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Viertes Kapitel.
Brauseköpfchen

Eine Woche war seit diesem Tage vergangen, und das Weihnachtsfest rückte immer näher. Leonore hatte sich endlich entschlossen, zu erklären, daß sie gesund sei und wieder in die Schule gehen wolle, aber es schien, als sei sie durch die wochenlange Verhätschelung noch eigenwilliger geworden, als sie es schon vordem war. Sie hatte unzählige törichte Wünsche, unzählige törichte Einfälle und verursachte täglich im Hause Verdruß und heftige Szenen.

Bald zankte sie mit der kleinen Schwester, wodurch dann auch Streit mit der Kinderfrau entstand, bald klagte sie über Jean und die Jungfer, weil sie dem kleinen Persönchen nicht gleich zu Willen waren, und am schlimmsten erging es Kätchen, die bei ihrem etwas heftigen Naturell nicht stillschweigend die ihr zugefügten Kränkungen hinnahm, sondern aufbrauste wie ein kleiner Wirbelwind, sich zu verteidigen suchte und natürlich dadurch die Sache nur schlimmer machte.

Sie hatte nach der Meinung der Frau Hohenau immer unrecht, bekam heftige Schelte, ja Schläge und war auf dem besten Wege, durch die vielfachen Ungerechtigkeiten, die man ihr zufügte, wirklich trotzig und unartig zu werden.

Die ganze Woche hindurch sehnte sie sich nach dem Sonntag, denn da kam, wenn die Kirche aus war, Bruder Hermann in seinem sauberen Sonntagsanzuge und durfte eine volle Stunde dableiben. O, dann war Käte glücklich, und Hermann auch. Sie sprachen von vergangenen Zeiten, von den Eltern, von dem guten Franz, der noch in dem kleinen Hause wohnte, von allem, was sie beglückt und betrübt hatte, und wenn der Bruder fortging, dann war es Kätchen zumute, als sei es dunkler um sie her geworden, und mit Mühe nur hielt sie die Tränen zurück.

Meister Huber, bei dem Hermann nun wohnte, war Vormund der verlassenen Kinder geworden. Er hatte sich gleich erboten, den Knaben, den er liebgewonnen, zu sich zu nehmen. Käte war bei Franz geblieben, der, ein Jugendfreund ihres Vaters, neben seinem kümmerlichen Schneiderhandwerk zugleich den Kellner im Garten des Herrn Maihold gespielt hatte und die Kinder seines Freundes zärtlich liebte. Seine Schwester, die bei ihm lebte, pflegte Käte, so gut es ging. Sie hatte dem Kinde, das krank darniederlag, ihre eigene Schlafstelle eingeräumt, war aber schon bejahrt, überdem schwerhörig und eignete sich wenig zur Krankenpflegerin. Elisabeths Mutter aber und späterhin auch Frau Hohenau, waren zuweilen gekommen, nach Kätchen zu sehen, hatten einen Arzt geschickt und für die Bedürfnisse des Kindes gesorgt. Und als sich dann nach Kätchens Genesung Frau Hohenau erboten hatte, sie als Leonorens Gespielin bei sich aufzunehmen, da hatten Franz und Jungfer Babette vor Freude geweint über das große Glück, das ihrem Liebling widerfuhr, und auch Meister Huber und Hermann sahen es als ein großes Glück an und freuten sich darüber.

Doch Käte wurde nicht heimisch in dem fremden Kreise, in den ungewohnten Verhältnissen. Sie fühlte sich tief unglücklich. Anfangs hatte sie dem Bruder ihr Leid geklagt, aber dann wagte sie es kaum mehr, denn Onkel und Tante Huber hatten sie darüber gescholten, und auch der Bruder blieb dabei, sie müsse Gott herzlich dankbar sein, daß er so gut für sie gesorgt, und müsse der Frau Hohenau und Leonoren alles zu Gefallen tun, was sie nur tun könne.

Franz und Babette sah sie gar nicht mehr. Ein einziges Mal war sie Franz begegnet, als sie mit Leonoren nach der Schule ging, aber da war keine Zeit gewesen, mit ihm zu plaudern. Tante Josephe kam nicht häufig zu ihrer Nichte, aber wenn sie kam, freute sich Käte, denn sie fühlte es mit dem sichern Blick, der Kindern in dieser Beziehung eigen ist, daß die ernste, strenge Dame ihr wohlwolle, und hatte an solchen Tagen weniger unter Leonorens Unarten zu leiden, weil diese sich doch etwas vor der strengen Großtante fürchtete.

Heute am Sonntag hatte sie kommen wollen, ließ aber sagen, es ginge nicht, da der Großpapa, bei dem sie lebte, unwohl sei. So saßen gegen Abend die Kinder im Wohnzimmer mit Frau Hohenau allein, und diese war verdrießlich, denn sie litt an heftigem Kopfschmerz, und es war allerlei Unangenehmes vorgekommen.

Nun bat noch gar die Kinderfrau um Erlaubnis, einen Ausgang machen zu dürfen, weil Mariechen schlief, und Frau Hohenau wurde immer verdrießlicher. Die Jungfer brachte das Abendbrot herein, gab Kätchen verstohlen einen Wink und deutete nach der Tür. Sie errötete und wußte nicht, was das Mädchen meine, hatte sie doch nie gewußt, was heimliches Tun sei. Sie blickte fragend das Mädchen an, ob sie nicht sprechen würde, und da es nicht geschah, fragte sie arglos: »Was meinen Sie, Berta?«

Das Mädchen wurde nun auch rot, zuckte mit den Achseln, als ob sie Kätchens Dummheit jammere, und sagte kurz: »Ich? Ich habe nichts gemeint.«

Sie ging. Frau Hohenau aber folgte ihr, da Kätchens Frage ihr aufgefallen war. Sie durchschritt das nächste Zimmer, öffnete die Tür zum Vorzimmer, und hier stand die Jungfer und vor ihr der alte Franz, sehr erfroren, den Hut verlegen in der Hand drehend und das gutmütige Gesicht voll Erwartung der Tür zugewandt, durch die er seinen Liebling hoffte eintreten zu sehen. Dieser Anblick, weit entfernt, die üble Laune der Dame zu besänftigen, erzürnte sie aufs höchste.

Leonore und Käte hörten die Mama laut und heftig sprechen, die Jungfer und eine andere männliche Stimme erregt antworten. Die Vorzimmertür ward dröhnend zugeworfen, die Stubentür flog auf, Frau Hohenau trat hastig ein und sagte aufgeregt in ihrer unbesonnenen, übermütigen Weise: »Das ist unerträglich. Es nimmt kein Ende mit diesen bettelhaften Belästigungen. Ich habe eben den Flickschneider, den Franz, hinauswerfen lassen, und es wird am besten sein, du gehst auch wieder deiner Wege,« wandte sie sich zu Käte.

»Den Franz hinauswerfen lassen? Ich soll meiner Wege gehen?« stotterte Käte, bis zur Stirn erglühend und plötzlich aufspringend, als wolle sie schnell hinauslaufen.

»Ruhig,« fuhr Frau Hohenau auf. »Sitz still, nimm das Buch und lies.«

Und Käte nahm gehorsam das Buch, aber die Buchstaben verschwammen vor ihren tränenumschleierten Augen. Als nach einer Stunde der Wagen vorfuhr, um Frau Hohenau in das Theater zu fahren, das sie fast täglich besuchte, atmete Käte erleichtert auf, klappte das Lesebuch zu und nickte ein paarmal, wie in Gedanken verloren, mit dem Kopf vor sich hin. Die Kinderfrau war indes auch zurückgekehrt. Leonore hüpfte in die Kinderstube, da die gute Alte ihr gewöhnlich eine Näscherei mitbrachte, und nun ging Käte schnell in das Vorzimmer, nahm Mäntelchen und Hut, die dort immer hingen, und schlich leise hinaus, die Treppen hinunter und dann mit beflügelten Schritten die Straße entlang, dem kleinen Vaterhause zu.

Atemlos stand sie nun vor der Tür.

Ja, was wollte sie eigentlich? Was würde Franz sagen, wenn sie zu später Abendstunde einträte? Würde er erschrecken? Sie vielleicht gar schelten? Schelten? Nein – warum denn? Hatte nicht Frau Hohenau selbst gesagt: Du kannst deiner Wege gehen? Ach, wie sehr hatte sie sich fortgesehnt aus dem großen, prächtigen Hause, und wie gern war sie gegangen! Sie mußte es doch auch dem armen Franz sagen, wie leid es ihr getan, daß man ihn so schnöde behandelt hatte, und daß sie ganz gewiß nichts dafür konnte.

Sie stieg eilends die Treppe zu der kleinen Giebelstube empor und klopfte an die Tür. Es antwortete niemand, und als sie zu öffnen versuchte, sah sie, daß die Tür verschlossen war. Was nun beginnen? Sollte sie warten, bis Franz zurückkehrte – oder den Bruder aufsuchen? Sie entschloß sich zu dem letzteren und wandte sich der Stadt zu.

Es war ein weiter Weg, den Käte zurücklegte, aber sie hatte in den letzten Wochen oft in Begleitung Jeans oder der Jungfer die Straßen durchwandert, so wußte sie nun den Weg allein zu finden, da die Straßen hell erleuchtet waren. Die Turmuhr schlug die neunte Abendstunde, als Käte die Klingel zu Meister Hubers Wohnung zog. O Schrecken! Auch hier öffnete niemand, sie mochte klingeln und klopfen, soviel sie wollte.

Käte begann mutlos zu werden. Das kleine Herz pochte heftig, sie faltete die Hände und blickte ratlos um sich. Es war ja möglich, der Vormund kam heute gar nicht heim, war mit der Frau und Hermann über Land gefahren, nach Obernigk, wo Verwandte von ihnen lebten. Wo sollte sie dann bleiben?

Die Wohnung des Meisters lag im Hof eines großen, düsteren Hauses, und still, wie ausgestorben, war es ringsum. Die kleine Lampe, die auf dem oberen Treppenaufsatz brannte, drohte zu erlöschen, und eine trostlose Bangnis und Sehnsucht erfaßte plötzlich Kätchens Seele. Sie dachte an die liebe Mutter, was die wohl sagen würde, wenn sie ihr Brauseköpfchen hier sitzen sähe, verlassen, heimatlos, zitternd vor Kälte und Furcht, und nun war es auch ganz vorbei, vorbei mit ihrem Mut und ihrer Standhaftigkeit. Sie legte den Kopf in die Hände und brach in schmerzliches Weinen aus.

»Gott im Himmel, Kätchen, bist du's denn wirklich?« schlug unerwartet Hermanns Stimme an ihr Ohr. »Komm, komm, sag', was ist nur geschehen?«

Er führte das schluchzende Kind in die Stube, Meister Huber zündete Licht an, und nun erzählte Käte, wie traurig sie immer in dem reichen Hause gewesen, wie man Onkel Erich dort behandelt hatte, und was heute alles geschehen sei, und dann ergriff sie des Vormundes Hand, sah ihm freundlich mit den großen Augen in das Gesicht und sagte durch Tränen lächelnd mit fester Stimme, als ob sich das von selbst verstände:

»Ich bleibe nun auch bei dir, Onkel, und ich will sehr fleißig und sehr artig sein.«

»Unmöglich, unmöglich,« murmelte der Mann, und sein volles, gutmütiges Gesicht sah plötzlich recht sorgenvoll aus. »Bin ja nicht reich, Kind, und meine Frau – nein – nein, das geht nicht.«

Hermann sah ebenso traurig wie die Schwester den Vormund an. Er hatte im stillen oft schon den heißen Wunsch gehegt, mit seiner geliebten kleinen Käte wieder unter einem Dach leben zu können. Doch Meister Huber hatte recht. Wo sollte er die Mittel hernehmen, für Kätchens Lebensunterhalt, für ihre Erziehung zu sorgen?

»Ach, lieber Gott, was fange ich denn nur an?« jammerte Käte, von neuem in Tränen ausbrechend, aber als ob ihr ein tröstender Gedanke käme, rief sie gleich darauf: »Ich weiß es. Zu unserem Franz gehe ich. Er nimmt mich gleich wieder auf.«

»So?« fragte der Vormund fast streng, »der Franz soll dann wohl hungern und darben, denn er erwirbt mit Mühe kaum das Stücklein Brot für sich und die Schwester. Das ist alles dummes Zeug. Du hast sehr unüberlegt und, wenn man darüber nachdenkt, auch undankbar gehandelt, Kind. Morgen wirst du dein Unrecht abbitten gehen, und dann ist alles wieder gut. Und nun komm. Meine Frau ist noch in Obernigk bei der Schwester geblieben; morgen früh kommt sie nach Haus und wird dir dann alle deine Einbildungen ausreden.«

In der nächsten Morgenfrühe erschien Jean bei Meister Huber mit einem Briefe von Frau Hohenau. Sie schrieb, daß sie vermute, Käte Maihold sei zu ihm gegangen, daß sie sich trotzdem über das unerlaubte Fortgehen derselben beunruhigt habe und nie mehr das undankbare und ungezogene Mädchen in ihrem Hause aufnehmen würde. Er möchte also ihre Sachen abholen lassen, da sie nicht gesonnen sei, für Käte irgendeine Mühe zu übernehmen.

»Meine Empfehlung, werde die Sachen holen lassen,« sagte gleichmütig der Meister, als er den Brief durchgelesen hatte, stützte aber dann den Kopf sorgenvoll in die Hand, denn es war doch eine gar böse Geschichte, und er war unruhig, was seine Frau dazu sagen und was sie tun würde.

Sie war eine seelensgute, aber in manchen Beziehungen auch strenge Hausmutter, und gern überließ ihr der Meister das ganze Hausregiment, da sie es klug und besonnen führte und er vollauf mit seinen Arbeiten zu tun hatte, die ihm nicht mehr flink von der Hand gingen, so daß der Verdienst von Jahr zu Jahr schmäler wurde. Er sollte ja bald den siebzigsten Geburtstag feiern, und sein biederes, freundliches Gesicht zeigte manche Falte und der Scheitel silberweißes Haar.

»Nun, Vater, hörst du mich gar nicht kommen?« klang plötzlich die Stimme seiner lieben Hausfrau an sein Ohr, und nach herzlicher Begrüßung berichtete sogleich Meister Huber, was sich ereignet, beschrieb Kätchens Kummer, zeigte den Brief und sagte, daß er sehnsüchtig auf ihre Rückkehr gewartet habe, da er nicht recht wisse, was nun eigentlich zu tun sei.

»Das weißt du nicht, Alterchen?« fragte mit Lebhaftigkeit die kleine, korpulente Frau, und sah ihm fast mit einem Anflug von Spott lächelnd in das sorgenvolle Gesicht. »Hab' doch bis jetzt gemeint, daß mein Mann ein guter, frommer Christ ist und nicht ein Barbar. Willst du etwa das Kind auf die Landstraße setzen oder zum Verkauf ausbieten oder sonst etwas?«

Meister Hubers Mienen hellten sich auf. Seine liebe Alte war doch die beste, die klügste Frau von der Welt.

»So – meinst du? –« fragte er zögernd.

»Ja freilich meine ich, daß wir das verwaiste und verlassene Kind hierbehalten müssen. Weiß wohl, daß die Bissen dann noch knapper werden, Vater, aber fürchte dich nicht! den kleinen Schnabel will ich schon noch füllen, une es paßt mir recht. Wir haben in Hermann einen Sohn, dann haben wir auch eine Tochter. Der liebe Gott meint es gut mit uns.«

Sie ging in ihr Stübchen und blickte auf Käte, die mit geröteten Bäckchen fest schlief. Sie wäre auch noch nicht erwacht, wenn nicht jemand auf ihre Stirn einen Kuß gedrückt hätte. Wie oft war ihr das geschehen, wenn ihr Mütterlein sie weckte, und wie süß war das Erwachen gewesen. Schlafbefangen noch und doch bemüht, sich zu ermuntern, streckte sie die Arme aus, umschlang die Mutter, lächelte glücklich vor sich hin und flüsterte: »Gleich – Mutter – gleich, liebe, einzige Mutter!«

Und nun hob sie die schweren Augenlider und schaute erstaunt in das über sie geneigte Angesicht und mußte sich erst besinnen, wo sie war. Sie richtete sich schnell auf und sagte schüchtern: »Sei nicht böse, Tante, daß ich hier geschlafen habe; ich will ganz geschwind aufstehen.«

Die Frau half der Kleinen beim Ankleiden, und erwartungsvoll schaute diese sie an und fragte unruhig: »Wo werde ich nun bleiben, liebe Tante? Sieh mal, keiner mag mich, und zu Leonorens Mutter gehe ich nicht mehr – nein, nie mehr. Hermann sagt, du wirst es schon wissen und du hast alle Menschen lieb?«

»Sagt er das?« fragte die muntere Frau, und in ihre Augen traten Tränen. »Nun, er muß mich wohl kennen. Und wenn ich alle Menschen liebhabe, Kind, sollte ich da die kleine Käte nicht auch liebhaben?« Und sie zog die Kleine an sich und küßte sie. »Auch du sollst mich liebhaben, Kind; du sollst bei mir bleiben, und ich will fortan deine treue Mutter sein.«

Käte stieß einen Jubelruf aus. Sie umklammerte die Frau fest, als wolle sie sie nie mehr lassen, und weinte heftig, aber vor Glück und Seligkeit. Als Hermann aus der Werkstatt zum Frühstück heraufkam und Tante Huber ihm lächelnd sagte: »Siehst du, mein Alter soll nichts voraus vor mir haben, ich hab' mir eine Tochter angeschafft,« da konnte auch er die Freudentränen nicht mehr zurückhalten, und die Wintersonne, die freundlich in das kleine Zimmer schien, beleuchtete vier zufriedene, glückliche Menschen.

Etwas Schweres hatte Käte im Laufe des Tages noch zu bestehen, denn der Vormund verlangte, daß sie der Frau Hohenau Dank sage für alles Gute, das sie ihr erwiesen, und um Verzeihung bitte wegen des unüberlegten Fortgehens. Das erste hätte sie schon tun mögen, aber um Verzeihung bitten? »Wofür denn?« fragte sie lebhaft den Bruder. »Die Frau Hohenau sagte es doch selbst, ich könne meiner Wege gehen.«

»Ja, Kätchen, das kann schon sein,« gab Hermann zu, »aber wer weiß, ob sie es ernst gemeint hat. Wenn du nicht ein kleines Brauseköpfchen wärest, hättest du dir die Sache erst ordentlich überlegt und wärest nicht gleich fortgelaufen.«

»Ich hab's mir wohl überlegt,« sagte die Kleine altklug, »und ein Brauseköpfchen will ich gar nicht mehr sein, Hermann, ich hab' es der Mutter versprochen, fromm und artig zu sein.«

»Nun, also sei artig und geh ohne Widerrede mit,« entschied die Tante, und so ging sie an des Vormunds Hand gegen Abend in die gefürchteten Räume.

Leonore war nicht zu Haus, und Frau Hohenau empfing die beiden kalt und hochmütig, wie es ihre Art war. Sie ließ sich von Kätchen die Hand küssen, sagte, sie verzeihe ihr, wünschte aber nicht, daß sie ferner ihre Tochter besuche. Dann klingelte sie nach Jean, und bald saßen Meister Huber und Käte in einer Droschke, auf deren Dach sich des Kindes Betten und ein Korb mit Kleidern und Wäsche befanden. »Das kann sie alles mitnehmen,« hatte die reiche Dame herablassend gesagt, »ich habe es ihr einmal geschenkt und kann es doch nicht mehr gebrauchen,« und Meister Huber nahm das Geschenk ohne Umstände an.

Käte hatte gezittert und gezagt, daß sie doch vielleicht wieder hätte dort bleiben sollen, und saß nun neben Onkel Huber glückselig, wie ein Vöglein, das dem Käfig entronnen ist. Nur daß sie Leonoren nicht hatte Lebewohl sagen können, ging ihr zu Herzen.

»Ich hatte sie doch lieb,« sagte sie, »und werde sie nun nie mehr wiedersehen. Nicht wahr, Onkel, in die Schule zu Fräulein Linder, die ich mit Leonore besuchte, werde ich wohl nicht mehr gehen? Es wird zu viel kosten?«

»Ja, das ist unmöglich, Kind,« erwiderte Meister Huber. »Aber wir wollen die Mutter fragen!«

Die Mutter erwartete sie schon mit Ungeduld. Es war ein Brief angelangt, darin drei Hundertmarkscheine lagen. Der Brief enthielt die Worte: »Für Käte Maihold, zu Schulgeld und Kleidern. Es wird gewünscht, daß sie die Schule von Fräulein Linder besucht. Nächste Weihnachten erhält sie dieselbe Summe.«

Meister Huber faltete dankbar die Hände. »Das ist eine große Freude für uns alle,« sagte er gerührt. »Gott segne den edlen Wohltäter. Wer es nur sein mag?«


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