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IV.
Das Delirium der Erde.

Seit zwei Jahren war Erwin mit seiner Marie durch des Priesters Segen verbunden. Ein gesundes Knäblein lag in der Wiege; es hatte das Licht der Welt noch in seiner ganzen Herrlichkeit gesehen. Glückstrahlend hatte es die Mutter der Ahnfrau in den Arm gelegt, und diese vergaß beim Anblicke ihres Urenkelkindes alle Schrecken und Drangsale der vergangenen Monate. Ja, es zog sogar ein Gefühl des Friedens und der Beruhigung durch die Brust, als sie in die unschuldigen Kinderaugen blickte, die ihren Anteil an der Schönheit und den Freuden dieser Welt zu fordern schienen. War er doch auch ein berechtigter Erbe alles dessen, was die Menschheit auf ihrer vieltausendjährigem Wanderschaft im Schweiße ihres Angesichtes erkämpft und errungen Halle – vielleicht der letzte Erbe einer tausendjährigen Kultur. Alles, was da war und entstand und sich entwickelt, was in Millionen Gehirnen zur Erkenntnis oder zur künstlerischen Ausgestaltung drängte, war mit den Kindern dieser Epoche abgeschlossen, zu ewigem Stillstand verdammt – das ungeheuere Erbe ein nutzloses Spielzeug in der Hand eines lallenden Kindes!

Doch diese Erwägungen vermochten in den Eltern und Großeltern die Freude an dem Seienden nicht zu verkümmern. Auch die Vögel bauten ihre Nester, und der Baum vor dem Hause setzte Blüte an Blüte, ja, es schien, als ob sich der Lebensdrang aller Kreatur verzehnfacht hätte, als ob sich alles, was da noch im dumpfen Entfaltungsdrange schlummerte, zum letzten Appell hervordrängen wollte. – –

Denn die Sonne schien noch warm; aber allmählich wurde es den Erdenkindern zur traurigen Gewißheit, daß die Lebensweckerin und Allerhalterin verblaßte, daß die große Wärmespenderin mit ihren Gaben immer haushälterischer wurde. Der gewaltthätige Begleiter unserer Erde hatte nicht die Absicht, sich in unserem Sonnendistrikte häuslich einzurichten; er strebte vielmehr darnach, seine Gesponsin, die Erde, auf seinem freien, ungebundenen Wanderleben im Weltenraume mitzunehmen. So leicht ging dies allerdings nicht; denn die Erde leistete, dem Trieb der Selbsterhaltung folgend, mit den ihr innewohnenden Urkräften mächtigen Widerstand. Aus diesem Kräftespiel ergab sich aber doch der endgiltige Sieg des gewaltigen Gestirns. Die Erde wurde aus ihrer Bahn gedrängt und bewegte sich nicht mehr in einer elliptoiden Linie, sondern in der Form einer aufgerollten Spirale um die Sonne, wobei sie sich von ihrer Lebensspenderin immer mehr entfernte. Mit der Entfernung nahm auch die Wärmemenge ab, und von da an machte der Erkaltungsprozeß der Erde mit mathematischer Genauigkeit seinen Fortschritt. Auch das Licht der Sonne nahm bedeutend ab, und selbst um die Mittagszeit waren ihre Strahlen matt und glanzlos, als ob sie durch eine Wolkenschichte abgeschwächt würden. Das Aussehen der Menschen und Dinge wurde dadurch in unheimlicher Weise beeinflußt; die Blätter der Bäume und Sträucher, sowie das Gras der Wiesen verloren ihre grüne Farbe. Der Buchenwald zeigte ein mattes Grau wie das Olivenlaub, und die Wiesenflächen waren anzusehen, als ob eine dichte Staubschichte darüber lagerte; der Farbenschmelz der Blüten und Blumen war verschwunden, und selbst der Menschen Antlitz wurde aschfahl.

Der Abend zeigte statt des Mondes eine Anzahl hellleuchtender Klümpchen, die über einen großen Teil des Firmamentes ausgebreitet waren. Das waren die Trümmer des einstigen treuen Begleiters unserer Erde. In immer engeren Bahnen umkreisten diese Trümmer die Erde; denn je mehr sich diese von der Sonne entfernte, desto größer wurde die Anziehungskraft, die sie auf die kosmischen Körper ihrer Umgebung ausübte. Zuletzt stürzten einzelne dieser Trümmer auf die Erde nieder und erzeugten Katastrophen, gegen die alle Elementar-Ereignisse, welche die Erdgeschichte kennt, unbedeutende Erscheinungen waren. Der erste dieser Mondpartikel fiel in den indischen Ocean. Obwohl es nur ein verschwindend kleiner Teil des ehemaligen Erdtrabanten war, so erzitterte doch die ganze Erde in ihren Grundfesten. Die ungeheuere Welle, welche der Einschlag des in den Ocean eindringenden Körpers verursachte, riß alles mit sich fort, was in den Bereich ihrer verheerenden Wirkung kam. Bergehoch stürmte sie gegen das Festland, überschwemmte in wenigen Stunden Ostindien, die Sunda-Inseln, Malakka und machte erst vor der gewaltigen Felsenmauer des Himalaya Halt. Vor dieser Sintflut gab es keine Flucht, keine Rettung. Tausendjährige Kulturen wurden in wenigen Stunden vernichtet, alles Lebende ertrank, volkreiche Städte waren nach dem Rücktritt der Wasser versandete und verschlammte Trümmerhaufen – die Wiege der Menschheit ein ungeheueres Leichenfeld! Durch das Eindringen des kosmischen Körpers wurden die vulkanischen Kräfte des Erdinneren rege. Über die ganze Erdrinde pflanzten sich die Erschütterungen fort, zahllose Städte und Ortschaften lagen in Schutt und die Bewohner unter ihren Trümmern begraben. An tausend Orten öffneten sich Feuerschlünde, die ihre glühende, zähflüssige Lava nach allen Seiten ergossen. War die Menschheit schon durch die veränderte Mischung der Atmosphäre decimiert worden, so schrumpfte ihre Zahl noch mehr zusammen durch die eben geschilderten ungeheueren Verheerungen, welche die aufrührerischen Elemente verursachten. Viele raffte der Schreck dahin – andere aber trotzten mutig allen Ereignissen. Den Tod als etwas Selbstverständliches erwartend, waren ihre Nerven gestählt gegen die entsetzlichen Phänomene, welche sie in fast ununterbrochener Folge erleben mußten. Ja, ein gigantischer Trotz erfüllte die Überlebenden, und nur zwei Triebe arbeiteten mächtig in ihnen. Sie wollten bis in die denkbar letzten Phasen das ungeheuer erhabene Schauspiel einer sterbenden Welt als letzte Zuschauer ansehen, und sie wollten die Spuren ihres Daseins diesem durch endlose Räume fliehenden Leichenfelde eingraben – denn ihre letzte Hoffnung gaben sie nicht auf, daß nach Jahrtausenden vielleicht neues Leben auf der alten Erde grünen würde. Dann sollten die Monumente, welche sie errichten wollten, von einer versunkenen Welt erzählen. – So flackerte der Erhaltungstrieb der Gattung noch einmal auf und spannte die Muskeln und Nerven her letzten Menschen, die inzwischen alles Grauen verlernt hatten, zu unerhörten Leistungen au. Es galt zunächst, Licht und Wärme, die in konstanter Abnahme begriffen waren, künstlich zu ersetzen.

In letzter Stunde sozusagen wurde noch eine vereinfachte Methode entdeckt, das Wasser in seine beiden Elemente, Wasserstoff und Sauerstoff, zu zerlegen und die weißglühende Flamme des Wasserstoffes durch den Sauerstoff zur höchsten Licht- und Wärmeleistung anzustacheln. Ungeheuere Wärmehäuser von meilenweiter Ausdehnung wurden errichtet und Gewächse aller Art durch dieses künstliche Mittel zum Wachsen und Früchtetragen gebracht. Von den früheren, fabelhaft üppigen Ernten waren unermeßliche Vorräte aufgespeichert, und da die Menschenzahl auf einen geringen Prozentteil ihrer früheren Größe zusammengeschmolzen war, so gab es für die Überlebenden keine Sorge ums tägliche Brot. Mit fieberhafter Anstrengung arbeitete alles daran, durch gewaltige Bauten aus Metall und Granit unverwüstliche Spuren zu hinterlassen und durch die von Künstlerhand gemeißelten Darstellungen des verflossenen Kulturzustandes der allen Erde einen Geleitbrief mitzugeben für das dereinst wieder erwachende Leben. Man kehrte wieder zur Pyramide der alten Ägypter, als der einfachsten und dauerhaftesten Bauform, zurück; aber die vorgeschrittene Technik erlaubte die Konstruktion von Gebäuden mit gigantischen Formen. Das Innere dieser gewaltigen Pyramiden, deren Spitzen die Höhe des Eifelturmes überragten, wurde zu Museen alles dessen umgewandelt, was die Erde von ihrer ersten Jugend an bis zu ihren Sterbetagen hervorgebracht hatte. Da gab es ein ethnographisches, ein naturhistorisches, ein kunsthistorisches Museum; die eine Pyramide beherbergte in ihrem Innern eine ungeheuere Bibliothek, welche ein Kompendium des gesamten Wissens der Menschheit enthielt, eine andere Pyramide enthielt die dichterische Arbeit des Menschengeistes von Homer und Kalidasa angefangen bis auf die modernen Geister von der » fin du siècle«.

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In den Marmorbergen von Carrara herrschte ein reges Leben; alle Nationen der Erde waren vereinigt, um, unterstützt von den vorgeschrittenen Mitteln der Technik, ein unerhört kühnes Werk zu schaffen. Einer der Berggipfel wurde an Ort und Stelle durch Dynamitsprengungen und durch die Arbeit ungeheuerer Bohrmaschinen in ein gigantisches Kunstwerk umgewandelt. Die Nationen Europas hatten sich geeinigt, aus dem Marmorberge die Züge Goethes herauszumeißeln, den man körperlich wie geistig als die vollendetste Verkörperung des Menschheitstypus erklärt hatte. So lange die Berge stehen und die Krisen der fieberdurchglühten Erde überdauern, wird auch sein Antlitz dem neuen Leben entgegenleuchten und sein Götterauge den Abglanz einstiger Menschengröße erkennen lassen.

Das alles und viel mehr, dessen Aufzählung Bände füllen würde, wurde in fieberhafter Hast vollendet; denn die Zeit war schon gemessen, in der die Menschheit noch in freier Luft verweilen konnte. Kalt und matt leuchteten die Strahlen der Sonne. Diese erschien dem Auge des Beobachters fast um die Hälfte kleiner. Es war ein Licht von der Intensität der Morgendämmerung. Die Erde war inzwischen dem Mars, der allnächtlich als leuchtende Scheibe von der vierfachen Größe des Mondes am Himmelsbogen aufstieg, in beträchtliche Nähe gekommen. In den letzten Wochen nahm die Distanz rapid ab, und die Fernrohre, welche sich nach dem ruhig in seinen Bahnen dahinrollenden Himmelsnachbar richteten, sahen erhabene, nie geahnte Wunder. Kontinente und Meere boten sich den erstaunten Blicken in größter Deutlichkeit dar, und mit der zunehmenden Annäherung gewahrte man die Spuren einer überaus reichen Kultur, die nur von intelligenten Geschöpfen hervorgebracht worden sein konnte. Mächtige, oft einige Meilen breite Meeresarme durchzogen die Kontinente; denn diese hatten weder Gebirge noch Flüsse. Die geradlinige Form der Meeresarme ließ darauf schließen, daß sie durch den Willen und die Arbeit von intelligenten Wesen entstanden waren.

Jetzt war die Distanz so gering, daß die größten Fernrohre die Landschaften den Mars bis auf wenige Kilometer Entfernung nahe bringen konnten. Man erblickte Riesenstädte mit Bauten von fabelhafter Größe und nie gesehenen Formen. Auf den Meeresarmen tummelten sich zahllose Schiffe und schwimmende Städte; phantastische Brücken überspannten in ungeheueren Bogen die mehrere Meilen breiten Kanäle, Hunderttausende von lebenden Geschöpfen standen auf freien Plätzen und auf den Plattformen der Gebäude und beobachteten die Erde, deren Erscheinungen und Kunstgebilde ihnen nicht minder wunderlich vorkommen mochten, wie uns die ihrigen. Sie bewegten sich wie wir; nur konnten sie sich auch nach Belieben in die Luft erheben und freischwebend, jedoch sehr langsam von einem Ort zum anderen gelangen. Sie waren entschieden höher organisiert als die Erdbewohner, was bei dem ungleich höheren Alter des Mars ja selbstverständlich ist. Man sah, sie suchten sich durch Zeichen mit den Erdbewohnern zu verständigen. Aus ungeheueren Reflektoren kamen Lichtzeichen hervor, die den Erdbewohnern erst nach langen Mühen verständlich wurden, trotzdem sie in der scharfsinnigsten Zeichensprache ausgedrückt waren. Man konnte übrigens daraus entnehmen, daß ihren höher entwickelten Sinnen die Erde und ihre Bewohner schon viel früher wahrnehmbar geworden waren, und daß sie ihre Versuche, sich mit den Erdbewohnern zu verständigen, schon oft wiederholt haben mußten. Die Gelehrten fanden endlich den Schlüssel zu dieser Zeichensprache. Die Bewohner der Mars entsendeten den irdischen Bewohnern brüderlichen Gruß und teilten ihnen mit, daß die Erde noch zehn Jahre lang sich von der Sonne entfernen würde, bis sie in die Nähe des Jupiters komme. Dieser gewaltige Planet werde den Kometen an seine Bahn fesseln; dadurch würde die Erde von ihrem gewaltthätigen Begleiter befreit und, ihre« alten Attraktionsgesetzen folgend, in umgekehrter Spirallinie in ihre frühere Bahn zurückkehren.

Diese Nachricht der Bewohner des Nachbargestirns übte auf die Erdbewohner eine zündende Wirkung aus. Also winkte dem Erdengeschlecht doch noch ein Hoffnungsschimmer! Ungeheuere Freudenfeuer wurden angezündet und in geometrische Linien gebracht, um den Bewohnern des Mars die Bestätigung zu geben, daß ihre Mitteilung verstanden wurde. Die Menschen, welche durch all die Heimsuchungen der letzten Zeit gegen alle Schrecken der Elemente abgestumpft waren, wurden durch diese Nachricht, die ihnen den Schimmer einer Hoffnung ließ, elektrisiert. In ihren Augen leuchtete, seit langer Zeit zum erstenmale, ein Funke der Freude auf, die Begegnenden tauschten Händedrücke oder fielen einander um den Hals und weinten Freudenthränen. Es war ja keine Rettung für sie; denn die wenigen Millionen, welche die grauenvollen Umwälzungen noch verschont hatten, sie werden hinsiechen in der jahrelangen Nacht, in der Öde der ungeheueren Eiswüste – –

Aber eine kleine Zahl – vielleicht ein einziges Paar wird den allgemeinen Zusammenbruch überdauern, und ein neues Sonnengeschlecht wird erstehen, das mit weiser Ausnützung der großen Hinterlassenschaft seiner Ahnen neuen, erhabenen Zielen der Vollendung entgegenstrebt. –

Das ganze Interesse der Erdenbewohner konzentrierte sich jetzt auf die Beobachtung des Mars, dessen Riesenscheibe schon dem unbewaffneten Auge reiches Beobachtungsmaterial bot. Durch das Fernrohr angesehen, zeigte sie aber einen überwältigenden Anblick – eine wunderbar organisierte Welt, neuartig, seltsam, fremdartig gebildet, aber höher, kunstvoller, glücklicher gestattet als das Leben unserer Erde – die Lebewelt des Mars zeigte den Erdbewohnern das entzückende Bild ihrer eigenen Zukunft. Der um vieles ältere Bruder im Planetensystem hatte schon seit vielen Jahrtausenden eine hohe Stufe der Entwicklung seiner Lebewelt erreicht. Das Ideal, dem alle Erdenbewohner in heißer Sehnsucht zugestrebt, schien in jener glücklicheren Welt schon seit laugen, laugen Zeiträumen verwirklicht zu sein.

Die Zeichensprache, welche durch Aneinanderreihen von riesigen Reflektoren mit buntfarbigen Lichtern bewerkstelligt wurde, war bald derart ausgebildet, daß die Erdbewohner größere Mitteilungen über die Lebewelt auf dem Brudergestirn empfangen konnten.

Zunächst erfuhren sie, daß die Bewohner des Mars durch die viel vollendeteren optischen Instrumente und durch andere photo-elektrische Hilfsmittel schon seit Jahrtausenden in der Lage waren, die Erde und ihre Bewohner aufs eingehendste zu studieren. Da ihre hochentwickelte Kultur auf Jahrtausende hinter unsere Zeitrechnung zurückreichte, so war die Beobachtung der Vorgänge auf unserer Erde die denkbar vollkommenste. In den bis auf das 15. Jahrtausend zurückreichenden Aufzeichnungen der Marsastronomen und seiner Himmelshistoriographen war jedes Ereignis, das sich auf der Erde während dieses Zeitraumes zugetragen, verzeichnet. Mit innigster Teilnahme verfolgten die Marsbewohner die Kämpfe und Umwälzungen, die blutigen Schlachten und grimmen Verfolgungen und all die unsäglich verhängnisvollen Irrtümer, in denen die Erdenkinder befangen waren. Wie oft versuchten die Marsbewohner, ihre Weltenbrüder aus diesem unheilvollen Taumel der Verblendung und der Vorurteile herauszureißen – alle Versuche, Nachrichten auf die Erde gelangen zu lassen, scheiterten an den stumpfen Sinnen und den unvollkommenen Beobachtungswerkzeugen ihrer Bewohner.

Es ist unfaßbar für unser Vorstellungsvermögen, daß die Marsbewohner schon vor Jahrtausenden die Inschriften der Pyramiden lasen und entzifferten, daß sie unsere Baustile kannten, und Abbildungen der Erdbewohner in dem Anschauungsunterricht der Marsjugend eine große Rolle spielten; denn der physische und gesellschaftliche Zustand der Erdbewohner war für sie ein Spiegelbild einer längst entschwundenen, uralten Entwicklungsepoche und zugleich ein warnendes Beispiel der verhängnißvollen Folgen eines Rückfalles in längst überwundene, barbarische Zeiten.

Das goldene Zeitalter der höchsten Entfaltung aller Tugenden der Sitte und Nächstenliebe und damit die Empfindung eines harmonischen Glücksgefühls, ein Zustand, den sich die Erdbewohner in ihren schönsten Phantasten ausgemalt, war dort oben auf dem Mars seit langen Zeiten stabilisiert.

Nach den Mitteilungen der Marsbewohner gab es dort in Folge der hochentwickelten Erkenntnis der Natur und ihrer geheimsten Wirkenskräfte, keine Gegensätze, keinen Kampf und Streit. Die Erkenntnis des höchsten Wesens und die Erforschung seiner erhabenen Eigenschaften führte zu einem abgeklärten, hehren, über alle kleinlichen Vorstellungen erhabenen Gottesbegriff, daß der Zweifel verstummte und die dogmatischen Haarspaltereien der Sekten gegenstandslos wurden. Über ihre Gesellschaftsordnung berichteten sie in den folgenden lapidaren Sätzen:

Jeder Marsbürger ist vollberechtigter Erbe alles dessen, was die Marsoberfläche mit dem befruchtenden Sonnenstrahl hervorbringt, und alles dessen, was die vorangegangenen Geschlechter den Epigonen hinterlassen haben, also des gesamten geistigen und materiellen Besitztums. Die befruchtende Sonne und die gebärende Scholle haben ihre Gaben gleichmäßig verteil, und jeder Marsgeborene ist Mitherr und Mitgenießer dieser Gaben. – Da alle Marsbewohner Brüder und Schwestern sind, aus denselben Elementen hervorgegangen und an denselben Stern gebunden, so giebt es auch keinen anderen Unterschied zwischen ihnen als den des Alters und der hervorragenden Kenntnisse.

Diese Grundgesetze der Gesellschaft sind jedem Marsbewohner eingeboren, wie der Glaube an ein höchstes, allerhaltendes, unendlich gütiges Wesen, das sich in allem Leben offenbart und das zu lieben das einzige Gebot der Marsbürger ist. Das Ganze und das Einzelne ist aber ein Einziges, und alle Wandlungen sind nur Schein, welche den Kern der Sache nicht treffen. Die Marsbewohner werden zwar geboren und sterben; aber sie erneuern sich immer wieder; sie verlieren ihr Ich, verändern aber nur die Form, um am Urwesen aller Dinge weiterzuleben und weiterzubauen. Deshalb erscheint ihnen der andere als ihr eigenes Selbst, das nur dem ewigen Erscheinungswechsel unterworfen ist. Du bist in allem, und alles ist in dir. Dein kleines Ich ist nur ein Tropfen, der von der Welle des Lebens für kurze Augenblicke emporgeschleudert wird aus dem ewigen Meere des Seins. Nicht länger dauert diese Trennung, als der Tropfen braucht, um wieder in den Ozean zurückzufallen. So sind die Marsbewohner mit ihrem Gotte eins, und so find sie mit ihrem Nächsten eins. Ihr Ethos, ihr Sittengesetz baut sich auf dieser festen Grundlage auf: alles Lebende ist ein einziges Wesen, und alle Erscheinungen sind Teile dieses Wesens. Die Glückseligkeit besteht darin, dieses Urwesen aller Dinge von Schmerzes zu befreien. Wie ist das anders möglich, als daß alle lebenden Wesen von Schmerzen frei sind! Ich muß also für den anderen sorgen und ihn lieben, um mich selbst zu befreien; denn dieser andere bin ja ich in millionenfacher Wiederholung. Jeder einzelne ist nur ein kleiner Glied der großen Körpers, und all der unsägliche Jammer, welcher die Organe dieses Körpers trifft, wird auch von uns empfunden, wenn wir eingehen in das ewige Leben, d. h. wenn unsere. Einzelexistenz erlischt. Das dunkle Gefühl des Mitleids deutet darauf hin, daß wir mit unbekannten höheren Organen zusammenhängen mit dem großen Werden und Vergehen außer uns.

Die tausendjährige Aufgabe der Marsbewohner bestand darin, den anderen von Schmerz zu erlösen. Die Naturwissenschaften lieferten die Mittel, die Körper der Marsbewohner immer mehr zu vervollkommnen, die Krankheiten aus der Welt zu schaffen, die physische Kraft und das Wohlbefinden, sowie die Schönheit des Körpers zur höchsten Entfaltung zu bringen. Es giebt auf dem Mars keine Krankheiten mehr. Die Bürger des Mars werden hundert Marsjahre alt, das ist fast zweihundert Erdenjahre; dann stumpfen sich ihre Sinne ab, ihr Interesse am Dasein erlischt, und. im heiteren Kreise der aufblühenden Jugend, umgeben von liebenden Verwandten, verdämmert ihr Einzelleben in das große, flutende Meer alles Seins. –

Die hohe Vollendung der Maschinentechnik, die Ausnützung des Lichtes, der Elektrizität und des Magnetismus haben die körperliche Arbeit der Marsbewohner auf ein Minimum reduziert. Zehn Marsjahre hat jeder Marsbürger zu arbeiten oder zu dienen, die zehn jugendkräftigsten Jahre seines Lebens; dann nimmt auch er teil an den Schätzen und Genüssen der Gesamtheit. – –

Mit unendlicher Sehnsucht blickten die Erdenbewohner zu dem glücklichen Gestirn hinauf, von dem ihnen solche Offenbarung kam. O könnten sie zurück, noch einmal zurück in ihr sonniges Paradies! Wie anders würden sie dann ihr Leben gestalten! In selbstloser Eintracht und Liebe würden sie mit den Gütern der Erde schalten, als Brüder und Schwestern würden sie wandeln Hand in Hand, wie im Garten Eden. Zu spät, zu spät! Sie hatten ihr Erbe verschwendet und ihr Leben vergeudet in Haß und Zänkereien – sie, die auf einem glücklichen Stern zur herrlichsten Lebensentfaltung, zur schönsten Eudämonie geboren waren! – – –

Nur wenige Tage dauerte die Nähe des herrlichen Gestirns und seiner edlen Bewohner. Mit Nimmersatten Blicken schauten die Erdenbewohner in diese harmonische Welt des Glückes und der höchstentwickelten Lebensfreude – dann mußte Abschied genommen werden. Wie zwei Schiffe befreundeter Nationen, die sich im Weltmeere begegnen und freundliche Grüße miteinander tauschen, segelten die beiden Welten aneinander vorüber. Mit unsäglicher Wehmut sahen die Erdbewohner, wie sich der Zwischenraum allmählich wieder zu vergrößern anfing. Auf Nimmerwiedersehen, Ihr edlen Brüder einer fremden Welt! so lautete das Lichtsignal, welches die Erdenkinder ihren glücklichen Freunden gaben. Auch auf dem Mars wurde eine starke Bewegung sichtbar. Signale flammten auf, die Kanäle erglänzten in blendendem Licht, und große Feuerkugeln, die in der Höhe zersprühten, formten sich zu Abschiedsworten! – Lautlos segelte der Stern vorüber. Kein Schall, keiner Stimme Laut drang zur Erde nieder. Aber die Herzen der Erdenkinder quollen über; denn sie fühlten den Strom der Liebe, der das All verbindet, herüberfluten, und süße Wehmut erfüllte ihr Gemüt. Ade – ade – Ihr Erdenkinder! so schien es ihnen herabzuklingen – ade, Ihr Brüder einer fremden Welt! Und eine wohlthuende Wärme durchströmte die Seele des Menschen. Wir sind verbunden mit dem All! Keine Vernichtung. Nicht nur die Menschen sind Brüder, nein, höhere Wesen anderer Gestirne nehmen teil an unserem Geschick und weinen ihren Weltenbrüdern Thränen nach! Ade – ade! Mählich verblaßten die Gegenstände auf dem Gestirn. Kleiner und kleiner wurden die Details, und bald vermochten auch die schärfsten Fernrohre nichts mehr zu unterscheiden als die Umrisse der Kontinente. –

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