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Kampf

Geschichte ist Funktion einer bestimmten Landschaft. Preußische Geschichte, mehr denn jede andere, ist Funktion der östlich der Elbe beginnenden Räume. Dringt in einen gegebenen Raum, sei es auch nur in Gestalt einer bestimmten dynastischen Bindung, ein fremdes Potential ein, so gibt es Erdstöße. Man könnte mich fragen, weswegen ich von englischen Heiratsprojekten der Königin Sophie Dorothee nun so viel Aufhebens mache. Ich gebe aber zu bedenken, daß ich in diesen Heiratsprojekten nur einen Versuch des Westens sehe, in jenen hyperboreischen Raum Altpreußens einzudringen, ich gebe zu bedenken, daß der Westen diesen Versuch seither in gemessenen Abständen immer wiederholt hat. Und ich gebe endlich zu bedenken, daß für den, der historische Zusammenhänge zu sehen vermag, der Sturz Bismarcks nebst allen Folgen schon in demjenigen Augenblick beschlossene Sache (beschlossen im Rate der Geschichtsbildung!) ist, in dem Anno 1858 der preußische Kronprinz Friedrich in London seine britische Ehe schließt. Die Anschauung, daß in gewissen Bezirken dieses Erdballes die Erzengel, in anderen aber die schwarzbärtigen Verbrecher sich angesiedelt haben, ist mir unaussprechlich fremd, und nur ein ganz verwegenes Mißverständnis könnte mir hier oder im folgenden unterstellen, daß ich, von solchen ›Mischehen‹ sprechend, nur das eine Volk auf Kosten des anderen zu verklären wünsche. Dabei aber bleibe ich freilich, daß preußische Geschichte mehr denn jede andere Funktion ihrer Landschaft ist und daß in ihr mehr denn anderswo das Eindringen fremder Elemente sich in Erdstößen kundgibt. Für das Keimen jenes Genius, der Friedrich hieß, war diese Mutter mit dem Stuartblut wohl Voraussetzung, da Genies immer oder doch gern dort zu keimen pflegen, wo mit zweierlei Saat gesät wird. Hätte Sophie Dorothee aber ihre englischen Heiratsprojekte durchgesetzt, so hätte die preußische Geschichte eine rechtwinklige Ablenkung ihres Strombettes erfahren. Wofern es nicht gar zur Staatskatastrophe gekommen wäre.

Unter den Briefen nun, die sie ihrem Schwiegervater Friedrich einst geschrieben hat, findet sich ein aus Herrenhausen vom September 1709 datierter, der sozusagen die Keimzelle dieser späteren Heiratsprojekte darstellt. ›Le petit Fritz me demand toujours les nouvelles des sa Braut.‹

›Le petit Fritz‹ – in den Briefen der alten Sophie immer ›Fritzchen‹ benannt, ist der Sohn ihres Bruders Georg. Die ›Braut‹ aber ist ihre eigene Tochter Wilhelmine. Und der ganze Brief ist insofern eine Verwegenheit, als diese ›Braut‹ damals genau acht Wochen, der Bräutigam aber genau zwei Jahre alt war und mithin kaum nach dieser oder einer anderen Braut gefragt haben dürfte.

So klingt das alles wie ein Scherz und zeugt doch von Sophie Dorotheens fanatischem Willen, allen Angehörigen des Berliner Hofes von vornherein diese Verlobung und Verbindung mit dem Hause Hannover als eine Selbstverständlichkeit einzusuggerieren. Der Zustimmung ihrer hannoverschen Verwandtschaft konnte sie dabei einigermaßen sicher sein. Die schöne Ansbacherin Wilhelmine Karoline, Gattin des späteren Georg II., hat ja außer diesem ›Fritzchen‹ eine kleine Prinzessin in der Wiege liegen, die im Alter einigermaßen zu dem eben geborenen späteren Sieger von Leuthen paßt, und so erschien diese Doppelverbindung beider Häuser ursprünglich beiden Partnern angesichts der traditionellen guten Beziehungen als etwas Selbstverständliches und beinahe Gottgewolltes. Unter den Weihnachtsgeschenken, die die schöne, von Friedrich Wilhelm einst so heiß geliebte und nun an Georg verheiratete Ansbacherin 1714 nach Berlin schickt, befindet sich auch ein aus den Haaren der dreijährigen Amalie gefertigter Verlobungsring für den kleinen Berliner Vetter. Es erschien also selbstverständlich, daß beide Höfe auf diesem Gebiete von vornherein die gleichen Absichten hatten.

Für die wahrhafte Monomanie aber, mit der Sophie Dorothee schon damals diese Pläne fördert, läßt sich, außer den Urtrieben ihres starken und leidenschaftlichen Blutes, nur ein vernünftiger Grund finden, und das war ihr dauerhafter und bis in ihre Sterbestunde unverbrauchter Haß gegen Leopold von Anhalt – jener Haß, den ja auch die so maßvolle und vernünftige alte Kurfürstin Sophie geteilt hat. Der Haß aber war gleichbedeutend mit der Abneigung gegen die unleugbare Roheit und die unerträgliche Arroganz des vielumstrittenen Mannes. Die eigentliche Triebfeder war wohl auch die tiefe Angst vor ihm. Ihrem Gatten Friedrich Wilhelm, der bei seiner Vorliebe für schwere Fleischspeisen immer mehr Fett ansetzte, war nun einmal mit Fug und Recht ein vorzeitiges Ende prophezeit worden. Das aber, was ihr, der geborenen Herrscherin, für diesen Fall früher Witwenschaft als Schreckgespenst vorschwebte, das war die Furcht, es könnte dieser Mann zum Reichsverweser und zum Vormund ihrer Kinder ernannt werden. Ganz gewiß hatte Friedrich Wilhelm in seinem 1714 gemachten Testament sie, die Königin, in alle diese Aemter eingesetzt. Wer aber konnte inmitten all der furchtbaren Intrigen dieses Hofes und gar bei den bekannten ›Vulkanausbrüchen‹ des Königs gewährleisten, daß nicht morgen aus diesem letzten Willen Friedrich Wilhelms bei der ersten besten Gelegenheit ein ›vorletzter‹ wurde und ein erneutes Testament ganz anders verfügte?

Es scheint nun, daß auch der König, bei all seiner Abneigung gegen seinen Schwager Georg, mit diesen Heiratsplänen ursprünglich ganz fest gerechnet hat, obwohl ja das wechselnde Staatsinteresse im Laufe der Jahre für die kleine Wilhelmine in den wechselnden Gedankengängen des Königs eine Menge anderer Freier – darunter seltsamerweise auch den großen Wittelsbacher Karl XII. von Schweden – auftauchen läßt. Und es berührt beinahe jämmerlich, daß 1718 die Neunjährige in einem ihrer allerersten Briefe den Vater ›instamment‹ bittet, ›sie doch nicht mit dem Könige von Schweden zu verheiraten‹, da sie glaube, ›daß er sie nicht liebe‹. Der Brief schließt bezeichnend für die früh entwickelte und von Jugend an etwas superlativistisch veranlagte Neunjährige: ›Wenn wir, mein Bruder und ich, den Rückkunftstermin unseres lieben Papas kennten, würden wir ihn mit Trompeten und Zimbeln empfangen, so, wie man den König David empfing.‹ Im Jahre 1719 aber kommt jene gegen Preußen und Rußland gerichtete Wiener Allianz zustande, der auch England beitritt, und jetzt, da ein Verlöbnis mit einem englischen Prinzen in weite Ferne gerückt ist, erscheint erstmalig auf der Freierliste des Königs jener Markgraf von Schwedt, der, ein Neffe Leopolds, die Berliner Position seines der Königin so verhaßten Oheims nur noch gefestigt hätte. Die Königin aber ist klug und weiß, daß ein leidenschaftlicher Einspruch nur den Eigensinn des Königs ganz unnötig herausfordern würde – sie schreibt ihrem Gatten also, die Prinzessin sei ja noch so jung, man müsse sowieso ja noch fünf bis sechs Jahre warten. Im übrigen füge sie selbst sich ja in des Gatten Willen … ›mais, pour l'amour de Dieu, ne vous précipitez pas‹.

Der Brief weicht dem Könige in aller Weiberschlauheit geschickt aus, und im übrigen mildert sich denn ja auch im Laufe der nächsten Monate die Spannung zwischen Berlin und Hannover. Im folgenden Jahre ist Friedrich Wilhelm dortselbst zu Gast, hat einen eigenhändig geschriebenen Brief seines nun siebenjährigen Söhnchens Friedrich mitgebracht, und 1721 schickt Sophie Dorothee bereits das Porträt ihrer Tochter Wilhelmine an ihren Vater Georg, der nun, Erster seines Namens, auch König von England ist. Von ihm aber war schon gesagt worden, daß seine eigene Mutter ihm einen wunderlichen Hirnkasten zuschrieb und daß er gern auf Zwischenträgereien hörte und an den also gefaßten Vorurteilen und Spleenen wie eine Klette hing. Wer ihm sein (später auf den Sohn vererbtes) Vorurteil gegen die kleine Wilhelmine von Preußen eingeimpft hat, ist nicht ganz geklärt, wahrscheinlich ist, daß auch hier Leopold am Werke war, daß er sich hierbei einer aus Hannover nach Berlin gekommenen Kammerfrau bediente, daß deren Briefe bei der Lady Arlington eingingen, die, eine Tochter der aus dem Königsmarck-Skandal bekannten Gräfin Platen, als Tochter des alten Ernst August Georgs Halbschwester und zugleich, wenn nicht alles täuscht, auch seine Geliebte war. Diese Tochter Platen aber gehörte zur antipreußischen Partei des hannoverschen Hofes, und sie dürfte diejenige gewesen sein, die dem alternden königlichen Geliebten einflüsterte, die kleine Berlinerin sei verwachsen, geistig zurückgeblieben und nicht viel mehr, wie eben eine Mißgeburt. Georg also sieht das Porträt Pesnes, dankt und bemängelt nur das eine, ›daß die doch noch kindliche Prinzessin wie eine Zwanzigjährige dargestellt sei‹.

Was wohl auch in der Absicht der Mutter gelegen haben dürfte … Wilhelmine aber muß im Juni des gleichen Jahres dem englischen Gesandten, der darüber nach London berichten soll, vortanzen Eine ähnliche Besichtigung fand anläßlich der Verlobung der Prinzessin Friederike 1729 statt. Auch hier erschien zu einer ähnlichen Visitation und ganz besonders zur Begutachtung des Tanzens ein ansbachischer Geheimrat in Berlin.. Und in dieser Zeit beginnt die Königin ihre Tochter wie eine Erwachsene zu behandeln und zu kleiden, sie spricht mit ihr erstmalig über den hannoverschen Prinzen und, natürlich zum Entzücken der Tochter, über deren Aussicht, Königin zu werden. Was nun anhebt, ist ein Spiel, das den Menschen von heute nachgerade wie ein Roßhandel anmutet, der Zeit aber durchaus entspricht: aus Hannover kommen, gleichsam als eine Kommission, Hofdamen, die die Prinzessin – in allen möglichen Toiletten und auch nackt – begutachten, und für Sophie Dorotheens eiskalten Willen ist es kennzeichnend, daß sie die Tochter bei dieser Gelegenheit bis an die Grenze der Ohnmacht von ihren Kammerfrauen schnüren läßt.

Alles scheint soweit gut zu gehen. Im Juli 1723, um den ersehnten Berliner Besuch ihres königlichen Vaters zu vermitteln, reist die Königin nach Hannover, spricht über ihre Wünsche sogar mit dem Kammertürken Mehmet …

Denn der Besuch Georgs ist fortan ihre Hoffnung und der Mittelpunkt ihrer Gedanken, und ihre damals nach Berlin geschriebenen Berichte machen in einer beinahe peinlich berührenden Weise die Frage, ob dieser Besuch nun stattfindet oder nicht, zum einzigen Thema …

Zumal Georg I. das tut, was der englische Hof in dieser Angelegenheit fortan durch volle sieben Jahre tun wird: er sagt nämlich weder ›Ja‹ noch ›Nein‹. Immerhin gelingt es ihrer Energie, die erwünschte Zusage wenigstens schriftlich zu erhalten, obwohl Georg seine Vorurteile gegen die kleine Wilhelmine keineswegs los geworden ist.

Die acht Wochen, die bis zum Berliner Besuch ihres königlichen Vaters verstreichen, verbringt sie mit einem grausamen Drill, durch den sie die Manieren ihrer Kinder korrigiert. Als aber Georg, der am 6. Oktober mit einer beinahe an Demut grenzenden Herzlichkeit empfangen worden ist, endlich Wilhelmine von Angesicht zu Angesicht sieht, nimmt er eine Kerze, besichtigt fünf Minuten lang, ohne ein Wort zu sagen, die künftige Schwiegertochter, stellt den Leuchter wieder hin und geruht, ›Sie ist sehr groß für ihr Alter‹ zu sagen. Worauf er sich zu Tisch begibt, bei der Tafel kein Wort spricht, hinterher einen Anfall desjenigen Leidens übersteht, dem er einige Jahre später erliegt. Am nächsten Tage sieht er vom Fenster seiner Berliner Wohnung dem kleinen Kronprinzen Friedrich zu, wie der seine Kadetten exerziert, läßt seine Minister mit den preußischen hinter verschlossenen Türen fleißig über das geplante Bündnis verhandeln, sagt über die Verlobungen kein Wort und reist nach einem beinahe eisigen Abschied wieder fort, ohne auch nur ein Wort über die Verlobungsangelegenheit verloren zu haben.

Trotzdem scheint vorerst alles noch ganz gut zu stehen. Bei der Taufe der Prinzessin Amalie läßt sich nahezu die gesamte hannoversche Familie zur Patenschaft eintragen. Sophie Dorothee schreibt triumphierend dem im Hochsommer 1725 in Hannover zu Besuch weilenden Gatten: ›Je me flatte, que l'on vous parlera du mariage encore avant votre départ‹. Von Wien aus schreibt der spanische Gesandte Riverda unter dem Eindruck der wachsenden österreichisch-englischen Spannung an den heimischen Hof einen Satz, der blitzartig erhellt, weswegen England mit allen Mitteln die preußische Freundschaft suchen muß …

›Oesterreich stelle 150 000 Mann oder das Doppelte, Spanien gebe das Geld und die Flotte … das kleine Preußen werde in einem einzigen Feldzug zertreten, der deutsche Protestantenbund zermalmt, das holländische Krämervolk in seine Käsebuden gescheucht und die hannoversche Rasse aus England verjagt.‹

Das war eine deutliche Sprache, und das, was dahinter sich verbarg, mußte Preußen und England zusammenführen. In der gesamten europäischen Presse erscheinen nun Nachrichten über die bevorstehende Doppelverlobung, die Königin selbst eilt, um endlich die Verlobungsverträge heimzuholen, nach Hannover, verspricht von dort dem König alles und – bringt nichts heim als leere Reden …

Die Gründe für dieses jahrelange Lavieren des englischen Hofes aber sind mit einem Worte nicht wiederzugeben. In den zeitgenössischen Briefen erscheint der Prinz Friedrich von Hannover-England, Wilhelminens ›Bräutigam‹, als ein junger Herr von recht lockerem Lebenswandel, und auch die Markgräfin tut so, als sei sie es gewesen, die wegen dieses Lebenswandels alles habe scheitern lassen. Die Markgräfin aber ist stets ängstlich darauf bedacht, allenthalben sich als die Verschmähende und beileibe nie als die Verschmähte hinzustellen, und das Ganze gewinnt ein anderes Gesicht, wenn man in Seckendorfs klugen und wohlunterrichteten Briefen liest, daß ›nach seinen Informationen der Prinz von dieser mariage gänzlich alieniert‹ sei. Darüber hinaus glaube ich nicht, daß das ewige Hin und Her, das in den folgenden fünf Jahren die beiden Höfe bald zu diesem und bald zu jenem Kurs bestimmt, sich erklären läßt ohne die Berücksichtigung jener beiden Männer, die Georg und Friedrich Wilhelm hießen. Was Georg anbetrifft, der ja als zweideutige und amphibienhaft kalte Figur in der Geschichte steht, so sprach noch mehr als der angeborene Hochmut bei ihm jener Spleen mit, der ihm trotz aller Leibesvisitationen die Prinzessin Wilhelmine als buckelicht, epileptisch und idiotisch erscheinen ließ – da man es ihm einmal so berichtet hatte, so stand dieser Befund für Georg fest, und keine persönliche Besichtigung konnte ihn darin irremachen …

Auf der anderen Seite aber saß ein Mann, in dem das Bewußtsein von der kurzen Vergangenheit der Berliner Königsherrlichkeit durch geschickte Einflüsterungen allzu leicht und allzu schmerzlich geweckt werden konnte, und dort, wo man sich dieses Mittels bediente, regte sich bei ihm sofort der hier schon erwähnte Kleinheitswahn und die schmerzliche Vorstellung, daß man ihn als Parvenü behandele. Wie aber in diesem Sinne die Zwischenträger arbeiteten, davon zeugt ein freilich schon aus dem Jahre 1726 datierter Bericht, den der gleich zu erwähnende Graf Seckendorf an den Prinzen Eugen von Savoyen schreibt Die Herren begaben sich zu einem Weekendbesuch auf das Gut des preußischen Generals von Katsch, wo auch der König erschien. Der in den Minutenbüchern der österreichischen Gesandtschaft sehr ausführlich geschilderte Besuch beweist, wie leicht Friedrich Wilhelm auch vor fremden Gesandten über die inneren Angelegenheiten seines Hofes sprach, sowie erst der Wein seine Zunge gelöst hatte., ›Im Herausfahren‹, heißt es da, ›vertraute mir Grumbkow, daß die vom Könige so sehr gewünschte mariage der Kronprinzessin Nach damaligem Sprachgebrauch die älteste Königstochter, hier also Wilhelmine, spätere Markgräfin von Bayreuth. mit dem englischen Prinzen Friedrich noch im weiten Felde sei und daß wohl niemals etwas daraus werden würde. Denn aus einem mir gezeigten Zirkularbrief von Wallenrodt Preußischer Gesandter in Hannover. erfuhr ich, daß man den Aufschub von dieser Heirat allein mit dem lächerlichen Prätext entschuldige, weil der englische Prinz zum Heiraten nicht imstande sei, worüber der König, welcher die Kopie dieses Briefes erhielt, so erzürnt worden, daß er den Brief in tausend Stücke zerrissen, weil er augenscheinlich gesehn, daß man ihn nur solange mit der Hoffnung auf Heirat flattiere und aufzuhalten gedenke, bis man seiner nicht mehr nötig habe, indem aller Orten bekannt, daß der in England für unschuldig ausgeschriene Prinz in Hannover mit Damen so tätlichen Umgang gehabt, der dem König von England jüngst veranlaßt, genaue und scharfe Obacht auf des Prinzen Umgang und Conduite wieder anzubefehlen, welches er ehedem zu unterlassen verdient in der Hoffnung, der Prinz werde sich selbst moderat aufführen und nicht durch allzu große Excesse seine Gesundheit ruinieren.‹

Man sieht, wie leicht der König an der wundesten Stelle seines Herzens zu treffen war Täuscht nicht alles, so lag ihm an dieser englischen Heirat seiner Tochter alles, an der seines Sohnes mit der Prinzessin Amalie aber nichts. Nach Seckendorf befürchtete er von der englischen Heirat des ihm an sich schon prachtliebend erscheinenden Friedrich bei der reichen englischen Mitgift weitere Verweichlichung und eine daraus sich ergebende Vernachlässigung der Armee.. Wenn wir aber den Memoiren der Markgräfin trauen dürfen, so hatte Friedrich Wilhelm allzu fest mit dieser Verlobung gerechnet, hatte die Prinzessin sozusagen schon als künftige Prinzessin von Wales behandelt und hatte im Vertrauen auf diese künftige Ehe mit Hannover in Herrenhausen am 3. September 1725 jenen Bündnisvertrag geschlossen.

Nun, wo die Königin ohne festes Ergebnis zurückkehrt, ergießt sich auf sie die volle Schale seines Zornes, er läßt zwischen den beiderseitigen Gemächern die Türen verriegeln. Im folgenden Jahre aber – die Königin hat inzwischen in dem späteren Prinzen Heinrich ihren dritten Knaben geboren – erscheint für die Königin ein neuer gefährlicher Gegner in dem Grafen Seckendorf, der fortan, wenn auch nicht offiziell, so doch jedenfalls in praxi die Geschäfte des österreichischen Hofes in Berlin führt. Er war feiner und geschliffener als das Paar Anhalt-Grumbkow, er war mithin gefährlicher. Sein Geheimauftrag war, die beiden Höfe zu entfremden, seine Technik ließ ihn die beiden Berliner Gegenspieler der Königin als Marionetten benützen. Er war der klassische Geheimdiplomat alter Schule, er war nicht ein gefährlicher, sondern weitaus der gefährlichste Gegner, den die Königin finden konnte.

Es ist nun einigermaßen peinlich, die Geheimberichte dieses listenreichen und vielgewandten Mannes zu lesen, da sie jedenfalls auf die Zuverlässigkeit der königlichen Umgebung ein recht häßliches Zwielicht werfen. Alle nämlich – an der Spitze der Minister Ilgen und sein (im Grunde den Westmächten zugetaner) Schwiegersohn Knyphausen – wittern sie in Seckendorf sofort den ›Großen Krummen‹, alle kommen sie und versichern, daß beileibe nicht sie verantwortlich zu machen seien für die hannoversche Freundschaft und das Herrenhauser Bündnis, alle strecken sie auf gute Manier die Hand nach den gerne gewährten kaiserlichen Belohnungen aus. Von Ilgen, der auf jenem Katschschen Gute beim Abschied nach Seckendorf ›mit gewöhnlichen und eidlichen Versicherungen beteuert, wie er als treuer Diener seines Königlichen Herrn nur zu guter Harmonie und Freundschaft mit dem Kaiserlichen Hofe raten könne‹, prescht Seckendorf zu Grumbkow. Wenige Tage darauf ist er mit dem Könige selbst zusammen, der bei dieser Gelegenheit offenherziger als ratsam von seinen hannoverschen Freunden abrückt, ›keine Lust hat, den Hannoveranern die Kastanien aus dem Feuer zu holen‹ und schließlich in der Feststellung endet, daß ›seine Blauröcke dem Kaiser allzeit zur Verfügung stünden Ein Beweis, wie unvorsichtig und inkonsequent Friedrich Wilhelm, der doch eben erst einen Vertrag mit Hannover geschlossen hatte, allenthalben als Außenpolitiker war. Ein Beweis aber auch, welche suggestive Kraft damals noch von der so viel und so billig verspotteten kaiserlichen Gewalt ausging. Wallensteins Ermordung und die Entthronung des Winterkönigs waren eben noch keine hundert Jahre her.‹. Man sieht: in sechs Wochen ist dieser vielgewandte Odysseus, der Seckendorf heißt, im Besitze aller wesentlichen Staatsgeheimnisse und weiß vor allem auch um den Stand derjenigen Angelegenheit, die um jeden Preis zu verhindern er gekommen ist: um den Stand der englischen Verlobungen. Die Bahn ist jedenfalls schon jetzt frei für das, was wenige Wochen später diplomatische Tatsache wird: für jenen Wusterhausener Vertrag, mit dem im Oktober des gleichen Jahres Friedrich Wilhelm von Hannover abrückt und restlos sich dem Kaiser verpflichtet. Das große Spiel der Königin war eigentlich schon jetzt, vier Jahre vor der berühmten Flucht ihres Sohnes und der Katte-Affäre, verloren.

Für sie beginnt jene Zeit, wo schwere Differenzen, für kurze Sturmpausen immer nur aussetzend, die königliche Familie erschüttern. Es kann nun nicht die Rede davon sein, daß sie, wie sie wohl früher getan, demütig und stumm den Sturmböen sich gebeugt hätte. Vorbei sind die Zeiten sanften Nachgebens, hochauf sprühen aus den stuartistischen Funken die Flammen, nie war sie großartiger als damals. ›Jedermann‹, schreibt Seckendorf, ›der den Zustand des Hofes von ehedem und die Bescheidenheit kennet, mit der die Königin vordem dem Könige begegnet und die Furcht, die sie vordem vor ihm gehabt, wundert sich über diese Veränderung.‹ Als der König bei offener Hoftafel ›über die Poltronie‹ der Hannoveraner spottet, blitzt sie ihn höhnisch an: › Ihr … ihr wollt wohl Krieg haben?‹ Und als er sich verächtlich über die hannoversche Generalität äußert, bekommt er zu hören: ›Je nun, Euch hätten sie wohl ihre Armee zu kommandieren geben sollen?‹ Worauf der König, nach Seckendorf, wütend ein Papier nimmt und mit dem Bleistift Galgen zu zeichnen beginnt. –

So also um sich schlagend, nötigt sie auch ihren Gegnern Achtung ab. ›Nie war ihr Credit größer‹, schreibt Seckendorf, ›ihre Hardiesse geht so weit, daß sie alle diejenigen, die nicht von ihrer hannoverschen und englischen Partei sein wollen, durch alle nur ersinnlichen Drohungen abzuschrecken sucht. Der von Ilgen wollte mich versichern, daß ihm und den Seinen solcherlei auf solche Art geschehn, daß, wo sie nur in faveur des Kaiserlichen Hofes mit dem Könige sprächen, sie und ihre Nachkommen in Ungnade fallen sollten. Gegen den von Grumbkow ist die Rache der Königin soweit gegangen, daß sie ihm durch den von Wallenrodt hat ankündigen lassen: Sie und ihr Haus würden zwar den Fürsten von Anhalt, aber nimmermehr den von Grumbkow pardonnieren, sondern ihn samt allen den Seinigen ewig verfolgen. Um auch öffentlich ihn zu prostitutieren, so hat sie kürzlich ihm ein von ihr gegebenes großes Porträt, so nebst des Königs seines in des von Grumbkow neu erbautem Hause in die Wand ist fest gemacht worden, wieder abfordern und durch einen Kammerlakai sagen lassen, man solle es mit Gewalt herausbrechen.‹

So verhält es sich damals mit Sophie Dorothee. Der König ist wütend, schweigt aber. Die schweren Diners nämlich, die Seckendorf gibt, bekommen ihm ganz und gar nicht, die Gicht, die er auf seine beiden Nachfolger vererben wird und an deren Folgen er selbst sterben soll, meldet sich immer heftiger, Todesahnungen plagen ihn, und da somit die Frage nach dem Seelenheil der Majestät von Preußen akut wird, tauchen auch wieder die pietistischen Pastoren aus Halle auf und verdüstern den ohnehin schon lichtlosen Hof noch mehr: zum ersten Male zuckt jetzt der wunderliche Gedanke durch das königliche Hirn, abzudanken und mit der so ganz und gar nicht bürgerlichen Stuart-Königin ein geruhiges Leben zu führen, und jetzt stellen sich auch jene Wut anfalle ein, in denen Se. Majestät nach den Kindern mit Tellern wirft und, um ihnen das Essen zu verekeln, in die Suppe spuckt.

Urplötzlich aber geschieht es, daß er, etwa um die Jahreswende 1726/27, das Steuer umlegt, alle Wutanfälle unterdrückt und, aus einem für ihn höchst charakteristischen Grunde, urplötzlich seine Königin mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit behandelt und sogar duldet, daß sie an seinen treuesten Dienern sich rächt. Der Grund, wie gesagt, ist für ihn und seine notorische Besitzfreudigkeit kennzeichnend. ›Die Ursache, warum der König wider seine Gewohnheit nun alle Extravaganzen und alle Hardiesse der Königin duldet, soll die Erbschaft der (im letzten November verstorbenen) Frau Mutter der Königin sein, die sich auf drei Millionen Taler belaufen soll. Diese nun in Verwahrung zu bekommen, so liebkoset er die Königin auf jede Art und Weise und erträgt alles. Welches freilich sich wieder vermindern dürfte, sowie das Geld in seine Schatzkammer gebracht ist.‹ (Seckendorf an den Prinzen Eugen.) Er schickt bereits seinen Geheimrat Ludwig mit eichenen Geldkisten nach Hannover, um es abzuholen, Hannover aber weigert sich, es auszufolgen. Was seinen alten Groll gegen den nunmehrigen englischen König Georg II. nicht besänftigt. Das äußert sich von neuem in unliebsamen Szenen. ›Man remarkieret‹, heißt es in einem nach Wien gehenden Geheimbericht, ›an der Tafel, daß in Privatdiskursen wieder Brouillerieen zwischen König und Königin vorgekommen seien.‹ ›Si j'aurais voulu‹, brüllt er sie einmal in Gegenwart des Hofstaates an, ›comme vous avez voulu, nous serons perdu tous deux.‹ Er werde, sollte es mit Hannover je zum Kriege kommen, die Kinder in der Wiege nicht schonen, schreit er ein anderes Mal, bringt auch in ihrer Gegenwart Trinksprüche aus, ›daß ein Coujon sei, wer gut hannoverisch ist.‹ Seckendorf beobachtet sorgfältig den Kronprinzen und sein Verhältnis zur Mutter. ›Er ist‹, schreibt er, ›von der Königin so eingenommen, daß er allerorten sich von ihr als Spion gebrauchen läßt, worauf sie dem Grafen Rothenburg Damals französischer Gesandter in Berlin. referieret.‹

Wilhelmine hört die väterlichen Reden stumm an, da es ja den Prinzessinnen verboten ist, zu politischen Themen an der Tafel sich zu äußern, der König, für die verschmähte Tochter tief gekränkt, macht seinem Vaterherzen Luft. ›Es ist wahr, ich selbst bin einmal gut hannoverisch gewesen wegen der mariage, aber nun nicht mehr. Will man gleich mein Mägdelein nicht haben, da frage ich nicht, ob sie solch einen Tanzmeister bekommt oder nicht.‹ Und Seckendorf, der die wechselnden Launen und Ansichten des Königs nun schon kennt, fügt vorsichtig diesem Berichte bei: ›Ich will aber nicht deswegen Guarant sein, daß es mit ihm so bleibt. Denn bei dem Könige ist alles ungewiß außer einer großen Ambition, in der Welt mit zu paradieren und auf Kosten anderer mehr Land zu aquirieren.‹

Es sind, wie gesagt, düstere Tage. Vater und Sohn reisen nach Dresden, der Sohn kommt krank zurück, der Vater behandelt ihn nach dem Muster jener Vogeleltern, die schlecht geratene Junge aus dem Neste werfen, die Königin schreibt dem König den folgenden, für das damalige Verhältnis der beiden Ehegatten höchst charakteristischen Brief …

›Sie können ganz sicher sein, daß ich ihm ganz bestimmt nichts von dem bestellen werde, was Sie mir über ihn geschrieben haben. Wüßte er (der Kronprinz), wie Sie ihn hassen und wie sehr Sie ihm den Tod wünschen, er würde verzweifeln und sterben. Er ist nur allzu krank. Ihnen aber möge Gott Ihre schlimmen Gedanken nehmen und Ihr Herz lenken.‹

Inzwischen kommt aus Hannover die seltsame Kunde, der Prinz Friedrich, ›nunmehriger‹ Prinz von Wales, sei von Hause geflohen und sei unterwegs nach Berlin und sei bereits hierselbst gesehen worden. Davon ist natürlich keine Rede, und der Prinz von Wales denkt an alles andere, nur eben nicht an eine Flucht an den Berliner Hof, die Königin aber erfährt's und erwartet ihn mit Schmerzen. Statt dessen kommt mit seinem Kronprinzen König August der Starke, mit dessen ›Stärke‹ es inzwischen auch nicht mehr weit her ist, er kommt, kann vor Schwäche bei der Unterredung mit der Königin nicht mehr recht stehen, wird aber vom Berliner Hof mit dem ganzen Pomp des hohen Rokoko empfangen. Es wird eifrig konferiert, gespielt, an ›Konfidenztafeln Die bekannten versenkbaren Tische, wie sie sich im Berliner und im Potsdamer Stadtschloß vorfinden und benutzt wurden, um die Anwesenheit der Lakaien auszuschalten.‹ gespeist, es gibt nach all den furchtbaren Aufregungen einige Entspannung, und lachend erzählt man sich an der Galatafel, wie neulich in Dresden der junge Friedrich (was er in den Tagen von Hohenfriedberg und Mollwitz ganz bestimmt nicht mehr getan hätte!) die sächsische Feldmarschallin Flemming Die Gattin des bekannten sächsischen Günstlings, der im gleichen Jahre starb. nach Kräften vor dem gesamten sächsischen Hof abgeküßt habe. Es folgen Feste in Monbijou, es geht formvoller zu als bei dem sagenhaften Besuch Peters des Großen, der galante König August schickt der Königin für ihre kleine Privatkapelle die Flötenspieler Quantz und Bufardin, der Herzog Johann Adolph von Weißenfels, der sich auf diesen Festen nicht ohne tiefere Absicht und nicht ohne Wissen Friedrich Wilhelms erstmalig blicken läßt, wendet bei einem der Festgottesdienste kein Auge von der Prinzessin Wilhelmine, macht aber mit seinem dicken Bauch und seiner kompletten Glatze keine gute Figur und wird von Mutter und Tochter als Freier nicht weiter ernst genommen. Im September 1728 wird er der Königin übrigens als ernsthafter Bewerber um Wilhelminens Hand in aller Form präsentiert, die hochmütige Sophie Dorothee dreht ihm, ohne ein Wort an ihn zu verlieren, den Rücken, der König, nach dessen Ansicht für die von den Engländern einmal verschmähte Tochter der erste beste Freier nachgerade gut genug ist, schäumt vor Wut, lädt seinen Groll auf ein paar unglückselige Pagen ab, die bei irgendeiner Parade seinen Mantel vergessen haben, und nun zur Strafe für vier Stunden an den auf dem Neumarkt stehenden Schandpfahl gebunden werden. Dem sechzehnjährigen Kronprinzen aber wird gedroht, man werde ihm nicht eine Braut, sondern die Peitsche geben, er muß, als der schon erwähnte hallesche Theolog Freylinghausen den Berliner Hof besucht, an der Wusterhausener Tafel zu unterst sitzen und den Gästen die Speisen vorschneiden, er wird außerdem nach der Tafel auf Geheiß des Königs von dem frommen Manne ohne sonderlichen Erfolg in der Christenlehre katechisiert, und als Freylinghausen nach dem Diner mit all den frommen Gesprächen bei der Königin Kaffee trinkt, widerfährt es ihm, daß ihm, der eben an der Tafel heftig gegen den Theaterbesuch geeifert hat, die Königin von Preußen dringlichst die Lektüre einer bestimmten französischen Komödie anempfiehlt.

Keine der beiden Parteien, weder der König noch die Königin, haben ihre beiderseitigen Heiratsprojekte aufgegeben, jeder unterhält auf der anderen Seite einen oder mehrere bezahlte Spione unter der Dienerschaft, der Hof wird zur Brutstätte jedweden Klatsches. Das Furchtbarste ist, daß der König seine Absichten alle Augenblick wechselt, und daß er, der neuerdings auch den Markgrafen von Schwedt, den Neffen Leopolds, auf die Freierliste setzt, bei passender Gelegenheit seine Gattin zu neuerlichen Briefen an die hannoversch-englische Adresse veranlaßt, dafür aber einen Wutanfall bekommt, wenn auch diese weiteren Briefe keinen greifbaren Erfolg zeitigen. So also steht es gegenwärtig mit dem Berliner Hofe. Die Stadt zittert und tuschelt, es tuschelt ganz Europa, und Friedrich Wilhelm verbietet kurzer Hand, weil in der Berliner Presse allerhand Andeutungen über die Vorgänge im Berliner Schlosse erschienen sind, seinem Hofe für mehrere Tage vollkommen das Reden. Inzwischen wirft er seinem Leibarzt, der mit seiner Gichtkur nicht sehr viel Glück gehabt hat, den Teller mit der glühendheißen Bouillon über den roten Galarock, die ›Weiße Frau‹ erscheint, dieses Mal grausigerweise zu Pferde, den Wachen des Schloßhofes, der nunmehr siebzehnjährige Friedrich, in dem allmählich der Widerspruchsgeist erwacht, gibt bei Tisch dem Vater trotzige Antworten, und es kommt zu jenen abscheulichen Szenen, von denen die Memoiren der Markgräfin voll sind. Die Königin zittert für das Leben des Sohnes. Allenthalben aber lauern Spitzel und Spione, und auf das Weitergeben auch der harmlosesten Hofangelegenheiten steht für das Personal Prügelstrafe und ›Spandau‹. ›Daher denn auch‹, berichtet der braunschweigische Gesandte Stratemann, ›alle Leute, so von Wusterhausen hereinkommen, so timide sind, daß sie auch von indifferenten Dingen, so draußen passieren, nicht sprechen wollen.‹ Und fügt gutmeinend hinzu: ›Möge denn endlich Saturnus, so über dem Königspaar scheint, hellem Jupiter Platz machen.‹

Es sind in der Tat für Sophie Dorothee die dunkelsten Jahre, vielleicht auch die dunkelsten Tage, der schwere Konflikt, der im August 1729 beinahe zum Kriege mit ihrem Heimatlande Hannover geführt hätte Wegen der notorischen Mißwirtschaft in Mecklenburg war für das Land die Reichsexekution angeordnet worden. Preußen und Hannover waren mit der Durchführung beauftragt und gerieten bei dieser Gelegenheit in Konflikt., verschlimmert alles ebenso sehr wie ihre erneute und letzte Schwangerschaft, der der Körper nach so vielen Geburten nicht mehr recht gewachsen scheint und die im Mai des kommenden Jahres jenen Prinzen Ferdinand erscheinen läßt, der alle Kinder Friedrich Wilhelms überleben, bei Saalfeld seinen genialischen Sohn Louis Ferdinand verlieren und noch Napoleons Einzug in Berlin mit den alten Augen sehen sollte. Die Verheiratung der ›Ika‹ genannten Prinzessin Friederike, die in eine wenig glückliche Ehe nach Ansbach geschickt wird, ist bis auf weiteres für sie der letzte Freudentag, der König richtet die Hochzeit in geradezu barbarischem Aufwand aus, ist nach langer Zeit wieder einmal ausgelassen, hebt beim Tanzen sein ›Mägdelein‹ hoch und beschenkt die Tochter noch freigiebiger, als es sonst schon bei derartigen Gelegenheiten seine Art ist. Es ist nun so, daß er die von den Welfen verschmähte Wilhelmine sozusagen als Schandfleck der Familie betrachtet und behandelt, und daß er demgemäß immer dringender seine beiden Freier, den dicken Herzog von Sachsen-Weißenfels und den Markgrafen von Schwedt, zur Wahl stellt. Das Furchtbare aber ist, daß er in seinen Intentionen hin und her schwankt und daß Sophie Dorothee nach Hannover schreiben muß, sowie von dort ein einigermaßen günstiger Wind weht. Als eines Tages ein hannoverscher ehemaliger Offizier wieder einmal die wunderliche Mär bringt, der Prinz von Wales wolle nach Berlin, gewissermaßen zu den Eltern ›seiner Wilhelmine‹ fliehen, wird nicht nur die Königin, sondern auch der plötzlich hoch erfreute König Opfer dieser Tatarennachricht, und als der britische Gesandte Dubourgay sofort auf allerkürzestem Wege nach Hannover berichtet und Sicherheitsmaßnahmen für den Fall einer wirklichen Flucht anempfiehlt, läßt der König wieder einmal seine Wut an der Gattin aus. Und alles verschwört sich, um die elektrische Batterie, als die der Hof an dieser Jahreswende 1729 auf 1730 erscheint, bis zur äußersten Spannung aufzuladen: in Potsdam wird ein Komplott der mit ihrem Los unzufriedenen langen Gardisten entdeckt, Berlin munkelt, daß der Kronprinz und der König bei ihrem letzten Potsdamer Besuche an Leib und Leben gefährdet gewesen seien. Friedrich Wilhelm unterschreibt Todesurteile, droht den auswärtigen Pressekorrespondenten, die diese Dinge weitergegeben haben, Stockprügel an … Friedrich selbst muß, ein Achtzehnjähriger, in diesen Tagen sich eine Prügelorgie nach der anderen gefallen lassen, schreibt verzweifelte Briefe an seine Mutter: zum erstenmal in diesen Briefen fällt der Name des Gardeoffiziers von Katte und die Andeutung von Fluchtplänen. Der König hat erst vor kurzem seine Gattin zu einem neuen Brief nach England veranlaßt, gleichzeitig aber verfolgt er seine Pläne mit dem Herzog von Weißenfels und dem Schwedter Markgrafen und setzt damit die Königin unter Zeitdruck. Die hat erst letzthin nach London an ihre Schwägerin – jene einstige Karoline von Ansbach mit den schön geschwungenen Augenbrauen – einen Brief geschrieben, der von der tiefen Not der preußischen Königin zeugt und beinahe die Aufdringlichkeit streift, sie hat beinahe flehentlich um Beschleunigung der Verlobungsaktion gebeten und auf die anderweitigen Absichten des Königs hingewiesen und wartet auf Antwort, als folgendes sich begibt …

Der König, der seine Gattin eben zu diesem an die Königin von England gerichteten Brief veranlaßt hat, schickt dem General Finck das folgende für ihn und sein damaliges Verhältnis zur Königin recht charakteristische Schreiben …

›Sobald Borcke und Grumbkow bei Ihnen gewesen sein werden, haben Sie sich alle dreie zu meiner Frau zu verfügen. Sie werden ihr in meinem Auftrage sagen, daß ich von allen ihren Intrigen weiß, daß sie mir mißfallen und daß meine Geduld zu Ende ist. Ich will nicht länger das Spielzeug meiner Familie sein, die mich unwürdig behandelt, ich will ein für alle Mal meine Tochter Wilhelmine verheiraten. Als letzte Gunst will ich meiner Frau noch einmal erlauben, an den König von England zu schreiben und eine förmliche Erklärung von ihm wegen der Heirat meiner Tochter verlangen. Sagen Sie ihr, daß, falls die Antwort nicht meinem Wunsche gemäß ausfällt, ich unbedingt darauf bestehe, meine Tochter mit dem Herzog von Weißenfels oder dem Markgrafen von Schwedt zu vermählen … daß sie mir ihr Ehrenwort zu geben hat, sich meinem Willen nicht länger zu widersetzen, und daß ich, sofern sie mich weiterhin durch ihre Weigerungen reizt, für immer mit ihr brechen und die Königin sammt ihrer nichtswürdigen Tochter … nach Oranienburg verbannen will, wo sie ihren Eigensinn bereuen mag. Kommen Sie als treuer Diener meinem Befehle nach und trachten Sie, die Königin zum Gehorsam zu bringen, ich werde es Ihnen Dank wissen. Andernfalls aber werde ich Ihr Verhalten Ihnen und Ihren Angehörigen zu vergelten wissen.

Ich verbleibe Ihr wohlgeneigter König Wilhelm.

Die Markgräfin hat den Empfang dieser Kommission bei der Königin recht dramatisch geschildert. Die bewahrt ihre stolze Haltung, betont, Grumbkow ins Auge fassend, daß sie genau ihre Verräter kenne, lehnt alles ab, begibt sich in ihr Kabinett zurück und bricht erst dort seelisch zusammen.

Freilich nur für kurze Zeit. Dann handelt sie. Wilhelmine muß ihrerseits nach England schreiben, sie selbst schickt dorthin zwei Briefe … einen ad usum Serenissimi bestimmten, von dem der König eine Abschrift erhält, einen weiteren, in dem sie dem englischen Hof ein letztes Mal ihr Herz ausschüttet. An Friedrich Wilhelm ergeht das folgende Schreiben: ›Gestern verlangte mich mit der Begründung, er habe mir etwas von Ihnen auszurichten, der Graf Finck zu sprechen. Er hat sich Ihres Auftrages entledigt, ich war von dem, was er mir zu sagen hatte, so betroffen, daß ich nicht antworten konnte – ich habe ihn gebeten, heute nachmittag wiederzukommen. Ich habe mich entschlossen, nochmals der Königin Karoline zu schreiben, um zu hören, ob der Entschluß einer Ehe zwischen Wilhelmine und dem Prinzen von Wales noch besteht. Ich schicke Ihnen eine Kopie dieses Briefes, da Sie aber nicht in diese Sache einbezogen werden wollen, bitte ich Dubourgay Britischer Gesandter in Berlin., seinerseits um baldige Antwort zu schreiben. Der Gegenwind könnte das Eintreffen der Antwort immerhin verzögern. Möglich ist auch, daß mein Bruder und meine Schwägerin erst mit ihren Ministern über das Projekt sprechen müssen. Ich hoffe also, daß einige Tage Aufschub Ihnen nichts ausmachen …‹

Der König hatte sich aber unbarmherzig genau ausgerechnet, wie lange selbst bei Gegenwind die Antwort im ungünstigsten Falle auf sich könnte warten lassen, und inzwischen tobt der Zwist der Gatten unentwegt weiter. Der König ist miserabelster Laune und entlädt sie in den Todesurteilen, die er in jenen Tagen unentwegt unterzeichnet, er erfährt, daß das Komplott des Potsdamer Garderegimentes sehr viel ernsthafter war, als er ursprünglich angenommen hatte, er verprügelt eigenhändig vor der Front wegen eines ziemlich harmlosen Vergehens einen Stabsoffizier und schickt einen unglücklichen Kaminkehrer wegen eines vorgekommenen Schornsteinbrandes ins Zuchthaus. Die Königin ist krank. Wilhelmine von Bayreuth, die überall an Simulation glaubt, wo nicht sie die Leidende ist, gefällt sich darin, den Zustand der Königin als sehr harmlos darzustellen; wir wissen heute, daß ihr eine Fehlgeburt drohte und daß sie schwer litt. Seit Ende des Januar ist sie bettlägerig, der Beichtvater Possart wird gerufen. Dazwischen schreibt Friedrich Wilhelm Briefe, die zur folgenden Erwiderung veranlassen …

›Ich habe den mir von Eversmann Schloßkastellan, des Königs Vertrauter und wahrscheinlich auch sein Spion bei der Königin. überbrachten Brief mit einiger Ueberraschung gelesen. Auf die Mission der Herren Grumbkow, Finck und Borcke habe ich nicht antworten können. Erstens bin ich auf den auf Ihr Ersuchen an meine englische Schwägerin geschriebenen Brief noch ohne Antwort – Dubourgay sagt mir, daß er diese Antwort jeden Augenblick erwartet. Was aber den Markgrafen von Schwedt anbetrifft, so ist sein Ruf bekanntermaßen schauderhaft, Wilhelmine würde mit ihm nur unglücklich werden. Der andere aber ist zwar ein Fürst von Verdienst, aber eben jüngerer Sohn und besitzlos. Sie erklären mir in Ihrem Briefe wieder einmal, daß Sie sich scheiden lassen wollen. Ich kenne den Grund nicht und bin einigermaßen überrascht … ich weiß, besonders in meinem jetzigen Zustand, nicht, was aus dem allem werden soll. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken und sich nicht in Heiratspläne zu stürzen, die Sie ihr ganzes Leben lang bereuen könnten …‹

Man sieht, wie Friedrich Wilhelm, der sonst doch gutmütig und weichherzig war, von seinen Dämonen geplagt wurde. ›Ich denke die ganze Zeit über Ihren Brief nach und Sie können sich bei meinem Zustande den Erfolg wohl vorstellen. Ich weiß, wie gleichgiltig Ihnen das ist, da Sie mich ja doch nicht mehr lieben.‹

Das ist zuviel gesagt, Friedrich Wilhelm leidet selbst bitterlich unter dem Hader; könnte man sich auf die Markgräfin unbedingt verlassen, so hätte er damals sogar einen Selbstmordversuch gemacht. Inzwischen ist die englische Antwort da und sie wirkt wie ein eisiger Wasserstrahl auf alle die Hoffnungen der Königin. ›Ew. Majestät weiß wohl‹, schreibt Königin Karoline, ›daß der König längst erklärt hat, er werde, sobald der König von Preußen für den Kronprinzen Tatsächlich scheint alles in diesem Stadium daran gescheitert zu sein, daß der englische Hof auf dem ›Junctim‹, will sagen der gleichzeitigen Heirat des preußischen Kronprinzen mit einer der Londoner Prinzessinnen bestand, während Friedrich Wilhelm diese englische Heirat wohl für die Tochter, nicht aber für den Sohn wünschte. Die Gründe sind oben berührt worden. die im Alter geeignetste Tochter anfordere, seinerseits die älteste Prinzessin für den Prinzen von Wales anfordern. Der König (Georg) wird aber keineswegs gestatten, daß in eine Sache, in der das Glück seiner Tochter auf dem Spiele steht, irgendwelche Bedingungen eingemengt werden, die nicht unmittelbar mit ihrer Versorgung zusammenhängen.‹

Dort, wo man seine Absichten im Ungewissen lassen will, hat sich sprachliche Verneblung auch schon vor Talleyrand als bestes Mittel von jeher empfohlen, und im übrigen sieht man, daß die bescheidene kleine Ansbacher Prinzessin von ehedem die hochmütige Diktion des Londoner Hofes rasch genug zu beherrschen gelernt hat. Sophie Dorothee aber verliert trotz ihres elenden Zustandes und trotz dieses Briefes ihre Geschmeidigkeit nicht: ›Ich schicke Ihnen hier die Antwort meiner Schwester. Wie Sie sehen, sprechen sie in London noch immer von einer doppelten Heirat, da das Sie ja aber zu nichts verpflichtet, so bitte ich Sie, zu warten und die Heirat mit einem der beiden vorgeschlagenen Prinzen nicht zu überstürzen … Man müßte doch zumindest auf eine Heirat bedacht sein, die der Ehre unseres Hauses entspricht. Machen Sie um Gottes Willen Ihre Familie nicht unglücklich und kompromittieren Sie uns nicht vor der ganzen Welt … Mich erdrücken Trauer und körperliche Schwäche, ich kann weder essen noch schlafen …‹ Es steht in der Tat nicht gut mit ihr, sie wird zur Ader gelassen, die vielen kleinen Kinder umstehen weinend das Bett der Mutter. Möglicherweise hat sie damals für Tage ihre Widerstandskraft verlassen, zwei Tage später schreibt sie, ›daß sie an eine englische Heirat nicht mehr denke, daß sie Borcke, Grumbkow und Finck habe kommen lassen, um mit ihnen über eine passende Heirat innerhalb des Reiches zu beraten‹. Der König ist in Potsdam mit der Untersuchung der Meutereiangelegenheit beschäftigt, neuer Kummer kommt über ihn, als sich dortselbst der Schloßkastellan Stegemann, der 1400 Taler Baugelder unterschlagen hat, in dem Augenblick erschießt, wo der König sein Zimmer betritt (worauf die Majestät von Preußen den Leichnam des Selbstmörders aus dem Fenster werfen und wie üblich über das Pflaster fortschleifen läßt). ›Es ist auch sonst‹, notiert Stratemann, ›bei Hofe eine große Stille gewesen und es hütet ein Jeder sich billig und soll man daselbst, in Aprehension vieler veränderlicher Dinge, nicht anders als hinterm Schirm oder ins Ohr miteinander sprechen.‹ Der König ist so gichtkrank, daß er zu einem der Seckendorfschen Diners sich tragen lassen muß, in der Meutereiangelegenheit des Garderegimentes sind sechzig Mann verhaftet worden, zwei werden totgeprügelt, zwei nach Abhauen eines Fingers gehenkt, der Rest gepeitscht und nach Spandau geschickt. ›Es ist‹, schreibt Stratemann, ›auch der Hofbaumeister, welcher heyraten, zuvor aber einen größeren Titul und zwar den vom Geheimen Rat haben wollen, mit dem Bedrohen cassieret worden: daß er ein Dragoner oder Musquetier werden solle.‹ Man sieht, der König ist wirklich in furchtbarer Laune. Eversmann erscheint inzwischen bei Wilhelmine und verlangt im Namen des Königs nochmals ihre Einwilligung zu einer der deutschen Verlobungen, wird von der resoluten Frau v. Kameke derb zurechtgewiesen, der König taucht urplötzlich im Krankenzimmer auf.

Es kommt zu einer heftigen Szene zwischen den beiden Gatten, die Königin, die inzwischen mit Borcke über eine passende reichsdeutsche Partie beraten hat, bringt erstmalig den Erbprinzen von Bayreuth in Vorschlag, der König droht, er werde, da dieser Prinz nichts besitze, in diesem Falle bei der Hochzeit nicht anwesend sein und jegliche Mitgift verweigern. Die Königin ist froh, daß der Tochter jetzt der dicke Herzog von Weißenfels erspart bleibt, sie weiß, daß sie den Widerstand einstweilen aufgeben muß und – ist durchaus entschlossen, ihr Spiel hinter den Kulissen fortzusetzen. Mag also dieser Bayreuther Hohenzollern, der zwar ein Habenichts, immerhin nicht so blamabel wie die beiden Kandidaten des Königs ist, für den Fall genannt sein, daß ihr Spiel endgültig verlorengeht. Sie schreit die Tochter, die (angeblich) nun auch gegen die Bayreuther Heirat protestiert, an, sie möge ›von ihr aus den Großtürken heiraten‹, legt sich wieder zu Bett, wartet die weitere Entwicklung der Dinge ab. Am 18. Februar bricht der König, den der Tod Peters II. von Rußland und die wieder drohend sich zuspitzende politische Lage Sie war bedrohlich genug. Der Konflikt zwischen Hannover und Preußen, der im Vorjahre durch ein aus den Herzögen von Gotha und Wolfenbüttel zusammengesetztes Schiedsgericht aufgefangen worden war, begann wieder aufzuleben. Das Bedrohlichste war die zwischen den Seemächten und Spanien zu Sevilla geschlossene Allianz, die sich gegen den Kaiser und seine unmittelbaren Verbündeten, Rußland und Preußen richtete: Preußen hätte den ersten Stoß aufzufangen gehabt. Friedrich Wilhelm, von der Geschichte bestimmt, dem großen Sohne das Schwert nur zu schleifen, zögerte, die Armee aufs Spiel zu setzen, die in den nächsten Wochen eingetretene Entspannung des preußisch-englischen Verhältnisses kam ihm im Grunde sehr gelegen. Der weiter unten behandelte Umschwung in der Stimmung des Königs, zumal beim Eintreffen Hothams, ist nur hieraus zu erklären: im Grunde war ihm der englische Hof auch weiterhin genau so verhaßt wie Georg II., den er ›König Braunkohle‹ zu nennen beliebte. alarmiert haben, nach Dresden auf, vorher beklagt sich der Kronprinz bitterlich bei seiner Schwester über die täglich auf ihn niedergehenden (und der Laune des Königs entsprechenden) Prügel, redet erneut von Flucht, redet erneut von jenem Katte, der ihm behilflich sein wird …

Der König hat zwar seine Drohungen von seinem Ausbleiben bei einer Bayreuther Hochzeit wiederholt, scheint aber beruhigt und hat am Tage der Unterredung mit der Königin, in offensichtlicher Befriedigung über deren scheinbares Nachgeben, seine Sänfte halten und dem ersten Bettler, sehr gegen seine Gewohnheit, einen Dukaten verabfolgen lassen: im Grunde sehnte er, allmählich müde werdend, sich unendlich nach Frieden im Hause …

Der König reist ab. Die Königin nimmt ihr Spiel wieder auf: der englische Gesandte und der englische Sprachlehrer Wilhelminens erscheinen bei ihr, der Sprachlehrer wird mit einem erneuten dringenden, an die Königin Karoline gerichteten Brief expediert Mitwisser dieses Komplottes war übrigens auch der äußerlich immer sehr kaiserlich tuende Ilgensche Schwiegersohn Knyphausen. Er hatte diese seine Mitwisserschaft nach der bekannten Augustkatastrophe mit Verbannung nach Ostpreußen zu bezahlen.. Wenige Tage darauf ist sie mit ihren Kräften wieder zu Ende, ihre Erkrankung wirft sie vollends nieder, der königliche Leibarzt Stahl läßt Kuriere an den in Dresden weilenden Monarchen abfertigen.

Der König kommt, bricht, als er die Schwerkranke sieht, zusammen, weint, küßt ihr die Hände. ›Die Tendresse‹, berichtet Stratemann, ›so der König der Königinn anjetzo zeigt, sey besonders groß! Unter anderen hätten Se. Majestät auch bei der ersten entrevenue sich vernehmen lassen: ›Fiecke, ich habe Dich nun vierundzwanzig Jahre, ich wünsche Dich zu behalten, solange ich lebe.‹ Und die Kinder werden hereingeholt, und die eben noch so schlecht behandelte älteste Tochter darf dem Vater die Hand küssen, und sogar der mißhandelte Kronprinz wird freundlich gebeten, für den kleinen Heinrich zu sorgen, der jämmerlich weint; man lächle nicht über diesen Wetterumschlag, man vergesse nicht, daß auch dieser große und arme, von den Dämonen der Emsigkeit und der Staatsverantwortung hin und her getriebene Mann vom gleichen Tantalidenstamme war wie sein krankes Weib …

Irgendwie hat sich in der Stadt, deren Stimmung in diesem Winter 1729/1730 gedrückt genug war, das Gerücht von einer bevorstehenden Entspannung der Beziehungen zu Hannover-England verbreitet, viel bemerkt wird, daß der britische Gesandte am 11. März eine längere Unterredung mit dem Könige hat. Bei einer Parade sagt der König dem Grafen Seckendorf, daß er jetzt ›von Dubourgay außerordentlich satisfait‹ sei, in der Stadt, die aufatmet, geht das Gerücht von dem bevorstehenden Eintreffen eines britischen Sondergesandten um.

Die Königin erholt sich langsam, beschenkt ihre Damen, die sie in ihrer Krankheit gepflegt haben, mit kostbaren Spitzen, hält an ihrem Geburtstag (27. April) vom Krankenbette aus Cercle, empfängt von ihren kleinen Kindern allerlei rührende Geschenke, atmet auf bei der Nachricht, daß alles gut geht, daß die preußisch-englischen Beziehungen über Nacht sich gebessert haben, daß der britische Sondergesandte Hotham in aller Form dem Hofe angekündigt wird …

In Berlin beginnen diplomatische Großkampftage, auch Holland schickt einen Sondergesandten, an Leopold (an den er noch vor vierzehn Tagen höchst kriegerische Briefe geschickt hat) schreibt der König in seiner ›Orthographie auf gut Glück‹: »desburges (Dubourgay) kommt heutte her da soll abgemacht werden, die gute herren hätten das können vor sehr lange zeit noch im julio voriges jahr gethan wer besser grace gewesen. Anfein (enfin) is mir egal ob es krig oder fride ist denn alles wahr fertig und Disponieret.«

Und weiterhin, unter dem Eindruck all der eingetroffenen und noch angekündigten Sonderdelegationen: »es sein nun so viell gesante in Berlin, das wenn man gehet so stolperdt man über einen«.

Hinter den Kulissen geht freilich nicht alles so glatt. Der König erfährt durch seine Spione, daß in seiner Abwesenheit die Königin tätig gewesen ist und zur Wendung der Dinge in ihrer Weise mancherlei beigetragen hat. An einem der Aprilsonntage wartet – leider beobachtet von der auf dieser Seite gelegenen Wohnung her, die eine Spionin des Königs innehat – an einem der Aprilsonntage also wartet nach dem Kirchgang auf Wilhelmine ein pockennarbiger Herr mit dicken schwarzen zusammengewachsenen Augenbrauen (den Stigmata des gewaltsamen Todes, wie ein alter Volksglaube wissen will). Der unheimlich aussehende Herr ist der Leutnant Katte vom Gardekavallerieregimnet ›Gens d'armes‹, das, was er überbringt, ist ein an Wilhelmine gerichteter Brief des Kronprinzen, der sich erneut über elende Mißhandlungen durch den Vater beklagt und für diese Mißhandlungen die Unvorsichtigkeit der Königin verantwortlich macht. Die Unvorsichtigkeit der Königin, die allzu wenig auf der Hut sei vor den Geheimagenten ihres Gatten …

Offenbar wird die Uebergabe dieses Briefes von Späheraugen wahrgenommen – es ist bei diesem von Intrigen unterminierten Hofe nachgerade selbstverständlich, daß Friedrich Wilhelm damals schon von all diesen Geheimkorrespondenzen wußte und daß auch Katte schon damals im stillen ebenso überwacht wurde, wie einst der unglückliche Königsmarck in Hannover vor seiner Katastrophe überwacht worden war.

Vor der Hand freilich hält sich der im Grunde nach Entspannung und nach Frieden außen und innen sich sehnende König an das Greifbare, und dieses Greifbare ist das Eintreffen Hothams, der am 2. April Die Markgräfin gibt – kennzeichnend für die Art, wie sie mit Daten und Tatsachen umspringt – den 2. Mai an. in Berlin ankommt, zuerst der Königin einen ganz kurzen Besuch macht, trotz deren Bitten über den Inhalt seiner Mission kein Wort verliert und dann in Charlottenburg seine Audienz beim König hat. Diese Audienz währt mehr als eine volle Stunde. Niemand ist zugegen, der weitere Verlauf des Tages aber läßt keinen Zweifel aufkommen: England willigt in die Heirat zwischen Wilhelmine und dem Prinzen von Wales, es legt nach wie vor allergrößten Wert auf die gleichzeitige Hochzeit der britischen Prinzessin Amalie mit dem Kronprinzen Friedrich, es fehlt natürlich noch die Ratifizierung dieser Abkommen, es bestehen auch noch allerlei Bedenken auf beiden Seiten, und schon an diesem Tage munkelt man in den Vorzimmern zu Charlottenburg allerlei …

Aber …

Bei der Tafel, die sich an diese Audienz (der auch Dubourgay nicht beigewohnt hat) anschließt, geht es hoch her. ›Es ist‹, schreibt Stratemann in seinen Journalen, ›dabey dermaßen vergnügt zugegangen, daß keiner ohne Verrückung des Horizontes davon gekommen. Enfin, nach vier Uhr ist die ganze Battaile geliefert gewesen, da sich dann der König nach Potsdam abführen, die übrige Hohe Anwesende aber in ihre Wagen leiten lassen.‹ Gleichzeitig zecht man auch an der Marschalltafel furchtbar ›und sollen selbige ebenfalls an ihren Sinnen begraben gewesen sein‹, fügt Stratemann hinzu und berichtet dann etwas sehr Eigentümliches, was sich an des Königs Tafel zugetragen hat. Dort nämlich hat Grumbkow, über den es aus gewissen, gleich näher zu erörternden Gründen in den Vorzimmern des Schlosses tuschelt und raunt, über die Tafel hinweg seinen Königlichen Herrn gefragt: ›Majestät, ist es anjetzo richtig?‹, worauf Friedrich Wilhelm die gefalteten Hände hochgehoben und laut ›Ja‹ gesagt haben soll Die Episode ist charakteristisch für den treuherzigen König ebenso wie für Grumbkow. Dieser vielgewandte Mann war, wie wir aus Seckendorfs Minutenbüchern wissen, vom Kaiser für seine englandfeindlichen Intrigen bezahlt worden und schwenkt hier, wie man sieht, sofort ein, sowie er sieht, daß die englische Partei (die ihn schwer belastete!) zu siegen scheint. Die furchtbaren Explosionen, zu denen Friedrich Wilhelm sich hinreißen ließ, waren nicht zuletzt dadurch bedingt, daß er in diesem Dachsbau von Intrigen und Korruption mit Fug und Recht allenthalben Verrat und Doppelzüngigkeit witterte. Der einzige ehrenwerte Mann, den Dessauer mit einbezogen, scheint an diesem Hofe der Marschall v. Borcke gewesen zu sein, der wirklich nur das Ziel, Frieden in der königlichen Familie zu stiften, kannte.. Die Anwesenden erheben sich, küssen dem Könige den Rock, Friedrich Wilhelm umarmt Hotham, und beim Einsteigen in den Wagen fällt aus Friedrich Wilhelms Munde das Wort: ›Gottlob, nun ist mir ein großer Stein vom Herzen‹. Die Königin aber hat – nicht nur nach dem Zeugnis ihrer boshaften Tochter – auch bei diesem Bankett ihre als Lakaien verkleideten Spione gehabt, ein Estafettendienst ist vorgesehen, und innerhalb zweier Stunden weiß sie, was in Charlottenburg vorgefallen ist. Sie springt aus dem Bett, umarmt – in Gegenwart ihres ganzen Hofstaates und in Gegenwart aller notorischen königlichen Spione – ihre Tochter und die Hofdame Sonsfeld, nennt die Tochter ›Ihre liebe Prinzessin von Wales‹, spricht die Sonsfeld mit ›Mylady‹ an und hört auf deren Warnungen nicht und ist sehr erstaunt, als der König, der sie nach zwei Tagen aufsucht und natürlich alles erfahren hat, sie außerordentlich reserviert behandelt.

Das offizielle und das geheime Feuerwerk der Diplomatie beginnt zu spielen. Die Berliner sehen Estafetten bei Hotham einlaufen, sie sehen ihren König, Hotham in offenem Wagen an der Seite, nach Potsdam fahren, die Hoffnungen müssen sich aber, bis die inzwischen nach England abgefertigten Kuriere zurück sind, ›noch accrochieren‹ und ›niemand darf räsonnieren‹.

Was ist inzwischen geschehen? Bei Audienzen, bei einem von Dubourgay für den König veranstalteten Frühstück (auf dem Hotham übrigens beweist, daß er ›von Kräften braf zu heben und auszuleeren, auch seine Mitarbeiter auf schwache Füße zu setzen und sich dennoch dabey bei guter contenance zu halten weiß‹) … bei all diesen Gelegenheiten kommt es zu den näheren Besprechungen zwischen dem König und den Engländern. Der erste Freudenrausch ist verflogen, auf beiden Seiten taucht das ›Wenn und Aber‹ auf, und von dem ›Wenn und Aber‹ der englischen Seite ist bereits am ersten Tag in den Vorzimmern geredet worden. Die Engländer nämlich verlangen, da sie ihn als den bisherigen Hauptgegner der englischen Partei am Berliner Hofe erkannt haben, sozusagen ›Grumbkows Kopf‹, sie bieten Briefe an, die den Vertrauten des Königs kompromittieren sollen, sie treffen damit in die wundeste Stelle des königlichen Herzens: dorthin, wo es, an sich arglos und in edlem Sinne einfältig, doch geneigt ist, das Schlimmste zu sehen und sich ebenso wie anderen zu mißtrauen …

Der König stutzt, schluckt seinen Argwohn herunter, die Markgräfin behauptet, er habe in den nächsten Wochen Grumbkow schlecht behandelt und in Anwesenheit Dritter schlechte Bemerkungen über ihn gemacht … dies alles, um ein Fallenlassen des Mannes sozusagen vorzubereiten. Wie dem auch sei: in einer Welt, in der alle Stützen verfault sind, kennt Friedrich Wilhelm sich nicht aus, und die Folge dieses vergifteten Pfeilschusses ist, daß er wieder wie rasend um sich schlägt. Bei einer der nächsten Audienzen stellt er für die britische Heirat seines Sohnes eine Bedingung, die tief in die Souveränitätsrechte seines Vertragspartners eingreift: daß nämlich Friedrich Statthalter von Hannover werden (und so die Souveränität Preußens über das Stammland der englischen Dynastie vorbereiten) sollte … ein Wunsch, dem Hotham ›eine Erfüllung nicht zu erhoffen wagt‹. Die Kuriere gehen hin und her, sie bringen geheime englische Briefe auch an die Königin, die, wenige Wochen vor ihrer letzten Entbindung, nicht mehr ausgeht und im Verborgenen desto eifriger und – unvorsichtiger arbeitet. Das Schlimmste: an dem schlechten Verhältnis von Vater und Sohn hat sich nichts geändert, der Sohn erscheint wieder klagend bei der Mutter, äußert für die bevorstehende Reise nach dem Mühlberger Lager, auf die er den König begleiten wird, erneut Fluchtpläne, konferiert insgeheim mit Hotham …

Und Hotham konferiert insgeheim mit der Königin, und inzwischen bringt Seckendorf, der dem Spiel nicht untätig zugesehen hat, die Verlobung der dritten königlichen Prinzeß mit dem ihm genehmen Prinzen von Braunschweig-Bevern zustande … nur er nimmt an der Verlobungsfeier, die mit Rücksicht auf die nahe Entbindung der Königin in aller Stille begangen wird, teil. In der Stadt mehren sich die Zweifel am Zustandekommen der englischen Pläne, die Stimmung sinkt, es ist das letzte und entscheidende und beinahe verzweifelte Ringen der kaiserlichen Partei gegen die von Sophie Dorothee angeführte englische. Am 27. Mai gebiert die Königin ihren vierten und letzten Knaben, nachdem sie vorher, zwischen einer Intrige und der anderen, unter 36 Ammen gegen ein Gehalt von 1200 Talern die ihr genehme ausgesucht hat … der König, an sich unmutig und tief bekümmert, ist außer sich vor Freude, frohlockt, daß er nun ›ein Gespann von vier Jungens‹ habe, beschenkt die Hebamme mit Pferd, Wagen und Futter für ein volles Jahr, reist nach zwei Tagen mit dem Kronprinzen nach Sachsen ab.

Die Stimmung in der Stadt ist schlecht. In übler Vorbedeutung schlimmer Zeiten äschert am 30. Juni ein Blitzschlag die Petrikirche mit hundert Häusern ein, die Leiche des vor zwei Jahren dortselbst beigesetzten Ministers v. Ilgen verbrennt. In der Stadt läuft einer der kronprinzlichen Adjutanten herum und erzählt nachgerade jedem, der es hören will, von den Fluchtplänen seines jungen Herrn. Gerüchte gehen um über eine üble Wendung, die der diplomatische Handel mit England genommen habe. Die kompromittierenden Briefe, die Grumbkow an den kaiserlichen Hof geschrieben und die Hotham angeblich in die Hand bekommen hat, werden weiteren Kreisen bekannt. Die Königin siedelt nach Monbijou über, auf einem ihrer Gartenfeste sieht man den ehemaligen Günstling bleich und gemieden von jedermann in einer Ecke stehen, die kaiserliche Partei setzt zum Gegenstoß und zur Entlastung Grumbkows an und bearbeitet durch ihre Agenten im Mühlberger Lager den König und trifft ihn an der allerempfindlichsten Stelle: sie erweckt sein ungeheures Mißtrauen, indem sie ihm einredet, die ganzen Behauptungen über die Grumbkow-Briefe seien Erfindungen des englischen Hofes und der Königin, um die Verlobung auch des Kronprinzen zustande zu bringen und ihn, den König, mit Hilfe des englischen Hofes zu entthronen. Wo aber war Friedrich Wilhelm jemals hilfloser seinen Dämonen und Plagegeistern ausgeliefert als dort, wo er Verrat in der eigenen Familie witterte …

Als er zurückkehrt, empfängt ihn Aerger über Aerger. Vier Leutnants aus Potsdam haben auf seiner Jagd gewildert, der berühmte Flügelmann Homann vom Riesenregiment ist hoffnungslos krank. Das Gespenst der heraufziehenden Staatskrise ist allenthalben zu spüren, an dem weichherzigen Mann, der eben nur in seiner organisatorischen Arbeit von unerschütterbarer Sicherheit war, zerren beide miteinander ringenden Parteien – der dänische Gesandte Lövenör kommt und warnt dringend vor Grumbkow, Seckendorf kommt und warnt dringend vor Hotham und Lövenör, und in dieser wahrhaft höllischen Situation langt die englische Note in Berlin an.

Sie ist so, wie englische Noten immer, auch unter schlechten Königen und am letzten Tage des britischen Imperiums sein werden – sie ist schmiegsam und entschieden zugleich: die Majestät von Preußen willige in die britische Verlobung seines ältesten Sohnes, die Majestät von Preußen schicke Grumbkow fort, unter diesen Bedingungen wird die älteste Prinzessin von Berlin nach London als Prinzessin von Wales übersiedeln. Kurz vor der Ueberreichung dieser Note, die übrigens nicht, wie die in ihren Daten mehr als ungenaue Markgräfin behauptet, am 14. Juli, sondern am Montag, dem 10., zu Potsdam überreicht wurde … kurz vorher soll Seckendorf eine Audienz gehabt, dem Könige unter Tränen (auch über die mußte ein Diplomat wohl verfügen können) die Unschuld seines Freundes Grumbkow beteuert haben, und kurz darauf tritt Hotham ein.

Der Verlauf dieser Audienz, von der Legende vielfach bis zum Fußtrittmatch verzerrt, ist bekannt. Hotham überreicht jene Grumbkowschen Briefe, in denen der König ›der Dicke‹ genannt wird, Grumbkow sich rühmt, daß der Zwist von Vater und Sohn sein Werk sei, die Königin als Simulantin, ihre Tochter als häßliche Imbezille bezeichnet ist und der Schreiber zynisch sich rühmt, daß der ganze Zwist im Hause Preußen sein, Grumbkows, Teufelswerk sei. Es ist die entscheidende Stunde in diesem Krieg der Stuart-Königin gegen das orthodoxe Preußen, und man kann bei der Unberechenbarkeit Friedrich Wilhelms ja wohl sagen, daß die Entscheidung am Seidenfaden hing. Der König nimmt die Briefe, schleudert sie auf den Boden, macht eine Bewegung, als wolle er handgemein werden; Hotham, eiskalt wie nur ein Brite in der Stunde äußerster Nervenprüfung, hebt respektvoll die Briefe auf, zuckt die Achseln, verbeugt sich und geht Alles übrige – vor allem der königliche Fußtritt – ist üble Legende. Hotham hat auch später in seinen Aeußerungen über den König die Würde nicht eingebüßt und sich nur später einmal dahin geäußert, ›er habe im Augenblick angenommen, Se. Majestät habe das Bewußtsein verloren‹. …

Beruft, gewissermaßen als Ehrengericht, die Gesandten von Holland und Dänemark, schildert ihnen den Vorfall, sagt eine vom reumütigen König ihm zugekommene Einladung zur Tafel für den nächsten Tag ab, erklärt die Verhandlungen für beendigt und reist. Der König fühlt, daß seine Besonnenheit ihn verlassen habe, ist ein paar Stunden tief deprimiert, veranstaltet Versöhnungsversuche, sucht Hotham zu einer zweiten Audienz zu bewegen, stößt auf marmornen Widerstand und …

Läßt seine Bitterkeit an der Königin aus, der der Ausgang dieser Audienz höhnisch und mit dem Bemerken mitgeteilt wird, Wilhelmine werde überhaupt nicht verheiratet, sondern als Koadjutorin nach dem Stift Herford spediert werden. Die Schlacht ist für Sophie Dorothee, für England, für den Westen verloren.

Die amtlichen Fäden zu England sind zerschnitten, nur die geheimen zwischen Monbijou und der englischen Legation vermitteln noch einmal Nachrichten. Auch der junge Friedrich versucht – Ueberbringer ist auch jetzt Herr v. Katte – Hotham nochmals zum Bleiben zu veranlassen, der Brite antwortet kühl und respektvoll, er könne angesichts der seinem Souverän in dessen Botschafter widerfahrenen Beleidigung nichts weiter unternehmen. Er reist am Mittwoch, dem zwölften; in Berlin verbleibt lediglich ein britischer Legationssekretär. –

Das Spiel der Königin scheint verloren, obwohl der preußische Sondergesandte Graf Degenfeld ja noch mit Berliner Gegenvorschlägen unterwegs nach London ist. Geschichte auf ihrer wirklichen Bühne spielt sich weniger gefühlvoll ab, als auf den Podesten der Legende. In den nächsten Tagen – Friedrich Wilhelm bereitet seine Reise nach Süddeutschland vor – ›beschlagnahmt‹ sie für ihre Garderobe lachend ein Stück Drap d'or, das der König neulich im Mühlberger Lager für den Kronprinzen erworben hat, lachend gewährt's der König. Stuarts haben immer Feste gefeiert, wenn das Schicksal auf ihre Schultern schon die Hand legte: am 15. Juli begibt sich der König mit dem Kronprinzen auf jene berühmte Reise, die Katte das Leben, dem Kronprinzen die Freiheit und für sein ganzes Leben die Unbekümmertheit kosten soll, Sophie Dorothee aber feiert während der Abwesenheit von Vater und Sohn in Monbijou ein Gartenfest nach dem andern. Nicht weniger als sechzehn solcher ›Gardenpartys‹ mit Kammermusiken, Parkilluminationen und Wasserfahrten verzeichnet das Berliner Hofjournal bis zu der bekannten Katastrophe in Wesel. –

Katte in der roten Sopraweste des Gens d'armes ist da, erzählt ziemlich unbekümmert, daß er unentwegt Estafetten an den Kronprinzen expediere, wird verwarnt, wird auch zur Rede gestellt wegen einer Dose, die er öffentlich handhabt und auf der Wilhelminens Bild ist (die Majestät von Preußen behauptet wegen dieser Dose bei einem der späteren Vulkanausbrüche, Wilhelmine habe ein Verhältnis mit Katte und mehrere Kinder von ihm!). Die Dose wird, sogar von der Königin selbst, Katte abverlangt, Katte, mit dem Leichtsinn und der nachtwandlerischen Verwegenheit des vom Schicksal schon Gezeichneten, wagt es, sogar der Königin Befehl unbeachtet zu lassen: man sieht, die große grimmige Katze ist nicht zu Hause, und in ihrer Abwesenheit tanzen die Mäuse, und in Monbijou geht es in diesen Tagen in des Königs Abwesenheit just so zu, wie einst unter Maria in Lithlingow. Alte Kammerfrauen und abergläubische Wachtmannschaften behaupteten, es habe im alten Stadtschloß in schlimmer Vorbedeutung in diesen Tagen furchtbar geächzt und gestöhnt und gepoltert. Sowohl die Kammerfrau Ramen (die als Spionin der Königin gilt) wie Grumbkow, der nun wieder sehr selbstbewußt auftritt, suchen in diesen Tagen Wilhelmine zum Einlenken – will sagen zur Heirat mit dem ›dicken Johann Adolph‹ von Sachsen-Weißenfels – zu bewegen, Grumbkow bittet außerdem dringend, die Prinzessin möge den kronprinzlichen Bruder vor seinen entsetzlichen Fluchtplänen warnen.

Allerorts raunt und tuschelt es von diesen Fluchtplänen, um die allzu viel Vertraute und vor allem allzu viel Hasardeure von jeher gewußt haben: es ist gewiß, daß das gesamte Spiel von der Königinnenpartei einschließlich aller hin und her gegangenen Korrespondenzen den großen Gegenspielern Seckendorf und Grumbkow schon seit vielen Wochen bekannt waren. Nie war Sophie Dorothee, Maria Stuarts Urtochter, unbekümmerter und amüsierlustiger als eben in diesen Tagen.

Wie es weiter gegangen ist, wissen wir ja wohl alle, und es verlohnt sich eben nur, ein paar Einzelheiten, charakteristisch für diese Bühne und ihre Statisten und für diese stolze und unbändig lebensvolle Frau, nachzutragen.

In Monbijou also haben sich an jenem schwülen Abend die bunten Figürchen des Rokokos tanzend gedreht, die Königin hat am Spinett selbst ein paar Lieder gesungen – draußen durch die Nacht galoppierte schon der Bote, mit dem das Schicksal und die Nachricht von des Kronprinzen Flucht kommt.

In den nächsten Tagen sind die königlichen Damen, ehe Se. Majestät zurückkommt, auf eine Weise, von der noch zu reden sein wird, mit dem Beseitigen kompromittierender Papiere beschäftigt, der König kehrt zurück, der Premierleutnant von Katte, in einem Leinenkittel über den Schloßplatz geführt, wird samt seinem versiegelten Schreibtisch vor die tobende Majestät von Preußen geschafft und verprügelt und verhört. Verprügelt wird auch die Prinzessin Wilhelmine, die Königin selbst ist Objekt einer furchtbaren Szene, die sich bei offenen Fenstern des Erdgeschosses abspielt, eine riesige Menschenmenge ansammelt und das Eingreifen der Wache notwendig macht …

Der Minister von Cnyphausen ist entlassen und auf sein Gut verbannt, der Geheimrat von Bülow, Bruder einer Hofdame der Königin, wird (denn es gab damals schon Strafversetzungen!) ›nach dem äußersten Orth Insterburg‹ geschickt mit Ausnahme seiner Gattin, ›dieweil sie partui proxima‹ ist. Es ›fliegt‹ der diensttuende Kammerherr Montaulieu und muß (da Se. Majestät das Strafrecht gern mit der Sparsamkeit verbindet) aus eigenen Mitteln den Turm der niedergebrannten Petrikirche wieder aufbauen, der Baron Vernezobre, Erbauer des heutigen Prinz-Albrecht-Palais und seinerseits in des Kronprinzen Affären verstrickt, ›fliegt‹ ebenfalls …

Die Prinzessin ist in Haft, der Königin, die in den nächsten Tagen ahnungslos in Monbijou promeniert, naht sich, gewiß schweren Herzens, der in diesen Tagen redlich um den königlichen Frieden bemühte Hofmarschall v. Borcke und bittet sie im Auftrage Se. Majestät, bis auf weiteres ›alle Spaziergänge zu unterlassen und sich nicht aus Dero Kammern zu entfernen‹, in Küstrin, wo er mittlerweile als Staatsgefangener eingeliefert ist, sieht der Kronprinz von seinem Fenster aus eine Kommission von Kriegsgerichtsräten aus dem Wagen steigen und erleidet, da einer von ihnen einen roten Mantel trägt und von Friedrich für den Henker gehalten wird, einen ernsthaften Anfall, der wohl auf eine Ohnmacht hinauskommt. Was ich erwähne, damit man eines sieht: daß man vor einem roten Mantel in Ohnmacht fallen und späterhin doch am Abend vor Leuthen die berühmte Ansprache an die Generäle halten kann … ja, damit man sieht, daß auch die Geschichte von Menschen gemacht wird und daß sie für hohles Pathos kein Ohr hat und daß sie oft geduldig auf die große Stunde derer wartet, die einmal wohl auch eine schwache hatten …

›Die Freyheit zu schreiben ist in Königs Landen und absonderlich hier gäntzlich verruffen und verloschen‹, berichtet Stratemann und fügt dann hinzu, daß Se. Majestät auch die Kammermusiker der Königin ›cassiert‹ habe …

Man weiß wohl, wie dies alles endete. Mit dem Schwertschlag, unter dem Kattes pockennarbiges Haupt fiel, mit der Sturzflut von königlichen Gnadenbeweisen, die sich auf seine Familie ergoß, mit jenem Oeldruckbilde, auf dem die Legende die seelische Umkehr des verlorenen Sohnes Friedrich, die bekannte Versöhnung bei Wilhelminens Hochzeit, eine glückliche und wieder geeinte königliche Familie und kurz und gut ein ›Happy end‹ für diesen Abschnitt königlich preußischer Geschichte dargestellt hat …

Wir kennen dies alles und brauchen kaum dabei zu verweilen. Weit wichtiger ist die Frage, wie in jenen Tagen die Frau sich verhielt, der diese Ausführungen gelten. Sachkundige, die die Schnelligkeit der damaligen Estafetten kennen, haben ausgerechnet, daß der die Verhaftung Friedrichs meldende Unglücksbrief, den der König von Wesel aus geschrieben hatte, schon am Nachmittage des 15., also vor Beginn dieses berühmten Festes, in der Hand der Königin war, daß sie also auf dem Fest selbst bereits um die Verhaftung des Sohnes gewußt haben muß. Wir wollen uns des Urteils darüber enthalten, wir wollen uns, wenn es so gewesen sein sollte, der Tatsache erinnern, daß ihre schottischen Ahnfrauen wegen einer Schicksalsbotschaft, die erst unterwegs war, sicher kein Fest versäumt hätten, und wir wollen daran denken, daß der schmausend und zechend das Gespenst erwartende Don Juan ja auch der Größe nicht entbehrt …

War es so, so hat sie nicht gleich im ersten Augenblick die Bedeutung der Verhaftung erfaßt, die Festnahme Kattes, die ja erst am Vormittag des 16. erfolgte Auch dies ist ein Problem. Wir wissen, daß der Haftbefehl bereits am späten Nachmittag des 15. in Berlin war und daß er durch ein Versehen erst am 16. ausgeführt wurde. Wer ist für dieses ›Versehen‹ verantwortlich, das dem sicherlich Gewarnten eine Beseitigung von Beweismitteln gestattete?, mag ihr die Augen geöffnet haben. ›Ihr Brief‹, schreibt sie in jenen Tagen dem heranreisenden König, ›hat mich in Verzweifelung gebracht angesichts des schlechten Benehmens, das Fritz unter Ihren Augen sich geleistet hat‹ (wir wollen immerhin nicht vergessen, daß sie mit diesem schlechten Benehmen seit Monaten rechnen mußte). Und weiterhin: ›Ich weiß nicht, welch vernünftigen Grund Fritz für eine derartige Dummheit könnte geltend machen, ich verurteile sie ganz und gar und stehe vor der Tatsache, daß er sich gegen Sie vergangen hat, und weiß nicht, wie ich das alles entschuldigen soll.‹ Sie wird ja eigentlich wohl gewußt haben, weswegen Friedrich floh, und wir werden, da wir die Mutter des großen Königs mit dem Vorwurf des Lügens in die blaue Luft hinein durchaus nicht belasten wollen, zu ganz anderen Schlüssen kommen müssen. ›Von Fritz spreche ich nicht mehr, ich verurteile sein Benehmen, aber ich bitte Sie, daran zu denken, daß Sie Vater sind. Ich bin verzweifelt über die Ihnen zugefügte Beleidigung … und die einzige Entschuldigung, die ich vorzubringen wüßte, ist seine große Jugend und daß er in Verwirrung gehandelt hat …‹

So die Königin zwischen dem 15. und 24. August. Wir wollen uns die Dinge schließlich auch nicht dramatischer vorstellen, als sie gewesen sind, und jedenfalls nicht so zugespitzt, wie sie in den zahllosen Katte- und Friedrich-Dramen, die diesem Gegenstand gewidmet sind, erscheinen. Dem König schien es nicht gar so zu ›pressieren‹. Dürfen wir uns auf die braunschweigischen Berichte verlassen, so hat er unterwegs friedlich einige Tage beim Fürsten von Anhalt gejagt. Was aber geschah in den Tagen, in denen sie diese Briefe schrieb? Bei Katte, der am 16. früh verhaftet worden war, lagen alle die kompromitierenden Papiere, die Mutter und Tochter dem Kronprinzen geschrieben hatten, die Königin mußte also um jeden Preis versuchen, sich wieder in den Besitz dieser Papiere zu setzen. Wie ihr das gelungen sein soll, verzeichnet auf ihre Weise die Markgräfin: nach dieser Darstellung also hätten bei der Gräfin Finck vier Maskierte die bewußte, mit Kattes Siegel verschlossene Kassette niedergesetzt und einen anonymen Brief hinterlassen, der die Gräfin zur Uebergabe der Kassette an die Königin aufforderte. Diese Uebergabe sei erfolgt, die Königin habe nun vor der verzweifelten Aufgabe gestanden, aus der Kassette die kompromittierenden Schriftstücke ohne Verletzung der Katteschen Siegel zu entfernen, und sei durch einen neuen und noch phantastischeren Eingriff des Schicksals aus ihrer Verlegenheit erlöst worden: zufällig nämlich habe der Lakai Bock, ein älterer und treu ergebener Mann, auf den Gartenwegen von Monbijou ein Petschaft mit dem Wappen Kattes gefunden, und mit Hilfe dieses zufällig gefundenen Petschaftes sei es nun den Damen gelungen, die Kassette nach Herausnahme der bewußten Briefschaften wieder zu versiegeln …

Vier Maskierte, ein anonymer Brief, ein Petschaft, das dringlichst gebraucht wird und dann in der Stunde tödlichster Verlegenheit ›zufällig‹ sich auf den Gartenwegen eines Lustschlosses findet – das alles ist eine solche Häufung von Marlitt-Requisiten, daß wir uns denn doch lieber zu einem wahrscheinlicheren Sachverhalt retten wollen: der alte Feldmarschall Natzmer, der Katte, übrigens mit schwerem Herzen und sehr betrübtem Gesicht, verhaftete, hatte den königlichen Damen schon vorher manchen nicht ganz korrekten Gefallen erwiesen und dürfte wohl auch hier derjenige gewesen sein, der die Königin aus ihrer Verlegenheit befreite. Zumal er ja der einzige war, der über die beschlagnahmten Papiere des Häftlings verfügte und eine noch so starke Schar von Maskierten nicht imstande gewesen wäre, den königlichen Damen oder der Gräfin Finck eine Kassette auszuliefern, die zur Zeit sich in sicherem Gewahrsam auf der Wache der Gens d'armes befand.

Wie dem auch sein mag – tatsächlich ist die Königin kraft irgendeiner Durchstecherei in der Lage gewesen, ihre bei Katte beschlagnahmten Papiere zu entfernen, zu vernichten und durch harmlose zu ersetzen, die ad hoc in den nächsten Tagen von den Damen angefertigt wurden, worauf dann mit Hilfe des – wahrscheinlich ebenfalls durch Natzmer beschafften – Petschafts die Katteschen Siegel wieder angelegt wurden. Das alles ist Tatsache, und wichtig ist in diesen Tagen der Königin Verhalten. Unter den Briefen nämlich, die in diesen Tagen in den Kamin wandern, finden sich zahllose, in denen die beiden Geschwister – Friedrich und Wilhelmine – in ihrer boshaften Weise über den König sich lustig machen. Die Königin liest es und lacht. Und die, die zur Stunde doch eigentlich die anhebende Staatskrise wittern müßte, lacht nicht nur, sie spinnt auch mit ihrer mokanten Tochter alle diese Witzeleien weiter aus, die ihrem Gemahl, dem König und Vater aller dieser Kinder gelten. Wer an dem überlieferten Bilde all dieser Vorgänge hängt, mag schaudern. Wer da weiß, welchen Blutes diese Frau war, wird sich nicht wundern und auch den Stab nicht brechen.

Denn gerade hier drängt sich wohl die Kardinalfrage nach dem Kern dieser Frau auf. Beugte sie sich zur Stunde, gab sie ihr Spiel verloren, sah sie ein, daß sie krumme Wege gegangen war, räumte sie dem vulkanischen Gatten nach all ihren Intrigen wohl gar ein Recht auf Bestrafung der Schuldigen ein?

Ich glaube, diese heißblütige große Frau dem gutbürgerlichen Ethos entrückend, alle diese Fragen verneinen zu müssen. Ich glaube, daß in dieser schweren Ehe mit den letzten und schrecklichsten Paroxysmen des Königs nun die Stunde der Entscheidung reifte. Jene Stunde der Entscheidung, die in allen Ehen kommt, wo das Weib anfänglich nachgiebig und hingebend, der Mann aber gewalttätig und selbstherrlich war – jene Stunde, wo in lange im stillen herangereifter Auflehnung die Unterdrückte am Unterdrücker den Tyrannensturz versucht, jene Stunde, wo unbarmherzig die Tatsache der noch verbliebenen Lebenskraft entscheidet, die Stunde, die dem Weibe so oft nach einem langen Leben stummer Unterwerfung als ein wahrhaft animalischer Siegespreis in den Schoß fällt …

Man komme mir nicht damit, daß Kattes Haupt ja doch fiel, daß auf die königliche Familie sich noch einmal Katarakte von Gewalttätigkeiten herabstürzten, daß Wilhelmine an einen süddeutschen Duodezfürsten gegeben, der Sohn mit einer glatthäutigen Einfalt verheiratet wurde und daß äußerlich mithin der Kampf allenthalben zugunsten des Königs entschieden war …

Man komme mir nicht damit! Das alles war Verdonnern und Vermurren eines großen Gewitters, das letzte Gebrüll eines einst furchtbaren Kampfstieres, der in Wirklichkeit das Eisen schon in des Herzens Nähe spürt. Es ist richtig, daß er noch diese und jene Probe seines alten plutonischen Geblütes leistete, es ist richtig, daß, zur peinvoll-tödlichen Verlegenheit der eingesperrten Gäste, auf der Hochzeit der Markgräfin die Wachen am Ausgang des Saales nach der Festtafel, weil Se. Majestät sich eben mal zu einem Nachmittagsschlaf zurückziehen wollten, den Befehl bekamen, niemanden, wer es auch sei, herauszulassen … es ist richtig, daß die Markgräfin selbst, ehe sie sich zu dieser Heirat verstand, noch einmal die große Tasse des väterlichen Zornes leerzutrinken hatte, es ist richtig, daß der Architekt der Petrikirche, der beim Neubau dem Könige sachgemäß Einwände machte, mit dem Stock auf offener Straße blutig geschlagen wurde …

Und doch war dieses Jahr 1730 der große Wendepunkt in Friedrich Wilhelms Lebenslinie: seit der Jahreswende geht es abwärts mit ihm. Im kommenden ist er selten ohne gewickelte Beine und ohne verbundene Hände zu sehen, zwei Jahre später ist die Wassersucht da. Es bleibt nicht bei den einzelnen Anfällen, die ihm vorher schon das Leben sauer gemacht haben, es ist seither ein einziger Verfall, ein langsames Still- und Mildewerden, ein Abgleiten wohl auch schon gelegentlich in die Unsicherheit und in jenen Zustand, wo die Kreaturen nicht mehr wie willenlose Automaten funktionieren. Vier Wochen nach Kattes Enthauptung verliert der siebenjährige Prinz August Wilhelm die Lust an anhaltendem Exerzieren, der Gouverneur meldet's dem König, der König fährt das Kind an, er werde ihm das Portepee nehmen und dann werde der Prinz nicht mehr Offizier sein …

Worauf der kleine Prinz dem Vater eröffnet, das werde ihm ganz recht sein, da der Vater den Offizieren ja doch nur die Köpfe abschlagen lasse. Eine kindliche Antwort, die ein Jahr zuvor in der königlichen Familie niemand gewagt hätte, und von der der Berichtende wohl zu Recht annimmt, sie sei dem Kinde zuvor von irgendeinem Böswilligen beigebracht worden …

Es ist das einzige Symptom nicht. Man erlebt damals seltsame Dekrete der Königlichen Kanzlei, und in Halle, wo es zwischen Studenten und der Garnison oft zu Prügeleien gekommen ist, wird den Soldaten bei Drohung mit Spießrutenlauf anbefohlen, sich vor begegnenden Studenten in eine Seitengasse zu verdrücken, Offiziere werden für den Fall der Rempelei mit Kassation bedroht. Die Autorität zerbröckelt unmerklich, wie unmerklich in jenen Jahren der riesige, unförmlich angeschwollene Körper zerbröckelt. ›Mir ist sehr slegt.‹ ›Ich habe ausgejagt.‹ ›Ich kan nit sterben noch leben.‹ ›Es mus in acht tag sich besern mit mir oder bin kaput.‹ ›Ich bin nits nütze mehr in der weldt und bin nur meinen Domesticken à charge‹ …

Das sind Briefäußerungen aus diesen letzten zehn Jahren, die dem der Katte-Katastrophe folgen. Nie ist in der inneren Verwaltung … selbst in seinen Anordnungen für die strenge Haltung des in Küstrin sitzenden Kronprinzen, der König so hintergangen worden wie schon damals, nie ist er hinter die Durchsteckereien gekommen, durch die schon 1730 seine verläßlichsten Diener die königlichen Damen vor der Katastrophe bewahrten, nie hat er erfahren, daß unter seinen Ministern kaiserliche Soldempfänger waren, daß der kronprinzliche Sohn vom österreichischen Gesandten sich die Schulden zahlen ließ, daß Seckendorf es wagen durfte, nach Wien zu berichten, er ›lasse den Kronprinzen noch ein wenig zappeln‹, um ihn dadurch willfähriger zu machen. Was auf die Dauer alle diese Pygmäen gegen den jungen Adler ausrichten konnten, wurde bei Hohenfriedberg geklärt, bestehen aber bleibt die Tatsache, daß mit diesen letzten großen Eruptionen Friedrich Wilhelms Gewalttätigkeit samt seiner Lebenskraft sich überschlagen hatte und daß fortan unmerklich seine Autorität innerhalb der Familie abbröckelt. Die Legende, wie gesagt, will es so darstellen, als sei nach den grimmigen Monaten von Küstrin über den Kronprinzen ›die Wiedergeburt und Erneuerung im Geist‹ … das gekommen, was die griechische Tragödie ›Kathairesis‹ nannte. Wir aber wissen aus den Seckendorfschen Archiven und den Rechnungen der österreichischen Gesandtschaft, daß Friedrich niemals verschwenderischer lebte als damals, wir wissen, daß Friedrich Wilhelm es nicht sah oder nicht sehen wollte. Er war müde geworden, der Tod begann jene seltsamen Umbauten vorzunehmen, mit denen er an ausgeprägten Charakteren immer sein Werk beginnt. In den Berichten der unmittelbaren Umgebung gibt es seltsame Einzelheiten, die davon zeugen: Grumbkow berichtet 1734 direkt und wortwörtlich über ›seelische Störungen‹ beim König, der tief deprimiert darüber sei, ›daß keiner seiner Nachbarn ihm lange Soldaten liefern möge‹, und nun habe er ernstlich sich entschlossen, › abzudanken und nach Verona (!!) überzusiedeln.‹ Wir wissen nicht, wie dieser vulkanische und ach so käuzische Geist gerade auf Verona gekommen war … Grumbkow kommentiert diesen seltsamen Plan leider nicht. Wohl aber wissen wir, daß nun Dinge passieren, die nur auf einem Schiffe ohne Steuermann vorkommen können. Der kaiserliche Gesandte beklagt sich in jenen Tagen bitterlich darüber, daß ›die Königin in ihrem unbeschreiblichen Hochmute der Kaiserin in Wien in ihren Briefen den Titel Majestät verweigere und nur immer »Madame« schriebe‹ … Seckendorf berichtet aus den Tagen der Bevernschen Heirat, daß Mutter und Sohn, Friedrich und Sophie Dorothee, ernstlich ›hofften, der König werde vorher sterben‹. Beide sehnten sie sich nach Befreiung von einem gewalttätigen Leben, das ihnen beiden nahe stand, das ihnen verbunden war durch die Bande des Blutes, durch die Erinnerungen an die spärlichen Stunden des Friedens, das sie aber doch nun beide gehindert hatte, so zu sein, wie sie waren …

Friedrich Wilhelm verfällt. Es stellt jene Milde sich ein, die sub finem vitae bei allen ehedem brutalen Naturen sich einstellt. Als die Bevernsche Heirat des Kronprinzen vollzogen ist, fühlt er das Verlangen, sich sogar mit seinem alten Feinde und Schwager George II. zu versöhnen, nicht ohne hinzuzufügen, daß ›Gott es von keinem verlange, daß er vom andern sich auf den Hals treten lasse‹, und daß er sofort das Kriegsbeil wieder ausgraben werde, sowie der Londoner Hof ›die alten Faxereien‹ versuchen sollte. Das Tollste: er wirft seine Verachtung für alles Geistige, wie das ja aus den oben erwähnten Universitätsdekreten hervorging, von sich. ›Ich habe‹, schreibt Friedrich am 21. Dezember 1738, ›eine merkliche Aenderung in dem humeur des Königs gefunden. Er hat von den Wissenschaften als von etwas Löblichem gesprochen. Er war außerordentlich gnädig zu mir … ich fühle die Gesinnungen der kindlichen Liebe sich in mir verdoppeln, wenn ich so vernünftige, so wahre Ansichten in dem Urheber meiner Tage bemerke.‹ Das Leben, das donnernd und tobend einen verfallenen Staat aufgebaut, ein stumpfes Schwert geschliffen hatte, es war versprüht und verknattert, sein Auftrag erfüllt, das Werk vollendet. ›Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod‹, sagt ein tiefes arabisches Sprichwort.

Daß er des Sohnes künftige Größe, wie die Legende will, geahnt hat, glaube ich nicht … glaube es nicht trotz aller Sprüche, die ihm, wohlfrisiert und zurechtgestutzt, im Sinne dieser Hypothese nachgesagt werden. Ich glaube es nicht: dazu war er, der im Grunde edle und weichherzige Mann, von der Natur allzu einseitig konstruiert worden. Ein Spezialist der Organisation, ein großer Amtswalter mit einem im edelsten Sinne einfältigen Herzen …

Er sah, daß Friedrich unabänderlich anders war als er selbst, er sah, daß er dem jungen Baum nicht mehr gebieten konnte, zu wachsen, wie er es gewollt hatte, er war müde und wollte schlafen gehen in seinem wohlverwalteten Hause. Das war alles.

Mit Sophie Dorothee steht es in diesen letzten Jahren ihrer Ehe anders. Sie hat vierzehn lebende Kinder und soundso viel früh Gewelkte geboren, sie hat sich jahrelang gebeugt, sie hat alle Stürme über sich ergehen lassen. Ihr Frauentum ist beendet, auch sie wird sehr stark in diesen Jahren, hat aber eben die Lebenskraft, ihren früh verbrauchten Jupiter tonans zu überdauern und dort zu ernten, wo ihr ›Willke‹ nur hatte säen können …

Sie war entschlossen, fortan in jener Sonne sich zu wärmen, für die sie, die stolze, prächtige Stuart-Frau, ureigentlich geboren war und die sie so lange vermißt hatte …

Ihre Augen waren hell und der Wille zu glänzen und den Kopf hoch zu tragen war ungebrochen, trotz dieser Ehe. Von ihr, der Mutter, glaube ich wohl, daß sie des Sohnes Adlerflug ahnte. Mit jenen Organen der Intuition, die das Weib dem Manne voraushat. Denn siehe, es hat, wo Adam im Schweiße seines Angesichtes pflügen mußte, einen Goldapfel des Paradieses herübergerettet in das ächzende und von viel Kampfgeschrei erfüllte Leben der Menschen.


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