Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Ballade von einem netten kleinen Barbier

*

Er war, wie ich, sagt man, ein Bösewicht.
Ich aber sage euch: das gibt es nicht,
daß noch ein andrer so berühmt sein kann
wie ich. Ihr tut ihm Unrecht, dem Barbier.
Er war in jedem Fall ein Edelmann
und gab statt drei Dukaten, lieber vier,
wenn er an einem Mädchen seine Freude fand,
der kleine Herr Ranunkel aus Brabant.

In seiner Jugend hatte er nur das,
was er beim Baden sah im Spiegelglas.
Im Sommer war der Wald sein Nachtgemahl,
und nährte ihn mit Wurzelwerk und Tau.
Und auch im Winter war es ihm egal,
ob er im Fuchsloch oder Ziegelbau
für seinen Kopf ein warmes Lager fand,
der kleine Herr Ranunkel aus Brabant.

An einem breiten Fluß sah er ein Schiff
gestrandet wie auf einem Felsenriff.
Er hat es flott gemacht und wollte gleich
ins weite Meer hinaus, und fand sie nie,
die grüne Insel auf dem großen Teich,
nur Wind, der wild nach seinem Leben schrie,
weil er den Kniff beim Segeln nicht verstand,
der kleine Herr Ranunkel aus Brabant.

Auch das erfuhr er früh, daß in der Stadt
nicht jeder gleich ein stolzes Reitpferd hat.
Da wurde er der letzte Knecht im Stall
und hat sich den Betrieb erst angesehn,
und konnte gleich dem ersten Sündenfall
in seiner armen Haut nicht widerstehn,
weil er das Stehlen ganz natürlich fand,
der kleine Herr Ranunkel aus Brabant.

Und als er immer kühner wurde, und
auch mit dem Messer stach, der freche Hund,
hat ihn der Club zum Hauptmann auserwählt.
Da war er im lateinischen Quartier
wohl nur zum Schein ein hurtiger Barbier
und hat die Männer alle abgekehlt,
die man am Fluß mit leerer Tasche fand,
der kleine Herr Ranunkel aus Brabant.

Und als er seinen Lohn dafür bekam,
und hängen sollt am Platz von Notre-Dame:
da haben sich die Frauen aus der Stadt
zum Bürgermeister auf den Weg gemacht
und taten schließlich auch das Feigenblatt
noch ab, und sagten, daß er jede Nacht
bei ihnen war, der da beim Henker stand,
der kleine Herr Ranunkel aus Brabant.

Da hat der Rat ihm nur das Fleisch verbrannt
mit einem Schimpf, und in den Wald verbannt.
Und wenn ihr glaubt, daß er schon längst vor Qual
verhungert ist, habt ihr noch immer nicht
gemerkt, daß man im Wald auch ohne Licht
die Haselnüsse pflücken kann, zumal
er diese Liebe noch viel schöner fand,
der kleine Herr Ranunkel aus Brabant.


 << zurück weiter >>