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Vorrede

Der inbrünstige Fortschrittsglaube und die mechanistische Geschichtsbetrachtung des 19. Jahrhunderts sind schuld an der Tatsache, daß wir auch heute noch, inmitten eines zweiten Geschichtsbebens, in jenem ›Renaissance‹ genannten Prozesse nur einen Vorgang sehen wollen, der durch eindeutige und ein für allemal feststehende Tatsachen ausgelöst wurde. Stieß man gar um 1900 auf die Tatsache, daß an der Wende von der Gotik zur Renaissance fast die Hälfte des landschaftsgebundenen deutschen Adels ausgestorben ist, so hielt man dafür, ohne Widersprüche zu dulden, als Erklärung den Hinweis auf die damals von Südamerika eingeschleppte Syphilis bereit – stand man aber vor der Tatsache der damals neuen Bauformen und vor dem Einbruch von Architrav und Kuppel in die Welt des Spitzbogens, so mußte füglich die Einwanderung von Humanisten aus dem eroberten Konstantinopel und die so bewirkte ›Neuentdeckung der Antike‹ als Erklärung hinhalten für eine tatsächlich geheimnisvolle und nie recht zu klärende Drehung des Weltgefühls, die ja etwa zur gleichen Zeit, wo sie in Deutschland die Bauformen der Gotik zerstört, auch in der alten Architektur Indiens das fremdartige Gebilde der Kuppel auftauchen läßt.

Für uns, deren Leben nun durch eine zweite und durchaus noch unübersehbare Krise erschüttert wird, bedeutet ›Renaissance‹ wohl etwas mehr denn eine simple Geschmacksänderung. Wir wissen, daß sie dem gotischen Menschen die Abnabelung von seinem Gottesgefühl und vor allem auch von den Gesetzen seiner Landschaft brachte – daß diese plötzliche Umwälzung die gesamte nordische Welt erschütterte und daß sie vielleicht heute erst zum Abschluß gekommen ist.

Wenn ich aber in diesem Buche apokryphe Seiten aus der Geschichte großer europäischer Herrscherhäuser aufschlage, so mag man es mir wohl glauben, daß es mir nicht daran liegt, die an Sensationen ja nicht gerade arme Gegenwart nun noch mit den unbekannten Sensationen der Vergangenheit zu beglücken. Daß die ›Renaissance‹ sich an dem ethischen Erbgut der Dynastien just so vergriff wie an dem der übrigen Menschheit, versteht sich von selbst, und von selbst versteht sich, daß wir fortan in der Geschichte der europäischen Höfe alles erscheinen sehen, was allenthalben und immer erscheint, wenn die Menschheit jene Nabelschnüre durchschneidet, durch die sie in ihren gesunden Zeiten verbunden ist mit dem großen Mutterkuchen ihrer Religiosität und ihrer Landschaft: Selbstmorde aus mangelndem Lebenswillen sehen wir schon im siebzehnten Jahrhundert, und verdorbenes Blut und Prinzessinnen, die als bezahlte Dirnen in der Fremde enden, und Bastarde, die, wie die des fünften Karl, dem Henker verfallen wären, hätte nicht über sie der kaiserliche Vater die schützende Hand halten können.

 

Dieses Buch, das die weibliche Ahnenreihe des größten preußischen Königs aufrollt, holt weit aus, bis zu jener Urmutter, die ihr wildes Blut fast allen europäischen Herrscherhäusern – regierenden und entthronten – vererbte. Wenn ich so bis zu Maria Stuart zurückgehe, so bitte ich doch zu bedenken, daß jene Frau, die am achten Februar fünfzehnhundertundsiebenundachtzig ihr ungebärdiges Leben und der Väter Sünden mit einem noblen Tode zahlte, von Friedrich ja doch nur durch wenige Generationen getrennt ist, und daß in Friedrichs Adern das Blut der Stuarts ja nicht durch einfache, sondern durch doppelte Vererbung rollte Vergleiche die Ahnentafel am Schluß.. Die Spur der Stuarts aber glaube ich verfolgen zu können bis in alle Skandale und Intrigen und Katastrophen, die im achtzehnten, ja noch im neunzehnten Jahrhundert die europäischen Höfe erschütterten. Wir wissen, daß der Ahn mit allen seinen körperlichen und seelischen Merkmalen wohl für eine oder gar für mehrere Generationen aus einem Geschlechte scheinbar verschwinden kann. Wir wissen aber, daß er, der vergessen Geglaubte, urplötzlich wiederzukehren vermag im entfernten Urenkel, und daß Familien im allerengsten Wortsinne ihre ›revenants‹, ihre Wiederkehrer, ihre Enoch-Arden-Gespenster haben. Friedrichs rätselvolles Bild zu deuten, kann kein Versuch weit genug ausholen. Gewiß ist heute von ihm eigentlich nur, daß das populär gewordene Bild des ›Alten Fritz‹ hinfällig und das Produkt eines Versuches ist, den geheimnisvollsten und unbegreiflichsten König des Hauses Preußen mit den bequemen Maßen der guten Bürgerlichkeit und der Biedermeierwelt zu messen. Physiognomisch und seelisch ist dieser ›roi filigran‹ (um ein fast unheimlich klingendes Wort der Zeitgenossen zu wiederholen) in seinem Hause fast wie ein Kuckucksei. Wunderlich reiht sich in ihm Gegensatz an Gegensatz, und ich stehe nicht an, das Wort eines Zeitgenossen zu zitieren, wonach dieses rätselvollen Mannes Menschentum ein weitverzweigtes und unerforschtes Gewässer war, in dem es wohl mondbeschienene stille Buchten und warmsprudelnde Quellen, aber eben auch zerbrechende Katarakte und vereiste und sturmgepeitschte Meere gab. Er mied die Sporen, um seine Pferde nicht zu quälen, er schluchzte bei den funkelnden Akkorden der Marschmusik, und nur ein Narr möge die Augen schließen vor jenen Stunden, da aus ihm Güte und Edelmut wie ein heißer reiner Brunnen hervorbrachen.

Wir wissen aber auch von Taten, wo es anders war und wo eisig und gespenstisch sich in ihm ein ewiges Rätsel meldet. Ein frevelnder Narr ist, wer gerade dieses hervorzerrt und das andere nicht sehen will, der Fluch der Völker lastet mit Fug und Recht auf den mutwilligen und herostratischen Zerstörern ihrer Helden, und ich denke wohl, daß dieses Buch ganz anderen Zielen zustrebt, als eben solcher Zerstörung.

Aber freilich gestehe ich, daß ich mir der Unzulänglichkeit jeder Deutung von vornherein bewußt bin. Anders sieht der Jüngling, anders der Todesreife die großen Figuren der Geschichte, ewig wechseln Shakespeares Gestalten und Rembrandts Selbstporträts ihre Züge, und daß sie so unerschöpflich und daß sie nie ganz zu durchschauen sind: gerade das ist ihre Größe. Denn was wissen wir schon über einer Menschenmutter Sohn, wo wir doch vielleicht erst im Tode über uns selbst das letzte Wort erfahren? In Rätsel verliert sich der Mensch um so mehr, je mehr er in die Wolken ragt, und daß auch die Großen dieser Welt im Buch ihrer Schuld und ihrer mannigfachen Sühne blättern müssen und so ihrer Erfüllung zustreben: das ist das Wesentliche und für uns arme Rätselrater die einzige Lösung. Die Großen dieser Welt lassen unendlich viele Lesarten zu. Und dieses ›Buch der Mütter‹ ist eben nur eine von vielen.

Nicht mehr, aber auch freilich nicht weniger. Ein neues Geschlecht, einer Zeitwende folgend, besinne sich auf die Reihe seiner Ahnen und auf alles, was in einem alten Geschlechte Brauch und Brauches Bruch am Enkel wirkten. Das Buch ist aufgeschlagen, ich aber bin mir bewußt, daß ein Geheimnis jedes Mannes schon in seinen Müttern keimt.


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