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Erstes Kapitel.

In der guten alten Zeit hatte Britannien seinen Tyburn. Dorthin wurden in feierlicher Prozession die der Gerechtigkeit verfallenen armen Teufel geführt, und zwar die jetzt unter dem Namen der Oxford-Road bekannte Straße entlang. In Edinburgh war es der »Graßmarket«, eine breite, offene Straße, oder vielmehr eine Art länglichen, von vielen Häusern gebildeten Platzes, der zu dem gleichen traurigen Zwecke diente. Er war recht gut gewählt, denn er war groß und konnte viel Zuschauer fassen, an denen es bei einem solchen Schauspiele ja niemals fehlt; auch waren schon damals die wenigsten der an dem Platze befindlichen Häuser von besseren Leuten bewohnt, so daß kaum jemand da war, der durch solch widriges Schauspiel in seinen Empfindungen gekränkt oder in seiner Ruhe gestört wurde. Diese Graßmarket-Häuser sind zwar im großen und ganzen nicht besonders stattlich; immerhin macht der Platz selbst keinen üblen Eindruck, weil an seiner Südseite der gewaltige Felsblock überhängt, auf dem sich das Schloß oder die Burg mit ihren bemoosten Zinnen und turmgekrönten Wällen erhebt.

Noch bis zum Anfange des verwichenen Jahrhunderts war es Brauch, auf diesem Platze die Verbrecher vom Leben zum Tode zu bringen. Zum Zeichen, daß wieder solch verhängnisvoller Tag sich nahte, wurde am östlichen Ende des Platzes ein großer, schwarzer Galgen aufgeschlagen. Rings um diesen grausigen Apparat herum lief das Schafott, zu dem eine Doppelleiter emporführte, bestimmt für Delinquenten und Henker. Errichtet wurde der Galgen immer vor Tagesanbruch, und so konnte man recht wohl meinen, er sei im Laufe der Nacht aus der Erde herausgewachsen, als Werk irgend eines bösen Geistes. Kann ich mich doch aus meiner Kinderzeit noch recht gut des Grausens erinnern, mit welchem wir Jungen den schrecklichen Vorbereitungen zu solch schrecklichem Tode zuschauten. In der auf die Hinrichtung folgenden Nacht verschwand der Galgen ebenso spurlos wieder in einem düsteren Gewölbe im Erdgeschoß des Parlamentsgebäudes.

Am 7. September des Jahres 1736 tauchte auf eben beschriebenem Platze das unheimliche Gerüst wieder auf, und von aller Frühe an drängten sich Menschengruppen an seinem Fuße, begierig auf das Schauspiel, das ihnen winkte. In der Regel vergißt das Volk in seiner Gutmütigkeit die Missetaten, die den Delinquenten zu solcher Richtstatt führen, und gedenkt nur noch seines Jammers und Elends. An jenem Tage aber sah man nur finstere, rachsüchtige Mienen; denn der Delinquent, der heute die steile Leiter hinaufsteigen sollte, um gehenkt zu werden, war eines Verbrechens überführt worden, das jegliche Milde und Schonung ausschloß. Die Geschichte ist zwar recht bekannt, immerhin wird es gut sein, ihre Hauptmomente hier zu rekapitulieren, selbst auf die Gefahr hin, daß sie ein bißchen viel Zeit in Anspruch nehmen wird; aber ich darf wohl annehmen, daß sie selbst für diejenigen die ihren Ausgang kennen, nicht ohne Interesse sein wird. Jedenfalls läßt sich einige Ausführlichkeit in diesem Falle nicht umgehen, wenn die Ereignisse der hier folgenden Erzählung verständlich sein sollen.

Schleichhandel wird, obgleich er Recht und Gesetz untergräbt, indem er die Einkünfte der Regierung schmälert, den rechtschaffenen Kaufmann in seinem Rechte verkürzt und auch die Gemüter derjenigen verdirbt, die ihn treiben, doch nicht für sonderlich strafbar angesehen, weder von den vornehmen Leuten noch vom eigentlichen Volke. Dort, wo er im Schwunge ist, sind nicht bloß gemeinhin die klügsten und kühnsten Leute damit beschäftigt, sondern sogar nicht selten unter dem versteckten Schutze von Pächtern und niederem Adel. In Schottland zumal war unter der Regierung der ersten beiden George der Schleichhandel allgemeine Regel, denn der Schotte war nicht gewohnt, Zölle zu entrichten, und erblickte in ihnen einen Eingriff in seine alten Freiheiten und Rechte, trug also keinerlei Bedenken, alles, was Zoll hieß, zu umgehen, wenn und wo er es irgend konnte.

Eine berüchtigte Schleichhandelsstätte war lange Zeit hindurch die Grafschaft Fife, die im Norden und im Süden von Meerbusen umschlossen ist, im Osten aber an offenes Meer grenzt und eine von zahllosen Häfen zerrissene Küste hat. Dort wohnte viel Seevolk, das in der Jugend dem Seeräuberhandwerk obgelegen hatte; mithin fehlte es nicht an verwegenen Subjekten, den Schleichhandel zu treiben. Unter ihnen war einer, der es besonders verstand, den Zöllnern eine Nase zu drehen: das war Andrew Wilson, ein kräftiger, listiger, mutiger Bursche, von Haus aus Bäcker und in dem Dorfe Pathhead gebürtig, der mit der Küste aufs engste bekannt und so recht der Mensch danach war, das keckste Unternehmen zu wagen. Schon oft hatte er den Zöllnern wertvolle Kontrebande aus den Zähnen gerückt, aber man hatte ihn so scharf aufs Korn genommen, daß er wiederholt abgefaßt und prozessiert wurde. So kam er um all seine Habe und an den Bettelstab. Darob geriet er in Verzweiflung, meinte, es sei ihm schreiendes Unrecht getan worden, er sei vom Staate bestohlen und ausgeplündert worden, und setzte sich in den Kopf, er sei in seinem Rechte, wenn er das Wiedervergeltungsrecht übte, so oft sich ihm irgend eine Gelegenheit dazu böte. Wenn einem Herzen nach Bösem gelüstet, braucht es in der Regel nicht lange zu warten, daß sich eine Gelegenheit dazu bietet. Andrew Wilson kam es eines Tages zu Ohren, der Zöllner von Kirkaldy sei mit einer großen Geldsumme nach Pittenween gekommen. Da dieselbe nun bei weitem nicht deckte, was ihm an Geld und Gut vom Staate genommen worden war, hielt er sich für vollauf berechtigt, sie an sich zu bringen, tat sich mit drei anderen jungen Burschen zusammen, die ebenfalls Schleichhandel trieben und deshalb leicht zu überreden waren, ihm Helfershelferdienste zu leisten. Sie brachen bei hellem Tage in die Wohnung des Zöllners ein; einer von ihnen, ein gewisser Robertson, stand draußen Schmiere und sagte jedem, der sich einfallen ließ, sich nach dem Lärm im Zöllnerhause zu erkundigen, der Zöllner sei mit ein paar Leuten in Streit geraten. Da die Bewohner von Pittenween dem Zöllner ohnedem nicht grün waren, denn er gehörte zu den rücksichtslosesten Steuereintreibern, die es je gegeben haben mag, kümmerten sie sich nicht weiter um die Sache, sondern gingen ihrer Wege. Zuletzt konnte es aber nicht ausbleiben, daß die Zollwache herbeirückte und den Räubern nachsetzte. Es gelang ihr nach einiger Zeit auch, sie zu fassen; Wilson und Robertson wurden zum Tode verurteilt, und zwar auf Grund der Aussagen des dritten Mitschuldigen, der als Kronzeuge wider sie auftrat, um sich der Strafe zu entziehen. Die Meinung, die Strafe für dieses Verbrechen sei mit dem Tode der beiden Schleichhändler zu schwer gesühnt, fand im Lande viel Anhänger, anderseits war freilich die Frechheit, mit der der Einbruch und Raub verübt worden, zu kraß, als daß sich ein strenges Exempel hätte umgehen lassen. Als kein Zweifel mehr bestand, daß die beiden Todesurteile vollstreckt werden würden, gelang es ein paar guten Freunden, den Delinquenten Feilen und Brechstangen zuzuschanzen. Aber ihr Versuch, durch das Fenster ihrer Zelle zu entkommen, schlug fehl; Andrew Wilson, der darauf bestanden hatte, zuerst hindurchzukriechen, blieb im Fenster stecken und konnte weder vorwärts noch rückwärts, sondern mußte es über sich ergehen lassen, daß ihn die Frone am andern Morgen unter Spott und Hohn aus dem Loche wieder herauszogen. Andrew Wilson machte sich nun Vorwürfe, daß er auf diese Weise die Flucht vereitelt hätte, die, wenn er seinen dünneren Kameraden hätte zuerst durch das Fenster kriechen lassen, wenigstens doch diesem gelungen wäre, und richtete nun sein ganzes Sinnen darauf, ihn aus der Patsche zu retten, ohne alle Rücksicht auf sich selbst. Dergleichen energische Geister, wie Andrew Wilson, bewahren sich, auch wenn sie auf Abwegen wandeln, doch oft die Fähigkeit zu großmütigem Denken und Handeln; jedenfalls war der Entschluß, den er faßte, und die Art und Weise, wie er ihn ausführte, auffallend und ungewöhnlich.

Unfern dem Edinburger Stockhause stand eine von den drei Kirchen, in welche sich die Kathedrale von Saint-Giles jetzt scheidet. Sie führte nach dem Spottnamen, den das Stockhaus führte, den Namen »Talbooth«-Kirche. Dorthin wurden, nach altem Brauche, am Sonntage vor ihrer Hinrichtung unter ausreichender Bedeckung die Delinquenten geführt, um ihrem letzten öffentlichen Gottesdienste beizuwohnen. Seit dem Vorfalle, über den wir nun berichten, ist dieser Brauch abgeschafft worden. Der Pfarrer hatte gerade seine Predigt geendigt, die zum nicht geringen Teile auf die beiden Delinquenten gemünzt war, die, jeder zwischen zwei Soldaten der Stadtwache, in dem sogenannten Armensünderstuhle saßen; seine ergreifenden Worte hatten das versammelte Publikum zu Tränen gerührt, und aller Herzen machten sich in einem mitleidigen Geflüster Luft, als plötzlich Andrew Wilson, der ein außerordentlich kräftiger Mann war, zwei von den Stadtsoldaten, die ihre Bedeckung bildeten, bei den Händen packte, dem dritten die Zähne in den Arm schlug und seinem Kameraden durch Zeichen verständlich machte, er solle auf und davon laufen. Im ersten Moment war dieser so perplex, daß er kein Glied rühren konnte; als aber auch aus den Reihen des Publikums der Ruf, er solle sich retten, ertönte, stieß er plötzlich den vierten Stadtsoldaten mit einem Ruck von sich, schwang sich über die nächsten Kirchenstühle und gewann, da ihn keiner vom Publikum aufhielt, das Portal und die Freiheit. Es gelang auch tatsächlich nicht, sich seiner wieder zu bemächtigen.

Wilsons kühner Handstreich steigerte das Mitleid, das man mit seinem Schicksale fühlte, außerordentlich. Darüber, daß wenigstens der eine der beiden Delinquenten dem Galgen entronnen war, herrschte helle Freude, und es entstand das Gerücht, von der Bewohnerschaft der Stadt sei der Plan gefaßt, nun auch Wilson zu befreien. Die Obrigkeit erachtete es zur Wahrung ihres Ansehens für ihre Pflicht, die Stadtmiliz unter dem Kommando ihres Hauptmannes den Richtplatz besetzen zu lassen, um jeder Störung der Hinrichtung beizeiten vorzubeugen. Dieser Hauptmann hieß Porteous, und sein Name ist durch den weiteren Verlauf dieser Handlung so volkstümlich geworden, daß es sicher am Platze ist, ihm an dieser Stelle ein paar eingehende Worte zu widmen.


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