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Sechstes Kapitel.

In diesen sechs Wochen bestimmte ein Geist, der nicht gut war, über sein Leben.

Alix fand sich am andern Morgen so zerstreut und langsam bei ihren Beschäftigungen, daß sie lächelnd über sich selbst dachte: »es ist, als wäre ich ein kleines Mädchen und zum erstenmale in einer Gesellschaft gewesen.« Dann blieb sie stehen und seufzte wieder: »ach, wenn ich doch auch singen könnte!« Der Mangel einer Stimme schien ihr seit gestern plötzlich ein großer Gegenstand der Klage. Als sie so stand, hörte sie auf dem Fußpfade, welcher dicht an dem Hause vorbei über die Wiesen lief, den leichten Gang eines Pferdes. Erschrocken fast beugte sie sich hinaus, und Chala ritt langsam vorüber, blickte auf und grüßte ehrfurchtsvoll. Die graziöse Bewegung seines Grußes rief ihr seinen ganzen Gesang so lebhaft zurück, daß ihr das Herz heftig aufschlug. Regungslos, wie angezaubert, blieb sie am Fenster und blickte ihm nach.

Er sagte eine Stunde später bei Bertha: »Andernach scheint das hübsche Mädchen schon ganz gewiß zu haben.«

Bertha sprach dieselbe Ueberzeugung aus und freute sich ihrer. Sie lobte Albert und gönnte ihm Alix.

»Ich hätte Lust, ihn etwas aus seiner Ruhe aufzustören, indem ich dem Fräulein ebenfalls den Hof machte;« warf der Graf leicht hin

»Aus Liebe?« fragte Bertha, erröthet aus Ueberraschung.

»Gar nicht, nur um Andernach um ein Glück zu bringen, welches ich nicht auch habe.«

»Das wäre ja schlecht.«

»Ich sage auch nicht, daß ich gut bin. Leiden entsittlicht. Ich kann jede Barbarei, die aus langem Elend entsteht, begreifen – die Mordlust der Volkshefe bei einem Aufstande – das Alles kommt mir ganz einfach vor. Der Communismus wird die tiefste Entsittlichung in das Dasein bringen, aber er muß nothwendig eintreten, weil das Elend da ist. Mich wird er gar nicht überraschen – und nichts; denn ich bin auch nur schlecht, weil ich nicht glücklich bin.«

»Ich glaubte, Sie wollten es nun sein?«

»Wer an der Abzehrung leidet, kann der sagen: ich will gesund werden?«

»Lieber Graf, es handelte sich bei diesem Spiele um das Glück des jungen Mädchens. Gesetzt, es gelänge Ihnen, ihre Liebe von Andernach abzuwenden und auf sich zu ziehen –«

»Da ließe sich helfen. Das Fräulein ist eine gute Partie. Ich heirathe sie.«

»Ohne Liebe? Das dürfen Sie nicht, Graf, das sollen Sie nicht,« antwortete Bertha bestimmt und erregt, »denn das wäre mehr als schlecht – ordinair.«

Der Graf warf einen raschen Blick auf die junge Frau, die ihm mit erhöhter Farbe gegenüber saß. Dann sagte er mit dem sanften Ernst, den er so gut in seine Stimme legen konnte: »ich scherzte ja nur. Es war ein schlechter Scherz – aber wie konnten Sie ihn auch gleich so ernst nehmen?«

»Ich mag Sie über einen heiligen Gegenstand nicht so scherzen hören, als wären Sie von den Alltäglichen Ihres Geschlechtes;« erwiederte Bertha besänftigt. »Ah, wenn Alix Ihre Liebe werden könnte, da dächte ich mehr an Sie, als an Andernach, aber – ich glaube das nicht.« Sie blickte ihn fragend an.

»Ich auch nicht,« versetzte er. »Darf ich Ihnen vorlesen?«

Er las ihr vor bis zu Mittag. Nach Tische mußte Bertha zu einem nothwendigen Besuche auf das Land fahren. Chala benutzte diese Zeit, um zufällig Frau von der Burg und Alix auf einem weiten Spaziergange zu begegnen. Er begleitete sie, begleitete sie auf die Einladung der Majorin nach Hause, blieb den Abend über dort, kam, von Frau von der Burg eingeladen, am nächsten Abend wieder, erhielt eine neue Einladung – genug, das Burg'sche Haus schien bald das seinige geworden.

Dabei vernachlässigte er Bertha nicht. Er kam allerdings nur auf Stunden, aber er kam doch jeden Tag. Ueber seine neue Bekanntschaft sprach er ganz unbefangen, lobte die angenehme Gutherzigkeit des Majors, die Liebenswürdigkeit der Frau, das anziehende Ganze des Hauses. »Es ist etwas Neues;« sagte er. Alix wurde ebenfalls gelobt, aber nur mit der kühlsten Gleichgültigkeit. Bertha beobachtete umsonst, es war unmöglich, an eine Liebe zu glauben. Da wiederholte sie ihre Bitten, er solle kein Unrecht an Alix begehen. Er antwortete: »auf meine Ehre, ich huldige ihr nicht.«

Auch that er das nicht. Er behandelte sie nur mit hoher Achtung. Sein Gespräch, seine Artigkeit waren für ihre Mutter. Kein Anspruch irgend einer Art an sie lag in seinem Benehmen, aber dennoch handelte er mit dämonischer Schlechtigkeit an Alix, denn er magnetisirte sie zur Liebe zu ihm, ohne ihr die Entschuldigung zu geben, daß sie geliebt werde.

Auf welche Art er das anfing? Auf die allereinfachste. Er kannte recht gut die eigenthümliche Gewalt seiner Augen, in denen eine räthselhafte Nacht zu ruhen schien. Frauen, die er mit dem Bewußtsein seines Blickes angesehen, waren erröthet, in Unsicherheit, in Bangigkeit gerathen. Diesen absichtlichen Blick ließ er oft minutenlang auf Alix ruhen. Dann sang er, schön, wie bisher nur Bertha ihn gehört. Alix glich nicht der jungen Frau; wo Bertha in. Begeisterung aufflammte, entzündete Alix sich zu unnennbaren, fieberhaften Ahnungen eines berauschenden irdischen Glückes. Endlich läugnete Chala in ihrer Gegenwart nie. Seinen Charakter, sein wildes Begehren, seine Qual – er gestand Alles ein, sprach es einfach mit seinem meisterhaften Ausdruck aus. Das junge Mädchen erfuhr, daß er immer unglücklich gewesen und es auch immer sein werde. Chala begehrte von ihr keine Theilnahme; er schien anzunehmen, daß er ihr ganz gleichgültig sei. Die Anspruchlosigkeit eines interessanten Mannes ist unendlich gefährlich; unser Geschlecht, welches an einem ordentlichen Bedürfniß der Großmuth krank ist, erschöpft sich im Geben, wenn es um nichts gebeten wird; es glaubt immer, da zu wenig zu thun. Auch Alix öffnete ihr ganzes Inneres um dem Grafen ein Mitleid zu geben, welches allerdings ihm ein Geheimniß bleiben sollte, aber doch ihrem Gefühle genug that. Dieses Mitleid bedeckte anfänglich das Andenken an Albert nicht; das blieb immer deutlich, und das junge Mädchen behandelte es gewissenhaft. Daß Albert erkrankt, hatte sie bald durch den Regimentsarzt erfahren, welcher ihn behandelte und im Burg'schen Hause ein häufiger und willkommener Besucher war. Alix hatte darüber an Ludovika einen langen pflichtschuldig traurigen Brief geschrieben und die ersten vierzehn Tage hindurch jeden Abend für Alberts Genesung gebetet. Allmählig aber entschwand Albert ihr mehr und mehr, und sie lebte nur noch, um mit einer Art innerer Athemlosigkeit die Besuche des Grafen zu erwarten. Immer noch aber glaubte sie, nur ein ungeheures Mitleid zu fühlen. »Er ist so unglücklich,« sagte sie zu sich, »er der des höchsten Glückes so ganz werth ist. Ach, daß ich nichts für ihn thun kann! Ich würde mich gern aufopfern. Daß ich es ihm wenigstens ein Mal sagen dürfte, wie tief ich mit ihm empfinde; aber ich wage es nicht.«

Es wäre unnöthig gewesen, wenn sie es ihm gesagt hätte – er las besser in ihrem Herzen, als sie selbst; es war bereits in seiner Gewalt und er umschlang es täglich dichter und dichter mit magischen Banden; jeder Blick, jede Bewegung lag in seiner tiefen Berechnung, und er liebte das junge Mädchen nicht.

Er war und handelte schlecht; dieses Bewußtsein hatte er in vollster Deutlichkeit. Aber Alix hatte ihm doch nichts gethan, aber er zog ja ihre Jugend auf den Grund eines ungeahnten Elends? Ja, das that er. Und der Grund dazu? War es bloßes schreckliches Gefallen am Vernichten? Er war fürchterlich unglücklich, wollte er dafür Unglück schaffen? War es eine moralische Blutrache? Oft ergriff ihn die Reue; er verachtete sich, schlug sich vor die Stirn, beschloß, sich zu tödten. Dann ging er in der Nacht an Bertha's Haus, starrte, an die Mauer gedrückt, auf zu den Fenstern, wo sie schlief, und dann kehrte er in sein ödes Zimmer zurück, mit dem neuen Entschlusse, zu leben – um einer unsinnigen Hoffnung willen? Die konnte er nicht haben. Also um sie zu foltern, wie er gefoltert wurde, indem er sich einer andern weihte, so wie sie einem Andern gehörte? Aber da mußte er ja glauben, daß sie ihn liebe, die reine, keusche Frau? Diesen Glauben – er wagte nicht, ihn fest zu fassen; aber in der innersten Dumpfheit seiner Brust regte er sich unheimlich, und das war das einzige Gefühl, um dessen willen Chala noch lebte und was mehr war, jetzt so schlecht wurde.

Alix, die so schön war und jetzt vor Chala's Auge fast wunderschön wurde – sie vermochte in ihm selbst nicht die flüchtigste sinnliche Regung zu erwecken, und die zarte Bertha, die weit mehr ein Gedanke war, als ein Weib, ergriff ihn durch das bloße Aufschlagen ihrer klaren Augen mit wirbelnden Begierden. Er hätte ihren Besitz auf einen Tag gern mit seinem übrigen Leben erkauft.

Das ist, die Liebe hat keinen Gebieter, nicht den Willen, nicht das Gesetz, nicht den Verstand; der unwiderleglichste Grund, den es auf Erden giebt, bleibt immer der: aber ich liebe.

Frau von der Burg schuf unterdessen in der kleinen Stadt, welche der Schauplatz dieser Begebenheiten war, einen Salon. Klein, eingeschränkt, mangelhaft war er freilich, immer jedoch ein Salon, und daß er entstanden war, ebenso gut, als hätte Frau von der Burg in einer Oede eine Civilisation geschaffen. Es gehörte ein ganz eminentes geselliges Genie dazu; die Gesellschaft der kleinen Stadt konnte Anfangs durchaus nicht begreifen, daß sie jeden Abend uneingeladen in diesem Saale, in diesen Zimmern erscheinen solle, die immer offen, immer geheizt, immer erleuchtet waren. Die jungen Offiziere begriffen es zuerst, und bewiesen es durch Eifer. Sie fühlten sich wohl – sie durften in einem besondern Zimmer rauchen und spielen; Frau von der Burg begehrte keine mirakelhafte Bekehrungen; allmählig nur zog sie die freiheitslustige männliche Jugend in die stundenweise Sklaverei der weiblichen Gesellschaft. Die kleine Stadt besaß außer Bertha noch mehrere hübsche junge Frauen; die lockten denn abwechselnd einige der jungen Männer an, einen Abend lang nicht zu spielen und zu rauchen. Als es erst so weit war, bildete die neue Geselligkeit sich immer künstlerischer aus, und allgemeine Bewunderung und allgemeines Glück lohnten der Schöpferin derselben. Der Grundsatz der Gleichheit galt bereits allgemein und nur einige besonders häusliche Frauen bildeten die Gegenpartei der Majorin – aus einer sehr natürlichen Ursache: Frau von der Burg hatte, da sie consequent nur von ihren Kindern und ihren Dienstmädchen sprachen, ihnen ziemlich deutlich gezeigt, daß ihre Gegenwart entbehrlich sei.

Daß alle junge Offiziere fast täglich im Hause waren, machte Chala's häufige Anwesenheit minder auffallend; ebenso gut wie er konnten alle Andern Absichten haben, und er konnte ebenso unbefangen im Hause sein, wie alle Andern. Demohnerachtet richteten alle Beobachtungen sich allein auf ihn; es ist merkwürdig, wie allgemein der Instinkt für das Errathen eines innern Drama's ist. Daß Chala dem Fräulein gar nicht huldigte, machte die Beobachter nicht irre; man sagte: »er macht es klug; er huldigt der Mutter.« Dann sagte man weiter: »der arme Andernach, der ganz ruhig krank ist!« – »Es muß ihm auch bis zu seiner Genesung ein Geheimniß bleiben,« meinte der Offizier, der seine Freunde im Unglück interessant fand; »er muß die vollkommene Ueberraschung haben. Es wird ganz dramatisch sein.« Dieses Geheimniß gegen Albert zu bewahren, war nicht schwer; Albert sah keinen Menschen, außer dem Regimentsarzt, und der hütete seinen Kranken. Der Genesene ging ihn dann nichts mehr an; der mochte eine unangenehme Aufklärung überwinden, wie er konnte.

Frau von der Burg nahm mit der Gesellschaft an, daß Chala ihr huldige, um Alix zu gewinnen, und es gefiel ihr gut. Albert hatte gar nicht daran gedacht, in ihre Gunst zu kommen; auch interessirte er sie persönlich gar nicht; sie hatte ihn nur als gute Partie behandelt. Das war Chala nicht, aber dafür war er interessant, und Frau von der Burg konnte auf ihn als Schwiegersohn ganz gut eitel sein, seine Liebenswürdigkeit gegen sie noch gar nicht gerechnet. Da jedoch diese sehr in Betracht kam, so war die Majorin ganz geneigt, zu seinen Gunsten zu entscheiden. Daß auch Alix es bereits gethan, war ihrem geübten Blicke längst kein Geheimniß mehr.

Auch für Alix sollte es länger keines sein. Es war an einem Abend, eben als die Sonne feurig roth unterging. Einige Bäume, welche vorn im Garten standen, brannten in diesem flüssigen Feuer. Der Graf machte Alix auf ihr schönes Erscheinen aufmerksam. »Es sind schöne Bäume,« antwortete das junge Mädchen, »und mir besonders darum lieb, weil sie mich an die erinnern, die an dem Schlosse meiner Freundin stehen.« – »Die Erinnerungen an jenes Schloß sind Ihnen theuer?« – »Ich hatte ja dort meine erste, eigentliche Heimath, die ist immer da, wo wir Kinder und später sehr glücklich waren. Meinen Sie nicht auch?« – »Ich habe darüber keine Meinung, denn ich habe keine Heimath gekannt.« – »Als Kind doch?« – »Auch als Kind nicht; ich kam als dreijähriges Kind in fremde gleichgültige Pflege, dann in das Kadettenhaus, dann zum Regiment.« – »Aber Sie müssen doch Verwandte haben?« – »O ja, Verwandte, die ich einmal im Jahre besuchen darf und welche die übrige Zeit nicht daran denken, ob ich lebe, oder gestorben bin.« – »Also sind Sie ganz allein?« fragte Alix langsam. »Ganz allein;« antwortete er mit melancholischem Lächeln. »Ich kann sterben, ohne daß ein Gedanke um mich trauert, so wie ich lebte, ohne daß ich eine Liebe ahnte.« – »Ich will ihn lieben!« dieser Gedanke zuckte durch das Herz des jungen Mädchens. Die Begeisterung, diesem Manne die erste Liebe zu geben, die er empfangen, durchbebte sie mit einem großen, herrlichen Schauer. Ihre gesenkten Wimpern bedeckten einen wundervollen Blick, einen solchen, mit welchem man ein Leben giebt. Aber Alix stand in ihrem vollen Gefühle so jungfräulich still neben dem Grafen, daß er nichts in ihrem Herzen hörte, und das war gut; es redete für ihn eine zu heilige Sprache.

Als Alix allein war, sagte sie: »armer Albert!« die Liebe, welche sie bisher ahnungslos in sich getragen, offenbarte sich ihr gleich so groß, daß der Gedanke eines Andern zu sein, gar keinen Raum mehr neben ihr hatte. Auch daran, sich um Alberts willen anzuklagen, dachte Alix gar nicht; sie bedauerte ihn nur.

Und selbst dieses mitleidige Gefühl war unbedeutend gegen das, welches sie dem Grafen weihte, als habe er ein Recht, es zu fordern. »Albert kann sich trösten,« dachte sie; »er ist immer glücklich gewesen – jetzt mag er auch seinen Antheil am Gram empfangen. Chala, der noch nie glücklich war, ihm gehört eine Liebe, wie ich sie geben kann, – eine Liebe, die Ersatz für jede Entbehrung enthält.«

Alix erscheint vielleicht etwas anmaßend in diesen Gedanken? Es war ein starkes Herz, aus welchem sie entsprangen, wie frische Gewässer aus einer urtiefen Quelle, die Gehalt genug besaß, um ein ganzes Leben mit silbernem Glanze zu tränken.

Daß Chala diese Erquickung dankbar empfangen werde – konnte Alix es anders glauben? An das Gerücht über ihn und Bertha glaubte sie längst nicht mehr. Es war ja deutlich, daß er sich bei ihnen am Besten gefiel, und das hätte doch nicht sein können, sobald er Bertha geliebt hätte.



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