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siehe Bildunterschrift

George Cuvier. Portrait von François-André Vincent

Cuvier.

Notice historique sur les ouvrages et la vie de M. le baron Cuvier par G. L. Duvernoy (Paris, 1833). Unter den éloges ist besonders der von Charles Laurillard, dem Landsmann, Kollegen und Freunde Cuvier's, werthvoll. Ferner: G. Cuvier's Briefe an C. H. Pfaff aus den Jahren 1788-92, naturhistorischen, politischen und literarischen Inhalts. Nebst einer biographischen Notiz über G. Cuvier, von C. H. Pfaff. Herausgegeben von W. F. G. Behn. Mit Cuvier's Portrait (Kiel, 1845). Vgl. Oken's Isis 1832, 12.


George (Leopold Chrétien Frederik Dagobert) Cuvier ward am 23. August 1769 zu Mömpelgard, damals zu Würtemberg gehörig, geboren. Sein Vater hatte in einem der Schweizerregimenter, welche Frankreich im Solde hatte, mit Auszeichnung gedient, den militärischen Verdienstorden erworben und genoß einer mäßigen Pension.

George Cuvier besuchte frühzeitig die Schule, wie überhaupt seine geistigen Fähigkeiten sich sehr früh entwickelten. Sein Zeichentalent mag er vielleicht vom Vater geerbt haben, denn dieser wandte seine Mußestunden gern dazu an, berühmte Bauwerke oder Denkmäler mit allen Einzelheiten in Pappe nachzubilden. Den eigentlichen Zeichenunterricht gab dem Kleinen aber Vetter Werner, der Stadt-Baumeister.

Ein Schulkamerad und Geschwisterkind hat folgende »Erinnerungen aus der Kindheit und ersten Jugendzeit G. Cuvier's« aufgezeichnet.

»Wenn mein Gedächtniß mich nicht täuscht, war es im Jahre 1775 und 76, als ich Cuvier zuerst kennen lernte. Er mochte sechs Jahre und ich etwa acht Jahre alt sein. Man bezeichnete ihn schon damals als ein sehr fähiges Kind von ungewöhnlichem Fleiß und Wissen. Ich fand bald Gelegenheit mich zu überzeugen, daß dieser Ruf begründet war. Er kam einige Tage mit seiner Mutter und Fräulein B. zu uns auf Besuch. Mein Bruder und ich wurden ganz stumm vor Erstaunen, als wir ihn lesen und deklamiren hörten wie einen Erwachsenen, als wir die Sauberkeit und Schönheit seiner Handschrift sahen, seine Geschicklichkeit im Zeichnen, seine Fertigkeit aus freier Hand Papier oder Kartenblätter zu Figuren auszuschneiden. Was die letztere Fertigkeit anbetraf, so hatte er dieselbe von meinem Onkel, seinem Vater, der sich darauf vortrefflich verstand. Während des in Rede stehenden Besuchs kam durch unser Dorf ein Tausendkünstler, der allerlei hübsche Taschenspielerkunststückchen machte. Mein Vater ließ ihn zur Belustigung der Gesellschaft am Abend in's Pfarrhaus kommen, und aus der ganzen Nachbarschaft strömten die Zuschauer herbei. Unser Mann gab uns mannigfaltige Proben seiner Geschicklichkeit. Wir bekamen verschiedene Kartenkunststücke zu sehen; einen Heronsbrunnen, der auf sein Wort zu fließen aufhörte und wieder sprudelte; eine Art Dolch, den er in seinen Arm bohrte und blutig wieder herauszog. Alles das belustigte die Zuschauer (und selbst die, welche schon Aehnliches gesehen hatten) gar sehr. Mein kleiner Vetter prüfte Alles mit großer Aufmerksamkeit, schien jedoch wenig überrascht; ja, er erklärte uns sogar das Spiel des Springbrunnens und den Mechanismus des Dolches, den er uns abzeichnete und in Papier ausschnitt. So erhielt auch er nicht geringen Antheil an der Bewunderung und den Beifallsbezeigungen der Gesellschaft.

Für Fräulein B. hatte er die zärtlichste Neigung; er setzte sich auf ihren Schooß, umarmte sie und nannte sie nur seine liebe Frau. Als wir ihm die ersten Bände von Büffon's Naturgeschichte zeigten, auf welche mein Vater subscribirt hatte, freute er sich besonders über die schönen Abbildungen der Thiere; doch ging seine Neugierde damals noch nicht weiter. Aber schon in den folgenden Besuchen fragte er gleich nach den Bänden des Werkes, die neu herausgekommen waren, um die Kupfertafeln mit Bleistift abzuzeichnen. Dann wollte er auch die Umrisse koloriren, und da hierzu nähere Kenntniß der Beschreibungen nöthig war, begann er auch diese zu lesen und fand große Lust an dieser Lektüre. Sowohl seine Bleistiftzeichnungen wie seine gemalten Bilder waren höchst sauber ausgeführt. Wenn bei der Beschreibung eines Thieres sich keine Abbildung fand, unternahm er auch wohl aus freien Stücken nach den im Buche angegebenen Merkmalen, ein entsprechendes Bild zu zeichnen und zu malen. Dabei war er nicht karg mit der Vertheilung seiner Bilder; fast jeder seiner Kameraden konnte Proben seines Talentes aufweisen.

Wir mußten ihm bis zu seinem Abgange vom Gymnasium Theile von Büffon's Naturgeschichte leihen, und wenn er durch irgend ein Hinderniß nicht den gewünschten Band erhielt, suchte er ihn aus der Stadtbibliothek sich zu verschaffen. Doch hinderte ihn die Lektüre dieses Werkes keineswegs am Lesen vieler andern, mochten es Reisebeschreibungen, Dichtungen, Geschichtsbücher, mathematische oder philosophische Werke sein. Manche und sehr einsichtsvolle Personen waren mit solcher Lektüre nicht einverstanden, da sie behaupteten, es müsse daraus eine Verwirrung der Ideen erwachsen. Als er mit seinem Vater einst – er war damals zwölf Jahre alt – bei meinem Großvater, dem Pfarrer in Roches, auf Besuch war, stellte dieser eine Prüfung mit ihm an, und ließ sich namentlich mehrere Abschnitte aus den alten Klassikern erklären. Da fand er denn den Ideenkreis des Knaben so klar und wohlgeordnet, seine Kenntnisse so wohlbegründet, daß er sich äußerte, er habe noch nie einen jungen Menschen gesehen, der so viel für die Zukunft verspräche. Die Folge hat sein Urtheil gerechtfertigt.

Dieser gute Großvater ermangelte auch nicht, jedesmal wenn er mich und meinen Bruder zu Gesicht bekam, uns den Kousin als nachahmungswürdiges Muster vorzuhalten. Es ward uns gesagt, wir seien älter als er, und es würde für uns eine Schande sein, wenn wir auf dem Gymnasium so weit hinter ihm zurückständen. Das mochte ganz gut sein, aber es sind nicht alle Köpfe nach einer Form gegossen. Uebrigens hatte unser Vetter nicht bloß die große Auswahl von Büchern, sondern auch die täglichen Unterhaltungen sehr unterrichteter Männer, die seinen Vater besuchten, und dann den Stachel des Ehrgeizes, wie ihn die öffentliche Schule bietet, vor uns voraus.

Gegen das Ende seiner Gymnasialstudien ließ Cuvier etwas nach in der Lektüre der alten Klassiker; selbst in den Sprachstunden benutzte er jeden Augenblick, den er erhaschen konnte, zum Lesen seines französischen Plinius, von dem er stets einen Band in der Tasche hatte. Mehr als einmal überraschte man ihn, während Cicero oder Virgil erklärt wurde, bei diesen Allotriis, und es erging deßhalb von Seiten des Rektors strenger Tadel über ihn.

Eben dieser Rektor ward auch die Ursache, daß Cuvier nicht Theologie studirte, wozu er anfangs bestimmt war. Die meisten jungen Leute von hervorragendem Geist wählten das theologische Studium, weil die Herzöge von Würtemberg eine Zahl von Freistellen im Tübinger Seminar errichtet hatten. Um das Stipendium zu erlangen, mußte aber eine besondere Prüfung bestanden werden, und als Cuvier sich auch derselben unterzog, erhielt er vom Rektor des Gymnasiums zu Mömpelgard statt der ersten die dritte Klasse, obwohl er gewiß eine bessere verdiente. Der Lebensplan ward nun geändert, zum Glück für Cuvier. » J'ai entendu plusieurs fois de la bouche de M. Cuvier, que cette circonstance avait été la source de son bonheur.« Duvernoy, a. a. O., S. 5.

Eine würtembergische Prinzessin, die Schwägerin des Herzogs Karl, welche das Schloß von Mömpelgard bewohnte, nahm vielen Antheil an dem jungen Cuvier. Man hatte ihr die Zeichnungen des hoffnungsvollen Studenten vorgelegt, die ihren großen Beifall fanden, und als der regierende Herzog selber nach Mömpelgard kam, ward Cuvier ihm vorgestellt. Herzog Karl ward über seine Antworten wie über seine Zeichnungen ganz entzückt, nahm ihn sogleich unter seinen besondern Schutz, und bewilligte ihm eine Freistelle auf der Akademie zu Stuttgart.

Im Jahre 1784 ward Cuvier, fünfzehn Jahre alt, in die Karlsakademie zu Stuttgart aufgenommen, wo er Kameralwissenschaften studirte und bald gleich sehr durch seinen Fleiß, wie durch seine Fortschritte sich hervorthat. Für jene Zöglinge, welche in den Prüfungen sich besonders ausgezeichnet und namentlich in vier Hauptfächern einen Preis errungen hatten, fand die besondere Belohnung Statt, daß sie mit einem goldenen emaillirten Ordenskreuz geschmückt und mit dem Ehrentitel Chevaliers bezeichnet wurden. Diese »Ritter« hatten ihren eigenen mit schöneren Möbeln versehenen Schlaf- und Eßsaal und ihren mit besseren Speisen versorgten Tisch, den sie mit den prinzlichen Zöglingen der Akademie theilten. Dort lernte er den späteren Konferenzrath Pfaff kennen, der uns ein höchst ansprechendes Bild seines berühmten Freundes gezeichnet hat, wovon wir die Hauptzüge hier mittheilen.

»Ein günstiges Geschick – erzählt Pfaff in den seinem Briefwechsel mit Cuvier vorgedruckten biographischen Notizen – führte mich am 15. April 1787 mit Cuvier zusammen, der gleichzeitig mit mir zum Chevalier ernannt wurde. Cuvier studirte damals vorzugsweise die Kameralwissenschaften, die mit den Naturwissenschaften so innig verbunden sind; ich war noch in der philosophischen Lehrklasse, hatte mich aber bereits für die Arzneiwissenschaft entschieden, deren Studium ich ein Jahr später beginnen sollte. Gemeinschaftliche Studien und Sympathie der Gefühle knüpften bald das innigste Band zwischen uns, allein dieses schöne Verhältniß war nicht allein das der Freundschaft, sondern zugleich das eines Lehrers zum Schüler. Cuvier war freilich erst 18 Jahre alt, also nur 4 Jahre älter als ich; aber man weiß, wie groß der Unterschied von einigen Jahren in einer früheren Lebensperiode ist. Cuvier hatte außerdem das Uebergewicht eines angeborenen Genies; er hatte schon große Fortschritte auf einer Bahn gemacht, auf welcher ich, ein angehender Jüngling von 14 Jahren, die ersten Schritte versuchte.

»Die klösterliche Abgeschiedenheit, in der wir in der Akademie lebten, war dem stillen Dienst der Musen in hohem Grade günstig, und steigerte jene schönen Gefühle der Freundschaft, denen die Jugend sich so gern hingiebt. Mit den herrlichen Zügen des inneren Menschen, die alle schon den großen Mann, den Gesetzgeber in seiner Wissenschaft, den beinahe das ganze menschliche Wissen mit philosophischem Geiste umfassenden Gelehrten ahnen ließen, stand damals die physische äußere Erscheinung Cuvier's in dem auffallendsten Kontraste. Ganz seinen Studien hingegeben, vernachlässigte er Alles, was sich unmittelbar auf die Pflege des Körpers und äußere Eleganz bezog. Sein in hohem Grade mageres, mehr längliches als rundes, blasses und durch Sommersprossen reichlich markirtes Gesicht war wie von einer dicken Mähne von rothen Haaren unordentlich umwallt; seine Physiognomie verrieth Ernst und selbst eine Art von Melancholie. An den gewöhnlichen jugendlichen Spielen nahm er keinen Antheil; er erschien einigermaßen wie ein Nachtwandler, der unberührt von der gewöhnlichen Umgebung und sie nicht beachtend das geistige Auge nur für die Intelligenz offen hatte. Je mehr ihn die gesellige Welt mit ihren Ergötzlichkeiten unberührt ließ, desto mehr zog ihn die Natur mit ihren Schätzen an. Sein geistiger Hunger war nie zu stillen; neben seinen Berufsstudien, nämlich den eigentlichen Kameralwissenschaften, waren es zunächst Botanik und Zoologie, und in dieser vorzüglich die Entomologie (Schmetterlingskunde), die er mit Eifer trieb; aber auch Philosophie, Mathematik, Geschichte und schöne Literatur lagen in dem Kreise seiner rastlosen Beschäftigungen. Ein volles Jahr hindurch war ich so Zeuge seiner unermüdlichen, bis in die späte Nacht fortgesetzten Studien, und ich erinnere mich noch lebhaft, wie er das ganze große Dictionnaire historique von Bayle durchlas, gewöhnlich an meinem Bette sitzend, wo ich über die eigene Lektüre eingeschlummert, oft erst nach einer oder zwei Stunden erwachend meinen Freund unbeweglich, einer Bildsäule gleich, seinen Bayle in der Hand, mit tiefem Ernst in seiner Lektüre versenkt fand. Wir hatten einen naturhistorischen Verein gestiftet zur gemeinschaftlichen Kultur der Naturgeschichte in ihrem ganzen Umfange, durch Anlegung von Sammlungen, Ausarbeitung von Aufsätzen und wechselseitige Mittheilung der gemachten Beobachtungen. Cuvier entwarf die Statuten dieses Vereins, er selbst, die Seele desselben, war unser Präsident und verschaffte den wöchentlichen Sitzungen ihr vorzüglichstes Interesse durch seine gehaltvollen Vorträge. Die Anzahl der Teilnehmer war nur gering, um so größer ihr Eifer. Um uns auch durch den Ehrgeiz, diesen mächtigen Antrieb der Jugend, zu spornen, wurde von Cuvier ein Orden, gleichsam eine wissenschaftliche Ehrenlegion gestiftet. Cuvier malte selbst das Ordenszeichen mit meisterhafter Hand aus; in der Mitte des Sterns prangte statt eines Heiligen das Porträt Linné's, jenes Großmeisters im Gebiet der Naturgeschichte, und in die Felder waren die Schätze der Fauna und Flora vertheilt. Der spätere Staatsminister Freiherr Marschall v. Biberstein war auch ein Mitglied unsers Vereins. Mit Marschall unternahm Cuvier eine Ferienreise in die würtembergische Alp, die den beiden jungen Naturforschern reichlichen Stoff darbot, und Cuvier verfaßte eine sehr lebendige und lehrreiche Beschreibung dieser achttägigen Fußreise, die einen besonderen Schmuck durch Zeichnungen erhielt.

»Unter der Anleitung meines Freundes machte ich auch die ersten Fortschritte in der Physik, und ich verdankte seinem Privatunterrichte weit mehr, als dem trockenen geistlosen Vortrage des damaligen Professors der Experimentalphysik. Noch jetzt erinnere ich mich lebhaft der großen Gabe der Deutlichkeit und Anschaulichkeit, welche Cuvier besonders in den optischen Wissenschaften durch die instruktiven Zeichnungen seinem Unterrichte zu ertheilen wußte, und worin sich die charakteristischen Züge jenes großen Lehrtalents offenbarten, das er später auf einem größeren Schauplatze vor dem europäischen Publikum entfaltete. Doch die lebhafteste Erinnerung, die mir aus diesem Zeitpunkte geblieben ist, ist die an das entschiedene Talent des Zeichnens und des getreuen Nachbildens aller Gegenstände der Natur und der Künste, die sein durchdringender Beobachtungsgeist in den kleinsten Zügen auffaßte und künstlerisch nachzubilden wußte. Unerschöpflich war mein Freund im Ausmalen von Bilderchen aller Art, mit denen ich meine Schwestern erfreuen sollte, aber noch mehr übte sich sein großes Talent an naturhistorischen Darstellungen, namentlich an Insekten.«

Im April 1788 verließ Cuvier Stuttgart, um eine Hofmeisterstelle in der Normandie, im Hause eines Grafen, dessen Sohn er 4 Jahre lang unterrichten sollte, anzunehmen. Dieser Aufenthalt in der Nähe des Meeres lenkte sein Naturstudium auf die Bewohner desselben, und seine Arbeiten im Fach der Entomologie waren gute Vorstudien gewesen, die ihm nun zu Statten kamen. Der Briefwechsel mit Pfaff, der sich nun entspann, ist höchst werthvoll in Bezug auf die Fülle trefflicher naturhistorischer Beobachtungen und Forschungen, aber auch bedeutend für die Charakteristik des rastlos strebenden jungen Mannes, der seine Stuttgarter Freunde mit aller Liebe in's Herz geschlossen und in deutsches Wesen sich so eingelebt hatte, daß er sich anfangs seinen französischen Landsleuten gegenüber ganz fremd fühlte. Eine Probe aus diesen Briefen möge hier eine Stelle finden.

 

Im Schlosse Autiville im pays de Caux in der oberen Normandie,
den 17. November 1788. Zugleich erhellt aus diesen Briefen, daß Cuvier mit der deutschen Sprache ziemlich vertraut worden war.

Liebster Pfaff!

Dein Brief ist länger unterwegs gewesen als der meinige. Schreibe mir nun à Mr. Cuvier chez Mr. le comte d'Héricy au chateau de Fiquainville par Valmont; pays de Caux haute Normandie. – Fiquainville ist ein Schloß, das meinem Herrn Grafen gehört und wohin wir sammt und sonders in einigen Tagen wandern sollen. Meine Reise von Caën hierher war eine der angenehmsten, die ich je gemacht. Sieben Stunden davon machten wir am Meeresstrande, der gerade von der Ebbe trocken gelassen worden war, Halt. Stelle Dir, wenn Du es kannst, ein schöneres Schauspiel vor. Von der einen Seite hatten wir die schönsten grünen Hügel, die gegen Abend von der niedergehenden Sonne vergoldet wurden; auf der andern Seite das Meer, wo man nur einige Felsenspitzen und in blauer Entfernung die Thürme von Havre de Grace aus den Wolken hervorstehen sah. Auf dem Strande selbst waren eine Menge Vögel aller Art, die sich von den kleinen Thierchen, welche das Meer zurückgelassen hatte, nährten. Fischer aus benachbarten Dörfern machten diesen Thieren tausendfältigen Krieg: mit Netzen, Spiegeln, Hacken, Stecken etc. Nichts aber kam mir so schön vor, als der Niedergang der Sonne. Mein Enthusiasmus könnte Dir lächerlich vorkommen; doch Du kannst Deiner Einbildung freien Lauf lassen, und ich bin gewiß, daß sie unmöglich schönere Gemälde schaffen kann.

Nun antworte ich Deinem Briefe. Mein Abhandlungspack wirst Du ohne Zweifel vor diesem Briefe empfangen haben. Deine Abhandlungen kannst Du dem Parrot nach Karlsruhe schicken, aber es muß in aller Schnelle geschehen. Deine Gedanken über den Unterschied der Pflanzen und Thiere sollen mir desto angenehmer sein, da ich gerade mit Bearbeitung eines neuen Planes zur allgemeinen Naturgeschichte beschäftigt bin. Ich denke nämlich, man sollte genau die Verhältnisse aller existirenden Wesen mit der übrigen Natur untersuchen, und besonders anzeigen, inwiefern sie zur Oekonomie dieses großen Ganzen beitragen. Dabei aber möchte ich, daß man von den einfachsten Sachen anfinge, z. B. vom Wasser und von der Luft, und nachdem man ihre Effekte auf das Ganze abgehandelt hätte, man nach und nach zu den zusammengesetzteren Mineralien stiege, von diesen zu den Pflanzen und so fort, und daß man bei jeder Staffel genau den Grad der Zusammensetzung oder (welches eins ist) die Menge der Eigenschaften, welche sie mehr als die vorhergehende hat, die nothwendigen Effekte dieser Eigenschaften und ihren Nutzen in der Schöpfung untersuchte. Solch' ein Werk existirt noch nicht. Beide Werke des Aristoteles, de historia animalium und de partibus animalium, die ich immer mehr bewundere, je mehr ich sie studire, enthalten wohl einen Theil davon, nämlich die Vergleichung der Arten und mehre daraus gezogene allgemeine Resultate: es war der erste Schritt zur wissenschaftlichen Bearbeitung der Naturgeschichte, und eben weil es der erste war, mußte er noch unvollkommen sein; viele irrige Fakta, zu wenig Einsicht in die physikalischen Gesetze sind seine Fehler, aber im Ganzen zeigen diese Bücher einen großen Kopf an. – Den Kompilatoren Plinius möchte ich kaum zu den Naturforschern rechnen. Sein schöner Styl allein kann ihm seine Reputation verschafft haben, aber zum Naturforscher gehört mehr als Styl; es gehört eine gründliche Philosophie dazu, und mit diesem Namen wird man doch die faden moralischen Anmerkungen nicht belegen, die Plinius hier und da einstreut. Doch hat er das Verdienst, die ganze Natur zuerst behandelt zu haben; Menschen, Luft, Meer, Himmelskörper rechnet er, und mit Recht, zur Naturgeschichte. Hätte man dieß befolgt, so wäre die Naturgeschichte niemals durch die einfältige Eintheilung in die drei Reiche begrenzt worden. Diejenigen von den Alten, die nur über einzelne Materien geschrieben haben, verdienen hier keine Erwähnung. Dahin gehören Theophrastus, Dioscorides, Aelian und der Verfasser des Buches über die Pflanzen, das dem Aristoteles zugeschrieben worden. Diese Herren und die Mediziner und Landwirthe, wie Galenus und Columella, haben nur Materialien zur Erbauung des großen Gebäudes herbeigeschafft.

Nun gehen wir zur Erneuerung der Wissenschaften. Wer sollte da die abscheulichen Folianten nur durchschauen, so über Naturhistorie geschrieben worden, z. B. die 14 Bände in Folio eines Adrovandi, die 5 oder 6 eines Geßner etc. Von allgemeiner Naturgeschichte darf man nichts darin suchen, und die besondere ist mit einem solchen Mischmasch darin abgehandelt, daß man kaum klug daraus wird. Sie haben noch dazu ein anderes, vielleicht größeres Uebel erzeugt, sie haben die Nomenklaturen nöthig gemacht. Caspar Bauhin machte den Anfang bei den Pflanzen und wenn ich mich recht erinnere, Ray bei den Thieren. Die Leichtigkeit der Arbeit, die gar keinen Kopf erfordert, machte, daß man seit dieser Zeit über 100 Systemmacher zählen kann, und dabei wurde die eigentliche Wissenschaft vernachlässigt. Den Systemen spreche ich keineswegs ihren Nutzen ab; sie sind die Lexika der Naturgeschichte, aber wann wird man einmal die Sprache reden? Die Systeme sind blos Mittel, nicht Zweck, wer wird dann so kühn sein, sich dem Zwecke zu nähern? Linné fühlte es wohl; in seinen »Amönitäten« sind einige Abhandlungen, die in das von mir vorgeschlagene Werk einschlagen, z. B. eine de oeconomia naturae; aber sie sind ganz in Linné's Manier, d. h. recht trocken und mager. Büffon hat viel über allgemeine Naturgeschichte, aber da glänzt er meines Erachtens am wenigsten. Sein Haupttalent ist der Styl, die angenehme Art, wie er die kleinsten Sachen darzustellen weiß. In den allgemeinen Artikeln überläßt er sich zu sehr seiner Einbildung, und statt seinen Gegenstand mit einer philosophischen Kaltblütigkeit zu untersuchen, bauet er Hypothesen auf Hypothesen, die ihn und seinen Leser zuletzt auf gar nichts führen. – Ein Haupterforderniß jeder Wissenschaft ist, daß Alles gründlich bewiesen werde. Ich wollte, daß Alles, was uns die Erfahrung zeigt, genau vom Hypothetischen durch sorgfältige Grenzen geschieden würde. Ein Hauptmuster dieser Methode ist z. B. die Abhandlung vom Feuer, die in parte theoretica von Boerhaven's Chemie steht. Die Etudes de la nature des Herrn de St. Pierre haben einigermaßen meine Idee befolgt, aber der Verfasser hatte viel zu wenig Kenntnisse und ist daher auf eine Menge abgeschmackter Einfälle gekommen. – Aber ich merke, daß aus meinem Briefe eine Dissertation wird; ich muß also wieder die angefangene Antwort ergreifen und vollenden.

Fahre fort im Zeichnen; Du kannst Dir nicht einbilden, wie nützlich und angenehm es ist. Da ich hier in Antiville keine Bücher habe, weil sie schon zu Fiquainville sind, habe ich mich mit Zeichnen der Vögel beschäftigt. Vorgestern brachte man mir einen, den ich zu Stuttgart nie sah und der Dir vielleicht eben so unbekannt ist; sein Linnéischer Name ist Certhia und französisch heißt er grimpereau.Von grimper klettern; im Deutschen »Baumläufer« genannt. Weiter kann ich Dir ohne Bücher nichts vom Namen sagen. Er strepselt an den Bäumen gerade wie der Specht; seine Füße sind zwar nicht wie die des Spechtes gebildet, denn vorne sind drei Finger und hinten nur einer, aber sein Schwanz ist länger und weit steifer als der des Spechts, und der ganze Körper beruhet darauf, sonst würde der Vogel, der immer senkrecht am Baume steigt, rücklings fallen, weil ihn seine schwachen Füße nicht halten könnten. Der Schnabel ist lang, spitzig und gekrümmt, der Vogel schlägt damit in die Rinden der Bäume, daher ihn die hiesigen Landleute percebois (Holzbohrer) nennen. Die Zunge kann er nicht so herausstrecken wie der Specht, und sie ist ganz hart und steif; als ich ihn geöffnet hatte, fand ich bald den Grund dieses Unterschieds: der Magen enthielt nämlich nur vollkommene Insekten, wie z. B. dermestes piniperdaZu den »Speckkäfern« gehörig. und dergl. Da nun der Vogel zu dieser Nahrung bestimmt war, hätte ihm die Zunge, mit welcher der Specht die Larven derselben (die er allein fressen soll) durchbohrt, gar nichts zum Fangen der härteren Insekten gedient. Der Magen ist auch darnach eingerichtet, denn er ist ganz muskulös, wie bei den saamenfressenden Vögeln, dahingegen der Magen des Spechtes bloß häutig ist, weil dieß genug ist zur Verdauung der weichen Larven. Die Certhia ist nicht viel größer als der Zaunkönig ( motacilla regulus), ihre Farbe ist unten ganz blendend weiß, oben mit braun, fuchsroth, schwarz und weiß vermischt, der Schwanz ist blaß fuchsroth.«

Aus der Klaue den Löwen. Man erkennt schon aus diesem Einen Briefe den klaren, selbstbewußten, scharf beobachtenden, gründlich untersuchenden Naturforscher, der sein großes Ziel vor Augen sicheren Schrittes vorwärts geht und auf die Schultern seiner Vorgänger tritt, deren Vorzüge und Mängel seine scharfe Kritik längst entdeckt hat. Als späterhin der Prof. Kielmayer in Stuttgart seine tiefdurchdachten Vorträge über Zoologie eröffnete, und Pfaff dem Freunde dieselben mittheilte, ward Cuvier nicht wenig in seinem Streben gefördert, eine vergleichende Anatomie zu schaffen, in welcher jedes Organ nach seinem Bau, seiner Verrichtung und seinen physiologischen Beziehungen zu dem ganzen Organismus durch die Reihe der Thiere verfolgt wird, von der niedrigsten bis zur höchsten Stufe der Ausbildung. Bald war er dahin gelangt, aus einem einzigen Fuß- oder Backenknochen einen Schluß auf den Bau des ganzen Thieres zu machen und zu entscheiden, ob dasselbe ein Fleisch- oder Pflanzenfresser war.

Cuvier verfolgte aber auch mit wachsendem Interesse die Entwickelung des großen politischen Drama's, das immer tragischer sich gestaltete. Seine Briefe sind voll von interessanten Mittheilungen auch in dieser Beziehung; leider machten die unruhigen Zeiten die Korrespondenz schwierig, endlich fast unmöglich. Cuvier's Name trat aber immer glänzender hervor. Er hatte eine Abhandlung über die natürliche Ordnung der Linnéischen Klasse der »Würmer« bekannt gemacht, und durch die scharfe sichere Beobachtung, durch die Klarheit der Darstellung und den Geist der Auffassung die Aufmerksamkeit der pariser Naturforscher erregt. Geoffroy Saint-Hilaire bestimmte ihn nach Paris zu kommen, öffnete ihm alle naturhistorischen Sammlungen, denen er vorstand, und verschaffte ihm eine Stelle an der Centralschule zu Paris, für die Cuvier sein tableau de l'histoire naturelle des animaux verfaßte. Zugleich nahm ihn das »Institut« in seine erste Klasse auf und man betrachtete ihn allerseits als den ersten Zoologen Europa's. Kaum hatte der »erste Konsul« das Heft der Regierung in die Hände genommen, als von ihm aus eine Aufforderung an alle Regierungen Europa's erging, Cuvier in der Ausführung seines großen Werkes »über die fossilen Knochen« zu unterstützen. Die » Recherches sur les ossements fossiles« erschienen 1821-24, 1826 bereits in der 3ten Ausg. 5 Bände in quarto mit Kupfern. Die klassische Einleitung zu diesem unsterblichen Werke ist besonders erschienen unter dem Titel: » Discours sur les révolutions de la surface du globe et sur les changemens qu'elles ont produits dans le règne animal« (5. Ausg. Paris, 1828). »Man kann sich denken, erzählt Pfaff weiter, welches Entzücken mich erfüllte, als ich in dem Programme den Namen meines alten innigen Freundes ansichtig wurde, und mit welchen Vorempfindungen ich im April 1801 die Reise nach Paris antrat. Dreizehn Jahre waren nun vorübergegangen, seit ich meinen Freund und Lehrer zuletzt gesehen hatte. Ich erwartete allerdings eine große Veränderung an demselben, namentlich in der Richtung, die durch den längeren Aufenthalt neben seinen eigentlichen Landsleuten und durch seinen vielseitigen Verkehr mit der ersten Klasse der Gesellschaft in einer so langen Reihe von Jahren bewirkt werden mußte, und doch wurde ich bei dieser Erwartung immer noch überrascht, als ich die anmuthigste Umwandlung erblickte, die Statt gefunden hatte. Statt der Mähne umlockten nun im richtigsten Ebenmaaße abgeschnittene Haare sein volleres Gesicht, dessen Farbe nun viel gesunder war; sein ganzer Ausdruck war heiter und lebensfroh, alle seine Bewegungen lebhafter, und wenngleich ein leichter Zug von Wehmuth aus seinem Blicke nicht ganz verschwunden war, der stets charakteristisch für ihn blieb, so schwand doch dieser leichte Schleier in der Regel vor der Sonne des kräftigen und heiteren Genius, der aus seinen Augen strahlte. Auch sein Anzug war gewählt, ohne modische Aefferei, kurz Alles stimmte zur Darstellung eines echten französischen Gelehrten zusammen. Aber doch war das germanische Gepräge nicht gänzlich verschwunden, und die herzliche Aufnahme, die ich bei ihm fand, knüpfte schnell wieder das alte Band.

»Es war ein für die Pflege der Wissenschaften höchst günstiger Zeitpunkt, wo sich der erste Konsul durch den Titel »Mitglied des Instituts« noch hochgeehrt fühlte, und diesen Titel allen übrigen vorsetzte, und wo die ersten Männer in der Wissenschaft, wie ein Laplace, Chaptal, Monge, zugleich als Minister an die Spitze der Staatsverwaltung gesetzt wurden. Das großartige Institut des Jardin des plantes, in welchem hochberühmte Lehrer für jeden Zweig der Naturgeschichte, für Geognosie, Geologie, für theoretische und technische Chemie angestellt waren, mit welchem die großen National-Museen in Verbindung standen, hatte sich dieser Pflege und Aufmunterung in einem besonderen Grade zu erfreuen. Hier war nun auch die Werkstätte von George Cuvier, unter dessen Leitung sich in wenigen Jahren das Kabinet der vergleichenden Anatomie bildete. Die reichen Sammlungen wurden freilich noch in Scheunen untergebracht, die an das bescheidene Wohnhaus grenzten, worin der große Cuvier mit seiner Haushälterin sein höchst einfaches Leben führte, das nur durch die Gesellschaft einiger auserlesener Freunde belebt wurde. In diesen geistreichen Kreisen war Cuvier unstreitig der geistreichste, aber auch der heiterste und beliebteste Gesellschafter. Seine Thätigkeit als Lehrer und Schriftsteller war außerordentlich; den Sommer über hielt er Vorlesungen über die vergleichende Anatomie im Pflanzengarten vor einem sehr zahlreichen Auditorium und noch außerdem populäre Vorträge über die Naturgeschichte in dem sogenannten Athenäum vor einem sehr gemischten Publikum, wozu auch viele Damen gehörten. Diese Vorträge glänzten durch ihre Klarheit, Gründlichkeit und Eleganz. Als Sekretär des Instituts zeichnete er sich aus durch seine unabhängige Gesinnung, namentlich denen gegenüber, die dem Machthaber Weihrauch streueten, und seine Lobrede auf Gilbert ward mit dem rauschendsten Beifall aufgenommen. Die denkwürdige Stelle darin lautete: »Gewisse Personen werden vielleicht einen Widerspruch finden zwischen dem Gegenstande dieser Rede und dem auffallenden Pomp, der sie umgiebt. Wie kommt es doch, werden sie sagen, daß in diesem berühmten Palast, vor diesen Bildnissen der großen Männer, die mit ihrem Geiste Frankreich verherrlichten, in Gegenwart Derer, die in ihre Fußtapfen treten, – daß das Publikum versammelt wird, um die Geschichte eines einfachen Ackerbauers zu vernehmen. Leute, die bereits so sehr gewohnt sind, vor der Macht ihre Kniee zu beugen, bewilligen jetzt schon höchst ungern ihre Huldigungen dem Genie, so sehr scheint ihnen die Macht, die nur auf Meinungen Einfluß hat, derjenigen untergeordnet, die über die Glücksgüter verfügt.« » Certaines personnes trouveront peut-être quelque contraste entre le sujet de ce discours et l'appareil imposant au milieu duquel je le prononce. Comment, diront-elles, c'est dans ce palais célèbre, c'est devant ces images des grands hommes, dont le génie honora la France, c'est en présence de ceux qui marchent si bien sur leurs traces, que le public est assemblé pour entendre l'histoire d'un simple agriculteur. Les hommes si disposés de se prosterner devant la puissance, n'accordent déjà qu'avec peine leurs hommages au génie, tant le pouvoir, qui ne s'exerce que sur les opinions leur parait inférieur à celui qui dispense les fortunes.«

Aber diese glückliche Freiheit und Unabhängigkeit der Politik gegenüber sollte nicht immer dauern und Cuvier bald nachher die Sorgen und Wirren eines politisch bewegten Lebens zu schmecken bekommen. Von Napoleon in's Departement des öffentlichen Unterrichts berufen, wirkte er mit Entschiedenheit und sicherem Blick für Abstellung mancher Mißbräuche; als Oberaufseher aller Lehranstalten unternahm er eine Reise nach Holland und Deutschland zur Belehrung über fremdländisches Unterrichtswesen und erstattete 1811 den für Deutschland so ehrenvollen Bericht an den Kaiser, der ihn 1813 zum Requêtenmeister im Staatsrath ernannte. Nach Napoleons Fall bestätigte ihn Ludwig XVIII. in seinen früheren Würden und erhob ihn zum Wirklichen Staatsrath, anfangs für die Abtheilung der Gesetzgebung, später für die Verwaltung des Innern. In dieser Stellung mußte Cuvier oft Maaßregeln vertreten, die gegen seine eigenen liberalen Grundsätze waren und ihn zwischen seiner Anhänglichkeit an die bourbonische Dynastie und der Beziehung zu seinen Freunden in die unangenehmste Stellung brachten. Die Hundert Tage der Napoleonischen Wiederkehr brachten Cuvier um seine Stellung im Staatsrathe, doch bei der Wiedereinsetzung der Bourbons erhielt er das Amt eines Kanzlers der Universität und von da ab immer neue Auszeichnungen als Lohn seiner unermüdlichen Thätigkeit und seiner vielen Verdienste um Frankreich. Als er im Jahre 1818 England besuchte, ward er mit Ehren überhäuft, in demselben Jahre zum Mitglied der französischen Akademie erwählt, 1819 in den Freiherrnstand erhoben, und von Ludwig XVIII. in den Kabinetsrath berufen, 1822 zum Großmeister der protestantisch-theologischen Fakultät der pariser Universität ernannt, 1826 zum Großkreuz der Ehrenlegion. Cuvier, der aus Liebe zur Ordnung und Anhänglichkeit für das bourbonische Herrscherhaus, das ihn so ausgezeichnet hatte, in den Kammern die mehr und mehr schwankende Dynastie unterstützte, wollte doch zu keiner Verletzung der Volksrechte die Hand bieten, und als die verblendeten Minister Karls X. die berüchtigten Preßbeschränkungen erließen, weigerte sich Cuvier entschieden, sie zu unterstützen. Die Revolution von 1830 brachte Ludwig Philipp auf den französischen Thron; der neue König bestätigte Cuvier nicht bloß in allen seinen bisherigen Aemtern und Würden, sondern erhob ihn auch 1831 zum Pair von Frankreich, und wollte ihn ferner zum Ministerium des Innern berufen, als Cuvier am 31. Mai 1832 nach kurzem Krankenlager starb.

Er nahm den Ruhm mit in's Grab nicht bloß eines der gründlichsten und scharfsinnigsten Naturforscher, nicht bloß eines vortrefflichen Lehrers und glänzenden Redners und zugleich umsichtigen Staatsmanns: sondern auch eines wahrhaften Volksfreundes, der in einer gut geleiteten Erziehung und im tüchtigen Unterricht die einzigen sicheren Grundlagen des Volksglückes erkannte, der das Unterrichts- und Erziehungswesen des französischen Reiches mit sicherem Blick und entschiedener Festigkeit organisiren half, der gleicherweis der Universität wie den Elementarschulen seine Vorsorge angedeihen ließ, der mit glühendem Eifer die protestantische Kirche Frankreichs vertrat und für sie die Errichtung von 50 neuen Pfarreien erlangte, der endlich, wo er konnte, die aufkeimenden Talente unterstützte und ihre Laufbahn erleichterte.

Um uns ein Bild aus der letzteren Lebensperiode von Cuvier's Leben vor die Anschauung zu stellen, möge uns Pfaff noch seinen zweiten Besuch (Juli 1829) bei dem Freunde erzählen, mit dem er in verschiedener Lebensbahn sich bewegend, freilich längst die Korrespondenz abgebrochen hatte:

»Ungeheure Umwälzungen hatte Frankreich in so kurzer Zeit erfahren. Die Republik, die ich im Jahre 1801 noch unter dem ersten Konsul angetroffen, war durch alle Glanzperioden und Blendwerke der Kaiserherrschaft hindurchgegangen, war unter der Restauration von der ungeheuren Höhe ihrer Macht herabgesunken und hatte ihren erst langsam durch die Staatsklugheit Ludwigs XVIII. erfolgten Rückschritt zur Kontrerevolution unter dem bigotten und beschränkten Karl X. so rasch fortgesetzt, daß bei meiner Ankunft in Paris irgend eine Art von Krise nahe bevorzustehen schien. Eingedenk der Worte: » tempora mutantur et nos mutamur cum illis« Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen. trat ich, nachdem ich einige Stunden nach meiner Ankunft am Vormittage in dem Hotel Washington, in welchem ich mein Quartier genommen, den republikanischen Träumen nachgehängt, meinen Weg nach dem Jardin des plantes mit etwas banger Erwartung an. Ich suchte den alten bescheidenen Pavillon, jene frühere Werkstätte der geistreichsten und gediegensten Arbeiten meines Freundes auf – und fand ihn unverändert, aber an denselben einen langen Flügel angrenzend, der mir eine große Veränderung ankündigte. Ich klopfte an, die Hausthür ward geöffnet, aber freilich nicht durch die alte Haushälterin, sondern durch einen elegant gekleideten Lakai. Est-ce que Monsieur Cuvier est chez lui? – Quel Monsieur Cuvier? Est-ce que c'est Mr. le baron Cuvier, dont vous parlez, ou son frère Mr. Frederic Cuvier? Nun war ich plötzlich orientirt. Es war der Baron, durch jene ungeheure Kluft von 30 Jahren von mir geschieden, geschieden durch all' die Herrlichkeit, welche ein großes Reich dem Ehrgeiz bietet. Ich erfuhr, daß der Baron eben in der Gallerie des Museums sich befinde, wo ich ihn sprechen könne. Ich trat etwas ängstlich meinen Weg dahin an. Auf halbem Wege sah ich die große Allee einen etwas korpulenten, gebückt einhergehenden, einfach gekleideten Mann herankommen, mit einer cortège von zwei oder drei Männern, die in ihrer Haltung etwas Ehrerbietiges gegen ihn zu haben schienen. Ich glaubte meinen alten Freund wieder zu erkennen, näherte mich ihm mit der etwas ehrerbietig ausgedrückten Anrede: Est-ce que j'ai l'honneur de faire mon compliment à Mr. le baron Cuvier?Ah mon ami Pfaff, quel plaisir inattendu de vous revoir!‹ Mit diesen Worten faßte er mich unter den Arm, die Begleitung entfernte sich und in traulichem Gespräche schlenderten wir dem Pavillon zu; soweit hatte ich den alten Freund wieder gewonnen. Sein äußeres Ansehen hatte sich übrigens sehr verändert; Cuvier war viel stärker geworden, er hatte nichts mehr von der leichten Beweglichkeit, die ihn im Jahre 1801 so vortheilhaft charakterisirte; seine Haltung war auch mehr gebückt und das Alter war schon mehr in seinem Gesichte ausgeprägt, doch hatten die Augen noch ihren vollen Geist, der Verstand thronte auf seiner Stirn, und seine Unterhaltung war wie früher lebhaft. Indeß der alten Zeiten ward so gut wie gar nicht mehr gedacht und ich fühlte, daß eine Art von Scheidewand sich zwischen uns erhoben hatte; der vor 30 Jahren noch großentheils deutsch-gemüthliche Cuvier war nun ganz Franzose geworden. Er machte mich auf die große Umgestaltung seiner Wohnung aufmerksam. An dem Pavillon, der jetzt nur der Dienerschaft diente, grenzte nun ein langer Flügel, der aus einer herrlichen Reihe von Zimmern bestand, die von oben schön beleuchtet wurden, in welchen seine große Bibliothek aufgestellt war, und von denen das geräumigste, in welchem sich viele Gläser mit seltenen Fischen und andere Curiosa befanden, zum Arbeitszimmer diente. Nachdem wir diese Herrlichkeiten gemustert hatten, war die Zeit, in welcher Cuvier in den Staatsrath fahren mußte, herangerückt; und er bot mir an, mich in seinen Wagen aufzunehmen, soweit sein Weg mich dem Hotel Washington näher bringen würde. Unsere Unterhaltung richtete sich während dieser kurzen Fahrt vorzüglich auf die damalige Lage Frankreichs. Es war der Zeitpunkt des Ministeriums Martignac, das allen Freunden einer gemäßigten Freiheit und eines vorsichtigen Fortschritts das größte Vertrauen einflößte. Zu diesen gehörte auch Cuvier. Unvergeßlich aus dieser Unterredung werden mir die Worte sein, die einen Beweis liefern, wie leicht auch die einsichtsvollsten Männer sich über die nächste unheilvolle Zukunft täuschen, wie sie sich in ihrer dermaligen Lage behaglich fühlen und um keinen Preis dieselbe aufgeben möchten. Cuvier rühmte nämlich gegen mich die dermalige ruhige Lage Frankreichs und äußerte, die Franzosen seien allen revolutionären Treibens müde und kaum sei noch von der Revolution die Rede; nichts könne den inneren Frieden mehr stören. Ich machte ihn auf die Intriguen der Priester und besonders der Jesuiten aufmerksam, die dieser Ruhe und auf jeden Fall der Geistesfreiheit Gefahr drohten. Cuvier äußerte sich indeß ganz unbesorgt; er ahnte nicht, daß eben jetzt der verderbliche Plan des Ministeriums Polignac mit seinem heillosen Priesteranhang der Reife nahe war; daß nach kurzer Zeit eine neue Revolution über Frankreich herbeiziehen werde, deren Nachwehen noch nicht vorüber sind.

Auf meiner Durchreise durch Lüttich hatte ich Gelegenheit gehabt, die Bekanntschaft des ausgezeichneten Professors der Anatomie und Physiologie daselbst, Fohmann's, zu machen, und seine vortrefflichen Präparate, vorzüglich die Injektionen der lymphatischen Gefäße der Amphibien und Fische zu bewundern. Ich hoffte Cuvier auf das angenehmste zu überraschen, wenn ich ihm einige dieser köstlichen Präparate mitbrachte. Als ich sie ihm am andern Morgen, wo er mich in seiner Bibliothek empfing, mittheilte, gönnte er ihnen nur einen flüchtigen vornehmen Kennerblick, und gab sie mit der Aeußerung » c'est beau« einem seiner Gehülfen. Die Politik hatte sein ganzes Interesse in Anspruch genommen.

Beim Frühstück stellte er mich seiner Frau vor, einer ältlichen etwas ernsthaften Dame, die nichts von französischer Leichtigkeit zeigte. Cuvier beschäftigte sich fast ausschließlich mit den Zeitungen. Ich hatte während der sechs Wochen keine Gelegenheit, meinem Freunde in dem früheren Sinne näher zu kommen, doch hatte ich mehr als eine Gelegenheit, die Vielseitigkeit und Feinheit seiner Bildung zu bewundern. Jede Woche war eine Art von Salon bei ihm, wo sich ausgezeichnete Wissenschaftsmänner, aber auch Staatsmänner vereinigten, besonders aber berühmte Reisende nicht fehlten. So erinnere ich mich eines solchen Abends, an welchem russische Weltumsegler die Schätze von Zeichnungen, die sie auf ihrer Reise um die Welt gesammelt, vorzeigten. Außerordentlich reich waren die Sammlungen, aber nicht weniger interessant die vielen Ansichten, die von den verschiedenen Inseln Australiens durch einen wie es schien talentvollen Landschaftsmaler aufgenommen worden waren. Die Bemerkungen, mit welchen Cuvier diese reiche Ausstellung begleitete, waren in hohem Grade lehrreich und geistvoll, und verriethen seine genaue Kenntniß der physischen Geographie aller Gegenden unsers Planeten. Cuvier's und seiner Stieftochter Leichtigkeit, mit welcher sie die Unterhaltung mit Staatsmännern, mit Pairs – die auch hier erschienen – zu führen wußten, war bewundernswerth.«

Man muß erst unterscheiden, bevor man verbinden kann, und das sichere Ergreifen und genaue Feststellen der unterscheidenden Merkmale war allerdings vorzugsweise die wissenschaftliche Mission Cuvier's. Wenn aber ein neuerer französischer Schriftsteller sagt: »Cuvier stützt seine Eintheilungen immer auf die Unterschiede; dieser große Geschichtschreiber der Natur ist aber auch nicht zugleich ihr Philosoph. Er hat einen sehr genauen Katalog der Schöpfung geliefert, aber niemals ihren Gedanken begriffen » Cuvier appuye presque toujours ses divisions sur les différences. Aussi ce grand historien de la nature n'en est pas le philosophe. Il a donné le catalogue précis de la création, mais il n'en a jamais compris la pensée.««: so ist das sehr einseitig, denn er würde den Katalog nicht wohl zu Stande gebracht haben, wenn er nichts von dem »Gedanken« verstanden hätte. Es war ein sehr bedeutendes spekulirendes, echt »deutsch-philosophisches« Element in ihm lebendig. Ein kurzes treffendes Bild seines Lebens hat uns Oken gezeichnet (Isis, 1832, pag. 1303 ff.). Es heißt da u. A.: »Wir haben alle unendlich viel an ihm verloren, nicht allein, weil er der große umfassende wohlgeordnete Gelehrte und Gründer der vergleichenden Anatomie als eines corpus gewesen, sondern auch weil durch seine Liberalität die pariser Sammlung im eigentlichen Sinne des Worts die Sammlung der ganzen Welt gewesen, und wir alle darin arbeiten konnten wie in der eigenen, was nun alles plötzlich anders werden wird. Cuvier hat mit rastloser Thätigkeit gearbeitet, Alles gelesen, was in allen Sprachen erschienen ist, mit Scharfsinn die Thatsachen verglichen, zusammengestellt und getrennt, und so ist es ihm gelungen, die erste vollständige vergleichend-anatomische Sammlung herzustellen und ein vollständiges Werk darüber zu schreiben, – die versteinerten Knochen aus der ganzen Welt zusammenzubringen und in einem Prachtwerke eine untergegangene größtentheils unbekannte Schöpfung darzustellen – endlich die Thiere auf eine natürlichere Weise zu ordnen, als es Andern gelungen war. Man sagt freilich, dergleichen sei nur in Paris möglich, als wo sich die erste und vollständigste Sammlung der Welt findet; allein diese Sammlung, die zoologische wie die zootomische, ist ja größtentheils Cuvier's Werk. Auf seinen Vorschlag hat die französische Regierung Reisende zu Dutzenden in alle Welttheile, ja ganze Schiffsrüstungen um die Welt geschickt; er hat alle Thiere und Organe dieser Sammlung durchstudirt, wie Niemand anders, und dennoch ist ihm Zeit übrig geblieben, seine Entdeckungen mit seinen Vorgängern in allen Sprachen zu vergleichen, um ihnen gerecht zu werden. Namentlich hat er die Ideen und Arbeiten der Deutschen gekannt und in seinen Werken benutzt, was ihnen eben den umfassenden Charakter und das große Ansehen besonders bei Franzosen und Engländern gegeben, als welchen Alles neu ist, was ihnen nicht ihre Frau Mama vorspricht. Aus diesen so mannigfaltigen Kenntnissen sowohl der Dinge als der Sprachen, verbunden mit einem großen Geschäftstalent, entsprang die an Cuvier mit Recht so bewunderte Allseitigkeit, wodurch er über seine Genossen so hervorragte, daß er, so lange die Welt steht, als ein hellleuchtendes Gestirn am naturhistorischen Himmel wandeln und die Augen der Nachkommen auf sich ziehen wird, um bei seinem Scheine den Reichthum der Natur zu bewundern, zu untersuchen, zu scheiden, zu ordnen, zu begreifen und zu benutzen.«


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