Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Alix bildete sich wirklich fromm und naiv ein, Albert von Andernach zu lieben. Eine solche Einbildung wird von einem jungen Mädchen als eine ernste Pflicht angesehen und erfüllt. Alle Aeußerlichkeiten einer wirklichen Liebe werden gewissenhaft beobachtet – es fehlt nur das Innerliche, die wirkliche Liebe. Es kann aus solcher Einbildung Ernst werden, sie kann aus ihrem Luftschloß auf die Erde, aus der Phantasie in das Herz kommen – bei Alix war es jedoch noch nicht so weit. Das junge Mädchen dachte sehr ernsthaft daran, daß sie am Abend Albert's gedenken müsse; sie pflegte die Blumen, trug die Farben, spielte die Musikstücke, die Albert liebte, sie war auch traurig, wenn sie eben nichts anderes zu thun hatte. Auch las sie ihre Lieblingsdichtungen mit neuer großer Andacht und sagte sich: sie liebe wie Ingeborg in der Frithiofssage Altnordische Heldensage; hierzulande vor allem in der Version des Schweden Esaias Tegnér (1825) bekannt, zu der ab 1826 mehrere deutsche Übersetzungen vorlagen., wie die Königin in Nal und Damajanti Eine der bekanntesten und beliebtesten Episoden aus dem indischen Epos ›Mahabharata‹; zum Zeitpunkt des Textes relevante Übersetzungen waren die von Johann Gottfried Ludwig Kosegarten (1820) und Friedrich Rückert (1828)., wie Hinda in den Feueranbetern von Moore »Die Feueranbeter« ist die dritte Romanze (von vier) des Versepos »Lalla Rookh« (1817); von jener gab es 1837 eine deutsche Übersetzung. – aber dabei schickte sie, wie wir gelesen haben, der Freundin Blumen, welche Albert ihr gegeben, und schrieb drei Viertel des Briefes von allen möglichen andern Dingen als ihrer Liebe voll.

Die Mutter überließ das junge Mädchen ruhig diesen Schwärmereien. Sie erschienen ihr sehr kindisch; aber das Wirkliche, welches ihnen zum Grunde lag, die Partie selbst hatte ihre Billigung. Familie, Charakter, Vermögen – Alles an Albert von Andernach sagte ihr zu. Auch sie glaubte, daß er erst mit der Einwilligung seiner Eltern den Antrag habe machen wollen. Dem war jedoch nicht so. Albert hatte einzig und allein aus Schüchternheit der ersten tiefen Liebe nicht zu sprechen gewagt. Dieses Gefühl macht einen Mann oft sehr liebenswürdig, oft aber auch sehr unglücklich in dem Falle, daß es ihn im rechten Augenblicke stumm und die Geliebte irre an ihm macht. Das war hier nun nicht geschehen; sowohl Alix, wie ihre Mutter erwarteten seinen Antrag bei seiner Rückkehr, und die war schon ganz nahe.

Chala hatte den pflichtmäßigen Besuch bei Frau von der Burg gemacht und war nun, so gut, wie die ganze Gesellschaft zum ersten Abend in dem eleganten Hause eingeladen, auf welchen die ganze ereignißarme Gegend unaussprechlich gespannt war.

An dem Morgen, an welchem diese neue Aera anhob, kam Albert von Andernach zu Chala.

Diese jungen Männer waren sonst Freunde gewesen, d. h. Albert hatte den Grafen herzlich aufgesucht und dieser sich finden lassen. Jetzt lag ein Jahr zwischen ihnen, denn eben als der Graf im Frühlinge zurückkam, reiste Albert seinerseits nach Prag und Wien. Bei Albert war das Gefühl dasselbe geblieben – Chala aber war ganz gleichgültig gegen Albert geworden.

Albert empfand zu fein, um das nicht augenblicklich zu erkennen. Es machte ihm Schmerz; beleidigt fühlte er sich nicht – er fand es natürlich. Dieselbe Anspruchlosigkeit, welche ihn nach zweimonatlicher Huldigung bis zum letzten Abend noch daran zweifeln ließ, ob Alix ihn lieben könne, ließ ihn auch jetzt im Herzen sagen: »es ist natürlich; Chala war mir immer überlegen; das erkennt er jetzt, und ich kann ihm nichts mehr sein.«

Chala sprach unterdessen von allem Aeußerlichen. Albert mied ebenfalls das Innerliche und erwähnte nur beiläufig seines Aufenthaltes in Teplitz. »Da bist Du ja mit den Burg's zusammen gewesen;« äußerte Chala. Albert bejahte. »Eine interessante Frau und ein dummer Mann,« sagte Chala. »Gefällt Dir die Tochter? Ich sah sie eigentlich noch gar nicht.«

»Es ist ein ausgezeichnetes junges Mädchen,« antwortete Albert. Es wäre ihm unmöglich gewesen, von Alix zu reden. Der Mann, der über sein Mädchen schweigt, liebt es mehr, als der, welcher es mit Begeisterung nennt.

Albert fragte den Grafen, was er in diesem Winter zu thun gedenke. »Ich werde in der Garnison bleiben,« antwortete Chala. – »Aber im Frühlinge?« »Im Frühlinge – im Herbst – auf Lebenszeit. Es giebt für mich nur eine unaussprechliche Aussicht.« Albert fragte nach den Umständen des Freundes; das Recht glaubte er noch zu haben. Der Graf spielte gar nicht den Geheimnisvollen. »Ich bin arm, und ich lebe meiner Armuth gemäß.« – »Chala,« sprach Albert, »ich brauchte Dir eigentlich nicht erst ein Anerbieten zu machen, welches sich von selbst versteht. Aber da Du nicht daran zu denken scheinst –« – »Ich bitte Dich,« unterbrach Chala ihn, »keine Großmuth, Andernach! Ich mag sie nicht; Anerkennung drückte mich ärger, als jedes Elend.« – »Anerkennung ist hier ganz überflüssig; es kann nichts einfacher sein, als daß ein Bruder mit dem andern theilt.« – »Ich würde von meinem wirklichen Bruder kein Geld empfangen, das ich nicht zurückzahlen könnte.« – »Das kannst Du, sobald Du Rittmeister wirst.« – »Ah, Andernach, Dich auf die Hoffnung anweisen, wäre ebenso gut, als nähme ich Dir auf der Landstraße den Beutel ab. Ich danke Dir ein für alle Mal. Jetzt begleite ich Dich zu Frau von Garnier.«

Ein junger Offizier, der seine Börse anbietet, ein anderer, der sie ausschlägt – das gehört unter die seltenen Beispiele, und schon deswegen müssen diese beiden Männer als interessant gelten.

Bertha, zu der sie nun gingen, mochte Albert gern leiden; ja, sie interessirte sich herzlich für ihn, ohne daß er sie im mindesten interessirt hätte. Allerdings mußte der arme Albert sich auch nicht von Chala begleiten lassen. Höher und besser gewachsen, als der Graf, erschien er doch neben dessen feiner Gestalt gänzlich im Nachtheil; eine gewisse Langsamkeit, welche ihn auch im sprachlichfreien Ausdruck hemmte, machte seine Bewegungen etwas unbeholfen. Chala besaß in Haltung und Benehmen jenes unbeschreibliche Etwas, das die Blicke der Frauen unwillkührlich aufmerksam macht; er konnte sicher sein, überall bemerkt zu werden – der arme Albert hatte sehr oft das Geschick, daß seine Anwesenheit ganz übersehen wurde. Auch seine Augen, so schön ihr Braun, so gut und ehrlich ihr Anblicken war, wurden bedeutungslos mit denen Chala's verglichen, in deren schattiger Düsterheit Gedanke und Gefühl in so blendendem Glanz erscheinen konnten. Endlich hatten beide junge Männer keine regelmäßige Züge; doch die des Grafen schienen von einem genialen Griffel in dunklen Marmor gegraben, während die Alberts wohl den Ausdruck der innersten Güte enthielten, aber in den alltäglichsten Formen.

Antonie charakterisirte am Abend Beide in wenigen Worten. »Der Herr von Andernach kann sich um eine Liebe todtgrämen,« sagte sie; »der Graf Chala kann es haben, daß man sich um ihn todtgrämt.« Das kluge Mädchen hatte ganz Recht; Albert konnte leiden – Chala leiden machen.

Es war in dem endlich eröffneten Hause, wo Antonie gegen Bertha diese Bemerkung machte. Frau von der Burg erklärte unumwunden die exclusive Aristokratie für lächerlich; es sei ein Bann, in dem man aus Langerweile sterbe – ein Märtyrerthum der Eintönigkeit, welches zu ertragen sie gar keinen Beruf fühle. Demnach hatte der gute Major den Geistlichen der Stadt und einigen unverheiratheten Civilisten seinen Besuch machen müssen, und Alle waren nun hier, – der Arzt und Antonie, bei der Alix gewesen war, nicht ausgenommen. Anfangs sonderte die vornehme Gesellschaft sich etwas ab; doch Frau von der Burg besaß das Geheimniß, die verschiedenen Elemente in einer angenehmen, wenn auch ephemeren Geselligkeit zu verschmelzen. Bald saßen Bekannte und Unbekannte in lebhaft redenden Gruppen um die verschiedenen Tische her, welche, was hier auch neu war, mit Albums, Büchern, Zeichnungen bedeckt waren, und es herrschte ein allgemeines und naives Erstaunen darüber, daß man sich so unendlich gut amüsiren könne.

Albert hatte bereits zu Mittag hier gegessen und den Nachmittag über ganz ungestörte Gelegenheit gehabt, seine Liebe zu gestehen. Immer noch hatte er sie nicht ausgesprochen. Aus welchem Grunde? Aus demselben – aus Schüchternheit. Alix war ihm mit solcher unbefangenen Freude entgegengekommen, daß er keinen Muth hatte fassen können. Der weiblichen Unbefangenheit gegenüber ist der Mann immer unsicher; an dem Beben der Geliebten erkennt er, daß sie in seiner Gewalt sei.

Alix, die ganz gewiß heute die Erklärung erwartet hatte, machte sich zum ersten Male einige Gedanken, ob Alberts Eltern nicht eingewilligt, ob er ein Anderer geworden. Dagegen sprach sein Blick, aus welchem die ganze Liebe redete, die er noch nicht über die Lippen bringen konnte. Auch auf den ersten Gedanken antwortete er ahnungslos, indem er dem jungen Mädchen erzählte, wie oft er sie seinen Eltern geschildert, wie lebhaft ihr Wunsch sei, Alix kennen zu lernen. Alix errieth jetzt endlich das Geheimniß von Alberts Schweigen und Zögern, und da sie seiner Liebe nun ganz gewiß war und seine Bescheidenheit ebenso schmeichelhaft, wie rührend fand, beschloß sie, ihn durch die größte Freundlichkeit zu ermuthigen und behandelte ihn mit solcher Auszeichnung, daß es allgemein auffiel. Albert gewann jedoch dadurch nicht mehr Muth; im Gegentheile, er hätte gewünscht, daß Alix ihn lieber gar nicht beachten, als so die Blicke auf ihn ziehen möchte. Alix erschien in dieser aufrichtigen Art durchaus nicht weniger mädchenhaft, als gewöhnlich; die Männer fanden ihre Unschuld höchst liebenswürdig und Albert sehr beneidenswerth; Albert aber empfand ganz richtig; ein wirklich liebendes Mädchen zeichnet eher jeden andern Mann aus, als den, welchen es liebt.

Den Grafen behandelte Alix mit großer Kälte; Albert bemerkte es und fragte sie nach der Ursache.

»Er gefällt mir nicht,« war die Antwort.

»Er ist aber höchst interessant,« sagte Albert. »Glauben Sie mir, er ist, ich will gar nicht erst erwähnen, mir, aber allen Kameraden überlegen, und ich bedauere aufrichtig, daß er für sein Leben zu dieser Beschränkung verurtheilt ist. Erlauben Sie mir, ihn in Ihre Nähe zu führen, damit Sie mit ihm in das Gespräch kommen. Gewiß gefällt er Ihnen dann.«

»Das ist ja gleichgültig,« erwiederte Alix. Es war die erste instinktmäßige Lüge, die sie aussprach.

»Es ist mir gar nicht gleichgültig,« sprach Albert. »Ich bin sein Freund und gönne ihm alles Gute.«

»Aber ihm wird es gleichgültig sein, ob ich ihn anerkenne, ob nicht. Er huldigt ja der Frau von Garnier.«

»Das ist einfach; sie ist eine höchst liebenswürdige Frau.«

»Aber er thut es mehr, als – Recht ist,« sagte Alix leise.

»Das haben gewiß Sie nicht bemerkt, sondern von einer der Damen gehört?«

»Allgemein.«

»Dann erkläre ich es für eine allgemeine Lüge,« sprach Albert unwillig, fast heftig. »Ich stehe für die Frau von Garnier und auch für Chala – ich bin seiner Gesinnung so sicher, wie meiner eigenen, – aber freilich, etwas Gutes zu glauben, das ist den Menschen zu schwer. Diese Lust am bösen Glauben empört mich mehr, als ich ausdrücken darf. Gnädiges Fräulein, Sie hätten der Frau das nicht gleich zutrauen sollen; Sie sprachen in Teplitz mit solcher Begeisterung von ihr;« setzte er hinzu; denn seine Ideen von Rechtlichkeit waren so stark, daß sie ihm den Muth gaben, selbst die Geliebte zu tadeln.

Alix erröthete, gestand ihre Uebereilung ein und gelobte, künftighin immer das Beste zu glauben. »Aber den Grafen bringen Sie deswegen nicht zu mir,« bat sie dann. »Ich fürchte mich vor seinen Augen.« Die Augen, vor denen sie Furcht haben wollte, ruhten den Abend über oft mit einem eigenthümlichen, absichtlichen Ausdruck auf ihr. Anfangs bemerkte sie es nicht; als sie zum erstenmale diesem Blicke begegnete, erblaßte sie leicht; dann vermied sie es, aber die Absichtlichkeit dabei war bemerkbar.

Ganz gegen seine Gewohnheit zeigte Chala bei der ersten Aufforderung der Frau von der Burg eine große Bereitwilligkeit zu singen. Albert saß neben Alix und äußerte seine aufrichtige Bewunderung. Alix sprach nicht, aber ihre Augen, welche sie zu dem jungen Manne erhob, schwammen in unendlicher Sehnsucht. Albert empfing diesen Aufblick mit Entzücken. – »Ich darf sprechen – sie liebt mich!« dachte er selig. »O daß wir allein wären!« Alix aber hatte nicht an ihn gedacht – nein, in ein Unklares hinaus, aus welchem ihr eine Aufgangsglorie entgegenzuflimmern schien. Das kindliche Mädchen glaubte, dieser Glanz schimmere jenseits des Grabes herüber: sie erinnerte sich, gehört zu haben, Musik sei die unmittelbare Offenbarung der Unendlichkeit; sie glaubte, der heiße Athem, der sich aus ihrer Brust lös'te, sei ein Gebeteshauch. Das Auge ist noch gesegnet von Gott, welches in jedem Dämon einen Engel zu erblicken wähnt. –

Jetzt sang Bertha mit dem Grafen, und eine unerklärliche Traurigkeit ergriff das junge Mädchen – mehr und mehr, je länger und schöner sie sangen. Als sie aufgehört hatten, sagte sie zu Albert: »ach, ich möchte auch singen können!« – »Ich glaube es Ihnen,« antwortete er, »aber Sie äußerten diesen Wunsch noch nie.« – »Ich habe noch nie so singen gehört.«

Albert nahm früher Abschied; er mußte in der Nacht noch nach seiner Garnison zurück, die zwei Meilen entfernt war. Mit dem festen Entschlusse, in wenigen Tagen wiederzukommen, fuhr er ab. Eine Erkältung, die sich am andern Morgen zeigte, fesselte ihn jedoch gänzlich an das Haus; sechs Wochen gingen vorüber, und er hatte Alix noch nicht wiedergesehen.


 << zurück weiter >>