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Der Patriotismus

1. Befreundung der Deutschen und Franzosen

Man verklagt die deutschen Franzosenfreunde bei der deutschen Presse, man fordert sie vor die Vehme dieses heimlichen Gerichts. Welcher Gottlosigkeit sind sie schuldig? Sie haben keinen Patriotismus. Welchen Frevel haben sie vor? Die Befreundung der Deutschen und Franzosen.

Der deutsche Patriot fürchtet diese Freundschaft. Sie ist Frevel an seinem Glauben, Verletzung seiner Liebe, Auslöschung seines Hasses, wenigstens der Phantasie von alledem, mit einem Wort, Zerstörung seiner Welt, denn sie wäre die Aufhebung des vielbesprochenen »Deutschthums« und »Franzosenthums« auf einmal, ja, sie wäre noch viel mehr, als die Zerstörung des Aberglaubens an die eigne Vortrefflichkeit und des Unglaubens an fremdes Verdienst; sie wäre Bildung und Freiheit.

Man fürchtet sich in Deutschland diesmal, wie immer, mit Recht, wenn in Frankreich von der Freiheit die Rede ist, wäre diese Freiheit auch nur die Vereinigung freier Männer.

Es sind nun aber die französische Revolution und die deutsche Philosophie, beide nicht wie sie sind, sondern wie sie sich bilden, die sich jetzt vereinigen. Ihre Fortbildung geschieht, indem sie sich in ein neues Element auflösen. Erst die aufgelöste Philosophie und die aufgelöste Revolution, das denkende und emancipirte Volk, sind wahrhaft furchtbar für die Gegner der freien Menschheit.

Wie kann sich die Philosophie, und wie vollends die Revolution auflösen? Die Philosophie auflösen heißt nicht das Denken abschaffen, sondern es allgemein machen; es ist ziemlich deutlich, daß man jetzt darauf ausgeht; die Revolution des Staatslebens, der Geschäftsformen des Gemeinwesens, erweitert sich eben dadurch zu einer Reform der ganzen bürgerlichen Gesellschaft, der Formen aller Geschäfte, der Einrichtung aller Arbeit, die eine Einrichtung verträgt. Das Denken der Masse ist Befreiung der Masse. Die Masse muß wissen, daß sie in Knechtschaft lebt, sie muß wissen, wie sie frei werden kann, und sie muß selbst zur Ausführung der allgemeinen Einsicht wirken. »Arbeiter, meine Brüder sagt ein französischer Reformer, studirt, denkt, überlegt die Lösungen der socialen Fragen, die wir vortragen, und sogleich werdet ihr die unzähligen Plagen, die auf euch lasten, verschwinden sehn.« Jede nicht allgemeine Befreiung ist nur eine neue Knechtschaft. Ist der Mensch ein denkendes Wesen, so ist es jeder Mensch. Das philosophische Denken war ein Privilegium und die revolutionäre Freiheit exclusiv. Man hat daher die Revolution unmenschlich und die Philosophie ungenießbar gefunden. Die Philosophie war ungenießbar, aber warum? weil sie theologisch war. Die Unmenschlichkeiten der Revolution sind wahr genug, aber sie sind religiös. Sind die Verdächtigen nicht Ketzer? Ist das Revolutionstribunal nicht ein Glaubensgericht? Der Fanatismus der Tugend und die Opfer fürs Vaterland tragen sogar noch religiöse Namen. Der oben citirte Franzose sagt dagegen: »Wir predigen euch keine Resignation, keine Selbstverläugnung, keine Opfer, wir hoffen kein Glück jenseits des Grabes. Das Glück ist auf der Erde mitten unter unsrer Umgebung zu suchen.« Die Revolution war gegen die Religion; aber mit den Stichworten der Ascese und des Menschenopfers, die der Geist unsrer Zeit mit Recht verwirft, war sie es vollständig in religiöser Form. Sie hat daher auch Frankreich nicht von den religiösen Vorurtheilen befreit, sondern grade durch den Terrorismus, ihre höchste Spitze, grade durch Robespierre, den Priester der Tugend und des Schreckens, des guten und des bösen Gewissens, die religiöse Bewegung wieder hergestellt, die dann Napoleon mit seiner gewöhnlichen Plumpheit ganz wieder in das alte katholische Unwesen hinein stürzte. Zwar ist die Priesterparthei immer noch exoterisch, aber alle officiellen Partheien in Frankreich sind noch heutiges Tages religiös, und erst in der nichtvertretenen Masse, die keine Tagespresse und keine Deputirte hat, trifft man Freiheit von dem unwissenschaftlichen Glauben und das Bestreben, durch die denkende Masse jeden Menschen von allen geistigen und materiellen Fesseln zu befreien. Was thun also die Ankläger der Revolution und der Philosophie, indem sie die Freiheit durch die Unmenschlichkeit der Revolution und das Denken durch die Ungenießbarkeit der Philosophie zu beseitigen suchen? Sie klagen über die religiösen Erscheinungen, die in der Praxis den Menschen fanatisch, in der Wissenschaft scholastisch gemacht. Die wahre Auflösung der Revolution und Philosophie wird nur die Freiheit menschlich und das Denken allgemein machen.

Die deutschen Patrioten, von den ältesten Teutonen bis auf die jüngsten christlichen Germanen, sind Ankläger der französischen Revolution und der deutschen Philosophie; vor der Bildung und Befreiung aller Menschen werden sie sich vollends entsetzen. Und wer ist wieder schuld an diesem Entsetzlichen? Die Franzosen, die Unruhe des französischen Geistes, der die Geschichte nicht aufhören läßt und nun selbst die ehrbare deutsche Philosophie in ihren Strudel hineinzieht. Darum fürchten die deutschen Patrioten eine Befreundung der Deutschen und Franzosen. Das Gespenst der »tiefen« Nacht fürchtet den Hahnenschrei des »gemeinen deutlichen« Morgens.

 

2. Bestehende Freundschaft

Indessen nicht vor allen Franzosen fürchten sich unsre Patrioten, und nicht alle Franzosen bedürfen noch erst der Befreundung mit den Deutschen. In Coblenz, auf den Höhen von Valmy und später in Verona waren Franzosen und Deutsche über die Unterdrückung der Freiheit vollkommen einig. Das ist dagewesen; aber ihre kanonisirte Verbrüderung für Alles, was »heilig« ist, vom Pabst bis zu dem letzten Seelenverkäufer, existirt noch in diesem Augenblick. Die Verständigung der Deutschen und Franzosen über die Reaction läßt nichts zu wünschen übrig, als den Wunsch der Progressisten, es ihnen gleich zu thun.

 

Nur die deutschen Patrioten stellen sich seltsam zu der Sache. Über die Congresse und Coalitionen aller möglichen Mächte, über die Congregationen und Conspirationen gegen die Freiheit, über die Bündnisse, Conferenzen und Beschlüsse zu ihrer Unterdrückung hat man sich in Deutschland nicht beunruhigt; nun aber eine Vereinigung deutscher und französischer Schriftsteller für die Freiheit zur Sprache gebracht wurde, erschrecken alle deutschen Patrioten und schreien über die Unnatur eines so muttermörderischen Unternehmens. Und welcher Klytemnestra steht ihr bei? Um nicht Oreste zu werden, behaltet den Äghist, und wenn sie euren Vater hängen, so hängt euch aus Pietät daneben.

Auch der Patriotismus also macht einen Unterschied in seinem Haß, wie wir in unsrer Liebe der Franzosen. Diese Inconsequenz ist menschlich; vielleicht machen wir sie später zum Princip und thun das mit Bewußtsein, was die Patrioten aus dunklem Instinkt thun.

 

3. Unterschied der geistigen Vermittlung und der reactionären Verbindung

Allerdings ist die Vereinigung des deutschen und französischen Progresses eine andere, als die der Reactionäre.

Es ist hundert Jahre her, als ein Heiliger von der Sorte der Verzückten oder des bösen Wesens (CONVULSIONAIRES), Abraham Chaumeir, auf den Voltaire wiederholt zu sprechen kommt, die Encyclopädisten vor Gericht zog und ihr Werk als »Gift (VENIN) gegen den Staat, die Religion und die guten Sitten« denuncirte. Dieselben Stichwörter, dieselben Maßregeln, ein hundertjähriger Apparat gegen Vernunft und Freiheit, – weiter braucht es nichts, um die Reactionäre diesseits und jenseits des Rheins zu vereinigen. Über Maßregeln gegen die Freiheit der Menschen können sich die Herren von Preußen, Rußland und Östreich verständigen, eine intellectuelle Allianz zwischen ihnen ist überflüssig, weil die Intelligenz, die sich mit der Negation des ganzen freien Geisterreiches beschäftigt, sich dadurch zugleich selber die Mühe des Lernens spart. Die Progressisten haben es nicht so leicht. Nicht für den formulirten Unverstand, sondern für das Verhältniß neuer Formen, nicht für das Festhalten des alten Geleises einer abgemachten Sache, sondern für die Lösung neuer Probleme suchen sie sich zu vereinigen. Ihre Allianz ist keine polizeiliche, sondern eine wissenschaftliche, keine politische Verbindung, sondern eine geistige Befreundung. Sie kennen das Ziel nur ganz im Allgemeinen; – um es zu erreichen, schlagen sie die verschiedensten Wege ein, und die Freundschaft hat hier vielmehr die Bedeutung, daß jeder die verschiedenen Wege des Andern beachten und kennen lernen, als daß er gradezu dasselbe mit ihm thun sollte. Dennoch ist diese Arbeit der geistigen Vermittlung, sobald sie nur wirklich begonnen hat, viel mächtiger, als die Decrete der Reaction mit ihrer hundertjährigen Einförmigkeit. Jede platzende Rakete der intelligenten Aufschwünge zündet so viel neue Lichter an, als sie zerstiebende Funken sprüht.

 

4. Einheit der Völker in ihrem wahren Interesse

Das Interesse einer geistigen Vereinigung, d. h. das intellectuelle Interesse aneinander, haben nur die politischen Völker, solche, die selbst denken und handeln. Ein politisches Volk z. B. sind die Preußen nicht zu nennen. Menschen, die gemeinschaftlich weder denken, noch handeln, sondern nur verwaltet und commandirt werden, sind noch kein politisches Volk. Preußen interessirt nicht als Volk, nur als Macht. Wodurch interessirt uns ein Volk? Durch seine Arbeit für die Freiheit, d. h. durch seine Arbeit an sich und seinem Gesammtbewußtsein. Nur zwei Völker, die sich in dieser Arbeit begegnen, können sich wirklich und mehr als äußerlich vereinigen. Sie können ihre Ideen austauschen und ihre Schicksale mit einander theilen.

Die politischen Völker, die wirklich herrenlos sind, können über vermeintliche Interessen streiten, über ihr wahres Interesse, die Freiheit, werden sie einig sein und die Ausbildung der Freiheit für ihre gemeinsame Aufgabe anerkennen. Eine solche Gemeinschaft wäre die Aufhebung des Patriotismus.

 

Helvetius (DE L'ESPRIT DISCOURS II. 25.) sagt: »In der That, wenn die Verschiedenheit der Interessen der Völker sie gegen einander in einem Zustande des ewigen Krieges hält; wenn die Friedensbündnisse, die zwischen den Völkern geschlossen werden, eigentlich nichts weiter sind, als Waffenstillstände, die man mit der Zeit vergleichen kann, die nach einem langen Kampfe zwei Kriegsschiffe sich nehmen, um sich wieder auszurüsten und den Kampf von Neuem zu beginnen; wenn die Völker ihre Eroberungen und ihren Handel nur auf Kosten ihrer Nachbarn ausbreiten können; endlich wenn das Glück und die Vergrößerung eines Volks fast immer an das Unglück und die Schwächung eines andern geknüpft ist: so ist es einleuchtend, daß die Leidenschaft des Patriotismus, eine Leidenschaft, die so wünschenswerth, so tugendhaft und so achtbar an einem Staatsbürger ist, durchaus, wie dies auch das Beispiel der Griechen und Römer beweist, die allgemeine Liebe umschließt.

Um diese Tugend zu erzeugen, müßten die Nationen durch Gesetze und gegenseitige Verträge sich vereinigen, wie die Familien, die einen Staat ausmachen, daß das Sonderinteresse der Völker einem allgemeinen Interesse unterworfen würde und endlich die Liebe zum Vaterlande in den Herzen verlöschte, zugleich aber das Feuer der allgemeinen Liebe sich entzündete – eine Voraussetzung, die sich noch lange nicht verwirklichen wird«.

Helvetius macht das Interesse des Menschen (l'amour de soi) zum Princip der Gesetzgebung oder der moralischen Welt, und hier nimmt er die Liebe zum Vaterlande, ja sogar die Liebe zur Menschheit ohne Untersuchung an. Er mußte fragen, wie verhält sich Liebe und Interesse? Das Interesse jedes Einzelnen ist die Freiheit oder die Lebensthätigkeit, in der sich der Mensch selbst hervorbringt und befriedigt. Das Interesse der Völker, sobald es erkannt ist, kann kein anderes sein, nur durch die Befriedigung des einzelnen wirklichen Freiheits- und Humanitätsinteresses kann das allgemeine Interesse erreicht werden. Die wahren Interessen des wirklichen Egoismus der Einzelnen und der Völker, die den wahren Inhalt ihres Ichs wollen, fallen daher mit der Freiheit zusammen. Auch giebt Helvetius zu, »daß im Gebiet des Geistes das Interesse der Nationen kein streitendes sei; Einsicht und Wissenschaft erwirbt ein Volk nicht auf Kosten seiner Nachbarn«; Freiheit eben so wenig.

Was also ist das Hinderniß der Vereinigung? Die vermeintlichen Interessen und die Unklarheit über die wahren Interessen der Völker, woraus ein falscher Haß und eine falsche Liebe, ein falscher Egoismus und eine falsche Hingebung entsteht.

Welches ist das Interesse der Franzosen? Allen Franzosen, und alle machen doch erst das Volk, kann es nur daran liegen, daß jeder Einzelne frei seine Bestimmung erreiche. Die Gefahr Frankreichs ist die Reaction zu Theorieen und Einrichtungen, die nicht jeden Franzosen, sondern irgend eine Clique und Klasse zum Zweck des Ganzen machen, das dynastische, priesterliche, bürgerliche Vorrecht.

Welches andere Interesse könnten alle Engländer haben? Und welches ist die Gefahr Englands? Das vermeintliche und falsche Land-, Industrie- und Handelsinteresse, dessen Befriedigung keinem Menschen zu Gute kommt und alle mit einander und mit der Fremde dazu in Krieg stürzt. Von dem Interesse der Deutschen wollen wir gar nicht reden, da sie es selbst nicht wagen, auch nur daran zu denken und in unerhörter Gedankenlosigkeit und Indolenz die Todesgefahr der russischen und reactionären Verhöhnung aller ernstlichen Freiheit für ihr Glück erklären. Wer aber in Deutschland denkt, kann der anders denken, als daß seine eigne persönliche Freiheit und die Anerkennung jedes Einzelnen als den Zweck aller Vereinigung von Menschen mit dem Interesse anderer Völker nicht streiten könne?

Hält man den Raub und das Stegreifwesen für sein Interesse, so schlägt man sich auf allen Wegen und hat überall streitende Interessen.

Seit man den Raub ganz aufgehoben und alle Wege gesichtet hat, ist das Interesse Aller und jedes Einzelnen zugleich gewahrt. Die Räuber selbst, die doch sonst öfters todtgeschlagen wurden, wenn sie auch eben so oft todtschlugen, haben dabei gewonnen. Sie sind Menschen geworden.

Hält man die Piraterei und das Flibustierwesen für sein Interesse, so ist die See das ungastliche Pontos. Man hat sie gastlich gemacht, und die Humanisten, Philanthropen und Civilisirten, die sichern Verkehr und menschliche Grundsätze wollen, haben die Seeräuber und Sklavenführer vertilgt, um das vermeintliche Interesse Einiger durch das wahre Interesse Aller zu ersetzen.

 

Man wende dies auf die Barbarei unserer Industriesklavenhalter an, und der gleiche einfache Satz gilt noch einmal. Die Aufhebung alles Pöbels in solidarischer Vereinigung Aller zu den Zwecken der Humanität und Freiheit ist ganz dieselbe Sache.

 

Das Interesse Aller ist das Interesse jedes Einzelnen. Gegen diese triviale Wahrheit verstoßen alle, die eine Feindseligkeit der Interessen gegen einander zum Princip, statt zur Ausnahme von der Regel machen.

 

Entspringt nun die Vaterlandsliebe und der Patriotismus, wie Helvetius meint, aus dem streitenden Interesse der Völker, welches ist dann ihr Wesen?

 

5. Was ist das Wesen der Vaterlandsliebe und des Patriotismus

Alle Völker feiern die Vaterlandsliebe und den Patriotismus, vornehmlich aber ist die Vaterlandsliebe eine Tradition der Naturvölker, der Patriotismus der Republiken. Die Naturmenschen hängen an der Heimath, sie sind mit ihr verwachsen, sie verlieren in der Fremde die »Wurzeln ihrer Kraft«, die Gegenstände ihrer Gewohnheit, Bekanntschaft, Zuneigung, das Verständniß der Menschen, den verdorbenen, aber gewohnten Dialekt des Dorfes, der Landschaft; sie entbehren in der Heimath Alles, weil sie nicht im Allgemeinen zu Hause sind; daher das Heimweh, das Gefühl der Verlassenheit, die Sehnsucht nach dem gewohnten Element; der Fisch auf dem Trocknen wünscht sein Wasser, dem Süßwasserfisch schmeckt der Ocean, dem Seefisch der Teich nicht; selbst Zugfische und Zugvögel, die ihr heimisches Element verlassen, haben nur einen zeitweiligen Zweck dabei, es zieht sie mächtig heim, sobald er erreicht ist. Der Mensch und sein Heimweh geht natürlich ins Geistige mit seiner Sehnsucht, die Freunde, die Ältern, die Gespielen, die Geliebte ziehn ihn an, und je jünger er ist, desto poetischer faßt ihn dieser Zug. Er opfert ihm oft seine ganze Zukunft, er widmet ihm eine sklavische Arbeit von endloser Dauer, und er antwortet am Ende seiner Tage dem mahnenden Gewissen: diese Liebe war ein schöner Moment, ich habe als freier Mann sie und alle ihre Folgen über mich genommen. Die Einhausung durch das Heimweh fesselt die Bevölkerungen auch da, wo sie von der Natur hart mitgenommen werden.

Das Heimweh ist kein Princip, es ist ein Naturtrieb. Die Vaterlandsliebe, die mehr ist, die aus der Region des Triebes und des dunklen Zuges heraus tritt, was ist sie? Liebe zum Volk? Giebt es ein Liebesverhältniß zum Volk? In der Phantasie, ja; in Wahrheit, nein!

Wie man eine Vorstellung, Gott, die Tugend, das Recht nicht lieben, nur haben und hegen kann, eben so wenig kann man eine Gesammtheit, mehrere Menschen, die man nur zusammen denken, nicht zu Einem faßbaren, ergreifbaren und ergreifenden Gegenstand – und ein solcher ist der Liebesgegenstand – machen kann. Die Gedankeneinheiten oder Abstractionen Menschheit, Gattung, Volk, Vaterland liebt man nicht, man liebt nur diesen Menschen. Die Menschenliebe ist ein Kind der Gottesliebe, beide sind Phantasieen, religiöse, unklare, unmögliche Vorstellungen, wie Liebe zur Wissenschaft ebenfalls keine Liebe, sondern nur der Wissensdrang, der Eifer zu kennen und zu erkennen, nicht aber das lebensvolle, zeugungsmächtige Verhältniß von Mensch zu Mensch, von mir zu dir und dir zu mir ist.

Die Liebe hat immer nur Sinn im einzelnen Fall, denn sie ist eine Werkthätigkeit, ein Bezeigen und ein Erfahren. Eine Liebe von morgen und übermorgen kann heute noch Haß sein, eine Liebe von diesem Augenblick kann im nächsten die tödtlichste Feindschaft werden.

Die allgemeine Menschenliebe hat daher keinen andern vernünftigen Sinn, als die gebildete, humane, vernünftige, wohlwollende Gemüthsverfassung im Gegensatz zu einem brutalen, rohen, unvernünftigen und gehässigen Charakter. Diese allgemeine Menschenliebe schließt den Haß des Einzelnen, der ihn verdient hat, nicht aus. Als allgemeiner Charakter ist sie natürlich gleichgiltig, bis einer ihre Liebe oder ihren Haß verdient hat; sie hat aber nicht nur das Vorurtheil, sie hat die Einsicht, daß die Weltbildung es in unsern Tagen so weit gebracht hat, ja, daß von Natur jeder Mensch gut und wohlwollend geartet ist. Den Menschen zieht es zum Menschen. Dies ist der Grund jedes realisirten Verhältnisses der Liebe, die Möglichkeit dieser schönsten Wirklichkeit.

Dem Romantiker ist die wirkliche Liebe nicht tief genug. Die Phantasie aller möglichen Liebe ist ihm mehr, als das reichste, schönste Leben des Liebenehmens und des Liebegebens. Es ist seine Natur, roh und lieblos gegen jeden wirklichen Menschen zu sein, weil er die phantastische Gewißheit hat, daß er Alle im Allgemeinen überschwenglich liebt. Aber wer sich einbildet im Allgemeinen zu lieben, der kennt die Energie der einzelnen wirklichen Liebe nicht, und wehe dem, der sie nicht kennt, all sein Schwelgen in unklaren Phantasieen bringt ihm keinen Augenblick der wahren Wirklichkeit, all seine schönen Worte, seine große Tugend, rettet ihn nicht vor der Härte, der Rohheit und der Lieblosigkeit. Es ist das Geschick derer, die im Allgemeinen die Tugend verehren, im Einzelnen ihr ins Gesicht zu schlagen. Die Gottesfürchtigsten thun die gottlosesten Thaten.

Wer liebt, hat kein System der Liebe.

Wer gut zu handeln gewohnt ist, spreizt und quält sich wenig mit Maximen.

Wer das Allgemeine versteht, dem verdreht es den Kopf nicht, im Gegentheil, der weiß, daß es nur im einzelnen Fall Realität und Werth hat. Der verlangt es auch nicht dorthin als Fahne aufzupflanzen, wo es nothwendig zum leeren Phantom und zur tönenden Phrase werden muß.

Man lasse also die Liebe zur Menschheit und zum Volk ruhig laufen und liebe dafür den Einzelnen, der es verdient und bedarf, man wird tausendfach an Energie gewinnen, was man an Phantasie verliert.

Einen directern Sinn als die Vaterlandsliebe hat der Patriotismus. Die Vaterlandsliebe ist die naturwüchsige, gemüthliche, gewohnheitsmäßige Anhänglichkeit an Heimath und Bekannte, an die Seinigen. Diese Anhänglichkeit, im Einzelnen realisirt, kann Liebe werden, im Ganzen und als Richtung auf das Vaterländische zugleich ist sie nicht weiter als zu einer unbestimmten Gefühlsbewegung, Sehnsucht, Schwärmerei, ja Krankheit zu bringen. (Die Krankheit ist überall das Gefühl des Mangels.) Der Patriotismus ist das politische Gefühl der Einheit mit den Seinigen, die Seinigen als Volk genommen. Er ist das Selbstgefühl eines Volks (d. h. der sämmtlichen Glieder desselben) im Gegensatz zu einem andern.

Sein Selbstgefühl ohne die Empfindung des Gegensatzes wäre nichts weiter als sein gesundes und freies Leben. Man hat gesagt, der Gesunde empfindet sich nicht, und doch führt jede Anstrengung, also jeder Gebrauch seiner Gesundheit, Ermüdung, Hunger und Durst, – kurz eine schmerzliche Selbstempfindung oder einen innern Gegensatz herbei. Beim Volke wären dies die innern Partheikämpfe, deren Verlauf man sich ebenfalls normal und geregelt denken kann. Will man es also genau nehmen, so ist auch das positivste Selbstgefühl durch das Gefühl des Gegensatzes, wenn auch des überwundenen, bedingt; und man könnte das Selbstgefühl, welches seinen Gegensatz in sich hat und überwindet, ein positives, dasjenige, welches ihn außer sich hat und ihn darum nie völlig überwinden kann, ein negatives nennen. Der Patriotismus, dessen Selbstgefühl immer ein fremdes Volk sich gegenüber haben muß, wäre daher auch immer ein negatives Selbstgefühl.

Sind die Unsrigen in Gefahr, so ist es leicht sich für sie und gegen die Fremden zu entscheiden. In dem einfachen Verhältniß, wo jeder Fremde ein Feind und ein Räuber ist, wird dies Gefühl nie fehlen. Alsdann aber macht das Unsrige dem Feinde eine Faust, wenn er droht und kämpft, wenn er kommt, beides ist nur negativ; diesem Patriotismus fehlt aller Inhalt. Eigen und fremd, Freund und Feind sind die Gegensätze, die nicht mehr bedeuten wollen, als hier und dort, Rücken und Front. Ich stehe, wo ich zu Hause bin.

 

6. Die Volkseigenthümlichkeit

Man hat diesen Mangel sehr wohl empfunden und daher, besonders in der Zeit nationaler Begeisterung gegen die Weltmacht des französischen Kaiserreichs, nach einer positiven Auffassung des Patriotismus mit großem Kraftaufwande gesucht. Die positivste und einfachste Form, unter der man sich den Gegenstand des Patriotismus gedacht hat, ist die Nationalität, die Eigenthümlichkeit des Volkes, das » Volksthum«. Mit dieser Vorstellung ist unendlich viel Mißbrauch getrieben worden. Je einleuchtender es ist, daß jedes Volk, wie jeder Mensch, etwas Eigentümliches, seinen aparten Charakter hat, um so mehr glaubte man darauf bauen zu können; aber was ist denn die vielgepriesene Eigentümlichkeit? Doch gewiß nichts weiter, als der Unterschied der Existenz. Auch den Eigenthümlichsten wird man kein anderes Wesen, nur einen andern Menschen nennen. Wo steckt denn nun die Eigenthümlichkeit? Sie kann im Körper, in der Form des Lebens, und im Ausdruck der Gedanken stecken, wichtige Dinge allerdings – Naturbasis, Sitte und Sprache. Aber auf den körperlichen Unterschied wird man doch kein Gewicht legen, so lange er in den Grenzen der Menschlichkeit bleibt. Der Patriotismus, der es thäte, wäre nichts, als Raçenstolz und die Rohheit der Weißen in Amerika, die den Schwarzen und ihren Nachkommen die menschliche Ebenbürtigkeit absprechen. Ferner die verschiedenen Sitten und Moden sind schon durch die Bildung weltmännisch uniformirt; nur ausgesonderte Barbaren und isolirte Districte behalten ihren eignen Kleiderschnitt und eine stationäre Lebensweise. Eine deutsche Nationaltracht wieder herzustellen, haben daher die Teutonen von 1813 und 15 zwar ganz consequent, aber vergebens unternommen. Selbst die Verschiedenheit der Sprachen sucht die Geschichte durch eine Art Weltsprache, die französische, zu beseitigen. Der körperliche Unterschied, der den Unterschied des Bluts und des Naturells hervorbringt, bleibt im Grunde der einzigerer dem Strom der Weltbewegung ernstlich widersteht. Seine Aufhebung durch Mischung hat keinen Bestand und geschieht immer nur hin und wieder durch Zufall, obgleich grade jetzt die Völker leicht zu nennen wären, deren träges Temperament eine systematische Mischung mit feurigerem Blute sehr wohlthätig empfinden würde. Will man weiter gehn, als die natürliche Eigenthümlichkeit des Blutes und Naturells, (die übrigens noch innerhalb desselben Volkes wieder dieselben Unterschiede hervortreibt), will man den formellen Unterschied von Sprache und Sitte, der auch zwischen civilisirten Völkern noch übrig bleibt, geltend machen, so wird die Frage größtenteils eine ästhetische, denn des gleichen Inhaltes von Vernunft und Freiheit wird der fremde Volksgeist ohne Zweifel fähig sein. Hat doch selbst die Religion, sobald sie im Christenthum den Menschen und seine Eigenschaften in den Himmel erhob, die Grenzen der Völker überschritten! Unserer Bildung gegenüber erscheint nun die Himmelfahrt des Menschen als Aberglaube und Caprice, die Vorstellungen der Dogmatik als das Reich des Zufalls und der Phantasie. Hier also hätte die Eigenthümlichkeit noch das meiste Recht. Wenn einmal der Zufall im Reich der Gedanken herrscht, so macht jede Confession ebenbürtig und man wird in jeder Façon selig: jeder also mag so eigentümlich denken, als es ihm beliebt; erst im Himmel macht er die Probe seiner Gedanken. Wo aber die Wahrheit ernstlich für alle sein und durchgesetzt, die Freiheit immer realisirt werden soll, da ist jede Eigenthümlichkeit des Gedankens gehalten sich allgemein zu machen. Eine Form, die sich von der Wahrheit unterschiede, eine Caprice, die der Freiheit widerspräche, wäre immer nur zu beseitigen.

 

7. Freiheit. Kriterium der Eigentümlichkeit

In der Freiheit haben die verschiedenen Völker ihr gemeinsames Wesen. Von ihm wird ihre eigentümliche Existenz kritisirt und geläutert.

Die Freiheit ist nicht national. So wenig als nationale oder ganz eigenthümliche Gedanken wahr wären, eben so wenig würde eine nationale Freiheit, die sich von der menschlichen unterschiede, eine wirkliche Freiheit sein. Wer einem Herrn gehört, ist überall ein Sklave. Es giebt verschiedene Sklaven, es giebt immer nur Eine Freiheit, die Arbeit an dem historischen Problem einer jeden Zeit, welche das Volk als constituirtes Gemeinwesen ausführt. Wenn man sagt, und man hat es genug gesagt, der Russe, der Preuße, der Östreicher, der Türke ist auf seine Weise frei, so fragt es sich, ob diese Weise human und vernünftig, ob sie nicht grade eine Form der Knechtschaft ist. Daß sie existirt, giebt ihr keinen Freibrief der Gültigkeit, und sich bei dem Mangel aller Freiheit auf die Eigentümlichkeit ihrer Existenz zu berufen, ist entweder eine Dummheit oder eine Ironie. »Eine ganz eigenthümliche Freiheit«, sagte der französische Gesandte, als ihm der Kaiser Paul einmal die russische Freiheit so beschrieb: »In meinem Reiche ist Niemand etwas, als mit dem ich rede, und nur so lange, als ich mit ihm rede.« Dennoch hat man sich mit der volkstümlichen Freiheit immer in jener Alternative zwischen Aberwitz und Witz befunden, und man befindet sich noch darin, erklärt in allem Ernst die Eigenthümlichkeit selbst der Barbaren für ihre Freiheit und nimmt sich aus nationaler Theorie sogar der türkischen Nationalität an. Die Augsburger Allgemeine Zeitung vom 31. Januar 1844 läßt sich aus Constantinopel schreiben: »Zu Salonichi hat die Hinrichtung eines Türken stattgefunden, der sich im Zustande des Rausches öffentlich über den Propheten, über den Koran und den Islam überhaupt unehrerbietige Äußerungen erlaubt hatte. Daß dieser Fall den Eifer Stratford Cannings noch mehr weckt, ist natürlich, doch scheinen seine Collegen sich Mühe zu geben, um ihn in den Schranken der Mäßigung zu halten. Die Instructionen, die der englische Botschafter in Angelegenheiten der wegen Rücktritts vom Islam zur christlichen Kirche hingerichteten Renegaten erhalten hat, sollen fulminant sein. Schonender scheinen die andern Mächte vorgehn zu wollen.« » Schonender« gegen die Barbarei, – » in den Schranken der Mäßigung« gegen die Verrücktheit! Handelt es sich denn hier um eine Pfeife Taback? Gott bewahre, antwortet die patriotische Zeitung, »um die Nationalität der Türken« und um die unmäßige Humanität Lord Aberdeens, der die religiöse Gurgelschneiderei seines barbarischen Minorennen nicht wieder einreißen lassen will. Aber, setzt sie hinzu, die Gurgelschneiderei ist »religiös und national«, »sie beruht auf einem uralten Aberglauben des Volks, welches die größten Gefahren für das Reich von den Abtrünnigen erwartet«. Die Gefahren des Reichs sind dagewesen, die »schonenden« Mächte haben sie herbeigeführt und benutzt; aber sie schonen den Aberglauben, weil er »uralt« ist und obgleich, so berichtet die Zeitung selbst, »der Fall in Salonichi, sogar auf die Moslemin den übelsten Eindruck gemacht hat,« – das heißt doch, obgleich jener Aberglaube nicht nur uralt, sondern auch gar nicht mehr am Leben ist, nicht einmal mehr »national« ist, sondern nur irgend einmal es gewesen sein soll, also vollständig der türkischen historischen Rechtsschule angehört. Wir haben gesagt, es giebt Deutsche, die sich der türkischen Nationalität annehmen, wir sind hinter der Wahrheit zurückgeblieben, wir überzeugen uns jetzt, es giebt Deutsche, und sie sind Normalpatrioten, die der todten türkischen Nationalität gegen die lebendigen Türken das Wort reden. Die Eigenthümlichkeit dieser Nationalitätstheorie ist ihre vollständige Unabhängigkeit von der allgemeinen Vernunft; eben so kann die eigenthümliche Freiheit eines Volkes nur in seiner Unabhängigkeit von der allgemeinen Weltbewegung bestehn, ein Glück, welches der deutsche Patriotismus in allem Ernst zu erreichen sucht.

 

8. Die Unabhängigkeit des Volks

Das eigenthümliche Volk fühlt sich anders, als die andern Völker, das unabhängige Volk fühlt sich frei von ihnen. Die Unabhängigkeit ist ein weiterer Ausdruck des negativen Selbstgefühls eines Volks, das man als Patriotismus gepriesen hat. Die Unabhängigkeit ist die Existenz des Volks. Soll es sich für seine eigne Existenz nicht interessiren?

Jeder will vor allen Dingen existiren. Dies ist wieder unendlich einfach; aber wer mit seiner Existenz nichts anzufangen weiß, wer nicht frei und menschlich zu existiren versteht, der interessirt sich mit Unrecht für seine Existenz, und wenn er umkommt, wird man ihn ohne Schmerz begraben. Als die Revolution allgemeine Principien geltend machte, widerstanden ihr die eigentümlich und unabhängig von der Revolution fühlenden Völker; aber wie früher der Gedanke des himmlischen Menschen, so überwältigte jetzt der humane Gedanke, den irdischen Menschen zu befrein, die Absonderung, die Revolution drang siegreich über die Grenzen der Völker hinüber. Sie hätte ihrem Princip nach die Freiheit bringen müssen, sie hat sie auch immerhin gebracht, so gut sie sich bringen ließ und so lange sie ihrem Principe getreu, selbst ohne Herren war, aber sie verletzte das Selbstgefühl der Völker, oder vielmehr sie rief es durch ihren Druck erst hervor. War früher die Herrenlosigkeit der Bürger, der Staat und seine Verfassung, Freiheit gewesen, so wurde es jetzt: die Aufhebung der Eroberung.

Die Volkseigenthümlichkeit und Unabhängigkeit wurden nun die Parole, und der bloße Name des Volks zum Ruf der Freiheit, ja, dieser Schrei nach Existenz ward der Inhalt einer lyrischen Begeisterung, vor der jede andere erlosch. Es gab 1813-15 nichts Großes und Schönes, das der Name deutsch nicht einschloß, obgleich die ganze Vergangenheit der deutschen Geschichte, die ganze Wirklichkeit, so weit sie deutsch war und ist, nur den Kampf der Deutschen gegen Freiheit und Bildung enthielt (die italienischen Städte können ein Lied davon singen) und eben im Begriff stand, den Sieg der Reaction und der Barbarei in Europa zu entscheiden. Die wüste Aufregung der eroberten und aufgestörten Völker, die nicht ihre politische Freiheit, sondern nur ihre Unabhängigkeit von der allgemeinen Weltbewegung, nicht ein gemeinsames Freiheitsprincip, sondern nur die Eigenthümlichkeit ihrer heimischen Knechtschaft zu vertheidigen hatten, – die geistlose Völkerwanderung der Freiheitskriege, in denen man nichts haßte, als die Fremden, und kein anderes Recht kannte, als das Hausrecht, – dies bedauerliche eingebildete Selbstgefühl einer nicht existirenden Nation lebt noch als Nachklang in dem Gemüthe der übriggebliebenen deutschen Patrioten und ist bekannt als die Verlegenheitspolitik derer, welche die Ehre haben, sie zu commandiren.

Ist die Eigentümlichkeit eine schlechte Art von Freiheit, so ist die Unabhängigkeit und das Hausrecht nicht viel besser. Das Hinauswerfen der Fremden mag national, es mag nothwendig, es mag sogar schwer sein und viel Blut kosten, eine wirkliche Befreiung ist es nur dann, wenn die Hausbewohner gebildete Menschen und die Eindringlinge Barbaren sind. Aber es ist nicht nöthig, daß die Vertheidiger des Hauses frei sind, es ist nicht nöthig, daß sie wirkliche Menschen sind, um das Haus tapfer und erfolgreich zu vertheidigen. Einen Feind, der in mein Haus dringt, können meine Hunde vertreiben. Es ist brav von ihnen; ihre Aufregung gegen den Fremden ist sogar eine jurististe; ihre Liebe zum Hause, ihren Zorn gegen jeden, der nicht hinein gehört, ihre Kampflust gegen den Feind, ihren Gehorsam gegen den Hausherrn, das alles hat schon Plato in seinem Staate als die hündischen Tugenden seiner Wächter bezeichnet. Aber diese ganze häusliche Aufregung ändert nichts in dem Princip des Hauses, im Gegenteil, der Hausgeist hat in ihr nur seine Probe bestanden, und die Hunde sich nur gezeigt, wie sie sein sollen. So ehrenwerth sie sind, menschliche Würde, ein menschliches Princip haben sie nicht erobert; und wenn sie für die Befreiung ihres Hauses gefallen wären, sie wären nicht als Helden, sondern als Hunde gefallen. Es ist hart, aber es ist wahr; die Thatsache ist brutal, aber es ist vergeblich, sie zu läugnen. Es ist kürzer, die Opfer in den Himmel, als die Überlebenden auf der Erde zur Würde freier Männer zu erheben, und keine Lehre kann den Herren hündischer Nationen besser gefallen, als die, welche die nationale Freiheit und die Ausübung des Hausrechtes hoch erhebt und unmittelbar als Freiheit preist. Abdel Kader ist ein Barbar, Algier war ein Raubstaat; aber wenn Abdel Kader, sei es auch mit Hülfe der Löwen und Hyänen, sein Hausrecht auszuüben im Stande wäre, es würden sich Leute finden, die sich in den arabischen Patriotismus hineindächten und ihn und seine Alliirten mit »Heil euch im Siegerkranz!« verherrlichen, wie man die Kosacken und Baschkiren im Freiheitskriege jubelnd begrüßte, ihre Tugenden pries, ja sogar ihre Lieder sang. Also die Völker sollen ihre Unabhängigkeit, ihre nationale Existenz nicht vertheidigen? Wenn sie eine schlechte und barbarische ist, nein! Die Unabhängigkeit der Völker hat keinen Werth, wenn die Völker werthlos sind. Es handelt sich um den Inhalt, um die Principien, die man vertheidigt, und nicht, daß sie national, sondern daß sie wahr sind, giebt ihnen ihren Werth. Man wird die Freiheit gegen jede Nation, am allermeisten gegen seine eigne vertheidigen; es ist roh, den Fremden, weil er fremd ist, niederzuschießen; es ist die höchste Bildung, in seinem eignen Hause nichts Freiheitwidriges existiren zu lassen.

 

9. Eigenthümlichkeit und Unabhängigkeit sind rohe Namen der Freiheit

Wenn wir nun weder dem Selbstgefühl, welches sich Sinn für Eigenthümlichkeit, noch dem, welches sich Selbstständigkeits- und Unabhängigkeitsgefühl nennt, ohne Rücksicht auf den Inhalt einen Werth zuschreiben, so ist damit natürlicher Weise nichts gegen das existirende Individuum und nichts gegen seine selbstständige Eigenthümlichkeit eingewendet; der Reichthum des Lebens sind die vielen Individuen, die es bilden, die Mannigfaltigkeit der Charaktere, in denen es sich bewegt; aber dieser Reichthum wäre die Armuth selbst, wenn die Individuen nicht alle in Einer Arbeit, in dem Leben der Einen Freiheit zusammenträfen, diese Mannigfaltigkeit wäre das Chaos und die Wüste selbst, wenn die Charaktere nicht alle für die Aufgabe des Ganzen wirkten, sondern jedes Individuum nur für sich existiren, seine Existenz und seine möglichst eigenthümliche Existenz zum Zweck erheben wollte. Wir haben also gezeigt, daß es eine rohe Auffassung der Freiheit ist, wenn man nichts als die unabhängige und die individuelle Existenz zu ihrem Princip macht.

 

10. Der wahre Grund des Selbstgefühls

Die Aufhebung des Patriotismus, die daraus folgt, ist nun diese. Es fragt sich zuerst, ist das Selbstgefühl wirklich das Gefühl des Volks? Dies ist die politische Frage und die Antwort natürlich, daß dies nur in der vollkommenen Demokratie der Fall sein könne. Sodann fragt sich weiter: ist das Selbstgefühl des Volks wirklich auf den Grund des freien Menschen gebaut? Das ist die menschliche, die Bildungsfrage, und die Antwort eben so natürlich, daß dies bis jetzt noch von keinem Volke, selbst von dem nordamerikanischen nicht gesagt werden könne. Nur der Grund der wirklichen politischen Freiheit und zugleich der wirklichen Humanität und Bildung ist der wahre Grund zum Selbstgefühl für die Einzelnen und für die Völker.

Nicht also aus dem Gegensatz gegen andere freie Individuen, sondern aus der Ehre und Genugtuung, mit ihnen übereinzustimmen, entspringt das wahre Selbstgefühl; und wenn alsdann noch von Patriotismus gesprochen werden sollte, so würde er nicht in dem Haß, sondern in der Hochachtung freier Völker gegen einander bestehn. Aber der Patriotismus würde dadurch zur Bildung, zur Freiheit selbst, und zwar zur Freiheit von den Schranken der Naturrohheit, die Volk von Volk trennte.

Die Eigenthümlichkeit wird von Niemand höher geachtet, als von dem, der auf sie eingeht. Sie wird verletzt von dem, der es vergißt, daß er nicht die einzige Eigenthümlichkeit vorstellt.

Die Individuen erlangen ihren Werth und Inhalt nur in der Gesellschaft, wie die Gesellschaft ihre Mannigfaltigkeit und ihr Leben durch die Individualitäten, die sie in sich vereinigt. Der freie Mensch macht sich an die Arbeit, den Fremden verstehn zu lernen, sich mit ihm zu verständigen, der Patriot dagegen, grade er, der so großes Gewicht auf die Individualität und Eigenthümlichkeit legt, weiß mit der fremden Eigenthümlichkeit nichts anzufangen, als sie zu hassen und gelegentlich todtzuschlagen. Das eine ist Rohheit, das andere Bildung. Die Differenz zwischen den Individuen lösen, heißt sie aus der Vereinzelung, vom Zufall, von den physischen und sittlichen Schranken ihrer eignen Existenz erlösen. Die Vereinzelung erzeugt das Reich des Zufalls, die Noth der Existenz, die Vereinigung dagegen das Reich der menschlichen Freiheit, die Vernunft und die Befriedigung der Vernunft. Die Arbeit an den geselligen oder politischen Problemen ist die Freiheit. Der Patriotismus ist das Princip der vereinzelten, differenten Volksindividualitäten, der rohen Volksgeister, die beständig gegen einander in Harnisch sind. Das gereinigte, aus der Rohheit der alten Volksgeister entbundene Freiheitsprincip, welches jetzt zu gleicher Zeit die ganze civilisirte Welt ergreift und in England, Frankreich und Deutschland sich zu gestalten und zu einer klaren Fassung hindurch zu arbeiten sucht, ist der Humanismus (LE PRINCIPE HUMANITAIRE).

Gleichzeitig mit den englischen und französischen Socialisten hat die deutsche Philosophie den Menschen zum Grund und Zweck der Religion und Politik, der Theorie und Praxis des Menschenlebens erhoben. Die Philosophie ist ihrer Natur nach universell, die bürgerliche Gesellschaft ebenfalls. Beide stimmen in die Arbeit, dem Menschen seine eigne freie Welt zu erbaun, überein, und sobald dies Factum zum Bewußtsein kommt, hebt sich die Trennung von Theorie und Praxis auf, man kennt nur noch den einfachen Zweck, Verwirklichung des freien Menschen und Vermenschlichung seiner Welt; und überall, wo für diesen Zweck gemeinschaftlich gearbeitet wird, da ist, wenn nicht das Vaterland, nur mehr als dies, das Bruderland.

Diese Alliance der Geistesrichtung in Deutschland, England und Frankreich, die vorhanden ist, stumpft den Patriotismus, den Nationalhaß und die Naturrohheit der verschiedenen Völker ab.

Nun muß man zwar zugestehn, was unsre Gegner so glücklich macht, es fehlt noch viel, um ein geläufiges Verständniß des neuen humanen Grundes der Dinge auch nur bei den Deutschen und Franzosen, den vorzugsweise denkenden Völkern, hervorzubringen, noch weniger ist für die Verwirklichung der Humanität oder universellen Freiheit geschehn, – dies ist eben die Arbeit, – aber die thatsächliche Vereinigung in demselben Princip ist vorhanden, sie erzeugt das neue Verhältniß, welches die Nationalen als Verfall, die Humanen als den größten Fortschritt bezeichnen.

 

11. Auflösung der Revolution in die Reform der bürgerlichen Gesellschaft

Die Revolution hat einen großen Schritt vorwärts gethan. Sie hat in der socialistischen Richtung der Engländer und Franzosen die Kritik gegen sich selbst gekehrt. Diese Richtung, deren Bedeutung nicht mehr zu verkennen ist, steigt aus der Staatsregion in die bürgerliche Gesellschaft (wir theilen hier mit Hegel ein) herab, d. h. sie befaßt sich ernstlich mit ihr und will die bürgerliche Gesellschaft, »das System der Bedürfnisse und der Arbeit«, in die menschliche Gesellschaft, die ihre Bedürfnisse vorhersieht und ihre Arbeit nach dem wahren Bedürfniß der Freiheit und Humanität einrichtet, auflösen, oder vielmehr die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft, die in disparate, dem Zufall überlassene Individuen auseinanderfällt, aufheben, und die Constituirung, nicht nur der allgemeinen, sondern aller Geschäfte der Menschen unternehmen. Sie sagt: »die jetzige bürgerliche Gesellschaft, auch wie sie in Frankreich aus der Revolution hervorgeht, ist das System der Concurrenz streitender Interessen der sich selbst überlassenen Privatmenschen. Die Revolution wollte die Freiheit erzeugen und setzte die freigelassene bürgerliche Gesellschaft als die Bedingungen der Freiheit voraus, aber die Herrschaft des Zufalls, unter der sich hier die Menschen befinden, enthält nur die Bedingungen einer neuen harten Knechtschaft, eines Feudalismus der Industrie, der an Rohheit und Härte den mittelalterlichen Feudalismus weit übertrifft.« Ist die bürgerliche Gesellschaft nicht frei, so ist es auch die politische nicht. Die Unabhängigkeit und Freigelassenheit der bürgerlichen Gesellschaft ist keine Freiheit. Im Gegentheil, frei ist, wer statt des Zufalls die Vernunft zum Herrscher hat. Daß die Revolution die Bedingungen der Freiheit voraussetzt, daß sie fingirt, der Mensch könne auch bei der Unmöglichkeit einer menschlichen Existenz frei sein, ist der Selbstbetrug der Revolution. Ihre gegenwärtige Selbsterkenntniß und Selbstkritik besteht nun darin, daß sie die Bedingungen der Freiheit, die menschliche Existenz aller Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft, erzeugen will, um die Freiheit zu erzeugen, (wobei es sich von selbst versteht, daß die Erzeugung aller Bedingungen die Geburt der Freiheit, und die Geburt der Freiheit die ganze Freiheit selbst ist). – Dies giebt der Revolution einen universellen Charakter. Sie gewinnt dadurch von Neuem die Fähigkeit, die ganze Welt bis in die völlig unpolitische Gesellschaft hinunter zu interessiren und in Bewegung zu setzen. Denn die jetzige bürgerliche Gesellschaft, mit der es die künftige Revolution oder Reform (denn es versteht sich von selbst, daß Revolution nichts anders heißt, als principielle oder radicale Umgestaltung geselliger Formen) ausdrücklich zu thun hat, die aber der alten Revolution hinter ihrem Rücken entstand und ihr darum auch unvermerkt über den Kopf wuchs, sie ist der unmittelbare Zusammenhang, der sich durch die politische Unterscheidung der Menschheit, die Staaten, hindurchzieht, der allgemeine Boden der civilisirten Welt.

Abgesehn nun davon, daß die bürgerliche Gesellschaft in England und in der ganzen Fabrikwelt schon in der Auflösung begriffen ist und überall an der großen Menschenverwahrlosung, die sie in sich trägt, einen äußerlichen Schaden zeigt, so fühlt sie auch selbst ihre eigne Unzulänglichkeit. Sie will den Zufall, den sie zum Princip hat, nicht anerkennen, sie setzt der unsittlichen Weltverwirrung, unter der sie erliegt, eine moralische Weltordnung entgegen, die sie in Aussicht stellt. Sie ergänzt den Mangel der wirklichen Existenz durch die Phantasie einer jenseits zu hoffenden Vollkommenheit. Die unerbittliche Noth durch den beschwichtigenden Glauben, die Last des Lebens durch die Phantasie der Religion. In der Religion wiederholt sich die Wirklichkeit, sie erhebt den Menschen und seine Verhältnisse in den Himmel; aber nicht die handfeste, anstößige Realität, die uns niederdrückt, sondern aus dem gefügigen Duft der Phantasie bildet sich diese zweite Welt, als lockende Fata Morgana am Firmament der wirklichen. Die Auflösung aller religiösen Phantasieen, Wünsche und Decrete in die ihnen zum Grunde liegende menschliche Wirklichkeit ist durch die deutsche Philosophie, durch Feuerbachs Wesen des Christenthums, vollzogen. Die Auflösung der diesseitigen wirklichen Welt, der bürgerlichen Gesellschaft in die menschliche, der verwahrlosten Menschheit in die wahre und gesunde, der Sklavenarbeit in freie, vernünftig constituirte, oder »organisirte Arbeit« ist das Problem des »Socialismus« in England und Frankreich. Er findet die Auflösung der Societät vor, und darum fordert er die Societät, »die Association«, eine Kritik und eine Forderung, mit der Fourier schon im Jahre 1808 auftrat, deren ganze Bedeutung aber erst die heutigen englischen Zustände klar gemacht haben. Nicht nur die Götzen des Gläubigen, auch die Fetische der Praktiker hat die Geschichte ans Licht gezogen, und sie wandern zusammen in den Schmelzofen ihrer Menschenschmiede.

Wer beide Erscheinungen versteht, wer den Mysterien der Religion und den Mysterien der verwahrlosten Gesellschaft, nachdem beide enthüllt sind, auf den Grund zu sehen vermag, dem wird es nicht entgehn, wie die Zeit in den drei Ländern gearbeitet hat. Die Einheit des deutschen und des englisch-französischen Humanismus braucht nicht erst hergestellt, sie braucht nur erkannt zu werden. Beide sind die Erfüllung der Menschenwelt mit ihrem wahren Inhalt. Der religiöse Inhalt als Eigenthum und Inhalt der Menschenwelt macht das Glück und seine Verheißung, die Wahrheit und ihre Praxis zu einem Gegenstand des irdischen Strebens, zu einer menschlichen Function, der Inhalt der Freiheit, auf alle Menschen vertheilt, macht das politische Privilegium zu einem allgemeinen Besitz. Was die Revolution wollte, die Freiheit, das kann nur die Constituirung und Organisation der ganzen bürgerlichen Gesellschaft, der Arbeit jedes Alters und jeder Klasse erreichen.

 

12. Erst die totale Befreiung der Menschen ist auch die Aufhebung der Religion

Wie religiös die Revolution noch war, läßt sich daraus abnehmen, daß erst die Auflösung der Revolutionsfreiheit in die Freiheit der ganzen bürgerlichen Welt die wirkliche Aufhebung der Religion sein würde. Die freigelassenen Menschen, die ihrer größten Masse nach in die Sklaverei der Natur und der Industrie gerathen, leben in einer zu inhumanen Welt, als daß sie die formale des theologischen Idealismus entbehren könnten. »Wer sollte den Unterdrückten trösten, fragt Robespierre, wenn es keinen Gott gäbe?« So lange die menschliche Gesellschaft ihr Versprechen, die Unterdrückung aufzuheben, nicht gelöst hat, ist die Verheißung, daß es später einmal geschehn solle, nicht überflüssig. Dies ist die Religion. Man löst ihr Problem nicht, wenn man das Illusorische ihrer Verheißung erkennt, sondern wenn man sie mit ihrer Verheißung beim Worte nimmt und aus ihrem Morgen ein Heute macht. Die Religion wird erst dann überflüssig, wenn die verwahrloste Menschheit aus einer Wirklichkeit befreit ist, in welcher der Selbstverlust ihres Wesens ihr Schicksal und das vergebliche Ringen, es wieder zu gewinnen, ihr Trost ist. Wer die Religion nöthig hat, der wird Religion haben. Sie ist ein Product der Noth, und die Noth, die harte Nothwendigkeit nennt schon Hegel das Princip der »bürgerlichen Gesellschaft«. So lange die bürgerliche Gesellschaft eine in sich unbefriedigte Existenz bleibt, besteht die Religion neben der Kritik. Die Kritik, auch die socialistische, ist nur theoretische Aufhebung der Theorie des »Nothstaates«. Die praktische Aufhebung dieser religiösen und socialistischen Theorie der Nothdurft ist die, daß man sie überflüssig macht. Die Kritik der Religion durch die deutsche Philosophie kann den englisch-französischen Socialisten so ohne Weiteres zu ihren Zwecken nicht dienen, und auf der andern Seite ist die Arbeit der Socialisten Theorie geblieben und noch nicht so weit gediehen, daß sie die deutsche Kritik der Religion ohne Weiteres berichtigen und durch Reformirung der Wirklichkeit, aus deren Noth und Mangel die Religion sich erzeugt, die reelle Versöhnung der Welt mit sich selbst bewirken könnte. Ohne Zweifel ist die Verwirklichung dieses Princips eine weit aussehende Sache; auch wird es nie möglich sein, den Abfall von der wissenschaftlichen in die phantastische Welterklärung und von der Organisation in Desorganisation zu verhindern; nichts destoweniger muß die Geschichte des Menschengeschlechts diese Aufgabe fortdauernd verfolgen, und jede theilweise Lösung des Problems, jede neue ernstliche Proclamirung des Princips sogar ist eifrig zu ergreifen.

 

13. Patriotismus und Humanismus

Die Humanitätstheorieen haben im Völkerrecht, im Strafverfahren, im Weltverkehr Unglaubliches geleistet. Die Theorieen des Humanismus wirken schon jetzt gegen den religiösen und patriotischen Fanatismus. Sie heben den Patriotismus im Princip auf und beseitigen die alte rohe Differenz der Völker unter einander. Dagegen bildet sich in den Völkern eine neue, und diese wird vielleicht heftiger ausgefochten werden, als alle früheren Streitigkeiten. Die neue Differenz ist die totale, der Streit des Begriffs oder der Bestimmung des Menschen mit seiner Existenz. Es fragt sich nicht mehr, ist dieser Mensch ein Deutscher oder ein Franzose, sondern ist der Deutsche, der Franzose ein Mensch, ein freier Mensch, und er soll es nicht nur dem Namen nach sein, man verlangt seine humane, seine freie Existenz. Die wirklichen, die freien Menschen sollen keine Ausnahme von der Regel, ihre Erzeugung nicht das Privilegium einer Nation sein. Nicht irgend eine Nation, sondern die Menschheit in allen Nationen nimmt die fähigen Köpfe, die rühmlichen Thaten und die Ehre der Freiheit für sich in Anspruch. Noch mehr, nicht für die Größe Eines Menschen, sondern für die Freiheit aller, nicht für die Abgeschmacktheit der Privatgenies, sondern für die Bildung geselliger Genies, nicht für die Eitelkeit einer Nation, sondern für die Verwirklichung des freien Menschen in ihr, nicht für die Kleinlichkeit eines individuellen oder nationalen Vorzugs, sondern für die Größe der Propaganda im Dienste des Humanismus schlägt das Herz des neuen Weltpulses.

Die Aufhebung des Patriotismus in Humanismus ist eine Form des gegenwärtigen Freiheits-Problems, eine Frage, die zur Aufräumung der Köpfe und zur Erweiterung der Herzen discutirt zu werden verdient. Die Ereignisse kommen der Auflösung des Patriotismus, dieser politischen Religion der bisherigen Welt mit aller Macht zu Hülfe. Welche Nation ist mit sich so in Bausch und Bogen zufrieden, daß sie auf sich pochen sollte? Und wo es geschieht, was folgt daraus? Haben die Deutschen sich nicht selbst verspottet wegen ihres hohlen Rheinliedsenthusiasmus? Und wie geht es bei den Franzosen zu? Man blicke nur um sich. Selbst die Republikaner, werden sie nicht lediglich durch den Patriotismus, so oft sie ihn herauskehren, auf die Seite der Reaction geworfen? Wir erinnern nur an die Fragen der Rheingrenze und der Befestigung von Paris. Beide sind patriotische Fragen und beide sind durch den Patriotismus z. E. des National vollkommen nach dem Wunsche der Reaction gelöst worden. Wenn die Franzosen den Rhein verlangen, so können die Deutschen ihren Franzosenhaß wieder in Schwung bringen. Wenn aber das Princip der Freiheit den Rhein erreicht, so ist die Reaction verloren. Worin besteht nun der Fehler dieser Freiheitsfreunde? In ihrer Unklarheit über das Wesen des Patriotismus, der sie mit dem Gespenst der Fremde schreckt und irre macht. Nicht die Fremden (LES ÉTRANGERS) sind ins Auge zu fassen, sondern die Gegner (LES ENNEMIS), wo sie auch sind. Hat die Reaction die Ufer der Seine im Besitz, so wird von hier aus keine Seele erobert. Hat die Freiheit das Herz von Frankreich, so hat sie alle Herzen in Europa erobert. Der Patriotismus hat den Feind in der Fremde und vergißt über dieser Vorstellung den einheimischen Feind, den er vor sich und den principiellen Freund, den er in der Fremde hat.

 

14. Der Patriotismus und die Parthei

Der Patriotismus gewinnt nur dann einen vernünftigen Sinn, wenn die Parthei, welcher die Nation folgt, ihren Feind Aug' in Auge sich gegenüber hat, und in ihm den Gegner der »guten Sache«, gleichviel ob fremd oder bekannt, angreift d. h. wenn er aufhört national zu sein und principiell oder human wird. Die Differenz der Kämpfenden ist alsdann eine menschliche, die Partheiung. Die Partheiung ist die menschliche Differenz, weil sie die Differenz der Ansichten und Gedanken ist; die Individualisirung und Nationalisirung der Menschen ist die rohe Differenz, die Differenz der Existenz.

Der Patriotismus nimmt die Völker als Partheien und abstrahirt von den Partheien in den Völkern; der Humanismus setzt die Partheien über die Völker, aber er abstrahirt darum nicht von der Individualität der Völker, er erkennt sie vielmehr an als Genossen in der gemeinsamen Arbeit der Befreiung des Menschen von der verschiedenen volkstümlichen Verwahrlosung, in der er lebt.

Der Patriotismus setzt die Völker auf den Kriegsfuß, der Humanismus will auf dem Friedensfuß die menschliche Entwickelung, die Bildung der besten Gesellschaft aus der allgemeinen Vereinigung bewirken; aber der Humanismus wird seinem Willen zuwider grade durch die Verwirklichung des Menschen den Krieg entzünden. Der humanisirte Mensch wird sich mit dem brutalen, die Parthei des menschgewordenen Volks mit den Barbaren um den Besitz der Welt streiten. Dieser Streit wäre für die Humanität und in ihrem Sinne nur die Darlegung ihrer selbst, nichts als der Beweis so zu sagen der Identität ihrer Person. Sie würde aus ihrem Inhalt Tagesfragen machen und in der Discussion die Köpfe der Menschen nicht herunterschlagen, sondern zurechtrücken. Diese Form des Kampfes, der geregelte Partheikampf, wäre eine Aufhebung der Barbarei. Die Barbaren geben sie nicht zu. Und sie haben nun ihrerseits ebenfalls nichts weiter zu thun, als ihre Existenz zu behaupten, um die Waffe der Vernunft in die der Brutalität, die Schärfe des Gedankens in die Schärfe des Schwertes und den Kopf des Menschen in den Knopf ihrer Zielscheibe zu verwandeln. Die Existenz des Menschen zwingt den Barbaren nicht zu ihrer Anerkennung, – der Boden der Vernunft ist über ihm, man müßte ihm seine Barbarei nehmen, um ihn hinaufzuschaffen; – aber der Barbar braucht den Menschen nur an seiner Existenz zu ergreifen, um ihn zum barbarischen Kampfe zu zwingen, – die Existenz ist der gemeinsame Boden des Vernünftigen und des Unvernünftigen.

Die Barbarei behauptet ihre Existenz als Princip; sie kennt kein anderes Princip, als ihre Existenz. Aber es zeigte sich erst in unserer Zeit und durch das Hervorziehen des Menschen hinter allen Existenzen der Religion, der Philosophie und der politischen Welt, daß die barbarische Existenz das Princip der bisherigen Welt, der verflossenen Geschichte und ihres officiellen Bestandes ist. Die Humanität selbst war es, welche durch ihren Gegensatz die Barbarei nöthigte, sich zum Princip zu machen. Erst durch die humanistische Kritik wurde sie zum Kampf für » alles Bestehende« aufgestachelt. »Alles Bestehende« unbesehens, so drückt sie ihr wesentliches Interesse aus, das ist ihr Schlachtgeschrei. Ganz natürlich. Denn seitdem ihr bewiesen wurde, ihr höchstes Wesen sei das Unwesen, der karikirte Mensch und ihre freiheitswidrigen Institutionen nur die Ausführung dieser Karikatur in der Welt, die Sklaverei und Verwahrlosung vieler Millionen eine unerträgliche Schmach für unser Jahrhundert; seitdem ist sie diesem Beweise zwar nicht gefolgt, aber doch an der Wahrheit ihrer Sache zweifelhaft geworden, sie glaubt nur noch an die Wirklichkeit ihrer Existenz, d. h. » alles Bestehenden«. Erst in der Brutalität des Factums erkennt die Reaction sich wieder, und nur dies, nur die rohe Existenz hat sie der Revolutionirung der geistigen Welt und, sofern sie Theil daran hat, ihres eignen Innern entgegenzusetzen. Nicht aller Bestand, sondern der Bestand der Wahrheit und Freiheit ist zu conserviren. Die conservative Barbarei will » alles Bestehende, weil es besteht«, aber sie gesteht der bildenden und befreienden Vernunft keinen Bestand zu, sie macht im Gegensatz zu ihr aus der Existenz ein Princip. Die große Masse der Menschen, die nur leben will, um zu leben, macht die Existenz zum Zweck; und die jetzige bürgerliche Gesellschaft, welche durch diese blinde Masse gebildet wird, kennt nur den Kampf um die Existenz. Dasselbe Princip, denselben Zweck und denselben Kampf proclamirt der Patriot. Mit dem Bestand der Landesgrenzen vertheidigt er jeden Bestand, den sie einschließen, und mit der Ausschließung des humanistischen Volks schließt er auch den Humanismus aus. Ginge der Patriot, z. B. der deutsche, auf den Grund der nationalen Existenz zurück, so würde er finden, daß erst die Auflösung der vorhandenen Wirklichkeit die Begründung der wahren Existenz wäre, er würde z. E. begreifen, daß der Deutsche, wie er ist, noch kein freier Mensch ist, würde also den Humanismus nicht bekämpfen, sondern ihn aus seiner eignen Nationalität erzeugen, indem er die Parthei des freien Menschen ergriffe und in seinem Volk ausbreitete.

Und in der That, der Partheigeist führt uns über die Völker hinaus. Er ist der Associationstrieb zur Arbeit für die Probleme der Freiheit, der Eifer der geselligen Arbeit, die belebte, die begeistete, die animirt in sich arbeitende Menschheit selbst. Er führt den Menschen zum Menschen durch die Verhandlung streitiger Ansichten und Absichten. Der Patriotismus hingegen ist der Geist der Absonderung, der Trennung des Menschen vom Menschen durch den blauen Dunst des allervorzüglichsten und höchsten Volkswesens, dessen wahre Existenz die allertraurigste von der Welt sein kann. So ist das deutsche Volk in der Wirklichkeit mit den Fesseln eines politischen und bürgerlichen Helotismus, in der Vorstellung des Patrioten dagegen mit allem Hohen und Herrlichen geschmückt. Der Cultus dieses transcendenten Phantasiewesens und die blinde Feindschaft gegen die Verehrer eines fremden Volksgottes, diese Trennung des Menschen vom Menschen ist religiös. Ist die Partheiung eine menschliche Differenz, so ist die patriotische Differenz eine religiöse. Der Patriot kämpft für eine »heilige Existenz«, der Partheimann für ein politisches Problem. Der Patriot verfolgt in dem Fremden einen Unmenschen, der Partheimann wendet sich in seinem Gegner an den Menschen. Der Partheimann streitet für einen bestimmten Inhalt, der Patriot, der nicht in den Partheimann übergegangen ist, für sein Volk unbesehens mit jedem Inhalt, mit Einem Wort für »Alles Bestehende« in seinem Lande. Der Patriot kann aber nicht Parthei ergreifen, ohne von der Religion für seinen Volksgötzen abzufallen; denn die Parthei hat ihre nächsten Feinde im eignen Volke. Aus seinem blinden Nationalismus den bewußten Humanismus der Parthei zu erzeugen muß er sich versagen. Wenn ein Franzose die Meinung des deutschen Patrioten ausspricht, so stimmt dieser ihr darum nicht bei, weil es ein Franzose gesagt. Wir werden weiter unten ein Beispiel anführen.

 

15. Der Patriotismus ist eine Form der Religion

Der Patriot bringt die Zeugungskraft, womit er den Menschen und die allgemein menschlichen Probleme seiner Zeit und ihre Lösungen durch den Partheikampf hervorbringen könnte, dem Götzen einer phantastischen Volksexistenz zum Opfer. Der Patriotismus ist die irdische Religion der isolirten Volksungethüme, er ist der Geist der in sich verschlossenen conservativen Barbarei, der Enthusiasmus der Reaction, der die Existenz des Menschen daran setzt, um die Existenz vielleicht eines Unwesens, dessen Herrlichkeit er sich aber vorspiegelt und anbetet, zu retten.

 

16. Menschenopfer und Arbeit. Cultus und Cultur

Dieser irdischen Religion des unparteiischen Patrioten ist eben so wie der himmlischen des unpolitischen Privatmenschen die Existenz eines ganz allgemeinen, unbestimmten und phantastischen Unwesens Gegenstand des Cultus und des Menschenopfers. Selbst in der humansten Religion opfert der Mensch sich dem Götzen, den er aus seinem Wesen sich gemacht, er opfert seinen graden Verstand der Verkehrtheit einer Phantasie, die Vernunft der Verrücktheit, und die Verrücktheit ist die totalste Selbstaufopferung, die es giebt. Im Patriotismus, der in seinem Volk keine freiconstituirte Parthei hat, verteidigt der Mensch eine verwahrloste Wirklichkeit, indem er sich einer eingebildeten Vortrefflichkeit zum Opfer bringt. Der Mensch würde nicht geopfert, wenn er mit Bewußtsein Parthei ergriffe, wenn er seinen eignen Zweck auf seine eigne Gefahr durchzusetzen suchte; aber er ist von vornherein geopfert, wo er nur zum Mittel dient, die Gefahr vor einem Götzen, dessen Sturz seine eigne Rettung wäre, abzuwenden. Der Patriotismus ist nothwendiger Weise die Abwendung von den Principien, der Humanismus die Anwendung derselben. Die Abwendung der Principienkämpfe und ihrer Partheiung ist Aufopferung des höchsten Gutes, der vernünftigen Entwicklung des Menschengeschlechts; die Anwendung der Principien dagegen ist – die Arbeit.

Dies ist der Unterschied. An die Stelle des Opfers der religiösen Welt – und die ganze bisherige Welt ist religiös – tritt die Arbeit der humanen Welt, der Cultus verwandelt sich in Cultur. Der Mensch, indem er die neue wahre Welt erschafft, arbeitet überall an der Erreichung seines Wesens, nie an der Wegwerfung seiner selbst, er arbeitet an sich selbst. In dieser Arbeit verzehrt sich allerdings seine Existenz, er wagt sich immer an sich selbst, er setzt sich selbst aufs Spiel, wenn die Ereignisse dies Spiel herbeiführen. Aber er kämpft nie, wie der Patriot, für einen fremden Zweck gegen einen fremden Feind. Der Zweck ist immer er selbst, der Feind immer sein eigner, der seiner Arbeit als ein Gegenstand der Überwältigung entgegentritt. Das Opfer für den fremden Götzen wird zur Arbeit für den Menschen selbst, das Schlachtfeld zum Kampfplatz, der Rausch des Fanatismus zum Feuer der Action. Nur im Namen des Götzen kann die Aufopferung des Menschen verlangt werden. Nur seinen Schweiß, nicht sein Blut hat der Mensch in menschlichen Verhältnissen für seine höchsten Zwecke zu vergießen. Im Schweiß der Arbeit löst die kalte Existenz des Menschen sich zum warmen Leben auf. Das Blut des Opfers löst die Existenz in den Tod, der Schweiß der Arbeit löst sie ins Leben auf. Schweiß vergießen ist demokratisch, Blut vergießen aristokratisch. Das kalte Blut der Aristokratie darf wohl verspritzt werden, aber es zu verschwitzen ist unanständig. Das Wort »Schweiß« gilt für plebejisch. Aber die Menschenverachtung, die in dem Schimpfnamen »Pöbel« und »plebejischer Schweiß« liegt, setzt die Aufopferung des Menschen voraus, sie ist religiös. Die Religion hat den Schweiß für die Wirkung ihres Fluches erklärt. Sie ahndete ihren Feind. Der Schweiß des Angesichts zerstört die Glorie der Religion, er bricht aus, wo das äußere Glorienfeuer ins Innere zurückgenommen und durch die Arbeit lebendig geworden ist. Der Schweiß des Menschen, in seiner eignen Arbeit vergossen, tritt an die Stelle des Blutes, welches für andere vergossen ward; und auch das Blut, welches in Zukunft vergossen wird, fließt nur als Schweiß in der allgemeinen Arbeit für die Verwirklichung des Menschen. Der Zufall, der die Adern statt der Poren öffnet, gehört mit in die allgemeine Rechnung. Auch wenn er nicht mehr Princip der Gesellschaft ist, bleibt ihm der Einzelne in dem blinden Zusammenstoß der Dinge erreichbar. Den Zufall als Zufall nehmen, das eben heißt den Begriff des Opfers gänzlich beseitigen. Wie bei dem Ausdruck Opfer und Arbeit, so wird man die altpatriotische Sprache überall auf ihren wahren Sinn zurückführen, wenn man der religiösen That die einfach menschliche, der verschrobenen Forderung die wahre, ins Geleis der Vernunft zurückgerückte, entgegensetzt.

 

17. Das Militär als Priester und Opfer

Wir haben den Patriotismus und seinen Opferdienst Religion genannt. Das Militär ist der Priesterstand dieser Religion und zugleich das Opfer. Die Priester in jeder Religion haben das Menschenopfer nicht nur an denen, die sie zum Altar führen, sondern auch an sich selbst zu vollziehn. Als Priester vollzieht der Soldat die Liebe und den Haß des Patrioten und er thut dies, indem er sich für den Patriotismus hinter seinem Rücken zum Opfer bringt. Aber auch ohne die Grenzhekatomben der Völkerschlachten, auch ohne den Tod in der Schlacht opfert der Soldat alle seine Verhältnisse, abstrahirt er von seinen wesentlichen Zwecken, ergreift er den Müßiggang statt der Arbeit, lebt er ein Mönchsleben der Entbehrung und des Cölibats. Ebenso der christliche Priester, auch der heutige, der sich nicht mehr geißelt und verstümmelt, ist zugleich Opfer. Cölibat und Mönchsthum erklärt nur die Ertödtung des Fleisches permanent, welche der Priester der Cybele ein für alle Mal vollzog. Aber die Aufopferung der Geschlechtstheile, welche die heidnischen und katholischen Priester verrichten, ist nur scheinbar das ärgste; sie bleibt immer nur ein partielles Opfer gegen die Aufopferung der Vernunft, worin der gebildete Priester seinen ganzen Menschen hingiebt. Und wenn dieser die Vernunft gebraucht, um die Vernunft zu verdammen, so vollzieht er das Opfer noch heute vor dem staunenden Volke, wie einst im Dienste der großen Mutter seine Vorfahren. Die Jahrtausende haben es nicht dahin gebracht, die Menschenopfer aufzuheben und sollten zuletzt die Priester auch nur sich selbst zum Opfer bringen, ohne das Volk mit sich fortzureißen und ohne selbst noch Religion zu haben. Doch verlieren wir unsern Gegenstand nicht. Das Militär, welches von der Gesellschaft abgesondert ist, der Militär stand, steht im Dienste eines fremden Wesens. Sein Dienst ist nicht ein Theil seiner allgemeinen geselligen Arbeit, sondern ein Opfer für ein Gemeinwesen, aus dem er ausgesondert ist. Das Gemeinwesen, welches nicht wirklich das allgemeine Wesen aller Arbeit ist, trägt davon die Schuld, und weil alle Klassen der gegenwärtigen Welt in dem Zwiespalt zwischen der eignen Arbeit und der Arbeit im Dienste eines fremden Wesens stehn, so werden genau genommen alle fortdauernd geopfert. Beim Militär, dem Stande des Patriotismus, wie bei der Priesterschaft, dem Stande der Religion, ist dies Verhältniß nur schroffer gezeichnet. Hier ist das Opfer die einzige Arbeit. Dennoch ist die Arbeit der bürgerlichen Gesellschaft keine freie, nur in der Arbeit, worin man von ihr abstrahiren kann, mit der man nichts gewinnen, nur einen rein menschlichen Zweck der Vernunft, der Freiheit erreichen will, verhält man sich frei. Die bürgerliche Gesellschaft opfert überall den Menschen seinem Bedürfniß, die wesentlichen Zwecke dem Zweck der Existenz, die reelle, menschliche Existenz der kahlen, todten äußerlichen. Diese Arbeit der bürgerlichen Gesellschaft nur für den Erwerb ist Sklavenarbeit und Sklavenarbeit ist Menschenopfer.

 

18. Bürgermilitär und zur Landwehr constituirter Patriotismus

Die wahre Auflösung des Militärs wäre die in die Arbeit der menschlichen Gesellschaft, die jetzt nur noch als Ausnahme geübt wird. Es wäre die Aufnahme des militärischen Müßiggangs oder der Friedensübungen in die Spielzeit des Menschenalters und der militärischen Anstrengung, sofern die existirende Barbarei den Krieg noch nöthig macht, in die allgemeine Arbeit der Staats-Gesellschaft. Dies wäre denn wieder die Belebung einer todten Existenz durch das Fluidum ihres wahren Wesens. Die Aufhebung des Militärs in die bürgerliche Gesellschaft, wie sie zum Beispiel Nordamerika erreicht hat, beweist dagegen nur, daß damit kein Princip aufgehoben ist. Die Demokratie realisirt im Gegentheil den Patriotismus und nimmt ihm alle Illusion bis auf die Vertheidigung der bürgerlichen Gesellschaft selbst. Den Krieg aller Sonderinteressen, als Geld gegen Geld, gegeneinander, das Princip des bezahlten und verkauften Menschen, ja, ganz consequent die wirkliche Sklaverei – diese ganze prosaische Abstraction von dem Wesen des Menschen vertheidigt der Amerikaner als bürgerlicher Soldat, und diesen Inhalt, der seinem Humanismus ins Gesicht schlägt, muß er mit Patriotismus gegen die Fremden aufrecht erhalten. Die Aufhebung des Militärs in die bürgerliche Gesellschaft kann die Fehler der bürgerlichen Gesellschaft nicht verbessern. So ist ebenfalls in Preußen der Patriotismus als Landwehr constituirt. Diese Landwehr hat gar keinen Werth für die Freiheit und gar keinen andern Inhalt, als den Patriotismus der Unabhängigkeit, d. h. sie hat nichts zu denken und noch viel weniger etwas anders zu thun, als im vorkommenden Fall das Land des Landesherrn, d. h. das Privateigenthum des Königs und seiner Mitbesitzer zu vertheidigen. Wo übrigens die Officiere noch einen eignen Stand und den stehenden Stock der Armee bilden, wo eine Armee fortdauernd unter Waffen steht, da ist das Militär noch nicht civilisirt. Die Civilisirung des Militärs oder die Aufhebung des Militärs in die bürgerliche Gesellschaft ist daher immer schon ein großer Schritt, er ist das Äußerste, was auf der Basis der alten Welt erreicht werden kann. Denn das Militär ist ein Institut, welches die Trennung des Menschen vom Menschen, die Feindschaft der Völker gegen die Völker, des politischen oder regierenden Menschen gegen den regierten, die Gewalt statt der Vernunft zur Voraussetzung hat. Legt man nun die politische Gewalt ins Volk, so hebt man die Voraussetzungen des abgesonderten Militärstandes bis auf den technischen Stock des Instituts auf; aber die Miliz, die nun entsteht, wird erst recht alle Bornirtheit des Patriotismus zur Blüthe bringen. Der Geist jedes Militärs ist der Patriotismus, der die Feindschaft der Völker proclamirt, er ist aber auch die conservative Barbarei, die den Cultus des unvernünftigen Bestandes der Dinge gegen die Forderung der Menschheit, die von ihm erdrückt wird, mit Gewalt aufrecht erhält und es ist nun zuletzt einerlei, ob die bürgerliche Gesellschaft diese Gewalt in eigner Person oder durch einen permanenten Ausschuß ausübt. Der höchste Gipfel, den dies Princip erklimmen kann, ist der Militärstaat, der das Militär selbst und durch das Militär die ganze übrige Gesellschaft seinem Götzen, dem Militärchef zum Opfer bringt, wie in Preußen und Rußland. Wir haben schon gesagt, daß die preußische Landwehr nur der constituirte Patriotismus ist; man könnte die ganze preußische Verfassung aus diesem Gesichtspunkt auffassen und sie erklärt sich mit ihrer Beamten-Ascese und Landjunkerbasis nur aus ihm. Sie galt auch darum, so lange man noch den Patriotismus als Freiheit empfand, für eine freisinnige, und ihre Volksbewaffnung hat sogar den Engländern und Franzosen imponirt. So meinte die Times, in einem Lande, wo jedermann Soldat ist, sei es gewagt, die Organe der öffentlichen Meinung zu unterdrücken. Es wäre gewagt, wenn jedermann dächte, es ist nichts dabei gewagt, wenn nur jedermann Soldat ist.

 

19. Preußischer und deutscher Patriotismus

Ist in Preußen durch den Patriotismus nur die Constitution der conservativen Barbarei erreicht worden, so hat es Rußland noch nicht einmal bis zum Patriotismus gebracht. Der Patriotismus ist der Volksgeist in seinem Selbstgefühl, wie es nun auch sei. Rußland hat gar keinen Geist, auch nicht die Begeisterung für die Landesgrenzen und den Landesherrn. Der Russe hat einen unmittelbaren Herrn und höchstens Religion. Der Krieg Rußlands gegen Napoleon war Religionskrieg. Allerdings hörte er nicht auf, es zu sein, als er sich nach Deutschland zog, aber die Religion nahm hier nun die Form des Patriotismus an. »Mit Gott für König und Vaterland!« ist die Devise des deutschen Patriotismus von 1813, dafür begeisterte man sich, und selbst die Freiheit, die man damals im Munde führte, obgleich sie nur apokryphisch vorhanden und von dem König von Preußen eigenhändig aus der Devise gestrichen war, bedeutete nichts weiter, als was jene königliche Verbesserung, nur deutlicher, auch sagt, die Befreiung des Königs und seines Landes von den Franzosen. Der Russe, der nach Deutschland kam, war nicht patriotisch erregt, er brachte keinen Enthusiasmus, sondern nur seine Rohheit und seine andächtige Unterwürfigkeit mit. Der Deutsche dagegen enthusiasmirte sich für Volk und Vaterland und dachte sich beides als den Inbegriff alles Schönen und Großen. Nun ist es zwar richtig, dies Volk und dieses Vaterland war nur eine Verheißung der Dichter, eine zukünftige Welt, eine reine Phantasie, nicht besser also als der Himmel der Religion: es giebt kein deutsches Volk, nur eine Revolution könnt' es schaffen; – aber der Enthusiasmus, der seinen Gegenstand nicht gefunden hat, suchte ihn doch auf dieser Welt, es war seine eigne Welt, das deutsche Volk. Es gab eine deutsche Literatur, warum sollte es nicht auch ein deutsches Volk geben können? Arndt rief aus:

So weit die deutsche Zunge klingt
Und Gott im Himmel Lieder singt,

soll Deutschland sein. Diese Realität hielt nicht Stich, das existirende, sprechende, singende Volk wurde kein politisches, freies, wirkliches Volk, und als es sich zeigte, daß in der Gegenwart der Patriotismus seinen Gegenstand vergeblich suchte, wandte man sich zur Vergangenheit, zur Herrlichkeit und Größe der deutschen Geschichte. Auch hier betrogen, denn die deutsche Geschichte ist gewiß keine menschliche Freiheit, ist der deutsche Patriot inne geworden, daß die kahle, prosaische Existenz unvernünftiger Zustände der Inhalt jener Grenzen ist, die er mit seinem Blut erkaufte. Wir haben gesehn, was die Folge davon war. Man erhob die Existenz zum Princip und die Heiligkeit alles Bestehenden zur Parole. Der deutsche Patriot hat sich auch diesen Inhalt und diese Devise gefallen lassen. Dahin ist es mit dem deutschen Patriotismus gekommen und dahin mußte es kommen. Der deutsche Patriotismus war von Anfang an gegen die Zukunft, gegen die Revolution und gegen Frankreich, das Land der Revolution, gerichtet. Er kommt aus Rußland. Sein Geburtshelfer ist die russische Nationalreligiosität, die Andacht der Unterwürfigkeit und er selbst ist nichts anders als der religiöse Enthusiasmus für die Nationalität und darum die Unterwerfung unter das Deutschthum. Der Patriot unterwirft sich von vornherein, wie er sich von vornherein opfert, indem er ausruft: nicht mit freiem Bewußtsein für mich und meine menschliche Bestimmung, sondern »mit Gott für König und Vaterland!« d. h. wir wollen die Franzosen vertreiben, dann sind wir frei, dann haben wir unser Vaterland wieder. »Der deutsche Michel, der sein Vaterland sucht« und es für den König findet. Die Russen haben kein Vaterland und suchen auch keins, sie haßten darum auch die Franzosen nicht, ihr Gott und ihr Winter haben den Feind vernichtet. Die Deutschen von 1813 haßten die Franzosen und suchten durch ihre Vertreibung ein Vaterland zu gewinnen. Das Vaterland war das Land ihrer Landesväter, die »Freiheit Deutschlands« nichts als eine Phantasie Deutschlands. Der Haß der Franzosen im Interesse ihrer Landesväter und im Bündniß mit Rußland und Östreich ist das »Volksgefühl« der Deutschen, der bekannte Ausdruck: »wir lassen uns kein Dorf nehmen!« und »sie sollen ihn nicht haben!« ihr »Vaterlandsgefühl«. Sie reden und fühlen, sie dichten und denken im Namen ihrer Herren und Gebieter, die die Dörfer und Flüsse haben. Das Elsaß der Französen ärgert sie, die deutschen Ostseeprovinzen der Russen, die Besitzungen der Dänen und der Holländer in Deutschland oder Helgoland unter England genirt sie nicht. Sie hassen nur die Franzosen und wenn sie die Russen nicht lieben, so ist doch der gemeinsame Despotismus ein enges Band mit ihnen, und der Gehorsam ihrer Regierungen gegen den Zaren eine Thatsache, die sie täglich empfinden. Die Unterdrückung der Presse auf Rußlands Vorstellungen, die Preußen, die ungestraft nach Sibirien geschickt wurden, die Erneuerung des Cartervertrags – und dies erniedrigende Verhältniß empört niemand, im Gegentheil, die Allianz der barbarischen Völker und die materielle Wucht derselben ist das Einzige, womit die leere und phantastische deutsche Nationalität ihr Selbstgefühl gegen Frankreich aufrecht erhalten kann. Da das deutsche Volk nicht existirt und die existirenden deutschen Völker ohne Freiheit und politisches Bewußtsein existiren, so kann der Deutsche sich das Gefühl seiner Existenz nur von Außen holen. Allerdings ist die Illusion des Deutschthums und das Spiel, welches die einzigen politischen Realitäten in Deutschland, die größten Gutsherren, sich mit ihm erlaubt, längst aufgedeckt, und eine Wiederholung des alten Patriotismus in der Nation nicht denkbar; den nächsten Krieg müssen sie ohne Patriotismus führen. Die Illusion aber, als wäre das Verhältniß noch immer das alte, wird von den Epigonen der Freiheitskriege, einer ziemlich ausgebreiteten und sehr brutalen Parthei, die jetzt das Heft in Händen hat, unterhalten, indem sie die Literatur und Journalistik, die sie gänzlich monopolisirt hat, als die Öffentlichkeit des deutschen Volks proclamiren läßt.

 

20. Die patriotischen Epigonen und ihre Doctrin

Ihre Doctrin ist alt, ja sie ist veraltet, wir müssen sie hier aber unsers Themas wegen wiederholen. Sie sagen: »wir fürchten Frankreich, den Reichsfeind an der Grenze, der unsre Provinzen haben will; wir hassen Frankreich, den Repräsentanten der Revolution, der uns wider unsern Willen befreien will; und wir wollen in allen Dingen anders sein, als die Franzosen, denn wir sind eine andere Raçe, wir sind Germanen und jene sind Romanen.« Einer der Verrücktesten in der Parthei erklärt die Franzosen gradezu für Affen.

Der Patriotismus der Epigonen, – die Studenten traten zuerst als der Nachwuchs der Freiheitskriege auf – erweckte im Anfang einige Sympathie im Volke. Er war damals in der Opposition, als der Sohn vom Hause, den man vor die Thür gesetzt, und er ging in seinem Zorn bis zur Conspiration und Revolte fort, er zog den Degen gegen die kahle Realität des Despotismus, um die Illusion der Nationaleinheit durch eine Revolution zur Wahrheit zu machen und eine eben so illusorische, nämlich eine specifisch germanische Freiheit zu erzeugen. Selbst die Revolutionärs unter den Patrioten wollen und kennen die Freiheit nicht, sie sind deutsch und knechtisch gesinnt, Feinde der deutschen Philosophie aus Ignoranz und der französischen Revolution aus deutscher Biederkeit. Dazu sind sie nun plötzlich mit all ihren Theorieen legitim geworden und nur noch de facto Revolutionärs. Der deutsche Patriotismus ist endlich mit all seinen Illusionen und hohlen Redensarten sogar auf den Thron gekommen und, so weit es einem solchen Gespenst möglich ist, zur Regierung gelangt.

 

21. Die Patrioten als constituirte Reaction

Er proclamirt nun die Einheit Deutschlands als eine realisirte und die gegenwärtige Verfassung Deutschlands als die germanische Freiheit. Alle seine Jugendträume sind dem Patrioten in Erfüllung gegangen, nur eins möchte er noch erreichen. Um auch die Erinnerung an seine revolutionären Ausschweifungen los zu werden, löste er jetzt seinen deutschen Patriotismus gern in christliche Religion auf. Erst in der Andacht der totalen Unterwerfung lassen den Deutschen seine Träume von menschlicher Freiheit das Glück genießen, daß die Wirklichkeit schön ist, weil sie deutsch ist. Indessen, mit diesen Träumen verliert der Mensch immer seine Kraft, sie waren die Locke Simsons, mit der er den Philister überwindet. Dies ist auch das Schicksal der deutschen Patriotenparthei. Seitdem sie ganz mit der Reaction und dem despotischen Regiment zusammenfällt, ist ihre Kraft dahin. Man hat ihre Illusionen für Betrug, die deutsche Einheit für Zerfall, die Freiheit für Unterdrückung erkannt; und der Patriotismus der Epigonen ist nur noch eine ohnmächtige Erinnerung.

Die Parthei fühlt dies selbst. Sie legt daher viel mehr Gewicht auf Religion, Polizei und Conspiration, als auf nationale Aufregung. Die Verschwörungen haben nicht aufgehört, aber sie haben aufgehört hochverrätherisch zu sein, sie sind officiell geworden; und nie ist eine jesuitisch-abgefeimte Leitung mit einer stupid fanatischen Abstufung durch fast alle Regierungen und Regierungsmittel hindurch enger verschworen gewesen, als jetzt; nie sind die edelsten und letzten Formen der Freiheit schamloser zerstört worden, als in diesem Augenblick. Ja, der Despotismus und die Reaction hat sogar Verräther im Lager der Philosophie selbst gefunden und sie zur Mystificirung der Welt, zum Meuchelmorde des Geistes selbst gedungen. Und so frech sind sie geworden, daß sie dort, wo sie nicht unmittelbar regierten, sogar kleine Revolutionen und Emeuten gewagt und durchgeführt haben – große Momente, wo die Conspiration die Möglichkeit erprobt, daß sie im äußersten Falle denn doch noch durch national-religiöse Aufregung zu wirken vermögen.

 

22. Die Confusion des Schweizer Nationalismus

Die Züricher Septemberrevolution von 1839 macht eine solche Probe, während für gewöhnliche Zeiten und namentlich für die gedeihliche Constitution Deutschlands statt des Patriotismus und der nationalen Aufregung schon der nationale Charakter ausreicht. Dieser scheint der reactionären Doctrin aber auch so unumgänglich nöthig, daß ihn sogar die Schweizer angenommen haben, die Schweizer, die alles andere eher haben könnten, als das mystische Gut des Volksthums. Ein Schweizer, Namens Bluntschli, in Zürich zugleich als Professor des historischen Rechts und als Politiker des Septemberrechts von 1839 bekannt, hat als angehender Rector der Universität eine Rede gehalten, aus der uns die Augsburger Allgemeine Zeitung vom 22. Februar 1844 unter andern folgende merkwürdigen Worte mittheilt: »Die Universität Zürich muß immer mehr ein nationales Institut werden. Nur ein vorzugsweise nationales Institut kann unter einem Volke, das, wie die Schweizer, einen entschieden nationalen Charakter hat, für die Dauer Festigkeit erlangen.« Noch nationaler als national und ein Volk, das einen nationalen Charakter hat! So lesen wir; dürfen wir unsern Augen trauen? Man muß die Schweizer Conservateurs kennen, um es für möglich zu halten, daß eine solche Sprache noch einen Sinn haben könne. Er ist der absurde Inhalt des Patriotismus, die mystische Eigenthümlichkeit auf eine absurde Formel gebracht. Er will sagen, die Zopf-Schweizer können die Fremden nicht leiden und setzen allem Fremden, selbst der Gelehrsamkeit eines auswärtigen Professors den Haß ihres Schweizerthums entgegen. Worin besteht nun die Nationalität dieses »vorzugsweise nationalen Volks?« Die Deutschen reden doch ihre eigne Sprache; die Schweizer reden alle möglichen fremden und reden sie schlecht. Die Deutschen haben doch alle Eine Verfassung, den Despotismus; die Schweizer haben in jedem Canton eine andere, sogar an einem Könige fehlt es ihnen nicht, und in Luzern regieren die Jesuiten das schweizerische Paraguai. Was ist also die Nationalität der Schweizer? Ihre Nationalität ist die, keine zu haben, und ihre Eigenthümlichkeit grade die Mannigfaltigkeit von tausend und abertausend Localcapricen. Diese vollkommenste Auflösung der physischen und politischen Nation, diesen Mangel aller Einheit der Form (man müßte denn die Tagsatzung eine Einheit nennen), wie aller Einheit des Princips, ja, diesen Krieg aller Formen und aller Principien gegen einander, – das nennen sie Schweizerthum, das ist das Nationale; und wenn die Nationalität in diesem Mangel aller Nationalität besteht, in dieser naturwüchsigen Confusion, in dieser absoluten Ohnmacht, zu einem gemeinsamen Geiste, zu einer auch nur leidlich gleichmäßigen Bildung zu gelangen und dadurch unter andern Völkern als eine eigenthümliche Masse etwas zu bedeuten – dann allerdings ist es wahr, »die jetzige Schweiz hat einen vorzugsweise nationalen Charakter«. Herr Bluntschli, so beschränkt er ist, kennt diesen Vorzug, einen Zustand, den jeder Freund der Schweiz hinwünschen sollte, wo der Pfeffer wächst. Die Reaction in der Schweiz, welcher Bluntschli eifrig dient, finden wir eng verbunden mit Deutschland, sie ist wesentlich deutsch, seitdem das Deutschthum sich förmlich zur Reaction constituirt hat. Der Schweizer Nationalismus ist der Sohn des deutschen, aber der in Confusion ausgeartete. Die Nationalitätsmystik, die sich in Deutschland erzeugen mußte, weil das Volk nicht zu erreichen war und man es doch nicht aufgeben wollte, mußte in der Schweiz noch unendlich mystischer und mysteriöser werden, da ihren drei Völkern sogar die Möglichkeit des Einen Volksthums abgeht, während es Deutschland nur an der politischen Einheit fehlt. Der Deutsche findet in den vielen Staaten die deutsche Einheit und in dem Einen Despotismus die deutsche Freiheit – eine etwas starke Phantasie allerdings, aber die des Schweizers ist doch noch stärker: er findet in den drei Nationen die Eine Nationalität und in der unendlichen Getheiltheit der Verfassungen das Individuum der Schweiz und seine Eigenthümlichkeit. In jedem Canton, in jeder Stadt, in jedem Dorf und auf jeder Alp' vor allen Dingen ein eigenthümliches Leben, Natur, Natur! Die Eigenthümlichkeit des Naturwuchses ist die fixe Idee dieser Zustände und ihrer Träger, und da Freiheit des Menschen und natürlicher Zerfall der Natursöhne sich streiten, so soll die Eigenthümlichkeit jedes widerspenstigen Atoms seine Widerspenstigkeit rechtfertigen. Wir haben im Großen von dieser Ansicht gesprochen. Hier wird nicht blos die Existenz, hier wird die Caprice derselben zum Princip gemacht. Dieser eigenthümliche Nationalitätsbegriff ist im Stande, die Heugabeln der Bauern gegen den Fremden, der mit neuen ketzerischen Principien heranrückt, in Bewegung zu setzen, aber nicht mächtig genug, um aus disparaten und naturwüchsig verunstalteten Elementen eine Nation zu machen.

 

23. Die Einfalt des deutschen Patriotismus

Der deutsche Patriotismus, eben so unfähig, eine Nation zu Wege zu bringen, als der schweizerische Nationalismus, sagten wir sei klarer; seine theoretische Aufgabe erschöpft sich in der einfachen Forderung, nicht Franzose zu sein, seine praktische, die er seit vielen Jahren hinter sich hat, in Franzosenfresserei. Die Augsburger Allg. Zeitung verdient auch hier benutzt zu werden, ihre Belege haben den Vorzug neu zu sein, wenigstens zu beweisen, daß sich eine veraltete Sache bis in die neuste Gegenwart herauf zu halten vermocht. Am 24. Februar 1844 verbreitete sich die Redaction selbst über Louis Blancs Aufsatz: »die intellectuelle Allianz Deutschlands und Frankreichs«. Zuerst ist Louis Blanc in jenem Aufsatz religiös und findet, daß die jetzige deutsche Kritik der Religion nur eine Rückkehr zum 18. Jahrhundert der französischen Literatur sei. Dieser Irrthum, der in Frankreich allgemein ist, rührt davon her, daß die heutigen Franzosen ihr 18. Jahrhundert vergessen und unsre neuste Philosophie noch nicht haben kennen gelernt. Es sind viel Ideen untergegangen, es sind andere, die eben so viel werth sind, in den Köpfen unserer Alliirten noch nicht aufgegangen. Sie sind daher religiös und kämpfen praktisch mit der Religion, mit den Jesuiten und den übrigen politischen Gestalten jener Welt, anstatt der Sache, die eine Theorie ist, auch theoretisch beizukommen. Dies ist nun ganz der Fall derjenigen Deutschen, die dem 19. Jahrhundert angehören, ohne die Philosophie desselben zu kennen. Die Redaction der Augsburger Allg. Zeitung ist so gut religiös, als Lamartine, Lamennais, Pierre Leroux und Louis Blanc es ist; und doch redet sie gegen diese Männer. Sie giebt ebenfalls »die Consequenzen des Hegelianismus der äußersten Linken« (von Feuerbach, der den Menschen zum Princip macht und den Hegelianismus für Theologie erklärt, hat sie noch nichts vernommen) nicht zu; Louis Blanc geht noch weiter, »er warnt sogar davor«, und dennoch rümpft die Redaction die Nase! Warum? Die religiösen Franzosen sind aus denselben Gründen nicht für Hegel, nicht für Strauß und die Linke, nicht für Feuerbach und den Humanismus, aus denen der Redacteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung nicht dafür ist, weil sie den Verlauf und den Inhalt dieser Untersuchungen nicht kennen. Warum ist also der Redacteur gegen die, mit denen er übereinstimmt? Weil sie Franzosen sind.

Ferner verdenkt es die Redaction der Augsburger Allgemeinen Zeitung Louis Blanc, »daß er, ohne ein Wort deutsch zu verstehn, sich über Kant, Fichte, Hegel zu Gericht setzt«, – und die Redaction? Sie versteht deutsch, sie versteht vielleicht alle deutschen Worte, aber von der deutschen Philosophie versteht sie dennoch kein Wort; sie ist also jedenfalls noch übler daran, als Louis Blanc, wenn sie über diesen Gegenstand zu reden hat. Sie läßt sich daher auch fortdauernd einen Berliner Taschenspieler als den König der Philosophen verkaufen. Und von wem? Von irgend einem Schwaben oder von irgend einem Berliner. So namenlos diese Jünglinge sind, sie sind ihr Autorität; aber »Louis Blanc hat für sie keine Autorität«, selbst da nicht, wo er ihren Helden lobt. Warum nicht? Weil er ein Franzose ist.

So weit also geht der Widerwille gegen die Franzosen, daß die Redaction gegen sie stimmt, selbst wenn sie mit ihnen übereinstimmt, daß sie ihr keine Autorität sind, selbst wo sie sie für ihre Lieblingsmeinungen citiren könnte! Ja, sie geht noch weiter, sie nimmt sogar die deutschen Philosophen, die von den schlauen Franzosen gemißbraucht und ausgebeutet würden, in Schutz und »bedauert ihre Unerfahrenheit in solchen Händen«. Sind diese französischen Männer nicht fromm, und sind die deutschen Philosophen nicht gottlos, sind sie nicht für die Consequenzen der deutschen Philosophie, und sind die Franzosen nicht dagegen? Müßte die Redaction also nicht umgekehrt jene religiösen Männer gegen die deutschen Philosophen in Schutz nehmen? Warum thut sie es nicht? Weil es Franzosen sind.

Nur eins, so schließt die Redaction ihre Anmerkung, eine Anmerkung, die alle ihre andern Anmerkungen in sich enthält, denn sie hat, wie ein Pferd in der Mühle, nur immer dies eine zu bemerken, wo der Pfahl des Patriotismus steckt, um den sie sich dreht, – »nur eine beachtenswerthe Lehre enthält jener Artikel. Sogar bei der Alliance intellectuelle will Louis Blanc die Rheingrenze. Das mit einigen andern Kleinigkeiten von gleichem Belang wäre also der Preis jener Alliance.«

 

Wer hat den Preis zu zahlen? Herr Kolb? nein! Herr Altenhöfer, sein Mitredacteur? auch nicht! Aber diese Patrioten sagen und fühlen mit ihren Herren und den Herren der Rheinprovinzen: »Wir geben kein Dorf von Deutschland her!« Sie reden, als existirte das heilige römische Reich deutscher Nation noch immer und als wäre jeder von ihnen Reichskanzler. Sie sagen: »ich geb' es nicht her; ich will so schöne Provinzen nicht verlieren«. Eben so will auch Louis Blanc und der National den Rhein haben, weil sie Patrioten sind und weil ihnen der Kaiser und das Reich noch im Kopf stecken. Die Patrioten hüben und drüben klammern sich an die Vergangenheit an. Denn ihre Zeit ist um. Nicht die Völker haben Terrain zu gewinnen und zu verlieren, sondern die Principien, und diese setzen sich keine Grenzen.

Die Patrioten von 1813 und 15 wollen noch fechten; sie haben blutige Träume und rufen wie der alte Capulet: »Wo ist mein langer Degen? Frau, gieb mir meinen langen Degen her!« Die französischen Patrioten wollen die Verträge von 1815 zerreißen und die Ufer des Rheins wieder erobern. Warum nehmen sie sie nicht? Weil sie die Ufer der Seine nicht im Besitz haben. Das jetzige Frankreich hat officiell das System der Fremde in sich aufgenommen, es erobert nicht, es ist selbst erobert. Das Frankreich, welches die Principien der universellen Befreiung aller Menschen noch einmal zu den seinigen machte und glücklicher als das erste Mal in sich realisirte, würde keine neuen Grenzen brauchen, um die Welt zu gewinnen. Nicht die Grenze, sondern der eigne Kern ist die Quelle der Macht, nicht die Schranke des Landes, sondern die Schranke des Kopfes ist zu beseitigen, nicht ein neuer Völkerkampf, sondern der Streit der Principien ist auszufechten, der Patriotismus also nicht aufzuregen, sondern in die Principienfragen aufzuheben. Trachtet am ersten nach der Freiheit, so wird euch das andere alles von selbst zufallen. Es giebt nur Ein Gebiet, das erobert werden muß, das ihrige. Das Vaterland der Freiheit ist das einzige, für das ein denkender Mensch sich erwärmen kann, und der geächteten Freiheit ein Vaterland zu erobern, das ist die einzige Eroberung, auf die er denken darf. Diese Aufgabe kann sich wiederholen; die Völker haben jetzt für einander einzustehn. Ein System, Eine Richtung der Zeit durchdringt sie alle, so weit die Civilisation reicht. Wie sie alle dem jetzt herrschenden System, – in dem die Sachen höher stehn, als die Menschen, und die Menschen wie Sachen verwaltet werden, – unterworfen sind, so ist das neue System ihre gemeinsame Aufgabe. Nichts ist schwieriger, als die Humanisirung der Civilisation, nichts ist gewisser, als daß sie vorgenommen werden muß. Die Zeit bringt Rosen.

 

24. Der Patriotismus der drei freisten Völker

»Mein Land ist das Land der Freiheit!« ein gerechtes Selbstgefühl! aber Freiheit ist ja nicht Eines Landes Eigenthum. Der Patriotismus der Franzosen, der Engländer, der Nordamerikaner hat daher den gemeinsamen Sinn, daß er ein Princip der Freiheit einschließt, und dies hat er vor dem der Deutschen voraus. Sind die Deutschen mit den Barbaren gegen die freien Völker im Bündniß, so sind diese Völker für ihre Principien im Gegensatz zu den Barbaren. Mit der Bildung und Befreiung der Völker kommt dieser Gegensatz nothwendig zum Vorschein. Schon Thucydides sagt: »Homer habe das Wort Barbar noch nicht gebraucht, weil sich die Hellenen noch nicht unter Einem Namen, als ihren Gegensatz ausgeschieden.« Dem Convent war die Fremde und die Coalition die Welt der Barbaren, welche der Freiheit selbst den Krieg machten. Die Marseillaise schildert sie wie wilde Thiere; und diese Ansicht war richtig, obgleich Goethe im Gefolge des Herzogs von Braunschweig war, und sie wird wieder richtig sein, sobald in Frankreich das Princip einer neuen Epoche bekämpft wird. Die Franzosen, Engländer und Nordamerikaner sind die freisten Völker, sie haben Ursache zum Selbstgefühl, zum Stolz auf ihre Geschichte; dennoch ist der Patriotismus dieser freisten Völker nur der Ausdruck ihrer Bornirtheit, so lange sie sich nicht gradezu mit einem Princip der Menschheit identificiren können, und zwar mit einem kämpfenden, von der Barbarei bedrohten.

 

25. Der Patriotismus der Engländer

Worauf sind die Engländer stolz? Auf ihre Herrschaft über wilde Völker? Wenn ein Princip darin ist, so ist es nicht ehrenvoll. Die ganze See- und Weltherrschaft beruht auf dem Handel, auf dem Eigennutz, auf der Ausbeutung der Welt. Es ist die großartigste Form der Civilisation oder der bürgerlichen Gesellschaft, aber auch die schneidendste, die mit Kanonen ihren Opiumhandel aufrecht erhält, eine Civilisation, die von den Asiaten, die sie beherrscht, nicht ganz mit Unrecht Barbarei genannt wird. Was beweist die See- und Weltherrschaft? Die rohe Macht der Civilisation. Aber vielleicht beruht das Selbstgefühl der Engländer auf ihrer Volksfreiheit im Lande? Das Volk ist so wenig frei, daß es kaum im Lande leben kann; der Adel und die Reichen sind aber kein Princip der Freiheit, im Gegentheil der Unterdrückung. Die herrschende Klasse beutet England aus, wie sie Indien und China ausbeutet; sie richtet das arme Volk zu Grunde, in Irland und in England stirbt es vor Hunger und Elend, und alles das im Dienst der Lords und Fabrikanten. Diese menschenfeindliche Klasse herrscht, sie ist mächtig, und dieser englische Nationalstolz hat allerdings mehr Inhalt, als der deutsche Patriotismus. England agirt als Nation und ist die mächtigste auf der Erde, so lange Frankreich nicht zu sich selbst oder Nordamerika zu seinen Jahren kommt; aber die Macht Englands ist die rohe Macht, die Rohheit des alten Germanismus, der die Welt besitzen will, der alten Gefolgsmänner, die Land und Leute unter sich theilen. Und diese Macht, diese Erfüllung des widerwärtigen germanischen Realismus, dieses Bewußtsein des Löwen und des Einhorns wäre eine gerechte Ursache zum Selbstgefühl und zum Stolz einer Nation? Beschämt sollte England sein über die bodenlose Verwahrlosung des Menschen nicht nur in England und Irland, sondern in seinem ganzen Reich, wo die Sonne über den Heloten nicht untergeht. Kein Patriotismus hat es nöthiger, in Humanismus aufgelöst zu werden, als der englische, und keiner scheint dieser Auflösung näher zu sein. Der englische Socialismus ist das Kind des crassen englischen Realismus und der Vater alles Socialismus. Niemand hatte mehr Recht, sein Vaterland ein Stiefvaterland zu nennen, als der verwahrloste Mensch im reichen England; er hat es gethan, und seine Klage ist anhängig bei dem Geschwornengericht seiner Peers in der ganzen Welt der Geschichte.

 

26. Der nordamerikanische Patriotismus

Von dem englischen wenden wir uns zu dem nordamerikanischen Patriotismus. Er ist der demokratische Stolz. Das Volk selbst herrscht nur hier. Es herrscht über die Wilden, über seine Sklaven, es kämpft mit der Natur, es nimmt die Welt in Besitz durch Handel, Schiffahrt und Colonisation; aber mittelst der Civilisation Besitz zu ergreifen, das hat es von seinem englischen Ursprunge und von seiner deutschen Natur. Der entfesselte, völlig blosgelegte Egoismus ist vom stärksten Selbstgefühl begleitet, die Freiheit des Demos ist seine gänzliche Herrenlosigkeit, aber er ist selbst Herr. Die Vertreibung der Wilden, der Besitz der Schwarzen und sonst der Kauf und Verkauf von allem, was existirt, ist eine Äußerung seiner Kraft und Herrschaft. Die Macht und Geltung der Nation ist die Macht der Demo kratie, die Macht des völlig entfesselten Civilisationsmenschen, und diese Macht ist noch fortdauernd im Wachsen, sie nimmt ihr Selbstgefühl aus diesem Aufschwung. Aber der Demos macht sich in seiner ganzen Naturwüchsigkeit zum Princip, und wenn er dem politischen Druck Altenglands und Deutschlands entwandert ist, den Druck seiner eignen inhumanen, rohen Natur und der disparaten, auf den Zufall gestellten Gesellschaft, den ewigen erbitterten Kampf aller gegen alle hat er desto empfindlicher bei sich zu Hause. Die Selbstständigkeit und der Kampf der Vereinzelten gegen einander, eine Concurrenz, wobei sie sich selbst in die Luft sprengen, ein Krieg, der einmal sogar bis zum Duell auf Locomotiven geführt haben soll, ist von Jugend auf die Welt des Nordamerikaners. Schon sein Friede bildet ihn für den Krieg, er kämpft und erobert immer, sowohl im Gewühl seiner Handels- und Gewerbswelt, als in der Colonisation der wilden Natur und im Conflict mit wilden Völkern und Bestien. Aber dieser Friedenskrieg und seine Rohheit, seine Kraft und seine ungeheuren Erfolge sind immer ein sehr inhumaner Grund des nordamerikanischen Patriotismus. Seine Bornirtheit macht schon jeden gebildeten Europäer, der einigermaßen Idealist sein kann, stutzig, und der realistische Humanismus nennt sie die Bornirtheit der bürgerlichen Gesellschaft, welche nicht die menschliche Gesellschaft, sondern den isolirten Menschen und sein MAKE MONEY zum Princip macht.

 

27. Endlich der französische Patriotismus

Er ist der Stolz der Revolution. Er steht dem Humanismus am nächsten; er war so lange mit ihm identificirt, als die Revolution sich für die Befreiung und Rettung der Menschheit erhob. Nur in diesen großen Momenten hat das Feuer des humanen Enthusiasmus existirt und ist auch die gemeinschaftliche Arbeit der Menschen für ihren eignen Zweck eine Thatsache gewesen. Im Grunde aber hatte die Revolution vom Menschen, den sie ausdrücklich vom Staatsbürger unterscheidet, in den droits de l'homme et du citoyen nur den nordamerikanischen Begriff. Sie läßt ihn auswandern aus der feudalen Knechtschaft des Mittelalters und, in der neuen Welt angekommen, mag er nun selbstständig und frei werden, so gut es gehen will: HELP YOURSELF. Die Bewegung der bürgerlichen Gesellschaft als die Arbeit und Angelegenheit des Ganzen zu constituiren, konnte den Männern jener Zeit schon darum nicht beikommen, weil sie die Freiheit entschieden nur in der Constituirung des Staats neben der unconstituirten oder sich selbst überlassenen bürgerlichen Gesellschaft suchten. Können wir jetzt wohl sagen: Um den Menschen frei zu machen, muß man ihn erst schaffen, ihn mit all seinen Bedingungen zum Menschen bilden; so setzt die Revolution den freien Menschen mit allen seinen Bedingungen, der Existenz und der humanen Arbeit voraus, obgleich sie in all ihren convulsivischen Anstrengungen und in ihrem absoluten Verdacht nur das Gefühl ausdrückt, daß diese Voraussetzung irrig und sehr übel begründet sei. Die Tugend, die sie fordert, muß sie überall vermissen, denn eben die Untugend ihrer Zeit hat die Revolution erzeugt. Das Material war nur phantastisch und enthusiastisch, nicht sogleich auch reell umgeformt. Man hatte noch keine neuen Menschen, wenn man das Blut der alten vergoß. Man hatte den Egoismus nicht aufgehoben, wenn man das Opfer proclamirte, ja, man war mit dem Blute der Opfer selbst noch mitten im alten System, im Molochdienste der altreligiösen Welt, welche sich nicht darauf versteht, das Ich zu bilden, sondern nur es zu vertilgen. Es ist nicht zweifelhaft, daß die Revolution den Humanismus zum Princip hat, aber es ist gewiß, daß sie ihn noch inhuman verstand und in ihren Institutionen nur sehr unvollkommen erreicht hat. Die Demokratie der Schreckensperiode, – die man denn doch als die höchste Realität der Revolution anerkennen muß, sie ist siegreiche und wirklich herrschende Demokratie, – opfert alles und alle der kalten Tugend. Die Tugend ist ein menschlicher, ein sittlicher Begriff, wenn sie Menschen arbeit, kein Menschen opfer verlangt; aber der terroristische Tugendheld ist ein Mönch, kein Mensch; und das Opfer des Menschen aus Tugend ist eben so unmenschlich, als das Opfer des Menschen aus Religion. Danton und die sittlichen Menschen, Desmoulin und die Materialisten sind daher Repräsentanten einer fortgeschrittenen Auffassung des Humanismus, deren die Revolution im Ganzen noch nicht fähig war. Die Tugend, welche die Sinnlichkeit und das ganze materielle Weltwesen für ein Unwesen hält und hochmüthig zurückstößt, ist nichts, als Untugend. Diese Untugend war in der Revolution ein politischer und intellectueller Mangel, ein welthistorischer Mangel, der sich aber jetzt erst fühlbar macht und aufheben will. Die Constituirung nicht nur des Staats, sondern seines ganzen Materials, die Aufhebung aller excentrischen Bewegungen im Staat, die Constituirung also der ganzen bürgerlichen industriellen Welt, ist eine Aufgabe, welche die alte Revolution nicht fassen konnte und deren Lösung auch für einen neuen Aufschwung der Menschheit vielleicht noch unerreichbar bleibt. Es fehlte jener Zeit nicht an Kühnheit, aber es fehlte der Welt an der Entwicklung der Verhältnisse bis zu diesem Punkt, und so blieb die Welt religiös und spiritualistisch. Ihr Reich ist nicht von dieser Welt. Die Tugend und die Freiheit scheinen unmöglich zu sein; denn alle Untugend und die eiserne Unterdrückung entsprang von Neuem aus der Revolution. Nicht einmal ihr Ideal, die nordamerikanische Demokratie, hat die Revolution erreicht, der revolutionäre Patriotismus konnte daher noch viel weniger der humane bleiben, als es der nordamerikanische und englische ist, er wurde der militairische, der Tugendheld (Robespierre) wurde der Kriegsheld (Bonaparte), die bürgerliche Tugend der kriegerische Ruhm. Der Held erklärte nun auch die constituirte Staatsfreiheit für überflüssig und der militairische Patriotismus ist unmittelbar wieder der alte principlose. Für Frankreich im Allgemeinen konnte man sich allerdings auch unter den Fahnen eines Imperators interessiren. Man setzte seine Größe in die Erweiterung seiner Grenzen und seine Arbeit in das kriegerische Talent, dies zu bewirken.

Der Geist des Patriotismus ist militairisch und das Militair der constituirte Patriotismus. Wir haben dies erörtert. Mit Napoleon sind wir daher wieder bei der Realität der alten Welt angelangt. Die Realität der neuen Welt hatte sich durch die Revolution nicht begründet. Die menschliche Existenz und das wirklich menschliche Leben aller Menschen war nicht erreicht, der Realismus der alten Welt, von dem Kaiser bis zum Bettler, von dem Pabst bis zum letzten Priester, die alte Politik und die alte Religion, die alte Theorie und die alte Praxis stellte sich wieder her. Die Consequenz war unerbittlich und bis auf Namen und Personen kam das alte Regiment wieder über das neue Frankreich eben darum, weil es nicht reell, nicht durch und durch neu geworden war.

 

28. Schluß

Patriotismus und Religion sind auch in Frankreich der Ausdruck der alten Ordnung der Dinge. Sie ist die Unordnung der Menschenwelt, in welcher die Dinge über die Menschen herrschen, in welcher die verwahrloste Existenz in der Welt und das vollkommene Wesen außer der Welt die dämonischen Principien bilden und – »Menschenopfer fallen unerhört«.

Die neue Ordnung der Menschenwelt ist dagegen noch einmal das Problem geworden, für dessen Lösung Frankreich seine Erfahrung, seine Talente und seine Kühnheit aufbietet. Diese Aufgabe ist frei von patriotischer Beschränktheit. Deutschland dagegen hat nicht politisch, es hat nur wissenschaftlich agirt, es hat keine radicale Parthei, aber es hat ein radicales Bewußtsein erzeugt. Die deutsche Philosophie war patriotisch, als Deutschland noch die Freiheit der Philosophie proclamirte; sie hat den Patriotismus ablegen müssen, weil kein Grund, auch kein theoretischer mehr für ihn vorhanden war, sie hat ihn abgelegt, weil sie seine Grundlosigkeit und die Illusion, auf die er überall gegründet ist, erkannt hat; aber sie weiß es, daß in ihrem Princip, und also im Aufgeben des Patriotismus selbst, einzig und allein die Ehre Deutschlands vor dem Richterstuhl der Geschichte gerettet ist, während der zurückgebliebene Patriotismus alle Schande zu seinem Inhalte nimmt und die einzige Ehre seines Vaterlandes, die philosophische Arbeit, die Lösung der theoretischen Sklaverei des Menschengeschlechtes ausstößt, verfolgt und verwünscht.

Es ist für das Princip des Humanismus unumgänglich nothwendig, wie dies auch geschieht, sich an alle geschichtliche Nationen zugleich zu wenden, um in allen sich eine Parthei zu bilden. Aber diese That ist selbst Princip, sie ist daher eben so freiwillig, als sie nothgedrungen war.

Selbst der Patriotismus für ein menschgewordenes Volk wird sobald nicht möglich – und eher wird die Humanisirung des Patriotismus überhaupt nicht möglich. Mag also der Patriotismus bleiben, wo er hingehört, und untergehn, wo seine Zeit vorüber ist, wir können ihn so wenig bedauern, als wir die Religion und den Cultus all ihrer gestorbenen Götter bedauern. Man wird sich nicht opfern, nein; aber wir haben gesehn, daß die Arbeit freier Menschen an die Stelle der aufgeregten Opfer tritt, ja, die Geschichte selbst, – nennen wir nur Mirabeau und Carnot, – hat schon hervorragende Männer erzeugt, die eine solche Arbeit ohne Fanatismus öffentlich ausgeführt; also wird Niemand zweifelhaft sein, ob diese Arbeit, wenn sie allgemein wird, die Penaten der neuen Freiheit rettet oder in Gefahr bringt.

Jetzt existirt diese Freiheit ohne Haus und Heerd, jetzt ist sie in Gefahr; aber diese Gefahr alterirt sie keinen Augenblick. In den Köpfen derer, die sie in aller Fremde für sich gewinnt, entzündet sie ihr ewiges Feuer, sicher daß es die ganze geschichtliche Welt ergreifen und all ihre bösen Schäden ausbrennen wird.

Nur einen Schaden giebt es, den keine sittliche Weltordnung curiren kann, den physischen, der die Geschichte selbst klimatisch beschränkt, und nur diesen Unterschied der Menschen lassen wir dem Patriotismus übrig. Wenn er sich behaupten will, muß er zuletzt mit ihm der Bildung und Versittlichung der Welt entgegentreten.

Wer also ist noch patriotisch?

Die Reaction.

Wer ist es nicht mehr?

Die Freiheit.


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