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II.
Im fröhlichen Dresden und ernsteren Berlin

Von der Ernennung bis zum Eintreffen in Dresden vergehen noch einige Monate; erst am 4. November des Jahres 1801 kommt das junge Ehepaar Metternich in Dresden an. Es ist nicht gerade ein politisch weltbewegender Standort, doch ist diese Stadt immerhin interessant, weil sich von dem polnisch-sächsischen Königtum her dort immer noch große Familien aus Polen aufhalten und auch vielfach hohe Persönlichkeiten aus Rußland dorthin gelangen. Die einen, weil sie im Augenblick in Ungnade waren, die anderen um den Ereignissen im Westen näher zu sein, einiges darüber erfahren und weiterberichten zu können. Rußland liebt es in jener Zeit, solche Kundschafter auf Reisen zu schicken und nützt dazu auch mit Vorliebe schöne Frauen, die oft von girrenden Männern wichtige Dinge leichter in Erfahrung bringen, als so mancher geeichte und gelernte Diplomat. Trotzdem, weltentscheidende Politik wird in Dresden nicht gemacht und darum hat man den jungen Metternich zunächst dorthin gesandt, weil er da nicht viel verderben kann, wenn er sich als nicht geeignet erweisen sollte. Man will einmal beobachten, wie der junge Mann sich in der Stellung eines Gesandten benimmt und ihn auf diese Weise ausprobieren. So denkt zumindest der mächtige Graf Colloredo.

In Dresden herrscht damals Kurfürst Friedrich August III., dessen Bruder und Thronfolger Anton die Schwester des Kaisers Franz, Erzherzogin Marie Therese, zur Gattin erwählt hat. Demzufolge wird der junge Vertreter Österreichs bei dem Thronfolgerpaar ausnehmend herzlich aufgenommen und die Erzherzogin hat zudem ihre besondere Freude an dem eleganten und hübschen Kavalier, der heiter und lustig zu erzählen weiß und dabei doch als Gesandter ein würdevolles Auftreten zeigt. Nur findet die hohe Frau gleich von Anfang an, daß das Ehepaar sich scheinbar über viele Vorurteile hinwegsetzt und besonders Clemens für schöne Frauen trotz seiner jungen Ehe bemerkenswert hohes Interesse zeigt. Dazu ist viel Zeit und Gelegenheit, denn die Amtspflichten sind nicht allzu groß und die Berichte an die Staatskanzlei erfordern demgemäß nur wenig Zeitaufwand.

Um so mehr stürzt sich Clemens sofort mitten in das gesellschaftliche Leben und faßt vor allem gleich in der polnischen Kolonie festen Fuß. Damals weilt die Fürstin Isabella Czartoryska in Dresden, die Gemahlin des berühmten Fürsten Adam, der zeitlebens mit Sicherheit darauf gerechnet hatte, von seinen Landsleuten zum Könige erwählt zu werden. Dieser ungeheuer reiche polnische Magnat hatte wegen des von ihm im Jahre 1794 gegen Rußland erregten Aufstandes, der durch den General Suworow niedergeschlagen worden war, aus seiner Heimat fliehen müssen.

Fürst Adams wunderschöne, außerordentlich temperamentvolle Frau, die ein bewegtes Leben hinter sich hatte, machte Dresden zu ihrem Hauptquartier, während ihr Gatte in ganz Europa umherreiste und für sein Vaterland Freunde zu werben versuchte. Auch ihr gefällt der jugendliche kaiserliche Vertreter. Metternich erinnert sich der Mahnungen, die älteren Damen nicht zu vernachlässigen; ganz besonders dann nicht, wenn sie zu jenen gehören, die in ihrer Jugend große Erfolge in Liebesdingen gefeiert haben und es einfach nicht über sich bringen, sich mit ihrem wachsenden Alter abzufinden. Zu ihnen gehört die Fürstin Isabella und dazu ist sie die steinreiche Gemahlin eines hochgebildeten, stolzen Patrioten mit einer Feuerseele wie Adam Czartoryski, der zwar im Augenblick in Petersburg in Ungnade, doch ein Freund des gefühlvollen Thronfolgers Alexander ist, für dessen anmutige badische Gemahlin Elisabeth er glühend schwärmt. Eine solche Bekanntschaft muß gepflegt werden; so weiß die sechsundfünfzigjährige Matrone den jungen Diplomaten zu schätzen und hilft ihm wo sie kann.

In ihrem Salon lernt er alles kennen, was eigentlich nicht nach Dresden gehört, aber doch dort weilt und von hoher Geburt, reich und schön ist. Vor allem eine entzückende junge Frau, die ihren Gemahl, den russischen General Peter Fürsten Bagration nur selten und vorübergehend sieht. Der Gatte stammt aus der Familie der Bagratiden, die eine Zeitlang über Georgien herrschten; er hat sich in vielen Schlachten ausgezeichnet, gehörte aber dann zu den unzähligen Russen, die bei dem halb wahnsinnigen Zaren Paul I. in Ungnade fielen. So muß auch er im Auslande weilen und hat seine ihm im Jahre 1800 angetraute, nun bei Metternichs Erscheinen in Dresden im neunzehnten Lebensjahr stehende Frau ebendort untergebracht. Fürstin Katharina Pawlowna Bagration ist eine geborene Gräfin Skawronskij, aus jener Familie, deren Glück auf die schöne Tochter eines lettischen Bauern namens Samuel Skawronskij zurückgeht. Diese war zuerst bei einem Pastor in Marienburg Magd gewesen, heiratete dann einen schwedischen Dragoner und wurde nach der Einnahme dieser Stadt durch die Russen die Geliebte des Fürsten Menschikow, der sie später an Peter den Großen abtrat. Der Zar ließ sich in der Folge mit ihr trauen und damit war die stolze Laufbahn der Familie eröffnet. Der Urgroßvater der Fürstin Bagration war der einzige Bruder jener Frau gewesen, die nach Peters des Großen Tod ihrem Gatten unter dem Namen Katharina I. auf dem Throne gefolgt war. Von daher stammt das Hauptvermögen der steinreichen Fürstin, doch ist sie zudem noch mütterlicherseits eine Nichte Grigorij Potemkins, des Günstlings und Liebhabers der Kaiserin Katharina II. und hatte auch aus dieser Verwandtschaft ungeheure Reichtümer geerbt. Katharina Bagration ist also eine ziemlich nahe Verwandte des nach der Ermordung Paul I. am 23. März 1801 zur Regierung gelangten Zaren Alexander I.

Der General Bagration war unter Paul I. in Ungnade gefallen, jetzt, sagt sich Clemens Metternich, kann das alles anders werden und sein Nachfolger gerade für diejenigen Familien Neigung empfinden, die von seinem starrsinnigen Vater schlecht behandelt wurden; man muß sich also auch von der politischen Seite gesehen mit dieser jungen Frau, die verführerisch hübsch und dabei sehr kokett und zugänglich scheint, gut stellen und das fällt nicht schwer für einen jungen, lebenshungrigen, bildschönen Mann, der seine Ehefesseln nicht allzu genau nimmt. Besonders, wenn er sich vor Augen hält, daß diese süße kleine Frau mit ihrem Teint von rosig überhauchtem Alabaster ein ausdrucksvolles Gesicht mit sinnlichen Lippen besitzt. Sie ist eher klein geraten, ihre entzückend geformte Figur zeigt aber, wie Graf de La Garde Graf A. de La Garde-Chambonas, Fêtes et souvenirs du Congrès de Vienne. Paris 1843, I/88 sagt, »orientalische Fülle vereint mit andalusischem Liebreiz«. Die Fürstin kennt die Wirkung ihrer Erscheinung, liebt es, ihre Reize zu zeigen und in der diplomatischen Gesellschaft gibt es so manche weibliche Mitglieder, die sich darüber entrüsten, daß ihre Ballkleider besonders tief ausgeschnitten sind. Wenn man daraus schließt, daß die junge Frau nicht allzu prüde und zurückhaltend ist, so geht man nicht fehl. Clemens Metternich erobert sie im Fluge und die Gräfin Eleonore, die klug genug ist, um alles, was um sie herum vorgeht, sofort zu durchschauen, muß mit einiger Bitternis sehen, daß die Russin ihres Gatten Geliebte geworden ist. Und wirklich, das Verhältnis hat Folgen. Die schöne junge Frau bringt im Jahre 1802 eine Tochter zur Welt, an deren Erscheinen ihr Gatte wegen langer Abwesenheit nur unschuldig sein kann und die Katharina Bagration ganz ungescheut Clementine nennt.

Aber nicht nur Erotik ist es, die Clemens an die Fürstin knüpft. Sie hat eine ausgesprochene Schwäche für Politik, zeigt nachhaltiges Interesse für alle Vorgänge in der hohen Diplomatie; wo es darüber etwas zu erfahren gibt, ist sie zu finden. »Sie erhört alles und alle«, spottet die böse Welt. Was sie erfährt, bespricht sie dann mit ihrem Liebhaber, der auf diese Weise auch zu manch wertvoller Nachricht gelangt. Der englische Gesandte Lord Elliot führt ein großes Haus, alle schönen Frauen und ernsten Männer treffen sich bei ihm, Jagd und Spielpartien, Bälle und Diners fesseln die zur Gesellschaft gehörenden Persönlichkeiten und geben Clemens Gelegenheit, seine bestrickende Erzählergabe glänzen zu lassen. Es bewährt sich nun Kaiser Josephs Wort über die beste Art Damen zu erobern.

Ein Salon zählt den jungen österreichischen Diplomaten am häufigsten zu seinen Gästen, jener im Hause einer gleichfalls Rußland nahestehenden, überaus reichen Familie. Auch deren Glück geht auf die Liebesneigung eines Mitgliedes der Zarenfamilie, diesmal einer Frau, der Kaiserin Anna I., zurück. Die Herzogin Dorothea von Kurland, geborene Gräfin Medem, Witwe nach Peter, einstigem Herzog von Kurland, weilt mit ihren vier Töchtern hier. Der Stammvater dieses Hauses war ein Förster, nach anderen ein Student im Dienste der Herzoge von Kurland namens Ernst Karl Bieren oder Bühren, der seinen Namen später in Biron französisierte. Er wurde von Anna, der Witwe des kurländischen Herzogs Friedrich Wilhelm, zum Sekretär und Kammerjunker gemacht, bald auch zu ihrem Liebhaber erwählt und später durch sie zum Herzog von Kurland erhoben. Als Anna 1730 Zarin wurde, überließ sie Biron die Regierung so weitgehend, daß er jahrelang über das weite russische Reich gebot. Während seiner Günstlingszeit sammelte er ungeheure Reichtümer. Die Herzogin Dorothea von Kurland nun ist die Witwe eines eben im Jahre 1800 verstorbenen Nachkommen jenes Mannes, von dem man wissen will, daß er ein Sohn der Zarin Anna gewesen. Siehe über diese Familie Clemens Brühl, Die Sagan. Berlin 1941.

siehe Bildunterschrift

Lorel Metternich-Kaunitz, 1775-1825. Nach einem Gemälde von Stroely

Herzog Peter hatte im Jahre 1795 gegen gewaltige finanzielle Entschädigung auf das Herzogtum Kurland verzichtet und sich nach Sagan zurückgezogen, welches in Schlesien gelegene Herzogslehen er im Jahre 1786 gekauft hatte. Nach seinem Tod war das Vermögen auf seine Witwe und die vier reizenden Töchter übergegangen, Grund genug, daß auf Freiersfüßen wandelnde junge Leute hohen Adels aufhorchen. Die zweite Tochter Pauline gewinnt im Jahre 1800 einen zwar kleinen, aber doch regierenden Fürsten. Aber in Sagan war es zu einsam, die Herzogin Dorothea muß daran denken, auch ihre anderen Töchter günstig zu verheiraten und das ist auf einem fernabliegenden, einsamen Schlosse viel schwieriger.

Ihre Älteste, Wilhelmine, hatte schon eine bittere Erfahrung gemacht. Außerordentlich klug, frühreif, besitzt sie wundervolle Züge, über die eine majestätische Anmut ausgegossen ist. Ihre herrliche Erscheinung berückt in frühester Jugend alle Welt. Der Ruf ihrer Schönheit war auch bis an den preußischen Hof gedrungen. Prinz Louis Ferdinand, ein Neffe Friedrichs des Großen und liebenswürdiger, schmucker Mann, dem allerdings das Geld durch die Hände rann, interessierte sich für die reizende, reiche Erbin. Blauäugig, blond, mit ragender Gestalt, ein Liebling aller Frauen, so schilderte man ihn und weckte damit den Ehrgeiz des jungen Mädchens. Schon wurde der Besuch des Prinzen angesagt, da mischte sich der König von Preußen Friedrich Wilhelm ein, der anfangs nichts gegen die Werbung hatte, und verbot sie. Tief gekränkt heiratete die Prinzessin, die des fürstlichen Werbers wegen schon den Antrag des Sohnes des berühmten Generals Suworow verworfen hatte, »par dépit« unmittelbar darauf am 23. Juni 1800 den Prinzen Julius Rohan, einen Mann aus jener Familie, die sich der Abstammung nach höher dünkt als die Bourbonenkönige von Frankreich und deren Wappenspruch das stolze Wort »Roy ne puys, Duc ne daygne, Rohan suys« (König kann, Herzog mag ich nicht sein, bin ein Rohan) trägt.

Von Liebe ist da nicht viel zu merken. Bei ihm hat die große Partie eine ziemliche Rolle gespielt, bei ihr ist es mehr gekränkter Stolz gewesen. So ist auch diese junge Frau neuen Abenteuern umso eher zugänglich, als das Blut in den Adern der Mutter sowohl, wie aller vier Töchter noch viel feuriger kreist, als sonst bei jungen Leuten. Beweis dafür, daß sich die dritte Schwester Jeanne schon im sechzehnten Lebensjahre romantisch von einem Musikus entführen ließ und erst »unbeschreiblich verstört«, durch nachgesandte Offiziere wieder heimgeholt werden konnte. Doch die Folgen konnten nicht verhindert werden.

Das war im Jahre 1799 gewesen, zwei Jahre vor der Übersiedlung der Herzogin Dorothea nach Dresden, die hauptsächlich deswegen erfolgte, weil man dort einen befreundeten Hof mit allen sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Vorteilen zur Verfügung hatte. Zudem war es nach der verunglückten Brautschaft Wilhelmines mit dem preußischen Prinzen und dem unglückseligen Abenteuer der kleinen Jeanne vorteilhaft, einen Luftwechsel vorzunehmen. Die Mutter Dorothea verzieh ihrem dritten kleinen Töchterchen bald, umsomehr, als man die Sache schnell durch eine im März 1801 abgeschlossene Heirat mit einem allerdings etwas abenteuerlichen Neapler Prinzen verdecken konnte. Sie hatte selbst für Erotik ziemlich viel übrig und war jetzt, wo sie schon in die Vierzig ging, nach wie vor eine Frau von ungewöhnlichem Liebreiz und aus innerstem Wesen hervorgegangener Anmut, die fast noch genau so aussah wie im Jahre 1785, als sie Angelika Kauffmann während ihres Aufenthaltes in Rom malte.

Die Herzogin von Kurland hat ihre wundervoll geformte, wenn auch nicht große Gestalt, ebenso wie ihre schönen Augen, den schwellenden Mund und ihre perlengleichen Zähne den Kindern vererbt. Sie hat ihnen Weltläufigkeit vermittelt und sie Sprachen gelehrt, deren sie mehrere fließend beherrschen. Da die Töchter außerdem auch von Natur aus klüger sind als ihre Mutter, haben sie es bald heraus, daß diese in Liebesdingen auch nicht allzu zurückhaltend gewesen war. Es fällt daher der Herzogin schwer, in dieser Beziehung zügelnd in das Leben der Töchter einzugreifen, denn es ist ihr schon mehrfach geschehen, daß die schlimmen Kinder sich etwas freche Bemerkungen erlaubten. So vermag sie auch der unverhohlenen Bewunderung ihrer ältesten Tochter Wilhelmine für Metternich nicht allzusehr entgegenzutreten und Rohan hat nicht viel zu reden, er ist zunächst froh, eine so reiche, schöne Frau aus großem Hause sein eigen zu nennen, allerdings nur zu nennen.

Wilhelmine hat nach dem Tode ihres Vaters Sagan geerbt und so gewöhnt man sich allmählich, sie nicht Kurland und auch nicht Rohan, sondern vornehmlich Herzogin von Sagan zu rufen. Ihr entgeht natürlich Metternichs Verhältnis zur Fürstin Bagration ebensowenig, wie jedermann sonst in Dresden. Diese Beziehung läßt ihn damals ihr gegenüber etwas zurückhaltend erscheinen, immerhin berückt sie ihn durch ihren Geist und Witz, wie er findet, durch ein »überraschend kluges Urteil und unerschütterliche Ruhe«, wodurch sie sich allen anderen Frauen, denen er in Dresden begegnet, überlegen erweist. Verführerisch wirkt dieser schwarze Lockenkopf aber doch, der »liebt comme l'on dîne«, Metternich an Gräfin Lieven. 5. Jänner 1819. Hanoteau a. a. O. S. 111. das ist gar kein Zweifel und in der Zukunft kann er noch sehr gefährlich werden.

Es ist zu erwarten, daß bei so vielen Versuchungen und der geringen Widerstandskraft, die Clemens Metternich schönen Frauen gegenüber aufbringt, die Gräfin diese Haltung ihres Mannes übelnehmen könnte. Aber nein. Eleonore Metternich ist nicht von eifersüchtiger Natur, als grande dame setzt sie sich über die Schwächen ihres Gatten hinweg, umsomehr, als Kinder für sie ein Band bedeuten, das die Ehe unauflöslich macht. Sie überwindet sich selbst und behandelt ihren Mann nun mit einer Art überlegenen Ironie, die den schönen Clemens manchmal nicht wenig in Verlegenheit bringt. Sie begreift schließlich die anderen Frauen und sagt selbst einmal in späteren Jahren wie entschuldigend: »Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie irgendeine Frau ihm widerstehen kann.« Mémoires du Maréchal Marmont Duc de Raguse de 1792-1841. Paris 1857, VI/375.

Wenn sie sich im Spiegel betrachtet, muß sie sich eingestehen, daß sich ihre Reize mit denen anderer Damen nicht messen können und ihr Gatte hat niemals in leisester Weise gezeigt, daß er sie etwa verlassen wolle, um eine neue Ehe anzufangen, so weit hält ihn die Konvention streng in Schranken. An seinem allein am Leben gebliebenen, freilich auch gesundheitlich zarten Töchterchen hängt er mit größter Zärtlichkeit und Liebe. Gräfin Eleonore ist auch entschlossen, ihm noch weitere Kinder zu schenken und ihn so unauflöslich an sich zu fesseln, mag er daneben flirten so viel er will. Clemens verteidigt sich seiner Frau gegenüber auch damit, daß sein Beruf es erfordert, Damen den Hof zu machen, um durch sie sowohl Nachrichten zu erfahren, als sich auch Verbindungen zu schaffen, die dem allerhöchsten Dienste zugute kommen. So findet sich Lorel mit der Lage ab und bemüht sich, ihm in seinen politischen Bestrebungen und seiner Laufbahn in jeder Weise zu helfen. Je höher er steigt, desto stolzer wird auch ihre Stellung in der Welt, desto leichter wird sie auch über äußeren Glanz und Verbindungen in der Welt verfügen und eine große Rolle spielen können.

Die Bemerkung ihres Gatten, »Tröpfe allein behaupten, daß das Herz nicht mehrerer gleich starker Neigungen fähig ist«, die sie sicher auch einmal von ihm gehört hat, gibt ihr zu denken. Aber noch ist sie zu sehr in ihren Gatten verliebt, von dem sie wieder ein Kind unter dem Herzen trägt, als daß sie auf die Idee käme, diesen Gedankengang etwa auf sich selbst anzuwenden.

Im Sommer 1802 macht nun der junge Gesandte die Bekanntschaft eines Mannes, von dem er es gewiß nicht lernen wird, sich in Liebesdingen zu bescheiden: der achtunddreißigjährige Friedrich von Gentz wird ihm im Salon des englischen Gesandten Elliot vorgestellt. Der sehr begabte Mann der Feder ist von einfacher Herkunft, sein Vater ein preußischer Münzbeamter, seine Mutter eine Französin namens Ancillon. In dem Kinde aus dieser Ehe hat sich deutsche Gründlichkeit, französischer Charme und leichter Sinn zu einer hervorragenden Mischung genialer Tüchtigkeit und leichtester Lebensauffassung entwickelt. Es ist ein Mann, der, genau so wie Metternich »ohne Frauen« oder besser gesagt ohne viele Frauen nicht leben kann. Eugen Guglia, Friedrich von Gentz. Wien 1901, S. 11. Bis 1802 in preußischen Diensten, hat er sich, so wie es ihm durch seine besonderen Unterhaltungs- und Geistesgaben gelang, in der ersten Gesellschaft Fuß zu fassen, von seiner aus einfacheren Verhältnissen stammenden Gemahlin scheiden lassen. Seither ist er überall dort zu finden, wo eine schöne Frau die Menschen berückt und sieht sich in dieser Eigenschaft eines Sinnes mit Clemens Metternich, der ihm von Haus aus sehr gefällt, genau so wie der Diplomat Gentzens geschmeidiges Wesen und vor allem seine ausgezeichnete Feder schätzen lernt.

Der gewandte Schriftsteller ist damals gerade drauf und dran, in österreichische Dienste zu treten und so ist der Ausgangspunkt für eine lebenslange, enge Beziehung dieser beiden Männer zueinander gegeben. Von Metternich wird er bei der Fürstin Czartoryska eingeführt, mit ihm besucht er das Haus der Herzogin von Kurland, dort gewinnt Gentz die Eindrücke über diese Familie. Sie sind vorerst nicht gerade die besten, denn er findet die Herzogin »schön und fein, liebenswürdig aber nicht« und von den Töchtern – er spricht da nur von den drei älteren, denn die kleinste ist erst acht Jahre alt – meint er: »Diese sind ungezogene kleine Dirnen … die jüngste (also wohl Jeanne) gefällt mir – als Kammermädchen, marchande de modes oder dergleichen – nicht übel, aber es ist nichts Fürstliches, nichts Edles in der ganzen Rasse.« Den Gatten dieser Jeanne, den sogenannten Herzog von Accerenza – man sagt, er hätte sich diesen Titel selbst verliehen – findet er »ein vollkommenes Rindvieh«. Gentz an Brinckmann. Prag, 25. August 1803. Briefe von und an Friedrich von Gentz. München und Berlin 1910. II/141.

In seinem bescheidenen Zimmer im Gasthof »Zum Engel« vereint Gentz täglich, wie er stolz bemerkt, alles was Dresden nur an interessanten Leuten besitzt und da wird »über den Zustand von Europa« beratschlagt. Gentz an Adam Müller. Dresden, 25. September 1802. Gentz, Briefe a. a. O. II/371. Gentz ist auch einer der ersten, die Clemens zu der am 15. Jänner 1803 erfolgten Geburt eines Sohnes Viktor Glück wünschen, der nun zur größten Freude Metternichs den Verlust seiner ersten beiden Söhne ersetzt. Überhaupt ist diese Zeit für die Familie glückbringend. Kaiser Franz, der sich mehr und mehr mit Metternichs Vater versöhnt, da er auf Thugut nicht mehr hört und seine übrige Umgebung seit der Kaunitzheirat den Metternich wieder gewogener geworden ist, schenkt ihm die Abtei Ochsenhausen im Württembergischen mit allen ihren Einkünften und dem Reichsfürstentitel für seine Person, allerdings auch ein wenig aus egoistischen Gründen, weil er seine Virilstimme für die Kaiserwahl braucht.

Clemens ist in diesen Jahren für Gentz nach dessen eigener Beteuerung einer der »liebsten Menschen auf Erden« geworden. Weniger zufrieden ist er aber mit der Gräfin: »Sie steht bei weitem nicht auf gleicher Linie mit ihm, aber ich bin ihr doch auch gut«, meint er da. Gentz an Brinckmann. Wien, 16. November 1804. Gentz, Briefe a. a. O. II/245. Das ist nicht nur Gentzens Urteil, sondern auch das der maßgebenden Leute in Wien. Man hat dort sehr genau beobachtet, wie sich Metternich und seine Frau benehmen, denn der Name Kaunitz bedeutet in der Welt so viel wie Freundschaft mit Frankreich und deshalb hat man daran gedacht, den Schwiegerenkel des großen Kanzlers vielleicht einmal nach Paris zu senden, für welchen Posten man krampfhaft einen geeigneten Mann sucht.

»Der Graf Metternich ist jung«, meint damals Colloredo Graf Franz Colloredo an Thugut. Juli 1803. Wien, St. A. in einem vertrauten Briefe an Thugut zu einer Zeit, da man beschlossen hatte, Clemens von Dresden auf einen wichtigeren Posten zu versetzen, »aber er ist nicht ungeschickt. Man muß einmal sehen, wie er sich in Berlin benehmen wird. In Dresden war man zufrieden mit ihm, aber nicht so sehr mit Madame.« Das hängt einmal mit der Tatsache zusammen, daß Lorel in Dresden meist in Erwartung war und dann, daß sie sich doch vielfach über ihres Mannes ungebundenes Benehmen kränkte und manchmal zu Hause blieb, wenn sie ihn hätte zweifellos begleiten sollen. Jedenfalls hat sie sich in der sächsischen Hauptstadt nicht so gut unterhalten und wohlgefühlt wie Clemens und dies besonders nicht in dem Sommer, wo der Dienst das Verlassen Dresdens verbot. In solcher Zeit war diese Stadt fast wie ausgestorben und Gräfin Lorel fühlte sich, wie Gentz sagt, Gentz an Graf Ludwig Cobenzl. Teplitz, 11. August 1803. Wien St. A. »in einem kleinen Eckchen ihres großen Hauses einsam und gelangweilt«. Nun, das wird in Berlin anders werden. Dort pulsiert das Leben ungleich lebhafter, wenn auch die politische Richtung des Landes unter der Führung des zwar sittenreinen und pflichttreuen, aber sonst durchaus mittelmäßigen, unselbständigen und eines kraftvollen Entschlusses unfähigen Königs Friedrich Wilhelm III. eine schwankende, zaudernde und daher unglückliche ist.

Als das Ehepaar Metternich am 21. November 1803 in Berlin eintrifft, wird es mit offenen Armen am Hof aufgenommen und die schöne Königin Luise erinnert sich jenes Abends bei der Krönung des Kaisers Franz in Frankfurt, als sie mit Clemens den prunkvollen Ball eröffnete. So ist der Anknüpfungspunkt gleich gegeben und Metternich hegt große Hoffnungen, vielleicht auch durch persönliche Wirkung auf die ziemlich vielvermögende Königin die Berliner Politik im Sinne Österreichs zu beeinflussen. Bis jetzt steht Preußen zwischen Frankreich und den diesem widerstrebenden Mächten und versucht diese schwanke Neutralität durchzuhalten. Die zur Zeit geltenden Machtverhältnisse sind am besten durch einen Blick auf die Einwohnerzahl der verschiedenen Mächte zu verstehen; sie haben sich seither gewaltig verschoben.

siehe Bildunterschrift

Gartenfassade des Kaunitz'schen Schlosses Austerlitz. Nach einer Photographie

Jetzt, zur Zeit, da die Metternich nach Berlin kamen, weist Frankreich zirka 28 Millionen, die Habsburger Monarchie etwa 26, Preußen nur 7, Großbritannien 13, Rußland insgesamt 36 Millionen Einwohner auf, während die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihren 5½ Millionen noch kaum eine Rolle spielen. Merkwürdig genug, daß die gewaltige Seegeltung Großbritannien mit seiner geringen Bevölkerungszahl so machtvoll in die Vorgänge auf dem Kontinent hineinsprechen läßt.

Metternichs Aufgabe ist es nun, die 7 Millionen Preußen zur österreichischen Monarchie hinüberzuziehen und damit dem drohenden Frankreich gegenüber zumindesten die zahlenmäßige Ebenbürtigkeit zu erwerben. Wenn er aber da mit der Königin rechnet, so mutet er sich doch zuviel zu; da findet er eine Grenze seines Eindruckes auf Frauen. Königin Luise ist ihrem Gatten unbeirrt treu, sie weiß ihre Stellung zu wahren, sie vergibt sich nichts, wird sofort scheu und zurückhaltend, sowie sie sieht, daß jemand ihrer Schönheit schmeichelnd durch persönliche Eigenschaften auf sie einwirken will. Da verfangen Metternichs Eroberungskünste nicht, aber sonst weiß er sich in Berlin schadlos zu halten. Die Fürstin Bagration ist nicht mehr in seiner Nähe, die Beziehungen erkalten etwas, nur soll die Schöne ihn sehr nach Petersburg empfohlen haben in der Hoffnung, Metternich dann dort wiederzufinden.

Aber Wilhelmine von Sagan-Rohan, die älteste Kurländerin, weilt öfters in Berlin; besitzt doch die Herzogin, ihre Mutter, dort das sogenannte kurländische Palais Unter den Linden, Vorwand genug, um öfters nach der preußischen Hauptstadt zu kommen. Aus ihrem Gemahl Rohan macht sich Wilhelmine gar nichts mehr und der Tag ist nahe, da sie nichts mehr von ihm wissen will. Verehrer hat sie genug, wenn einer gerade nicht mehr paßt, wird es eben ein anderer. Metternich ist geschmeichelt, daß diese junge, vielfach angebetete Frau ihn so ausgesprochen auszeichnet; seine Gefühle sind noch geteilt, er ist durch ihr Entgegenkommen angenehm berührt, sie gefällt ihm auch physisch ausnehmend. Etwas ironisch sieht Gentz ihn mit diesem »anmutigen Porzellanfigürl aus dem 18. Jahrhundert«, wie er sie nennt, durch das Brandenburger Tor reiten.

Doch verfällt Metternich der schönen Wilhelmine nicht so ganz, denn im Augenblicke ist er in Liebesspiele mit der Prinzessin Jekaterina Dolgoruki, der Gemahlin des russischen Militärattachés in Berlin und Flügeladjutanten des Zaren verstrickt. Alle diese russischen Frauen schreiben nach Hause an einflußreiche Verwandte am Hofe usw., so daß der Name Metternich, fast stets von lobenden Worten begleitet, immer öfter an das Ohr des Zaren Alexander dringt.

In Berlin macht Clemens im Jahre 1803 die Bekanntschaft der Frau von Staël, die ein Jahr vorher ihren Gatten verloren und dann politischer Dinge wegen von Bonaparte aus Paris verbannt wurde. Sie ist auf einer Reise durch Deutschland begriffen, um es zu studieren und eine Arbeit darüber zu verfassen. Diese unermeßlich reiche Frau hat einen ebenso unermeßlichen, und zwar doppelten Ehrgeiz: sowohl als Frau zu wirken, als auch in der Geisteswelt eine große Rolle zu spielen. Aber ihre äußere Erscheinung und ihre weiblichen Reize können mit ihrem Ehrgeiz nicht Schritt halten. Sie soll sich schon einmal Bonaparte gegenüber eine peinliche Absage geholt haben, als sie ihm nämlich, nach der Behauptung seines Sekretärs Bourrienne, schrieb, »ihre Feuerseele wäre von der Natur für die Anbetung eines Heros gleich ihm bestimmt und sie wären einer für den anderen geschaffen«. Und das zu einer Zeit, da Bonaparte seine Josephine anbetete. »Diese Frau ist verrückt«, soll der General damals über die Staël zu dem Sekretär gesagt haben. Mémoires de M. de Bourrienne sur Napoléon. Paris 1829. VI/217.

Es ist nicht ganz sicher, ob sich die Sache wirklich so abgespielt hat, denn Frau von Staël ist in späterer Zeit für Bonaparte und seine Anhänger ein Gegenstand des Abscheues geworden, aber ein Fünkchen Wahrheit wird schon dabei sein; ihr maßloser Ehrgeiz, auf jeden bedeutenden Menschen einzuwirken und ihn an ihren Wagen zu spannen, zeigt sich immer wieder. In Berlin legt sie es darauf an, den brillanten, jungen kaiserlichen Gesandten kennenzulernen und auf ihn Eindruck zu machen. Sie erzielt das Gegenteil; sie gefällt ihm nicht, denn er braucht genau so wie Napoleon Schönheit und Charme, um von einer Frau entzückt zu sein. Wenn dies aber fehlt, so muß man zumindest politisch von einer solchen Frau etwas gewinnen können. Am besten beides zusammen, ist Metternichs Evangelium; hier fehlt das eine und da sie bei Bonaparte, dem Machthaber in Frankreich, schlecht angeschrieben ist, auch das andere und ehrgeizige Blaustrumpfallüren liegen Metternich schon gar nicht. Zudem hat sie sich einen gewissen lehrhaften Ton im Gespräch angewöhnt, den Clemens allerdings selbst in späterer Zeit in ermüdendstem Ausmaße annehmen wird, bei einem anderen und besonders bei einer Frau aber gar nicht vertragen kann. Auch gewisse Eigenschaften, wie z. B. übergroße Eitelkeit können Männer überhaupt und so besonders Metternich meist nur bei sich selbst ertragen. Das alles spielt hier mit.

Lorels Gatte selbst weiß der Welt sein Verhältnis zu Madame de Staël so darzustellen, als hätte nur sie um ihn geworben, ohne daß er ihr auch nur im geringsten entgegengekommen wäre. Ganz so war es wohl nicht; er schreibt selbst: »Ich war fortwährend bei ihr und sie wollte noch viel mehr mit mir sein«. Hanoteau a. a. O. S. 186. Nun, wenn Clemens der Welt und einer späteren Geliebten glauben machen will, daß er so gar nichts für sie übrig gehabt, warum weilt er denn »fortwährend« bei einer Dame, die ihm in jeder Weise unsympathisch ist? Allerdings ist Madame de Staël schon als Tochter des hochberühmten Finanzministers Necker eine weltbekannte Frau und ist es noch mehr durch ihre Schriften geworden. Es mag sein, daß sie, wie Dorothea von Schlegel sagt, »zu den Eitelsten der Eitlen gehörte«, aber in diesem Punkt hat Clemens Metternich ihr nichts vorzuwerfen. Denn wenn sie dies unter den Frauen ist, so ist er es zweifellos unter den Männern.

Tatsächlich weist Madame de Staël auch männliche Eigenschaften auf, wie Metternich auch gewisse weibliche. Sie ist z. B. bestrebt, ihre Überlegenheit über alle Menschen, von der sie zutiefst überzeugt ist, die ungeheure Distanz, die sie nach ihrer Meinung von den weniger Gebildeten trennt, zur Geltung zu bringen. Da verfällt sie auf Metternich, der seinerseits dasselbe anstrebt. Das kann natürlich keinen Gleichklang geben und so muß das Zusammentreffen dieser beiden Menschen unfruchtbar bleiben. Schade nur, daß bis heute noch nicht bekannt geworden ist, ob Frau von Staël ihrerseits einem ihrer zahlreichen Anbeter in einem Briefe ein Urteil über Clemens und eine nähere Erläuterung ihrer Beziehungen zu ihm abgegeben hat. Daß sie, die sonst über alles schreibt, was sie erlebt, gerade in diesem Punkt schweigt, spricht allerdings am meisten dafür, daß Metternichs Darstellung, sie hätte ihn vergebens umworben, der Wahrheit nahe kommt.

Gräfin Eleonore fühlt sich in Berlin bedeutend wohler; sie geht in die große Welt, der französische Gesandte Marquis de Moustier findet höchstes Gefallen an der Enkelin des großen Freundes seiner Nation und hofft, daß er durch sie auf den Gatten einwirken kann, um ihn in den französischen Interessenkreis zu ziehen. Sofort heftet sich »Tratschsucht« an dieses gute Einverständnis, verkuppelt die beiden miteinander und behauptet, die Gräfin räche sich auf diese Weise an dem Benehmen ihres Gatten, dessen Liebeleien mit jeder ihm begegnenden schönen Frau aller Welt bekannt sind. Und dies während Lorel ihrem Gemahl am 30. August 1804 wieder eine Tochter schenkt, die den Namen Clementine bekommt, aber leider auch von allem Anfang an eine sehr heikle Gesundheit zeigt.

Die glanzvollen Empfänge und Feste in Berlin werden aber mit Beginn des Jahres 1805 durch die Weltereignisse in den Hintergrund gedrängt. Napoleon Bonaparte, der so hoch gekommen ist, daß er sich am 18. Mai 1804 zum Kaiser der Franzosen verkünden lassen konnte, hat, an dem Erfolg einer Landung in dem ihn stets bekriegenden England verzweifelnd, plötzlich kehrt gemacht und sich auf Österreich geworfen, um diese neben Rußland mächtigste Festlandsmacht völlig niederzuwerfen. Jetzt soll Metternich Preußen dazu bringen, Österreich zu Hilfe zu kommen, es wäre sein höchstes eigenes Interesse und es hätte sich, wie wir heute wissen, die furchtbarsten Niederlagen erspart, wenn es damals auf Seite Österreichs und Rußlands getreten wäre. Aber nein, die Unfähigkeit des Königs und seiner Minister klar zu denken, war zu groß; sie zauderten und schwankten, wollten erst sehen wie der Krieg ausginge und entschlossen sich viel zu spät zu halben Maßnahmen, trotz allen dringendsten Bemühungen Metternichs und allem Drucke, den hochgestellte Sonderbotschafter auszuüben versuchten. Es ist ganz richtig, was Colloredo zu dieser Zeit an Kaiser Franz schreibt: »Diese drei Höfe wohl vereinigt und im Einvernehmen miteinander können allein dem Ehrgeiz Napoleons eine Schranke setzen und ihm Grenzen ziehen.« Bericht des Grafen Colloredo an Kaiser Franz. 7. Mai 1805, Wien St. A.

Man ist keineswegs kriegerisch in Wien. Kaiser Franz macht auf die Berichte Colloredos die vertrauliche Randbemerkung: Randbemerkung Kaiser Franzens auf dem Berichte des Grafen Colloredo vom 30. Mai 1805. Wien St. A. »Einen Krieg mit Frankreich müssen wir wenigstens heuer bei der hinzugekommenen Not auf alle mögliche Art zu vermeiden trachten.« Auch Erzherzog Karl, der, obwohl ein erfolgreicher Soldat, immer nach Frieden lechzt und Frieden predigt, mahnt, man solle keine Rüstungen betreiben, die »Bonaparte leicht reizen könnten«, worauf Kaiser Franz aber in Randbemerkung erklärt: »Indessen müssen doch alle Anstalten nicht verabsäumt werden, die zur Verteidigung der uns von Gott anvertrauten Staaten erforderlich sind.« Bericht Graf Colloredos an Kaiser Franz. 3. Juni 1805. Wien St. A.

Im August jedoch ist schon alles klar; die französischen und italienischen Zeitungen nehmen sich kein Blatt mehr vor den Mund. »Bonaparte hat stets den Federkrieg jenem mit dem Schwerte vorangehen lassen«, meldet ein Freund aus Venedig. Graf Crenneville an Graf Colloredo. Venedig, 14. August 1805. Wien St. A. »Um von der Lächerlichkeit seiner Großsprechereien über eine Invasion in England hinwegzukommen, hat er kein besseres Mittel gefunden als einen ernsten Streit mit uns anzufangen«, meint Bonapartes alter Feind Thugut. Baron Thugut an Graf Colloredo. 23. September 1805. Wien St. A. Kaiser Franz ist aber nicht der Mann, schwierige Lagen so schnell zu meistern; er hat wenig Menschenkenntnis, er übergibt dem Feldmarschallleutnant Mack, einem Schmeichler, der von sich selbst ungeheuer eingenommen und in gleichem Maße unbegabt ist, die künftige Führung des Krieges. Der Monarch schwankt in wichtigen Entschlüssen, so daß sein einstiger Erzieher Graf Colloredo wieder die alte Rolle spielen muß und ihm schreibt: »Wenn einmal alles von Euer Majestät begenehmigt und resolvieret worden, so muß darauf festgehalten und nicht wieder abgewichen werden.« Graf Colloredo an Kaiser Franz. 24. September 1805. Wien St. A.

Noch hofft man auf den General Grafen Merveldt, den man nach Berlin gesandt hat, damit er Metternich helfe, doch endlich einmal die Preußen zur Teilnahme am Kampfe zu bewegen, aber vergebens. Clemens versagt da, gleichwie dieser General, denn gegen die Unzulänglichkeit des Königs und seiner Minister ist nicht aufzukommen. Der Königin, die das Richtige fühlt, gelingt es noch nicht, durchzudringen. Kaiser Franz ist unglücklich, hofft aber noch immer sich mit Gottes Hilfe aus dieser sehr bedenklichen Lage herauszuziehen. »Indessen, wenn Preußen nicht mithaltet, und dieses zwar bald, oder sich ins Mittel legt«, meint er, »so werden alle russischen Hilfen zu spät kommen, nur unser Land ganz ruinieren.« Randbemerkung Kaiser Franzens auf dem Bericht Colloredos vom 27. Oktober 1805. Wien St. A. Und dies war geschrieben als General Mack in Ulm schon am 17. Oktober vor Napoleon kapituliert hatte. Der Weg nach Wien ist nun offen und der Sieger verliert keinen Augenblick. Am 2. Dezember schlägt er bei Austerlitz, unweit des Kaunitz'schen Schlosses, wo Clemens Metternich geheiratet hat, die verbündeten Österreicher und Russen völlig. Kaiser Franz muß den elenden Frieden von Preßburg abschließen, Preußen aber hat mit seiner unentschlossenen Zurückhaltung den Grund für künftige eigene Niederlagen gelegt.

Für Clemens aber in Berlin hat sein Versagen in den vergeblichen Versuchen, Preußen auf die Seite Österreichs zu ziehen, einen merkwürdigen Vorteil. Er ist jetzt Frankreich genehmer, als wenn er dabei Erfolg gehabt hätte. Der Zar hatte geglaubt, daß Metternich als künftiger Botschafter nach Petersburg bestimmt wäre und sich daher über ihn erkundigt. Graf Karl Nesselrode, der spätere Minister des Äußeren Rußlands, der damals in Den Haag weilte und öfters in Berlin gewesen, wird daher von seinem Vater nach der Wesensart des Ehepaares Metternich befragt und erhält die Antwort: Graf Karl Nesselrode an seinen Vater. Den Haag, 25. April 1806. Nesselrode, Papiers et lettres, S. 131. »Ihre Nachrichten über den neuen Botschafter Österreichs bei unserem Hofe sind nicht zutreffend, mein lieber Vater. Da ich Gelegenheit hatte, ihn zu sehen und kennenzulernen, bin ich vielleicht in der Lage, Ihnen bessere zu bieten. Wenn ich auch zugebe, daß Herr von Metternich der Stellung noch nicht gewachsen ist, die man ihm bestimmt, ist er jedoch nicht ohne Geist. Er hat selbst mehr davon als Dreiviertel der Wiener Exzellenzen, ist zudem sehr liebenswürdig, wenn er es sein will, hat ein schönes Äußeres, ist fast immer verliebt, aber öfter noch zerstreut, was in der Diplomatie ebenso gefährlich ist wie in der Liebe. Seine Frau ist klein, aber ganz hübsch, ohne Geist und Liebenswürdigkeit, im allgemeinen eine sehr schale Natur, die ihrem Mann Hörner aufgesetzt hat, wofür sich dieser bei der illustren Prinzessin Dolgoruki entschädigt hat.«

Auf diese Bemerkung allein stützen sich alle Behauptungen, Lorel hätte sich nun die gleichen Freiheiten erlaubt, die sich ihr Gatte nun schon ungescheut bei aller gleichzeitigen Neigung für seine Frau in Dresden wie in Berlin gestattet hat. Doch die Bemerkung mag auch nur leicht hingeworfen und unbegründet sein. Sicher hätte Lorel es ganz gerne gesehen, wenn ihr Gatte ersähe, daß auch sie sich Untreue leisten könne, so wie Clemens es tut. Umsomehr, als sie genau weiß, daß sie keineswegs hübsch und verführerisch ist. Vielleicht hat sie aus solchen Gründen selbst dafür gesorgt, daß dieser Tratsch und diese Gerüchte aufkommen konnten, um so gleichsam eine kleine Rache zu üben. In Wirklichkeit bleiben die inneren Beziehungen der beiden Gatten, ihr häuslicher Herd mehr oder weniger unberührt. Seine Familie soll unter seiner Flatterhaftigkeit nicht leiden, das ist Metternichs fester Vorsatz.

In Wien hat man aber gar nicht die Absicht, ihn nach Petersburg zu schicken. Diesmal kann man allerdings nicht sagen, wie nach Dresden Graf Colloredo gemeint hat, daß man unbedingt in Berlin mit ihm zufrieden war, denn er hat das Wichtigste, was er hätte erreichen sollen, den rechtzeitigen Anschluß Preußens an die gegen Napoleon Verbündeten nicht durchgesetzt. Aber bei den in Berlin herrschenden Personen und Verhältnissen hätte es wohl auch ein anderer nicht zustande gebracht.

Nun auf einmal hört man von Paris, daß Kaiser Napoleon den jungen Metternich als Botschafter Österreichs an seinen Hof wünsche. Und dies, weil der mit den Metternich eng befreundete Botschafter Frankreichs am Wiener Hofe de la Rochefoucauld Clemens empfohlen hat und weil sein Zusammenhang mit dem Namen des Staatskanzlers Fürsten Kaunitz, dem einstigen Verfechter enger Beziehungen zwischen Österreich und Frankreich, Napoleon nun paßt. Denn er will Frieden in seinem Rücken haben, wenn er etwa doch etwas Entscheidendes gegen England unternehmen sollte.

Den weiteren Hergang der schriftlichen Ernennung Clemens' als Botschafter nach Paris schildert er selbst seiner Frau ausführlich: »Ich ging zuerst zu Stadion, der mich hatte wissen lassen, daß wahrscheinlich ein Wechsel meiner Verwendung in Aussicht stehe und der Hof von Frankreich mich im Wege seines Botschafters verlangt habe. Er wußte zunächst nicht was antworten, weil ihm nicht bekannt war, ob ich annehmen würde. Andererseits wolle er weder mir noch dem Kaiser aufzwingen, einer der Grillen Bonapartes nachzugeben … Ich behielt mir Bedenkzeit vor und nachdem ich das Für und Wider wohl bedacht, hat schließlich die wichtige Erwägung, mich nicht von Euch, meine liebe Freundin, trennen zu müssen und jene der Kosten, sowie der leichten Möglichkeit die Kinder zu erziehen, über die hunderttausend geschäftlichen Bedenken gesiegt, die mich unseren gefährlichsten und undankbarsten Posten hätten ablehnen lassen können. Ich erklärte also, annehmen zu wollen.«

Daraufhin wandte man sich von Wien aus an die französische Regierung und diese gab nun bekannt, daß die Ernennung dort genehm sei und La Rochefoucauld auf ihr bestehen müsse. »So wurde ich an die Karre gespannt. Da hast Du in wenig Worten die Geschichte eines Ereignisses, das sicherlich ein sehr bedeutendes in der Geschichte meines Lebens ist, mich in fünf Jahren die gesamte Laufbahn hat durcheilen lassen (couler la carrière à fond) und mir in Aussicht stellt, sehr hoch zu kommen oder sehr tief zu fallen. Du hast keine Ahnung, was dieser Posten eigentlich bedeutet … Der Kaiser, der mich in jeder Beziehung mit Vertrauen und Güte überschüttete, der mich in der letzten so verwickelten und schwierigen Zeit ausdrücklich dem Staatsrat hat anwohnen lassen, bringt alle Opfer, die ich glaubte verlangen zu müssen. Er hat mir 90.000 fl. Gehalt ohne Abzüge zugebilligt … Ich habe also keineswegs ein Recht, mich zu beklagen und alles wäre gut und schön, wenn Bonaparte weniger toll (enragé) und der Posten weniger peinlich und aufreibend wäre. Du wirst dies aus der Nähe sehen und es wohl recht anders finden als Du denkst. Was meine Laufbahn betrifft, die Annehmlichkeiten des Lebens, das Glück Euch wohletabliert, umgeben von allen Möglichkeiten und Hilfsquellen mit mir zu sehen, kann ich nur den Himmel segnen, die Dinge so gelenkt zu haben. Ich bin überzeugt, daß es größtenteils La Rochefoucauld war, der die Grundursache für die Ernennung ist. Außer seinem Wohlwollen für mich ist er sehr daran interessiert, jemand bei sich zu Hause (in Paris) zu haben, der ihn hält und er verdient es. Man ist hier (in Wien) unendlich zufrieden mit ihm …«

Während Clemens all dies in der Kaiserstadt hört, ist Lorel in Berlin geblieben, bis sich die Dinge entschieden haben und nun ist das Ehepaar schon mehrere Monate voneinander getrennt. »Es ist mir unmöglich«, schließt Clemens den Bericht, »lange ohne Dich zu sein – ich habe buchstäblich Durst und Hunger nach Dir. Ich hoffe, daß Du gegen Mitte September in Paris sein kannst.« Clemens Metternich an seine Frau Lorel. 25. Juni 1806. B. u., St. A. Z. P.

Mit der Gesundheit Lorels ist Clemens gar nicht zufrieden. Seine Frau ist immer verkühlt, hustet und hat Schnupfen und kein Arzt erkennt den wahren Grund dieses Zustandes. Er mahnt sie auch fortwährend auf sich zu sehen: »Neben der Unannehmlichkeit nicht in Ordnung zu sein, brauchst Du Kraft und Gesundheit für Deinen künftigen Aufenthaltsort.« Je mehr Metternich darüber nachdenkt, desto mehr freut ihn die neue Aufgabe. dto. Wien, 31. Mai 1806. dto. »Du hast keine Ahnung wie die kleine (Schwägerin) Kaunitz im Grund auf unsere Bestimmung eifersüchtig ist.« Clemens bittet seine Frau, zu seinem Gehalt jährlich noch 10.000 Gulden zuzuschießen, so daß sich eine runde Summe von 100.000 Gulden oder 250.000 fcs. ergibt, mit der er nach der Meinung aller in Paris gut auskommen kann. »Man muß zugeben«, meint Clemens, »ich habe alle meine gleichaltrigen Kollegen aber gründlich (rudement) überflügelt … Doch kann man mir sicherlich nicht vorwerfen, einen einzigen Schritt getan zu haben, um meine Laufbahn zu beschleunigen.« Clemens Metternich an seine Frau Lorel. 28. Juni 1806. B. u., St. A. Z. P.

Nun in den ersten Tagen Juli des Jahres 1806 wird es ernst und Clemens reist über Frankfurt nach Frankreich ab. »Ich werde gegen den 20. in Paris sein und dann vogue la galère!« meldet Clemens seiner Frau aus Wien Clemens Metternich an seine Frau Lorel. 2. August 1806, B. u., St. A. Z. P. … Die ganze Stadt ist seit drei Tagen nur mit der Ankunft des Pferdes für das Denkmal Josephs II. beschäftigt. Diese Arbeit, eine der schönsten ihrer Art, ist endlich fertig und vollkommen gelungen. Das Pferd, das mehr als 30.000 Pfund wiegt … ging so knapp durch das (Kärntner) Tor, daß kaum zwei Daumen breit ober seinem Kopf Platz blieb. Ich habe niemals etwas Packenderes gesehen als die Ankunft des Pferdes vor dem Tor, man glaubte sich in Troja, ich habe allerdings wohl das Roß gesehen, ohne aber weder Achill, noch Hektor, noch Ulysses bis jetzt begegnet zu sein.«

Clemens ist schon des Klimas wegen sehr froh, nach Paris und nicht nach Petersburg zu kommen. Dorthin hätte er seine Frau mit ihrer heiklen Lunge niemals mitgenommen. »Ich hätte mich nie entscheiden können, mich so lange von Euch zu trennen; ich weiß, was mir dies auch nur für wenige Augenblicke kostet. Du kannst überzeugt sein, daß ich nichts vernachlässigen werde, um Euch so schnell als möglich in Paris zu haben.«

Lorel scheidet ungern von Berlin, sie hatte sich dort sehr gut eingewöhnt und viele Freunde gewonnen. »Es gibt keinen Platz in der Welt, den man nicht mit Bedauern verläßt«, meint Clemens dazu, »besonders, wenn es für's Leben ist! Wir haben gute und schlechte Tage in Berlin verbracht … Paris wird uns ja Ressourcen ohne Zahl bieten …, aber wieviel schlechte Seiten weist dieses Gemälde auch auf.« dto. Wien, 5. August 1806. B. u., St. A. Z. P. Stadion läßt dies schon durchblicken, wenn er Metternich Glück auf die Reise und für seine Pariser Tätigkeit wünscht: »Ich habe indes Grund zu fürchten, daß was mein Kurier mir eben bringt, Ihr Debüt ein wenig stürmisch gestalten wird; erwarten wir alles von einer besseren Zukunft!« Graf Philipp Stadion an Clemens Metternich. Wien, 14. August 1806. B. u., St. A. Z. P.

Unter diesem Stern trifft der erst fünfunddreißigjährige Diplomat am glanzvollen Hofe des kühnen und glücklichen Korsen ein, voller Hoffnung sich des ihm gezeigten Vertrauens würdig zu erweisen und seinen Kaiser und Österreich in der Weltstadt an der Seine möglichst erfolgreich zu vertreten.


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