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12

»Zwei von den Telefonanrufen, denen man auf die Spur gekommen ist, können wir vielleicht verwerten«, teilte Conway Fisk Tam mit, als er aus dem Bibliothekszimmer nach einem Telefongespräch zurückkehrte. »Gestern gegen Mittag ist eine Frau Hunneker von hier aus angerufen worden.«

Tam hatte die kurze Zeit, während der Fisk auf den Bericht über die Telefongespräche wartete, damit verbracht, ihm einige Details über den Fall Kirby mitzuteilen.

»Das bedeutet also, daß nach Ihrem Besuch Paula Kent ihre Freundin anrief, um ihr mitzuteilen, daß der Name des mysteriösen Girls kein Geheimnis mehr sei. Der andere verdächtige Anruf, der gestern abend hier ankam, kam von einer öffentlichen Telefonzelle.«

»In welcher Gegend?«

»Irgendwo in Westend.«

»Und die Zeit?«

»Zehn Uhr fünfzehn.«

»Herr Kent glaubt, daß er das Telefon im Zimmer seiner Frau zwischen zehn und halb elf gehört hat, aber er ist nicht sicher. Wenn ich recht haben sollte, so wäre das der Telefonanruf, bei dem um eine Unterredung unter vier Augen gebeten wurde. Die öffentliche Fernsprechzelle muß nach meiner Ansicht in der Nähe des Theaters sein, aber die Aufführung war um zehn Uhr fünfzehn noch nicht vorüber.«

»Wird sich nicht der Portier daran erinnern, ob jemand zu dieser Zeit das Theater verlassen hat?«

»Wir wollen es hoffen; aber höchstwahrscheinlich wird er sich nicht erinnern können«, fügte sie hinzu, denn sie hatte kein allzu großes Vertrauen zu der Verläßlichkeit des menschlichen Gedächtnisses.

»Was halten Sie davon, wenn ich meine Untersuchungen mit McCoy gemeinsam durchführe?« fragte Fisk dann.

»Nicht offiziell«, riet Tam, »denn wenn der Mörder die heutigen Zeitungsberichte liest, wird er nach allem annehmen können, daß ihm seine List gelungen sei, das heißt, daß die Polizei nur einen Raubmord vermutet. Deshalb wird er weniger auf der Hut sein. Also wäre es besser, wenn Sie vorläufig nicht offiziell mit Coy zusammen arbeiten. Lassen Sie mich die Verbindung herstellen.«

»Wir werden die Presse sich ruhig über die Einbrecher austoben lassen, die gewaltsam in die Häuser friedfertiger Bürger eindringen und auch vor einem Mord nicht zurückschrecken, wenn man sie bei ihrer Tat überrascht«, stimmte Fisk grinsend zu.

»Am besten wäre es, wenn man eingehende Beschreibungen der geraubten Juwelen veröffentlichte. Das würde den Eindruck erwecken, als ob sie die Hauptsache für uns wären. Was hat denn der Mörder mitgenommen?«

Fisk griff in seine Tasche und holte eine Aufstellung der vermißten Gegenstände hervor, die ihm Kent gegeben hatte.

»Alles zusammen nur vier Gegenstände, aber von großem Wert«, sagte er. »Zwei Ringe, einer mit einem ungeheuren, viereckig geschnittenen Smaragd, der andere ein Ding mit Diamanten, und zwar mit drei großen und achtzehn mittleren Steinen, beides in Platin. Ein Armband aus Diamanten und Smaragden – Herr Kent sagte, daß seine Gemahlin nur ›passende‹ Juwelen angelegt habe, das heißt, niemals mehr als zwei verschiedene Arten von Steinen zugleich. Das vierte und letzte war bei weitem das wertvollste: eine lange Kette von Smaragden verschiedener Größen. Alles in allem werden sie so dreißig- bis vierzigtausend Dollar wert sein.«

»Na ja, daran ist nichts besonders Aufregendes«, das war die einzige Bemerkung, die Tam machte, bevor sie das Thema wechselte. »Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich Edith Hunneker besuchen, wenn ich hier weggehe. Ich kenne sie bereits, vielleicht wird sie lieber mir als einem Fremden das erzählen, was Paula Kent ihr am Fernsprecher gesagt hat.«

»Ausgezeichnet!« meinte Fisk zustimmend. »Aus allem, was Sie sagen, entnehme ich, daß McCoy seinen Hauptverdacht auf Terry Nagle richtet und eventuell auf Mona Dare als Helfershelferin. Sind Sie auch dieser Ansicht?«

Zuerst hatte Tam nicht die Absicht, ihre Meinung kundzutun, dann aber antwortete sie freimütig: »Nein! Freilich zeigt die Pistole nur Paula Kents Fingerabdrücke und keine anderen, und sie ist Terrys Eigentum, was ihn belasten muß; ich glaube aber doch, daß er nur indirekt damit zu tun hat.«

»Soweit ich gelesen oder gehört habe, scheinen aber doch er und Mona Dare die einzigen zu sein, die ein starkes Interesse daran hatten, Kirbys Tod zu wünschen?«

»Stimmt! Und doch glaube ich nicht, daß sie schuldig sind, freilich sind meine Bedenken gegen diese Theorie im wesentlichen psychologischer Natur. Diese beiden würden nie einen Mord begehen. Und wenn wir uns besonders mit Terry befassen, so belastet ihn eigentlich nur die Aussage Jules Darcys, Kirby habe sich vor dem Schuß so stark nach links gedreht, daß er von Terry leicht getroffen werden konnte.«

»Und hätte sonst noch jemand ein Motiv?«

»Nicht daß ich wüßte. Wenigstens haben wir bis jetzt nichts entdecken können. Aber wir dürfen Kirbys zahllose Frauenaffären nicht vergessen. Rachsucht und Eifersucht sind starke Motive.«

»Und kann es nur jemand aus dem Piratenchor sein, der für den Mord in Frage kommt? Kann nicht jemand den Portier oder einen Bühnenarbeiter bestochen haben, auf die Bühne zu gelangen?«

»Auch daran haben wir bereits gedacht, aber es erscheint rein technisch ganz unmöglich, daß jemand, der nicht beim Finale des zweiten Aktes auf der Bühne zu sein hatte, auf ihn geschossen haben soll. Im Hintergrund der Bühne gibt es eine feste Kulisse. Hätte jemand von hier den Schuß abgegeben, müßte man zwei Löcher sehen, eines für das Auge, ein zweites für den Lauf der Waffe. Keines ist da. Andererseits ist der Platz des Opfers so weit in der Mitte der Orchesterfauteuils, daß eine Kugel von der Seitenkulisse ihn unmöglich unter dem Winkel hätte treffen können, den man bei der Obduktion festgestellt hat. Wir müssen also wohl unseren Verdacht auf die Chorgirls beschränken.«

»Und welches unter ihnen hatte ein vernünftiges Motiv gegen Kirby?«

»Ein klares Motiv? Keines. Wir sind, fürchte ich, wieder einmal so weit, daß wir noch intensivere Nachforschungen brauchen. Wir müssen hoffen, daß Paula Kent gestern am Telefon ihrer Freundin manches gesagt hat, was sie uns verschwieg.«

»Und wenn nicht?«

»Auf jeden Fall habe ich das Gefühl, es würde sich lohnen, sich mit Vivian Fayne gut zu stellen. Wenn man ihr stürmisches Temperament berücksichtigt, ist ihre große Ruhe seit Kirbys Tod auffallend.« Sie schwieg und überlegte.

Fisk beobachtete sie, und ein Schatten spöttischer Belustigung lag auf seinen Lippen. Er konnte sich niemals an den sonderbaren Gegensatz zwischen Tams jugendlichem, bezaubernd anziehendem Äußeren und der doch ganz unweiblichen, harten Detektivarbeit gewöhnen.

»Ist eine Schere hier im Zimmer?«

Die Frage kam so plötzlich, daß er sie einen Augenblick verdutzt ansah. Er faßte sich schnell: »Gewiß.«

»Wo? Und was für eine?« Sie schritt bereits dem Schreibtisch zu.

»Eine sehr zierliche mit einem Messinggriff, die in ein geschnitztes Futteral paßt.« Er öffnete dieselbe Schublade, aus der er vorher das seidene Halstuch genommen hatte, und zeigte ihr die Schere. »Woher kommt das plötzliche Interesse an Schmiedewaren?«

»Es kann uns dabei helfen, festzustellen, ob der Mörder eine impulsive oder eine kalt überlegende Person ist. Da wir doch nur eine begrenzte Anzahl von Leuten haben, mit denen wir zu tun haben, so werden die meisten von ihnen, ganz allgemein gesprochen, natürlich in die eine oder andere Klasse fallen. Worauf ich hinaus will, ist das: wenn er oder sie zu den Impulsiven gehört, so wird er die Maske höchstwahrscheinlich gemacht haben, als Paula bereits tot war; wenn er aber zu den Überlegenden gehört, hat er sie bereits fertig mitgebracht.«

»In anderen Worten, mit Vorbedacht?«

»Mehr oder weniger«, nickte Tam kurz. »In den meisten Fällen müssen wir den Verbrecher dem Verbrechen anpassen, aber dieser Prozeß hier ist gerade umgekehrt: wir müssen das Verbrechen einer begrenzten Anzahl von vermutlichen Verbrechern anpassen, deren Temperament zu studieren wir Gelegenheit haben. Wo haben Sie ursprünglich die Schere gefunden? Und warum hat man sie weggelegt?«

»Weil sie einer von den wenigen Gegenständen war, die hier im Zimmer unordentlich umherlagen. Ich fand sie ohne das Futteral auf dem Boden hinter dem Schreibtisch.«

»Und das Futteral?«

»Dort auf der Schreibtischplatte, und dort soll es immer gelegen haben, wie mir das Hausmädchen sagte.«

»Glauben Sie nicht auch, daß wir annehmen können, daß mit ihr die Augenöffnungen ausgeschnitten worden sind? In diesem Fall wäre dann die Maske nicht schon im voraus zurechtgeschnitten worden, sondern erst hier, nachdem es sich durch Paulas Tod als notwendig herausgestellt hatte, uns einige irreführende ›Beweisstücke‹ zu hinterlassen.«

»Und wie stimmt diese Theorie mit dem überein, was Sie von den Personen wissen, die McCoy verdächtigt?«

»Ich fürchte, nur zu gut! Aber schließlich trifft es auch andere Darsteller aus dem ›Piratengold‹. Im großen ganzen traue ich Schauspielern kühle Überlegungen nicht zu, aber Ausnahmen gibt es immer.« Sie drückte ihre Zigarette aus, ging zur Tür und guckte dabei nicht einmal – welch ein Wunder bei einer Frau! – in den Spiegel, um zu sehen, ob der Hut auch richtig sitze. »Ich will jetzt weg, ich muß versuchen, Edith Hunneker zu überreden, uns preiszugeben, was Paula ihr anvertraut hat. Besuchen Sie mich doch bitte heute abend in meiner Wohnung. Ich will es so einrichten, daß auch McCoy da ist, und eine ganz inoffizielle Aussprache zu dritt kann absolut nicht schaden, nicht?«

»Und um welche Zeit soll ich kommen?«

»Wann Sie wollen! Ich habe noch keine Ahnung von McCoys Dispositionen, deshalb kann ich keine bestimmte Stunde ansetzen.«

Dabei ließen sie es bewenden, und Tam fuhr zum Haus von Hunnekers, wo sie sofort vorgelassen wurde. Sie fand Edith in Tränen aufgelöst.

»Arme Paula! Ist das nicht schrecklich?« jammerte sie, und ihr Ton bewies, daß ihr Schmerz echt war. »Wissen Sie auch, daß sie erst gestern mit mir gesprochen hat?«

»Ja, und wir hoffen sogar, daß sie Ihnen eine Andeutung gemacht hat, die uns auf die Spur des Mörders bringen kann.«

»Wie soll ich das verstehen? Wie kann unser Gespräch irgendwie auf den Einbruch von gestern nacht Bezug haben?«

»Versuchen Sie, bitte, mir wörtlich wiederzugeben, was sie gesagt hat.«

Edith warf Tam einen prüfenden Blick zu, vielleicht, weil sie zu gern gewußt hätte, wieviel Tam in das Geheimnis eingeweiht war. »Paula hat mir verraten, Sie hätten herausbekommen, daß sie sich hinter dem Namen Smith verberge. Natürlich war sie ganz entsetzt, denn es war ihr klar, daß ihr Mann früher oder später alles entdecken mußte.«

»Sie hat aber doch gewußt, daß man die Sache nicht sofort an die Öffentlichkeit bringen wollte.«

»Ja, gewiß, aber ich glaube verstanden zu haben, daß Sie nur einen Aufschub erwirken wollten, und auch das nur dann, wenn sie Ihnen gewisse Informationen gab.«

»Das stimmt auch. Obgleich sie es mir nicht bestimmt zugesagt hat, verblieben wir so, daß sie bei meinem nächsten Besuch ganz offen sprechen sollte, und dieser Besuch sollte heute erfolgen. Frau Hunneker …« Tams Stimme hatte jetzt einen sehr ernsten Unterton, »wenn nun Sie wüßten, was Paula uns verschwiegen hat, sollten Sie es nicht mir erzählen?«

»Ich … kann … nicht. Das wäre ein Vertrauensbruch gegen Paula …«

»Ja, aber ihr Gatte wird die Wahrheit sowieso bald erfahren müssen, wir können die Tatsachen der Presse nicht auf die Dauer vorenthalten. Bitte, vertrauen Sie sich mir an, im Interesse einer gerechten Sühne.«

»Aber das, was ich weiß, wie soll Ihnen das helfen? Es war ja nur eine winzige Einzelheit, ein Nichts, das sich in der Mordnacht ereignet hat.«

»Betrifft es etwa die überzählige Pistole?« half Tam weiter, als die andere stockte.

»Sie wissen ja ohnehin schon so viel! Wie soll der Rest dazu helfen, den Verbrecher dingfest zu machen, der den Einbruch und den Mord beging?«

Tam hatte gehofft, daß sie alles von Frau Hunneker erfahren könne, auch ohne daß sie ihr etwas von ihrem eigenen Wissen mitteilte, aber es wurde ihr jetzt nur zu klar, daß sie aneinander vorbeisprachen. Sie mußte etwas geben, um etwas zu empfangen.

»Wir haben aber guten Grund zu der Annahme, daß das Motiv für die Ermordung der armen Frau Kent nicht einfach auf den Wunsch des Einbrechers zurückging, sich vor Entdeckung zu schützen«, sagte sie unwillig. »Ich will Ihnen ganz im Vertrauen die Lage verständlicher machen und will Ihnen etwas sagen, was im Augenblick höchstens vier Leute wissen und was die Zeitungen keinesfalls erfahren dürfen. Wir schließen aus ganz bestimmten Tatsachen, daß Paula Kent nur deshalb ermordet wurde, weil man ihren Mund verschließen wollte, der der Polizei etwas über die überzählige Pistole verraten konnte.«

»Oh, das ist doch nicht Ihr Ernst?« hauchte Edith, »das würde ja bedeuten …«, sie stockte wieder.

»Bitte, geben Sie mir doch Vertrauen für mein Vertrauen! Sie verraten Ihre Freundin nicht, wenn das, was Sie mir erzählen, uns dazu verhilft, ihrem Mörder auf die Spur zu kommen.«

»Das sehe ich ein.« Die Augen der älteren Frau wurden plötzlich trocken und ließen ihren festen Entschluß erkennen. »Wenn wir auf die Ereignisse dieses Freitags zurückkommen, so sind Sie bestimmt über unsere Theatergesellschaft orientiert und wissen, daß Roger Kent durch reinen Zufall daran teilnahm?«

»Ja.«

»Damals dachte ich noch nicht im Traum daran, daß er Paula wiedererkannt hat. Ich glaubte, sie würde sich unter so vielen verlieren, hauptsächlich, weil er ja gar keinen Anlaß hatte, nach ihr auszuschauen. Aber als ich nach Hause kam und im Hotel anrief, um über Clyde Kirbys Tod zu sprechen, und natürlich annahm, daß sie etwas davon wußte, da erzählte sie mir, daß sie weggerannt sei, bevor der Mord noch entdeckt war, weil sie gesehen hatte, wie aufgeregt Roger sie angestarrt hatte. Ihre Stimme klang ganz verängstigt und als ob sie weinen wollte. Ich gab ihr den guten Rat, am nächsten Tag daheim zu erscheinen, unter dem Vorwand, daß sie gerade aus Norfolk zurückgekehrt sei. Sie führte diesen Plan auch aus und ließ Roger in dem Glauben, daß er sich nur eingebildet habe, eines der ›Piratengold‹-Girls sehe seiner abwesenden Frau so ähnlich.«

»Einen Augenblick«, unterbrach Tam. »Wissen Sie, was sie sonst noch am Freitagabend tat?«

»Ja, Paula kam zu mir, so früh sie nur konnte – Sie wissen wohl auch, daß ihr Gatte unsere Freundschaft nicht gern sah – und erzählte mir, wie sie, von Verzweiflung getrieben, sich durch Bestechung in Kirbys Studierzimmer eingeschlichen und ihre eigenen Briefe und Fotografien gestohlen hatte. Bei demselben Besuch erzählte sie mir auch den Zwischenfall mit der Pistole. Dies beunruhigte sie sehr, denn sie wagte nicht, es der Polizei zu erzählen. Das hätte bestimmt dazu geführt, daß Roger herausgefunden hätte, wie sie ihn hintergangen hat.«

»Jetzt kann es ihr nicht mehr schaden, daß er die Wahrheit weiß. Bitte erzählen Sie mir doch, was sie verheimlichte.«

»Das wird nicht viel nützen«, versuchte Edith auszuweichen. Dann fuhr sie fort: »Freitagabend nahm Paula die Pistole, die ihr ausgehändigt worden war, wie gewöhnlich in ihr Ankleidezimmer, als sie sich für das Piraten-Finale anzog. Sie sagte, die Pistolen wurden stets nach der vorangehenden Nummer ausgeteilt. An diesem Abend muß Paulas eigene Pistole etwas verrutscht sein, denn als sie hinter der Bühne auf ihren Auftritt wartete, drückte die Waffe sie in der Seite, und sie nahm sie aus der Schärpe heraus, um sie etwas bequemer wieder einzustecken. Gerade in diesem Augenblick bat ein anderes Girl sie, ihr ein Achselband festzumachen. Sie ging auf die andere Seite und ließ ihre Pistole auf dem Werkzeugkasten. Als Paula wieder zurückkehren wollte, sah sie, daß jemand ihre Pistole hochnahm, sie mit einer anderen vertauschte und dann ganz heimlich wegschlich. In diesem Augenblick mußten die Chorgirls auftreten, sie ergriff die Waffe, die an Stelle ihrer eigenen hingelegt worden war, und steckte sie in die Falten ihrer Schärpe. Das Auswechseln der Waffen kam Paula zuerst etwas merkwürdig vor, aber sie dachte über die Sache nicht nach und vergaß sie, bis sie erfuhr, daß Clyde Kirby von der Bühne herunter erschossen worden war. Da hatte sie das sichere Gefühl, daß der, der die Schußwaffe ausgetauscht hatte, der Mörder sei, aber sie konnte das niemand erzählen, ohne ihr eigenes Geheimnis preiszugeben.«

»Und sie zog also vor, daß der Verbrecher der gerechten Strafe entkommt, als den Unwillen ihres Gatten auf sich zu nehmen?«

»Ich weiß, es klingt sehr feig«, gab Edith Hunneker zu. »Aber Paula war nicht sehr tapfer, und ihre Heirat war auch ganz ungewöhnlich. Schauen Sie, Roger Kent hatte immer das Gefühl, daß er sich tief herabgelassen hatte, als er seine Stenotypistin heiratete, und erwartete stets von ihr, daß sie ihn wie einen Halbgott behandelte. Wenn er entdeckt hätte, daß seine Tyrannei sie dazu getrieben hatte, in einem derart verrückten Streich Entspannung zu suchen, dann hätte er sich bestimmt scheiden lassen, und sie hat als Mädel in so gräßlicher Armut gelebt, daß die Aussicht, wieder so leben zu müssen, sie ganz unglaublich erschreckte.«

»Ich habe schon neulich gemerkt, daß Reichtum für sie das einzige Wertvolle im Leben war.« Tam sprach mit einem Ton gesunder Verachtung. »Aber Sie haben mir ja noch nicht den Namen der Person angegeben, die sich Frau Paula Kents Pistole ausborgte.«

»Den kann ich Ihnen nicht sagen … sie erzählte mir nur, was geschehen war, und nannte mir keinen Namen.«


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