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Das Leben Hohenheims

A Am Anfange einer tiefgehenden, naturwissenschaftlichen Umwertung steht Paracelsus. – Zehn Jahre nach Luthers Geburt kam er zur Welt, und Nikolaus Koppernik überlebte ihn um zwei Jahre ... Es ist ein wechselvolles und buntschillerndes Leben, dem wir hier nähertreten, ein provokatorisches, aber geniales Sichaussondern. Ruhelose, nervöse Züge machen in gleichem Maße in äußerer Entwickelung wie im intellektuellen Werden sich klardeutig geltend. Und was in der Peripherie andauernd wirksam war, drängte dann bald auch nach dem Zentrum. Die geschichtliche Abwandlung und Evolution seines Lebens, seiner Persönlichkeit und seines Wirkens sind vorsich gegangen injenen kurzen, ruckweisen und doch stets andauernden Stößen, die den inneren wie auch äußeren Menschen zu beleben und aufzuschließen die Kraft harten. Gewiß, eben diese starken Impulse des Schicksals und nicht minder die reichnuancierten Lebensstimmungen und Willensrichtungen einer großen Zeitseele haben ebenso auf Paracelsus, auf dessen fruchtbaren Finder- und Erfindersinn bedingend und neuschöpferisch gewirkt, wie überhaupt auf die damalige lebensvolle Generation einer neuen Naturphilosophie und Naturwissenschaft. Man stand in der philosophischen Renaissance, in der Zeit einer neuen Auffassung des Menschen und der Menschheitsbildung, in der Zeit einer schwellenden Kraft des Lebens. Wir begegnen den Männern, die einer erfahrungsmäßigen auf Allgemeingültigkeit abzielenden Naturerforschung und Lebenserkenntnis, einer methodischen Induktion in der Fragestellung nach physischer Ordnung und Gesetzmäßigkeit, als Doktrin unverbrüchlich Wert und Bedeutung zuzuerkennen begannen, Männern, denen es nun in den Sinn gekommen war, vorerst vom Konkreten, also vom Individuellen, zum Abstrakten zu denken, die in ihrer Methode gewissermaßen analytisch, regressiv oder verallgemeinernd aufwärtssteigen und dann erst die auf diesem Wege gewonnenen reichen Erfahrungselemente synthetisch, progressiv und spezialisierend ordnen. Die Marke der Wissenschaft von der Wirklichkeit war nunmehr nach Inhalt und Umfang eine andere, ihre Erklärung, Einteilung, Beschreibung und Vergleichung, ihre feinere Kausalitätseinschätzung, logische Methode und Phantasiestärke entquollen der Überzeugung des Selbstentbundenseins, dann vorzugsweise einer freien Betrachtung der Natur: ihre Erforschung selbst führe zur Naturwissenschaft, denn wahre Erforschung sei ein Betrachten und ins Auge fassen des »Wie« und »Wodurch« der in der Natur entstehenden Dinge. Sinnesauffassung aber sei immer der Erkenntnis, Gewißheit und Veranschaulichung Anfang! Ein moderner aus neuen Willensakten und Zustandsschätzungen hervorgegangener Denkzusammenhang und der empirische Sinn hatte das bereits kräftige und reizfähige Schauen nach und nach geschärft, ja es sehkräftig gemacht für die freie Natur und die in ihr wirksamen Kräfte, Zweckzusammenhänge und Gleichförmigkeiten einerseits, und für die Tendenz nach Universalierung der menschlichen Erkenntnis andererseits. Der im beginnenden XVI. Jahrhundert in Europa lebendig gewordene universale Theismus mit stark religiösen Accenten half da fördern. Die Bewegung war von den italienischen Humanisten ausgegangen. Erasmus und Reuchlin haben sie übernommen, Luther gab ihr später völlig neue Richtungen. Und indem eben Paracelsus diesen ganzen Schatz neuer und biegsamer Vorstellungsgehalte in seinem selbstbewußten und temperamentvollen Innenmenschen reflektierte, sproßt aus dem Boden dieses seines so starken Individualismus eine sonnenhelle Blüte. Allerdings auch vielfach eine Hervorbringung der Zeit, in der er stand: der universalistische und encyclopädische Sinn, welcher die großen Entwickelungseinheiten bezw. Einheitszusammenhänge aufspürt und der auch Metaphysik – sei es nun die ontologische oder kosmologisch-theologische Frage – Erkenntnistheorie und Ethik auf einen letzten Generalnenner zu bringen bestrebt ist. Beide, die plastischen Formen seines scharf umrissenen Naturells und der auf einem jungen methodischen Naturerkennen beruhende schrankenlose Universalismus sind sozusagen der Quer- und Längsschnitt seines Lebens und seines Werkes. Dann kommt noch hinzu: erstens, die damals neue – wenigstens in Naturwissenschaft und Medizin – kraftvolle Verwendung einfacher dialektischer Mittel, zweitens der feine Sinn für wortschöpferische Bildungen und akustische Farben, der vorzugsweise Hohenheims Polemik durchzittert. Ja, von ihm aus verstehen wir auch die künstlerisch gesehenen Bilder, in die er Natur und Mensch hineinstellt. Eine allerdings oft paradoxe und barocke Sprache sind die Farbe und das malerisch Charakterisierende; gewiß, sie ist auch das Produkt der ganz eigenartigen, reizempfindlichen, ja, instinktiven Naturbeobachtung. Endlich drittens das Allegorische und Symbolische, das hier der letzteren stellenweise anhaftet. Aber nie hat er dabei das Wesentlichste seiner Reform vergessen: » die Schule des Lichtes der Natur«.

Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, eine umfassende Darstellung des Paracelsischen Systems zu geben, doch möchten nur einige reformatorische Momente seines Werkes der Lebensskizze vorangehen. Da ist also vor allem ein Drang zur Tatsache, zum Sehen und zum Menschlichen, der scharfe nomothetische Blick in Naturwissenschaft und Medizin, der ein neues chemisches Zweckprinzip heraussieht und so auch vorzugsweise den Materiebegriff und das Problem von der Konstitution der Körper – im Gegensatz zu seiner Zeit – symbolfreier wertet. Und es war der Fall, trotz der Spuren eines pantheistischen und doch wieder dualistischen Mystizismus, der noch häufigen Antikausalität in der Erklärung von Naturvorgängen, der Heranziehung der mit Bewußtsein aus gestatteten dichotomischen Körperwelt, trotz neuplatonischer und pythagoreischer Bildungen oder der an die einstigen » qualitates occultæ« gemahnenden Arkanen. In seiner Dreiprinzipienlehre hat er sich über die eigentlichen Bausteine und Kräfte der Stofflichkeit, d. h. über die substanzbildenden Qualitäten deutlicher ausgesprochen: fast mehr chemisch als naturphilosophisch sind die drei Grundbestandteile Schwefel [Sulfur], Merkurius [Quecksilber], und Salz [sal] zu verstehen. Ihnen entsprechen die physikalischen Phänomene der Brennbarkeit [Öligkeit], Verflüssigung [Verflüchtbarkeit] und Erstarrung [Festigkeit]. Selbstredend bleiben immerhin Schwefel, Merkurius und Salz symbolische Zustandstypen, wenn auch die chemischen Grundvorstellungen sehr bedeutsam sind. Sie stellen für Paracelsus die Voraussetzung aller Wirklichkeit vor, sind Grenze aller Artensonderung und letzte Bestandteile. Bezogen sich daher auch auf Bewegtes und Körperliches, umfaßten Entstehen und Vergehen, Zunahme und Abnahme, Verwandlung und Ortsveränderung. Als letzte Prinzipien, aus denen etwas besteht und die selbst in Arten sich nicht teilen lassen. Diesem kräftigen Zug einer konkret – sinnlichen Vorstellung wußte dann Paracelsus eine Auffassung unterzuordnen, die aus der immer bleibenden Reflexion über das Verhältnis der drei Grundsubstanzen zu Seele [Stoff], Leib [Gestalt], Geist [Eigenschaft], d. i. Sulfur, Sal und Merkurius des Menschen hervortritt und in seine ganze Naturphilosophie und Theologie einmündete. Dazu kommt die Annahme eines wirkenden Lebensprinzips – oder -geistes im einzelnen Individuum, des Archeus. Also »ein oberer, ein ertichter vnd ein vnsichtbarer geist, Der sich absondert, erhöcht vnd auffsteiget von den Corporibus. Vnd ist furnemlich der kunstler vnd artist der Natur vnd eine verborgene krafft vnd tugendt der Natur«. Er ist ein »sämlicher Geist«, wie man ihn später nannte, ja, ein aktivierendes Moment im Sinne eines innerlichen Bildners und Werkmeisters. In den Helmontschen Schriften begegnet er uns dann etwas modifiziert.

Daß wir die Idee von der Gegenüberstellung des Mikrokosmos und Makrokosmos, also vom Einzelindividuum als eine Welt en miniature, als Spiegel des Universums einerseits und der beseelten und die 8ülle der Kraft Gottes allerorts enthaltenden Weltganzen und Alleinheit andererseits, bereits vor Paracelsus antreffen, und zwar als eine antike Vorstellung, ist bekannt. Man denke nur an Platons Timäus! Das Komplizierte, das in der Gottheit ruht, sehen wir in der harmonischen Welt als explikatio: Nikolaus der Cusaner hat uns das Wesen, in dem sich ganz besonders das Universum abbildet, d. i. den Menschen, den parvus mundus in den Vordergrund gestellt. Sennert, Comenius, Taurellus, Bruno, Weigel, Böhme und Leibniz waren dann Wegbereiter und Fortpflanzer dieses Problems und verstanden es, neuen Gedanken von entscheidender Tragweite Raum zu geben. Und zu diesen gehört auch Paracelsus. Seine Medizin, die Theologie, Astronomie, Philosophie und Alchimie [d. i. hier die Lehre vom Wesen des Makro- und Mikrokosmos] als Grundlagen hat, wird von dieser Weltbeschauung stark beeinflußt. In dem Buche Paragranum hat sich Wesentliches davon niedergeschlagen.

Die Wichtigkeit der Paracelsischen Tartarustheorie haben wir weiter unten zu erörtern. Seine Ansichten über die unsagbar große Bedeutung von Körpereinflüssen als pathogenische Keime versponn er in das geistvolle System von den fünf Entia. Und zwar: ens astrorum, ens veneni, ens naturale, ens spirituale ens deale. Diese geistreichen und insbesondere naturwissenschaftlich sehr feinsinnigen Untersuchungen Hohenheims finden sich im Volumen Paramirum. – Er sagt hier u. a.: ... Auff das merckt / dz fünff Entia sind / die alle kranckheiten machen und geberen. Fünff Entia bedeuten fünff vrsprüng: das verstand also Fünfferley vrsprüng seind / auß welchen ein jedlicher vrsprung / alle kranckheiten zumachen hat / gewaltig dieselbigen zugeberen / so viel kranckheiten je vnd je in der welt gewesen sind / vnd noch sind / vnd werden ... Ens ist ein vrsprung oder ein ding / welchs gewalt hatt den leib zu regiren. Gedencken euch nit / das alle kranckheiten / oder eine / auß dem leib allein selbst kum: Es muß der Leib entzündt sein / oder etwas das ihn vrsachet aufs solches: wann er gibt ihm selber nit vrsach / zu keiner kranckheit. [4° Ausg. 1589-1591, I. S. 7-8.

Ein Reformatorisches in Hohenheims Therapie ist weiter die Einführung metall-chemischer Methoden und die Betonung einer physiologischen und pathologischen Chemie. Wir erinnern nur an die Anwendung des neutralen Bleiacetat [Bleizucker, Pb (C 2 H 3O 2) 2], Kupfervitriols [Kupfersulfat, CuSO 4 + 5 H 2O], der Antimonverbindungen, weiter an den großen Schatz von Merkurialarzneien als metallisches Quecksilber, (Quecksilberchlorid [Sublimat, HgCl 2], (Quecksilberchlorür [Kalomel, HgCl], Merkurisulfat [bezw. das basische Salz SO 4Hg. 2HgO, das sogenannte Turpetum minerale]. Auch die Fällung von Sublimatlösung durch Ammoniak und das sich da bildende Merkurammoniumchlorid [Hydrargyrum praecipitatum album, HgClNH 2] waren bekannt. Dabei aber – und das ist sehr typisch – hielt er das wissenschaftliche, seinem gelehrten Naturerforschen entsprungene chemisch-therapeutische Verfahren einerseits und sein freies »Experimentieren« in der Heilkunde andererseits, streng auseinander, »dan in dē Experimenten werdē weder Theorickē noch ander Argumenten angesehen / sonder drucken hinauß an jhn selbs wöllen gehalten sein. Darumb wir ermahnen ēinen jegklichen / der sie lißt / wider die art der Experimenten nicht zu faren / sonder wie jhr eigen Potentia an jhr selbs vermag / ohn außgeecket demselbigen nachzufolgen. Dann ein jegklich Experiment ist gleich einem Waffen / das nach art seiner Krafft muß gebraucht werden: Als ein Spieß zum Stich / ein Kolben zum Schlahen / also auch die Experimenten. Vnnd wie ein Kolb zum Stich nichts soll / oder ein Spieß zum Hawen / also wenig wöllen die Experimenten auß jhrer Art vnnd Wesen verendert werden. Darumb das höchst ist / ein jegklich Experiment in solchen Kräfften selbs zu erkennen / in was gestalt es gebraucht soll werden. Experimenten brauchen /will ein Erfarnen Mann haben /der der Stich vnnd Streich gewiß seye / das ist / das ers brauchen vnnd gewältigen möge / darzu dann sein Art ist. Dann ein jeglich Experiment / das da befohlen wird eim vnerfarnen / vngeübten Artzt / ist gleich ein Artzneyen / als ein vngelernten im Sturtz oder im Parat. So nuhn die Experimenten an jhnen selbs nichts bedörffen / weder zu korrigieren / noch zu Separieren / sonder allein jhr Erfahrenheit vnnd Wolgeübte / geschicht auß vrsach / das die kranckheit an jhr selbs dem Artzt soll ingebildet sein / damit er wisse mit was Experiment er dieselbig schlahen soll. Gleich einem Bildschnitzer / der mancherley Zeug muß haben / biß er sein Kunst außbereit. Also hie auch / Wie derselbig voller Künst ist / und weißt was er vom Holtz hinweg thun muß oder sol / vnd wo mit / also auch womit der Artzt handlen sol / geübt sol sein ...« Chirurgische Bücher vnd Schrifften, deß Edelen, Hochgelehrten vnnd Bewehrten Philosophi vnd Medici, Philippi Theophrasti Bombast, von Hohenheim, Paracelsi genandt: ... Durch, Iohannem Hvservm Brisgoivm, Churfürstlichen Cölnischen Raht und Medicum. Straßburg, In verlegung Lazari Zetzners, S. Erben. Anno M. DC. XIIX. [Fol. ° 6 Bll. + 795 SS. pag. + 39 unpag. SS. Register + 1 Bl. leer. Besitzt Titelholzschnittrahmen wie die Straßburger Gesamtausgabe Paracelsischer Schriften vom Jahre 1603 [Folioedition] – Obige Stelle: S. 300-301, »Das Zehendt Buch von Blatern / etc. ... Traktiert von den Experimenten / außerhalb der gesetzten Regel / Doctoris Theophrasti.«

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II. Rezeptzettel von Paracelsus geschrieben. [Aus einer Wiener Handschrift: Ms. 11144.]Taf. II. Rezeptzettel von Paracelsus geschrieben

Dazu kommt auch seine weite Erfahrung in noch anderen chemischen Fragen. Schon das berühmte Wort – wir setzen es auch hierher – über den Zweck der Alchemie legt uns keineswegs ein mehrdeutiges Programm vor: »Viel haben sich der Alchimey geeußert, sagen es mach Silber und Gold: so ist doch solches hie nicht das fürnemmen, sondern allein die bereitung zu tractiren, was tugent und krefft in der Artzney sey« [Fragm. med.]. Oder die Paragranumstelle im III. Tractat: »Nicht als die sagen, Alchimia mache Gold, mache Silber: Hie ist das fürnemmen, mach Arcana, und richte dieselbigen gegen den Kranckheiten«. Das ist der Grundton seiner praktischen Arbeiten, und die vielfachen Untersuchungen auf dem Gebiete der Arzneimittellehre, seine Verwendung von Kupfer, Quecksilber, Eisen, Antimon, Zink, der feine und kritische Sinn im Eliminieren von wertlosen Kurpfuschereien aus dem Arzneischatz, zeugen von dem Genie eines wissenschaftlichen Arztes der damaligen Zeit. Und ich erinnere an die Paracelsusauffassung, daß alle Dinge Gift sind und nichts ohne Gift ist, und daß die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist. Das Theorem von den vier Cardinalsäften [Blut. Schleim, gelbe und schwarze Galle Nach Hippokrates war das Herz die Quelle des Blutes. Letzteres war das »Warme«, Schleim repräsentirte die »kalte« Qualitat, die gelbe Galle, getrennt von der Leber, die »trockene« und endlich die schwarze Galle, die von der Milz in den Magen kommt, die »feuchte« [Wasser]. Vgl. Julius Pagel: Geschichte der Medizin. Berlin 1898, Verlag S. Karger. S. 71–73. Auch weisen wir auf die Spezialarbeit von Franz Spät: Die geschichtliche Entwickelung der hippokratischen Medicin im Lichte der neuesten Forschung [Berlin 1897] galt ihm Schall und Rauch. Eine chemisch-therapeutische Heilkunde und eine physiologisch-pathologische Chemie waren der Ersatz, und immer nur der unendliche Wert des Lebens galt als das Große, an dem er alle Zweigdisciplinen orientierte. Nur was auf dieser Linie stand, hatte für ihn Wert. Dann war es ein Neues mit den Anschauungen über das Wesen der Assimilation und Resorption des Verdauungsprozesses, ein ganz Neues mit der Diagnose der bereits berührten Coagulationsvorgänge, Exsudationen, Concrementbildungen, mit dem erstaunlichen Verständnis für Säure und Alkaliwirkung und ihre Rolle in einer Krankheitsgenese. Wer die Geschichte der Medizin des XVI. Jahrhunderts kennt – ich erinnere an die prächtigen Darstellungen bei Heinrich Haeser und Julius Pagel – wird ermessen, was ein Mann wert war, der damals als helfender Neukünder und Reformator auftrat. Als das düstere Syphilisgespenst, die lues gallica, grauenvoll in Europa seine Opfer forderte, da hat sich der Scharfsinn eines Paracelsus gezeigt, und noch heute staunt der Berufsarzt und Naturforscher über das völlig Moderne Hohenheims Syphilistherapie. Aber immer schwebte ihm vor der Konflikt: es sei auch viel, viel Ungewisses in seiner ärztlichen Kunst, und doch fordert die Sorge um den lieben Nächsten, um die »arm, elend, dürfftig Leuth«, eine »bewährte nothafte Kunst«? Seine ärztliche Ethik und das geradezu priesterliche Berufsbewußtsein in der stillen und verborgenen Liebesarbeit gehört mit zu dem Schönsten an seiner Seele, zu dem Schönsten was in dieser Art von einem heilkundigen Gelehrten geschrieben worden ist »vom höchsten Grund der Arznei in der Liebe«.

Oft wird noch gesagt, Paracelsus sei ein Vertreter der astrologischen Medizin. Auch das ist durch Sudhoff als eine völlig unhistorische Wertung festgestellt worden, denn was Paracelsus Astronomie nennt, ist die Rückwirkung meteorologischer Vorgänge auf die großen Volkskrankheiten, also auf pandemische Erkrankungen. Schon der Zusammenhang in den Darstellungen seiner Schriften muß das eindrücklich machen.

Soweit vorläufig die Richtungslinien der Einzelforschung und der Konstruktion des Universums.

Also Inhalt und Form atmen die gesteigerte Bewegtheit und Seelenerregung der Renaissance.

Seltene individuelle, sittliche Kräfte kommen hinzu, die den Schwerpunkt auch ins Persönliche verlegen, denn über dem ganzen spannt sich der leuchtende Himmel des »christlichen Humanismus«! Es ist die Gesinnung und Gottesweltwertung, die aus altevangelischem Mutterboden aufschossen und immer wieder Formen des Ausdrucks fanden, man denke an die Vorläufer im Waldensertum, die klassischen Mystiker Johannes Eckharr, der erste deutsche Philosoph, Johann Tauler, Heinrich Seuse, Johann Ruusbroec, an den unbekannten Verfasser der »Theologia deutsch«, an die feinen und ernsthaften Denker und nicht minder großen Seelen Amos Comenius, Joh. Bapt. van Helmont, Joh. Denck, Sebastian Franck, Jacob Böhme, Michael Servede, Valentin Andreæ, L. B. Alberti, Pomponius Lætus u. a.! Gewiß, ob wir nun vor oder nachparacelsische Zeit herausgreifen, wir finden den großen gesinnungsgemeinschaftlichen Typus immer und überall wieder heraus, der uns auch Paracelsus als »christlichen Humanisten« erkennen läßt: ich meine das Kenn- und Wahrzeichen, das also nicht blos Waldensertum und die altdeutsche Mystik Eckhardts und Taulers, nicht blos die Neuplatoniker der Renaissance d. h. die Humanisten des XV. und XVI. Jahrhunderts, und den böhmischen Brüdergedanken, nicht blos die antiaristotelischen Naturphilosophen des XVI. und XVII. Jahrhunderts mit ihren Wissenschaftssocietäten aneinanderkettet, sondern auch in gleicher Weise die älteren Pietisten, ja, noch die Männer des Aufklärungszeitalters, zu berühmten gesinnungsgemeinschaftlichen Brüderschaften einer großen Bewegung emporgehoben hat. Und man kann fürwahr nicht genug daran erinnern, in wie hohem Maße dieses aus altevangelischen Brüdergedanken sich herleitende Geistesleben überall in seine straff geschlossene Grundidee die zarten Feinheiten echter warmer Humanität verwob und durch die geflissentliche Accentuierung der echten Wissenschaftsförderung, Volkserziehung und werktätigen Menschenliebe praktisch-religiöses Leben entzündet hat. Vergl. hierzu die grundlegenden Arbeiten von Ludwig Keller: Der christliche Humanismus. Seine Eigenart und Geschichte. – Comenius und die Akademien der Naturphilosophen des XVII. Jahrhunderts. – Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer. – Sämtlich Publikationen der Comenius-Gesellschaft zu Berlin und in dem Verlage ihrer Monatshefte [Gaertners Verlagsbuchhandlung, Berlin] erschienen. Es ist noch keine ärztliche Ethik des Paracelsus geschrieben – sie würde an seiner starken sozialen Hinbietung und menschlichem Einungsbewußtsein den echtesten Inhalt haben. Ja, diese Tendenz möchte ich an Paracelsus als ein Kernhaftes sehen, als ein so Wesentliches und Ureigenes, das in dem Maße organisch mit seiner Seele verwachsen ist, so daß eine Aussonderung dieses Zuges ganz fremde und unechte Stimmungen in das Bild seiner inneren Persönlichkeit bringt. Das war eben diese ganz eigenartige Synthese – seine Zeit hat sie meist nicht verstanden, wenigstens nicht seine ersten Biographen und Pamphletistem – iatrochemische und exakte Naturforschung, methodische auf Lebenserkenntnis abzielende chemisch-therapeutische Heilkunde mit einer von glutvoller Theosophie und christlichem Humanismus durchdrungenen Naturphilosophie ineinanderzuweben und abzustimmen! Aus diesem unverrückbaren Gesichtswinkel sieht Paracelsus das Universum und das innerweltliche Gemeinschaftsideal, die harte kausale Notwendigkeit und die außerweltliche Gewissenszucht. Dogmenlose Naturbetrachtung und sozialethische Arbeit am Eigenen und Fremden sind hier miteinander verklammert. Aber dabei darf man nicht vergessen, daß in seinem warmfühlenden Herzen und großem Eigenerbewußtsein jene starke und doch so demütige Frömmigkeit lohte, die so unverkennbar an Franziskus von Assisi und Seuse gemahnt, die doch so akut bernhardinische Nuancen aufweist und immer dessen bewußt ist »daß schon der Stifter den Menschen ins Auge gefaßt hat, in welcher äußeren Lage er sich auch immer befinden mochte – den Menschen, der im Grunde stets derselbe bleibt, mag er sich auf einer auf- oder absteigenden Linie bewegen, mag er im Reichtum sitzen oder in Armut, mag er stark oder schwach sein im Geiste«. Adolf Harnack: Das Wesen des Christentums. Leipzig, I. C. Hinrichs Verlag, 1900. – S. 11. »Selig vnd mer dann selig ist der man, dem got die gnad gibt der Armut ...« schrieb Paracelsus im »Liber Prologi in vitam beatam.« Das ist die Gesinnung, worauf er in seinem ganzen Innenmenschen angelegt war. Nicht moralisierendes Pathos, sondern kraftvolle Herausarbeitung von Leben! Dann lesen wir auch im Codex Vossianus Chymicus: »Ein artzet braucht vil an einem kranckhen. byß er yn auffpringt. Ist darumb nit alles Artzney. Sonder dz yn hülfft ist ein cleins. vil ist vnnütz vnnd doch für nutz angesehen worden. Gott hat allen dinngen die Zeyt yrs wachßen geben, vnnd daruor nit zeittig zusein. Ehe es nu dahin kombt, laufft vil für. die proßlein. die schößling. die bluert. die frucht. etc. die alle haben vil zufälle, vil vheindtschafft. byß sie yn die erndt vnnd hylßen komben. Ich gedenckh. dz ich blumen sähe yn der Alchimia vermäindt. dz obs wer auch da. aber da war nichtz. da aber die zeyt kham. da war die frucht auch da .... Ein yedlicher soll trachten, das er auff erdten sey. das er will nach seinem todt sein. der gut samen ist Gott. der böß samen der teuffel. der mensch ist der ackher. sein Hertz. sein baum. sein werckh. sein fruchtt. der aber die liebe nit sücht In seinem Schatz. der hoffet leer stro. Allso ist die lehr gegründt nach einganng deß glaubens. Allein auff die liebe zu Gott vnnd dem nechsten ...«) Codex Voß. Chym. in Folio Nr. 24, Leiden (Univ.-Bibliothek). Prologo in Vitam beatam, Bl. 342 a–345 a – Vgl. bei Sudhoff: Kritik der Echtheit der paracels. Schriften [Berlin 1899] II. Bd. S. 363.

Nach diesen einleitenden und allgemein orientierenden Worten wenden wir uns seiner äußeren Entwickelung zu.

Theophrastus Bombast von Hohenheim wurde am 10. November des Jahres 1493 an der Sihlbrücke bei Einsiedeln in dem Kanton Schwyz geboren. Vgl. Sudhoffs Artikel »Zu Hohenheims Geburtstag« in der Beilage zur Allgem. Ztg. [1893; Beilage Nr. 261] Die Annahme des 17. Dez. als Geburtstag ist nach Sudhoffs Forschungen unwahrscheinlich. Vielfach wird aber dieses Datum noch nachgedruckt. Die langatmigen Benennungen, die man ihm gern beilegte, sind Produkte späterer Zeit. Philippus Theophrastus dürften vielleicht seine Taufnamen sein, wenn auch der Gebrauch des ersteren anfänglich sich fast nicht nachweisen läßt. Das Epitaph des Grabdenkmals zu Salzburg allerdings, setzt bereits »Philippus« dem »Theophrastus« voran. Daß auch noch in der modernen Literatur ganz sinnlose Namenzusammenstellungen abgedruckt werden, ist genugsam bekannt, und wir möchten daher daran erinnern, daß es eigentlich nur drei echterwiesene Benennungen gibt: »Theophrastus von Hohenheim«, »Theophrastus Paracelsus« und endlich »Theophrastus Bombast von Hohenheim«. Alle anderen phantastischen Pleonasmen sind unhistorisch und falsch bezw. sind Bildungen, deren sich Hohenheim auch niemals im Leben bedient hat.

Sein Vater war der gelehrte Wilhelm Bombast von Hohenheim, ein unter Abt Konrad von Hohenrechberg in Einsiedeln ansässig gewordener praktischer Arzt und Lizentiat der Medizin. Es ist wohl heute so gut wie sicher anzunehmen, daß Paracelsus dem alten adeligen Hause der Bombaste von Hohenheim entstammt, deren Stammschloß Hohenheim beim Dorfe Plieningen in der Umgebung Stuttgarts liegt. In der Hinsicht gehört dieser große deutsche Geist auch uns, und Württemberg kann ihn mit berechtigtem Stolz seiner engeren Geschichte einverleiben. Der eigentliche Familienname war also Bombast [Bambast oder auch älter Banbast] und dürfte vielleicht von Baum [boum, bom, bôm] abzuleiten sein. Daß selbstredend das Wort zu »Redeschwulst« auch nicht die geringsten Beziehungen hat, braucht wohl abermals nicht erst in den Vordergrund gestellt zu werden. Im Jahre 1491 (oder 1492) vermählte sich Wilhelm Bombast von Hohenheim. Theophrastus' Mutter war ein Sproß der alten Einsiedler Familie der Ochsener. Schon im Jahre 1502 hatte die Familie Einsiedeln verlassen und war nach Villach in Kärnten übergesiedelt, wo Theophrast's Vater ebenfalls der ärztlichen Praxis oblag. In der erst kürzlich erschlossenen handschriftlichen Cod. Vossianus Chym. Fol. Nr. 25. Bl 430. [Leiden], vgl. Carl Sudhoff, Kritik der Echtheit der paracels. Schriften, Berlin 1899. II. Bd. S. 406–407. Abhandlung » De secretis secretorum theologiæ« sagt Hohenheim von sich: » Das ich yn großer armuth erzogen vnnd auffgewachßen bin. dz meines vermugens nit geweßen, meinem gefallen nach zu handeln« ... denn auch »mich hat groß gepeiniget. der pflug meiner nahrung ... der mir ein creütz gewesen« Und doch schon drängen sich uns die Fragen auf: wer hat in dem Knaben und Jüngling ein Erstes geweckt und behütet, ein hell Gesundsinnliches, wer hat seinen überstarken naturforschenden Sinn, seine Ansicht von Welt und Wirklichkeit nach Wesen und Form bestimmt? Und wer die »herfürkeimenden« Ansätze nicht zertreten, die dann so frischfarbig geblüht haben und Paracelsus über allen Konfessionalismus und enges Kirchentum hinausgehoben, wir meinen sein starkes theologisches Selbstentbundensein? In den »Chirurgischen Büchern vnd Schrifften« [Straßburg 1618. »Von der großen Wundartzney« S. 101–102] finden wir einen Hinweis, der aber merkwürdig wenig sagt: »... Von Kindtheit auff habe ich die ding getriben / vnd von guten Vnderrichtern gelernet / die in der Adepta Philosophia die ergründesten warend / vnd den Künsten mächtig nach gründete. Erstlich Wilhelmus von Hohenheim / meinem Vatter / der mich nie verlassen hat. Demnach vnd mit sampt jhm ein große Zal / die nit wol zu nennen ist / mit sampt vilerley Geschrifften der Alten und der Newen / von erlichen herkommen / die sich groß gemühet habend: Als Bischoff Scheyt von Stettgach / Bischoff Erhart vn Vorfahren von Lavantall / Bischoff Nicolaus von Yppon / Bischoff Matthæus Schacht / Suffraganeus Phrysingen. Vnd vil Ept / als von Spanheim /vnd dergleichen mehr / vnnd vil vnder den andern Doctorn vnd dergleichen. Auch so ist ein große Erfarnuß beschehen / vnnd ein lange zeit her / durch vil Alchimisten / die in solchen Künsten gesuchet haben / als nemlich der Edel vnd Vest Sigmund Füger von Schwatz> mit sampt einer anzal seiner gehaltenen laboranten.« Es ist keineswegs von ungefähr, daß hier Paracelsus auch den Benediktinerabt von Sponheim [bei Kreuznach] nennt, denn man dürfte fast wie sicher annehmen, daß der hochgelehrte Polyhistor Iohannes Trithemius [1462–1516] lebendig und andauernd auf unsern Arzt eingewirkt hat. Nur möchten wir auch hier ganz besonders daran erinnern, daß der alte chemisch-historische Irrtum, Hohenheim hätte direkt aus »Basilius Valentinus« und Trithemius seine großen chemischen Reformideen entnommen, immer noch nachgeschrieben und geglaubt wird. Die Schriften des sogenannten Basilius Valentinus, der überhaupt nie existierte, stammen von Johann Thölde. Dieser aber steht in nachparacelsischer Zeit. War er doch unter den ernsten deutschen Alchemisten der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts – wir erinnern an Georg Angelus, Abt zu Waldsassen bei Eger, Heinrich Eschenreuter und Ulrich Poysel, beide bayrische Priester – ein führender Gelehrter und fruchtbarer Literat. Sein Tractatus de Lapide Philosophorum [1611], die Schriften De septem secundeis (indicis secundis) [1567], De tribus primordiis artis physicæ [Deutsche Ausgabe 1602] wurden viel gelesen und ausgeschrieben. Sogar ein Kommentar zu Tritheims System Axiomata Physicæ chemicæ Trithemii ist anonym erschienen. Sein schriftstellerischer Ruhm besteht eigentlich in der großen patrologischen Arbeit über die kirchlichen Literaten – ein Gelehrtenlexikon, das bis 1494 reicht – und in dem durch Wimpheling angeregten »Katalog der berühmten Männer Deutschlands.« Als Gelehrtentypus stellen wir ihn wohl mitten in den älteren deutschen Humanismus hinein, unter Theologen wie Gregor Reisch, Heynlin von Stein, Geiler von Kaisersberg, Gabriel Biel u. a. Von vielen typischen Irrtümern seiner Zeit wird man ihn schwerlich freizusprechen imstande sein, von Phantasmen über Zauber und Hexenwesen, die er mit seiner gründlichen wissenschaftlichen Bildung in Einklang zu bringen wußte. In der auf Anregung des Churfürsten Joachim I. von Brandenburg 1555 herausgegebenen Schrift Antipalus maleficiorum [die Konzeption fällt ins Jahr 1508] hat er insbesondere seine wunderlichen Ideen niedergelegt. Vgl. J. Silbernagel, Johannes Trithemius, Regensburg 1885, S. 132–158; W. Schneegans, Abt Joh. Trithemius, Kreuznach 1882, S. 226 bis 242. Die Titel der unterschobenen Schriften ersehe man aus Silbernagel. Letzterer sagt von Trithemius – allerdings vom katholischen Standpunkt aber recht objektiv –: »Trithemius war kein tiefer Denker, kein spekulativer Kopf, aber ein vielseitig gebildeter, vielwissender Geist. Seine Wissenschaft war eine Frucht seiner ausgebildeten Kenntnisse in den verschiedenen Zweigen der Literatur, die er sich durch sein unermüdliches Forschen in den Klosterbibliotheken erworben hatte, und welche ihn in den Stand setzten, in allen Fragen Aufschluß zu geben.« Ein zweiter Mann, der ebenfalls des Paracelsus Denkleben und sinnliche Vorstellungsformen nicht unerheblich beeinflußt haben muß, war der oben genannte Siegmund Füger von Friedberg. Um 1510 und 1520 dürfte Hohenheim mit ihm verkehrt haben und ein eifriger Mitarbeiter in seinem metallurgischen Laboratorium zu Schwatz gewesen sein. Einen reichen Fond chemischer, mineralogischer und naturwissenschaftlicher Kenntnisse überhaupt hat er unzweifelhaft hier in sich aufgenommen. Wann er die Experimentalarbeiten in Fügers Silberwerken aufgab, ist nicht bekannt. Möglicherweise bezog er gleich nach Beendigung dieses Praktikums die hohe Schule oder vielleicht auch etwas später. Ein frischer Schwung lebendiger und warmer Erinnerung liegt in den Worten, die wir noch heute in der Vorrede der »Chirurgischen Bücher vnd Schrifften« lesen, etwas das so von seinem über alle Engigkeit und Konventionalismus hinausstürmenden Geist zeugt: ... Hab also die hohen Schulen erfahren lange Jahr bey den Teutschen / bey den Italienischen / bey den Franckreichischen / vnd den Grund der Artzney gesucht / mich nicht allein derselben Lehren vnd Geschrifften / Büchern / ergeben wöllen / sondern weiter gewandert / gen Granaten / gen Lizabon / durch Hispanien / durch Engelland / durch die Marck / durch Preußen / durch Littaw / durch Polandt / Vngern / Walachy / Siebenbürgen / Crabaten / Windisch Marck / auch sonst andere Lender / nicht noth zuerzehlen / vnd in allen den Enden vnd Orten fleißig vnd embsig nachgefragt / Erforschung gehabt gewisser vnd erfahrner warhafften Künsten der Artzney: Nicht allein bey den Doctoren / sondern auch bey den Scherern / Badern / gelehrten Artzten / Weibern / Schwarzkünstlern / so sich des pflegen / bey den Alchimisten / bey den Klöstern / bey Edlen vnd Vnedlen / bey den Gescheidten vnd Einfeltigen: Hab aber so gantz gründlich nicht mögen erfahren / gewiß zusein / es seye in was kranckheit es wölle. Hab jhm viel nachgedacht / das die Artzney ein vngewisse Kunst sey / die nicht gebürlich sey zugebrauchen / nicht billich / mit Glück zu treffen / Einen gesund machen / Zehen dargegen verderben. Das mir ein vrsach geben hat / es sey ein betrügnuß von Geistern / den menschen also zuverführen / vnd gering zumachen: Hab abermals von jhr gelassen / in andere Händel gefallen: Jedoch aber widerumb in disse Kunst gedrungen: ... Ich bin gewachsen / vnd transplantirt herübergepflanzt. auß dem ewern Garten / in den andern: Das ist / Ich bin in dem Garten erzogen / da man die Bäume abstümlet / vnd war der Hohenschul nit ein kleine Zierd: Dieweil ich auch im Niderland / in der Romaney / in Neapolis / in Venedischen / Dennenmärckischen vnnd Niderländischen Kriegen / so treffliche Summa der Febrischen auffbracht / vnnd ob den viertzigerley Leibkranckheiten / so in denselbigen funden worden / in Gesundtheit auffgerichtet. Soll auff solchs kein Leibartzt sein / der euch die Lügen der Scribenten vnderkehrt / der euch die Irrsal vnd mißbreuch anzeigt / deren end begert zusehen / den jhr fliehet / vnd meine Erfarenheit / die ich auß Littaw / Holland / Ungern / Dalmatien / Croatien / Rodiß / Italien / Franckreich / Hispanien / Portugall / Engelland / Dennmarckt / vnd allen Teutschen Landen / mit großem fleiß vberkomen hab / soll ein Hon vnd Spott sein?« »Chirurgische Bücher vnd Schrifften« 310-311 [»Spittal-Buch«]

s.u.

II. Paracelsus in seinen jüngeren Lebensjahren. Stich von Wenzel Hollar nach einem unbekannten Original. b) Paracelsus 45 Jahre alt [1538]. Konturzeichnung nach dem Stich von Carl Mayer, dessen Originalvorlage nicht ganz erwiesen ist [vielleicht von Balthasar Jenichen(?) oder Augustin Hirschvogel]. Aus den Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. XXVII. Bd. 1886/87. [Carl Aberle.]

Die Zeit einer langen und mühevollen Wanderschaft lag damals schon hinter ihm, als er diese Erinnerungen wieder wachrief, ein fahrendes Schülerleben, das auch von den harten Einflüssen und Roheiten der Kriegszüge nicht verschont geblieben war. Es ist ja nicht viel, was uns die paar autobiographischen Notizen zu sagen haben, aber doch hat alles den eminent-individuellen Hintergrund. Auch ein anderes weit prächtigeres Stück Paracelsischer Darstellung und Stileigenart gehört eigentlich hierher: die wundervolle Defension »Von wegen meines Landfahrens«. Beendigt ist sie in der bereits wintermüden Zeit seiner Seele, in den Augusttagen des Jahres 1538, drei Jahre vor seinem Tode. Auffallend still war es schon in ihm geworden ... aber noch brach das alte inhaltsreiche Lebensgefühl durch, noch griff es in seine Bewußtseinszusammenhänge von Praxis und Schauen. Er erzählt die Tage seiner Wanderzeit und weist die Vorwürfe der Gegner, welche diese Epoche seines Lebens in so gehässigen Worten beanstandet haben, energisch zurück. Gerade die unbefangene und doch so warme Wiedergabe einer glühenden Forscherbegeisterung, die immer und immer wieder in jener Episode durchbricht, gehört in ihrer Art wohl zum Schönsten, was Paracelsus geschrieben; es ist mit der Vorrede zum Buche Paragranum wohl auch einer der farbenkräftigsten Ausschnitte seiner Seele und seines Geistes. Der große Zug, der das Ganze durchglüht, verwob auch Gedanken und Stimmungen über ärztliche Berufstreue und – -pflicht, über wandernde Krankheiten der Fremde, die ins Land fallen und umgehen wie ein tückischer Feind, und die nur der Arzt kennt, der ihnen früher schon einmal begegnet ist. Das ist die Begründung seines Landstreicherlebens, das eines fahrenden Mediziners, dessen Herz voll ist von Treue und Liebe zu den Brüdern, voll der vitalsten Interessen, der am praktischen Leben die Erkenntnis der Wirklichkeit und deren Wertbestimmung, die Zweck und Ursachenzusammenhänge liebevoll einschätzt und eindrücklich macht. Dabei leben aber alle Gedankenwerte und Realitäten in der Natur poesie und Naturreflexion seiner reizsamen Seele: Wir benützen hier: Aureoli Philippi Theophrasti Bombasts von Hohenheim Paracelsi, deß Edlen, Hochgelehrten, Fürtrefflichsten, Weitberümbtesten Philosophi vnd Medici Opera Bücher vnd Schrifften, soviel deren zur Hand gebracht ... Und durch Joannem Hvservm Brisgoivm in zehen vnderschiedliche Theil, in Truck gegeben ... Straßburg, In verlegung Lazari Zetzners Seligen Erben. Anno M. DC. XVI. [Fol.° 6 Bll. + 1127 pag. SS. + 53 SS. Register.] Und zwar: Folget ... die Verantwortung vber etliche Unglimpfungen seiner Mißgönner ... Die Vierdte Denfension / von wegen meines Landtfahrens, [p. 257-59.] Die Defensionen erschienen mit der Schrift De Tartaro allein in lateinischer Sprache bereits 1566, dann deutsch mit der Chronik und dem Labyrinthus 1574. [»Getruckt zu Basel durch Samuel Apiarium, im kosten vnd verlag, Herren Petri Pernae ...«] In der Huser'schen Quartausgabe [1589-1591] finden sich die Defensionen im II. Bd. [p. 158-190]. Sie selbst tragen das Datum: St. Veit in Kärnten, 19. Aug. 1538.

»MIr ist noth daß ich mich verantworte von wegen meines Landfahrens / vnd von wegen deß / daß ich so gar nindert bleiblich bin. Nuhn wie kan ich wider das seyn / oder das gewaltigen / das mir zu gewaltigen vnmüglich ist? oder was kann ich der Praedestination nemmen oder geben? Damit ich mich aber gegen euch etlichs theils entschuldige / dieweil und mir soviel eyngeredt wirdt / auch zuverargen vnd zuverspotten. Darumb / daß ich ein Landtfahrer bein / gleich als ich desto minder werd sey: Soll mir es niemand verargen / ob ich mich ob demselbige beschweren würde. Mein wandern so ich bißher verbracht hab / hat mir wol erschossen: vrsach halbe / daß keinem sein Meister im Hauß wachset / noch seinen Lehrer hinder dem Ofen hat. So seyn doch die künst nicht alle verschlossen in eines Vatterlandt / sondern sie seindt auß getheilt durch die gantze Welt. Nicht daß sie in einem Menschen seyn allein /oder an einem orth: Sondern sie müssen zusammen geklaubt werden / genommen vnd gesucht da / da sie seindt. Es bezeugt mit mir das gantz Firmament / daß die Inclinationes sonderlich auß getheilt seyn / nicht allein einem jeglichen in seinem Dorff: Sondern nach jnnhalt der oberisten Sphaeren gehen auch die Radij in ihr ziel. Ob mir solches nicht billich sey / vnd wol anstehe / diese ziel zu erforschen vnd zu ersuchen / vnnd zu sehen / was in einem jeglichen gewirckt wirt? Wo ich solches gebrechen trüg / würdt ich vnbillich seyn der Theophrastus, der ich dann bin. Ist das nicht also / die kunst gehet keinem nach / aber jhr muß nach gegangen werden: Darumb hab ich fug vnd verstandt / das ich sie suchen muß / vnd sie mich nicht. Nemet ein exempel: Wöllen wir zu Gott / so müssen wir zu jhme gehen / dann er spricht / kompt zu mir. Dieweil nun dem also ist / so müssen wir dem nach gehen / dahin wir wöllen. So folget nun auß dem / wil einer ein Person sehen / ein Landt sehen / ein Statt sehen / dieselbig art vnd gewonheit erfahren / des Himmels vnd der Element wesen / so muß einer denselbigen nachgehen. Dann dieselbigen ihme nachzugehen / ist nicht müglich. Also ist die art eines jeglichen / der etwas sehen vnd erfahren will / daß er dem selbigen nach gehe vnd könnlich kundtschafft einnemme / vnnd wenn es am besten ist / verruck vnd weiter erfahre.

Wie mag hinder dem Ofen ein guter Cosmographus wachsen / oder ein Geograph. Gibt nicht das gesicht den Augen ein rechten grundt? So laß nuhn den grundt bestetten. Was sagt dann der Biernbrater hinder dem Ofen? Was kan der Zimmermann sagen / ohn kundtschafft seines gesichts? Oder was ist / das ohn das gesicht bezeugt mag werden? Hatt sich Gott nicht selbst mit Augen zusehen geben? Vnd stellet vns zu einer zeugnuß / daß vnsere Augen jhn gesehen haben? Wie wolt dann ein kunst oder anders sich der Augen zeugnuß entschlahen? Ich hab etwan gehört von den erfahrnen der Rechten / wie sie haben in jhren Rechten geschrieben / daß ein Arzt soll ein Landfahrer sein: Dieses gefelt mir zum besten wol. Dann vrsach / die kranckheiten wandern hin vnnd her / so weit die Welt ist / vnd bleiben nicht an einem ort. Will einer viel kranckheiten erkennen / so wander er auch: Wandere er weit / so erfehrt er viel / vnd lehrnet viel erkennen. Vnd ob es sach würde / das er wider seiner Mutter in die schoß kompt / kompt dann ein solcher frembder Gast in sein Vatterlandt / so kennet er jhn. Wo er jhn aber nicht kennen würdt / wer jhm spöttlich / vnd ein große schand: Dann er kündte seinem Nechsten das nicht halten / deß er sich berühmet hatt / vnnd sich gälet zuwüssen. Solt mir dann das in argem auffgenommen werden / das ich von wegen des gemeinen nutz thue / wer mir beschwerlich: So thun es doch nuhr die Polsterdrucker / die ohn Schlitten / Karren / vnd Wagen / nicht können für ein Thor gehn vnd nicht wissen zu keinem Schumacher mit jhrer Kunst zu kommen vmb ein par Schuch / allein auff dem Esel / vnnd ein Ducaten her: Kanstu ohn den Ducaten vmb ein par Schuch nichts / so bistu selbst ein Esel vnd Ducaten. Auch sie seindt nicht Perambulani: Darumb hassen sie das / das sie nicht seindt. Das besser hassen sie / darumb daß sie erger seindt. Nun weiß ich doch / daß das wandern (nicht) verderb / oder besser mach. Macht wandern nicht einen jeglichen handel besser? Gibt wandern nicht mehr verstandt / dann hindern Ofen sitzen? Ein Artzt soll kein Nüdeldrucker sein: Er soll sich weiter mercken lassen. Nicht minder ist es aber / wie sie jetzo in der Welt zu meinen zeiten geschickt sein / so schmeckt jhn weder zu wandern noch zu lehrnen: Darzu bringt sie das Volck / daß sie ihnen immer mehr Gelt geben / ob sie schon gleich nichts wissen. So sie das mercken an den Bawren / daß sie nit wissen wie ein Artzt sein soll / so bleiben sie hinder dem Ofen / setzen sich mitten vnder die Bücher / vnd fahren also im Narrenschiff.

Ein Artzt soll am ersten ein Astronomus seyn: Nuhn erfordert die notturfft / daß jhme die Augen müssen zeugnuß geben / daß er der sey: Ohn diese zeugnuß / ist er nur ein Astronomischer schwetzer. Es fordert auch / daß er sey ein Cosmographus: Nicht die Länder zu beschreiben wie sie Hosen tragen / sondern tapffer anzugreiffen / was sie für kranckheit haben. Ob gleich wol dein fürnemmen ist / du wöllest dieses Landes kleidung wol kennen machen / auß dem / das du im Landt gelehrnet hast / vnd dich also frembder Länder zuerfahren endschuldigest: Was gehet den Artzt an / daß du ein Schneider bist? Darumb dieweil die ding die jetzo gemeldt seindt / er fahren müssen werden / so seindt sie auch mit vns Parabolanis, vnnd angehengt der Artzney / nicht zu scheiden von jhr. Also ist auch von nöten / daß der Artzet sey ein Philosophus, vnd daß jhme die Augen kundtschafft geben / daß ers sey: Will er ein solcher seyn so muß er zusammen klauben / von den Enden da es ist. Dann will einer nur ein Praten essen / so kompt das Fleisch auß einem andern Landt / das Saltz auß einem andern / die Speiß auß einem andern Landt. / Müssen die ding wandern biß sie zu dir kommen / so mustu auch wandern / biß du das erlangest / das zu dir nit gehen kan. Dann Künst haben nicht Füß / daß sie dir die Metziger nach treiben können: Sie sindt auch nicht in Küffen zuführen / noch in kein Faß zu verschlagen. Dieweil sie nuh den gebrechen haben / so mustu das selbig thun / das sie thun solten. Die Engelendischen Humores sind nit Ungerisch / noch die Neapolitanischen Prewsisch: Darumb mustu dahin ziehen / da sie sindt: Vnnd je mehr du sie dahin suchst / vnd jhe mehr ihr erfahrst / jhe größer dein Verstandt in deinem Vatterlandt. Also ist auch nohtt / der Artzt sei ein Alchimist: Will er nuhn derselbig seyn / er muß die Mutter sehen / auß der die Mineralia wachsen. Nun gehen jhm die Berg nicht nach / so der er muß jhnen nach gehen. Wo nun die Mineralia ligen / da seind die Künstler: Will einer Künstler suchen / in scheidung vnnd bereitung der Natur / so muß er sie suchen an dem ort / da die Mineralia sind. Wie kan dann einer hinder die bereitung kommen der Natur / wenn er sie nicht sucht wo sie ist? Soll mir dann das verarget werden / daß ich meine Mineralia durchlauffen hab / vnd jhr Gemüt vnd Hertz erfahren / jhre kunst in meine Händt gefast / die mich lehren / das Rein vom Koth scheiden / dardurch ich viel vbels fürkommen. Es ist aber nit minder / ich muß den Philosophischen spruch auch sagen / daß Weißheit allein von den vnwissenden verachtet wirt: Also auch die kunst von denen / die sie nicht künden.

Ich geschweig anders / das der erfahret / der da hin vnd her zeucht / in erkandtnuß mancherley person / in erfahrung allerley Geberden / vnd Sitten / daß noch einer solt Schuch vnd Hut verzeren / daß er dieselbigen sehe: Ich schweig größer ding / dann solchs ist. Nun gehet doch ein Buler ein weiten weg / daß er ein hüpsch Frawenbild sehe? Wie viel mehr einer hüpschen kunst nach. Nun ist doch die Königin vom endt des Meers kommen / zum Salomon, allein darumb daß sie sein Weißheit höret? ist nun ein solche Königin der Salomonischen Weißheit nachgangen / was ist nun die vrsach gewesen? Die ist es / daß die Weißheit ist ein Gab Gottes: Da er sie hingibt / in dem selbigen soll man sie suchen. Also auch da er die Kunst hinlegt / da soll sie gesucht werden: Das ist ein groß erkandtnuß im Menschen / daß der Mensch so viel verstehet / daß er die Gaben Gottes suchet da sie ligt / vnd daß wir zwungen seyn / derselbigen nach zugehen. So nuhn da ein zwangnuß ist / wie kan man dann einen verachten / oder verspeyen / der solches thut? Es ist wol war / die es nicht thun / haben mehr dann die es thund: die hinder dem Ofen sitzen / essen Rebhüner / vnd die den Künsten nachziehen / essen ein Milchsuppen: Die Winckelblaser tragen Ketten vnd Seyden an / die da wandern / vermögen kaum einen Zwilch zu bezalen: Die in der Rinckmaur haben Kaltes vnnd Warmes / wie sie wöllen / die in Künsten / wan der Baum nicht wer / sie hetten nicht ein Schatten. Der nun dem Bauch dienen wil / der folget mir nicht / erfolgt denselbigen / die in weichen Kleydern gehen. Wiewol sie zu wandern nichts sollen: Dann Juvenalis hatt sie beschrieben / daß allein der frölich wandert / der nichts hatt. Darumb betrachten sie denselbigen Spruch: Damit sie nicht gemördet werden / bleiben sie nur hinder dem Ofen / vnd kerend Bieren vmb. Also acht ich / daß ich biß her mein wandern billich verbracht hab mir ein lob vnd kein schandt zu seyn. Dann das will ich bezeugen mit der Natur. Der sie durchforschen will / der muß mit den Füßen jhre Bücher tretten. Die Geschrifft wirdt erforschet durch jhre Buchstaben / die Natur aber durch Land zu Land / als offt ein Land als offt ein Blat. Also ist Codex Naturae, also muß man jhre Bletter vmbkehren

Eine bleibende Wohnstätte aufzuschlagen, hat Paracelsus wohl erstmalig im Jahre 1526 in Straßburg Sudhoff weist darauf hin, daß Hohenheim überhaupt um 1525 und 1526 in Südwest-Deutschland sich aufgehalten haben muß, auch Wildbad, Liebenzell, Baden-Baden und Göppingen dürfte er damals berührt haben. versucht, der Stadt bekannter Wundärzte und einer damals renommierten Lehranstalt für Chirurgie. Hieronymus Brunschwigk und Johann Gersdorf [Schyl-Hans] nahmen durch wundärztliche Publikationen das Interesse der Medizin gefangen und sind wohl in der Klarstellung methodischer Fragen über das Wirkungsgebiet der ärztlichen Berufsthätigkeit nicht unmaßgebend gewesen. Zwischen praktischer Chirurgie und gelehrter Arzneikunst gähnte damals noch die große Kluft. Chirurgie, das »unehrliche Handwerk« lag ja noch zu Ende des Mittelalters im Berufsfelde von Badern [»Schröpfer«], Barbieren [»Bartscheerer«], Schmieden, Henkern [»Freymann«] bezw. »Schergen« und »Scharfrichtern«. Leichtere wundärztliche Obliegenheiten als Schröpfen, Aderlassen, kleine Verbände bei Knochenbrüchen und Verrenkungen, die Behandlung von eiterigen Geschwüren, der Verletzungen durch Waffen, Zähneziehen u. a. waren ihnen übertragen. Kompliziertere Operationen hingegen besorgten »Wundärzte« [»Schneideärzte«], allerdings auch Leute mit einer Bildung von recht abgestufter Dignität. Als nun Paracelsus nach Straßburg kam und sich unverhohlen zur Chirurgenzunft und für ihre Gleichstellung mit den Vertretern der internen Medizin bekannte, dürften schon damals gegen ihn die lang anhaltende Verbitterung und Verleumdung ihren Anfang genommen haben. Es ist vielleicht nicht unmöglich, daß er gerade hier die noch später erwähnte Disputation mit dem sogenannten Vendelinus hatte, zweifellos einer heute historisch unklaren Figur. Man versucht in ihr den Plagiator Wendelinus Hock aus Brackenau [Württemberg] zu sehen, der gerade damals - vielleicht Ende des Jahres 1526 – im Anschluß an seine naiven anatomischen Schaustellungen mit Paracelsus sich in eine Redeschlacht eingelassen hat. Um auf das Obige zurückzukommen: das Bürgerbuch der Stadt Straßburg vermerkt unter dem Jahre 1526 den Bürgerrechtskauf Hohenheims am 5. December:

»Item Theophrastus von Hohenheim der artzney
doctor hatt das burgrecht kaufft und dient
zur Lutzernen. Actum Mittwoch nach Andree appostoli Sudhoff und Schubert: Paracelsus-Forschungen. 1889. II. H. S. 3. Wir lesen auch hier: »Die Zunft zur Lucerne (oder Laterne) war die der Kornhändler, Müller, Stärkefabrikanten u. s. w., wozu seit alter Zeit die Chirurgen gehörten«.

Aber nur kurze Zeit weilte der große Arzt innerhalb der Mauern Straßburgs. Schon am 10. November desselben Jahres – also noch vor der erfolgten obigen Eintragung – übermittelte er von Basel aus seinem Freunde, dem Züricher Stadtarzte Christoph Clauser, die Schrift » De gradibus et compositionibus receptorum«. Und im Widmungsbrief dieses Buches lesen wir bereits: » Theophrastus ex Hohenheim Heremita, Utriusq; Medicinæ Doctor, Physicus & Ordinarius Basiliensis, clarissimo Domino Christophoro Clausero, Doctori Medicorum ac Philosophorum Tigurinorum eruditissimo, suo, Salutem.« – Also das Schreiben trägt schon die Unterschrift des Baseler Die Universität Basel war erst sechsundsechzig Jahre zuvor, also 1460, gegründet worden. Universitätsprofessors und Stadtarztes. Allerdings ist diese schnelle Übersiedlung auf den glücklichen Heilerfolg im Sommer 1526 an dem einflußreichen und berühmten Baseler Buchdrucker Johannes Froben [Joannes Frobenius; geb. um 1460, gest. Nov. 1527] aus Hammelburg in Franken zurückzuführen. Dieser hatte ihm nun in Dankbarkeit mit Hülfe von Oecolompadius eine solch ehrenvolle Wirksamkeit erreichbar gemacht. War doch Froben mit Petri und Oporinus der Höhepunkt der Baseler Buchdruckerkunst in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts! 1521–1529 hatte auch der Schöpfer des theologischen Rationalismus, Desiderius Erasmus [1467–1536] in seinem Hause – das frühere Amerbach'sche Druckereigebäude »zum Sessel« – bleibenden Wohnsitz aufgeschlagen und sozusagen etwas von dem Großen seiner Persönlichkeit auf die Froben'sche Offizin übertragen. Sie wurde ein Sammelpunkt ernster, von tiefer Wissenschaftlichkeit getragener Interessen, und eine lebendige Arbeit ging hervor aus diesem anfangs mit nur vier und dann später mit sieben Pressen druckenden Institut. Neben Erasmus waren Wolfgang Lachner, Marc. Heiland, Joh. Oecolompadius und Wolfgang Musculus Korrektoren [»Kastigatoren«] und Hans Holbein d. j. gleichwie Urse Graf Titelzeichner. Nur ein Buch will ich nennen, das den Gönner und Freund des großen Paracelsus für alle Zeiten berühmt gemacht hat: das von Erasmus herausgegebene griechische Neue Testament – die Vorlage des Textes befindet sich heute in der Oettingen-Wallerstein'schen Bibliothek in Mayhingen – das am 1. März 1516 bei Froben erschien. Es sollte gewissermaßen der vor 1522 bestimmt nicht in den Handel gekommenen Complutensischen Polyglotte [1514] des spanischen Kardinals Franz Ximenes de Cisneros [1437–1517] vorangehen. Die päpstliche Approbation erfolgte am 10. September 1518 Diese Ausgabe des griechischen Neuen Testaments wurde von Erasmus dann noch in den Jahren 1519, 1522, 1527 und 1535 besorgt..

In diese von dem neuen Geiste der wiedergefundenen Antike, von der zum Leben erwachten Seele Platos durchwehten Bezirke wurde Hohenheim hineingestellt, und es ist offensichtig, daß ihm da viel Neues an Wesen und Bedeutung aufgegangen sein wird, ja, vielleicht in manchen Fragen der intellektuellen Werte eine modifizierte Abwägung und sich ausdehnende Beurteilung. Denn Erasmus, der geistvolle und sarkastische Verächter der öden Formalistik eines scholastischen Nominalismus, des blutleeren, entrationalisierten Kirchentums, kann ihn immerhin keineswegs unmaßgebend beeinflußt haben, und nicht an letzter Stelle hatte der spätere Theologe Hohenheim an dem Herausgeber des griechischen Neuen Testaments, des Hilarius, Augustinus, Hieronymus und Ambrosius lebhaftes Interesse. Vielleicht schlug auch an Paracelsus die starke, lang andauernde Welle, die von der humanistischen Aufklärung eines Laurentius Valla und später von Ludovicus Vives ausgegangen war, und hat sein glühendes Naturgefühl etwas berührt, wenn es möglicherweise auch nur indirekt war. Und dann bannte ja auch den Erasmus der religiös-universalistische Theismus auf den geistigen Boden der italienischen Humanisten. Wie Wilhelm Dilthey gesagt hat: »jene Überzeugung, daß die Gottheit in den verschiedenen Religionen und Philosophien gleicherweise wirksam gewesen sei und noch heute wirke«. Sind das nicht Gedanken, die auch bei Paracelsus mit kritischer Kraft hervorschimmern? besonders in der religiös-moralischen Lebenshaltung und -wertung? Wie erwähnt, es ist zweifellos, daß auch auf ihn des Erasmus Persönlichkeit und Eigenart gewirkt haben müssen, wenigstens zuerst. »Klang doch in Erasmus alles an, was die Zeit Widersprechendes hegte: die Neigung einer überkräftigen, männlichen Generation zum derben Scherz über die Sinnlichkeit, die Freude am Sonnenaufgang der Wissenschaften, der Haß eines ganz unabhängigen Geistes gegen die Kirchen und doch die ernstgemeinte Vertiefung in die theologischen Probleme der Zeit: er war wie ein Dämon mit hundert Angesichtern von ganz verschiedenem Ausdruck und Mienenspiel: und gerade deswegen hafteten an ihm fragend, zweifelnd, bezaubert die Augen der Zeitgenossen.« W. Dilthey, Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert. Archiv f. Gesch. d. Phil. [L. Stein]. V. Bd. 3. Heft. S. 342. Aber bei Paracelsus hat sich das doch ganz anders zum Ausdruck gebracht und durchgesetzt. Denn man darf nicht vergessen, daß Hohenheim als durchaus originaler Gelehrter ein viel zu freier und stolzer Mann gewesen ist, um sich rundweg von einem führenden Forscher und Geist ins Schlepptau nehmen zu lassen Vgl. die höchst wertvolle Untersuchung und feinsinnige Kritik des Verhältnisses von Hohenheim zu Erasmus bei Sudhoff [Paracelsus-Fschgn. II. S. 99-122. Nicht umsonst war es sein Lebensmotto: Alterius non sit, qui suus esse potest!

Wenn wir uns fragen, welche Überlieferungen noch an den Verkehr zwischen diesen zwei Männern erinnern, so sind es eigentlich nur zwei Briefe Wir bringen sie im Anhang. Den Originalbrief des Paracelsus an Erasmus besitzt die Stadtbibliothek [Rhedigerana] zu Breslau. [Cod. Rhed. Nr. 258. Fol. 463 S. S. u. zw. d. 151. Brief der »Epistolae virorum Illustrium ad Erasmum Roterodamum«].. Der damals sich sehr unwohl fühlende Erasmus konsultierte schon im Sommer 1526, als Hohenheim zu dem ernsthaft erkrankten Froben nach Basel geeilt war, des längeren unseren Arzt. Demnach reihen wir diese Episode noch in die Zeit vor der festen Niederlassung und der erwähnten Anstellung in Basel. Wie heute angenommen wird, soll es die einzige erwiesene mündliche Aussprache gewesen sein. Daraufhin gründen sich also die zwei Schreiben. Das eine Hohenheims [Vgl. nebenstehende Beilage] ist ein Gutachten über des Erasmus Leiden. Es ist mit jener der damaligen Zeit weit vorangeeilten Schärfe in der Naturbeobachtung und staunenerregenden Einsicht in die Vorgänge der organischen Chemie geschrieben. Gerade hier aus diesen paar Worten kann man die grundlegende Bedeutung seiner Tartarus-Lehre entnehmen, d. i. die Untersuchung von den Ausscheidungen, Anlagerungen, Konkrementen, Gerinnungen u. a., die sich aus Körperflüssigkeiten bei chemischer Zersetzung und Umsetzung, Stauung und Fremdkörpereinwirkungen bilden. Paracelsus dachte also in erster Linie an Gallenstein [Cholelithiasis], an Bildungen von Harnsteinen in der Niere oder im Nierenbecken [Nephrolithiasis], an Blasenstein [Cystolithiasis] und Gelenkkonkretionen. Auch die chronischen Störungen, die durch die Gicht hervorgerufen werden, hatte er richtig begründet und die Lehre von der Abscheidung der Harnsäure gleichsam vorgeahnt. Also eine gründliche Wissenschaftlichkeit und Empirie spricht aus dem Schreiben. Was des Erasmus Antwort betrifft, so ist sie von einem ausgesprochen kühlen Ton getragen, wir möchten nicht sagen unsympathischen Teilnahmslosigkeit. Daß ihm natürlich Hohenheims völlig moderne Unterweisungen, die Ideen von Naturgesetzlichkeit und empirischer Verknüpfung unverständlich blieben, ist bei dem damaligen Stande der »philologischen« Therapie und galenistischen Deutung erklärlich.


s.u.

IV. Der Originalbrief des Paracelsus an Erasmus von Rotterdam. Originalbriefsammlung [Cod. Rehd. Nr. 254] der Rehdigerana [Stadtbibliothek] in Breslau. Vgl. den Wortlaut und die Erklärung im Anhang S. 117. Das Original ist eine Folioseite.

Schon am 5. Juni 1527 erließ Hohenheim an die Studenten und Hörer das lateinische Programm seiner an der Baseler Universität zu haltenden Vorlesungen Unzweifelhaft hatte er bereits im Winter-Semester 1526/27 mit seinen Vorlesungen u. zw. im Universitätsgebäude am »Rheinsprung« [das spätere »untere Collegium«] begonnen., die » Intimatio Theophrasti, Basileæ publicata, qua Studiosi ad nouæ Medicinæ studium vndique aduocabantur, cum eiusdem Facultatis Professor ordinarius crearetur«. Dieses Flugblatt ist das erste uns bekannte Produkt Hohenheims, das unter die Presse kam. Huser hat es dem VII. Bande seiner Baseler Quartausgabe [1589-1591] vorangesetzt. Ein prächtiges Stück paracelsischer Kraft und Unabhängigkeit, die programmatische Ankündigung seiner Medizin und Forschungstendenz und dabei die halsstarrige, von einem hohen Bewußtsein getragene Kriegserklärung gegen das griechisch-arabische System der Medizin, gegen Claudius Galenos und Avicenna! Es ist zugleich die schärfste Kritik der zeitgenössischen »medizinischen Philologie«.

 

D Diese Umstände und vielleicht auch seine völlig farblose Haltung in der damaligen konfessionellen Streitpraxis waren es nicht an letzter Stelle, die schon vor der Publikation der » Intimatio« den bitteren Haß der Berufsgenossen in Basel heraufbeschworen. Ja, gar bald wandte man sich gegen seine zwiefache Berufstätigkeit: das Ordinariat an der Universität und die Stadtarztpraxis glaubte man rechtlich als unvereinbar erklären zu können. Wenn auch der Stadtrat die Verpflichtung hatte, zwei Lehrkanzeln mit eigenen Mitteln zu besetzen, so wurde nun nicht nur ein großer Apparat gegen Hohenheims venia docendi in Scene gesetzt, sondern auch mit gehässiger Leidenschaftlichkeit darauf hingewiesen, daß nur überhaupt mit Bewilligung der medizinischen Fakultät der Universität Basel der Arzt und Chirurg praktizieren darf. Auch ein Fakultätsexamen sollte Paracelsus als Fremdling abgenommen werden. Dazu kamen noch kleinliche Verdächtigungen über Eignung, Studium und Vorleben. Allerdings war das Verlangen der Baseler Ärzte in betreff einer Genehmigung zur Ausübung der Praxis rechtlich begründet, keineswegs aber die Angriffe – ob und wie solche stattgefunden, ist doch nicht recht klar – gegen seine Dozentenwirksamkeit. Die Frage ist zu kompliziert, um sie hier des weiteren zu untersuchen. Wir verweisen auf die Sudhoff-Schubertschen »Paracelsus-Forschungen« [II. S. 9-27]. Daß aber die Verhältnisse für Hohenheim offenbar unleidlich gewesen waren, bezeugt schon der Umstand, daß er sich sogar genötigt sah, in einer an den Magistrat eingereichten Eingabe Schutz und Hilfe zu erbitten. Das interessante Schriftstück von unbekannter Hand besitzt heute noch das Staatsarchiv Basel [– Stadt. St. 73. D 17]. Es enthält eine energische Zurückweisung der Vorwürfe seitens der Kollegen und die Bitte um Verteidigung, mit der Begründung, daß es doch der Stadtrat selbst war, der ihn seiner Zeit ernannt hat. Der zweite Abschnitt der Eingabe ist eine rücksichtslose Kritik des Apothekerwesens bzw. der pharmazeutischen Praxis und der dazu erforderlichen wissenschaftlichen Berufsbefähigung. Der Wortlaut Wir bringen ihn nach der genauen, durch Staatsarchivar Dr. R. Wackernagel besorgten Kopie. [Sudhoff-Schubert: »Paracelsus-Forschungen« II. S. 10-15.] Den Entwurf hierzu finden wir auch in den »Chirurgischen Schrifften vnd Büchern« [1605 u. 1618] der Husnerschen Edition auf S. 678/79.ist folgender:

Edlen strengen frommen vesten fursichtigen ersamen, wysen gnedigen und gunstigen myn herren demnach ich durch uwer streng ersam wißheit zu eim

phisicum und ordinarium bestelt und verordnet worden byn, under anderm mir furkompt, wie das die doctores und ander artzet, so hie zue Basel sich erhaltten, hinderwert min in clöstern und uf den gassen mins stands halb, den ich dann von uwer streng ersam wißheit empfangen, schenden lestern und schmëhen, dadurch dann mir min pratick und der krancken nutzbarkeit mercklich entzogen wirt, sich ouch berümen, sy sigen die facultet und decanen und deshalb ich onduchtig oder onbillich solchen stand versehe, und der ouch mir durch uwer streng ersam wißheit als eim onbekanten gegeben worden sige, des dann mich nit ein klein beschwërt, sonder mir vil lieber (wa dem also sin solt so dann nit ist) das ich uwer streng ersam wißheit deshalb onbegnügt glassen und in der gstalt nit angnomen, damit ich sollich irs schenden und ußrichtens (so mir von inn begegnet) uberhept vertragen und uberbliben were.

Dwyl aber ich die ihenigen, so durch sy verderbt und uß onwissenheit halben gewichen [= schwach geworden] sind, mit der hilff gott des allmechtigen widerumb ufgericht hab, vermeint ich des eer und nit schmach und schmutzens erlangt zue haben, und dwil ich doch von uwer streng ersam wißheit als verordnetter ordinarius und phisicus bestelt bin ich ongezwifelter hofnung mir solle nit mer zue gsagt sin dann geleistet werden mög, also das ir myn obern herren decanen und facultet (und nit ihenigen) sigen, uf das ich billich mög als ein ordinarius promoviern in doctores.

So aber solcher gwalt by andern artzetten wie gemeldt ist hie were, bekennte ich der ursach verfürt sin, fursten und stett verlassen wa mins furnemens halben (wie angezeigt) nit statt und vollen [= völlig] hindernisloser Lauf beschehen mocht, so ist an uwer streng ersam wißheit min ganz demütig underdienstlich bitt, die welle mir mins stands fryheit anzuzeigen und denen so darwider reden ir zuegehören ouch eroffnen.

Witter gnedig und gunstig min herren erfordert ouch die notturft, in kunftigem villicht mir und minen krancken zue großem nachteil und schaden dienen und erwachsen möcht, die appotecken betreffent, nemlich das die nach ordnung, so oft die noturft erheischen, durch verstendig gevisitiert wurden, damit was zue schaden entspringen und erwachsen möcht hindan gnomen und gsetzt wurde, sodann ouch in eidespflicht genomen, unduchtiger recepten einem stattartzet furtragen, ob die ienen furkemen, durch welche mancher zue nachteil kompt, die zue cassiern bevolhen wurd.

Sodann ouch kein appotecker mit den doctorn in einicher theilung oder schenckung verwant und gemeinschaft zu haben.

Ouch das sy examiniert wurden ob sy irs ampts gnug erfaren und geschickt weren, damit durch ir onwissenheit keinen krancken irs libs halben schaden gebern und entstan möchti. und das ouch solichs durch sy die appotecker selbs usgericht, und nit durch kinder so der gschrift und materialia noch onerfarn und keinen verstand haben, wurde, sich ouch einer zimlichen und gepurlichen tax erhalten, uf das mengclichs onbeschwert pliben mög, und das sollichs wie gemelt durch verstendige erkennt werden. sollichs alles hab ich uwer ersam wißheit nit verborgen, sonders im besten, güter und getruwer meynung, damit richen oder armen parthiescher wiß halber kein ubels entstan möge, hiemit uch mit allen gnaden bewysen und erzeigen. das beger umb dieselb uwer streng ersam wißheit ich mins stands und pflichts halben mit nutz und eer gegen iegclichem insonderheit mit undertheniger dienstbarkeit gütem willen vlyssig gegen gott und der welt zuegedienen, mich hiemit u. s. e. wißheit bevelhende

u. s. e. wyßheit                  
undertheniger            
Theophrastus von Hohenheim      
beider artznyen doctor.

 

Man nimmt an, daß diese Eingabe in die Zeit Nach Sudhoff in die ersten Monate des Jahres 1527, also bald nach seiner Ansiedelung in Basel. Am 5. Juni erst – wie wir oben gesehen – erließ Paracelsus die »Intimatio«. vor dem Erscheinen des schon mehrmals genannten Vorlesungsprogramms [» Intimatio«] fällt und also letzteres zweifellos bereits unter dem starken Eindruck einer Rehabilitation entstand. Wenigstens argumentiert dies die nunmehr wieder aufgenommene und ungehinderte medizinische Lehrtätigkeit an der Universität. Noch in den »Hundstagen« des Jahres 1527 also setzte er seine Kollegien wieder fort. Der damaligen Zeit dürften vorzugsweise als genaue Grundlagen und Behelfe für seine akademischen Vorlesungen ihren Ursprung verdanken: » de urinarum ac pulsum judiciis«, » de physiognomia quantum medico opus est«, » de morbis ex Tartaro oriundis«, » XIV libri Paragraphorum«, » de modo phlebotomandi«, » de modo pharmacandi (vel purgandi)«, »Von ofenen Schäden vnd Geschwären«, » de Icteritiis«, » praelectiones Chirurgicae de Vulneribus«, »die Außlegung Aphorismorum Hippocratis«, » de praeparationibus«, »die Scholia et observationes in Macri poëmata de virtutibus herbarum«. Auch die schon früher fertiggestellte Schrift » de gradibus et compositionibus Receptorum et naturalium« gehört hierher.

Es herrschte augenscheinlich kein langer Friede zwischen Hohenheim, dem Wegbereiter einer modernen, auf biologischen und chemischen Grundlagen sich erhebenden Heilkunde und seinen in einem fanatischen Orthodoxismus verdorrten Gegnern. Die energische und schroffkantige Pietätslosigkeit gegenüber Galenos und Avicenna, gegenüber dem Allürenhaften eines naiven Zunftbewußtseins brach doch immer und überall wie ein erquickender Lebensstrom durch. Ja, für sie, die »gehürnten akademischen Bacchanten«, die »gemalten Ärzte«, »Baretlins Leut« und die »mit Roten Hütlen vnd Talaren jhre thorheit bedecken«, die im aufdringlichen Amtskleid, in »roten Kappen vnd Röcken« der Heilkunst obliegen, für all diese abgestorbenen Lebensformen einer längst toten und verloschenen Zeit, hatte Paracelsus nur Töne des beißendsten Spottes. Denn wie grell im Kontrast stand der schlichte und doch so starke Mann gegen das Kraftlose seiner Umgebung! Andererseits aber nimmt es dann keinesfalls wunder, daß unter diesen Umständen der Haß seiner wissenschaftlichen und persönlichen Gegner immer tiefer Wurzel faßte und schließlich in dem berühmten Pamphlet des Baseler Stadtarchivs seinen stärksten Ausdruck fand. In den Morgenstunden eines Sonntags – wahrscheinlich einige Zeit vor dem 24. Juni 1527 – prangte an den Toren des Domes, der St. Peter und St. Martinkirche und der » bursa nova" [neuen Burse] in der Kleinstadt, das in geschickten Distichen konzipierte Schmähgedicht. Siehe Anhang. Es wollte Hohenheims Reform zertrümmern! Und doch hat ihn auch dieser Versuch, den er ja später noch so oft erörtert Wir erinnern schon hier an die prächtige Vorrede des Buches Paragranum. Vgl. die vom Verf. besorgte Neuedition [Lpzg. 1903, Verlag Eugen Diederichs]., nicht vernichtet, nein, er hat nur Echtes und Dauerndes präsent gemacht. Wie das alles in ihm lebendig war und aus dem umdüsterten Gemüt hell aufflammte, wie dieses tief beleidigten Gelehrten und Menschen wuchtige und zornglühende Rechtfertigung innerlich bedingt war, empfinden wir schon bei der Durchsicht der wohl noch unter dem ersten Eindruck der Baseler Katastrophe geschriebenen, offiziellen Beschwerde an den Magistrat. Sie trägt den Stempel einer bitteren Gereiztheit und geradezu provokatorischen Verachtung.

Der Wortlaut: Nach der genauen Kopie des Staatsarchivarv Dr. Wackernagel. [Sudhoff-Schubert: »Paracelsus-Forschungen« II. H. S. 33. 34]. Dem Original ist eine Abschrift des Pamphlets beigegeben, welche auch der unsrigen Reproduktion im Anhang zu Grunde liegt.

Strengen edlen vesten ersamen fursichtigen wysen gunstigen gnedigen min herren. in onlidlicher müg tratzung [= Anfeindung, Neckerei] und mercklichem trang gepurt dem lidenden sin oberkheit, die im güts zethündt pflichtig und schuldig ist, umb schirm rhat und hilff anzerüffen und mir als euwerm st. e. w. = strengen, edlen, weisen Herren. angenommen stattartzet not, euch min gnedig herren anzezeigen das einer uff sontag nechstverschinen [= letztvergangen] wider mich nochteilige schmach und schandtverß under einem erdichten nammen an die thümbkirchen [= Domkirche], zue S. Martin, zu S. Peter, und an die nuwen burß [= die neue Burse » bursa nova« in der kleinen Stadt zu Basel] früg vor tag angeschlagen, welchen zedeln so angeschlagen mir darnach einer zue handen und ze verlesen worden, den ich e. s. e. w. = edle, strenge, ehrsame, weise Herren. hie by ligendt wie er angeschlagen zuestellen, zue besichtigen verhören und beraten das mir solche schmachverß nachteilig ze liden noch ze dulden nit muglich sind, dann derglichen und andere mer schmachwort und schand mir manigmal von solchen ettlichen minen auditoribus, die sich under ougen gegen mir fruntlich und zue ruck findtlich (als ich nun mercken mag) erzeigen, zuegelegt haben, welches ich alles umb fridens willen bißhar onverantwurt stillschwigendt hin hab lassen gan. dwyl nun aber dieser kunstler [gemeint ist der Verfasser des Pasquills] sich beflissen under einem erdichten und nit under sinem eignen nammen hat bedörffen soliche schmachverß wider mich anzeschlahen und angeschlagen, hab ich uff söllichs uß güter kundtschafft und erfarenheit sovil befunden, das man zue gütem theil byleuffig uß disen solichen worten (so er mir zue schmach brucht in sinen versen, welche wort ich teglichen mit minem mund ußsprich und interpretieren) vermercken khan, das der uß minen teglichen geflißnen auditoribus und uffmerckern einer ist, dann ich vorlangst gespurt, das ich ettliche auditores habe, die andere doctores der artzny wider mich ze schriben und ze schmächen anreitzend anstifftend und antastend. Darumb strengen edlen vesten ersamen fursichtigen wisen gnedigen min herren ist diß min endtlich forderung und beger e. s. e. w. welle uß solchen vorerzalten ursachen (dwyl uß denselben sich wol erscheint, das semliche schmachverß einer uß minen auditoribus gemacht hat) alle mine auditores fur euch berüffen und inen die schmachverß furhalten und dardurch erfaren welcher under inen der sige, so söliche geschriben angeschlagen und uff mich gelegt habe, und demnach mit demselbigen der maßen wie sich gepurt handlen. dann so ir min gnedig herren mir darvor nit sin wurden, und ich witer geursacht e. s. e. w. anzerüffen oder villicht uß hitzigem gemüt ettwas anfienge ungeschickts und hinfurter mer getratzet [= geneckt] solte werden, wëre mir mit keinem fügen [= Fug] von den euwern ze liden [= leiden] noch muglich ze gedulden. solichs ich e. s. e. w. hiemit anzeigt haben will, welcher ich mich mit underthenigkeit gehorsamcklichen bevilch.

E. S. E. W. = Euer, strenge, edle, weise Herren.                            
ghorsamer undertheniger                  
Theophrastus von Hohenheim         
der artzny doctor stattartzt.

Paracelsus hat diese Zeit seines Lebens niemals recht aus der Erinnerung verwischen können.

Vermutlich bald nach der Veröffentlichung des Spottgedichtes haben wir wohl eine Episode einzusetzen, die von einer poetischen Geschichtsschreibung und -beurteilung zur Genüge ausgebeutet wurde: die öffentliche Verbrennung des bekannten Canon des Avicenna, oder wie Hohenheim sagt, den er »in's Sanct Johannis fewer geworffen, auff daß alles vnglück mit dem Rauch inn Lufft gang!«

Ob dem ganzen Vorgang gar zu viel historischer Wert beizulegen ist, möchten wir dahingestellt sein lassen.

Hohenheims Tage in Basel waren gezählt. Und dies um so mehr als er des Domherrn Cornelius von Lichtenfels wegen, in einen bösen und für ihn nachteiligen Prozeß Nach der Überlieferung von Andreas Jociscus in der Oratio de ortu, vita et obitu Joannis Oporini, Argentorati, 1569. 8° und Christ. Wurstisen, Baßler Chronick, Basel 1580 Fol. verwickelt wurde. Der Geistliche nämlich hatte in einem schweren Fall unsern Arzt konsultiert und für den günstigen Ausgang hundert Gulden als Belohnung zugesichert. Nachdem er nun durch Hohenheims Kunst glücklich wieder hergestellt war, wollte ihn Lichtenfels nur mit sechs Gulden abfertigen. Die Sache kam vor Gericht. Hohenheim forderte die Wahrung seiner Interessen. Aber trotzdem der Wortbruch offensichtig war, entschied man zu seinem Nachteile und dürfte ihn noch in dem wissenschaftlichen Standesbewußtsein bitter gekränkt haben. Es nimmt daher nicht wunder, daß der ohnehin schon so unsagbar gequälte und gereizte Mann gegenüber seinem ehemaligen Patienten und den die Sachlage entscheidenden Richtern auch noch das letzte einer Rücksicht und Zurückhaltung fallen ließ. Es muß ihn hart getroffen haben – »hab ich doch je vnd je verhofft, wer die Seel liebe, der liebe auch den Leib: der der Seel verschont, der verschont auch dem Leib, darinnen ich vermeint hab nit kleinen nutz zuschaffen.«

Eigentlich gehören in die Baseler Zeit auch noch zwei uns in Michael Neanders Orbis terrae partium succincta explicatio [Leipzig 1586] (in der Wiedergabe eines deutschen Briefes [Bl. 59-62b]) überlieferte Episoden. Die eine bezieht sich auf Hohenheims Herzensadel in seiner ärztlichen Berufsarbeit, die andere auf ein durch ihn ausgeführtes, angeblich alchimistisches Experiment. Beide Darstellungen sind von ungemein frischer Farbe und Wirklichkeit. Allerdings eine der wenigen liebevollen Stimmen über Paracelsus aus jener Zeit. Auch Georg Joachim Rheticus [1514-1576], der warme Verehrer und Künder Kopperniks Reform, hat sich, wie wir aus dem oben genannten Buche [Bl. 56a ff] ersehen, lebhaft und mit offener Teilnahme für unseren Arzt interessiert. Wir bringen die Episoden im Anhang. Vgl. über Rheticus bei Sudhoff Kritik d. Echtheit d. Paracelsischen Schriften. Berlin [Verlg. Reimer] 1894, I. Bd. S. 262.

Um Anfang Februar des Jahres 1528 ist Paracelsus aus Basel ins Elsaß geflohen. Die härtesten Maßregelungen waren von seiten des gegen ihn mit glühendem Haß erfüllten Magistrats in Aussicht gestellt und vorbereitet worden. Basel, die Stadt seiner reichen wissenschaftlichen und praktischen Betätigung, lag hinter ihm ... Er hatte sich über Mülhausen, Ensisheim, Ruffach nach Colmar gewandt.

Von hier aus – unleugbar einige Wochen nach seiner Flucht – schrieb er die zwei heute noch im Original vorhandenen Briefe Datiert vom 28. Februar und 4. März d. J. 1528. an den ihm damals befreundeten Professor der Rechte, Bonifacius Amerbach Eine kühle Interesselosigkeit seitens dieses Mannes machte dann später die Beziehungen für immer unhaltbar. Hohenheim hat seinen Namen nie mehr erwähnt. in Basel. Derselbe, ein Sohn des bekannten Buchdruckers Johann Amerbach, hat als Humanist Namen und Bedeutung erlangt. Auch zu dessen Bruder Basilius hatte Hohenheim insbesonders herzliche Beziehungen. Die genannten Schreiben nun enthalten recht viel wertvolle und interessante Reminiszenzen über seine letzten Tage in Basel und seine Ankunft in Colmar. So erfahren wir auch, daß er daselbst von seinem früheren Bekannten, dem Arzte und Literaten Laurentius Fries [ Phrusius de Colmaria] und dessen Familie auf das herzlichste empfangen wurde. Und doch waren eigentlich beide in ihrer Wissenschaft harte Gegner, da ja Fries zeitlebens den überzeugungstreuen Anhänger des Avicenna und Galenos nicht verleugnen konnte. Aber in einem haben sich die beiden Manner solidarisch gefühlt, wie auch ihre Fachbestrebungen in Einklang gebracht – und das ist ein historisch nicht unbedeutsames Moment – nämlich in der unaufgebbaren Geltendmachung einer deutschen Gelehrtensprache Laurentius Fries sagt z B. im »Spiegel der artzney« [1532]: »... Auch bedunckt mich Teütsche zung nit minder würdig, das alle ding darinn beschriben werden, dan Griechisch, Hebreisch, Latinisch, Italianisch, Hispanisch, Frantzösisch, in welchen man doch gar bey alle ding vertolmetschet findet. Solt vnser sprach minder sein? neyn, ja wol vil meer, vrsach das sy ein vrsprüngliche sprach ist, nit zuesamen gebetlet, von Griechisch, Lateinisch, den Hunen vn Gothen, als Frantzösisch, auch meer reguliert ....«. Gewiß hat ja Hohenheim als Reformator der mittelalterlichen Heilkunde gesiegt, »wie er es in richtiger Erkenntnis der unaufhaltsam sich vollziehenden Reform [im Buche Paragranum] vorausgesagt hat, ›ohn den Leib‹, d. h. nach seinem Tode, durch seinen Geist. Aber in dem Kampfe für die deutsche Sprache müssen diese beiden als die ersten gelehrten Ärzte aus der alten Schule für immer neben einander genannt werden«. [Sudhoff.]

Daß er hier in Colmar in friedlicheren Verhältnissen lebte und sich beträchtlicher Wertschätzung und Freundschaft erfreut hat, bezeugen auch zwei Buchwidmungen: so die am 11. Juni 1528 erfolgte Zueignung der »10 Bücher von Frantzösischen Blatern, Lähme, Beulen .... darinn die kleine Chirurgia begriffen« an den Bürgermeister Hieronymus Boner, dem nicht unberühmten Übersetzer klassischer Autoren, – und die der »7 Bücher von offenen Schäden, so auß der Natur geboren werden« an den Stettmeister Konrad Wickram am 8. Juli –. – Johann Oporinus [Herbster] – der schon im Jahre 1527 durch Öcolompads Vermittelung sich Hohenheim als Famulus zugesellte – ist ebenfalls bald von Basel nach Colmar übergesiedelt. Wir können hier auf diesen interessanten Mann nicht näher eingehen A. Jociscus, Oratio de ortu etc. J. Oporini. Straßburg 1569., doch nur das sei erwähnt, daß er als Besitzer und Leiter einer vorzüglichen und in der damaligen wissenschaftlichen Welt allbekannten Buchdruckerei zu Basel starb [1568]. Andauernde Berühmtheit erlangte er durch die prächtige Ausgabe der Anatomie des großen Andreas Vesalius » De humani corporis fabrica«, die Johann Stephan de Calcar, ein Schüler des gewaltigsten venezianischen Meisters des Cinquecento, Tizian, mit künstlerischen Holzschnitten versah. Es war der erstmalige, bedeutendere Versuch, derartige Kunstbeilagen in der Medizin als wissenschaftliche Lehrmittel bezw. Texterläuterungen anzuwenden. 1551 erschien das prächtige Werk in der deutschen Übersetzung des Albinus Thorinus. Und die Erinnerungen an seinen Verkehr mit unserem Arzt? Ein trübes und dumpfes Licht fällt auf den Oporinus, der noch 27 Jahre nach Hohenheims Tode ihm eine so verzerrte und nicht auch nur annähernd zutreffende Werteinschätzung zu teil werden läßt, ja, sein schlichtes, von einer liebenswürdigen und sinnenfrohen Einfachheit durchwebtes Seelenbild gewaltsam in ganz fremde Situationen und Möglichkeiten hineinzwängt. Wahrscheinlich auf Anstiften Johann Weyers, dem Leibarzte der Herzoge von Cleve, ließ sich Oporinus in einem Briefe die gemeinen Fälschungen über den Menschen Paracelsus zu schulden kommen. Sie sind an Gehalt den karikaturistischen Paracelsus-Berichten eines Erastus, Conring, Athanasius Kircher, Geßner, Bullinger, Dessenius u. a. beizuzählen.

Daß Hohenheim schon um 1529 Lolmar verlassen hatte und in Nürnberg seinen Wohnsitz aufschlug, entnehmen wir einer Mitteilung Sebastian Francks [1499-1542]: »D. Teophrastus von Hohenheym, ein Physicus vnd Astronomus. Anno 1529 ist gemeldter Doctor gen Nürnberg kommen, ein seltzam wunderbarlich Mann, der fast alle Doctores vnd Scribenten in Medicinis verlacht. Den Auicennam sol er verbrennt haben zu Basel in öffentlicher Uniuersitet, vnd allein schier wider alle Medicos ist mit sein Recepten, Judiciis, Medicin, vnd vil widersinns mit vilen helt. Deß Practick schier wider Alle ist, gleichsam ein ander Lucianus Seb. Franck, Chronica, Zeytbuch u. Geschichtbibel ... s. l. 1565. Das Wort »Physicus« hier natürlich im Sinne von Arzt.«. Wenn auch die historische Überlieferung fast nicht dünner sein kann, so unterliegt es doch auch nicht dem geringsten Zweifel, daß Hohenheim und Franck sich persönlich nahe gestanden haben müssen. Schon das Frömmigkeitsideal, das der erstere in seinem theologischen Schrifttum – allerdings in den verschiedensten Abschattungen und Eigenbildungen – vertritt, dürfte einen nicht unwesentlichen Beweis dafür erbringen, wie doch durchgängig Gemeinsames im Brennpunkt des Interesses steht, wie ein freies geistiges Bruderchristentum mit dem gleichen Maße von Wärme und Hingebung gesehen wird: erstlich die virtuose Exklusivität von allem auf zwingender Rechtsgemeinschaft fußenden Kirchentum, weiter spekulativ-mystische Stimmungen und der doch immerhin antihistorische Sinn. »Nicht Begriffe, sondern Tatsachen, nicht Formeln, sondern Leben, nicht Aristoteles, sondern Plato, nicht der Buchstabe, sondern der Geist. Das innere Licht wurde neben die Bibel gestellt, die freie Überzeugung über die Satzung. Die Kirchendogmen wurden entweder umgedeutet oder fallen gelassen Adolf Harnack: Dogmengeschichte. Freiburg und Lpzg. 1893 [Grundr. d. theolog. Wissenschaften]. S. 353. Vgl. auch Ludwig Keller, Die Reformation und die älteren Reformparteien. Lpzg. Hirzel 1885. [z. B. S. 462 f. 438 u. a..« Und dabei sind es, wie gesagt, ganz charakteristische konfessionsfreie Wertungen, die uns die beiden Männer auch in Fragen besonderer Art näher zu bringen scheinen. Die Emanzipation von Papst, Luther, Zwingli, den Wiedertäufern u. a. war für Hohenheim – insbesondere nach 1531 – ein Wesentliches: die Ablehnung »des Luthers und Zwinglers fälscherey« und die »mit dem Deckmäntlj des Euangelions« auftreten, denn » es ist einer wie der ander. dann sehent an den Bapst. wz falsch er mit dem Euangelio getryben hat. dz auch yetzt die welt sein ist. Secht nun wz sich seine Apostitzler ketzer auch vndtersteen .... Es ist mit ynen wie mit einem paum. der zwyfach peltzet [gepfropft] ist. tregt weysß vnnd gelb pyren .... wellcher kombt wider euch. vnd sagt die warheyt. der muß sterben ... wieuil tausent haben sie erwürgett. vnd sie zuerwurgen bracht. yn kurtzen Jaren ..... Darumb hat er [= Gott] zu euch geschickht Propheten. vnnd weyß leüt. vnd schreyber. das ist er hatt nit den Luther. den Zwingli. den Butzer Martin Butzer [Bucerus, Emunctor] 1491-1551, einer der führenden Reformatoren. Er hatte sich insbesondere auch in Hohenheims Heimat, in der Schweiz>, sehr populär gemacht. 1577 ist zu Basel ein Band seiner Schriften erschienen.. den Lamperten Gemeint ist François Lambert [1487-1530], der ehemalige Minorit und Autor des Buches Evangelici in minoritarum regulam commentarii. In Wittenberg hatte er Luther näher kennen gelernt. etc. geschickht. dann sie seindt kinder deren. die der propheten plut vergosßen haben. Sonder er hatt zu den allen. vnnd dem Bapst. Propheten. weyßleüt. vnd schreiber geschickht. vil. Sie habens getödtet. peiniget außgestrichen [gestäupt] vnnd haben sie für narren. für lohmen gehalten. für lügner. für falsch christen. für vngläubige leut. für besesßene mit dem teüffel. vnnd veracht. vnd ver schmächt ... Dann ein yeglicher will ein besonders machen. vnd der besser sein.« Codex Vossianus Chymicus [Fol. Nr. 25. Univers.-Bibl. Leiden]. De secretis secretorum theologiae. Sudhoff, Kritik d. Echtheit Paracels. Schriften II. Bd. S. 411-412. Wenn man nun weiter bedenkt, was Paracelsus sagt: ...

»Das sind nun die falschen Propheten, die wollen den Papst vertreiben und lassen sich wol an wie ein warmer Wind, aber so sie abziehen, verlaßen sie einen neuen Schnee samt dem alten. Jetzt ist das letzte böser dann das erste, das ist nun alles ein Winter« .... Sermones in similitudines et parabolas Christi. Sudhoff-Schubert, P.-Fsch. II. S. 153. so dürfte der folgende Gedanke Sebastian Francks nicht so ganz beziehungslos erscheinen: »Es ist unrecht, daß man alle Schrift auf den Papst auslegt, der verziert nun alle Predigtstühle und ist der Prädikanten heiliger Geist, der ihnen, wenn sie nichts mehr im Kropf haben und das Ührchen noch nicht ausgelaufen ist, Mund und Weisheit gibt. Dann beginnt man ein Liedchen von dem Papst zu singen und wäscht sich mit des Papstes Unreinheit. Es wäre nun einmal genug mit dem Papst getändelt, wir brechen viel ab und bauen nichts an die Stelle. Was hilft es, zu wissen, daß der Papst ein Bube ist, wenn wir nicht besser sindBei Alfred Hegler, Sebastian Francks lateinische Paraphrase der Deutschen Theologie und seine holländisch erhaltenen Traktate. Tübingen, G. Schnürlen. 1901. – Es könnte Hohenheim geschrieben haben, so echt dünkt es uns in der Stimmung!

Dann fragt man sich immer wieder: Haben die Männer einander persönlich gekannt? Überliefert ist es nicht, und doch scheint es uns so gut wie sicher. Ganz absehend von Francks Notiz in seiner Chronica über Hohenheim, vermag die ungeheuere Verinnerlichung des ethisch-religiösen Werdeganges und das außerkirchliche Christentum beider Männer sie auf verwandte Linien zu stellen und die Vermutung aufkommen lassen, daß sich persönliche Beziehungen geltend gemacht haben. Flammte doch in beiden der große Wunsch, allen Menschen – denn in allen Menschen ist ja das Licht der Natur wirksam – zu sagen was ihre sittliche Selbstgewißheit wert ist, ihre ethische Freiheit und das Vollbewußtsein dieser Gottesgeschenke. Es ist gewissermaßen das Lichtziel der praktischen Lebenshaltung, das bei Paracelsus besonders immer wiederkehrt: »So soll aber der, dem Gott Gab und Reichthum geben hat, keins Andern sein, sondern sein selb eigen Herr und Willen und Herz, auf das sie von ihm gangen fröhlich, die ihm Gott geben hat.« Franck, der gewiß an dem »seltzsam wunderbarlich Mann«, schon als ernster Universalhistoriker und kirchenabgewandter Pessimist Interesse fand, wird dies um so mehr getan haben, besonders als ihm Hohenheims unverzagte Gottzuversicht und Hineinbildung ins Ewige und Naturhafte, als ihm seine große geistige und seelische Geberde aufging. Die Kunde vom Licht der Natur, vom lumen naturale hat sie beide beschäftigt. Es bricht aus Gott und wohnt wie ein göttlicher Abglanz, als sittliche Entscheidungsquelle in uns und auch als der eigentlichste Lehrmeister. »Darum muß der Arzt aus der Natur wachsen«. Aus den Kräften Gottes heraus wird alles Geheimnisvolle der Natur, alles Verborgene und Wunderbare erschlossen, aller »Grund der wahren Artzney«: darum suche man den wahrhaftigen Glauben nicht im religiösen Zunftbewußtsein oder naiven Aberglauben, sondern im wahrhaftigen Grund, in Gott. Und in dieser Religion vermag man dann das Höchste und Größte, ja, nichts wird denen, die mit ihr Alles tun, widerstehen – gleichsam Ströme und Berge vermag man zu beherrschen. Und wie Franck es ausdrückt: »Die Natur ist nichts Anderes, denn die von Gott eingepflanzte Kraft eines jeden Dinges, beides, zu wirken und zu leiden. Gott ist allerwegen in der Natur, er erhält die Struktur der Welt mit seiner Gegenwärtigkeit und Innensein. Gleich wie die Luft alles erfüllt und doch an keinem Orte beschlossen ist, wie der Sonne Schein allenthalben ist, den ganzen Erdboden überleuchtet und doch auf Erden nicht ist und doch ist, sogar, daß er alle Dinge auf Erden grünen macht, also ist Gott in Allem und wiederum Alles in ihm beschlossen«. [Paradoxon 29-31] .... Darauf ruht meist für beide auch die Geschichte, ihr »Haft, Satz, Inhalt, Kern und Bindriemen«, oder wie es Franck noch anders empfand: »Wir sind alle Gelächter, Fabel und Fastnachtspiel vor Gott ... So gaukelt die Welt!« Also immer auf Gotteskraft, Willensfreiheit und Individualität, auf ihren zähen Zusammenschluß und fortdauernd gegenseitigen Ausgleich. Es ist eine Sache für sich, daß Hohenheim mehr oder weniger eine antihistorische Person war, besonders als Naturforscher und von jener feinen mystischen Seite seiner Seele aus.

Auch Andreas Osiander [1498-1552] ist zu Paracelsus in seiner Nürnberger Zeit in Beziehung zu bringen. 1527 edierte ersterer eine die dreißig Papstbilder im Karthäuserkloster zu Nürnberg kommentierende Schrift, die mit Holzschnitten versehen, in den Versen Hans Sachs' der akut lutherischen Strömung entsprach. Die Entstehungszeit besagter Bilder fällt in die Tage Kaiser Friedrichs II. [1212-1250]. Diese stark einseitige Publikation Osianders regte Paracelsus zu einer Gegenschrift an: Außlegung Der Figuren, so zu Nürenberg gefunden seind worden, gefürt jn grundt der Magischen Weißsagung, durch Doctorem Theophrastum von Hohenheim. Der älteste Druck, den wir kennen, stammt aus dem Jahre 1569. Auch hier trifft einigermaßen das zu, was wir oben anzudeuten versuchten: »Hohenheim's Kommentar ist keineswegs der Reformation geneigt, macht vielmehr gegen die hierarchischen Gelüste beider Parteien Front, gegen die ›Pfaffen‹ überhaupt.« K. Sudhoff, Kritik d. Echtheit d. Paracels. Schriften, Berlin 1894, I. B. S. 39. – – Das Osiandersche Buch nannte sich: »Ein wunderliche weißa ║ gung, von dem Bapstumb, wie es ║ yhm bis an das ende der welt ge ║ hen sol, ynn figuren odder ║ gemelde begriffen, ge ║ funden zu Nurm- ║ berg, ynn Car- ║ theuser klo ║ ster, vnd ║ ist seer ║ alt. Ein vorred, Andreas Osianders. ║ Mit gutter verstendtlicher auslegung, durch ║ gelerte leut, verklert. Wilche Hans ║ Sachs yn Deudsche reymen ║ gefasset, vnd darzu ║ gesetzt hat. ║ Im M. D. xxvij. Jare.« [20 Bll. 4°. In diese Epoche fallen auch die » Practica D. Theophrasti Paracelsi gemacht auff Europen anzufahen in dem nechstkunfftigen Dreyßigsten Jar, Biß auff das Vier vnd Dreyßigst nachuolgend« die dann im Jahre 1529 »zu Nürmberg durch Friederichen Peypus« gedruckt wurden – eine damals recht moderne und im Buchhandel sehr abgehende Literaturgattung. Und umsomehr aus Hohenheims Feder. Möglicherweise entstand in dieser Zeit auch noch eine zweite erklärende Auslegung der dreißig Papstbilder in der Karthause.

Im Dezember 1529 zog Paracelsus auf dem Wege gegen Regensburg befindlich nach dem weltvergessenen Beritzhausen im Laberthale. Hier reiften allmählich seine zwei persönlichsten Werke: Paramirum Das Volumen Medicinae Paramirum [Paramirum primum] dürfte einige Zeit nach 1529 abgeschlossen worden sein. Die erste und einzige Sonderausgabe: Volvmen Paramirvm Philippi Theophrasti Paracelsi, des hocherfarnen Teutschen Philosophi, vnd baider Artzney Doctoris. De medica industria, Von des Artzt geschickligkeyt. Vormals nie im truck außgangen .... Getruckt zue Straßburg durch Christian Müller. 1575. 8° 8 Bll + 139 pag. S S. [Widmung an Julius Herzog zu Braunschweig und Lüneburg durch Michael Toxites. Datum: »Hagenaw, den ersten Martij, Anno 1575.] Das Opus Paramirum [Paramirum secundum] fällt wie wir weiter unten sehen werden in St. Gallener Zeit. Schon 1562 aber, kam es erstmalig durch Bodenstein in Druck: Das Buch Paramirvm, Deß Ehrwirdigen Hocherfarnen Avreoli Theophrasti von Hohenheym, Darin die ware vrsachen der kranckheyten, vnd vollkomne Cur in kürtze erkleret wird, Allen Artzten nützlich vnnd notwendig .... In Druck verfertiget durch Adamen von Bodenstein ... Gedruckt zue Mülhausen im obern Elsaß, durch Peter Schmid. Anno M.D.LXII. [4° 11 Bll. unfol. + 49 fol. Bll.] – – »Volumen« und »Opus« sollen in unserer Neuausgabe [Verlag E. Diederichs Lpzg.] dem Paragranum als II. Bd. folgen. und Paragranum Die erste und einzige Sonderausgabe: Das Buch Paragranum Aureoli Theophrasti Paracelsi: Darinn die vier Columnae, als da ist, Philosophia, Astronomia, Alchimia, vnnd Virtus, auff welche Theophrasti Medicin fundirt ist, tractirt werden. ... Alles new publicirt, Durch Doctorem Adamum von Bodenstein. Cum Priuilegio Imp. Franck. Bey Chri[stian] Egen[olffs] Erben. 1565. [8° 8 Bll. + 175 foliirte Bll. + 1 Bl. leer. Vgl. die im Verlage Eug. Diederichs in Leipzig erschienene Neuedition [1903].! Sie sind der breite Untergrund seiner Philosophie und Medizin, für Hohenheim's Naturwissenschaft und Begriffssymbolik sozusagen die dauerhafte und farbenkräftige Folie, die auf einen erfüllenden Gesamteindruck zusammenstimmt und abtönt. Das sind die zwei Bücher, an die man denkt, wenn überhaupt der Name Hohenheim genannt wird. Im Buche Paragranum haben sich auch ganz besonders persönliche Erinnerungen an die Baseler Tage niedergeschlagen, ja, die Vorrede desselben ist gewissermaßen ein Schlüssel zum Verständnis der ganzen Lokalstimmung und Polemik. Wir sehen in ihr eine Replikation auf das Baseler Pamphlet.

Von Beritzhausen aus polemisierte er gegen den Nürnberger Bürgermeister und Senat, Druckverbote wegen.

Es war die medizinische Fakultät zu Leipzig, die eine Drucklegung des »Spitalbuchs« der »8 Bücher von dem Ursprung der Frantzosen« Wie wir oben sahen, beschäftigte sich Hohenheim bereits auch in Colmar mit Publikationen über Syphilis. Sehr interessant waren die jüngsten Darlegungen Sudhoffs über Hohenheims Syphilisschriften, am 74. Kongreß deutscher Naturforscher und Ärzte zu Karlsbad [1902]. Wir bringen die Zusammenfassung nach dem Referat der Münchener medizin. Wochenschrift Nr. 45 und 46, 1902:

»Schon vor seiner Berufung nach Basel hat Hohenheim Schriften verfaßt, doch nichts über Syphilis. Auch in Basel finden sich nur Erwähnungen nebenher, keine selbständige Abhandlung über diese Krankheit. In der »Bertheonea«, welche in die letzten Baseler Monate zurückgeht, ist der in Aussicht genommene Abschnitt über den Morbus gallicus nicht zur Ausarbeitung gelangt: ein kurzer Entwurf dazu scheint in dem kursorischen Traktat »Chirurgiae liber tertius de morbo gallico« erhalten. Zum ersten Male hat er in Colmar seine Gesamtanschauungen über die vielgestaltige »neue Krankheit« in den 10 Büchern »von Blatern, Lähme, Beulen, Löchern und Zittrachten der Franzosen« dargelegt; aber da ihn die Hoffnung trog, dies Werk durch die Mitwirkung eines einflußreichen Mannes in der Colmarer Stadtverwaltung gedruckt zu sehen, hat er diese Ausarbeitung später gänzlich ignoriert und systematisch das ganze Gebiet in einer Reihe von Monographien zur Darstellung gebracht. Zunächst beschäftigte ihn die Guajackur, über welche sich schon eine kleine Niederschrift aus der Zeit des Wegganges aus Basel vorfindet, »De Xylohebeno« betitelt; eine populäre Guajacschrift gab er 1529 in Nürnberg zum Druck, welcher er sofort eine polemische Darstellung der gesamten wirren Syphilistherapie jener Tage anschloß: »Von der französischen Krankheit, drei Bücher«, die er auch »Von Imposturen« benennt und noch zu Ende November 1529 in Druck gab. Zwei andere Syphilisschriften, die 8 Bücher »Von Ursprung und Herkommen der Franzosen« und der chirurgische Teil des »Spitalbuches« sollten gleichfalls noch 1530 in Nürnberg erscheinen, aber der Einspruch der Leipziger medizinischen Fakultät vereitelte dies Vorhaben. Doch sind diese Schriften handschriftlich überliefert und einige 30 Jahre später von seinem Schüler Adam v. Bodenstein veröffentlicht worden, der auch die Colmarer Schrift auffand und publizierte. Hohenheims Syphilisschriftstellerei war damit zum Abschluß gekommen, wenigstens vorläufig. Vielleicht hätte er die Lues im Amberger »Büchlein vom Mercurio« gestreift, wenn es zur Vollendung gekommen wäre. Jedenfalls kennen wir aus späteren Jahren von Schriften Hohenheims über die Franzosenkrankheit nur noch das 3. Buch der »großen Wundarznei«, welches er 7 Jahre später im Juni 1537 zu Mährisch- Kromau auszuarbeiten begann; doch bricht das Überlieferte zu Beginn der Darlegungen über die Therapie der Syphilis ab. – Alles in allem bietet dieses reiche Schriftenmaterial Hohenheims über die Weltkrankheit Syphilis eine Tiefe der Erkenntnis vom Wesen dieser proteusartigen »Geschlechtspest« und eine Fülle des Selbstbeobachteten, wie sie für jene Zeit ganz einzig dasteht.« Wir verweisen in betreff Hohenheims Stellung zur damaligen Syphilistherapie auf das weiter oben Gesagte.
u. a. zu hintertreiben versuchte. Ein intolerantes Verfahren, wie er es ja auch schon in Zürich und Colmar kennen gelernt hatte, und auch später in Wien und [1538] bei den Kärntner Ständen.

Dann treffen wir Hohenheim in Amberg. Ärztliche Berufspflichten führten ihn in »seine Einöde«.

1531 weilte er in St. Gallen. Daß Hohenheim auch hier mitten im öffentlichen und geistigen Leben stand, bezeugt schon die Tatsache, daß er am 15. März dem Stadtarzte und Bürgermeister Dr. Joachim von Waadt [Vadianus] drei Teile des Paramirum [Opus] zueignet. Auch die Abfassung eines dem Prediger Leo Jud [Judä] in Zürich gewidmeten Kometenbüchleins fällt in diese Zeit.

Zweifellos wurde Hohenheim auch in St. Gallen in bittere, konfessionelle Bereits 1518 hatte in der Schweiz Zwinglis Reformation ihren Anfang genommen. 1531 – also die Zeit Hohenheims Aufenthalt in St. Gallen – starb Zwingli in der Schlacht bei Kappel.Streitigkeiten hineingezerrt. – – Wir treten in die Epoche seines fruchtbarsten theologischen Schrifttums. – – Aber schon 1532 zog der ruhelose Mann über Hundwil und Urnäsch wieder weiter, das Appenzellerland war sein Ziel. Ein goldigfrisches religiöses Fühlen lohte in ihm, die heiße Frömmigkeit einer lebendigen und wachsenden Seele, einer Seele die sich in weichen und feinen Empfindungen aussprach und doch immer wieder auf sich selbst besann. Und über ihm sein Himmel, d. i. die große enthusiastische Hoffnung vom »Reiche Gottes«, vom neuen Zustand mit Gottes Herrschaft, in dem schon hier eine religiös-sittliche Menschheit aufgehen soll zur Mündigkeit und Reife, zu neuer Gerechtigkeit und Lebensauffassung. Aber doch hat er es nicht zu hindern vermocht – er stand ja in der Renaissance – daß auch in diese gottinnige Welt, die er sich aus dem, was draußen in der Welt so not tut, als das Ziel gesetzt, die hellenische Sonne Platos hereinschien. Die Jahre 1532 bis 1534, sie waren aber trotzdem die trübsten seines Lebens. Viel wissen wir nicht aus dieser Zeit.

Innsbruck, Sterzing und Meran hat er aufgesucht, die beiden letzteren Städte im Jahre 1534, als das Sterzinger Gebiet von der Pest heimgesucht worden war. Damals entstand das Büchlein »Von der Pestilentz an die Statt Stertzingen«. Erstmalig durch Mich. Toxites im Jahre 1576 zu Straßburg ediert. Sommer 1535 wandte sich Paracelsus von Meran nach Bad Pfäffers. Der Weg ging durchs Vintschgau, Veltlin und Oberengadin.

Die fast unübersehbaren theologischen Schriften Die handschriftlichen Verzeichnisse Paracelsischer Schriften im Codex Vossianus chymicus in 4° Nr. 56 [II. Hälfte des XVI. Jahrh.] und ganz besonders im Mscr. Nr. 43 Fol. der Klosterbibliothek Ossegg bei Dux [Böhmen] haben – wie wir aus Sudhoffs Arbeiten ersehen – gerade für die theologischen Publikationen Hohenheims grundlegende Bedeutung. Aber vorzüglich das Ossegger Handschriftenverzeichnis. Wir bringen diese – eigentlich drei – Verzeichnisse umstehend erstmalig in Reproduktion. Die hochverehrte Bibliothekverwaltung des Stiftes Ossegg hatte die ausnehmende Güte, mir das wertvolle Manuskript ins Haus zu schicken. Auch hier spreche ich nochmals meinen Dank aus. Die photographischen Aufnahmen besorgte mein lieber Freund, Herr Dr. Heinrich Frederking in Berlin-Gr. Lichterfelde. Ebenfalls ihm viel Dank für die sorgfältige Arbeit und stete Bereitwilligkeit. Die Handschriften sind überhaupt noch nicht photographisch reproduziert worden. – vieles des Schönsten, was er je geschaffen – als die wundervollen Abhandlungen De vita beata, Liber de felici liberalitate, Liber de summo et aeterno bono, die Sermones, Bibelkommentare, Abendmahlschriften, mariologischen Aufsätze u. a., dürften wohl in ihrer Großzahl die Appenzellerperiode als ihre Entstehungszeit haben. An seinen Aufenthalt in Pfäffers [1535] erinnert die kleine Bädermonographie »Vonn dem Bad Pfeffers in Oberschwytz gelegen« 4° o. O. u. J. [12 Bll.] Wahrscheinlich bald nach 1535 in Zürich oder St. Gallen zum erstenmal erschienen., die dem dortigen Abte Johann Jakob Russinger [† 1549] gewidmet ist. Das heute noch im Original vorhandene ärztliche Konsilium, welches im selben Jahre Hohenheim dem genannten Russinger übermittelte, gehört zu den spärlichen Resten der Manuskripte von seiner eigenen Hand. Wir haben schon oben angedeutet, daß diese Wanderjahre für ihn voll niederdrückender Trübsal und nagender Entbehrung waren, und daß sie gerade mit der Zeit seiner beginnenden theologischen Epoche zusammentreffen. Die lebendige und mächtige Bewegung einer religiös so reizsamen Zeit, die in jenen Tagen in den leidenschaftlichsten und geräuschvollsten Aussprachen sich an allen Orten Hohenheims Wegstraße kund tat, dürfte ihn umsomehr zur Theologie gedrängt haben. Schriften, die wohl nie für eine Öffentlichkeit bestimmt waren, ungedruckte und bis vor kürzester Zeit unbekannte, denen neue und doch im Grunde alte Gesinnungen, ja überhaupt die Gesinnung über Menschen- und Gottesliebe entspringen, treffen das Wesenhafte seiner damaligen Seele. Und wie hat sich diese Wandlung vollzogen und aus welcher Lebensstimmung wirkte sie sich aus? »Diese Zeit meines schreibens ist zeitig, dann ich darf deß nichts verschonen, das ich verderbt hab, es ist noch nicht nit geflogen worden, die werckh zaigen ann, das die Arbait vß ist, vnd zeittig ist, allß so ain gantz hauß do steeth, vnd gemacht ist, so ist es ain Zaichen, das zeitig gsein ist Inn seim maister, Allso auch hie, die Zeit der geometri ist zum enndt ganngen, die Zeit der Artisterey ist zum endt gangen, die Zeit der phy[losophia] ist zum endt ganngen, der schnee meines elenndts ist zum endt ganngen, der Im wachsen ist, ist uß, die Zeit des Summers ist hie, vonn wannen er kompt, daß waiß ich nit, wohin es kompt, daß waiß ich nit, es ist da, So nun die Zeit deren dingen do seindt, die vnnder augen sichtlich do seinndt, die sich lange Jar erhallten hat, vnd vfgezogen, so ist auch hie die zeit zuschreiben, vom seligen Leben. vnnd von dem ewigen, dann die geben frucht ...«

s.u.

V. Das Ossegger Handschriftenverzeichnis: Catalogus librorum Theophrastj. Diese nachvolgenden büecher sein alle Inn Truckh gebracht worden ... [Mscr.Nr. 43. Fol. des Cisterzienser Stiftes Ossegg in Böhmen. Bl. 6a-7b]. Anfangsseite. b) Das Ossegger Handschriftenverzeichnis: Catalogus oder kurtze Verzaichnuß aller Theophrastischen Paracelsischer Büecher, die Ich bey meinen Handen, vnd noch nitt Imm truckh khommen, sonder noch Inn gehaim vnd verborgen sein ... Ebd. Bl. 7a-13b. c) Das Ossegger Handschriftenverzeichnis: Verzaichnus ettlicher Theophrastischer büecher, so bey mir Just vnd klar gefunden werden ... Ebd. Bl. 14a-15a.

Es ist der Paracelsus dieser Epoche, der so frühzeitig alternde und müd gewordene. Zagende Schatten fallen auf seine unverbildete Eigenkraft ... das Harte und Stumpfe seiner wissenschaftlichen und religiösen Gegner steht mit einem Male wie ein Befremdliches vor der Seele, denn »wellcher kombt wider euch. vnd sagt die warheyt. der muß sterben ...«

1536 hatte er die »große Wundarzney« Enthalten auch in den schon genannten »Chirurg. B. u. Sch.« [S. 1-124.] Der erste, allerdings mangelhafte Druck aus 1536: Des Hochberümpte- ║ sten, vnd weiterfarnesten, der bei- ║ den artzney Doctors Paracelsi große wund ║ artzney von allen wunden, stich, schüssß, ║ brand, bissß, beynbrüch, vnd alles was die wundartzney begreifft ... Außgeteylt in drey Tractaten ... Gedruckt zue Ulm bey Hans Varnier ║ Im Jar. D.D.xxxvj [!] – – [Fol.° 60 Bll.] Die nächste Neuausgabe besorgte Heinrich Steiner in Augsburg [2 Bücher; ebenfalls 1536] und ist dieselbe, die eigentlich gründliche und durchaus echte. Vielleicht ist diese Edition – nach Sudhoff – in der Fertigstellung älter als der Ulmer Druck. Die Gründe Hohenheims zur Publikation dieser Ausgabe finden sich auf der Rückseite des Titelblattes des I. Buches., eine beträchtlich umfangreiche und fleißige Arbeit, beendigt und dem König Ferdinand zugeeignet. Der Widmungsvermerk lautet: »Dem Großmechtigsten ... Herrn Ferdinanden, ... Römischer, zue Vngern vnd Böhem Künig ... Geben zue Münchrath am. vij [= 7.] May, der mindern zal im XXXVj [= 36.] jar ...« In Augsburg nahmen ihn dann vorzugsweise Neuausgaben des ersten Teiles dieses Werkes in Anspruch. Dann, 1537 [Frühjahr] wandert er über Eferding an der Donau [Besuch beim Pfarrherrn Johann von Brandt] nach dem in Mähren gelegenen Kromau [zwiscken Brünn und Znaim], wohin zu kommen ihn der erkrankte Johann von der Leipnik, der erste Erbmarschall des Königreiches Böhmen, aufgefordert hatte. Ein noch erhaltenes Consilium erinnert an diese Zeit. Auch wurde hier ein III. Buch der »Großen Wundarznei« fertig, wie auch die ersten Partien der Astronomia magna und die deutsche Fassung der Defensiones und des Labyrinthus.

Der Rückweg nach Wien, Audienz bei Kaiser Ferdinand. Vgl. Sudhoffs Studie in der Deutschen Mediz. Wochenschrift Nr. 39 vom Jahre 1891. [An Hohenheims Todestage] wo Hohenheim vergeblich den Labyrinthus und die Defensiones herauszugeben versuchte, führte ihn über Preßburg [pozsony]. Interessant ist es zu erfahren, daß ihm hier ein ehrender Empfang zu teil geworden war: am Freitag vor Michaelis 1537 hatte man Hohenheim beim Stadtrichter Blasius Beham festlich bewirtet. Die sogenannten Kammerrechnungen (d. s. Verrechnungsbücher der Stadtkämmerer) im Archive der kgl. Freistadt Preßburg, welche vom Jahre 1436 fortlaufend vorliegen, enthalten einen darauf bezüglichen Vermerk. So lautet es in der städtischen Kammerrechnung von 1537/38: ...

Statt Zerung.

item Freitag vor Michaelis haben die hern Doctor Theophrasten pej her Blaszi Beham zu gasst gehalten. Zu zwaien tischen pej einander gewesen. Vnd Chamerer kaufft visch zum sieden, bachen, praten p. y ȋ ijß. vmb semeln. wein. grieß. Milch. Air. kreußen. kraut, peterszil. der frawen vmb essich x etc. iij Pfd. schmalz. ops. kes. vnd der Kochin zu lon x x iiij Pf. pracht alles iiij ȋ vijß x viij Pf. [Nach einer Kopie des Archivars Johann Batka in Preßburg.] Herr Archivar J. Batka in Preßburg.Pozsony hatte die Liebenswürdigkeit, mich unaufgefordert auf diese Eintragung aufmerksam zu machen und sie mir in einer Kopie zur Verfügung zu stellen. Ich danke ihm an dieser Stelle. Auch in dem von Herrn Archivar Batka ins Deutsche übersetzten Buch »Beiträge zur Geschichte der Medizin in Preßburg« von Dr. Stephan von Vámossy (Preßburg, 1902) ist diese archivalische Notiz aufgenommen worden.

Doch noch im selben Jahre [1537] datierte Paracelsus zu Villach die an »Hans Winckelsteiner zue Freiburg in Vchtland« gerichtete Vorrede der Schrift »Von natürlichen dingen« [ De natura rerum], die 1572 das erste Mal gedruckt wurde. Metamorphosis. Doctoris Theophrasti von Hohenheim, der zerstörten gůten künsten vnnd artzney, restauratoris, gewaltigs vnnd nutzlichs schreiben ... Durch Doctor Adamen von Bodenstein, den anklopffenden vnd sůchenden Filijs sapientiae zue nutz, mit allem fleiß publiciert, vnnd in Truck verfertiget. Ανέχου καὶ ἀπέχου M. D. LXXII. – – [8° o. O. 176 Bll.]. Nach Sudhoff »zweifellos bei Samuel Apiarius in Basel gedruckt, aber vielleicht nicht von Peter Perna verlegt«. [K. d. E. p. Schr. I. S. 229.] Auch die Abhandlung »von dem Irrgang vnd Labyrinth der Artzten« [ Labyrinthus Medicorum] ist damals entstanden, gleichwie die »Chronica vnd vrsprung dieses landts Kärnten«, welche mit den gleichfalls schon genannten »Defensiones«, dem »Labyrinthus« und dem »Buche von den Tartarischen kranckheiten« im Jahre 1564 in Köln erschien. Die Chronik widmete er den Ständen des Erzherzogtums Kärnten, also dem Lande, in dem ja sein Vater Wilhelm Bombast von Hohenheim zweiunddreißig Jahre – er war am 8. September 1534 zu Villach gestorben – ärztlicher Arbeit obgelegen hatte.

Wir berühren Hohenheims letzte Tage.

Aus dem Briefe an Franz Boner in Krakau, der ihn in einem hartnäckigen Leiden um ärztliche Unterweisungen ersucht hatte, entnehmen wir, daß Paracelsus Anfang August 1541 bereits in Salzburg war. Gewiß auch schon im Frühling dieses Jahres. Er wohnte damals am rechten Salzachufer, an der Ecke des »Platzl«. Später zog er in die Herberge »zum weißen Roß« im Kai, wo auch »an sankt Mattheustag / des heyligen zwölffpotens / den Ain vnd zwaintzigsten des Monats Septembris / Mittags zeit ...« vor amtlichen zeugen sein Testament beschlossen wurde. Michael Toxites hat es 1574 mit einigen anderen interessanten Paracelsus-Erinnerungen herausgegeben Testamentum Philippi Theophrasti Paracelsi, des hocherfahrnen Teutschen Philosophi, vnd baider Artzney Doctoris ... Hierinn findestu lieber Leser, wer Theophrastus vnd seine Eltern gewesen, wo sie gelebt vnd gestorben, vnd was er verlassen. Vormals nie in truck geben ... Getruckt zue Straßburg durch Christian Müller 1574. 8°. [28 Bll.] – – Später wurde es auch von Ch. G. von Murr [Neues Journal zur Literatur und Kunftgesch. II. Lpzg. 1799. 8°. S. 262-278], M. B. Lessing [Paracelsus, sein Leben und Denken. Berlin 1839. 8°. S. 235-242] und in jüngster Zeit von Raymund Netzhammer [Th. Paracelsus; Einsiedeln 1901, Anhang] abgedruckt. und dem ehemaligen Bekannten Hohenheims »Gorgen Vetter, Pfarrher zue Beruelden« zugeeignet.

s,u,

VI.Paracelsus im späteren Lebensalter. Stich [4°] mit dem Monogramm AH von Augustin Hirschvogel aus d. J. 1540. Überschrift: Alterius. Non sit qvi svvs esse potest. Der Text der Schrifttafel an der Brüstung lautet: (wörtlich)

Efigies Avreoli Theophrasti ab Hohen:
heim sve ætatis 47
omne donvm perfectvm a Deo
inperfectum a diabolo
15 AH 40

Das Testament ist das Letzte, was Hohenheims Geist uns hinterlassen. Allerdings nicht mehr eine Ausdrucksform des kraftmächtigen Polemikers der Baseler Tage, viel ist müde und welk geworden, müde und mürbe vom wehvollen Leben am »pflug der nahrung«, welk von der Vereinsamung und dem unaufhaltsam »täglich widerpellen vnnd scharpffreden von wegen der warheyt« ... Nochmals lesen wir, wie der sterbende, arme Arzt der liebsten Brüder und Freunde seines Lebens gedenkt, der »armen Menschen vor der Kirchen« denen man »einen Pfennig auf die Hand geben soll« und in » allen anderen seinen nachgelassnen haab vnnd Gütern Instituirt / setzt und benennt Er in gemain zu seinen Erben / Arm / Elend / dürfftig Leuth / die dan kain Pfründ noch andere fürsehung haben / denen vnd vnter dieselben sollen nachbenennt seine Testamentarij solch vberpleibendt haab und guot / jhrer gwissen vnd guotbeduncken nach trewlicher verspenden vnnd außthailen / Auch darinnen weder gonst noch vngonst / Sonder allein die notturfft vnd gebrechen derselbigen Armen Personen ansehen ...« Am 24. September 1541 ist Theophrastus von Hohenheim im Alter von achtundvierzig Jahren zu Salzburg gestorben: im Mittag seines einsamen Weges » vitam cum morte mutavit«. Arm, von dem Drangsal des Alltags verschüttet, erlosch das wunderliche und große Leben. Leider hat auch dieses hervorragenden Mannes Ende ein Kranz mehr oder minder geschmackloser und alberner Sagen umgeben. Ich übergehe sie insgesamt.

Ein auffallendes Zusammentreffen: wenige Tage vorher – am 1. September – war Calvin als religiöser Reformator, siegreich, in die Stadt Hohenheims alten Vaterlandes, Genf, eingezogen.

Nicht sollte aber schweizerische Erde ihren eigenen Sohn aufnehmen, der auch ein Reformator und Wegbereiter war, ja, wohl ihr größter und mißverstandenster. Die Beerdigung erfolgte in Salzburg am Friedhofe zu St. Sebastian. Das Epitaphium Vgl. das vorzügliche Buch von Aberle, Grabdenkmal, Schädel und Abbildungen des Theophrastus Paracelsus. Salzburg 1891. der Steinplatte mit dem unten befindlichen Wappen der Bombaste und dem Spruch pax vivis requies aeterna sepultis lautet [ wörtlich]:

Conditur hic Philippus
Theophrastus insignis
Medicine doctor. Qui
dira illa Vvlnera . Lepram
podagram hydroposim
aliaq insanabilia cor-
poris contagia . Mirifica
arte sustulit . Ac bona
sua in pauperes distri-
buenda collocandaq
honeravit anno M . D
XXXXI die XXIIII septe-
mbris vitam cum morte
mutavit.

Eigentlich könnte hiermit das äußere Lebensbild Hohenheims – soweit es eben für unseren knappen Umriß in Betracht kommt – abgeschlossen werden. Doch wie es uns im Vorgehenden stets als ganz wesentlich erschien, wo nur auch immer angängig seine eigenen Worte und die ursprüngliche Ausdrucksform des Gedankens in den Gang der Schilderung einzusetzen, so dürften zusammenfassende, aus Hohenheims Jahren 1532-1535 [und auch später] herrührende »Bekenntnisse« ein nicht unpassendes Schlußglied bilden. In der Tat »Bekenntnisse« die silberhell aus seiner wundersamen Seele hervorquellen, aus jener Seele von Kraft, Weichheit und Anmut! Wir meinen den weiteren Kreisen so gut wie unbekannten » Prologus Totius Operis Christianae Vitae« [Aus: » De Secretis Secretorum Theologiae«] des erst kürzlich von Sudhoff Kritik d. Echtheit Paracels. Schriften II. Bd. S. 406-409. Durch Sperrungen versuchten wir, uns besonders bedeutsam erscheinende Stellen hervorzuheben. erschlossenen Codex Vossianus Chymicus in Folio [Nr. 25] zu Leiden. Die für das Verständnis des ganzen Paracelsischen Lebenswerkes geradezu grundlegende Aussprache möge zu unseren weiteren Darlegungen über das persönlich Eigenartige an ihm gleichsam überleiten. Auch die Abfassungsgeschichte seines theologischen Schrifttums wird uns dadurch in den inneren Prinzipien klarsichtiger.

Und die religiöse Publizistik birgt doch die Geschichte seiner Seele.

»Alls ich mir fürgenomben hab. zuschreyben. Von dem seeligen leben Christliches Glaubens. hat mir. ohn dieße Vorredt nit gepürt etwz ymselbigen anzuzaygen. Darumb Ich mir. dieße Vorrede. In das seelige leben. christlicher wandlung zum ersten zubeschreyben. fürgenomben habe. Dann damit ich mich am ersten entledige meines auffzugs. vnnd verlengerung deß schreybens yn diesem werckh. Inn dem ich nun yn die. 20. Jar angefangen vnd gearbeit habe. warumb ich allso lanng verzogen, vnnd mich gesaumbtt hab. Ist ohn vrsach nit geschehen. Aine ist die. das die Jugend nit soll für der Zeyt auffgehn. vnnd nichtz soll für seiner Zeyt herfür brechen. sonder der stundt erwartten. Inn dz wir alle gehnt.

Zum anderen. nit allein mein Jugent. Sonder auch. das mich anndere sachen meiner Facultet abgehalten haben. Alls die Astronomey. vnnd auch die Medicin. vnnd die werckh der Philosophey auch beschryben würden. das ist. was da antrifft dz liecht der Nattur. vnnd lasße ein spähtern herpst fallen zu der h. geschrifft. damit dieselbig wol zeyttig werdt. Byß yn das endt damit verzogen. vnnd das weniger zuuor abgefertigt. Das seindt zwo vrsachen. Die mich etwz vasst geursachtt haben.

Nit allein aber. das yn den die hindterung gestandten sey. Sonder yn dem vyl mehr. Das ich yn grosser armuth erzogen vnnd auffgewachsen bin. dz meines vermügens nit geweßen. meinem gefallen nach zu handlen.

Vnnd so ich gleych wol geferttiget gewesen were. So seindt yn meinen sachen. haimlichen vnd offentlichen. vyl widerwerttigkheit zugestandten. Die allein auff mein rugkhen gelegen seindt. |: vnnd nyemandts ist da geweßen. der mir hett ruckhen vnd schyrm gehallten. Dann die vyl seltzam ahrt der menschen. hat mich schwerlich veryagt. vnnd getadelt. gehinndert. vnnd ohnwerdt gemacht. Das ich nit vil ansehen gehabt hab. für den menschen. sonder verachtung. Dann mein Zungen ist zum schwätzen nit gericht. Sonder allein zun werckhen. vnd warheit. Das hat die vrsach geben. dz ich bey den Logicis. Dialecticis. yn der Artzney. vnnd Philosophey. vnnd Astronomey. nichtz hab gollten .|. Auch yr brachtt. pomp. vnd schöne redt bey den Fürsten höuen. vnnd für den reychen. Den ich gar nit gleich gewesen bin. Allso verlasßen blyeben bin .|: So hat mich auch groß gepeiniget. der pflug meiner nahrung. Inn der Astronomey. Inn dem. das sye ahn yr selbst nitt gültig ist .|. die Artzney dergleychen. yn dem. dz sie die gnadt yn krannckhen nit allen hatt. In der Philosophey dergleychen. Inn dem. dz sie spöttig gehalten wirdt. wann In dem allem ist die welt nit zu gewynnen. Alls yn khauffmanschätz vnnd höfischen geberden .|. Das ist mir ein creütz geweßen. vnd noch byß auff die stundt ...

Noch ist dz alles das wenigst geweßen. yber das. dz ich anderen hab gutts bewysen .|. vnd hett ein schloß auff sye gepawen .|. am wenigsten. yn werttschafft eins Stäins gewesen seindt .|. vnnd yber alles das. dz ich erzelt hab. das dann der wenigste theyl ist. der mehrer ist groß. dz ich yn nit beschreyben mag. dz ist die grösseste vrsach. die mich gehindert hatt zuschreyben .|: dz ich nitt für ein volmächtigen christen bin geachtet worden. dz mich hardt betrüebdt hatt.

Dan dieweyl ich bin ein creatur Gottes. erlößet mit seinem blut. Damit gespeyßet vnnd getrinckht. ynn die New gepurt. hatt mich dz für gnug angesehen. ein vollmächtiger christ zu sein .|. Sonder mir ist entgegen gestandten. ein anderer hauff. vnnd reych. Der da gesagt. Du. Alls ein Lay, Alls ein paur, Alls ein gemain Mann, Solt von den dingen nit reden. wz die h. geschrifft antryfft. Sonder vnns zuhören .|. was wir dir sagen. dabey bleyben. vnnd khein anderen solltu hören. oder leßen. Dann allein vnns .|. Diese wie auch folgende Gedanken berühren eine harte Polemik mit kirchentheologischen Kreisen. Der Ton einer unsagbaren Verbitterung klingt immer wieder durch. Nun dieweyl ich dermasßen In ein fryst getryben worden bin. hab ich mich nit vasst mügen rhüeren. Dann sie warent groß für der welt .|. hab es müesßen gedulden .|. Alls einer der vndter der stiegen hat müesßen ligen. Jedoch aber. So ich geleßen hab den eckhstein der christenheit. vnnd hab gehört der andern predigt vnnd disputationes. so ist es gegen einander geweßen wie ein Müller vnnd Köhler. Ist mir nun von nötten geweßen. vnnd augenscheynlich. Das ich mehr soll die warheit. dann die Lügen annemben. Mehr die gerechtigkheit. dann die vngerechtigkeit. Mehr das liecht dann die finsternus :|: Mehr Christum dann Sathanam .|. Da ich die vndterschaidt gesehen hab, hab ich den gegentheyl ohn widerredt. lasßen bleyben .|. den christlichen eckhstein für mich genomben. Da ich denn gefundten hab. das ym Layen. In dem gemäinen Mann .|. Im paurn. (. wie sie dann am schmächlichsten. yren gegentheil schmähen khönnen mit namen.). die vohlkombenheyt. Christlichs seeligs lebens. am mehresten wohnet, Bey den andern gar nichtz .|. Ihn dem hab ich angefanngen zuschreyben. die warheyt der Christlichen wohnung. Da ich nun vollendet hab yn demselben schreyben .|. vil mit Hoffnung wol beschlosßen. Da ist eingerysßen die Zerthrenung deß reichs dieser welt. So yetzt ist .|. Hab ich ein Auffzug genomben. vnnd ein stillstanndt. Verzogen byß auff ein andere ärndt vnd Herbst. Das mich dann yetzt für gut hat angesehen. Das endt zu geben. Das ist; die frucht deß samens. der ye und ye ym anfanng geweßen ist. bey mir. vnnd allso mit dießen Buchern beschließen.

Allso hab ich nun beschlossen zusamben yn ein werckh. dz wesen der Christen zu dem seeligen leben .|. vnnd dz weßen dern Christen zu dem vnseeligen leben dergleychen. Dann dieweyl zwen weg vndter den Christen seindt. die gehn himmel. fürgehalten werden. So ist der ein gerecht. der ander vngerecht. Darumb. damit der gerechte den vngerechten erkhendt. vnd der vngerechte den gerechten .|. hat mich für billich angesehen. sie beyde für zu halten .|. Vnnd alles das. so yn dz seelige leben vnnd yn dz vnseelige leben antryfft ....

Die ynn dem vnseeligen leben. seindt groß. seindt hochmüettig. Sie habent die wellt, Sye ist yr. Sie seindt kinder deß lichts der welt .|: Die seeligen aber. die habent nitt die welt. sonder sie haben Ihr reych nit von dieser welt. Sonder von dem ewigen. vnnd bey dem ewigen. wo yr zwen bey ein ander seindt. von dem seeligen leben. da ist Christus der dridte. Das ist die reychthumb yn dieser welt. die sie habendt .|. Vnnd wiewol der theyl. So wider mich seindt. mich hoch gehindert; hat doch nit geschmückt. wz yn meiner federn geweßen ist. Mein mundt hab ich zugehallten. damit mir das wetter. vnnd der Donder nit ynn ackher schlüge. Darmit hab ichs hindurch bracht. byß auff die Zeyt. vnnd hab mich nit bekhümbert vmb sie. Mit gemäinen leüten gesellschafft gehalten. deren sye sych geschämbt haben. vnnd mich dadurch verachtet. Das ist mein fürderung geweßen zu dießer arbeyt :|:

Damit hab ich diß mein Buch. Zu dem seeligen leben angefanngen zum ersten zue beschreyben den vnseeligen darnach den seeligen. Mit den vnseeligen fahe ich ahn. Vnnd beschleuß Im seeligen .|. das seindt meine Tragaediae vnnd ist das die vrsach. dz gut vnnd böß bey einander stehet. damit volkhombene erkhandtnus darauß gnomben werdt. vnnd weitter. Dieweyl das ansehnlicher allemal für gehet. hab ichs auch zum anfanng genomben. Vnnd dieweyl das vnansehenlicher hernach gehet. hab ichs hernach gesetzt. Dann zwen Gott seindt vndter den Christen. Der Gott. vnnd der Abgott. der In Abgott sündet. der wirdt gestrafft. bey schwerer peen. Der yn Gott sündet. der ist. vnd wirdt nit geschmächt .|. Nun ist der Abgott der weg deß vnseeligen lebens .|. Gott ist deßs seeligen lebens der weg .|. yedoch der vnseelige gühlt auff erdten. Der seelige nichtz> .|. Also muß mit gedultigkheytt. vnnd mit dem Creütz der seelige sein Leben verschließen hie auff dieser welt. vnnd sich gar nichtz hie auff erdten vertrössten. denn yamer vnnd not. vnnd bey den vnseeligen freudt vnnd aller wollust .|. Allso volgen nun auff sollches hernach die ersten eingänng meines fürnembens. von den vnseeligen zuschreyben. vnnd dasselbige yhn dieser vorredt zu endten, vor dem Anfanng deß haubtpuchs. Damit yr erlichs theyls In dem vndterrichtet werden. wz der grundt sey der vnseeligen. vnnd wie sye seindt. vnnd dz sollches auff die redt christj gegründet. vnnd yn sie beschloßen. Auß yr genomben .|. vnnd wie der geyst wider gehet zu dem der In beschaffen hat. Also gehet auch wider dz endt meiner geschrifft auß dem es gangen ist ...«

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