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Aus einem offenen Brief zur Verteidigung des Humanismus an Robert Eduard Prutz

Vortrefflicher Prutz!

Als ich im Mai des vorigen Jahres Dir einen Theil meiner gesammelten Schriften widmete, hatte ich noch keine Ahnung davon, daß Du in dem heißen Kampfe der rohen und humanen Welt, den wir erleben, »die patriotische Partei« ergreifen, dem Humanismus einen Absagebrief (den Brief: Vaterland? oder Freiheit?) schreiben und mir wegen meines Angriffes auf das Princip der Reaction – denn das sind ja die rohen Volksgeister und ihr übelbegründetes Selbstgefühl, es ist der Patriotismus der nichthumanisirten Völker – den Fehdehandschuh ins Gesicht werfen würdest; eher hätt' ich an Menzel oder an die Augsburger Zeitung gedacht! Es ist geschehen; ich nehme Deinen Handschuh auf. Ich berühre Deinen Schild und sage Dir: Patriot, Dein »freies Vaterland« ist nicht frei; Deine »patriotische Partei«, die das Vaterland beherrscht, wußte seine Fesseln nicht zu lösen.

Vaterländisch und human sind Gegensätze; um so schlimmer, da sie es nicht sein sollten.

Vaterländisch ist der Unterthan ohne politisches Recht; human wäre der Staat freier Bürger.

Vaterländisch ist die Inquisition und das heimliche Gericht durch besoldete Diener des Landesherrn; human wäre das Gericht auf offenem Markt vor geschworenen Bürgern.

Vaterländisch ist die Censur und die Unzurechnungsfähigkeit des Autors, das Verbot der Schriften und Vorlesungen; human wäre jedes Menschen Recht frei zu schreiben und zu reden und für sein Wort selber einzustehen – nur vor den geschworenen Richtern, seinen Mitbürgern.

Vaterländisch ist die Proklamirung neuer »Religionsedicte«; human wäre die Fahne Friedrichs II., Lessings, Kants und Goethes.

Wenn Dein » freies Vaterland« existirt, und Du dringst ja so sehr auf die Existenz, wie kannst Du für diese Freiheit patriotisch sein? Wenn Du aber nur für das künftige, einmal zu befreiende Vaterland patriotisch bist, so wärst Du ja für das ganze Programm des Humanismus, was also schreibst Du gegen mich, der ich es proklamire? – Patriot, Liebhaber des zukünftigen Vaterlandes, mache ein Lied »an die zukünftige Geliebte«, wie Klopstock, als er keine hatte, aber sage nicht, daß Du verliebt bist, Du willst es erst werden.

Das Vaterland fehlt uns; darüber klag' ich mit Dir. Dagegen »die patriotische Partei« ist vorhanden; sie ist vorhanden in Arndt, Jahn, Görres, Menzel, Kolb, Bülau, einigen Hochgestellten und vielen Freiwilligen von 1813 und 1815. Patrioten ohne Patria!

Eine neue patriotische Partei wirst Du nicht gründen.

Jede neue Partei, die jetzt existiren will, muß die humanen Freiheitsformen im Staat, in der Presse, in Kunst und Wissenschaft, im Kultus und im Gericht auf ihre Fahnen schreiben, und in Deutschland nicht im Allgemeinen Deutschland, sondern die bestimmten Reformen in den wirklichen Staaten, wodurch freie Männer geschaffen werden, wollen und ausführen. Jede Partei, die dies nicht thut, fällt auf die Seite der alten »patriotischen Partei«, die dies unterlassen hat.

Das allgemeine Gerede von Deutschland und seiner Herrlichkeit ist hinderlich; die Einsicht hingegen, daß jene Reformen, die bei fremden Völkern realisirt sind, jedes Menschen Erbtheil und Eigenthum seien, ist förderlich. Das Wort »Deutschland« bedeutet jetzt nichts anderes, als die Abwesenheit der humanen Staats- und Geistesformen, die wir oben aufgezählt. Das Wort » menschliche Freiheit« hingegen bedeutet in allen Punkten, daß wir, wie jeder Mensch, welche Sprache er auch spricht, jene Formen nicht entbehren können, und wo die Anfänge dazu vorhanden sind, sie möglichst rationell ausbilden müssen.

Und über dieses einfache, aber gerade jetzt unendlich wichtige Dilemma gerathe ich mit Dir in Streit? Du, ein Freund der Griechen, trittst auf die Seite des Naturwuchses, die Menschen sind Dir »die Nervenenden der Erde«, Du läßt Dich einschreiben bei » der patriotischen Partei« und lehnst Dich auf gegen die Humanität, das Einzige, wodurch die Griechen Griechen sind?

Das Princip trennt, täusche Dich darüber nicht! Ist es Dir Ernst mit dem »patriotischen Naturwuchs« und der ganz aparten »deutschen« Freiheit, so gratulir' ich unsern Gegnern zur Acquisition Deiner Feder, nicht aber Deiner Feder zur neuen Farbe; und so schmerzlich mir es ist, ich wiederhol' es, »würden alle meine Freunde aus freien Männern verstockte Patrioten, so müßt' ich mir ihren Verlust gefallen lassen. Das Princip kann man auch seinen Freunden nicht opfern; wer es opfert, wurde nie von ihm geleitet. Was ist es andres als das Herz, die Seele, das Ich, der ursprüngliche sich selbst bewegende Punct der Entwickelung? – Der Patriotismus ist die Seele von 1813. Auch die Seele unserer Partei sucht es dahin zu bringen, die ganze Nation zu bewegen; wenn ihr dieser Gegenstoß gelungen ist, so werden wir »Patrioten«, – aber Patrioten der Humanität und eines neuen Völkerrechtes, des Rechtes der humanisirten freien Völker.

Die Auflösung des Patriotismus in Humanismus ist weiter nichts als die Auflösung des Dialektes in die Kultursprache. Ein gebildeter Berliner spricht schön, der Berliner Dialekt ist abscheulich. Der gebildete Berliner verliert den Charakter der Gasse, aber er verliert den Charakter nicht, wenn er die Schriftsprache rein und ohne hörbaren Dialekt spricht, im Gegentheil, er zeichnet sich dadurch sehr eigenthümlich vor den Millionen aus, die es zu dieser Bildung nicht bringen können.

Nicht der Untergang der Dialekte, die Zähigkeit der lokalen Mißtöne und habituellen Rohheiten, das ist das Unangenehme, das Verderben der wahren Erscheinung, der Schönheit.

In der Politik ist es nicht anders. Die nationale Zähigkeit braucht nicht gepflegt zu werden. Unkraut verdirbt nicht, so kalt auch der Winter ist.

Aber der Stolz unserer vorgeschrittenen Zeit, die einzige Entschuldigung, wenn wir dem Alterthum ins Gesicht sehn müssen, ist, daß Ein menschliches Princip alle Kultur völker in einen großen Bund vereinigt hat.

Die Auflösung des Patriotismus in Humanismus ist die Freiheitsfrage der neuesten Geschichte.

Sie ist es nicht nur bei den Philanthropen, Socialisten, Republikanern. Sie ist es auch in der großen Politik.

Alle wirkliche Politik ist schon jetzt Kosmopolitik. Sie ist es in England, in Rußland, in Frankreich; sie war es in der heiligen Allianz. Die Kulturvölker sind nicht ohne den Rath der Amphiktionen geblieben.

Nun löset die heilige Allianz durch den Bruch der Verträge mitten im Frieden, den die einseitige Aufhebung Krakaus offenbar gemacht, das Völkerrecht von 1815 selber auf; die Engländer und Franzosen stehen ihr gegenüber und haben mit lauter Stimme gegen diese Verletzung des allgemeinen Rechtes in Europa protestirt.

Wir sprechen hier nicht von der Gefahr, den Codex der Menschheit, den die großen Friedensschlüsse sanktioniren, willkürlich aufzuheben. Uns interessirt nicht der gefährdete Angreifer auf das Gesetz, sondern die Wiederherstellung des Völkerrechtes, DU CONCERT DES NATIONS. Eine Neubildung steht ihm bevor. Die Völker müssen sich wieder in Einem Princip und in einer bestimmten Fassung desselben vereinigen; aber es ist keine zweite heilige, es ist nur noch eine humane Allianz möglich. Das anerkannte Princip der menschlichen Freiheit und nur dieses, nicht das Bekenntniß der christlichen Dogmen und die Verkennung der ethischen Wahrheit die das Christenthum enthält, vermag von jetzt an den Congreß der Völker zu constituiren.

Die Patrioten vergessen die inneren Freiheitsgesetze über dem Namen des ganzen Volks, und die Freiheitsgesetze der ethischen Welt über ihr einzelnes Volk.

Übrigens macht kein Princip an der Grenze der Völker Halt, selbst das patriotische nicht, denn es verfolgt ja den Feind in sein Land hinein; und die verkörperten Principien, die Parteien, haben immer die Völker durchdrungen; Hippias war bei dem Perserkönig, die Emigranten bei dem Herzog von Braunschweig, die Royalisten bei dem alten Blücher, Gustav Adolph für die Deutschen, Cromwell für die französischen Protestanten, Lafayette für die amerikanische Freiheit, Thomas Payne und Clootz im französischen Convent und ein Korse der Bravo des 18. Brumaire in St. Cloud. Am allerwenigsten kann die Freiheit sich Grenzen setzen, so lange noch eine menschliche Seele nicht gewonnen ist.

Darum ist das Christenthum wohlthätig geworden, weil es die Völkerfamilie, das Völkerrecht und den konstituirten Weltfrieden möglich gemacht hat. Das Christenthum ist eine Form des Humanismus, die religiöse. Die Freiheit ist eine andere, die politische.

Gegen diese neue Form des Humanismus, die allerdings auf einen Universalstaat, in dem alle Völker nur Provinzen sind, ausgehn muß, opponirte sich in den Koalitionen der Zorn der rohen Volksgeister Europas und siegte über den Verräther der Freiheit, über Napoleon, er siegte im Namen des » Völkerrechts«. Vortrefflich! aber die Völker legten zu viel Gewicht auf ihre anonyme, unsägliche Individualität, auf ihr Volksthum, auf ihre Natur, auf den rohen Dialekt, auf die aparte Sitte, auf die alte Krankheit ihrer angestammten Gesetze; sie vergaßen die Freiheit, ihre gemeinsame Aufgabe, sie versäumten die politischen Formen, die den Menschen erst sein wahres Wesen erreichen lassen.

Es gibt seitdem nach den beiden Principien der » Naturwüchsigkeit« und der » Freiheit« zwei große Parteien. Diese kämpfen in allen europäischen Kulturstaaten mit einander und werden zuletzt durch einen großen ernsten Principienkampf

das neue Völkerrecht des politischen Humanismus gründen.

Das Völkerrecht von 1815 ist » die heilige Allianz«. Deutlicher konnte man den alten Humanismus, durch den die aufgehetzten Volksgeister wieder versöhnt werden mußten, nicht aussprechen.

Der Form nach that auch » die heilige Allianz«, was dem Rathe der Völker zukommt, sie ordnete die europäischen Verhältnisse; aber sie ordnete sie nicht im Sinne der Freiheit, sondern als ihre Gegnerin. Es ist klar, daß erst der Kongreß aller Kulturvölker der Erde, von dem freien Inhalt ausgefüllt, der richtige wäre.

Und diese Erscheinung ist nicht unmöglich, vortrefflichster Naturfreund, ja, sie ist schon jetzt als unvermeidlich anzusehen, wenn sie auch den imposanten Rath der Amphiktionen, der in Aachen, Wien und Verona saß, bei Weitem überstrahlen wird.

Nicht also die Aufgabe des Humanismus, in allen Verhältnissen dem Menschen zu seinem Rechte zu verhelfen, ist eine unmögliche; wohl aber ist es die des Patriotismus, auf Ein Volk den Accent zu legen, durch die gleiche Religion und Kultur der Völker Europas schon längst geworden. Selbst die Empörung der Völker gegen die »große Nation« hatte darin Recht, daß sie diese Unmöglichkeit bewies, und die vereinigten Völker wären eine Erscheinung des wahren Princips, der Menschheit, gegen das falsche, der ausschließlichen Nationalität, gewesen, hätten die vereinigten Völker die Freiheit und Bildung gehabt, welche dem wahren Menschen zukommt. Aus ihrem LIGNUM wurde kein MERCURIUS.

Das Allgemeine, von dem jede ethische Realität (der Mensch, die Familie, die Gemeinde, der Staat) ihren Werth empfängt, ist die Humanität, ein anderer Name für Vernunft und Freiheit.

Die Nationalität hat diese Bedeutung nicht; sie ist im Gegentheil der Unterschied der Nationen und der nationalen Menschen. Die Nation also erhebt sich zur Würde einer wahren ethischen Existenz nur, wenn sie ein humaner, ein freier, vernünftig geordneter Staat von freien Menschen ist. Die Nationalität der freien Nation ist Humanität, wie der Dialekt des gebildeten Berliners reine Schrift- oder Kultursprache ist, und wie selbst die LINGUA TOSCANA IN BOCCA ROMANA nichts Anderes als diese Reinigung bedeutet.

Ich komme jetzt zu Dir zurück, mein naturwüchsiger Philosoph. Du bist ein großer Übelthäter, der Du die Verwirrung Deiner unklaren Tiraden in diese Bestimmungen hineinträgst, die Jedermann durchschauen muß, der als Politiker auftritt.

Wenn ein Mann wie Menzel oder sonst einer der vielen altdeutschen Überreste für den Geist der Freiheitskriege und die durch ihn gesicherte Reaktionsperiode schreibt; so antwortet man dieser Vergangenheit und ihren Perücken mit Verachtung, dreht ihnen den Rücken und schaut hinaus in die neue Periode nach den frischen Locken ihrer Simsons. Wenn aber ein junger Mann, dessen Name einen guten Klang in der befreienden Literatur hat, seine Feder in die alte Lauge des »Naturwuchses« taucht und die Baum-, Fluß-, Felsen- und Landkartenpolitik, die uns seit 30 Jahren zum Narren hat, in einer neuen Schwulstrede wiederholt, so würde es zweckmäßig sein, den Sirenengesang des jungen Feindes auf die Noten der Philosophie zu setzen, auch wenn er weniger herausfordernd gesungen wäre als der Deinige; und ich hoffe, Du sollst mit der Deutlichkeit und auch wenn Du willst mit der Kunstmäßigkeit meiner Antwort zufrieden sein.

Mein Dilemma war: Wer ist noch patriotisch? Die Reaktion. Wer ist es nicht mehr? Die Freiheit. Du schreibst gegen mich, aber Du wiederholst nicht meine Frage. Du fragst nicht, wie ich, kann man jetzt noch patriotisch sein oder muß nicht vielmehr Jeder, der frei sein will, allen Patriotismus so lange ablegen, bis er Ursache hat, ihn zu fassen, nämlich bis er den freien Staat gegen die Barbaren vertheidigt, wie ich denn auch den »humanen Patriotismus« der französischen Republik gerechtfertigt fand. Ich sagte mit Einem Wort: » Der Patriotismus ist das Selbstgefühl der Republik, Vaterlandsliebe das Heimathsgefühl der Naturvölker.«

Es ist also doch klar, daß ich nicht den ehrlichen Patriotismus, zu dem man durch die Lage des Staats genöthigt ist, sondern den verrückten und den verruchten Patriotismus, den man für jeden Staat und den man gegen die Freiheit haben will, den erheuchelten und den unbegründeten, angreife, wobei es sich von selbst versteht, daß mit dem Siege des Humanismus aller Grund zum kriegerischen Patriotismus wegfällt und mit der innern Konstituirung des menschlichen freien Gemeinwesens nur ein Gefühl der Gesundheit oder der ungestörten Lebensbewegung übrig bleibt, auf welches man kein Gewicht legt, wenn man nicht krank ist, das aber darum nicht minder das höchste Gut ist.

So lautet meine Frage, sie lautet in meiner Abhandlung über den Patriotismus und gegen den inhumanen Patriotismus wörtlich so; und meiner Antwort auszuweichen, ist nur möglich durch die Aufstellung einer ganz neuen Frage, die freilich so einfältig ist, daß sie kein Mensch jemals gethan hat, der seine fünf Sinne beisammen hält, am allerwenigsten ich.

Du fragst: Vaterland? oder Freiheit? und Du antwortest: » das freie Vaterland« und » die patriotische Partei«.

Du hast Dir nicht überlegt, daß »mein Vaterland mein Staat« heißt. Die Fiktion von einer reinen Stamm- und Sprachgenossenschaft, von einem Zustande vor der Zeit, wo mehr oder minder rationelle Staaten die ganze Erde in Besitz nahmen, wäre viele tausend Jahre zu spät. Wenn ich in England » mein Vaterland« verliere, kann ich es in Nordamerika wieder gewinnen, seitdem nämlich Nordamerika ein Staat ist. Du siehst, nur der Sklave hat kein Vaterland, und der Staat ist natürlich entweder die Freiheit oder er ist kein Staat, sondern eine Pflanzung, ein Besitzthum. Die verschiedenen Pflanzer oder Guts- und Sklavenherren bilden dann aber immer wieder einen Staat. Sie haben ein Vaterland, nicht ihre Sklaven. Vaterland? oder Freiheit? konntest Du also wohl fragen, denn Du hast es gethan. Ich aber nicht, denn mit Deiner und aller teutonischen Geographen Erlaubniß, es ist Unsinn: Vaterland ist Staat und Staat ist Freiheit oder er ist kein Staat. Die Amphiktionen in Frankfurt oder in Verona waren eine republikanisch konstituirte Gemeinschaft. Mit dem Unsinn, den Du mir aufbürdest, als wollte ich eine Freiheit ohne Vaterland gründen, ziehst Du nun gegen mich aus, und obgleich ich Dir durchaus nicht widerspreche, wenn Du Deine Frage absurd findest, so muß ich doch dafür herhalten. Du ziehst die ganze Rüstung der naturwüchsigen und deutschtollen Harlekinade an und reitest die revolutionsfresserische Rosinante der Reaction. Du beginnst mit der gewöhnlichen Ironie gegen die Jakobiner folgendermaßen:

»Hebert hat gesprochen, der Convent hat abgestimmt; IL N'Y A PLUS DE DIEU! Das Vaterland existirt nicht mehr! Nationalgefühl, wie bornirt! Patriotismus? welch ein zurückgebliebener Standpunkt!«

Ja wohl, wie bornirt! und mehr als zurückgeblieben, zurückgekommen und heruntergekommen! Der Convent mit seinen Glaubensdekreten scheint Dir dumm zu sein, ohne Zweifel weil er kein Concilium von Theologen war, denn von denen bist Du es doch gewohnt, daß sie die Eigenschaften Gottes festsetzten? Ich dächte, sie hätten noch im vorigen Jahre ein Glaubensbekenntniß dekretirt. Und das Vaterland? das geographische Deutschland existirt, Du überzeugst Dich alle Jahre davon, indem Du es an verschiedenen Orten inspicirst, aber daß der Staat Deutschland nicht mehr existirt, das habe nicht ich dekretirt, das hat auch der Convent nicht dekretirt. Wenn Du Dir's aber genauer überlegst, wirst Du finden, daß allerdings die Dekrete des Convents unter andern auch eine Ursache davon sind. Und ob das Nationalgefühl, das Bewußtsein der Stammgenossen bornirt sei? Es ist ja die Bornirung auf diesen Stamm. Aber der Patriotismus, den Du sehr gewählt einen » Standpunkt« nennst, wenn er dem deutschen Staate, der nicht mehr vorhanden ist, gilt, so ist er freilich zurückgeblieben, ein Phlegma, kein Spiritus; gilt er aber dem kommenden Staate, so warne ich Dich, mit diesem Spiritus in Deutschland nicht unvorsichtig umzugehn. Als Redensart ist er eine Gaukelei, als Ernst ist er ein dreißigfacher Hochverrath.

Allerdings in der Fluth des thörichten Nationalismus mitschwimmen, heißt für den Augenblick, wie es scheint, einem großen Publikum seinen Willen thun, und wenn man nichts wünscht, als » die Sympathieen dieses Publikums«, so ist es vielleicht praktisch. Gutzkow schrieb einmal an Heine: »Die Welt wird wieder moralisch, hören Sie auf frivol zu sein!« Und zu dieser Politik wäre Robert Eduard Prutz avancirt? Ich achte Heine höher, der nicht aufhörte er selbst zu sein, als seinen Rathgeber, der »in dem Publikum seinen Meister verehrte.« Ich halt' es aber auch nicht einmal für praktisch. Wer die Welt für seine Idee gewinnen will, kann leicht von ihr dafür gekreuzigt werden; wer aber nichts will, als was auch ohne ihn die Welt schon will, der will etwas völlig Überflüssiges, und eine mir unbekannte Logik gehört dazu, das Gelingen eines schon Gelungenen, das Thun einer schon vollbrachten That, das Tödten eines Todten »praktisch« zu finden; – ich nenne es überflüssig.

Nein, lieber Freund, ich verstehe Dich nicht. Deinen Schreck über die Humanisirung aller Nationen, die ich verlange und die Du mir schließlich zugibst, und Dein Bedauern über meine Beleidigung des »Meister Publikum« verstehe ich eben so wenig, als ich jenen Regierungsrath verstehe, der einmal sagte: »Der Ruge ist doch verrückt, er will einen Staat ohne Pöbel, ohne Priester und ohne Soldaten!«

Du deklamirst S. 71 Deines Aufsatzes: »Vaterland? oder Freiheit?« so: »Das Volk weiß mehr vom Vaterlande, von dem es sich umgeben fühlt, das zu ihm spricht im Rauschen seiner Bäume, im Duft seines Weines, im geheiligten Laut seiner Sprache, in tausend und aber tausend Erinnerungen und Denkmalen, als von der Freiheit (!), von der es nicht weiß, wo sie wohnt, deren Zauber es nie empfunden hat, die ihm keine Gestalt, kein Bild, keine Anschauung gewährt und wenn Du ihm sagen wolltest, daß sie krapprothe Hosen (!) trägt.«

Poesie! aber wahrlich keine unsterbliche und auch keine politische! vielmehr die vollkommenste Abstraction von der ganzen Sphäre der Politik, von der ganzen ethischen Welt. Man glaubt einen Höhlenbären philosophiren zu können! Ich sage Dir, die Freiheit kennt Jeder. Das Kind, das seine Mutter kennt, der Knabe, der mit seinen Freunden und Feinden lebt, der junge Mensch, der in die menschliche Welt geht, statt in dem romantisch rauschenden Walde sich zu verirren, fühlt sich in der Freiheit und fühlt gleich, wo ihn eine freie Gesellschaft und wo ihn eine tyrannische »umgibt,« denn nicht die Gegend umgibt den Menschen, sondern die andern Menschen sind seine Umgebung, mit ihnen geht er um und sie mit ihm. Und Du behauptest: »Das Volk weiß nichts von der Freiheit?« welch' eine abstrakte Blasphemie: Es lebt immer in irgend einer, wenn es anders ein Volk ist, ja selbst der Sklave und der Gefangene, der gewiß nicht zuviel von der Freiheit hat, weiß von ihr und wie lebendig! Wenn aber ein Volk wirklich nichts von der Freiheit wüßte, so lernt es sie kennen durch klarere Köpfe als Du einer bist, und verlaß Dich darauf, es wird »das Rauschen seiner Bäume« verachten, das von dem Geklirr seiner Ketten unterbrochen war. Der Freiheit ein Vaterland zu erobern, das hat noch jedes Volk verstanden, das ein Volk war.

Und nun noch einmal, der Freie ist nicht des Freien Feind, freie Völker sind auch vom Nationalhaß frei. Ist aber das Selbstgefühl eines Volkes positiv, so ist es das Gefühl der freien politischen Bewegung, und dies ist nothwendig politische Parteibewegung und geregelte Parteibewegung, weil die Prinzipien sich in Parteien verkörpern müssen. Das Vaterland ist das Vaterland der Freiheit, der freie Staat. Die erste Partei, die für ihn auftritt, wird das Recht haben, sich eine patriotische im positiven Sinne zu nennen. Gegen diese wurde nicht geredet, wenn der Nationalität die Humanität entgegen- und zum Zweck gesetzt wurde. So aber wird es ewig bleiben; kein Gott kann es ändern und kein Poet.

Lieber Prutz, in der Politik wird auf die Prinzipien die Probe gemacht, sie ist für Niemand gefährlicher als für den Naturalisten, darum bekehre Dich zu den Penaten der Philosophie. Nur so kann es Dir auch gelingen, was Rechtes zu dichten. Schiller verstand den Kant, Goethen befreite Spinoza. Auf Wiedersehn also nicht in den germanischen Wäldern, sondern im Feldlager der deutschen Philosophie!


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