Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.
Der folgenschwere Feldzug 1812

Napoleon wünscht nun vor aller Welt seine enge Verbindung mit Österreich und gleichzeitig auch seine Macht über alle sonstigen deutschen Fürsten zu zeigen. Deshalb will er, daß das österreichische Kaiserpaar, also auch seine Feindin Maria Ludovika, nach Dresden kommt, um sie schon dadurch ein wenig zu demütigen. Vielleicht aber auch, um zu sehen, ob diese Frau nicht doch durch all den Glanz, in dem sie den von huldigenden Königen und Fürsten umgebenen Imperator erblicken würde, für ihn gewonnen werden könnte. Als Lockung nimmt Napoleon seine Gemahlin mit, wohl wissend, daß das österreichische Herrscherpaar sie brennend gerne wiedersehen will. Ja, einen Augenblick wollte er zu gleichem Zweck sogar auch den König von Rom mitbringen, wobei er bemerkte, es sei sowieso vorteilhafter, wenn er in des Vaters Nähe weile, weil er ihm so »eine bessere Erziehung geben könne, als ihm durch Weiber zu Teil würde«. Krones, Aus Österreichs etc. a. a. O. S. 162.

Maria Ludovika empfindet die Aussicht auf diesen Besuch schmerzlich, aber Metternich hat, ohne ihre Meinung einzuholen, nach Rücksprache mit dem Kaiser von vorneherein auch für sie zugesagt und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Doch klagt sie dem Erzherzog Johann ihr Leid und vertraut ihm an, wie ungern sie dahin gehe. Tagebuch Erzherzog Johanns in Krones, Aus Österreichs etc. a. a. O. S. 150.

Metternich aber denkt, seine stolze, viel zu eigenwillige Herrin solle nur gedemütigt werden, nur unter Napoleons Einfluß gelangen, vielleicht wird sie sich dann endlich zu seiner Politik bekehren. Da er ja selbst mit seiner Gemahlin nach Dresden mitgeht, wird er der Kaiserin Verhalten gut beobachten. Er kennt die hypnotische persönliche Wirkung Napoleons aus eigener Erfahrung, nun soll auch Maria Ludovika ihr ausgesetzt werden. Der Minister weiß, die mit diesem Besuch verbundenen Anstrengungen, Reisen und Feste werden die kranke Frau wieder unendlich hernehmen, doch darauf kann und will er keine Rücksicht nehmen. Napoleon wollte sogar auch, daß Kronprinz Ferdinand und der nächste Agnat zum Throne, Erzherzog Franz Karl mitkommen, er wünschte sich die beiden näher anzusehen, über die er so manches höchst Merkwürdige gehört. Aber dafür ist niemand zu haben, auch Metternich nicht; den so zurückgebliebenen Kronprinzen will man möglichst niemandem zeigen. So also kommt es ohne ihn zur Abreise nach Dresden, wo das französische Kaiserpaar am 17. Mai, der österreichische Hof einen Tag später eintrifft. In dem Gefolge befinden sich auch Graf und Gräfin Metternich, die aber zu Clemens' Entrüstung nicht wie die Majestäten im königlichen Palais, sondern im ersten Stock eines vornehmen Hauses in der Moritzstraße 760 »bequartiert« werden.

Eine Qual für Maria Ludovika ist das tolle Treiben, das sie nun in Dresden, sich nur mühsam dahin schleppend oder in einer Sänfte getragen, mitmachen muß. Bei all ihrer Hinfälligkeit ist sie auch schwerhörig und versteht nur die Hälfte von dem, was Napoleon sagt. Immer denkt sie daran, daß dieser Mann doch ihre Familie in Italien von Haus und Hof verjagt habe. Metternichs Erwartungen, sie werde dem Zauber des Korsen erliegen, erfüllen sich in keiner Weise. Sie sieht, wie Erzherzog Johann sagt, »zu helle und läßt sich nicht täuschen.« Tagebuch Erzherzog Johanns in Krones, Aus Österreichs etc. a. a. O. S. 159. Ganz anders Kaiser Franz; er ist ganz im Gegenteil wie immer riesig beeinflußbar, läßt sich von Napoleon fast völlig gewinnen und murmelt gelegentlich bewundernd zwischen den Zähnen: »Das ist ein ganzer Kerl.« Ja, er meint sogar, er hätte auch ein gutes Herz.

Mit Sorge sieht Maria Ludovika dem allem zu; sie findet ihr Gemahl sei »trop à son aise«, Maria Ludovika an ihre Mutter. Prag, 6. Juni 1812. Estens. A., Wien, St. A. Napoleon werde ihn schließlich ganz »herumkriegen« und ihn am Ende ebenso zum Sklaven machen, wie z. B. den sächsischen Hof. »Man macht sich gar keine Idee«, meint sie über diesen, »welch servile Furcht er zeigt.« Erzherzog Johann ist gleicher Ansicht; er reist nach 48 Stunden wieder ab, denn er kann solche »Verblendung nicht mit ansehen«. Diese Haltung Kaiser Franzens ist selbst Metternich zu viel, der zu fürchten beginnt, Napoleon werde seinem kaiserlichen Herrn die tollsten Zugeständnisse abpressen. Einen Augenblick wollte der Korse ihn sogar überreden, mit ihm gemeinsam ins Feld zu ziehen, wogegen Maria Ludovika mit aller Macht ankämpfte. So treffen sich die Gegenpole Kaiserin und Metternich einen Augenblick im gleichen Gedanken, so daß die Herrscherin bemerkt, »glücklicherweise hat er mich da unterstützt, obwohl er uns in all das hineingezogen hat.« Maria Ludovika an ihre Mutter, Prag, 2. VI. 1812. Wien, St. A.

Schließlich aber verläuft die Zusammenkunft in Dresden ohne weiteren gefährlichen Zwischenfall. Metternich ist im allgemeinen sehr zufrieden mit ihrem Ablauf und vor allem mit sich selbst. »Ich habe mich bereits gestern«, schreibt er am 19. Mai an den Vertrauten Hudelist, Wien, St. A. »während sechs Stunden mit Kaiser Napoleon verbissen und habe sicher nichts verdorben. En dernier résultat steht er wie wir, mit dem Kopfe vor der Mauer der Romanzowschen Kaiserlich russischer Minister des Äußern. Weisheit.«

»Wie ichs vorsah«, meint Metternich weiter, »legte sich Napoleon in eine außerordentliche Koketterie gegen unseren Monarchen. Die beiden Kaiser sind vollkommen zufrieden von einander und unser Aufenthalt wird die gedeihlichsten Folgen haben. Metternich an Hudelist. Dresden, 25. Mai 1812. Wien, St. A. … Im allgemeinen steht Napoleon in seinem politischen Kalkül gegen Rußland wie wir, das heißt, er versteht nicht ein einziges Wort ihrer Politik!« Metternich an Hudelist. Dresden, 23. Mai 1812. Wien, St. A. Das ist wohl ganz anders gemeint, aber trifft für beide, den Korsen wie den österreichischen Minister zu; sie sollen es später deutlich genug merken, daß sie wirklich jetzt nicht verstehen, was vorgeht.

Wenn Metternich glaubt, daß jene Koketterie auch auf seine allerhöchste Herrin irgendeinen Eindruck gemacht hat, so wird er höchstwahrscheinlich durch die Kaiserin selbst eines besseren belehrt. Maria Ludovika traut sich erst nach dem Verlassen Dresdens, von Prag aus einen ausführlichen Bericht an ihre Mutter zu schicken, in dem sie einleitend sagt: »Die Gräfin Metternich wird Dir diesen Brief überbringen, daher werde ich mich so viel auslassen können als ich will.« Sie vertraut Lorel und sagt von ihr: »Sie ist eine Person, welche jenen Geist und Takt hat, der notwendig ist, um stets en mesure zu stehen und ich glaube, daß sie mir anhänglich ist. Zumindest würde ich eher auf sie zählen als auf andere viel mehr hervortretende.« Maria Ludovika an ihre Mutter. Prag, 18. Juni 1812. Estens. A., Wien, St. A.

Aber die Kaiserin weiß vielleicht nicht, wie trotz allen Seitensprüngen Metternichs das Ehepaar besonders in politischen Dingen Hand in Hand arbeitet. Es ist nicht ausdrücklich zu beweisen, ob nicht auch diese, der Gräfin anvertrauten Briefe, vorher im Ziffernkabinett »perlustriert« wurden, bevor man sie Maria Ludovikas Mutter ausfolgte, aber aus der Orientierung Metternichs über verschiedene Vorgänge, ganz besonders solche, die die von ihm beobachteten Brüder der Kaiserin betreffen, ist dies mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. So kann er nun aus diesen Briefen der Herrscherin die gerade gegenteilige Wirkung der »Koketterien« Napoleons erkennen. Übrigens ist der Korse gelegentlich auch tüchtig aus der Rolle gefallen. Eines Abends spielte er mit Maria Ludovika und dem König von Preußen sowie einer weiteren Fürstlichkeit Karten. Da warf Napoleon mit plötzlichem Ärger über irgendetwas seine Blätter auf den Tisch und verließ seinen Platz. Der verschüchterte König von Preußen glaubte darauf ebenfalls das Spiel beenden zu müssen, wollte sich eben erheben und weggehen, als die Kaiserin ihn mit ein paar Worten an seine Würde erinnerte und ihn veranlaßte, weiter am Spieltische zu verbleiben. Tagebuch Zinzendorf. 8. Juni 1812. Bd. 57. Wien, St. A. Nun kann man dieses Verhalten der Kaiserin von Österreich gegenüber nicht gerade kokett finden. Außerdem hatte der Kaiser der Franzosen ihr in Dresden in höchst wenig angenehmer Weise über ihre Brüder, insbesondere den an die sardinische Prinzessin vermählten Erzherzog Franz, gesprochen. »Ich verachte ihn zu sehr, als daß er mich beleidigen könnte«, Maria Ludovika an ihre Mutter. Prag, 10. Juni 1812. Estens. A., Wien, St. A. hat Maria Ludovika dazu bemerkt und jene Bosheiten durch von der Gräfin Lorel vermittelte Briefe wohl ihren Brüdern, sonst aber niemandem, nicht einmal dem Kaiser, mitgeteilt. Metternich aber dürfte es durch Einsichtnahme in jene Schreiben erfahren haben.

Marie Louise hat bei dieser Zusammenkunft keine hervorragende Rolle gespielt. Ihre Stiefmutter fand sie »so verlegen und so kalt, wie sie (die kaiserliche Familie) alle immer sind.« Maria Ludovika an ihre Mutter. Prag, 6. Juni 1812. Estens. A., Wien, St. A. Nur die Wiedersehensfreude sprach sich etwas mehr in ihr aus. Sie fährt nun am 23. Mai nach Prag, wo sie längere Zeit verweilen will, während Napoleon seinem Schicksal entgegengeht. Metternich hat das gefördert und meint nun bitter dazu: »Sie bringt ihr eigenes Haus (gemeint Haushalt) mit, also statt dem Staate zu kosten, bringt sie eine Million Francs ins Land. Graf Wallis wird dessenungeachtet finden, daß nun erst der Staat zugrunde gehen muß. So füllt ein Tropfen das Gefäß.« Metternich an Hudelist. Dresden, 23. Mai 1812. Wien, St. A. Wallis war derjenige, der die Dresdner Reise des Kaiserpaares als unerhörte Demütigung und tolle Zumutung Metternichs stets verurteilte.

Napoleon aber hat seinen schicksalsschweren Entschluß, Rußland anzugreifen, endgültig gefaßt. Ja, Lavalette hat recht, wenn er sagt: »Die schrecklichen Welteroberer sind einer wie der andere. Ihr Wahlspruch heißt: ›Überall der Erste oder untergehen‹.« Im Dienste Napoleons. Erinnerungen des Grafen von Lavalette. Stuttgart o. J. II/26. Napoleon aber denkt zur Zeit, was er dann später auf St. Helena ausgesprochen hat: »Europa hat nur einen Feind, das ist der russische Koloß. Ich allein kann ihn und seine Flut von Tataren aufhalten, gelingt es mir aber nicht, wird er der wahre Erbe Europas sein.« Las Cases, Mémorial de Ste. Hélène, a. a. O. Und Metternich steht auch nicht weit von diesem Gedankengang und daraus ist sein Verhalten jetzt und später zu erklären. Der Zar dagegen gedenkt der Worte, die er am 26. September 1808 aus Weimar an seine Schwester geschrieben hat: »Bonaparte behauptet, ich sei nur ein dummer Kerl, aber wer zuletzt lacht, lacht am besten und ich lege meine ganze Hoffnung in Gott.« Grand-Duc Nicolas Mikhailowitch, Correspondance de l'Empereur Alexandre Ier avec sa soeur la Grande-Duchesse Catherine 1805-1818. St. Pétersbourg 1910, S. 20.

Am 29. Mai geht Napoleon zu seiner Armee, das österreichische Kaiserpaar mit Metternich nach Prag, wo sie mit einer festlichen Beleuchtung der ganzen Stadt empfangen werden. Diese Huldigung hat aber eine ungewollte Folge. »Zwei Drittel (des Hofstaates) sind durch die Spazierfahrt zur Besichtigung der Beleuchtung krank geworden und das auf die komischeste Weise«, schreibt Metternich an seine Frau Lorel. Prag, 11. Juni 1812. B. u., St. A. Z. P. Metternich seiner Frau, die direkt nach Wien zu den Kinder gefahren war. »In gewaltige Karossen eingepfercht, in langsamstem Schritt durch drei Stunden auf schlechtem Pflaster herumgeschleppt, haben die Erschütterungen des Wagens auf sie die Wirkung eines in den Wellen rollenden Schiffes gemacht. Diejenigen, die nicht noch während der Fahrt gespien haben, verbrachten den Rest der Nacht damit, es zu tun. Madame de Montebello unter anderen, hat den Kaiser in sein Schlafgemach begleitet und dort ihr ganzes Diner auf dem Parkett wiedergegeben … Alle diese geschwächten Gestalten, die sich tags darauf herumschleppen mußten, ähnelten einem wandelnden Spital.«

Doch das geht vorüber und bald haben die erregten Gemüter sich nur mit den gewaltigen Ereignissen zu beschäftigen, die sich vorbereiten. Nun sind die Würfel gefallen und der Krieg gegen Rußland steht vor der Türe. Gar so sicher scheint aber der Korse seiner Sache doch nicht. »Ich habe es klar gesehen, Napoleon ist bei sich selbst gar nicht ruhig darüber«, schreibt Maria Ludovika am 10. Juni 1812 an ihre Mutter.

Metternich ist viel überzeugter, daß der Kaiser der Franzosen siegen wird als dieser selbst. Stets von neuem wiederholt Clemens seine große Zufriedenheit mit dem Lauf der Dinge, als wollte er sich selbstbetäubend beruhigen. »Wir haben mit einem Worte alle Ursache, sehr zufrieden über unsere ganze Lage zu sein«, schreibt er an Hudelist. Metternich an Hudelist. Prag, 3. Juni 1812. Wien, St. A »Wenn man so ganz in die futura contigentia blickt, wie ich es nun tue, überzeugt man sich täglich mehr, daß auf keine andere Weise gehandelt werden konnte – ohne den geraden Weg des Verderbens zu gehen.« Maria Ludovika ist ganz anderer Meinung. »Unser sich in jeder Weise unter das Joch Beugen kann nur die vernichtendsten Folgen haben. Er will immer mehr Truppen von uns und will sie selbst versorgen. Daraus folgt, daß sie sein Eigentum werden und dies doch ohne Ersparnis für uns, denn schon verlangt er Geld für die augenblicklichen Auslagen. Tausendmal muß ich an die Geschichte vom Harlekin denken, die unser armer Vater immer erzählte.« Maria Ludovika an ihre Mutter. 6. Juni 1812. Estens. A., Wien, St. A. Der Gute sollte dreißig Stockstreiche in Serien zu je zehn als Strafe erhalten oder aber dreißig Zechinen zahlen. Zu letzterem konnte er sich nicht entschließen, ließ sich daher die Stockstreiche geben, aber nach dem achtundzwanzigsten hielt er es weiter nicht mehr aus und – zahlte zudem doch die dreißig Zechinen. So ungefähr findet sie, benimmt sich auch Österreich jetzt.

siehe Bildunterschrift

Der Hof der Tuilerien. Nach einem Stich von A. Rottmann

»Es scheint aus alledem, daß der Krieg in Kürze beginnen wird«, schreibt die Kaiserin weiter ihrer Mutter am 21. Juni, »und vielleicht bin ich die einzige, die im Grunde ihres Herzens glaubt, daß er für Napoleon nicht günstig ausfallen wird.«

Und wirklich, am 24. Juni überschreitet die grande armée den Njemen, in deren Reihen auch Murat befehligt, dessen Frau Caroline gleichzeitig nach Neapel zurückkehrt, um ihre Herrschaft dort aufrechtzuerhalten. Auch die französischen Marschälle scheinen nicht allzu siegessicher zu sein. Murat z. B. schreibt seiner Frau am 13. Juni einen Brief, in dem er die Hoffnung ausspricht, daß das Kriegsglück ihm treu bleiben werde. »Aber«, sagt er, »es ist kapriziös und wenn es unbeständig werden sollte, erinnere Dich unserer ersten Liebe und bewahre mir, wenn ich nicht mehr sein werde, die Gefühle, die unseren Kindern, unseren Untertanen und der Nachwelt beweisen, wie sehr wir uns während der gesamten Dauer unserer Verbindung geliebt haben … Denke manchmal an den, der niemals aufgehört hat Dich zu lieben … Gott befohlen, ich liebe Dich mehr als mein Leben.« Marschall Murat an seine Frau. Heilsberg, 13. Juni 1812. Interzept, Wien, St. A.

Diese Worte scheinen all den ehelichen Zerwürfnissen dieser beiden, die man behauptet, ins Gesicht zu schlagen, aber jedenfalls beweisen sie, daß sie, möge es auch in dieser Ehe auf beiden Seiten ab und zu Abirrungen gegeben haben, immer wieder zueinander fanden; so besagt ein solcher Abschiedsbrief im Wesen doch das Richtige.

Auf russischer Seite herrscht vollste Entschlossenheit. »Ich lege die Waffen nicht nieder«, schreibt der Zar, Zar Alexander I. von Rußland an Großfürsten Nikolai. Wilna, 13./25. Juni 1812. Interzept, Wien, St. A. »solange sich noch ein feindlicher Streiter in meinem Kaiserreiche befindet.«

Metternich aber zeigt nun auf jede Weise, daß er nach wie vor peinlich bestrebt ist, alles zu tun, was Napoleon angenehm sein kann. Er weiß natürlich von dessen Abneigung gegen Madame de Staël und deren Verbannung aus Frankreich, Nun ist diese in der Welt schon sehr bekannte schriftstellernde Dame am 6. Juni von Coppet kommend in Wien eingetroffen und steigt im Hotel »Römischer Kaiser« ab. Augenblicklich will sie Metternich sehen, hört aber, daß er sich in Dresden befindet und schreibt ihm daher einen Brief, den sie Herrn von Humboldt mitgibt, der gerade dahin fährt. Sie spricht darin von der großen Reise (über Rußland nach Schweden), die sie zu unternehmen im Begriffe steht, um ihre Kinder in das Land ihres Vaters zurückzuführen. »Was mich betrifft«, schreibt sie, »wird dieses Vaterland mir recht neu sein, aber vielfaches Unglück hat mich derartig niedergeschlagen, daß meine Eindrucksfähigkeit durch nichts mehr als durch den Schrecken angeregt wird. Weil ich, wie man mir sagt, die deutsche Nation und ihre Literatur zu sehr in die Welt hinausgeschrieen habe (hué), hat man meine Sorgen bis zu einem gänzlich unerträglichen Grade zu verdoppeln gewußt. Ich sage Ihnen dies nur, um Ihr Interesse einen Augenblick zu fesseln. Ich will mir Ihr Wohlwollen bewahren und bitte Sie, mich bei allem übrigen auch deshalb zu bedauern, daß ich nicht die angenehmen Tage von Berlin erneuern konnte. Die Unterhaltung mit Ihnen hat mich schon lebhaft angezogen, lange bevor sie die Mächte der Welt bezwang.« Madame de Staël an Metternich. Wien, 8. Juni 1812. B. u., St. A. Z. P.

Die Wiener Polizei hat indes sofort einen Detektiv beauftragt, in jenem Gasthof Wohnung zu nehmen und ihr auf Schritt und Tritt zu folgen. Sie ist diesmal in Begleitung eines jungen und hübschen Mannes gekommen, der della Rocca heißt, früher französischer Husarenoffizier war, aber seinen Abschied nahm. Er hat bereits im Jahre 1811 Madame de Staël heimlich geheiratet, sie hält dies aber vor der Welt geheim, scheinbar weil ihr der Name nicht genügend klangvoll ist. Der französische Gesandte erhält daraufhin eine Weisung des Herzogs von Rovigo, die in bösestem Sinne über das Verhältnis jener beiden zueinander spricht und zu klären versucht, warum Madame de Staël ihre Absicht, nach Amerika zu gehen, nicht hat durchführen können. Herzog von Rovigo an Graf Otto. Paris, 15. Juni 1812. Interzept, Wien, St. A.

Weisungsgemäß bereitet Polizeipräsident Hager in Wien den Reisenden jede nur mögliche Schwierigkeit; Rocca wird als Deserteur der französischen Armee behandelt, in der Paßfrage werden ihm alle erdenklichen Hindernisse in den Weg gelegt und unter all diesen Arten von »Sekkaturen«, Comtesse Jean de Pange a. a. O. S. 379. wie sich Madame de Staël ausdrückt, ist sie nur bestrebt, Wien so bald wie möglich wieder zu verlassen. Als die Schriftstellerin sich bei dem Polizeipräsidenten beschwert, meint dieser bloß sarkastisch: Blennerhasset, Frau von Staël a. a. O. III/332. »Ja, sollen wir wegen des Herrn Rocca mit Frankreich Krieg führen?«

»Warum nicht?« entgegnete sie. »Er ist mein Freund und wird mein Mann werden.« Die beiden sind ein ungleiches Paar, er bildschön, jung, sie fast doppelt so alt und gar nicht verführerisch, was noch durch ihre Manie verschärft wird, sich für ihr Alter viel zu jugendlich anzuziehen. Bei ihrer unvorteilhaften Gestalt setzt diese anspruchsvolle Toilette hei Madame de Staël eine eigene Meinung über ihre Schönheit voraus, die, wie Karoline Pichler sagt, Karoline Pichler, geb. von Greiner, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben. München 1914, I/311. doch jeder Spiegel hätte Lügen strafen sollen. Eine gute Seite aber hat sie für jenen Teil der Wiener Gesellschaft, der der Politik Metternichs widerstrebt und sich Napoleon feindlich gesinnt zeigt, nämlich die gleiche Abneigung gegen diesen Monarchen. Dies geht freilich hauptsächlich auf beleidigte Eitelkeit und das Verhalten des Korsen ihr gegenüber zurück. Sie erörtert damals mit Gentz die Frage, ob dieser »hassenswerte Mann, der die Welt seit Jahren quält, unabhängig von seinem Wagemut und seiner Arglist« irgendwelche tatsächliche, aus Seelengröße und Genie erwachsende Rechte auf seine furchterregende Rollte gehabt hätte. Madame die Staël kann trotz all dem Hasse nicht umhin, diese Ansicht zu verfechten. Gentz an Frau von Staël. 7. Februar 1813. Siehe Comtesse de Pange a. a. O. S. 386.

Schließlich fragt die Polizei bei dem in Prag weilenden Kaiser an, wie sie sich Madame de Stael gegenüber weiter benehmen solle. Daraufhin schreibt Metternich an Kaiser Franz: Metternich an Kaiser Franz. Vortrag, Prag, 16. Juni 1812. Wien, St. A. »Geruhen Euer Majestät den Vortrag des Polizei-Hofstelle-Vize-Präsidenten auf folgende Art zu erledigen: Die Anwesenheit und ein längerer Aufenthalt der Frau von Staël in meinen Ländern würde mir in jeder Rücksicht unliebsam sein … Meinen Minister der auswärtigen Angelegenheiten habe ich angewiesen, sich mit Ihnen in Rücksprache über die Art der baldmöglichsten Entfernung der Frau von Staël zu setzen.« Kaiser Franz fügt als Randbemerkung eigenhändig dazu: »Die von Ihnen entworfene Entschließung wird erlassen. Franz m. p.«

In Verfolg dieser Weisung wird Madame de Staël nun in Wien das Leben so unangenehm gemacht, daß sie sich zuerst nach Brünn begibt, um von dort nach Eintreffen der russischen Pässe sobald als möglich in das Gebiet des Zarenreiches zu gelangen. Erzherzog Ferdinand, der Bruder der Kaiserin, ist zur Zeit Kommandierender in Mähren. Er schreibt Erzherzog Ferdinand an Kaiserin Maria Ludovika. Wien, 9. Juli 1812. Interzept, Wien, St. A. nun seiner Schwester: »In Brünn erschien die berühmte Mme. de Staël. Sie hatte einen sehr hübschen jungen Franzosen oder Schweizer mit sich, der in Spanien verwundet worden war und den sie ohne Geheimnistuerei als ihren Liebhaber erklärte. Er hatte einen Paß für Schlesien, sie einen für Galizien. Nun wollte er erreichen, daß man ihn doch mit ihr reisen lasse; das ging nicht, worauf er in Weinen und Zuckungen ausbrach und Szenen machte, als ob er achtzehn Jahre alt wäre … Man schrieb schließlich mir und wollte, daß ich zu ihr käme oder sie zu mir. Aber ich entschuldigte mich und sagte, ich müßte aufs Land gehen. So habe ich sie nicht gesehen und sie reisten schließlich getrennt ab. Später kam die Erlaubnis, sie könnten zusammenbleiben, aber da war er schon nicht mehr zu finden. Sie ist eine alte Närrin und hat eine schrecklich böse Zunge.« Als Metternich dies Interzept vorgelegt wird, lächelt er befriedigt. Sonst ist er mit den Verwandten der Kaiserin nie zufrieden, diesmal stößt einer von ihnen in sein Horn, aus dem aber nichts anderes als seine derzeitige Liebedienerei Napoleon gegenüber tönt.

Sofort wendet sich Madame de Staël in einem langen Briefe an Metternich und beklagt sich darüber, daß ihr solche Schwierigkeiten auf der Weiterreise gemacht wurden. »Niemals, ich bin dessen sicher, hätte ich so gelitten, wenn Sie in Wien gewesen wären«, schreibt sie und irrt sich gründlich dabei. »Wollen Sie bitte meine, Dankbarkeit für die Hilfe entgegennehmen, die Sie mir – ich wage dessen sicher zu sein – angedeihen lassen werden.« Madame de Staël an Metternich. Brünn, 30. Juni 1812. B. u., St. A. Z. P. Metternich läßt sie bei dem Glauben und später einmal schreibt die Schriftstellerin ihm nochmals und meint, er wisse sicher nicht, wie sehr sie sich über die Behandlung in Wien zu beklagen hatte, als er von dort abwesend war. Gleichzeitig sendet sie ihm ihr Buch über Deutschland und meint dazu: »Wenn Sie es lesen, werden Sie vielleicht wohl finden, es verdiene einiges Interesse von Seite jener Nation, deren Ruhm Sie so gut hochzuhalten gewußt haben.« Madame de Staël an Metternich. In London als Gast des schwedischen Gesandten. 27. Dezember 1813. B. u., St. A. Z. P.

Kaiser Franz wünscht indessen, daß die Brüder seiner Gemahlin, Ferdinand und Max, nach Prag kommen, um sich vor Marie Louise zu zeigen. Es ist dies wieder von Metternich angeregt und soll eine Verneigung auch dieser Fürsten vor Napoleon bedeuten. Die beiden haben aber von des Korsen Benehmen in Dresden ihrer Schwester gegenüber gehört und zeigen überhaupt keine Lust, zu erscheinen, weil sie gegen die Politik sind, die das Kaiserpaar nach Dresden geführt hatte. Franz I. wollte sie schon zur Zusammenkunft nach dieser Stadt kommen lassen, was Maria Ludovika noch mühsam mit weit hergeholten Ausreden hintertrieb. Jetzt aber geht der Monarch zu seiner Frau und sagt ihr sehr bestimmt: »Ich hoffe, daß Deine Brüder kommen werden. Wenn nicht, werde ich mir Gehorsam zu verschaffen wissen. Ich werde ihnen den Kopf waschen und Ferdinand für ein ganzes Jahr verbieten, nach Wien oder dorthin zu kommen, wo ich weile.« Maria Ludovika an ihre Mutter. 21. Juni 1812. Estens. A., Wien, St. A.

Auf das hin dringt Maria Ludovika in ihre Brüder, doch zu gehorchen. Schließlich fügen sich die beiden und kommen gerade recht, um Marie Louise noch zu sehen, bevor sie Prag am 30. Juni verläßt. Sie verbringt dann einige Tage in Karlsbad und trifft am 18. Juli wieder in Paris ein.

Nun aber sieht Metternich klar, wie weit Maria Ludovika von seinem Gedankengang entfernt ist, wie sehr sie und ihre engere Familie und auch die Brüder des Kaisers ihm widerstreben. Erzherzog Karl hat erst kürzlich am 16. Juni, als er in seinem Garten in Dornbach mit dem alten Grafen Zinzendorf spazierenging, ohne Umschweife gesagt, daß er Metternich nicht liebe, der ein zu Prahlerei neigender, sehr leichtsinniger Mensch sei, ohne den Dingen je auf den Grund zu sehen. Zinzendorf, der Clemens auch nicht liebt, sagt zwar nichts von diesem Gespräch, aber es ist gar nicht notwendig, Lorels Gatte kennt Karls Gefühle für ihn ohnehin schon genau; denn in weiten Kreisen der Hauptstadt und natürlich umsomehr in jenem der Erzherzoge ärgert man sich, »daß der junge Metternich den Kaiser kommandiert«. Tagebuch Zinzendorf. 16. Juni und 30. Juli 1812. Wien, St. A. Clemens ist aber bereit, den Kampf mit all diesen Gegnern aufzunehmen; er weiß schon genau, wie weitgehend er sich Kaiser Franzens Seele bemächtigt hat und wieviel er sich daher erlauben kann.

Neben Erzherzog Karl ist sein Bruder Joseph, der zur Zeit sechsunddreißigjährige Palatin von Ungarn, mit Metternichs Politik, insbesondere Rußland gegenüber, gar nicht einverstanden. Er steht in Briefwechsel mit der Kaiserin und als Witwer nach der Tochter des Zaren Paul immer in Verdacht besonderer Hinneigung zu diesem Staat. Clemens hat einige dieser Briefe interzipieren können, aber nur wenige. Da kommt ihm zu Ohren, die Kaiserin und der Erzherzog bedienten sich geheimer Wege, wodurch das Abfangen der Schreiben erschwert oder unmöglich gemacht werde. Metternich ist entschlossen, beide Persönlichkeiten empfindlich zu treffen. Nun erscheint bei der Makellosigkeit des Lebens der Kaiserin und überdies auch ihrem Gesundheitszustand die Annahme irgendeines über Verwandtschaft und Freundschaft hinausgehenden Verhältnisses geradezu unsinnig. Und doch weiß der Minister Kaiser Franzens Mißtrauen über die politischen und menschlichen Beziehungen jener beiden so zu wecken, daß es ihm möglich wird, dem Kaiser aus Prag am 16. Juni 1812 wie folgt zu schreiben: Metternich an Kaiser Franz. Prag, 16. Juni 1812. Eigenhändig. Wien, St. A.

»Euer Majestät dürften in dem Allerhöchstderselben bekannten Zusammenhange das folgende ausführliche Allerhöchste Handschreiben an den Polizeihofstelle-Vize-Präsidenten zu erlassen geruhen:

›Lieber Freiherr von Hager. Sie haben mir ungesäumt alle Ihnen bekannten Daten über die Correspondenz zwischen meiner Gemahlin und dem Erzherzog-Palatinus, die Vermittler dieser Correspondenz, die Mittel und Wege, welche zu ihrer Beförderung und Geheimhaltung angewendet werden und die Ihnen sonst noch über das angebliche Verhältnis zwischen denselben zur Kenntnis gelangten Nachrichten in einer gedrängten Zusammenstellung einzusenden.‹

Ich kann nicht umhin, Allerhöchstdieselben aufmerksam zu machen, daß Freiherr von Hager nach der Schüchternheit seines Charakters und der mir bereits früher in dieser Sache geäußerten Furcht – gegen Ihre Majestät die Kaiserin persönlich kompromittiert zu werden –, über diese allerhöchsten Befehle auf das äußerste erschrecken wird und in der Herausgabe der verlangten Daten vielleicht sehr schüchtern zu Werke gehen dürfte …« Hiezu fügt Kaiser Franz die Randbemerkung bei: »Ich genehmige Ihren Antrag und erlasse das von Ihnen entworfene Handschreiben.«

Metternich nimmt es auf sich, Hager über solche Besorgnisse zu beruhigen. Nach diesem Schritt hat er wie gewöhnlich wieder Glück, denn unmittelbar darauf geraten ihm Interzepte in die Hände, deren Vorlage an den Kaiser dessen Argwohn und Ärger erhöhen müssen. Einmal ein Brief Maria Ludovikas an den Kronprinzen Ferdinand, in dem einige Kritik Kaiserin Maria Ludovika an Kronprinz Ferdinand. Prag, 22. Juni 1812. Interzept, Wien, St. A. an den Lebensgewohnheiten des Kaisers geübt wird, wie man bei der größten Hitze immer mit sechs Pferden stundenlang auf elenden Wegen herumfahre und dergleichen mehr. »Es ist ein Unglück, wenn die Großen einen solchen bizarren Geschmack haben«, heißt es da. In dem Brief sucht die Kaiserin dem Thronfolger darzulegen, daß er sich einmal nicht so geben solle. Dann die Antwort Prag, 24. Juni 1812. Interzept, Wien, St. A. Maria Ludovikas an die Prinzessin Amalie von Baden in Angelegenheit ihrer fehlgegangenen Verlobung mit Erzherzog Karl, wo Ausführungen über das kühle Wesen der kaiserlichen Familie, ihre Art und Weise zu lieben, zu lesen sind und auch bemerkt wird, Maria Ludovika hoffe immer noch, daß die Heirat doch zustande kommen könnte.

Die Kaiserin trennt sich indes, ohne noch etwas von dem über ihrem Haupte aufziehenden Gewitter zu ahnen, äußerst schwer von Marie Louise in Prag: »Es schien mir als erneuerte sich der Wiener Abschied, der mir ewig unvergeßlich sein wird.« Maria Ludovika an Erzherzog Rudolf. Teplitz, 18. Juli 1812. Interzept, Wien, St. A. Dann fährt die Kaiserin nach Teplitz, um sich einer Badekur zu unterziehen. Dort hat sie wieder etwas mehr Zeit, sich mit ihrer eigenen Person zu beschäftigen, aber das gelingt ihr nicht recht. Immerfort führen sie ihre Gedanken zu den Ihren zurück. Doch der Krieg, der dort weit in Rußlands Gefilden ausgekämpft wird, und die Sorge über seinen Ausgang lassen ihr keine Ruhe. Rührend sind die Briefe, die sie an ihren Stiefsohn, den Kronprinzen schreibt und die auch, gleich wie alle anderen zunächst den Weg zu Metternich finden: »Du kannst nicht früh genug Dein Herz auf das Lieben, das edle Lieben, was die Seele allein betrifft (denn von der sinnlichen Liebe ist gar keine Rede) gewöhnen. O! unterdrücke nie dieses Gefühl, laß es aufkeimen, sich verbreiten und Wurzel fassen! Du wirst sehen, wie glücklich man dabei ist, welche Wonne man fühlt für Andere zu leben, mit Freunden und Geschwistern alles, Freude und Leid zu teilen! … Gottlob! höre ich hier nichts, was in der Welt vorgeht und bin damit sehr zufrieden, denn, wenn man badet, darf man nicht denken; wenigstens so ist die allgemeine Lage. Ich füge hinzu: wohl dem, der das Denken an traurige Gegenstände ablenken kann! Diese Kunst besitze ich nicht …« Maria Ludovika an Kronprinz Ferdinand. Teplitz, 11. Juli 1812. Interzept, Wien, St. A.

Die liebe, gütige Frau, die überall Anlehnung und verständnisvolle Seelen sucht, ist und bleibt in ihren Briefen unvorsichtig. Sie hat gehört, daß man das Verhalten der Kaiserin Marie Louise in Prag sehr kritisiert hat und meint dazu in einem Schreiben an eine vertraute Freundin: Maria Ludovika an Gräfin Almesloë. Teplitz, 7. Juli 1812. Interzept, Wien, St. A. »Sie ist noch dieselbe, wie sie immer war. Gut, mit einigem Geist, aber kalt und sehr kindisch, sie liebt Dummheiten zu sagen, wie die ganze erhabene Familie, aber sie sind alle so. Ohne Seelen, ohne Interessen, Automaten, die vielleicht gebildet sind, aber außerstande, den Wesen, die sie umgeben, auch die geringste Anhänglichkeit einzuflößen. Mir gegenüber ist Louise wie immer gewesen. Für meine Person sage ich, sie war sehr gut, weil sie nicht anders sein kann, andere würden sagen, daß sie sehr kühl und sehr grob gewesen ist. Nun, sie war ebenso mit ihrem Vater und ihr Vater mit ihr. Sie sind alle so, sie sind aus einem sehr merkwürdigen Teig, der geeignet erscheint, die Seelen zu vertrocknen und die Herzen verdursten zu lassen. Glücklich der, der fern davon ist und ruhig wie ich in Teplitz lebt.«

Die Kaiserin spielt darauf an, man habe mit einer gewissen Bosheit versucht, sie auf Kosten ihrer Tochter zu loben, aber darauf verzichtet sie. »Sie wissen, meine liebe Freundin, bis zu welchem Grad ich dem Enthusiasmus der Öffentlichkeit gegenüber unempfindlich bin, deren Tadel- oder Lobsprüche sind mir gleichgültig, das beunruhigt mich in keiner Weise. Ich weiß, daß das wie der Wind wächst oder verfliegt. Ich tue, was ich für gut halte und was ich will und kümmere mich nicht um das übrige. Lobhudeleien ekeln und langweilen mich, ich liebe es, von meinen Freunden geliebt zu sein, das ist aber auch alles.«

Metternich nimmt sich vor, dem Kaiser diese Interzepte zu geeigneter Zeit vorzulegen, die ihre Wirkung auf keinen Fall verfehlen können. Zudem gelangt auch wahrscheinlich gleichfalls durch Metternich die Behauptung an das Ohr des Kaisers, man spreche in Wien sehr viel darüber, daß seine Gemahlin in Teplitz den russischen Bojaren Golovkine empfangen Eugen Guglia, Kaiserin Maria Ludovika. Wien 1894, S. 151. und über die Kriegsereignisse mit ihm gesprochen habe. Clemens setzt nun durch, daß der Kaiser seine Gemahlin mahnt, zurückhaltend zu sein, denn man sei ja nun einmal der Bundesgenosse Napoleons und müsse alles vermeiden, was so gedeutet werden könnte, als hielte man insgeheim zu den Russen. Metternich kann sich in tausend Rücksichten für den Korsen nicht genug tun.

Mitte Juli kommt nun auch Goethe zu seinem schon hier weilenden Herzog von Weimar nach Teplitz. »Ich sehe ihn öfter, da er ein sehr angenehmer Gesellschafter ist«, berichtet die Kaiserin. Und kurz darauf: »Ich sehe ihn täglich, sein Umgang ist sehr lehrreich. Ihn lesen zu hören entzückt mein Herz.« Maria Ludovika an Erzherzog Rudolf. Teplitz, 18. Juli 1812 und an Kronprinz Ferdinand. Teplitz, 23. Juli 1812. Interzept, Wien, St. A. In den sechsundzwanzig Tagen, die Kaiserin und Dichter in dem Kurort weilen, lädt sie ihn elfmal zur Tafel. So ist Goethe außer dem Herzog von Weimar niemals von einem anderen Herrscher ausgezeichnet worden. Entzückt schreibt der Dichter seinerseits an Karl August über die hohe Frau, über »Sie, die unser sich bemeistert, uns erhoben, und begeistert«: Dr. Richard Maria Werner, Goethe und Gräfin O'Donell. Berlin 1884, S. 26.

»Es ist immer nur ein abstrakter Begriff, den man von solchen Vollkommenheiten ausdrückt und da mich im Innersten eigentlich nur das Individuelle in seiner schärfsten Bestimmung interessiert, so fühle ich mich im Stillen glücklich, eine solche ungemeine Personalität im Busen immer wieder aufzunehmen …« Heinrich Güntzer, Goethes Verehrung der Kaiserin von Österreich Maria Ludovika. Köln-Leipzig 1885, S. 52.

Metternich, der seinen Kaiser nach Karlsbad begleitet hatte, traf den Dichter dort gleichfalls und wendet sich an seine Tochter Marie: »Sage Mama, daß ich in Karlsbad Goethes Bekanntschaft gemacht habe. Ich sende ihr anbei die Verse, die er für den Empfang des Hofes verfaßt hat. Sie kann sie Pilat zur Veröffentlichung im »Beobachter« übergeben. Diejenigen, die an den Kaiser gerichtet sind, sind gut. Ich bin aber nicht zufrieden mit den Strophen, die für die Kaiserin bestimmt sind, da er zuviel Politik dareingelegt hat.« Metternich an seine Tochter Marie. Königswart, 7. Juli 1812. B. u., St. A. Z. P. Damit sind die Gedichte Goethes »An Ihro der Kaiserin von Österreich, Ihro des Kaisers von Österreich und Ihro der Kaiserin von Frankreich Majestät« gemeint. Propyläen Ausgabe von Goethes sämtlichen Werken, 23. Bd. S. 233 f.

Metternich sagt in dem Briefe nicht, ob er das Poem an die österreichische oder französische Herrscherin meint; von dem ersteren ist er wenig erbaut, weil es seine Gegnerin Maria Ludovika zu sehr lobt, aber die politische Unzufriedenheit bezieht sich wohl auf den Schluß des Gedichtes an Marie Louise:

»Sie kläre, wenn die Welt im Düstern banget
Den Himmel auf zu ew'gem Sonnenschein!
Uns sei durch sie dies letzte Glück beschieden –
Der alles wollen kann, will auch den Frieden.«

Das wirkt etwas lächerlich in einem Augenblick, da dieser Mann, der alles wollen kann, eben erst in einen der gewaltigsten, unabsehbaren Kriege gezogen ist. Das Gedicht an Maria Ludovika ärgert den Minister besonders, weil er die darin in den Himmel gehobene Frau gerade so gründlich in der Arbeit hat. Brief auf Brief für Maria Ludovika gefährlichen Inhaltes fällt in dieser Zeit Metternich in die Hände, insbesondere die Korrespondenz mit Erzherzog Joseph, der der »liebsten Freundin« versichert: Erzherzog Joseph Palatin an Maria Ludovika. Ofen, 8. Juli 1812. Interzept, Wien, St. A. »Ich wäre auch äußerst undankbar, wenn ich nicht lebhaft das Glück fühlte, das mir dadurch zuteil geworden, daß Sie mich Ihrer Freundschaft würdig erachten.« Die Briefe sind in durchaus tadelloser, ehrbarster und respektvoller Weise abgefaßt, aber sie enthalten oft peinliche Kritiken an des Kaisers und damit Metternichs Politik und Verhalten. »Freundschaft fordert Mitteilung der gegenwärtigen Lage«, schreibt der Erzherzog z. B. am 15. Juli 1812 und spricht von »Böcken«, die man in der Politik Ungarn gegenüber schießt, während man manche gute Beamte wegjagt, die sich erlauben, Vorstellungen zu machen. »Ich verharre indessen in Geduld auf meinem Platze und tue soviel als möglich, alles Übel zu verhüten … über den Krieg ist die öffentliche Meinung sehr prononciert wider die von der Regierung ergriffene Partei, man hört hier nichts von ersterem und dieses läßt mich vermuten, daß es Napoleon entweder nicht gut gehe oder wenigstens, daß seine Fortschritte nicht sehr brillant sind.«

Diese Bemerkung ist Metternich besonders unangenehm; wirklich zeigt sich schon, daß der Feldzug gegen Rußland große Schwierigkeiten bietet. Die riesige Armee Napoleons kann, obwohl oder weil sie fortwährend vorrückt und die Russen sich zurückziehen, mit den damaligen Mitteln nur sehr mühsam versorgt werden. Metternich aber hört auf diesem Ohr nicht, er sieht nur den siegreichen Vormarsch und hat zur Zeit nicht den richtigen Begriff von dem, was da vorgeht, sondern beurteilt die Lage so, wie er sie sich wünscht, bzw. immer erwartet hat. Und in solchem Sinne schreibt er auch in diesen Tagen an seine Frau aus Preßburg: Metternich an seine Frau Lorel. Preßburg, 21. Juli 1812. B. u., St. A Z. P. »Nach unseren direkten Nachrichten geht es den Russen sehr schlecht. Sie stehen vor gänzlichem Untergang, verlieren alles: Magazine, Land, Gefangene etc. Man schlägt sich garnirgends und es scheint, daß der Kaiser Alexander weder den Zeitpunkt noch den Ort des Überganges (über den Njemen) erkannte. Sage das nicht weiter, aber wenn solche Dummköpfe wie B. (gemeint ist vielleicht Baldacci) sich herauswagen, kannst Du ihnen antworten. Es ist niemals davon die Rede gewesen, ihn ins Hauptquartier zu schicken, man müßte den Teufel im Leibe haben.« Dieser beim Kaiser sehr gut angeschriebene Staatsrat Anton Freiherr von Baldacci gehört auch ausgesprochen zu der napoleonfeindlichen, der Kaiserin nahestehenden Partei und ist einer der erbittertsten Gegner der Metternich'schen Politik des Zusammengehens mit Frankreich.

Aufs höchste erbost entschließt sich der Minister nun gegen seine Feinde, auch die an allerhöchster und höchster Stelle, energisch vorzugehen. Er sieht sich in dem Brief nach einer Wendung um, die etwas herzlicher klingt, um darauf einen geradezu teuflischen Verdacht zu gründen. »Wer das Glück hat, Ihnen näherzukommen«, steht in jenem Schreiben des Erzherzogs Joseph an die Kaiserin, Erzherzog Joseph Palatin an Maria Ludovika. Ofen, 15. Juli 1812. Interzept, Wien, St. A. »wer dessen sich erfreuet, daß Sie ihn mit dem Namen eines Freundes bedachten, kann nur von dem gleichen Gefühle beseelt sein. Ihre Güte und über alles erhabene Denkungsart gestattet einem nicht nachzulassen. Könnte man anders denken, so verdiente man nicht Ihre Freundschaft. Rechnen Sie daher, teuerste Freundin, auf die Unveränderlichkeit meiner Gesinnungen, auf die ungeheuchelte Verehrung und Ergebenheit.«

Das klingt vielleicht so, erwägt Metternich, daß man daraus ein intimeres Verhältnis zwischen dem jungen Palatin und der jungen Herrscherin konstruieren und dem Kaiser weismachen kann, er spiele die Rolle eines Hahnreis! Noch wartet der Minister die Antwort ab, vielleicht kann er auch diese abfangen und so noch weiteres Material zum Beleg für seine verleumderischen Anspielungen erlangen. Alle Vorsicht nützt auch wirklich nichts. Der Kaiserin nächster Brief an den Palatin z. B. wird durch den Grafen Althan an einen Baron Swetics geleitet und dieser wieder gibt ihn unter Kuvert an einen Herrn Josef Kaiser in Wien weiter, der nun eine sichere Gelegenheit zur Beförderung an den Adressaten benutzen soll. Trotz alledem weiß Metternich den Brief in die Hände zu bekommen und wenn er darin auch keine weitere Nahrung für seinen geplanten Verleumdungsfeldzug findet, Kritik über das politische Geschehen gibt es genügend darin.

»Liebster, bester Freund!« heißt es da, Maria Ludovika an Erzherzog Joseph Palatin. Teplitz, 27. Juli 1812. Interzept, Wien, St. A. »ich danke Ihnen, daß Sie ihr beklemmtes Herz ergossen, mir einen Teil Ihrer Leiden mitteilten. Sie wissen, wie sehr ich für dieses Gefühl empfänglich bin, wie gerne ich mit Freunden trauere und den wärmsten Anteil nehme … Daß Stockung, Teuerung, Mangel und dahero Mißmut entstehen muß, dafür bürgte das Patent; Das Wallis'sche Geldabwertungspatent. die Unzufriedenheit über die politische Partie liegt in der Natur der Sache … Die verkehrte Ausübung der Gewalt entspringt aus dem schlechten Räderwerk der großen Staatsmaschine und schwerlich läßt sich eine Verbesserung je hoffen; verschlimmern kann und wird es sich täglich … Nur bitte ich Sie, standhaft auf Ihrem Platz zu verharren, sich denken: ich hindere doch manches größere Übel … Jedes Wort wird immer willkommen sein einer Freundin, die Ihr Inneres so ganz kennt und darin so vollständig geblickt hat, weiß, was Sie leiden und wie sehr Sie Trostes bedürfen. Wahre, echte Freundschaft kann ihn verschaffen und werden Sie solchen bei mir stets finden … Ich kann meinem Arzt nicht genügend danken, daß er mich zwang hierher zu kommen, denn die Besserung ist auffallend, auch mag die Ruhe des Geistes und das einförmige Leben viel dazu beitragen. Sie wollen es, bester Freund, den Wünschen mehrerer Menschen zuschreiben, der Ihrige freut mich und ich rechne darauf. Von Gleichgültigen fordere ich es nicht, nehme es dankbar an, vermisse den Abgang nicht … Schonen Sie sich und rechnen Sie stets auf die unwandelbaren Gesinnungen Ihrer Schwägerin Maria Ludovika.«

siehe Bildunterschrift

Prinzessin Katharina Feodorowna Dolgoruki geb. Prinzessin Bariatinski. Gemälde von Elisabeth-Louise von Vigée-Lebrun

Sorgfältig wählt Metternich nun die seiner Ansicht nach gravierendsten und peinlichsten Interzepte aus, um einen entscheidenden Schlag gegen seine Widersacher zu führen. Zunächst jenen Brief an den Kronprinzen Ferdinand, dem der Vater in allerdings nebensächlichen Dingen als Beispiel hingestellt wurde, wie man es nicht machen soll. Dann einen sehr vertraulichen Brief der Gräfin Esterházy, der höchst intime, heikle Frauenfragen berührt, endlich Briefe von und an Erzherzog Joseph. Der Minister bindet sich – was sehr notwendig ist – eine moralische Maske vors Gesicht und begleitet die Mitteilung der Interzepte an den Kaiser unter dem heuchlerischen Vorgeben, den häuslichen Frieden und die Ehre der kaiserlichen Familie dadurch verteidigen zu wollen und zu müssen, mit nachfolgendem eigenhändig geschriebenen Vortrag: Dieser Vortrag wurde von Viktor Bibl in der Wochenausgabe des »Neuen Wiener Tagblatt« am 2. April 1926 zuerst veröffentlicht. Original Wien, St. A.

»Eure Majestät! geruhen in der Anlage einige bemerkenswerte Interzepte zu erhalten. Der Zweck Eurer Majestät ist, von gefährlichen Abwegen zurückzuführen, sich und der Kaiserin Majestät eine fröhlichere Zukunft schaffen, welche in jeder engen Verbindung, also besonders in der Ehe, nur in wechselseitigem Vertrauen und der größten Sicherheit möglich ist. Dieses Ziel dürfte erreicht werden, wenn Allerhöchstdieselben mit väterlichem Ernst und Milde handeln, das Verflossene nur als Beispiel, die Zukunft voll Hoffnung aufstellen; wenn Allerhöchstdieselben aus der Fülle der Erfahrung zu der unerfahrenen Jugend sprechen; wenn Allerhöchstsie die Überzeugung erwecken, daß alles, was dem Manne entgehen könnte, dem Monarchen nicht entgeht! Eurer Majestät Plan ist, die Interzepte selbst vorzulegen; in diesem Falle wären die anliegenden drei Stücke verwendbar. Erstens, das Schreiben an Erzherzog Ferdinand, um die Frage zu machen: Ob es durch irgendeinen Erziehungsgrundsatz zu rechtfertigen ist, daß dem Sohne der Vater und die Schwester als warnendes Beispiel aufgestellt werden? Zweitens das Schreiben der Gräfin Esterházy mit der Frage: Ob die Monarchin so von den heiligsten Verhältnissen mit einer Privaten sprechen sollte? Drittens das Interzept an Graf Althan … Ob es nicht in höchstem Grade kompromittierend ist, wenn die Monarchin ähnliche Korrespondenz wie jene mit dem Erzherzog-Palatin auf Schleichwegen durch dritte und vierte Hände führt, welche notwendig alle in das Geheimnis einer bestehenden geheimen Korrespondenz eingeweiht sein mußten?

Dies letztere Faktum dürfte Eure Majestät sodann zu der Hauptfrage führen, wozu Allerhöchstdieselben die folgenden Tatumstände als Beweise, daß Allerhöchstdieselben unterrichtet sind, vielleicht aphoristisch mit eigener Hand aufzuzeichnen geruhen dürften: Das ganze Publikum in Wien und besonders jenes in Preßburg sprach von einem bestehenden Liebesverständnis zwischen Ihrer Majestät der Kaiserin und dem Erzherzog-Palatin. So sehr diese Behauptung lächerlich schien, so wenig war es möglich, daß sie Euer Majestät nicht endlich, besonders in der damaligen politischen Lage Ungarns, auffallen sollte. Sie befahlen Beobachtungen und erfuhren: a) daß häufige Zusammenkünfte in Preßburg wirklich bestunden; b) daß nach der Rückkehr nach Wien eine geheime Korrespondenz zwischen der Kaiserin Majestät und dem Erzherzog eingeleitet wurde, welche durch Offiziere des Generalquartiermeisterstabes befördert wurde; c) daß die Empfänger und Abgeber der Briefe der Obrist Graf Becker und der Swetics waren; d) daß die Gräfin Esterházy nicht minder in diese Korrespondenz eingeweiht ist; e) daß Eure Majestät endlich diese Korrespondenz selbst sich zu verschaffen wußten und den materiellen Beweis in Händen haben, daß Ihre Majestät die Kaiserin den Erzherzog-Palatin … selbst als einen Helden der Konstitution zum Widerstande gegen die königlichen Absichten aneiferte; f) daß Eure Majestät um womöglich auf gütigem Wege dem Unwesen und dem leidigen Mißbrauche ein Ende zu machen, welches der Palatin von seiner erhabenen Schwägerin zu machen sich unterfing, Allerhöchstdieselben diesen Korrespondenzweg unter der Hand abschnitten, wo sodann ein neuer durch Ordonnanzen von dem Palatinat-Husaren-Regiment eröffnet wurde; … Eure Majestät dürfte hier die Frage anbringen: Wie Allerhöchstdieselben einen Ihrer Untertanen ansehen müßten, welcher sich in ein ähnliches Verhältnis mit einem Ihrer Länderchefs gesetzt haben würde? Hierauf die Interzepte mit der Versicherung der Verzeihung vernichten und zugleich Ihrer Majestät befehlen, alle Korrespondenz mit dem Palatin einzustellen. Eure Majestät versichere zugleich, daß alles vergessen sei. Über das, was gegen den Erzherzog-Palatin verfügt werden dürfte, behalte ich mir vor, Allerhöchstdemselben meinen gehorsamsten Vortrag mündlich nachzutragen.«

Kaiser Franz, durch die vorangegangenen Interzepte ernstlich gegen seine Gattin eingenommen, gibt Metternich nicht die einzig richtige Antwort, geht aber doch diesmal nicht so scharf auf dessen Meinungen und Unterstellungen ein. Er weiß besser, wie es um seine Frau steht und wie unwahrscheinlich, ja lächerlich der Verdacht intimer Beziehungen zu seinem Bruder Joseph ist. Anderseits aber will er die beiden nach wie vor scharf beobachtet sehen, denn er fürchtet für seine Stellung, ja hat sogar Bedenken, ob man in Rußland nun nicht lieber jenen Erzherzog als Herrscher im Kaiserstaate Österreich sehen würde als ihn, Franz I. Seiner Gemahlin aber sagt er scheinbar nichts von dem peinlichen Vortrag Metternichs; sie erfährt auch von anderer Seite nichts davon und bleibt in ihren Schreiben an ihre engsten Freundinnen namenlos unvorsichtig.

In den ersten Tagen September sind die Wirkungen der Teplitzer Badekur auf Maria Ludovika mehr oder weniger dahin. Das Lungenleiden, das sie ergriffen hat, war dadurch nur einen Augenblick gedämpft worden und jetzt klagt sie wieder über Atemnot, Husten und Brustschmerzen. Die ehelichen Pflichten fallen ihr besonders schwer. »Ich habe mich ihnen wie immer unterworfen, wobei ich die Neugier und die Eitelkeit unserer Mutter Eva verfluchte, die der Urgrund für all dies war. Wenn ein gewisser guter, kleiner Mann, dessen Name mit einem A gemeint Amor. beginnt, nicht vorhanden ist, dann ist es ein schweres Joch, verstehen Sie mich, meine liebe Freundin?« Maria Ludovika an Gräfin Christiane Esterházy. Persenbeug, 16. September 1812. Interzept, Wien, St. A. Und dies besonders für eine stets todmüde Frau, die, wie sie sagt, kaum hundert Schritte zu gehen vermag. Auch dies fällt Metternich in die Hände und ist damit der Möglichkeit der Mitteilung an den kaiserlichen Gemahl ausgesetzt. So kann der Gegensatz in der allerhöchsten Ehe teuflisch vertieft werden.

Die Kaiserin ist auch bald ganz abgestumpft, fügt sich in ihr Schicksal und zieht sich ganz in sich selbst zurück. »Wenn ich bei mir zu Hause bin«, schreibt sie ihrer vertrauten Hofdame Gräfin Althan, Maria Ludovika an Gräfin Althan. Weinzierl, 23. September 1812. Interzept, Wien, St. A. »liebe ich es, nach meinem Geschmack allein zu sein. Ich lese, schreibe oder bin mit meinem Sohn … Ich lebe für mich und mit den Meinen, den toten und lebenden Meinen und lasse alles laufen.« Sie weiß, es ist für den Augenblick politisch nichts zu machen, man muß erst sehen, wie dieser gewaltige Waffengang im Norden ausgeht.

Was Liebe anbelangt, so kann Maria Ludovika politisches Lieben nicht verstehen, selbst auch nicht im Falle ihres eigenen Bruders Franz, der seine savoyische Prinzessin am 20. Juni »politisch« geheiratet hat. »Er ist glücklich und zufrieden … aber verliebt auf erzherzogliche Art und das ist nicht die meine.« Maria Ludovika an Gräfin Esterházy in Preßburg. Weinzierl, 24. September 1812. Interzept, Wien, St. A. Zu allem Überfluß drücken auch Geldsorgen die Kaiserin; sie hat in diesen Tagen sechsmal zum Zahlmeister Mayer schicken müssen, um ihr Nadelgeld ausbezahlt zu bekommen. »… Ich versichere Sie, meine liebe Gräfin«, klagt sie, »daß ich nicht einen Heller habe, um die Rechnungen der Kaufleute zu bezahlen.« Maria Ludovika an Gräfin Althan. Wien, 27. September 1812. Interzept, Wien, St. A.

Dies alles ist neben der Krankheit nur eine Folge der Fronde der Kaiserin gegen Metternich und seine Politik. Er ist durch seine unvergleichliche Stellung bei dem Kaiser, die scheinbar unerschütterlich ist, ein gefährlicher Gegner. Und Maria Ludovika ist doch eine so ausgezeichnete Frau und hat, wie Freiherr von Egloffstein so wahr sagt, nicht nur »ein unendliches Bedürfnis zu lieben, sondern auch eine unendliche Kraft dazu«. Hermann Frh. von Egloffstein, Maria Ludovika von Österreich und Maria Pawlowna. Leipzig 1909, S. 1. Allerdings in einer ganz anderen Weise, als man es von ihr verlangte; daß gerade auf ihr das erschütternde Geschick einer hoffnungslosen Lungenkrankheit lastet, ist besonders traurig.

Während Metternich so scharf gegen seine Kaiserin und überhaupt gegen alle russophilen Kreise in der Hauptstadt vorgeht, macht er nach wie vor zwei Ausnahmen. Er hält seine schützende Hand über die Fürstin Bagration, gibt ihr nur den Rat, sich fern der Hauptstadt in Höflein niederzulassen, um dort die kritische Zeit des Feldzuges gegen Rußland zu überdauern. Das bedeutet die unmittelbare Nachbarschaft mit der Freundin der Kaiserin, der Gräfin Esterházy, die davon keineswegs entzückt ist. Die Bagration wird aber ruhig in den österreichischen Staaten belassen, obwohl ihr Mann gegen Napoleon im Felde steht. Auch für Wilhelmine von Sagan hat Metternich alle Rücksichten und sie lebt unangefochten in Wien ihren verschiedenen Neigungen und – nach wie vor der Politik.

Indessen hat Napoleons Krieg gegen Rußland seinen Fortgang genommen. Von Haus aus hat Metternich schon in Dresden von des Korsen Siegessicherheit den gegenteiligen Eindruck gehabt als Kaiserin Maria Ludovika. »Er scheint seiner Sache gewiß zu sein«, hat der Minister knapp vor Beginn des Feldzuges gegen Rußland an Hudelist geschrieben Metternich an Hudelist. O. D. (Ende Juni 1812.) Wien, St. A. und sich über Schwarzenbergs Tagesbefehl bei Eintritt in den Krieg geärgert, denn darin versicherte der Marschall seinen Truppen, daß »wir für uns und nicht für Frankreich fechten«. Metternich an Hudelist. Karlsbad, 3. Juli 1812, Wien, St. A. Metternich rückt den Diplomaten gegenüber davon ab und erklärt bezeichnenderweise, daß die Wiener Regierung mit diesem Befehl nichts zu tun habe.

Der Minister ist nach wie vor scharf gegen Rußland eingenommen und verurteilt Schritte seiner Würdenträger, wie z. B. einen Antrag des Grafen Romanzow als »widersinnig« und einen Brief des Grafen Nesselrode als »geschraubt«. Clemens beklagt sich über die russische Tendenz, stets den Protektorston anzunehmen und regt sich darüber auf, wenn Zar Alexander ihm etwa gelegentlich sagt: »Je vous accorde la faveur que vous me demandez.« »Mir kann der Zar keine ›faveur‹, keine Gnade erteilen«, schnaubt Metternich wütend. »Hierüber werde ich den (russischen Botschafter in Wien) Grafen Stackelberg oder vielmehr sein Kabinett zurechtzuweisen nicht vergessen.« Metternich an Hudelist. Schloß Königswart, 7. Juli 1812. Wien, St. A.

Nach den ersten napoleonischen Erfolgen und seinem anfänglichen zügigen Vorgehen spricht Metternich schon Hardenberg gegenüber von dem »Verlust der europäischen Existenz des großen Kaiserreiches« und daß er versuchen werde, den Schwiegersohn seines kaiserlichen Herrn zu Mäßigung zu veranlassen. Soloviov, Alexandre Ier. S. 234. Anfangs scheint alles seine Erwartungen zu bestätigen. Die Russen ziehen sich überall, das eigene Land verwüstend, zurück und als Napoleon sich gar, allerdings mit immer mehr dahinschwindender Armee, Moskau nähert, sieht Metternich darin »entscheidende Ereignisse«. Er schickt dem Grafen Mier nach Neapel Zeitungsartikel, die diesen über »die Ergebnisse der ebenso brillanten wie blutigen Gefechte, die die Anstrengungen der französischen Armee und ihrer Verbündeten mit Erfolg gekrönt haben«, unterrichten sollen.

»Diese Erfolge sind so bedeutend«, betont Metternich, »daß es nur den Eindruck abschwächen hieße, wollte man sich mühen, ins Einzelne zu gehen. Unser Hilfskorps fährt fort, den übrigen verbündeten Armeen würdig nachzueifern.« Metternich an Graf Mier. Wien, 26. September 1812. Wien, St. A.

Am 14. September ist das französische Heer in der russischen Hauptstadt eingezogen. Noch sagt Napoleon im 20. Bulletin der grande armée vom 17. September: »Moskau, eine der schönsten und reichsten Städte der Welt, existiert nicht mehr. Im Laufe des 14. haben die Russen an der Börse, dem Basar und dem Spital Feuer gelegt. Es war ein Flammenozean.« Daraufhin schreibt Metternich an Kaiser Franz: »Ich erlaube mir alleruntertänigst in der Anlage das 20. Bulletin, welches schaudern macht, zu unterlegen. ›Der Rückzug nach dem Innern Rußlands ist in der gegenwärtigen Lage der Dinge die militärischeste Operation, welche russischerseits geschehen konnte. Freilich wird durch selbe Petersburg dem Feinde preisgegeben – freilich stellt sich der Krieg wie ein Krieg zwischen dem Sibirischen Reiche und Europa hin … Überhaupt läßt sich von dem, was geschehen wird – keine rechte Idee fassen. Sicher ist es auf jeden Fall, daß Rußland auf hundert Jahre zurückgeschlagen ist‹.« Metternich an Kaiser Franz. Vortrag, 4. Oktober 1812. Wien, St. A.

Doch unmittelbar darauf mehren sich die Gerüchte in Wien, daß die Angelegenheiten für Napoleon nicht gut stehen. Metternich fühlt sich schon bewogen, seinem kaiserlichen Herrn wenigstens andeutungsweise, allerdings immer noch dagegen polemisierend, Kunde zu geben: »In Warschau zirkulieren … die abgeschmacktesten Gerüchte über das österreichische Auxiliar-Corps. Diese werden durch ähnliche über die französische Hauptarmee daselbst ausgestreute Gerüchte compensiert. So schreibt mir heute Freiherr von Baum, Kaiser Napoleon seye am zweiten Tage des Moskauer Brandes mit dem Kremlin in die Luft gesprengt worden. Alle diese Gerüchte werden durch die russisch gesinnten oder sich vor den Russen fürchtenden Polen ausgebreitet …« Metternich an Kaiser Franz. Vortrag, 14. Oktober 1812. Wien, St. A.

Metternich verdoppelt daraufhin sein Mißtrauen gegen jedermann, der seiner französischfreundlichen Politik widerstrebt, besonders gegen die Kaiserin, und diese benützt jetzt andere Wege als die Staatskanzlei, um ihre Briefe an Marie Louise nach Paris gelangen zu lassen. Den Maler Isabey z. B., der eben um die kaiserliche Familie zu malen in Wien weilte und nun nach Paris zurückkehrt. »Denn stelle Dir vor«, schreibt da die Kaiserin an ihre Stieftochter, »während ich alles in Deinen Händen meinte, was ich Dir gesandt habe, schickt mir Metternich vor einigen Tagen die Dinge zurück und sagt, ein Mißverständnis hätte es in seiner Kanzlei vergessen lassen.« Maria Ludovika an Marie Louise. Laxenburg, 16. Oktober 1812. Gewöhnliche Post. Interzept, Wien, St. A. Das ist entweder sehr wenig aufmerksam gegenüber zwei Kaiserinnen oder hat irgendeinen tieferen Grund.

Napoleons gründliches Geheimhaltungssystem und wohlweislich überall eingeführtes Zeitungsmonopol verhindert noch jedes Durchsickern genauerer Nachrichten darüber, daß die französische Armee in Rußland immer größere Schwierigkeiten zu überwinden habe. Seit dem 19. Oktober hat sie gar die Stadt Moskau aufgeben und den Rückzug antreten müssen, wobei sie, von allen Seiten von Kosaken umschwärmt, Kälte und Hunger leidet und furchtbar zusammenschmilzt. So viel weiß man schon in Paris, daß sich einige tollkühne Leute unter Führung des in den Ideen Rousseaus aufgewachsenen Generals Manet zu einem Handstreich aufraffen und die Gewalt an sich zu reißen versuchen unter dem Vorgeben, Napoleon sei vor den Mauern von Moskau gefallen und die grande armée vernichtet. Der Handstreich mißlingt allerdings, aber die kaiserliche Familie in Wien gerät in ernste Besorgnis und als Franz I. die Nachricht in dem »Moniteur« liest, sendet er augenblicklich einen Kurier nach Paris, um dringend Auskünfte über das Ergehen von Tochter und Enkel einzuholen.

Selbst Metternich wird nun bedenklich; auch die verschiedenen Interzepte, die ihm vorgelegt werden, bezeugen die allgemeine Stimmung. Entsetzt liest er in einem solchen: Langeron an Bonnay. Napolonitz, 7./19. November 1812. Interzept, Wien, St. A. »Wenn Österreich will, ist es aus mit Napoleon und Frankreich … Wie ist es möglich, daß es seinen Tyrannen und seinem Zerstörer dient und seine Tochter vergißt, die es geopfert hat.« Dazu rührt sich die russische Partei in Wien besonders in den Salons der Kurländerinnen und der Bagration. Jetzt wagen sich die Anhänger der russischen Richtung schon in die Nähe des Kaiserpaares und bringen Nachrichten dorthin, die Metternich vor diesem immer noch streng geheimhalten will.

Die Lage Napoleons wird auch wirklich stets kritischer; von den 363.000 Mann der grande armée, die einst den Njemen überschritten, sind nur 95.000 bis Moskau gelangt und nun auf dem Rückzuge sind nur mehr die Hälfte davon marschfähig. Napoleon verlangt in Österreich neue Truppen, angeblich 80.000 Mann, die Metternich nach dem Grafen Zinzendorf zu geben geneigt wäre, während Graf Wallis sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt. Tagebuch Zinzendorf. 18. November 1812. Wien, St. A. Auch er wie die Kaiserin atmen schon Frühlingsluft und Stadion sieht seine Zeit wieder kommen.

Der Minister des Äußern Österreichs muß nun sehr auf seine Stellung achten; schon spricht man von der Wiederkehr seines Vorgängers und Metternichs gesamtes auf Napoleon gegründetes politisches Gebäude scheint zusammenzubrechen. Aber er will noch immer nicht daran glauben, daß der große französische Soldat sich so gründlich verrechnet hat. Und dies, obwohl sein kaiserlicher Herr nun selbst durch die Staatskanzlei einen Brief seiner Gemahlin an die verwitwete russische Kaiserin durch Metternich weitersenden läßt und so zeigt, daß man dem tapferen Zarenreich jetzt doch langsam wieder etwas entgegenkommen will. Der Minister ist wohl gezwungen, dem Kaiser einen polizeilichen sogenannten Stimmungsrapport über Wien vorzulegen, der eindeutig napoleonfeindlich ist. Aber er begleitet ihn mit einschränkenden Worten: »Er enthält nur die Herzählung der übertriebenen, oft hirnlosen Gerüchte, welche hier von der russischen Partei ausgesprengt werden und welche ein Teil leichtgläubiger Menschen wohl aufnimmt, die aber an sich selbst keine Stimmung bilden. Daß diese ganz antifranzösisch ist, daß sie in demselben Verhältnis nun russisch sein müsse, ist sicher, ganz natürlich und äußerst erwünscht, insoferne sie der Ausdruck eines reinen Nationalgefühles gegen fremden Druck ist und bleibt. Daß die Stimmung der höheren Klassen der Gesellschaft in diesem Sinne sogar leidenschaftlich ist, ist nicht minder wahr. Daß jedoch fast der ganze Inhalt des seinsollenden Stimmungsrapportes nur aus Märchen und politischer Kannengießerei besteht, welche sich nicht über die Höhe gemeiner Wirts- und Bierhäuser erhebt, ist umso sicherer … Die Polizei soll sich angelegen sein lassen, auf die öffentliche Stimmung durch eine zweckmäßige Widerlegung falscher Gerüchte und Aufspürung und Zurechtweisung der Verbreiter zu wirken.« Metternich an Kaiser Franz. Wien, 27. November 1812. Wien, St. A.

Auch Schwarzenberg, der Befehlshaber des österreichischen Hilfskorps, der bisher ganz für Napoleon eingenommen war und solchen Anteil an der Verheiratung Marie Louisens hatte, sagt nun schon: »Diesmal hat Napoleon dumme Streiche gemacht.« Er ist für sein Österreich nicht ganz böse darüber. »Desto besser, wenn die beiden Kolosse sich wechselseitig recht schwächen.« Schwarzenberg an seine Frau Marie Anna, geb. Gräfin Hohenfeld. 29. November 1812. In: »Briefe des Feldmarschalls Fürsten Karl Schwarzenberg an seine Frau 1799-1816.« Wien 1913, S. 274. Aber der eine schwächt sich nicht, während des anderen Armee allerdings ganz zerrinnt.

Am 5. Dezember erhält Metternich zum erstenmal aus Wilna einen eindeutigen Bericht seines Geschäftsträgers, amtliche Nachrichten über erhebliche Verluste Napoleons auf dem Rückzuge. Er ahnt aber noch nicht, daß der Korse sich am selben Tage schon in Smorgony in einen Schlitten setzte und, so wie seinerzeit in Ägypten, die Armee einfach in Stich läßt und in seine Hauptstadt zurückeilt. Allerdings verläßt er hier nur mehr Trümmer eines Heeres. Am 3. Dezember berichtet Marie Louise ihrem Bruder Franz Karl lakonisch: Wien, St. A. »Du weißt schon vermutlich, daß der Kaiser mich plötzlich überraschte und den 18. in Paris angekommen ist. Er befindet sich wohl und hat 700 Meilen in 13 Tagen zurückgelegt.«

Metternich will aber immer noch nicht, daß das große Publikum erfahre, wie es wirklich steht und schlägt z. B. dem Kaiser vor, ein beigelegtes Interzept an ein Fräulein Meratzek in Preßburg nicht zustellen zu lassen, in dem zu lesen steht: Metternich an Kaiser Franz. Vortrag, Wien, 5. Dezember 1812. Wien, St. A. »Wir sind hier (in Lemberg) in großer Erwartung, denn Napoleon ist in viel schlechterer Lage als Mack in Ulm. Er ist von allen Seiten eingeschlossen, es fehlt ihm das allernotwendigste, er ist also in einem jammervollen Zustand … Napoleon wird glücklich sein, wenn er auch nur ein Viertel von dem nach Hause bringt, was er hat. Die Russen haben wie die Engel manövriert … Wenn wir mit Rußland gemeinsame Sache machen würden, wäre das Ungeheuer völlig erdrückt.«

Indes wird nun bald der gänzliche beispiellose Zusammenbruch offenbar. Nur mehr kaum 8000 Mann von Napoleons Riesenarmee, die so stolz ausgezogen, kehren abgerissen, halb verhungert, zu Tode gleichgültig, in elendster Verfassung über den Njemen zurück. Am 15. Dezember übersetzt Murat, der Befehlshaber über die einst so stolzen, unübersehbaren Reiterscharen, der nun selbst kaum mehr ein Pferd hat, den Fluß mit den letzten zu Fuß humpelnden Resten seiner Leute und die russische Verfolgung hört auf.

Am 9. Dezember ist der Bericht über die ungeheuren Ausmaße dieser Katastrophe in Metternichs Hand. Jetzt beginnt die Partei der Kaiserin zu triumphieren, auch Stadion, obwohl er bisher trotz allen gegenteiligen Ansichten in bester Beziehung zu Metternich gestanden. Genau so die Fürstin Bagration und Wilhelmine von Sagan; die letztere hat widersprechende Gefühle. Auf der einen Seite ist sie stolz, daß sie recht behält und ihre Politik sich durchsetzt; auf der anderen sieht sie auf ihren ständigen Anbeter Metternich, und was ihn erniedrigt, erniedrigt vielleicht auch sie. Aber noch ist es nicht so schlimm um den Minister bestellt; vielleicht kann man ihn jetzt stützen, wie man ihn früher bekämpft hat, sich so seine Dankbarkeit sichern und dann vielleicht doch einmal an sein Ziel gelangen.

Einen Augenblick glaubt Metternich auf einen falschen Bericht Napoleons hin, der Korse hätte doch wieder an der Beresina gesiegt und meint, daß die Dinge sich wieder zu dessen Gunsten wenden könnten. So beschließt er ruhig abzuwarten, vielleicht wäre die Lage der Dinge doch nicht so verzweifelt. Aber nein, bald klärt sich alles und die Nachrichten über Napoleons Flucht verdichten sich. Florets Mitteilungen aus Paris, wonach der Kaiser seinen Schatz von einer Million Gold nur durch Anspannen seiner eigenen Reitpferde hätte retten können, sowie die Wegnahme des unmittelbaren Gepäcks des Kaisers, die Schilderung seiner Mahlzeiten, in denen er gebratene Pferdezungen verzehrt haben soll, vervollständigen das Bild. Aus dem Tagebuch Florets. Paris, 17. Dezember 1812. Wien, St. A.

Gleichzeitig läuft ein dringender Appell des Zaren an Kaiser Franz in Wien ein, sich doch seinem siegreichen Lande anzuschließen und das Augenmerk gemeinsam mit ihm dem großen Ziele der Befreiung Europas zu widmen. Der Zar beschwört den Herrscher, die schöne Gelegenheit nicht vorübergehen zu lassen, »der Retter Europas und der gesamten Menschheit zu werden«. Zar Alexander an Kaiser Franz. Wilna, 27. XII. 1812. Wien, St. A.

Der Brief wird Metternich zur Einsicht und Beratung übergeben: Napoleon ist einwandfrei besiegt, soll er also in Österreich sofort das Steuer herumwerfen und gänzlich zum Sieger übergehen? Einmal ist das unangenehm, denn er muß seine gesamte bisherige Politik selbst als verfehlt erklären und außerdem würde das Ansehen Rußlands, das ohnehin schon so gewaltig gestiegen ist, noch ins Unendliche vermehrt werden. Das würde nur eine Lage schaffen, die dem Zarenreich alles Übergewicht verleiht und dieses auch für Österreichs Geltung noch gefährlicher gestalten, als es der Kaiser der Franzosen je gewesen. So entschließt sich der Minister also abzuwarten, Zeit zu gewinnen, hinzuhalten, bis die Dinge noch viel klarer liegen – und Kaiser Franz folgt Metternich selbst jetzt noch durch dick und dünn, wo ihm doch durch die Kraft der Tatsachen bewiesen ist, daß das Gegenteil von dem eingetreten ist, was sein erster Ratgeber für wahrscheinlich, ja fast für sicher gehalten und erwartet hatte.

Aber ganz kann man den glorreichen Sieger ja doch nicht übergehen, zu dem nunmehr auch Preußen gestoßen ist. So entschließt sich denn Metternich, den altbewährten Grafen Bubna nach Paris zu Napoleon, anderseits aber Graf Stadion in das Hauptquartier des Zaren zu schicken, um an beiden Stellen anzuklopfen, ob nicht mit österreichischer Vermittlung ein Friede zustande zu bringen wäre. Ist das Wiedereinführen Stadions in die Politik auch ein großes Zugeständnis an die Andersdenkenden im Kaiserstaate, so ist Metternich doch nach wie vor entschlossen, weder das Heft aus der Hand zu geben, noch vorläufig seine Politik grundlegend zu ändern.

Wieder fällt ein Brief Erzherzog Joseph Palatin an die Zarin-Mutter von Rußland. Wien, 23. Jänner 1813. Interzept, Wien, St. A. des Erzherzogs Joseph an die Zarin in die Hände Metternichs, der rückhaltlos ausspricht, was in der letzten Zeit tatsächlich geschehen ist und was nach des Erzherzogs Meinung nun geschehen sollte: »Die Freundschaft unserer lieben Kaiserin gibt mir, liebe Mutter, endlich Gelegenheit, Ihnen aufgeschlossenen Herzens zu schreiben. Unser ausgezeichneter Souverän hat durch falsche Ratschläge verleitet, die ungarischen Angelegenheiten in gänzlich unrichtiger Weise beurteilt, er kennt weder den Nationalcharakter, noch die Einrichtungen dieses Landes … Ich habe gelitten, eine so passive Rolle zu spielen und dabei Zeuge unseres täglichen Verfalls als Folge der falschen Maßnahmen zu sein … Aber von allem war mir am peinlichsten, uns für eine fremde Sache gegen unseren natürlichen Verbündeten (Rußland) kämpfen zu sehen … Sperrung des Verfassers. Ich sah die Dinge seit langem so kommen und von allem Anfang an habe ich gemeinsam mit unserer guten Kaiserin meine ganze Beredsamkeit aufgeboten, um unseren Souverän von einer so verhängnisvollen Maßnahme abzubringen und ihm die gefährlichen Folgen vorzuhalten. Aber man wußte ihn so geschickt in diese Angelegenheit hineinzuverpflichten, daß er sich gefangen sah, ohne dessen auch nur gewahr zu werden … Der bloße Gedanke, daß wir Feinde Rußlands seien, machte mir so viel Kummer … Jetzt will ich mein möglichstes für das Gemeinwohl tun und soweit es in meiner Kraft steht, neue Fehler verhindern … Die Kaiserin, meine Brüder und alle vernünftigen Leute sind der gleichen Meinung … Ihr sehr gehorsamer Sohn Joseph.«

Metternich schäumt vor Wut, als er diesen Brief in der Hand hält. Dies letztere Wort ist wohl nur eine Phrase, wie eine andere Schlußfloskel auch, doch er will daraus Kapital schlagen, eine Art liebedienernde Verräterei in diese hineinlegen. In Wirklichkeit aber ärgert er sich besonders, daß der Erzherzog die Finger in die Wunde seiner eben zutage getretenen Irrtümer legt und gar von der Verhinderung weiterer solcher Fehler spricht. So folgt ein wütender Entwurf, wie der Kaiser seinen Bruder für diesen Brief maßregeln soll:

»Euer Majestät! Allerhöchstdieselbe dürften dieses Folgende an des Herrn Erzherzog Palatinus, königliche Hoheit, erlassen:

Euer Liebden! Meine Regentenpflicht fordert, daß ich mich in der Kenntnis der Schritte meiner Untertanen und Diener erhalte. In der Anlage findest Du ein Schreiben, welches ich nie von einem meiner Brüder und einem der ersten Diener des Staates erwartet hätte. Sein Inhalt spricht dem Schreiber selbst das Urteil und ich enthebe Dich jeder Verteidigung.« Metternich an Kaiser Franz. Vortrag, Wien, 7. II. 1813. Wien, St. A.

Diesmal aber gibt der Kaiser dies Reskript nicht an seinen Bruder weiter. Der Hinweis auf des Ministers falsches Parteiergreifen macht ihn doch bedenklich. Immerhin, die Kritik an seiner eigenen allerhöchsten Person läßt ihn auch wieder Ärger über Erzherzog Joseph empfinden. Es ist klar, die Erzherzoge versuchen nun, ihren kaiserlichen Bruder von der Hörigkeit Metternich gegenüber abzubringen.

siehe Bildunterschrift

Prinzessin Amalie von Baden. Stich nach einem Bildnis von C. Keller

Nicht nur Erzherzog Joseph, auch Johann will andere Wege gehen. Dem Minister des Äußern sind Nachrichten zugekommen, wonach irgendeine Verschwörung zur Erregung eines Aufstandes in den westlichen gebirgigen Kronländern unter dem Namen »Alpenbund« im Gange ist, der die französisch-bayrische Vorherrschaft brechen und Napoleon im Rücken gewaltige Verlegenheit schaffen soll. Einer der Teilnehmer, ein Beamter namens Anton von Roschmann, tut nur scheinbar mit und verrät Metternich alles. In die Angelegenheit sind der Bruder des Kaisers Erzherzog Johann, der einfach der Meinung ist, etwas Hochpatriotisches zu tun, der Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs von Hormayr und last not least als Vertrauensmann seiner Regierung auch Clemens' Nebenbuhler im Herzen der Herzogin von Sagan, Mr. Harcourt King verwickelt. Man sollte glauben, daß eine solche Unternehmung Metternich langsam auch schon als nützlich erscheinen könnte, würden doch Napoleon dadurch weitere Verlegenheiten bereitet, um sich schließlich seiner Gewaltherrschaft gänzlich zu entledigen. Aber Clemens ist davon noch weit entfernt, Napoleon ist für ihn noch lange nicht endgültig geschlagen, noch lange nicht tot, stampft immer neue Armeen aus dem Boden. Zuzugeben Unrecht gehabt zu haben, ist des Ministers Sache nicht, kann nicht die eines Mannes sein, der stets und jedermann gegenüber das Wort im Munde führt und wiederholt: »Ich habe alles vorausgesehen.« Metternich bemüht sich wohl umzudeuteln und umzudichten, was er früher gesagt und geschrieben, aber gewisse Dinge, z. B. auch die Heirat der Tochter des Kaisers, bleiben als lebendige Zeugen seiner früheren Ideen bestehen und sind nicht aus der Welt zu schaffen.

Der Verräter Roschmann weiß sich auch sonst auf die geschickteste Weise bei Metternich ins Bild zu setzen. »Es ist ein Anschlag auf Euer Exzellenz Leben im Werke«, erfindet er. »Man glaubt, daß sich die Politik des österreichischen Kabinetts ändern werde, wenn Sie fallen … Die Idee soll aus dem russischen Hauptquartier kommen. Das, was ich hier schreibe, ist keine Chimäre, sondern, wie ich leider versichern muß, schaudervoller Ernst und Plan.« Gentz an Wessenberg. Wien, 10. März 1813: Wien, St. A. Auf Hintertreppen schlüpft der Verräter bei dem Minister ein und aus. Bei seinem Mißtrauen gegen die Brüder geht Kaiser Franz da wieder vollkommen mit dem Minister mit; was er vorschlägt, geschieht.

Clemens überlegt. Wieder kann man einen der widerstrebenden Erzherzoge gründlich demütigen, nach Karl und Joseph nun auch Johann niederwerfen und gleichzeitig diesen verdammten britischen Beau, diesen King treffen, wenn man sich dabei auch Straßenräubersitten bedienen muß. King ist der britische Geldgeber des »Alpenbundes«; er haßt Metternich, weil er die Herzogin von Sagan liebt und sieht, daß diese den mächtigen Staatsmann vorzieht, ja ihm, dem Fremden, vielleicht schon überhaupt gänzlich den Laufpaß gegeben hat. Da könnte man, denkt Clemens, zwei Fliegen auf einen Schlag treffen. »Die Bitterkeit ist wechselseitig aufs höchste gestiegen«, urteilt Gentz darüber, Gentz an Wessenberg. Wien, 10. März 1813: Wien, St. A. »Metternich sieht in King nichts mehr als einen Verschwörer und persönlichen Feind.«

Ein Kurier des Engländers wird nun in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1813 während seiner Reise auf des Ministers Befehl überfallen und die Papiere werden ihm weggenommen, worunter sich solche befinden, die einwandfrei seine Teilnahme an dem geplanten »Alpenbund«-Aufstande erweisen. Nun ist es an King, aufs äußerste empört zu sein: »Die mit ihm vorgefallenen Geschichten«, schreibt Gentz, »sind über alle Maßen fatal. Es ist klar, daß er in das Hormayrsche Komplott wenigstens geldgebend verwickelt ist. Er sieht aber, seitdem einer seiner Kuriere bei Weißkirchen angehalten und beraubt wurde, in Metternich nichts (anderes mehr) als einen Minister-Banditen.«

Kurz darauf werden dann Hormayr und zum Scheine auch Roschmann verhaftet, Erzherzog Johann in die Staatskanzlei und dann zu Kaiser Franz berufen, wo er, der treue Österreicher und tiefstergebene Diener seines Bruders und Kaisers, wie ein armer Sünder abgekanzelt und gedemütigt wird. Kings Verweilen in Wien ist nun unmöglich geworden, der Nebenbuhler beseitigt. Wieder ist Kaiser Franz, obwohl seine engste Familie betroffen ist, völlig mit Metternich gegangen. Dieser aber hat bewiesen, daß er noch alle Rücksichten für Napoleon walten und ihn noch lange nicht fallen läßt.

Der Korse hat indessen schon im April 1813 wieder mit frischausgehobenen Truppen im mittleren Deutschland gegen Rußland und die inzwischen zu diesem gestoßenen Preußen und Schweden einen neuen Feldzug begonnen. Viele seiner Freunde von früher, wie der selbst schon längst heimgekehrte Befehlshaber des österreichischen Hilfscorps des Feldzuges 1812, sind von ihm abgefallen. Schwarzenberg weilt jetzt in Wien und der französische Botschafter meldet entrüstet, er sei nun völlig in den Händen der Weiberclique, d. h. der Bagration und der Prinzessinnen von Kurland, die wieder mit Razoumowski und Stadion eng zusammenarbeiten. Hellmuth Rößler, Österreichs Kampf um Deutschlands Befreiung. Hamburg 1939, II/134.

Wie man aber Metternich nun in Rußland beurteilt, erhellt sehr klar aus einem Briefe seiner einstigen alten Freundin, der Fürstin Dolgoruki, deren Kind den Krieg über Wien verlassen hatte und nun dahin zurückkehren soll. »Indem ich Ihnen meinen Sohn wieder nach Wien sende, wiege ich mich in der Hoffnung, daß es der einstige Graf von Metternich ist, dem ich schreibe. Der neue ist bei uns lange Zeit als der erbittertste Feind der Russen betrachtet worden. Ich habe es nicht glauben wollen, habe sogar Lanzen für ihn gebrochen, denn ich bin gewohnt, in ihm einen Mann zu sehen, der sich in Sachen der Ehre an unveränderliche Grundsätze hält. Mit einem Wort, ich habe gegenüber und wider jedermann vertreten, daß Sie im Innersten Ihrer Seele nicht französisch sind, daß Ihre Stellung und die verschiedenen auf Sie einstürmenden Verhältnisse allein imstande waren, Sie zu einem Vorgehen zu bringen, das Ihren Meinungen zuwider ist …

Ich für meinen Teil bin gänzlich zugrunde gerichtet, über zwei Millionen Rubel Verlust habe ich zu verzeichnen, der Rest meines Besitzes ist so von Schulden überlastet, daß ich jetzt gezwungen bin, von dem wenigen zu leben, was ich vor meiner Heirat besaß. Die Armeen sind fünfmal über meine Güter dahingebraust (Freunde und Feinde), alles ist verbrannt, geplündert, ausgeraubt. Borodino ist ja nur zwei Meilen von meinem Hauptbesitz, das sagt Ihnen wohl alles. Mein Haus in Moskau ist verbrannt, meine schönen Landhäuser verwüstet und um das Übel voll zu machen, sind Seuchen aufgetreten und wir haben viele unserer Bauern verloren … Die Ernte, das Vieh, die Kornmagazine etc. etc., alles das existiert nicht mehr. Ich schwöre Ihnen, daß nur die allgemeine Tatkraft unserer braven Nation uns in unserem Unglück in gemeinsamer Übereinstimmung erhält. Man hat sich bei uns gesagt, hat es bewiesen und beweist es noch, daß jedermann lieber seinen letzten Heller gibt, bevor er das Joch des unverschämten Usurpators über sich kommen läßt. Der Brand von Moskau ist der Beweis für das, was ich Ihnen da sage, er ist nur über Aschenreste hineingekommen, anstatt Begrüßungsdeputationen und unterwürfige Niedrigkeit zu finden. Ich hätte Ihnen von den Verlusten meines Herzens eher sprechen sollen als von jenen meines Vermögens … ich bin umgeben von Toten. Bei der Räumung Moskaus verlor ich meine Mutter, die dem Schrecken und den Unbilden dieser peinlichen Flucht nicht mehr gewachsen war; ein reizender Enkel ist mir gestorben und rings um mich so viele andere … Mögen Sie nicht gleiches erleben, Gott gebe, daß Sie nur das Entzücken empfinden, sich in Ihren Enkeln wiederaufleben zu sehen, ohne den Kummer zu haben, sie beweinen zu müssen. Denn obwohl man aus Ihnen mit aller Macht einen grausamen Feind Rußlands machen will, bin ich gewöhnt, Ihnen nur Gutes zu wünschen. Tun Sie das gleiche für meinen Nikolaus, der in Ihr Wien zurückkehrt und schreiben Sie mir mit erster, sicherer Gelegenheit, ob ich Sie wirklich als einen Feind betrachten muß, oder ob ich hoffen kann, in Ihnen den alten Metternich wiederzusehen.« Fürstin Dolgoruki an Metternich. Petersburg, 26. Mai (1813). B. u., St. A. Z. P.

Jetzt beginnen sich beide feindlichen Parteien um Österreich zu bemühen, Clemens aber ist sich über die Zukunft noch gar nicht im klaren. Er erwartet von dem nächsten Schlag im Felde die Entscheidung über den Ausgang des Krieges. »Ich gestehe, daß ich in Bezug auf diese Schlacht in großer Unruhe bin. Nicht weil Napoleons Hilfsmittel gut sind, aber weil er viel Kopf hat und ich im Hauptquartier der ihm gegnerischen Souveräne das gänzliche Fehlen eines solchen feststellen muß.« Metternich an Lebzeltern eigenhändig. Wien, 29. April 1813. Wien, St. A. Er weiß wie Napoleon denkt und auch Bubna bekommt einen Begriff davon, wenn er, zur Erforschung allfälliger Friedensgeneigtheit nach Paris entsendet, dort von dem Korsen folgendes zu hören bekommt: »… Ich fürchte weder Geschosse noch Drohungen. Ich halte nicht viel von meinem Leben, ebenso wenig wie von dem anderer, und schwanke nicht, mein Leben aufzuopfern. Ich schätze es nicht mehr als jenes von hunderttausend anderen Menschen. Ich würde eine Million solcher opfern, wenn es nötig ist.« Albert Sorel, Essay d'histoire et de critique. Paris 1894, I/41.

Wenn man gleichzeitig den »aus diplomatischer Symmetrie« in das Hauptquartier der verbündeten Gegner des Korsen gesandten Stadion betrachtet, so ist die Person dieses Mannes eine viel zu bedeutende und bezeichnende, als daß seine Betrauung bloß in der Symmetrie begründet wäre. Seine Ernennung beweist nur, daß Metternich schon tüchtig Wasser in seinen Wein gießen muß, allerdings der Wein ist immer noch da, Stadion wird es nicht leicht haben. Aber der große Soldat, der der Korse nun einmal ist, weiß wieder den Sieg an seine Fahnen zu fesseln. Bei Lützen am 2., bei Bautzen am 21. Mai siegt er über seine Gegner. Gleich schlägt die Stimmung in Metternich wieder um. Seine sehr langsame allmähliche Erwärmung für die Sache der Gegner Napoleons erkaltet wieder und alle, die den Kaiser Franz endlich für die Mitwirkung gegen den Korsen gewinnen wollen, werden wieder zurückgedrängt. Immer noch verhallen die Worte des Zaren, der auch jetzt am 30. Mai wieder Kaiser Franz beschwört: Zar Alexander an Kaiser Franz. Schweidnitz, 30. Mai 1813. Wien, St. A. »Mögen sich Euer kaiserliche Majestät doch der schönen Rolle bewußt werden, mit einem Wort könnten Sie über das Los Europas entscheiden … Noch einmal, die Zeit drängt.«

Man wird sich endlich entscheiden müssen; die Kaiserin ebenso, wie der begeisterte Ratgeber Franz I. Anton Freiherr von Baldacci, aber auch viele andere Persönlichkeiten drängen den Monarchen, sich gegen Napoleon zu erklären. So kommt es bei beiderseitiger Erschöpfung am 4. Juni 1813 zu einem Waffenstillstand, der vorläufig bis Mitte August gilt. Österreich ist zwar noch neutral, aber schon wird eine Armee in Böhmen aufgestellt und jede Mahnung Stadions läuft auf »höchste Aktivität« hinaus. Nun beschließen Kaiser Franz und Metternich, sich näher in den entscheidenden Raum zu begeben, dorthin, wo sich schon der Zar und der König von Preußen und nicht weit davon auch der Gegner und die Armeen befinden.

Metternich sieht sich die Karte an und die feudalen Herrensitze, die in dem an Schlesien grenzenden Raum Böhmens für den Aufenthalt seines allerhöchsten Herrn in Betracht kommen. Nicht ganz ohne auch an sich zu denken, wählt er lauter Schlösser, die gar nicht weit von dem entzückenden Landhause Ratiboržitz der Herzogin von Sagan liegen. Für den Kaiser bestimmt er das Trauttmansdorff'sche Schloß Gitschin (Jitschin); dorthin reist er auch mit Franz I. am 3. Juni ab. Sorgfältig hat Metternich alle ausgeschaltet, vor allem den Grafen Wallis, der ganz »furios« darüber ist, daß er über diese Reise nicht befragt worden und nur der Minister des Äußern allein den Kaiser begleitet. Für die Schwestern des Zaren, die gleichfalls kommen wollen, wird das Schloß Opoèno gewählt und dort wird sie der allerhöchste Bruder auch besuchen.

Metternich steht vor gewaltigen Entscheidungen. »Es ist eine schreckliche Sache«, schreibt er seiner Tochter Marie, Metternich an seine Tochter Marie. Gitschin, 8. Juni 1813. B. u., St. A. Z. P. »ganz Europa auf seinen Schultern zu tragen … Zwei Kaiser und ein König auf 25 Meilen von hier, 300.000 Mann Truppen ebenso weit und 100.000 in unmittelbarer Nähe. Wenn man dann denkt, daß sich unter diesen Kaisern der gute Napoleon befindet und das gesamte Weltall auf sie blickt, daß achtzig Millionen Menschen ihr Heil von Gitschin erwarten und ich mir, wenn ich mit dem Kaiser spazieren gehe, sage, daß dieses Glück uns als unsichtbarer Dritter begleitet, da gibt es etwas zu denken! Um aber meinen Verstand höher zu schrauben, bin ich im Schlosse gegenüber der Kapelle untergebracht, wo man unglücklicherweise, seit wir hier sind, die Orgel stimmt. Ich höre oft eine ganze Stunde lang immer den gleichen Ton, einmal hoch und einmal niedrig … Die Glocken sind gesprungen, auch läutet man auf etwa zehn Klafter (20 m) von meinen Ohren mit zwei dicken Glocken, die Kochkesseln gleichen. Und ich sitze mit meiner Politik inmitten von alldem.«

Gentz geht es besser; er weilt im zauberhaften Ratiboržitz, einem, wie er sagt, »kleinen Paradies, das die Herzogin von Sagan zum Himmel macht«. Der eitle Mann ist in seinem Element und verlebt »die interessantesten, lebendigsten, merkwürdigsten Wochen seines Lebens«, denn die drei oder vier böhmischen Schlösser da in dem engen Raum zwischen Dresden und Reichenbach verdunkeln zur Zeit den Glanz aller Hauptstädte Europas und Gentz fühlt sich äußerst bedeutend inmitten von regierenden Häuptern, Premierministern, wichtigen Konferenzen, hin- und herjagenden Kurieren. Und dieses zu allem Überfluß im Hause einer schönen Frau. Gentz an Wessenberg. Ratiboržitz bei Nachod, 5. VII. 1813. Wien, St. A.

»Ich lebe hier wie im Himmel«, wiederholt Gentz zu Pilat. Gentz an Pilat. 14. Juni 1813. Briefe von Gentz an Pilat, herausgegeben von Dr. Mendelssohn-Bartholdy. Leipzig 1868, S. 8-11. »… Was ich an guter Aufnahme, an allen Bequemlichkeiten des Lebens, an göttlicher Ruhe, an vortrefflichen Nahrungsmitteln und sonstigem Komfort genieße, ist schwer zu beschreiben.« Neidvoll bedenkt dies Metternich, der dort in Gitschin »mit Serenissimo, seinen täglichen vier oder fünf Kuriers und öfters mit einer Pfeife Tabak einsam und allein hauset«. Nun, er wird schon den Weg nach Ratiboržitz zu finden wissen, weit ist es ja nicht.

Die Großfürstinnen Katharina und Anna weilen nun im Schloß Opoèno, wohin sich der Zar aus dem Hauptquartier der Verbündeten begibt, um sie zu besuchen. Zumindest ist das der Vorwand, auf dem Hinwege aber verweilt und speist er am 16. Juni in Ratiboržitz bei der Herzogin von Sagan. Brühwarm läßt dies Gentz »Wilhelminens Todfeindin«, der Fürstin Bagration berichten, der es nicht gelungen ist, sich auch in dieses für die Welt so wichtige Schlösser-Viereck hineinzuschmuggeln. Metternich wäre dies sehr unangenehm gewesen und Gentz handelt ganz in seinem Sinne, wenn er vor der Fürstin Bagration »über alles, was den Grafen angeht, eine Art von Schleier liegen lassen will«.

Was aber macht Zar Alexander bei Wilhelmine von Sagan? Sie arbeitet für Rußland, das weiß der Zar; sie bezieht ihre Einkünfte zum Großteil aus diesem Lande, das weiß er auch, und Metternich ist rasend in die Herzogin verliebt, das weiß er am besten. Und zudem ist ihm auch bekannt, daß nur einer, nur Metternich, sich in Österreich noch nicht entschließen kann, zu den gegen Napoleon stehenden Verbündeten überzutreten. Und daß man ihn gewinnen will, ihn gewinnen muß, um endlich die Einheitsfront gegen den noch immer übermütigen Korsen zu schließen. Dazu muß die Sagan wirken, nach wie vor, jetzt aber ganz besonders. Ein durch sein Auftreten und seine schöne Gestalt berückender Mann, dazu Zar von Rußland und Sieger über Napoleon, steht vor der klugen, schönen Herzogin und sagt ihr ohne Umschweife, was er von ihr will. Und man kann sich leichthin vorstellen, wie sie ihm beteuernd versichert, daß alles, was in ihren Kräften steht, dazu geschehen wird, wie es die Majestät wünscht, wie es die Majestät befiehlt. Sie wird wohl in »meinen schwachen Kräften« gesagt haben, aber in Wirklichkeit sind sie gerade in diesem Falle nicht schwach, im Gegenteil, sie nähern sich der Erfüllung, dem Siege.

Der Kaiser bleibt bis sieben Uhr abends und läßt die Herzogin über alles, was er ihr gesagt hat, begeistert und entzückt zurück. Dann fährt er weiter über Neustadt nach Opoèno, wo er einige Tage bei seinen Schwestern bleiben will. Metternich hat von der Ansage des Zaren in Ratiboržitz gehört und sich sofort auf den Weg dahin gemacht, um ihn noch zu treffen und zu sprechen. Aber er kommt genau eine Stunde nach der Abfahrt des Herrschers dort an. So hat die Herzogin gleich Gelegenheit das durchzuführen, was der Zar von ihr verlangt hat. Schon die ganze Zeit über hat sie mit Metternich eine fortlaufende Korrespondenz geführt, Emilie von Binzer erzählt, daß Metternich ihr diese Briefe aufzuheben gab und die Herzogin Wilhelmine sie ihr vorgelesen habe. In späteren Jahren hat sie aber die Briefe auf des Fürsten Metternich Bitte verbrannt. Möglicherweise war dies aber nur eine Ausrede, um sie nicht hergeben zu müssen, dann müßten sie sich noch in dem Schlosse Sagan befinden. Anderseits kann Metternich auch gewünscht haben, daß die Nachwelt nicht wisse, wie schwer er sich entschloß, wie lange er gezögert und welcher Anstrengungen es bedurfte, um ihn von Napoleon weg auf die Seite der Verbündeten zu führen. Dies kam besonders nach dem Sturze Napoleons in Betracht, als Metternich glauben machen wollte, er hätte niemals richtig zu Napoleon gehalten. Es gibt sehr ähnliche Beispiele in der Weltgeschichte. in der sie »alle Hebel einer schönen Frau, eines hohen Verstandes und einer Patriotin in Bewegung setzte, um den Anschluß an die Verbündeten zu fördern«. Emilie von Binzer, Drei Sommer in Löbichau 1819-21. Stuttgart 1877, S. 37, 38. Die Schreiben der Herzogin glühten vor Begeisterung und enthielten Darlegungen der damaligen Verhältnisse, die einem jeden Staatsmann Ehre gemacht hätten.

Gentz sagt von der schönen Besitzerin von Ratiboržitz, daß ihr männlicher Verstand durch ungewöhnliche Kenntnisse unterstützt, sie hochgeeignet machte, in die großen Begebenheiten jener Zeit einzugreifen. Die Macht ihrer Persönlichkeit, die blendende Schönheit ihrer einunddreißig Jahre, ihre vollendeten Formen, ihr goldenes Haar über der schönen Stirne und der edlen Nase ließen sie Metternich entzückender und verführerischer erscheinen als je. Und nun, wo sie die Sprecherin eines Siegers ist, der allerdings von dem österreichischen Minister bisher namenlos befehdet worden, haben ihre Worte auch sonst mehr Gewicht. Clemens verbringt die Nacht in Ratiboržitz und fährt am nächsten Tag morgens um neun Uhr zum Zaren nach Opoèno weiter. Die würdevolle und dabei graziöse Gestalt des Monarchen, die offene, edle Haltung bei großer Liebenswürdigkeit macht tiefen Eindruck auf Metternich und wenn er sich auch noch nicht ganz geschlagen gibt, seine bisherige Haltung erfährt einen ernsten Stoß. Der Zar war dabei noch von seinen schönen Schwestern umgeben gewesen, von denen besonders Katharina auf den Österreicher einen tiefen Einfluß ausübt. Hudelist hat ganz recht, wenn er in diesen Tagen an Metternich schreibt: »Euer Exzellenz mögen in Opoèno einen harten Stand gehabt haben, einer gegen so viele, worunter noch ein paar so schöne und gefährliche Damen, wie die beiden Großfürstinnen waren, die durchaus nichts von Frieden wissen wollen.« Hudelist an Metternich. 18. Juni 1813. Wien, St. A.

»Alle Anzeichen sprechen dafür«, bemerkt Metternich an Stadion. Gitschin, 23. Juni 1813. Wien, St. A. Clemens nach diesen verschiedenen Zusammenkünften zu Stadion, »daß der Kaiser der Franzosen viel Unruhe darüber zeigt, welche Partei wir nun ergreifen werden.« Bisher hat der Korse mit Metternich nicht sprechen wollen, nun aber findet der Graf bei seiner Rückkehr nach Gitschin Napoleons Einladung zu einer Zusammenkunft in Dresden vor. Metternich ist entschlossen, dem Kaiser der Franzosen dort unter bestimmten Bedingungen eine Friedensvermittlung anzutragen, mag aber dieser nicht darauf eingehen, so will er sich den Verbündeten anschließen. Nichts fürchtet Stadion mehr, als daß Napoleon wirklich in Metternichs Politik einlenkt. Rößler a. a. O. II/145.

Sechs Stunden lang dauert die Unterredung zwischen diesen beiden Männern, die nur unter ihren vier Augen stattfindet. Jeder von beiden gibt eine von seinem eigenen Standpunkt ausgehende Darstellung dieser Verhandlung und eine widerspricht der anderen. Die Darstellung, die Metternich über diese Unterredung in den nachgelassenen Papieren, I/149-157 gibt, ist lange nach dem Sturz Napoleons und dementsprechend wie alles, was er nachher gesagt und geschrieben hat, in dem Sinne abgefaßt und umgefärbt, daß Metternich immer alles vorausgesehen, niemals überzeugt napoleonische Politik gemacht habe und auch nie an den Stern des Korsen glaubte. Napoleons Darstellung wieder ist hauptsächlich in Baron Fain, Manuscrit de 1813, contenant le précis des évènements de cette année; pour servir à l'histoire de l'empereur Napoléon, Paris 1824, und im Mémorial de Ste. Hélène gegeben und wieder in seinem Sinne gefärbt, aber im allgemeinen glaubhafter als die Darstellung Metternichs. Man muß allen Schilderungen des Ministers über diese Zusammenkunft, die vor Napoleons Sturz gegeben wurden, wie z. B. dem hier herangezogenen Brief an seine Tochter, viel größeren, wenn auch nicht vollkommenen Glaubens- und Vertrauenswert zubilligen. Sicher ist, daß Napoleon Metternich schwere Vorwürfe wegen seiner Verhandlungen mit den Gegnern Frankreichs gemacht hat. Also so wenig nützt es ihm, daß er die Tochter des Kaisers Franz geheiratet hat! »Alles bestätigt meine Ansicht«, sagt der Korse, »daß ich damit einen unverzeihlichen Fehler begangen habe … Es kann mich den Thron kosten, aber ich werde die Welt unter ihren Trümmern begraben.« Man hört immer die gleichen Töne, wenn ein politischer Hasardeur größten Ausmaßes schließlich dem endgültigen Zusammenbruch entgegeneilt.

Napoleon ist sanfter bei dieser Unterredung, als er es sonst bei solchen Gelegenheiten zu sein pflegt, weil er immer noch im Stillen hofft, Österreich werde neutral bleiben und Metternich – er möge sagen, was er will – dem Korsen auch immer noch einige Hoffnung darauf gelassen hat. Schon die Verlängerung des Waffenstillstandes bis zum 10. August, die er vorschlägt und die Napoleon auch annimmt, ist eigentlich ein Bruch der Abmachungen Stadions mit den Verbündeten.

Nun, ein Kongreß zu Prag soll alles regeln. Schon am Tag nach der Zusammenkunft mit Napoleon schließt Metternich den geheimen Vertrag von Reichenbach, der das Versprechen Kaiser Franzens festlegt, Frankreich ohne Umschweife den Krieg zu erklären, falls der Korse bestimmte festgesetzte Bedingungen ablehnt. Clemens teilt dann unter dem 2. Juli seiner Tochter Marie mit der Bitte um Weitergabe an die Mutter mit, daß er sich um den 6. von Gitschin weg nach Prag begeben werde, um die Verhandlungen über die österreichische Vermittlung zu führen. Die Gräfin war nämlich auch in Dresden gewesen, hat aus dem Munde ihres Gemahls als erste den Inhalt der denkwürdigen Unterredung gehört und ist, wie Metternich glaubt, »sehr zufrieden« nach Wien heimgekommen: »Am letzten Tag habe ich noch eine sechsstündige Schlacht mit dem Kaiser (Napoleon) gehabt, aber ich bin daraus so siegreich hervorgegangen, daß er mich schließlich umarmt hat … Wir werden in Kürze Frieden schließen oder wir werden noch einen höllischen Krieg haben und dann werde ich das Vergnügen genießen, den Feldzug zu unternehmen. Ich schmeichle mir indessen, daß wir Frieden haben werden, besonders mit Rücksicht auf die ersten moralischen Siege, die ich über den Kaiser davongetragen habe.« Metternich an seine Tochter Marie. Gitschin, 2. Juli 1813. B. u., St. A. Z. P.

Man sieht, gar so hochnäsig, ja unhöflich, wie Metternich nach einer nachträglichen Darstellung Napoleon in Dresden entgegengetreten sein will, dürfte er kaum gewesen sein, sonst hätte der Kaiser ihn nicht umarmt. Immerhin, er ist nun weit entfernt, dem Korsen so weitgehend zu folgen, wie in früheren Jahren.

Die Fürstin Bagration hat, in Wien die ganze Zeit über mehr oder weniger ausgeschaltet, eifersüchtig auf die inmitten der Ereignisse stehende Wilhelmine von Sagan gesehen. Man hat ihr hinterbracht, Gentz, Stadion und Humboldt machten sich auch noch lustig über sie und sprächen in ungeziemenden Ausdrücken von ihr. Metternich erfährt dies durch das Interzept eines Briefes der Gemahlin Humboldts, ärgert sich darüber und sinnt auf ein anständiges Mittel, um diese Dame aus Wien abzuschaffen. Er ärgert sich immer dann besonders, wenn wirklich Wahres gesagt wird, über das notorisch Falsche lacht er und macht höchstens einen Witz dazu. Aber wenn man die Bagration zu viel hänselt, ist ihm dies peinlich, weil sie die Feindin der Herzogin von Sagan ist und er die Feindschaft nicht schüren will. Zu leicht könnte Wilhelmine, die er liebt, daraus zu Schaden kommen. Mit der Sagan muß er auch sehr vorsichtig sein, Nebenbuhler um ihre Gunst tauchen auf und sind oft bei ihr zu Gast, darunter ein Prinz Alfred Windisch-Graetz, von dem man schon in Wien raunt, daß er ihr dritter Prinzgemahl werden dürfte.

Nun gehen alle großen Herren und Damen nach Prag zum Kongresse ab, der endgültig über weiteren Krieg oder Frieden entscheiden soll. Auch Großfürstin Katharina von Rußland, die schöne Schwester des Zaren und seine politische Vertraute, von der man sich erzählt, sie hätte nach dem siegreichen Feldzuge gesagt: »In meinem ganzen Leben bedauere ich am meisten, daß ich im Jahre 1812 kein Mann war.« Correspandance de l'empereur Alexandre Ier avec sa soeur a. a. O. S. XXIV. Sie trifft in Prag auch den Erzherzog Karl, nähert sich ihm und findet an seinem Wesen und seinen klugen Gesprächen Gefallen. Obwohl ihr Gatte erst am 14. Dezember 1812 gestorben ist, sagt man allgemein von ihr, sie sei schon nach einem neuen aus. Mißtrauisch sieht der Minister den engen Verkehr dieser beiden Persönlichkeiten.

Metternich und Kaiser Franz werden durch die Ereignisse immer enger aneinander geschmiedet. Clemens weiß des Kaisers Eitelkeit und Schwächen sehr geschickt zu nähren. Im Jahre 1813 schreibt er dem Monarchen aus Brandeis z. B.: Metternich an Kaiser Franz. Brandeis, 12. Juli 1813. Wien, St. A. »Nachdem alle Mittel der Monarchie zertrümmert zu den Füßen Eurer Majestät lagen und das ganze Ministerium den Untergang des Staates als unvermeidlich – in Krieg und Frieden ansahen, behielten Euer Majestät allein noch Mut; Allerhöchstdieselben übertrugen mir die schwere Last des Ministeriums; durch glückliche Umstände begünstigt, voll Vertrauen auf den festen Sinn, auf die sichere Unterstützung Eurer Majestät habe ich getan, was mir Pflicht und Gewissen geboten. – Wir haben auf diese Weise in weniger als vier Jahren die erste Stelle in Europa wieder errungen! … Diese Wahrheit ist mir zu einleuchtend, als daß ich den Satz nicht als gänzlich ausgemacht annehmen muß, daß Euer Majestät, im Falle Frankreich die Friedensbasen nicht annehmen sollte, Ihrem Worte treu bleiben und Ihre Rettung im engsten Anschließen an die Alliierten suchen werden …« Kaiser Franz versah diesen Brief darauf mit folgender an Metternich gerichteter Randbemerkung: »Ihnen habe ich großenteils den jetzigen ruhmvollen politischen Zustand meiner Monarchie zu verdanken, ich rechne auch auf Sie in meinen Bestrebungen ihn zu erhalten, Friede, dauerhafter Friede ist gewiß das für jeden redlichen Mann erwünschteste, umsomehr für mich, dem das aus einem Krieg entstehende Leiden so guter Untertanen, so schöner Länder, an denen ich mit Leib und Seele hänge, am schmerzlichsten fällt … Übrigens können Sie auf meine Festigkeit in Durchführung dieser Grundsätze rechnen …

Franz.«

Befriedigt kann Metternich nun nach Prag gehen, wo Wilhelmine von Sagan schon ihren Posten bezogen hat. Noch ist nicht alles gewonnen, noch Österreich nicht entscheidend an Rußlands Seite getreten; die Herzogin verdoppelt daher ihre Anstrengungen und Metternich liegt mehr als je in ihren Liebesbanden. Ihr Einfluß auf ihn wird immer stärker. Gentz hat Wilhelmine in Prag einen Teil seiner sehr schönen Wohnung überlassen. »Zwischen ihr und dem Grafen Metternich«, schreibt er, »bestand damals ein sehr intimes Verhältnis.« Aus dem Nachlasse Varnhagens von Ense, Tagebücher von Friedrich von Gentz, Bd. 1, S. 265.

Unweit Prag formt sich auch das Hauptquartier des Feldmarschalls Schwarzenberg, der zum Oberbefehlshaber jener im Aufmarsch begriffenen österreichischen Armee ernannt ist, die dem Wort des Kaiserstaates ein entsprechendes Gewicht verleihen soll. »Man speist dort«, schreibt Metternich ironisch an seine Tochter Marie, Metternich an seine Tochter Marie. Prag, 16. Juli 1813. B. u., St. A. Z. P. »an einer langen Refektoriumstafel mit vierzig oder fünfzig Schnurrbärten aller Farben und Formen. Der Fürst hat ein sehr gut eingerichtetes und elegantes Hauptquartier, lauter junge Leute schlanker und ranker Gestalt und jeder ihrer Schritte zeugt von tiefstem Respekt. Du siehst nur lauter Clams, Paars, Choteks, Casperl Széchényi etc. etc. wie die Zwiebeln aufgereiht, die sich weder trauen zu sprechen, noch zu husten oder zu spucken und immer nur den Befehl ihres Herrn erwarten, um irgendeinen Ritt von 25 oder 30 Meilen anzutreten. Inmitten von all dem findest Du die kleine Hausfrau, die sich seit einigen Tagen auch in Prag niedergelassen hat und täglich ins Hauptquartier essen geht. Sie schaut aus wie ein Floh inmitten von einem Haufen von Maikäfern. Erzähle bitte nicht meinen Vergleich, denn er würde augenblicklich in Wien die Runde machen … Wir warten ›immer‹ der Dinge, die da kommen sollen. Dieses ›immer‹ wird aber bald sein Ende haben, doch glaube ich nicht, daß irgendjemand auf der Welt, ausgenommen der liebe Gott, der uns nicht in sein Geheimnis einweiht, weiß, wie das ausgehen wird. Wenn es doch zum Kriege kommt, so sage Mama, sie soll auch dann ruhig bleiben. Die Dinge prägen sich so scharf aus, daß es schwierig wäre zu entscheiden, wem das bessere Spiel zufallen wird; die Zeit aber, die wir gewonnen haben, versetzt uns in eine sehr gute Lage.«

siehe Bildunterschrift

Marie Louise und der König von Rom. Nach einem zeitgenössischen Gemälde

Die letzten Worte Metternichs lassen durchblicken, daß er nun schon mit Krieg rechnet, ja bereits für die Teilnahme daran gewonnen ist. Er hat in letzter Zeit ja doch gemerkt, daß sein allerhöchster Herr unter den Vorhaltungen der Kaiserin, Baldaccis und der Ereignisse selbst bedenklich geworden ist und nur noch auf die endgültige Meinungsänderung Metternichs wartet, auf den er so viel hält. Ununterbrochen ist in letzter Zeit Maria Ludovika in ihren Gatten gedrungen, hat auf ihn eingesprochen, Brief auf Brief an ihn gesendet: »Nur nicht mehr nachgeben, siegen oder sterben; geht die eine Hälfte der Monarchie verloren, muß die andere ausharren, bis der Feind unterliegt. Mit Mut und Festigkeit erringen wir den Sieg …« Kaiserin Maria Ludovika an Franz I., o. D. 1813. Wien, St. A.

Die Kaiserin ist überzeugt, daß Napoleon niemals Frieden schließen kann und will und alles Verhandeln mit einem solchen Mann vergebens ist. Und nun geschieht etwas ganz Merkwürdiges. Noch vor so wenigen Monaten hat Metternich den Erzherzog Johann, Hormayr und all die Verschworenen gedemütigt, ins Gefängnis gesteckt und schärfste Erlässe gegen sie herausgegeben, und nun auf einmal will er ganz dasselbe in Gang bringen, was diese schon längst machen wollten und denselben Erzherzog Johann zu einem ganz ähnlichen, früher als toll und verbrecherisch bezeichneten Unternehmen veranlassen. Am 15. Juli ergehen schon die betreffenden Schreiben des Kaisers und Metternichs an Erzherzog Johann.

Nun nähert sich der Augenblick der Entscheidung und da denkt Clemens, seinen Vater auch ein wenig über die eigenen Belange unterrichten zu müssen: Metternich an seinen Vater. Prag, 26. Juli 1813. B. u., St. A. Z. P. »In dem ungeheuer krisenhaften Augenblick, in dem wir uns nun befinden, glaube ich Dich über eine Angelegenheit von wohl sehr hoher Bedeutung beruhigen zu sollen. Wenn das Ergebnis der derzeitigen Lage Krieg sein sollte, sorge Dich nicht Ochsenhausens wegen. Es wird da keinerlei scharfe Maßregel erfolgen. Ich habe in dieser Beziehung das Ehrenwort des Kaisers Napoleon und des Königs von Württemberg und dies in einer Weise, die keinerlei Zweifel gestattet. Der Himmel hat mich in die Lage versetzt, meiner Familie einige Dienste zu leisten. Ich werde ihr auch noch diesen leisten, also sei ganz ruhig. Werden wir Krieg haben oder nicht? Niemand kann vor dem 10. August (Ablauf des Waffenstillstandes) diese Frage entscheiden. Ich sage dieses ›niemand‹ und beziehe Napoleon darin ein.

Aber soll geschehen was will, ich werde meine Pflicht getan haben und wenn ich alle Friedensmöglichkeiten erschöpfe, so wird es deswegen nicht weniger sicher sein, daß der Krieg mit Erfolgsaussichten geführt wird, die weit über alles hinausgehen, was Du Dir vorstellen kannst. Man muß … so gestellt sein, wie ich es bin, überall alles sehen, was geschieht. Man muß wissen, welche Mittel auf der einen Seite zur Verfügung stehen, auf der anderen fehlen, mit einem Wort man muß im Zentrum von allem stehen, um sich eine richtige Vorstellung von der wahren Lage der Dinge machen zu können. Niemals hat es eine verwickeltere gegeben und niemals ist die Rolle irgendeiner Macht der unsrigen vergleichbar gewesen. Wir sind so gänzlich der Mittelpunkt von allem, daß jedes Wort … durch uns läuft. Napoleon ist in einer so merkwürdigen Lage, daß er, so oft er an irgendeine Türe klopft, die Antwort bekommt: ›Gehen Sie zum österreichischen Kabinett und fragen Sie‹.«

Metternich hat an alles gedacht; er scheint also damals bei jenem berühmten Zwiegespräch in Dresden selbst auch über Ochsenhausen gesprochen zu haben; nun fühlt er sich und wirklich, Österreich ist das Zünglein an der Waage. Der Minister schreibt allerdings ein wenig zu viel und seine junge Tochter ist etwas indiskret. Die Bemerkung ihres Vaters aus dem Brief vom 2. Juli von dem moralischen Sieg über Kaiser Napoleon ist in Wien durchgesickert und der russische Botschafter erzählt überall, daß in der Stadt Wien zwei Schreiben Metternichs an Wiener Damen zirkulieren. In dem einen stünde die Geschichte vom moralischen Sieg, in dem anderen, die Monarchie werde entweder gerettet werden, oder aber Metternich sich den Hals brechen. Hudelist wollte dem Russen einreden, das seien nur Gerüchte, aber Stackelberg läßt sich nicht irremachen, er weiß es besser, es sind keine propos de toilette. Unangenehm ist nur, daß die Bemerkung über den moralischen Sieg durch den französischen Botschafter in Wien zur Kenntnis des Kaisers Napoleon gebracht worden ist. Hudelist an Metternich. Wien, 30. Juli 1813. Wien, St. A.

Da sich indes immer mehr ausspricht, der Korse werde die ihm in Paris gestellten, einem Ultimatum gleichenden Forderungen nicht annehmen, neigen sich die Dinge der Entscheidung und dem Kriege zu. Und nun, am 10. August, steht die Sagan am Ziel ihrer Wünsche, vor dem Vollzug des Befehles, den sie vom Zaren bekommen hat: Metternich und damit Österreich endgültig auf die Seite der Verbündeten zu ziehen. Der Minister verbringt den Abend des entscheidenden Tages bezeichnenderweise bei Wilhelmine. Immer noch hat Caulaincourt bis zum letzten Augenblick auf eine Nachricht aus Napoleons Hauptquartier in Dresden gewartet, die ein Nachgeben und damit vielleicht den Frieden gebracht hätte. Aber nein – umsonst. Der Kaiser bleibt starr. Punkt Mitternacht erscheinen die russischen und preußischen Vertreter und erklären ihre Vollmachten für erloschen. Da reicht Prinzessin Wilhelmine triumphierend Metternich die Feder, damit er die schon bereitgestellte Note unterzeichne, »daß Österreich dem russisch-preußisch-englischen Bündnisse beitrete und mit den Verbündeten an den neu beginnenden Feindseligkeiten teilnehmen werde.«

Eine Schwierigkeit nur ist noch zu lösen: die Frage des Oberbefehls über die verbündeten Armeen. Und da ergibt sich die Groteske, daß Erzherzog Karl, den Napoleon im Jahre 1812 zum Befehlshaber des österreichischen Heeres gegen Rußland wünschte, nun vom Zaren zu jenem gegen Napoleon vorgeschlagen wird. Und dies nicht deswegen, weil Erzherzog Karl damals abgelehnt hat, sondern weil die Großfürstin Katharina, die mittlerweile viel mit Karl und seinem Bruder Johann zusammengekommen ist, daran denkt, den ersteren zu heiraten. Sie wünscht daher ehrgeizig, daß ihr künftiger Bräutigam in dem nun beginnenden, so aussichtsreichen Kampf, in dem man Napoleon mit Übermacht entgegentreten kann, Lorbeeren pflücke und mit diesen geschmückt seinerzeit an ihrer Seite vor den Altar trete.

Da aber hat sie nicht mit Metternich gerechnet; Erzherzog Karl ist der erklärte Feind des Staatsmannes oder eher umgekehrt. Der Minister weist auf die Fehler militärischer Natur im Jahre 1809 hin, zudem will er keinen von den drei hervorragenden Erzherzogen Karl, Joseph und Johann, die ihm mehr oder weniger immer widerstreben, so sehr erhöht sehen. Und darum wählt man Schwarzenberg, diesen selben Schwarzenberg, der noch vor so kurzem gegen Rußland befehligt hat und sich erst nach dem Feldzuge oder nur ganz in den letzten Tagen desselben etwas früher als Metternich vom napoleonischen System losgelöst hat. Auch bei dieser wichtigen Frage hat sich die Herzogin von Sagan einzuschalten gewußt, denn Schwarzenberg war dem Zaren gar nicht recht. So läßt man Gentz auf Betreiben der schönen Frau an Metternich schreiben: Gentz an Metternich. Prag, 16. September 1813. Wittichen, Briefe a. a. O. III/155. »Meine Nachbarin (die Herzogin Wilhelmine) hat mir schon vor einigen Tagen aufgetragen, Euer Exzellenz zu sagen, sie wisse ein sicheres Mittel, um alle Mißverständnisse über das Oberkommando der Armee ein für allemal zu heben. Man soll es nämlich dem Kronprinzen von Schweden unbedingt übertragen. Ich bin dieser Meinung nicht. Die Herzogin verlangt aber ausdrücklich, daß ich sie Ihnen mitteile.«

Nun, Bernadotte, denn das ist der Kronprinz von Schweden, ausgerechnet einen Franzosen, den ehemaligen Marschall Napoleons, zum Oberbefehlshaber der Verbündeten gegen diesen zu machen, das geht denn doch nicht. Zar Alexander ist froh, daß Österreich endlich beigetreten ist und fügt sich. Soll Schwarzenberg diese Ehre genießen.

Nun wird es ernst; am 16. August schreibt Metternich an Hudelist: Wien, St. A. »Wir haben den letzten Termin unserer Ruhe erreicht, morgen fangen die Hostilitäten an.« Und um elf Uhr nachts fügt er noch eigenhändig hinzu: »Soeben ist der letzte Versuch gescheitert und Caulaincourt verläßt uns heute Nacht. Er ist über den Gang der Dinge untröstlich und hat sich vom Anfang bis zum Ende der Negoziationen als ein wahrer Biedermann betragen.«

Die Anhänger des österreichischen Ministers ärgern sich in gewissem Sinn, daß nun Maria Ludovika, Baldacci und all die Russophilen Recht behalten haben und irgendwie wurmt es auch Metternich ein wenig. »Graf Wallis«, meldet ihm Hudelist, Hudelist an Metternich mit Randbemerkung Metternichs. Wien, 20. August 1813. Wien, St. A. »ist gegenwärtig viel bei Ihrer Majestät der Kaiserin und lobt sie über alle Maßen als sehr friedfertig, vermutlich, weil nun Krieg ist.« Und Metternich schreibt an den Rand dazu: »Ihre Bemerkung trifft mit einigen Worten, welche mir Napoleon über das sagte, überein – on dit que votre Impératrice veut la paix; c'est apparément parceque l'Empereur veut la guerre.« Aber das nur so nebenbei, eine kleine Empfindlichkeit. Im wesentlichen hofft nun jedermann auf guten Ausgang, wenn auch Krieg stets unter wie immer gearteten, auch günstigen Umständen, eine schlimme Sache ist.

»Wenn alle Welt uns ähneln würde, meine liebe Marie«, schreibt Metternich an seine Tochter Marie. Prag, 4. September 1813. B. u., St. A. Z. P. Clemens in den ersten Tagen des erneuten Kampfes seiner Tochter, »würde es keine Kriege geben. Diese sind eine recht häßliche Erfindung, aber liegen unglücklicherweise in der menschlichen Natur. Inmitten von Tausenden von Toten und Verwundeten siehst Du die Truppen singen und lachen und darüber klagen, wenn drei Tage ohne Schlacht vergehen. Die gesamte Armee ist erneut in Bewegung, alle schon vorgerückten Korps sind in Sachsen und es ist kaum zu glauben, was die französische Armee an Material verliert … Napoleon scheint gar nicht mehr recht zu wissen, was er tut oder vielmehr was er tun soll und wir haben endlich das richtige Mittel gefunden, ihm gründlich Leids anzutun, während wir uns so viel als möglich schonen … Vor zwei Tagen haben wir ein Tedeum in den beiden Feldlagern gehabt. Eine schöne und rührende Zeremonie, 30.000 Mann in einem ungeheuren Rechteck zu sehen, das aus den gleichen Männern gebildet ist, die tags vorher dem Tode entronnen sind, während sie dieser vielleicht morgen erwartet. Und inmitten dieses Karrees ein Altar, errichtet aus den Trommeln der Tambouren und bedeckt mit dem reichen Prachtschmuck der Kirche. Dann stimmen die Priester den Bittgesang um die Gnade des Herrn der Heerscharen an; 30.000 Mann lassen sich auf ein Befehlswort gleichzeitig aufs Knie nieder und grüßen ihren Herrgott mit denselben Waffen, die sie in Verteidigung des Vaterlandes tragen und die noch vor wenigen Stunden den Feind vernichtet haben. Wenn Du in Wien im Tedeum gewesen bist, wirst Du sicherlich für all die tapferen Leute gebetet haben und auch, daß Gott mir Kraft und Mut gebe und mich in meinem großen Unternehmen unterstütze.«

Nun muß Metternichs Politik auch auf anderen Gebieten, in Italien zum Beispiel, völlig in ihr Gegenteil verkehrt werden. In früheren Zeiten hat er in seinen Weisungen nach Neapel immer durchblicken lassen, wie »sehr er auf Sieg Napoleons rechnete, und erst nach der Niederlage in Rußland ist er vorsichtiger geworden. Seine Beziehungen zu Caroline Murat, seiner Freundin aus der Pariser Zeit her, hat er nie ganz abreißen lassen. Man konnte nicht wissen, ob man sich nicht noch einmal ihrer werde bedienen können. Beide Teile sagen sich, wenn ihre einstigen Liebesbeziehungen auch schon längst der Vergangenheit angehören, sie werden einander eines Tages noch brauchen, so oder so. Nun kommt dies nach Napoleons Niederlage in Rußland insbesondere für Caroline in Betracht. Im Februar 1813 war Murat nach Neapel zurückgekehrt, nachdem er den Rest der Armee im Norden, zu seines großen Schwagers Ärger und Mißbilligung, gleich diesem in Stich gelassen. Metternich hatte sofort daran gedacht, dieses schlechte Verhältnis zwischen den beiden Männern auszunützen. Murat will sich jetzt rächen, um so mehr, als der mächtige Korse nun immer kleiner wird und man sich vielleicht eines Tages gar nicht mehr auf ihn wird stützen können. Wie also Caroline Anlehnung sucht, Anlehnung an den alten, so hochgestiegenen einstigen Liebhaber, so auch Murat, der einen Prinzen Cariati nach Wien sendet, um zu sehen, ob man sich nicht die Krone Neapels für den Fall eines Unglückes Napoleons durch Österreich sichern könnte.

Metternich hat der Königin Caroline andeuten lassen, sie solle sich nicht direkten, aber geheimgehaltenen Verbindungsversuchen ihres Mannes mit Österreich widersetzen. »Sagen Sie ihr«, schreibt Metternich an Graf Mier. 24. März 1813. Wien, St. A. er zu Ende März dem österreichischen Gesandten in Neapel Grafen Mier, »daß diese sogar für ihre (der Königin) Interessen sehr nützlich sind. Die Mächte wenden sich an uns, um zu hören, wie unsere Ansicht über Neapel lautet. Wir haben ihnen erklärt, daß selbst im Falle der größten Niederlagen Frankreichs dieses Königreich bei der gegenwärtigen Dynastie verbleiben müsse … Lassen Sie die Königin auch fühlen, daß die Krise noch niemals so heftig war wie jetzt.«

siehe Bildunterschrift

Zeitgenössische Karikatur

Auch Cariati wird nahegelegt, wenn sich der König an den Kaiser von Österreich anschließen wollte, dieser es mit Vergnügen sehen werde. Metternich an Kaiser Franz. Wien, 17. April 1813. Wien, St. A. In Wirklichkeit spielen Caroline und Murat ein Doppelspiel. Sie wollen sich auf jeden Fall sichern. Siegt Napoleon, müssen sie selbstverständlich zu Bruder und Schwager halten; siegen die anderen, darf doch Verwandtschaft und Dankbarkeit keine politische Rolle spielen. Wenn man König und Königin ist, muß man Realpolitiker bleiben, so denken die beiden und diese Erwägung regelt ihr Verhalten.

Metternich aber fühlt sich in gewissem Sinne auch an die Königin dankbar gebunden. So lange es ihm seine politischen Kreise weiter nicht stört, sollen die beiden nur ruhig in Neapel bleiben. Die nach Sizilien geflohene Marie Karoline und ihr bourbonischer Gatte sind Metternich sowieso nie gewogen gewesen und er hat für sie nichts übrig, wie sich bald genug scharf zeigen wird. Also warum soll man die einstige Freundin in der schönen Stadt am Vesuv nicht ruhig auf ihrem Thron belassen. Durch sie wird man ja auch weiter österreichischerseits auf die Verhältnisse in Neapel mehr Einfluß nehmen können, als wenn man das vertriebene Königspaar wieder einsetzte.

Wie nun das Ehepaar Murat hört, daß die Möglichkeit eines Krieges auch zwischen Österreich und Frankreich in der Luft liegt, erwartet es mit Ungeduld Antwort auf die Vorschläge Cariatis. Graf Mier an Metternich. Neapel, 29. Juni 1813. Wien, St. A. Napoleon hat von der Sendung dieses Diplomaten nach Wien erfahren und war darüber sehr erbost, aber jetzt braucht er Murats Hilfe und die der neapolitanischen Armee. Und so leistet Joachim doch wieder dem Rufe seines kaiserlichen Schwagers Folge und erscheint bei der französischen Armee am deutschen Kriegsschauplatz. Das hindert ihn aber nicht, das Doppelspiel weiterzutreiben und so bemerkt Metternich am 16. August Hudelist gegenüber: Randbemerkung Metternichs auf einem Bericht Hudelists an Metternich. Wien, 16. August 1813. Wien, St. A. »Ich habe seit der Ankunft des Königs bei der Armee bereits mehrere direkte Kommunikationen mit ihm gehabt, welche ganz befriedigend klingen. Morgen oder übermorgen erhalte ich seine abschließende Erklärung.« Der Minister bleibt aber auch mit der Königin in direkter Verbindung, mit der wieder Cariati nicht ganz einverstanden ist. »Dieser sagt als eine ausgemachte Sache voraus, daß die Königin und Gallo Marchese Gallo, Minister des Äußern Murats. dem Kaiser Napoleon blind ergeben sind, ihm alles brühwarm anzeigen, was ihnen bekannt wird, und daß diese beiden auch den König, welcher anders denkt, zu verraten imstande wären, um ihr Spiel zu spielen.«

Dazu schreibt Metternich an den Rand: »Ich stehe bisher mit der Königin in direktem Verhältnis durch verborgene Wege … Es ist mir sehr leid Cariati nicht sprechen zu können. Wenn es möglich wäre, daß er sich ganz in der Stille nach Prag verfügt und dort unvermerkt mein Rendezvous abwarten könnte, so wäre mir dieses sehr lieb. Fragen Sie ihn, ob er glaubt, diese Reise unternehmen zu können, ohne besonderes Aufsehen zu erregen. Er müßte von einer Exkursion sprechen oder sich krank ansagen.« Hudelist an Metternich. Wien, 14. September 1813. Wien, St. A.

Cariati kommt nun wirklich unter dem falschen Namen Johann Celestini, Kaufmann aus Fiume, nach Prag. Metternich redet auf ihn ein, sein König solle sich ganz in Österreichs Arme werfen, so wie es seine Gemahlin Caroline bereits getan. Nach der Unterredung meldet Metternich an Kaiser Franz: »Mit Fürst Cariati bin ich im Reinen. Er hat eine Expedition an den König unter meiner dictée erlassen, welche sicher geeignet sein wird, ihm die Lage seines Reiches als äußerst kompromittiert ansehen zu machen, wenn er seiner jetzigen politischen Lage keine andere Wendung geben sollte.« Metternich an Kaiser Franz. Prag, 6. Oktober 1813. Wien, St. A.

Königin Caroline hat den österreichischen Gesandten Grafen Mier geschickt glauben lassen, daß sie von jetzt ab nur mehr alles Heil von Österreich erwarte und bereit sei, sich ganz so wie es Metternich wünscht, mehr oder weniger dem Kaiserstaat an der Donau mit Haut und Haar zu verschreiben. Insgeheim aber denkt sie sich nach wie vor: Ich will es mir mit keiner Partei verderben, gewiß noch lange nicht mit meinem Bruder und werde von diesem nur dann völlig abspringen, wenn ich überzeugt bin, daß von ihm gar kein Heil mehr zu erwarten sei.

Die Großfürstinnen Katharina und Anna haben sich indessen längere Zeit in Wien aufgehalten und die erstere sich immer mehr für Erzherzog Karl erwärmt. Auch dieser glaubt in der schönen und klugen Schwester des Zaren nicht nur endlich eine passende Frau, sondern auch eine noch bessere Partie gefunden zu haben, als es Amalie von Baden gewesen wäre. Katharina ist nur höchst entrüstet über Metternich, daß er die Absicht zu Falle gebracht hatte, Erzherzog Karl, der es diesmal auch selbst wünschte, den Oberbefehl über sämtliche verbündete Armeen zu verleihen. Sie bildet eine beständige Sorge für Clemens, weil er auch in ihr eine Feindin sieht, die an höchster Stelle sehr viel Einfluß besitzt und er freut sich, als Hudelist ihm am 7. September meldet, »beide Großfürstinnen sollen nun nächstens von hier nach Prag abreisen.« »Gott gebe ihnen Segen auf die Reise«, Hudelist an Metternich. Wien, 7. September 1813. Wien, St. A. meint Metternich dazu. Wenn er aber glaubt, sie für immer los zu sein, da irrt er sich. Einige Tage darauf meldet Hudelist von einem großen Diner, das der russische Botschafter Graf Stackelberg den beiden Großfürstinnen gab, bei dem aber Erzherzog Karl nicht anwesend war. Dagegen nahmen der Palatinus Erzherzog Joseph und der Kronprinz von Württemberg daran teil, von dem man sagt, daß er Katharina noch besser gefällt als Erzherzog Karl, und daß er sich mit seiner Frau so gar nicht verträgt. »Die Großfürstinnen suchen Wohnung in der Stadt«, fügt Hudelist weiter hinzu, »werden auf kurze Zeit wegreisen und selbe dann bei Rückkunft beziehen.« Hudelist an Metternich. 12. September 1813. Wien, St. A.

Wenn also die Dinge zu Hause in Wien nicht so ganz nach Wunsch gehen, so ist in der Hauptsache, den Vorgängen auf dem Kriegsschauplatze, das Gegenteil der Fall. Der Krieg ist in vollem Gange, von drei Seiten, von Nord, Ost und Süd dringen Bernadotte, Blücher und Schwarzenberg gegen Napoleon vor. Nach vorübergehenden Siegen des Korsen folgen Einzelniederlagen französischer Armeeteile und die Übermacht der Verbündeten beginnt sich geltend zu machen. Begeistert hört Metternich die Nachrichten vom Kriegsschauplatz. »Unsere Angelegenheiten gehen gut«, schreibt Metternich an seinen Vater. Töplitz, 14. September 1813. B. u., St. A. Z. P. er seinem Vater, »und dies im allerweitesten Umfange. Europa wird gerettet werden und ich schmeichle mir, daß man mir schließlich nicht gerade das schwächste Verdienst daran zubilligen wird. Gott hat mir Geduld und Kraft gegeben. Seit Jahren«, dichtet Metternich weiter, »ist meine politische Linie die gleiche geblieben und eine große Macht wie Österreich muß naturgemäß alle Hindernisse überwinden, wenn sie gut geführt und besonders, wenn ihr Gang gleichmäßig ist und immer auf dasselbe Ziel losgeht. Nicht umsonst wollte ich vor der Inangriffnahme des großen Werkes über meinen Gegner und unsere Kräfte wohl unterrichtet sein. Ich kenne den ersteren besser als irgendjemand in Europa und habe die letzteren auf einen Punkt gebracht, den niemand nach so vielen Jahren Niederlage und Unglück für möglich gehalten hätte. Es blieb nur, den Augenblick zu finden, wo man die Angelegenheit ohne Risiko, ja überdies mit Erfolgsaussichten in Angriff nehmen konnte. Wir werden wieder sehr aktiv werden und Gott wird das Ende des heiligen Unternehmens krönen. Napoleon hat keine Reserven mehr und wir haben deren mehr als 200.000 Mann … Wir werden am Schluß des Monates mehr Ersatzmannschaft haben, als wir Leute verlieren können. Ganz Preußen ist unter den Waffen und bald wird es ganz Deutschland sein.«

Über die Stetigkeit der Metternichschen Politik kann man verschiedener Meinung sein, aber schon jetzt bemüht er sich, zumindest glauben zu machen, daß sie so ist, um dies der Mitwelt für die Nachwelt einzuhämmern. Aber bei dem günstigen Verlauf der Dinge beglückwünscht sich der Minister selbst zu der ihm so mühsam abgerungenen Entscheidung, die er nun seinen großen Entschluß nennt.

Seine Erwägungen über die Verlegenheiten Napoleons beruhen auf schriftlichen Beweisen. In dieser Zeit wurde der Postfourgon eines französischen Armeekommandos weggenommen, der über 3000 Briefe enthielt. Wie Clemens seiner Tochter anvertraut, beweisen sie, »die französische Armee sei gänzlich demoralisiert und Napoleon verliere selbst bei dieser sein Ansehen.« Metternich an seine Tochter Marie. Teplitz, 15. September 1813. B. u., St. A. Z. P. Da gibt es sehr interessante Dinge zu lesen. Einmal das Kriegsmanifest gegen Österreich, das in Paris verfaßt, vorläufig gedruckt und in Dresden von Napoleon verbessert wurde: »Diese Korrekturen sind äußerst merkwürdig«, meint Metternich dazu. Metternich an Hudelist. Teplitz, 22. September 1813. Wien, St. A. »Alle Stellen, die entweder gegen den Kaiser oder mich persönlich anzüglich lauteten, hat der Kaiser gestrichen und gänzlich weggelassen oder gemildert … Ich weiß nur nicht, wann (das Manifest) erscheinen wird, da Napoleon heute noch nicht wissen kann, daß es statt in Paris – in Teplitz liegt.« Weiter gab es dort noch »eine große Menge Schreiben der nächsten Umgebung Napoleons, die alle verzweifelt klingen.« So zum Beispiel Briefe vom Fürsten von Neufchâtel, die in demselben Tone lauten und in denen die mögliche Dauer des Krieges mit sechs Wochen angegeben wird: »Bis dahin wird es keine Armee mehr geben. Uns tröstet nur, daß der große Mann uns bleibt, der seine Zeit damit verbringt, nach rechts und links zu laufen, um die Dummheiten wieder gutzumachen, die seine Generale anstellen.«

Metternich hegt die stolzesten Hoffnungen. »Es ist heute der Geburtstag Deiner guten Mutter«, schreibt Metternich an seine Tochter Marie. Teplitz, 1. X. 1813. B. u., St. A. Z. P. er seiner Tochter Marie. »Ich nehme an, daß Du sie aus Deinem ganzen Herzen feiern wirst … Große Operationen beginnen nun und werden von allem Erfolg gekrönt werden, den wir uns nur erwarten können. Die französische Armee ist in einem Zustand wahrer Verzweiflung … Der liebe Gott hat mir und nicht weniger auch Schwarzenberg so viel zugebilligt, daß wir die ganze Welt haben schreien lassen und uns nun dafür rächen werden, indem wir Napoleon verschlingen (en mangeant Napoléon). Wenn er jemals Gefahr kennengelernt hat, dann im jetzigen Augenblick. Alles beweist, daß die Stunde geschlagen hat und meine Sendung, allem Übel ein Ende zu machen, durch Verfügung des Himmels festgelegt ist (arrêté par le décret du ciel). Ich bin dessen sicher, Napoleon denkt jede Stunde an mich. Ich muß ihm wie eine Art personifizierten Gewissens vorkommen. Ich habe ihm in Dresden alles gesagt und prophezeit, er hat nichts glauben wollen und das lateinische Sprichwort quem Deus vult perdere, dementat (wen Gott verderben will, dem nimmt er den Verstand) tritt in seine Rechte … Am Ende von all dem forme ich den Wunsch, meine lieben Freunde, mich wieder bei Euch zu finden und mich auf meinen Lorbeeren auszuruhen, denn wohl deren einige werden sich an meinen Namen heften.«

Nicht genug an dem, daß Metternich nun Napoleon zur Strecke bringen will, er denkt schon an viel fernere Ziele. Eine Randbemerkung auf einem Briefe von Hudelist verrät, wie weit diese Ideen schon gediehen sind: »Der Unterschied zwischen der Lage der Kabinette ist der, daß Rußland Preußen nach Gefallen leitet und wir Rußland leiten wollen und leiten werdenRandbemerkung Metternichs auf Brief Hudelists vom 1. Oktober 1813. Prag, 6. Oktober 1813. Wien, St. A. Und wenig später: »Die nächsten acht Tage werden die größten der neueren Geschichte und ich hoffe, daß man mir nicht mehr vorwerfen wird, gezaudert zu haben. Hier gilt das wirkliche festina lente (Eile mit Weile).« Metternich an Hudelist. Komotau, 8. Oktober 1813. Wien, St. A.

Mit solchen Gedanken geht Metternich durch die Straßen Prags: »Es bietet diese Stadt jetzt ein wahrhaft erhabenes Beispiel tätiger Barmherzigkeit, die die einzig wahre ist. Es gibt keine bürgerliche Familie, die nicht bei sich Verwundete und Kranke auf eigene Kosten pflegt. Die Frauen der ersten Gesellschaft arbeiten in den Spitälern: die Gräfin Schlik, die Gräfin Clam, Madame de Sagan haben eine jede ganze Etablissements von zwei- bis dreihundert Verwundeten, die sie völlig selbst eingerichtet und mit Betten versehen haben, wo sie die Leute von den eigenen Köchen verpflegen lassen … Eine merkwürdige Erscheinung ist, daß man die Russen immer sehr weit von den Franzosen betten muß, weil sie sich sonst in die Haare geraten. Kürzlich hat ein schrecklicher Lärm alle Bediensteten des Spitals von Prag aufgeschreckt. Man hat Verwundete, Amputierte und Lahme ineinander verbissen gefunden wie auf dem Schlachtfelde … Ich habe Krafft gebeten, Körners »Lied vor der Schlacht« in Musik zu setzen. Gib es dann an Pálffy, der es dann eines Tages im österreichischen Lager singen lassen soll. Ich gebe zu, daß Du dabei weinen würdest. Du tätest dies auch noch viel mehr, wenn Du richtig den Abend vor der Schlacht unter all den braven Leuten verbringen würdest, die hingehen und sich für die heiligste aller Vereinigungen töten lassen: wirklich nur für Gott, Vaterland und die Menschheit.« Metternich an seine Tochter Marie. Komotau, 9. Oktober 1813. B. u., St. A. Z. P.

Neuerlich haben die Verbündeten napoleonischen Kurieren wichtige Depeschen des Feindes abgenommen. »Sie beweisen«, sagt Metternich, Metternich an Hudelist. Altenburg, 15. Oktober 1813. Abends 9 Uhr. Wien, St. A. »die nunmehr äußerste Demoralisation der Armee. Napoleon soll ganz rasend sein und wie ein Eber schäumen.«

siehe Bildunterschrift

Madame de Staël, 1766-1817. Nach dem Gemälde von M. E. Godefroy

Nun vereinigen sich die drei Armeen der Verbündeten am 16. Oktober bei Leipzig und Napoleon stellt sich zur Schlacht. Die von allen Seiten mit großer Überlegenheit angreifenden Verbündeten erfechten vollen Sieg über den Korsen. Nun pflückt Metternich die Lorbeeren für sich, die auch andere, viele meinen selbst mehr als er, verdient haben. Aber der Kaiser ist seinen Ratschlägen vornehmlich gefolgt und nur bedingt denen der Kaiserin und anderer Personen. Dem Minister des Äußern also, so ist es des Kaisers Wunsch, soll der Ruhm des Erfolges nach dem Monarchen vor allen übrigen zukommen. »Metternich kann als ein Phänomen des Glückes gelten«, sagt Freiherr von Wessenberg, Wessenberg, Eigenhändige Aufzeichnungen. Wien, St. A. der wie kaum einer des Diplomaten Laufbahn miterlebt und verfolgt hat. Ja gewiß, er hat ungeheures Glück gehabt, aber ein Staatsmann muß eben Glück haben, denn Erfolg entscheidet allein auf der Welt. Wie er zustande kam, mag interessant und als Beispiel für später nützlich sein – bleibt aber stets Nebensache.


 << zurück weiter >>