetzt die Oestreicher an den üppigen Franzosen rächen – und deshalb kommen Sie!«

Damit zog Caroline die widerstrebende Erzherzogin fort und beide eilten dahin an den Ort des Rendezvous.

Dieser war bald erreicht. Es war eine dunkle, von den hohen Linden ganz überwölbte Allee, die zu einem rings mit festen Pallisaden umsäumten Hause führte, in welchem der zur zoologischen Sammlung des Schönbrunner Parks gehörende große Elephant seinen Aufenthalt angewiesen erhalten hatte. Als die zwei Damen etwa die Mitte dieses Ganges erreicht hatten, nahten sich ihnen zwei Männergestalten.

» Discretion!« sagte die erste mit einer tiefen respektvollen Verbeugung.

» Et circonspection!« antwortete mit einer Stimme, der man eine kleine Beklommenheit sehr wohl anmerkte, Marie Antoinette.

»Ganz auch meine Meinung,« versetzte, sich abermals verneigend, der Herzog von Brancas. Dann sich zu seinem Begleiter umwendend, der sich schüchtern hinter ihm zu verbergen schien, sagte er vorstellend:

»Mein Sohn Theodor!« und flüsterte dann diesem, laut genug, um von den Damen gehört zu werden, ein väterlich verweisendes:

»Mache doch Dein Compliment!«

zu.

Das Compliment fiel so komisch eckig aus, daß Marie Antoinette darüber alle Heiterkeit und zugleich auch allen Muth zurückkommen fühlte.

»Meine Tochter Pauline!« Wie die vierzehnjährige Marie Antoinette als Mutter einer mindestens ebenso alten Tochter überzeugen soll, bleibt Schückings Geheimnis. – Anm.d.Hrsg. sagte sie jetzt ebenfalls vorstellend, wobei Gräfin Caroline, die Augen niederschlagend, zwei Knixe machte.

»Darf ich um Ihren Arm bitten, Madame?« begann der Herzog von Brancas wieder, indem er der Erzherzogin den seinigen bot.

Marie Antoinette nahm ihn nicht.

»Wir wollen hier im Hintergrunde eine Weile auf und abwandeln,« sagte sie voranschreitend; »wir dürfen doch des Anstandes halber die jungen Leute nicht ganz allein lassen.«

»O, mit meinem Theodor dort dürfen Sie Ihre Nichte ohne alle Sorge ganz allein lassen!« fiel mit tückischem Tone der Herzog ein, und schritt an der Seite der Erzherzogin weiter die Allee hinab.

Die Gräfin Caroline war auf ihrem Platze geblieben.

» Monsieur!« sagte sie sie jetzt mit der verzagtesten Stimme von der Welt.

»Mademoiselle!« antwortete ihr gegenüber mit einem Tone so zitternd vor Blödigkeit, daß sie, um nicht in Lachen auszuplatzen, sich abwandte und der Bank, welche sie neben sich gewahrte, zuschritt, um sich darauf zu setzen.

»Spielen Sie gern Volant Federball.?« fragte sie dann mit dem naivsten und kindlichsten Tone, der ihr zu Gebote stand.

»Nein, Mademoiselle!« antwortete weinerlich ihr Gesellschafter.

»Tanzen Sie gern?«

»O nein!

»Reiten Sie gern?«

»Nein, Mademoiselle – ich habe es nie versucht!«

»Fechten Sie gern?«

»Nein, nein!

»Wenn wir auf diese Weise fortfahren,« sagte die Gräfin Caroline, die jetzt ihr Lachen nicht mehr unterdrücken konnte – »so wird sich unsre Unterhaltung nicht beleben und wir werden uns gar nicht näher kennen lernen.«

»Wünschen Sie denn das? fragte mit lamentabler Stimme der junge Mann.

»Meine Tante und Ihr Vater wünschen es!«

Die einzige Antwort hierauf blieb ein tiefer, tiefer Seufzer.

»Weshalb seufzen Sie so entsetzlich? Wenn das Zusammensein mit mir Sie so unglücklich macht, so will ich aufstehen und Ihren Papa zurückrufen.«

»O nein, lassen Sie den Herzog wo er ist!« antwortete Rohan rasch mit unverstellter Stimme, während er sich neben die Dame auf die Steinbank setzte, und dabei sehr fest ihre Hand ergriff.

Gräfin Caroline schwieg und fixirte ihn eine Weile; da er ihren Blick sehr offen aushielt, zog sie ihre Hand zurück.

»Ich bin ganz überrascht, indem ich Sie näher betrachte,« sagte sie dann. »Erstens sind Sie gar nicht so häßlich, wie man Sie mir geschildert hat – und zweitens sehen Sie auch nicht aus, als wenn Sie eben aus dem Kloster kämen. Ihre Blicke haben durchaus nichts Klösterliches, mein Herr.«

»Man hat mir leider von jeher gesagt,« antwortete Rohan mit der ganzen Weinerlichkeit seines früheren Tones, »daß mein Aussehen mit meiner geistlichen Bestimmung in so ärgerlichem Widerspruche stehe!«

»Da diese Bestimmung jetzt verändert ist,« meinte Caroline, »so ist das ja recht gut: wir hätten dann nichts weiter zu thun, als Ihr Benehmen noch etwas zu bilden.« –

»Uebernehmen Sie das?« sagte Rohan wieder rasch, und mit schmeichelnder Zärtlichkeit im Tone.

»Wünschen Sie denn das?« fragte jetzt Caroline, indem sie, um ihn zu parodiren, ganz den Ton nachahmte, mit welchem er vorhin dieselben Worte gesprochen hatte.

»Ach, ich bin sehr unglücklich!« seufzte Rohan betrübt.

»Wirklich? – o sagen Sie mir, was Ihnen fehlt,« lautete Carolinens theilnahmvoller Zuspruch.

»Ach, meine unglückliche Gemüthsart – ich bin so schüchtern« –

»Aber mein Gott, worin hindert Sie denn Ihre Schüchternheit?«

»Ich möchte Sie so gern ansehen,« sagte Rohan weinerlich.

»So fassen Sie Muth,« antwortete Caroline, trostreich seine Hand ergreifend.

Rohan begann jetzt ein überaus komisches Mienenspiel. Er blickte die Gräfin Caroline von der Seite an, dann wieder zu Boden, dann wieder zu ihr empor, bis sie laut auflachte.

»Erst machen Sie mir Muth – und dann lachen Sie mich aus!« sagte er betrübt und vorwurfsvoll.

»Wenn das nicht zum Lachen ist! Aber da Sie jetzt das Wagestück über sich gebracht und mich angeblickt haben – wie finden Sie mich?«

»Schön – sehr schön –aber …«

»Nun, aber?« fiel Caroline beinahe gereizt ein.

»Auch nicht nach der Klosterregel!«

»Man hat mir leider von jeher gesagt,« versetzte Caroline, ihn abermals parodirend, »daß mein Aussehen mit meiner geistlichen Bestimmung in so ärgerlichem Widerspruche stehe. – Meine Bestimmung,« fuhr sie dann lachend, mit ihrer natürlichen Stimme fort, »ist übrigens nicht das Kloster, das fühle ich.«

»Sie haben Recht,« antwortete Rohan, »Sie dürfen sich der Welt nicht entziehen – auch ich muß es Ihnen gestehen – auch habe ich Sie schon einmal in der Welt gesehen.«

»Wo?« fragte Caroline etwas erschrocken.

»Vor einigen Wochen, in der Oper in Paris.«

»Ich bin nie in Paris gewesen,« fiel sie rasch ein.

»Das ist gut,« sagte der Prinz von Rohan, indem er zärtlich sein Haupt an ihre Schulter legte und ihre Taille umfaßte – »denn Paris soll sehr sündhaft sein!«

Gräfin Caroline Wiprechtstein wollte aufspringen.

»Welche schlechte Manieren haben Sie, Monsieur!« sagte sie dabei – »ich werde meine Tante rufen!«

»O bleiben Sie,« sagte er, sie am Arme zurückhaltend – »ich wußte ja nicht, daß sich das nicht schickt – du lieber Gott, ich bin so unerfahren.«

»Die Unschuld verliebt sich in mich ohne es zu wissen!« sagte sich die junge Frau und behielt beruhigt ihren Platz.

»Sie glauben nicht,« fuhr er fort, »wie drückend es einer schönen jungen Dame gegenüber ist, so unerfahren zu sein – o ich fühle recht wohl, wie unangenehm ich Ihnen sein muß.«

»Unangenehm? Bewahre – ich schätze das grade an Ihnen – bin ich nicht auch ein Klosterkind, eine Novize?«

Rohan ergriff noch einmal ihre Hand; er erhob andächtig die Augen zum Himmel und sagte:

»Ja, die Engel im Himmel müssen sich über uns freuen.«

»Wie lange denkt Ihr Herr Vater in Wien zu verweilen?« fragte sie, mit Mühe ihr Lachen verbeißend.

»Bis nach unserer Vermählung,« versetzte Rohan leise und zärtlich – »O Mademoiselle, nach unserer …« er brach mit einem Seufzer ab.

»Nun so ganz gewiß ist doch die Sache noch nicht!« sagte sie, ihm ihre Hand entziehend.

»Nicht gewiß? – Glauben Sie, ich würde diese Hand, o diese Hand missen wollen?« antwortete er, ihre Hand mit Küssen bedeckend.

»Lassen Sie mich!« sagte die junge Frau etwas beängstigt von der Leidenschaftlichkeit dieser Demonstration.

»O wir sind ja für einander bestimmt,« rief Rohan aus, indem er sie kräftig festhielt – »und bedenken Sie, daß ich einundzwanzig Jahre alt bin und noch nie eine Frauenhand in der meinen gehalten habe …«

»Ich wünschte, Ihr Vater und meine Tante kämen zurück,« sagte Caroline, immer unruhiger werdend.

»Ich wünschte es keineswegs!« meinte der verkappte Novize. –

»Da gehen sie vorüber, ich will sie rufen!« Mit diesen Worten wollte Caroline sich erheben.

Aber Rohan drückte, eng ihre Taille umschlingend, sie wieder auf die Bank nieder.

»Sie bringen mich in Verzweiflung,« sagte er dabei im allerbetrübtesten, demüthigsten Tone, »wenn Sie mir nicht erst ein Pfand unseres baldigen Wiedersehens geben.«

»Nun so sagen Sie, was Sie wollen!« antwortete Caroline hastig, in der Hoffnung, sich durch irgend ein zartes Andenken die Freiheit von diesem seltsamen Klosterzögling, in welchem die fromme Zucht noch soviel wilde Natur gelassen zu haben schien, zu erkaufen!

»Den Verlobungskuß!« versetzte Rohan mit seiner ganz unverstellten Stimme und großer Bestimmtheit.

»Was fällt Ihnen ein?« rief Caroline erschrocken aus.

»Mein Vater hat mir aber gesagt, das sei so Sitte, und Sie würden es sehr übel nehmen, wenn ich unterließe, das zu fordern!«

»Später, später, wenn Sie in das Haus meiner Tante kommen,« fuhr Caroline ängstlich abwehrend fort.

»Bei allen Heiligen, so lange kann ich nicht warten, ich will den Verlobungskuß jetzt, hier auf der Stelle – … seien Sie mitleidig und barmherzig gegen einen armen, fern den Reizen und Genüssen der Welt aufgewachsenen Novizen – einen –« und dabei hielt Rohan sie fest umschlungen und preßte sie an seine Brust – »einen schüchternen, bangen, furchtsamen, blöden, zitternden Knaben …«

»Lassen Sie mich los, mein Herr – Sie sind unverschämt trotz aller Ihrer bescheidenen Redensarten …«

»Weshalb wollen Sie mich verlassen? Werden Sie mir nicht angehören?«

»Ich werde aus Angst um Hülfe schreien …«

»Angst vor mir? Vor dem Lamme, der Taube, dem scheuen Reh …«

»Lassen Sie die Thierwelt in Ruhe, und lassen Sie auch mich gehen,« antwortete Caroline, indem sie fortwährend rang, ihre Hände los zu bekommen, und während ihr Athem stockte vor Anstrengung und Angst.

»Bemühen Sie sich nicht – Ihre Händchen werden nur roth vom Ringen – und den Verlobungskuß will ich nun einmal – so sehen Sie – und so – …«

Bei diesen Worten wandte Rohan mit Gewalt den Kopf der Gräfin Caroline sich zu und bedeckte ihren Mund mit leidenschaftlichen Küssen, indem er zugleich ihre Lippen dadurch schloß, so daß sie nicht um Hülfe rufen konnte. Endlich gelang es ihr, einen lauten Schrei auszustoßen.

Nach wenig Augenblicken, welche Rohan mit großer Gleichgültigkeit gegen das, was folgen konnte, eifrig zu benutzen fortfuhr, kamen der Herzog von Brancas und die Erzherzogin aus der Dämmerung der Allee heran.

»Theodor, Theodor! Was machst Du?« rief der Herzog von Brancas mit einem Tone aus, dessen lachende Heiterkeit sich nicht verkennen ließ.

»Ich bitte meine Braut um den Verlobungskuß!« antwortete Rohan ganz ruhig.

Aber mit dem zornigsten Tone von der Welt sagte die junge Erzherzogin, indem sie Carolinens Arm, wie um sie zu befreien, ergriff:

»Mein Herr! Was wagen Sie!«

»Welcher Mensch!« rief Caroline aus, weinend vor Zorn, aber noch immer von Rohan festgehalten.

»Herr Herzog,« sagte Marie Antoinette, jetzt vollends empört – »Sie sind ein Mann von Ehre – befehlen Sie augenblicklich Ihrem Sohne sich zu entfernen!«

Der Herzog von Brancas zuckte die Achseln.

»Mein Sohn ist mündig,« sagte er, »und hat so ziemlich seine eigenen Gewohnheiten, an denen ich nichts ändern kann. Ueberdem finde ich ihn gar nicht so schuldig. Weshalb sollte er nicht die Verlobung, zu welcher Sie uns herbestellt haben, auf den Lippen seiner reizenden Braut besiegeln? Aber in der That, wenn ich auch wollte, ich kann ihm nicht befehlen.«

»Nun,« fiel ihm Marie Antoinette sich hoch auf richtend und mit starker Stimme in's Wort – »ich ihm befehlen! – Lassen Sie augenblicklich diese Dame los!«

Rohan gehorchte. Er ließ die Gräfin von Wiprechtstein los und sich zu der Erzherzogin wendend, sagte er mit einer tiefen ehrfurchtsvollen Verbeugung:

»So kann nur eine künftige Königin zu mir reden und ich gehorche!«

Marie Antoinette erschrak bei diesen Worten, welche ihr zeigten, daß sie erkannt sei. Sie fand im Augenblick keine Antwort, und durch einen neuen Zwischenfall wurde sie derselben auch überhoben.

Es erschien nämlich eine neue Person auf dem Schauplatze des Ereignisses – eine Person, welche mit raschen Schritten herankam und die keine andere war, als ganz dieselbe, deren Namen hier so eben so keck mißbraucht wurde. Theodor hatte seit dem vorigen Tage einen unbeschreiblichen Reiz darin gefunden, in den Alleen des Parks von Schönbrunn zu lustwandeln, und machte eben wieder eine Abendpromenade darin. Nun hatte er aus der Entfernung den Stimmenwechsel gehört und auch seinen Namen zu vernehmen geglaubt. Deshalb war er herbeigeeilt, und stand nun plötzlich vor der Gesellschaft, sich schüchtern verbeugend.

»Entschuldigen Sie, mein Vater … und Sie, Prinz Rohan!« sagte er; »ich glaubte meinen Namen rufen gehört zu haben …

»Ah, Sie sind es!« fuhr Marie Antoinette, als sie den Namen Rohan's vernahm, in ihrer ganzen früheren Entrüstung fort – »aber ich hätte es mir denken sollen. Nur ein Mann am Hofe war schutzlosen Frauen gegenüber eines solchen Benehmens fähig! … Sie sprachen vorhin von einer künftigen Königin … die künftige Königin von Frankreich aber, mein Herr Prinz von Rohan, Bischof von Straßburg und Sr. Allerchristlichsten Majestät vertrauter Bevollmächtigter – befindet sich nicht am Kaiserlichen Hoflager zu Schönbrunn – darauf mein Wort – ich bitte, lassen Sie es sich gesagt sein!«

Damit wandte sie sich voll Stolz und Hoheit zum Gehen – aber in dem Augenblick, in welchem sie den Arm ihrer Freundin, der Gräfin Caroline nahm, stieß sie auf ihre athemlos herbeigeflogene Kammerfrau, welche ihr ängstlich entgegenrief:

»Um Gotteswillen, Königliche Hoheit, die Baronin ist erwacht …«

»Kommt sie hierher?« fragte Caroline mit stockendem Athem.

»Nein, was das Schlimmste ist,« versetzte die Kammerfrau, sie sind zu Ihrer Kaiserlichen Majestät geeilt, um ihr zu melden, daß die Erzherzogin nicht in ihren Zimmern sei!« –

»Dann sind wir verloren!« wehklagte die Gräfin.

»Ja, das ist schlimm,« fügte die Erzherzogin ruhig hinzu, »aber Alles, dem wir entgegen gehen, ist nicht so schlimm« – und sie sagte das mit einem Blick unsäglicher Verachtung auf die beiden Herren, welche sie zurückließ – »als was wir hier verlassen.«


Fünftes Capitel.

Marie Antoinette irrte, wenn sie den Prinzen Rohan durch die Hoheit ihres Benehmens und durch ihre Worte für gedemüthigt hielt.

» Mort de Dieu!« sagte er den Damen nachblickend, »das ist eine Königin! Aechte Race, wenn ich eine kenne! Sie hat sich vortrefflich aus der Affaire gezogen. Hat sie uns nicht ausgescholten, wie ein paar Schulbuben? Bravissima! zu dieser Schnur Altertümlich für ›Ehefrau des Sohnes‹ (Schwiegertochter). – Anm.d.Hrsg. kann Louis quinze sich Glück wünschen.«

» Louis quinze?« bemerkte Brancas kopfschüttelnd. »Ich meine, sie hat es Ihnen deutlich genug gesagt, daß sie den Dauphin nicht will?«

»O! jetzt muß sie wollen, ich setze meine Ehre daran,« antwortete Rohan zuversichtlich.

»Nun in der That,« meinte der Herzog, »das heißt Ihre Ehre auf ein gefährliches Spiel setzen. Ich wenigstens bin sehr neugierig, wie Sie es anfangen wollen, sie mit sich auszusöhnen.«

»Sie mit mir auszusöhnen!« versetzte der Prinz stolz und mit vollendeter Süffisance, »die Kleinigkeit wollen wir zu Hause abmachen, wenn sie erst in Frankreich ist – dann wende ich mich an die schöne Frau und an die hat sich Louis von Rohan selten in seinem Leben vergebens gewandt. Jetzt aber habe ich es mit der Prinzessin zu thun, jetzt muß ich dem Dauphin Vergebung auswirken – nicht mir!«

»Wir werden sehen! Ich fürchte, wir haben hier den ganzen Heirathsplan verdorben!«

»Verdorben? Im Gegentheil, zu Stande gebracht,« antwortete der Prinz; – »lassen Sie mich nur sorgen. Was wäre denn Diplomatie, wenn nicht die Kunst, die Unbesonnenheiten des Feindes zu benutzen und die eigenen vergessen zu machen.«

»An meiner Bewunderung wird es Ihnen nicht fehlen, Monseigneur,« sagte Brancas.

»So kommen Sie, ich muß Toilette machen für die Abendgesellschaft der Kaiserin!«

Damit schob der Prinz seinen Arm in den des Herzogs und beide verließen den Park.

Die verhängnisvolle Allee, die zum Hause des Elephanten führte, verödete jedoch damit noch keinesweges. Denn erstens blieb Theodor von Brancas zurück, und nachdem er eine Weile, in Gedanken verloren, dagestanden hatte, ohne enträthseln zu können, was diese Scene bedeute zwischen Rohan, seinem Vater und der zürnenden Erzherzogin – denn daß sie es sei, hatte er ja gleich bei den ersten Worten voll Hoheit und Stolz, die er von ihr vernommen, errathen können, – nachdem er, wie gesagt, eine Weile sich darüber vergebens den Kopf zerbrochen, hörte er neben sich einen leisen schüchternen Schritt und aufblickend gewahrte er Resi. –

Damit wir es gleich gestehen – Resi kam nicht erst in diesem Augenblicke: Resi hatte bereits eine kleine Weile in der Nähe gestanden, denn Resi hatte gelauscht!

Jetzt trat sie aus den Gebüschen, hinter welchen sie sich versteckt gehalten, hervor, und schüchtern sagte sie:

»Sind Sie es? O sagen Sie mir, was bedeutete das? wer war der Herr, der so eben mit Ihrem Vater – denn einer war ja wohl Ihr Vater? – hier war und gegen den die Erzherzogin so heftig wurde?«

»Es war der Prinz von Rohan,« antwortete Theodor.

»O mein Gott, so habe ich den Namen recht gehört! wenn ich nur wüßte, wie alles dies zusammenhängt,« sagte sie äußerst beklommen.

»Was ist Ihnen, Fräulein, Sie sind ja so ängstlich, als ob Myrrha wieder verloren wäre!«

»O ich fürchte, es ist viel mehr verloren als Myrrha, ich fürchte, ich darf meiner Cousine nie mehr vor die Augen kommen; und daran,« setzte Resi, ihre Lippen zum Schmollen aufwerfend, hinzu – »daran ist weiter Niemand Schuld als Sie!«

»Als ich?« –

»Als Sie!« –

»Erklären Sie mir, wie kann ich hier etwas verbrochen haben?«

»Nun, verbrochen haben Sie auch nicht gerade Etwas,« antwortete Resi, die zu fühlen schien, daß sie wohl schon zu viel gesagt und die jetzt die Erklärung, welche Theodor forderte, zu umgehen suchen mochte. Aber Theodor ließ nicht nach mit Fragen. Und so gestand sie ihm denn endlich, »daß man vorgehabt, sich mit seinem Vater und ihm einen Scherz zu machen, daß sie dies nicht habe zugeben wollen, weil er,« sagte sie, »ihr so ehrlich habe Myrrha suchen helfen, und daß nun sein Vater und Rohan doch zu dem Rendezvous gekommen, und daß eine arge Geschichte daraus werde, da Rohan den Damen sicherlich gesagt haben werde, daß sie verrathen seien. Und von wem, das werde ihre Cousine schon sich selber sagen. Rohan ist vielleicht im Stande gewesen,« fügte Resi hinzu, »ihnen das Billet zu zeigen, welches ich an Ihren Vater schrieb!«

Theodor fühlte sein Herz frohlocken bei dem, was Resi sagte; denn dies ungeahnte Wohlwollen seiner jungen Freundin für ihn erfüllte ihn mit einer ganz eigenthümlichen Glückseligkeit, worüber er sogar im ersten Augenblick ihren Schmerz vergaß. Er suchte sie zu beruhigen, indem er sie versicherte, daß alle Parteien bei dieser Angelegenheit wahrscheinlich für das Beste halten würden, unverbrüchliches Schweigen darüber zu beobachten.

»Ja,« sagte Resi, »wenn das auch wäre, so fürchte ich doch, daß es ihnen Allen nichts mehr helfen wird. Denn als ich hierher ging, trat gerade die Hofmeisterin der Erzherzogin in die Gartenthür, welche aus den Zimmern der Prinzessin in den Part führt. Sie erkannte mich, rief mich herbei, und in großer Aufregung fragte sie mich, ob ich nicht wisse, wo die Erzherzogin sei, oder wo meine Cousine sei, welche vor einer Stunde bei jener in deren Zimmer gewesen. Ich stammelte erschrocken eine Antwort und wollte forteilen, aber die Baronin ließ mich nicht und fragte so lange, bis ich ihr, wie ich fürchtete, zu viel gesagt hatte! Nun aber hörte ich vorhin, wie die Kammerfrau der Erzherzogin sagte, daß die Baronin von Virneburg gleich zur Kaiserin geeilt sei. Brühwarm überbringt sie ihr, was sie mir durch ihre Fragen ausgepreßt hat. – Denken Sie sich, welche Geschichte das geben wird; und wenn meine Cousine hört, daß … o mein Gott, wohin flüchte ich mich!« unterbrach sich das geängstigte junge Mädchen in Thränen ausbrechend.

»Um Alles in der Welt, weinen Sie nicht!« beschwor Theodor sie, indem er lebhaft ihre Hand ergriff – »hören Sie auf zu weinen, ich kann Sie nicht weinen sehen!

Resi hatte ihre Thränen plötzlich getrocknet. Ein überaus rascher Gefühlswechsel schien nur noch aufrichtige Verwunderung in ihrer Seele gelassen zu haben, als sie die Augen zu Theodor aufschlagend naiv fragte:

»Sind Sie mir denn gut?«

»Und wie gut – o Resi, wie gut!« antwortete der junge Mann.

»Ist es möglich?«

»Mein Leben gebe ich für Sie, Resi!«

Resi umschlang seinen Hals und legte ihren Kopf auf seine Schulter.

»Dann fürchte ich meine Cousine nicht mehr!« sagte sie.

Theodor hätte beinahe vor Glück die Besinnung verloren. Er athmete ein paar Mal tief auf – dann aber wagte er es – er legte den Arm um ihre zarte Gestalt – und dann wagte er noch mehr – er sagte:

»Resi – mein Vater will ja, daß ich mich verheirathe – lasse mich Dich heirathen und wir haben dann Niemand und nichts mehr auf der Welt zu fürchten!«

Resi entwand sich ihm bei diesen Worten. Sie legte ihren leichten Arm in den seinen und flüsterte:

»Führe mich jetzt heim, Theodor!«


Sechstes Capitel.

Etwa zwei Stunden später war der Prinz von Rohan in Begriff, sich in die Abendgesellschaft der Kaiserin Maria Theresia zu begeben, als ihm ein Billet überbracht wurde.

»Vom Herrn Herzog von Brancas,« meldete der Kammerdiener, der es überreichte.

Rohan öffnete es hastig und las folgende Zeilen:

»Wahrhaftig, Monseigneur, die Zeit, in welcher Wunder geschehen, ist noch nicht vorüber. Sie haben heute die Rolle meines Sohnes gespielt: und denken Sie sich, dadurch ist ein geheimer Rapport zwischen den beiden Doppelgängern entstanden. Mein Sohn ist als ein wahrer kleiner Rohan en herbe nach Hause gekommen. Er ist verliebt; er hat Declarationen gemacht; er hat im Sturm ein Herz erobert; er will augenblicklich heirathen! Sie wissen, sein glücklicher Vater verlangt nichts besseres. Vor allen Dingen aber eile ich Ihnen dieses mitzutheilen, weil seine Geliebte unsere freundliche Warnerin, weil sie die Nichte der Gräfin Caroline von Wiprechtstein ist. Ich bin überzeugt, daß Sie diesen Umstand bei Ihren ferneren strategischen Plänen werden zu benutzen wissen!

Ich bin, Monseigneur

ganz Ihr

Brancas.«

»Das vereinfacht unsere strategischen Pläne allerdings außerordentlich!« sagte Rohan lächelnd für sich hin, steckte das Billet zu sich und ging, um seine Carrosse zu besteigen. Nach einer halben Stunde hielt sie vor dem Landhause der Gräfin von Wiprechtstein. Rohan ließ sich bei ihr melden; und da er mit Recht fürchtete, daß Gräfin Caroline den gewiß überaus unerwarteten Besuch werde abweisen lassen, so schritt er mit kecker Miene hinter der meldenden Kammerfrau her. Als die Letztere ihrer Herrin seinen Namen nannte, sah sie zu ihrer großen Indignation, daß dies sehr überflüssig war, denn der französische Herr stand bereits auf der Schwelle des Wohnzimmers der Gräfin.

Caroline von Wiprechtstein fuhr erblassend auf – Rohan bemerkte, daß ihre Augenränder geröthet waren. Auf einem Schemel in der Ecke saß Resi, und das arme Kind schluchzte so heftig, daß sie es sogar jetzt vor den Augen des Fremden nicht unterdrücken konnte.

»Sie, mein Prinz?! Sie kommen zu mir?« sagte Gräfin Caroline mit dem Ausdruck aufwallenden Zorns – und dann wandte sie sich rasch zu Resi und hieß sie in befehlendem, hartem Tone auf ihr Zimmer gehen.

Resi verschwand.

»Ich komme zu Ihnen, Gnädigste,« antwortete, als sie allein waren, Rohan mit einer tiefen ehrfurchtsvollen Verbeugung; »ich komme zu Ihnen, Abbitte zu leisten und ich hoffe, Sie werden mir Ihre volle Verzeihung nicht vorenthalten. Sie ließen mich glauben, ich habe es mit einer Novize zu thun – wollen Sie mir zürnen, daß ich den Irrthum nicht augenblicklich einsah?«

»Sie fügen noch Spott zu der Beleidigung; Monseigneur; in der That ich weiß nicht, was mich abhält, die Klingel zu ziehen und …«

»O ich weiß, was Sie davon abhält, Gräfin; das gemeinsame Interesse.«

»Sie irren sich; ich wüßte nichts, was zwischen mir und dem Herrn Prinzen von Rohan gemeinsam wäre!«

»Bekämpfen Sie Ihren Unwillen gegen mich, schöne Frau,« antwortete Rohan mit einem Ausdruck lächelnder Ueberlegenheit, welcher die Gräfin empörte. »Gewiß,« fuhr er fort, »haben wir ein gemeinsames Interesse: Sie sind bedroht von dem Zorn der Kaiserin, ich habe das Unglück gehabt, den der Erzherzogin zu erregen. Aber ich weiß einen Weg, beide zu entwaffnen; sollten Sie sich nicht gefallen lassen, auf diesem Wege eine kurze Strecke mit mir zu wandern?« –

Caroline schwieg. Sie war zu hochmüthig, einzugestehen, wie sehr er Recht hatte, als er sie vom Zorne der Kaiserin bedroht nannte: einzugestehen, daß ihr die Baronin von Virneburg vor einigen Stunden, als sie die Erzherzogin in ihre Gemächer zurückbegleitet, zu verstehen gegeben, sie, die stolze, am Hofe beinahe aufgewachsene, nur für den Hof lebende Frau Gräfin von Wiprechtstein werde am folgenden Tage officiell die Weisung erhalten, sich nie mehr am Hofe blicken zu lassen und sich auf die Güter ihres Mannes zurückzuziehen.

»Sie geben mir Recht,« fuhr Rohan deshalb, in ihren Mienen lesend, fort. »Nun hören Sie. Sie sind es, der ich die plötzliche Abneigung der Erzherzogin Marie Antoinette gegen die Verbindung mit dem Enkel meines Königs verdanke. Alles stand auf's Beste, bis zu dem Augenblicke, wo Sie von Ihrer Reise zurückkamen und die Erzherzogin sprachen. Nun wohl, lassen Sie Ihre gewandte Zunge die Lanzenspitze jenes Gottes sein, die allein die Wunden heilte, welche sie geschlagen hatte. Sagen Sie Ihrer jungen Königlichen Freundin, daß Alles, was Sie ihr erzählt, eingegeben worden sei von dem Verlangen, sich für die unfreundliche Behandlung zu rächen, welche Ihnen von meinem Könige bei Ihrer Vorstellung in Versailles widerfahren sei: oder, wenn Sie lieber wollen, von dem Verlangen, die Erzherzogin hier und in Ihrer Nähe zu halten. Sagen Sie ihr, daß Sie aber jetzt, wo Sie fürchten müßten, vom Hofe verbannt zu werden, wo also das Schicksal Sie ohnehin von Ihrer jungen Freundin losreiße, wo die Unwahrheit, welche Sie gesprochen, Ihnen keinen Vortheil mehr bringe, daß Sie jetzt die Wahrheit reden und gestehen wollten, wie Sie den Dauphin verleumdet hätten …«

»Und so etwas Unwürdiges wagen Sie mir zuzumuthen? Ich soll meine Freundschaft für die Erzherzogin verrathen, soll …«

»Sie sollen Ihre Freundschaft für die Erzherzogin bewähren, sollen sie vor dem Unwillen der strengen Mutter schützen, sollen sich selbst vor dem Zorn der Kaiserin sicher stellen.«

»Und wie soll das geschehen?« fragte Caroline von Wiprechtstein.

»Erlauben Sie mir vorher eine andere Frage. Was beabsichtigen Sie mit Ihrer liebenswürdigen Nichte anzufangen, dem armen Kinde, welches ich vorhin hier in Thränen aufgelöst fand?«

»O die kleine Schlange, die uns verrieth, wie sie mir selbst gestanden – sie soll augenblicklich in ihr Kloster zurück.«

»Wie hart Sie sind, gnädigste Gräfin! Aber lassen wir das bei Seite gestellt. Kommen wir zur Sache zurück. Wollen Sie meinen Wunsch erfüllen? Den Preis habe ich Ihnen schon genannt; er heißt: die Wiederkehr der vollen Gunst der Monarchin; Lösung alles Zwiespalts in schöner Harmonie. Ich verpfände Ihnen mein fürstliches Wort dafür, Gräfin – es wird Ihnen genügen.«

Gräfin Caroline schwieg. Ihre Brust hob sich unter einem tiefen Seufzer.

»Ich sehe, Sie willigen ein!« fuhr Rohan fort.

In der That, Caroline mußte, wenn Rohan halten konnte, was er versprach, einwilligen, so verächtlich sie auch seinen Vorschlag im ersten Augenblick zurückgewiesen hatte. Das Schicksal, vom Hofe verbannt zu werden, war für sie etwas Entsetzliches: Dazu kam, daß sie nicht wußte, wie den Vorwürfen und dem Zorn ihres Mannes begegnen, wenn dieser ihre Ungnade erfuhr und die Gründe derselben ihm kund wurden!

Rohan las in ihren Zügen, daß er gewonnenes Spiel hatte. Er erhob sich aus dem Sessel, den er vorhin, ohne ihre Einladung abzuwarten, eingenommen hatte.

»Also wir sind einverstanden,« sagte er. »Machen Sie Toilette, gnädigste Gräfin, und dringen Sie, ohne sich abweisen zu lassen, bis zur Erzherzogin vor. Die Virneburg kann Ihnen eine Unterredung mit Marie Antoinette nicht wehren; die gute alte Dame muß es ja für Etwas wie ein letztes Abschiedswort halten! Ist es Ihnen dann gelungen, das, was Sie der Erzherzogin wider den Dauphin eingeredet haben mögen, ihr wieder auszureden, willigt die Erzherzogin in die französische Verbindung ein, weil ich nur unter dieser Bedingung den allgemeinen Friedensstifter mache – nun wohl, dann erscheinen Sie im Abendzirkel …«

»Ich? wo denken Sie hin!« fragte die Gräfin. Die Kaiserin …«

»Wird Sie voll Huld aufnehmen, wenn Sie an meiner Seite vor sie treten.«

»Und das wollen Sie wirklich bewerkstelligen? Auf welche Weise?«

»Wäre es nicht besser, daß Sie dies bis zum entscheidenden Augenblick mein Geheimniß sein ließen? Die Zeit drängt!«

»Verlangen Sie denn, ich soll thun, was Sie wollen, ohne daß ich eine Bürgschaft für Ihre Versprechungen habe?«

»Wie – das fürstliche Wort eines Rohan ist keine Bürgschaft für Sie, Gräfin von Wiprechtstein!«

»Nun wohl,« sagte Caroline mit einem raschen Entschlusse aufspringend und ihrer Kammerfrau schellend.

Hätte sie auch nicht so dringende Gründe gehabt, Rohan's Vorschlag anzunehmen – der Gedanke, daß man ja am Ende Marie Antoinette doch wohl überreden werde, in diese französische Heirath, die Alle wünschten, zu willigen; daß sie deshalb ihrer erlauchten jungen Freundin eine Wohlthat erweise, wenn sie derselben ihr Schicksal in versöhnenderm Lichte zeige – dieser Gedanke gab den Ausschlag.

»Gehen Sie,« sagte sie deshalb jetzt ganz eifrig. »Ich will thun, was Sie verlangen. Also wir sehen uns dann im Salon der Kaiserin!«

»Sie werden mich auf meinem Posten finden!«

Mit dieser Versicherung verbeugte sich Rohan und ging.

»Zu Hofe!« befahl er draußen seinem Lakai, der den Wagentritt vor ihm niederschlug. –

In den Zimmern der Kaiserin drängte sich ein guter Theil alles dessen, was die Auszeichnung genoß, zu den abendlichen Spielpartien der Monarchin Zutritt zu haben.

Maria Theresia saß am Tarocktische in einem der hinteren Salons ihrer Gesellschaftsräume. Rohan hielt sich möglichst lange in den vorderen Gemächern im Gespräch mit Herren und Damen auf, welche er kannte, und vermied so, von der Kaiserin früher erblickt zu werden, als er es wollte. Er scherzte mit der sorglosesten Heiterkeit; doch flog sein Auge unvermerkt von Zeit zu Zeit voll Spannung dem Eingange zu. Endlich, nach einer vollen Stunde des Harrens, erblickte er, was er so ängstlich erwartete. Gräfin Caroline von Wiprechtstein erschien im Hofkleide von gelbem großblumigem Damast, das ihm vollständig sonnig entgegenleuchtete, unter der Portière des Eingangszimmers: auch auf ihren hübschen und nur etwas zu brünetten Zügen lag ein sonniger Ausdruck, der Rohan das Beste weissagte.

Während sie durch die Mitte des ersten Salons rauschend daher schritt, nahte sich ihr der Prinz.

»Ich habe meine Aufgabe gelöst, wenn es mir auch nicht leicht geworden ist,« flüsterte sie ihm zu. »Thun Sie jetzt das Ihre.«

»Sie sind anbetungswürdig!« antwortete er; »nähern wir uns der Majestät.«

Sie begaben sich beide nacheinander in das Spielzimmer der Kaiserin.

Auf der hochgewölbten Stirn der großen Monarchin lag düsterer Ernst. Man hatte sie lange nicht so einsilbig gesehen, wie an diesem Abende. Doch schien sie in ihre Karten vertieft, und blickte nur selten flüchtig über dieselben hinüber auf die Gruppen der leise sich unterhaltenden Anwesenden. Einer dieser Blicke streift endlich die Gräfin Caroline: groß und verwundert haftete er einen Augenblick auf derselben, die an der Thür stehen geblieben war und sich anscheinend sorglos mit einer Bekannten unterhielt.

Dann hoben sich noch mehrmals rasch nacheinander die Augenlider der Kaiserin und kehrten zu derselben Gestalt zurück. Es war als wolle sie sich überzeugen, daß ihre Sinne sie nicht täuschen, daß es wirklich und wahrhaftig die Gräfin von Wiprechtstein sei, welche den Muth habe, heute Abend in den Gemächern der Kaiserin zu erscheinen!

Caroline entgingen diese Blicke nicht. Ihr Herz pochte dabei in krampfhafter Bewegung; eine innere Angst schnürte ihr beinahe die Kehle zu. –

Die Kaiserin hatte endlich ihr Spiel beendigt: mit einer gewissen unmuthigen Raschheit warf sie die Karten fort, und erhob sich.

»Es ist Zeit! kommen Sie!« hörte Caroline in diesem Augenblicke Rohan's Stimme neben sich flüstern: sie wandte sich zu ihm, und nahte an seiner Seite der gefürchteten Gebieterin, die so mild, so gut, und wieder so unerbittlich strenge sein konnte. – Caroline hatte bei diesem kurzen Gange Mühe, sich aufrecht zu halten, so wankten ihre Knie.

»Ah, mon Prince!« sagte Maria Theresia Rohan fixirend, und zwar so, daß es schien, sie bemerkte Caroline, so dicht diese neben ihm war, gar nicht.

»Majestät,« begann der Prinz, während die übrigen Anwesenden sich, der Etiquette gemäß, außerhalb des Gehörkreises zurückzogen – »Die Frau Gräfin von Wiprechtstein und Allerhöchst Dero unterthänigster Diener werden von einer gleichen Absicht zu den Füßen der Kaiserin geführt; die Gräfin will dort im eignen und ich im Namen meines Vetters und Freundes, des Herzogs von Brancas, eine Bitte niederlegen.«

»Reden Sie!« sagte die Kaiserin mit einem Tone, der jetzt sehr entfernt war von der gewöhnlichen Huld, welche sie Rohan zu zeigen pflegte.

»Es handelt sich,« fuhr der Prinz, unbeirrt dadurch, mit großer Ruhe fort, »es handelt sich um eine Verbindung des jungen Grafen Theodor von Brancas und der Nichte der Frau Gräfin von Wiprechtstein, der anmuthigen Baronesse Resi, welche das Glück hat, Taufpathin der erhabensten Monarchin zu sein. Die jungen Leute haben sich in einer plötzlichen Neigung gefunden, nachdem am heutigen Abend eine Zusammenkunft zwischen ihnen im Parke vermittelt worden war. Und nicht allein die Frau Gräfin billigt die Wahl ihrer Nichte und Schutzbefohlenen: die künftige Königin der künftigen Gräfin und einst Herzogin von Brancas hat die hohe Gnade gehabt, die Frau Gräfin von Wiprechtstein auf deren dringende Bitten zu der Entrevue im Park zu begleiten und sich huldreichst die beiden jungen Leute, die bestimmt sind, ihre Vasallen zu werden, vorstellen zu lassen. So fehlt denn nur noch die allergnädigste Einwilligung der Majestät, welche wir eben zu erflehen kommen – ich, wie gesagt, im speciellen Auftrage des Herzogs …«

Wäre Maria Theresia nicht in hohem Grade von den Worten des Prinzen überrascht und in Anspruch genommen worden, so hätte sie Verdacht wider die Wahrheit derselben schöpfen müssen, und zwar aus dem Gepräge unverhohlenen Staunens, womit die Gräfin Caroline auf den unverschämten Lügner an ihrer Seite blickte. Aber die Kaiserin, die immer, wenn es sich um Heirathsangelegenheiten handelte, ganz Frau und ganz Theilnahme war, fiel lebhaft ein:

»Das überrascht mich in der That! Wie, die Resi, das blutjunge Kind, will den frommen jungen Brancas heirathen … und was sagen Sie da von der zukünftigen Königin von Frankreich …?«

»Die Erzherzogin Maria Antoinette –«

»Aber, Rohan, haben Sie denn Alles vergessen, was ich Ihnen noch heute gesagt habe?«

»Wie würde nicht jedes Wort, welches eine so erhabene Monarchin an ihren unterthänigsten Diener und Bewunderer zu richten die Huld hat, ihm unvergeßlich in's Herz geschrieben sein? Doch werden Ew. Majestät mir nicht die Vermessenheit zuschreiben, daß ich nicht jedes in Allerhöchst Dero Gegenwart gesprochene Wort vorher sorglichst wäge und prüfe, bevor es über meine Lippen kommt … so sprach ich von der künftigen Königin von Frankreich, weil Frankreich so glücklich ist, eine künftige Königin zu besitzen!«

»Wie, meine Todter wollte …?«

Der Prinz legte betheuernd die Hand auf die Brust und fuhr fort:

»Wenn die Erzherzogin in diesem Augenblicke einen Entschluß gefaßt hat, welcher den Wünschen ihrer erhabenen Mutter und meines Königs so willkommen ist, so hat vielleicht den größten Antheil daran die Frau Gräfin von Wiprechtstein, die, als eben aus Paris heimgekehrt, ja am besten im Stande war, der Erzherzogin, deren hohe Huld sie genießt, Wahres über den Hof des Allerchristlichsten Königs und den Dauphin zu berichten. Jedenfalls ist der Entschluß gefaßt und die Frau Gräfin wird bestätigen …«

Die Kaiserin richtete jetzt zum ersten Male einen gnädigen Blick auf die Gräfin Caroline; sie unterbrach Rohan, indem sie sagte:

»Nun, es soll mir lieb sein, wenn ich es von der Erzherzogin selbst höre. Ich danke, Gräfin Lini! man hat mich ganz andere Dinge von Ihnen vermuthen lassen! Und was die Resi angeht – also das ist's gewesen, was die Antoinette sich hat einfallen lassen, ohne mein Wissen unter ihre Protektion zu nehmen! Darum war sie heute echappirt! Nun, Gott sei Dank, daß ich die Wahrheit über die Sache hör', bevor ich meiner Tochter den Kopf gewaschen hab', was ich mir halt für morgen stark vorgenommen! Ja, ja, so erklärt sich Alles. Die einfältige Virneburg! Was für eine saubre Geschichte hat sie mir von meinem armen Kinde daraus gemacht! Nun, Gräfin Lini, sagen's der jungen Braut das Schönste von mir und bringen's mir das Kind bald mitsammt ihrem Bräutigam!«

Gräfin Caroline verbeugte sich, aufs tiefste – sie hätte eigentlich mehr Lust gehabt, sich hoch aufzurichten, so glücklich fühlte sie sich über die glorreich bestandene Gefahr.

»Und Sie, Prinz Rohan,« fuhr Maria Theresia fort, »Sie hoffe ich morgen zu sehen, wir sprechen dann weiter über die Sache.«

Damit entließ sie Beide, mit einer huldvollen Handbewegung, und mit einem Gesichte, dessen düstre Falten sich wunderbar geglättet hatten, verabschiedete die Kaiserin bald darauf die ganze Gesellschaft und zog sich in ihre Gemächer zurück.

»Nun? habe ich Wort gehalten?« sagte Rohan triumphirend zu der Gräfin, als er ihr den Arm bot, um sie zu ihrem Wagen zu führen.

»Wie ich das meine,« antwortete flüsternd Caroline von Wiprechtstein, »nur mit dem Unterschiede, daß ich nur zu Stande gebracht, was ich, versprochen – Sie aber …«

»Es ward Ihnen nicht leicht, sagen Sie?« unterbrach der Prinz ihre Rede.

»O nein, die Erzherzogin widerstrebte sehr. Nur das eigene Verlangen, nachdem sie ihrer Mutter heute Kummer bereitet, sich ihr als gute Tochter zu zeigen, ließ sie endlich einwilligen, dem Dauphin eine andere Antwort zu ertheilen. Aber ich mußte ihr erst vielfach versichern und betheuern, daß man von dem jungen Herrn eigentlich nur Gutes sagen könne – und das ist ja auch im Grunde die Wahrheit!«

»Nur die Wahrheit!« wiederholte ironisch lächelnd Rohan.

»Wenigstens wahrer,« fuhr Gräfin Caroline, noch mehr ihre Stimme dämpfend, fort, »als das was Monseigneur der Kaiserin zu sagen beliebte. Die arme Resi! Ich bin empört gegen sie; aber dennoch dauert sie mich!«

»Sie dauert Sie?«

»Verdient sie das nicht?«

»Keinesweges. Sie wird heute noch an Ihrem Busen Freudenthränen weinen,« fiel Rohan ein. »Theodor von Brancas und Baronesse Resi haben ihre jugendlichen Herzen getauscht und glühen für einander!«

»In der That? Das wäre ja ein wahres Glück; denn wissen Sie, wie Sie und ich mir so eben noch vorkamen?«

»Nun?« fragte der Prinz.

»Wie ein Paar Seelenverkäufer!«

Rohan lachte.

»Sie sehen, Sie haben völlig unrecht,« versetzte er. – »Mir,« und dabei half er der Gräfin in ihren Wagen, der eben vorfuhr, »mir kommen wir beide jetzt nur als gute Freunde vor!«

Die Gräfin antwortete nicht, aber der Prinz von Rohan fühlte den Druck seiner Hand erwidert, die er der Gräfin zum Abschiede gereicht hatte.

Wie sehr Theodor und Resi von der Kunde ihres Glücks, welche ihnen noch am selben Abend, dem einen von Rohan, der anderen von der Gräfin gebracht ward, überrascht und entzückt wurden, brauchen wir nicht zu schildern. Wir setzen nur hinzu, daß sie von nun an noch sehr viele schöne Kloster-Erinnerungen gegen einander austauschten, daß aber kein Augenblick in ihrem Leben eingetreten ist, wo sie sich ernstlich in ein Kloster gesehnt hätten. Wollte Gott, es könnte von unserm andern Paare, es könnte von der künftigen Königin von Frankreich dasselbe berichtet werden! –



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