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XXIV.
Olivias Erinnerungen.

Tante Gretchen und ich hielten noch immer Wache. Nun zum ersten Mal, als wir aufhörten die arme erschöpfte Gestalt zu beobachten, begann ich auf das Geräusch draußen zu achten, und ein leises Grauen beschlich mich, indem ich auf das langsame Plätschern des Wassers in den Binsen und auf das Sausen, Pfeifen und Wehklagen des Windes in den entlaubten Bäumen des Waldes im Hintergrunde lauschte. Besonders aber war es eine knorrige alte Eiche gerade vor dem Hause, deren dürre Aeste im Winde krachten, als ob es todte Balken und nicht lebendige Zweige gewesen wären.

Oft vernahm ich auch lange Seufzer und Wehklagen, wie von menschlichen Stimmen, und überredete mich nur mit Mühe, daß es Einbildung gewesen. Endlich aber ließen sich Laute vernehmen, über die wir uns nicht täuschen konnten – leises Pfeifen, kurzes eigenthümliches Rufen, worauf andere Stimmen antworteten, so daß wir endlich überzeugt waren, daß eine Schaar Männer in der Dunkelheit hier in der Nähe herumschleichen mußte. Zuerst dachten Tante Gretchen und ich, es könnten wohl die Hexenjäger sein, welche abermals Gammer Grindle holen wollten, und sachte verrammelten wir die Thüre wieder mit den Klötzen. Aber bald vermischten sich andere Töne mit diesen menschlichen Stimmen, wie das Brüllen rasch fortgetriebener Viehherden. Plötzlich fiel mir meine Begegnung an demselben Morgen mit den königlichen Reitern ein, seitdem mir, wie seit Allem, was vorgefallen war, Wochen vergangen zu sein schienen.

»Es ist Sir Launcelot und die Plünderer!« rief ich aus.

»Dies erklärt uns auch, warum man nicht nach uns geschickt hat,« sagte Tante Gretchen. »Sie haben ohne Zweifel versucht, zu uns zu kommen, und es nicht vermocht.«

Und nun lauschten wir von Neuem.

Hierauf hörten wir ein sanftes Pochen und einen leisen Ruf ganz nahe bei der Thüre, dann einen schweren Stoß, als ob etwas zu Boden gefallen wäre. Allein, obgleich wir mit zurückgehaltenem Athem horchten, so vernahmen wir doch keinen zweiten Laut, und die alten schauderhaften Geistergeschichten, die sich hier zugetragen haben sollten, kamen uns wieder in den Sinn und hielten uns wie gelähmt.

Jetzt fing es allmälig an zu dämmern, und die Lampe am Fenster schien roth und düster zu brennen.

Wir kauerten dicht neben einander bei der erlöschenden Gluth des Feuers, hielten uns fest bei der Hand und horchten.

Die Stimmen näherten sich, so daß wir sie deutlich unterscheiden konnten, und zugleich Menschen und Pferdegetrappel; dann hörten wir Reiter aus dem Sattel springen und sich der Hütte nähern.

»'s ist die Höhle der alten Hexe,« sagte eine rauhe Stimme; »sie brennt ein Licht für den Teufel. Es ist noch Keinem gut bekommen, der sich in ihre Nähe gewagt hat.«

Lautes Gelächter erscholl, und dann ließ sich Sir Launcelot Trevors spöttische Stimme vernehmen:

»Man sollte glauben, Ihr wäret einer von den Rundköpfen nach dem Respekt, mit dem Ihr den Namen des alten Feindes nennt. Jedenfalls leben Hexen nicht wie Heilige von der Luft und vom Gebet. Wir werden in dieser bitterkalten Nacht uns mit den Vorräthen des alten Weibes ein wenig stärken und erwärmen können. Vielleicht findet sich etwas Sect oder Meth und ein Paar fette Kapaunen, die sie aus den Kellern und Speisekammern ehrlicher Leute herausgehext hat. Bleibt hier, wenn Ihr Euch fürchtet. Ich will dieses Hexenschloß für Euch stürmen.« Mit großen, schweren Schritten näherte er sich der Thüre. Mit klopfendem Herzen erwarteten wir die schwache Thüre von einer starken Hand gerüttelt und erbrochen zu sehen. Allein statt dessen hielten die Tritte plötzlich inne, und wie von einer unsichtbaren Hand an der Schwelle getroffen, schien der Eindringling erschrocken zurückzuweichen.

Dann hörten wir einen Ausruf des Erstaunens und Abscheus, der in einem schrecklichen, leisen und tiefen Fluche endete, sehr verschieden von Sir Launcelots gewöhnlicher Prahlerei. Hierauf machte er einige hastige Schritte zurück, und warf, als er zu seinen Leuten gelangte, in seinem alten leichtfertigen Ton einige Worte hin, aber so übereilt und wild, wie Einer, der sich zum Scherzen zwingt.

»Ihr mögt Recht haben, Jungens. Sei es nun schwarze oder weiße Kunst, besser sich an menschlich gebrautes Bier zu halten, als etwas aus dem Kessel einer Hexe trinken, oder etwas von ihrer Brut berühren. Ueberdies wird das Landvolk bald auf den Beinen sein, und wir müssen uns beeilen, daß wir unsere Beute in Sicherheit bringen. Vorsichtig! Nehmt Euch an dem verfluchten Ort vor den Fallgruben in Acht.«

Hierauf hörte man das Geplätscher der Pferde zwischen dem Schilfrohr am Rande des Sees; dann lautes Getrappel, als sie festeren Boden erreicht hatten, dem ein scharfer Galopp über die Wiese folgte, bis endlich jeder Laut in der Ferne erstarb und nichts mehr die uns umgebende Stille unterbrach, als das Plätschern des Wassers zwischen den Binsen und die schweren Athemzüge der schlafenden, alten Frau, während wir das langsame Dämmern des Morgens beobachteten.

Noch hatten wir kaum eine halbe Stunde so dagesessen, seit der letzte Hufschlag verhallt war, als wir einen schwachen Laut vernahmen, wie wenn vor der Thüre sich etwas geregt hätte.

Tante Gretchen legte ihre Hand auf die meinige.

» Was mag nur Sir Launcelot fortgetrieben haben, Olivia?« flüsterte sie. »Er ist sonst kein Mann, der sich leicht von Träumen oder Erscheinungen schrecken ließe.«

Sogleich begannen wir Beide, einer innern Regung folgend, leise die Klötze, womit wir die Thüre verrammelt hatten, wegzuräumen, um sie zu öffnen.

Das Häuschen hatte ein kleines Vordach, um das Innere der Hütte gegen den ärgsten Regen zu schützen, und hier war eine niedrige Bank angebracht, worauf Gammer im Sommer mit ihrer Arbeit zu sitzen pflegte, wenn sie mehr Licht zu derselben bedurfte, als in der Hütte zu finden war.

Hier lag in todtenähnlicher Ohnmacht eine weibliche Gestalt ausgestreckt. Halb knieend, halb liegend, das Haupt gegen die Thüre gelehnt, mit einem Arme auf dem Sitze ruhend, den andern schlaff an der Seite herabhängend, von einer Fülle langer Haare halb verdeckt. Ein zartes schlafendes, kleines Kind lag eingehüllt dicht neben ihr und umschlang mit seinen Armen die bewußtlose Gestalt.

Die Züge waren wie vom Alter scharf, und blaß wie von der kalten Hand des Todes berührt, und das lange, weiche Haar war grau; allein man konnte in dem abgehärmten so traurig veränderten Gesicht noch wohl erkennen, welche Erinnerungen es in Sir Launcelot wach gerufen hatte, und warum diese arme verblühte Gestalt die Schwelle besser behütet hatte als ein ganzes Heer böser Geister.

Das Flammenschwert des Gewissens hatte uns in dieser Nacht bewahrt.

Armes, blasses Gesicht, wie schrecklich war sein stummer Vorwurf!

Wir trugen sie mit einander in die Hütte. Es war keine schwere Bürde; wir legten sie auf das Bett, welches ihre Großmutter für sie bereit gehalten hatte. Tante Gretchen löste ihre Kleider und rieb ihr die Hände, während ich das zarte kleine Kind an das Feuer trug, um es ruhig zu halten, indeß ich einen warmen Trank bereitete, um die Mutter wieder zu beleben.

Allein das kränkliche kleine Geschöpf war nicht so leicht zu besänftigen. Ungeachtet meines Wiegens erwachte es und begann nach seiner Mamma zu schreien. Doch dies war vielleicht das beste Erweckungsmittel. Das durchdringende, ungeduldige Geschrei erweckte die Mutter aus der Ohnmacht und die Großmutter aus ihrem tiefen Schlafe.

Einen Augenblick darauf kniete die Alte an dem Bette des armen Mädchens, herzte und küßte sie und gab ihr alle möglichen zärtlichen, kindischen Liebesnamen, wie sie wohl Niemand in Netherby von Gammer Grindles Lippen zu vernehmen erwartet hätte. Die ersten Worte, welche Cäcilie sprach, als sie völlig zum Bewußtsein erwacht war und sich aufgerichtet hatte, während ihre schönen, großen, grauen Augen aus ihren verblühten hohlen Wangen wie lebendige Seelen aus einer blassen Geisterschaar herausleuchteten, waren:

»Gammer, ich habe ihn gehört, ich habe seine Stimme gehört! Wo ist er? Ich glaubte sein Gesicht zu sehen. Aber es war dunkel, und Gesichter verändern sich. Allein die Stimmen, denke ich, werden immer dieselben sein, sogar im Himmel oder in der Hölle. Und ich habe seine Stimme gehört, ganz dieselbe, mit der er mich sein Herzchen und seine Frau nannte.«

»Seine Frau!« rief die Alte überrascht aufspringend. »Sag' das noch einmal, Cäcilie!«

»Alles vergebens, Gammer!« versetzte sie mit leisem, trostlosem Tone. »Getraut mit Priester und Ring! Aber Alles war Betrug. Er sagte mir's, als es zu spät war. Er sagte, ich müsse es gewußt haben. Aber wie konnte ich es wissen, Großmutter? Ich traute ihm; ich traute ihm. Aber vielleicht hätte ich klüger sein sollen, Gammer? Ich fürchte, es war schlecht von mir. Jedermann scheint dies zu denken.«

»Ich nicht, mein Herzblatt!« rief die Alte; »ich gewiß nie! Gott sei Dank, daß mein Lämmchen so unschuldig zu mir zurückkommt wie sie fort ging! Danke Gott, Cäcilie, mein Liebling, danke Gott, Herzblättchen, und sei gutes Muthes! Wenn die ganze, grausame Welt mein Lämmchen verfolgte und es verhöhnte, so ist doch Eine auf der Welt, welche weiß, daß sie so rein ist, wie das lieblichste Fräulein in ihrem bräutlichen Myrthenkranz, deren Pfad mit Rosen bestreut wird.« Dann nahm sie das Kind auf ihre Arme, drückte es an ihr Herz und setzte hinzu: »Und dein Kind, Cäcilie, ist so gut unser Stolz und unsere Freude, wie das der vornehmsten Dame im Land. Fasse Muth, mein Herzblatt. Was kümmert dich die ganze Welt, wenn Großmutter es weiß und Der da droben, Herzchen,« setzte sie mit schwächer werdender Stimme hinzu. »Denn Er ist da droben, Cäcilie, und Er ist nicht gegen uns; denn Er hat dich zurückgebracht.«

Während dieser ganzen Zeit schienen die alte Frau und Cäcilie unsere Anwesenheit ganz vergessen zu haben, während wir in einem dunkeln Winkel der alten, düstern Hütte so still da saßen, als unser Schluchzen es zuließ. Als jedoch das arme Mädchen durch den lang entbehrten Trost, an einem vertrauten Herzen sich auszuweinen, beruhigt war und mit festerem Blick umherschaute, begann sie nochmals zu fragen, wie es nur kommen konnte, daß sie die Stimme gehört hatte.

Nun trat ich näher, um es ihr zu erklären.

Sie erschrak und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, als ob sie sich selbst hätte verbergen mögen.

»Ich bin es nur, Cäcilie; ich, Olivia Drayton,« sagte ich so deutlich als das Weinen es mir gestattete. »Du bist wieder zu denen zurückgekehrt, die Dich kennen und Dir glauben, Cäcilie.«

Nachdem ich nun so gut ich es vermochte, die Begebenheiten der vergangenen Nacht erklärt und nachdem Tante Gretchen das Feuer angezündet hatte, nahmen wir Abschied und ließen die drei in der Hütte allein, um ungestört die traurige Geschichte, welche zwischen ihrem letzten Zusammensein und dem Wiederfinden lag, zu besprechen, während wir nach Hause eilten, um die Unsern über unser Schicksal zu beruhigen.

»Welch eine Nacht, Tante Gretchen!« sagte ich unterwegs. »Sie scheint wie eine ganze Lebenszeit.«

»So geht es oft im Leben,« erwiderte sie, »so viel ich wenigstens davon gesehen habe. Oft werden die Früchte, welche ein ganzes Jahr zum Reifen brauchten, in Einem Tage geerntet.« Ich verstand sie damals nicht ganz; aber in spätern Jahren habe ich oft gedacht, daß sie Recht hatte. Die Zeiten der Saat und des Wachsthums sind oft lange still, unterirdisch; und dann plötzlich brechen Blüthe, Ernte- und Sammeltage an; eine ganze Lebenszeit drängt sich in Einen Tag zusammen; tausend lang vorbereitete Begebenheiten brechen in Einem Augenblick in Blüthen aus. Tausend Geister vergessener Thaten stehen plötzlich versammelt vor uns. Die Probezeit geht durch Jahrtausende hindurch; das Gericht kommt auf Einen Tag.

Tante Dorothea war ein wenig zweifelhaft, ob wir nicht zu viel mit Gammer Grindle oder Cäcilien zu thun hätten. – Wenn Gammer Grindle keine Hexe sei, sagte sie, was Gott verhüten wolle, – obgleich es so gewiß Hexen gebe, die das Vieh verwünschen und auf Besenstielen reiten, als es Wandersterne und Seeschlangen gebe, – so sei es doch eine feierliche Warnung für Alle, die nicht, wie andere Christenmenschen, In die Kirche gingen. Und wenn Cäcilie nicht so tief gefallen sei, als man gefürchtet habe – wofür Gott gepriesen sein solle – so bliebe sie doch immer ein abschreckendes Beispiel von den Folgen der Tänze um den Maibaum und der Eitelkeit, welche sich das Haar mit Bändern und Rosen schmücke.

Als aber Hiob von der Geschichte hörte, wurde er sehr entrüstet.

Man sollte glauben, meinte er, das Buch Hiob sei unter die Apokryphen versetzt, daß Leute, welche sich zu den Christen zählen, wie Zophar, Bildad und Eliphas die Unglücklichen plagen und Kohlen in des Teufels Schmelzofen schütten mögen. Hexen müsse es freilich geben, – denn wie hätte man sie sonst hängen und verbrennen können? obgleich er den Teufel für einen zu guten Feldherrn halte, als daß derselbe seinen Soldaten oft erlauben werde, ihre Zeit mit Besenstielreiten zu vergeuden. Wie dem übrigens auch sein möchte, so sei es ein schlechtes Geschäft, auf Feuer, die ohnehin schon heiß genug wären, noch mehr Holz zu thürmen, zumal wenn man nicht einmal gewiß wisse, wer sie angezündet habe. Der einzige Trost dabei sei die Ueberzeugung, daß der Teufel zuletzt doch nichts als der Ofenheizer des Allmächtigen sei. Seine ganze Arbeit ziele nur darauf hin, den Ofen gerade heiß genug zu machen, um das Silber zu schmelzen. Der Meister werde schon darauf sehen, daß von dem edeln Metall nichts verloren gehe.


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