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1824.

 

Den 4ten [Januar]

Das Jahr ist denn begonnen, und wie! Ottilie war fort, ich meine, das machte mir das Herz leichter, weil ich nicht so viel an das Jahr 15 gedenken mußte. Am Morgen kam Fritz Osann. Er erfüllt alle meine Wünsche, schreibt an Arthur und giebt mir Nachricht. Wie mir war? Wunderbar, höchst wunderbar! Vorher meinte ich, ich stürbe vor Schmerz; Aug in Auge gieng es besser, als ich gehofft. Ich sprach ungewöhnlich offen, zu einem ungewöhnlichen Menschen! Ich glaube nicht, daß er mich für schuldig hält. Er bat mich, als wir Beide ruhiger geworden, ihm am nächsten Morgen zu erlauben, mich zu Schönbergers Bildern zu begleiten. Ich nahm das bedingungsweise an, Natalie mußte mit. Als wir dort waren, vergingen wieder anderthalb schöne Stunden – ich dachte an eine Zukunft, die einem Paradiese glich! Wir giengen zusammen heim! Gottfrieds Züge blitzten zuweilen auf in seinem Gesichte, ich war zu Thränen gerührt – ich konte nicht umhin ihm zu sagen, ich hätte ihn nicht zur Mutter geführt, weil sie nur Abends Besuche annähme; wolle er dann kommen, würde es sie freuen; er bat um Erlaubnis, denselben Abend zu kommen, kam und blieb bis halb zehn. Es war ein schöner, geistig heller Abend! –

 

Den 30ten März im neuen Logis. Abends.

Der Rahmen meines Glücks ist nun unter meinen eignen Händen zerbrochen – ich betrete jene Zimmer nie wieder! – Mein altes Paradies, aus dem mich ein schöner Engel vertrieben, meine ganze Jugendseligkeit, alle meine Lebenshoffnungen, die mit mir groß geworden, sind auch verlassen, geendet – verloren! wie jene Räume – ich werde sie nie mehr wiederfinden. – Ottilie meinte, ich solle wieder anfangen zu schreiben, wenn Gottfried wiedergekommen ist; ich will nicht mehr so weich sein – und auch nicht mehr so viele Pläne fassen – die Ursache, die mich vom Schreiben abhielt, ist ja nun ganz zu Ende! und dann – wenn er nun käme, und wäre nicht mein, dann schriebe ich vielleicht nie mehr, und doch liebe ich die Blätter!

Die ganze Qual faßt sich in wenig Worten – die schöne Freude in einem Nahmen! Sterling schien mir erst kalt – kam mir näher, vertraute mir seine Leidenschaft. Ich liebte ihn mit jedem Tage mehr! Sechs – nein, sieben Wochen, vom 1sten Januar bis zum 21sten Februar lebten wir abgesondert von der uns umgebenden Welt, miteinander. Als ich mich seine Vertraute nennen mußte – da stand auch in meiner Seele sehr deutlich, daß kein Flecken in dieser Sache sein dürfe, eben weil ich, ruhig, darum wußte. Ich wollte, mich entschuldigte nichts! Anfangs gleich meinte ich, entweder koste mich seine Liebe die Ruh meiner Seele, oder Ottiliens Vertrauen, einen großen Theil ihrer Liebe, oder meinen Ruf und – Gottfried. Ich mußte durch, und ohne allen Anschein von Edelmuth, ohne irgend einen innern Trost der Täuschung oder des Selbstbewußtseins, ich mußte den bösen Schein tragen und stumm leiden, aber ich mußte. Mein einziger Trost war Er! Er war mir lieb, wie etwas, was ich noch nie gedacht, nie gewünscht, nie empfunden. So wie ich einen Engel, ein Kind, eine Blüthe, einen Ton liebe, so liebte ich ihn. Mein Vorsatz ihn zu entfernen mißlang; mein Plan, Ottilien ewig sein Gefühl zu bergen mißlang – Augusts Mißtrauen, Heinrichs [Nicolovius] Unvorsichtigkeit und endlich auch Ottiliens Leidenschaftlichkeit zerstörten alles, ich mußte damit zufrieden sein, daß er sie 4 Tage in Berlin sah und auf ewig schied. Seitdem stehe ich mit ihm in Briefwechsel. Ob ich ihm lieb bin, weiß ich nicht, ich glaube, nur Ottiliens Freundin ists. Das Schönste, Beste in mir ist zu nationell, nur ein Teutscher kan mich lieben. Auch vergaß ich mich wie immer in ihm, ich hatte gar nicht Zeit an mich zu denken. Aber schön, schön war mancher Augenblick! – O Gott, warum ist denn die Erde nicht so schön, als sie eigentlich doch sein kan, da solche Herzen auf ihr schlagen. Sterling hatte mich so gut, so sanft, so einfach gemacht – die Härte der Meinen gegen Ottilie, diese beißige Animosität Gerstenbergks, die hat mir wieder Schaden gethan! Heinrich hat sich von Ottilien gewendet, ich tadele seine Strenge nicht, aber seine Härte! – Sie kam, ich werde wohl steinalt werden, eh' ich vergesse, wie mir war, als ich sie mit so reiner Willenskraft, mit so friedlichem festem Muth ankommen sah – August vernichtete Alles – Alles! Mich verbannt sein Mistrauen, die Pogwisch und die Henckel glauben, ich sei es, deren Schwärmerei Ottilien verleite – er hat ihr verboten, mit St[erling] zu correspondieren, er häuft Härte, Mißtrauen, Thorheit – wir haben Unrecht gethan, aber bei Gott nicht verdient, daß man so uns behandle. Ich habe immer für August gehandelt, so lange als nur möglich – jetzt nicht mehr, ich kan ihm nicht verzeihen. Er konte Ottilien mishandeln, sie tyrannisieren, aber sie hatte verdient, daß er ihr Glauben schenke! sie hatte das theuer genug erkauft. Und ich, was hatte ich nicht alles gethan, um Sterling zum Gehen zu bewegen, ich hatte nicht Ottiliens Schmerz gescheut! ich hatte darauf bestanden, daß ihr kurzes Wiedersehn in B[erlin] sein sollte, um jeden Anschein zu meiden, ich hatte darauf gedrungen, daß St[erling] ihn fragte; ich hatte von jeher mich bereit erwiesen, ihm Rede zu stehen, und ich glaube, hätte er den Muth gehabt zu fragen – ich hätte offen geantwortet. Gestern meinte Ottilie, ihr sei besser – ich habe Muth und Vertrauen verloren, aber ich habe ihr gesagt, ihre kalte Ruhe, ihre Schroffheit sei das allerhärteste, und sie habe Unrecht. Zu der Lüge, ihn frei zu sprechen, komme ich nicht, auch kan ich nicht fordern, daß sie ihn lieben soll oder es heucheln. Erst müßte er wenigstens anders handeln. Was ich indessen thun kan, sie dieser furchtbaren Zerrüttung zu entziehen – soll geschehen. Aber ich fühle mich durch sein Mistrauen gefesselt, ganz und gar gefesselt. Ich kan nicht mehr so oft hingehen – ich kan es nicht darauf hinauslaufen lassen, daß er ihr über mich Vorwürfe macht – und dahin käme es. Alle Zufälle vereinen sich gegen mich – auch der Pogwisch und der Henckeln Beschuldigung drückt mich tief. Meiner Mutter Kummer und – laß mich es gestehen, die egoistische Liebe, die von mir Heiterkeit, Witz, Liebenswürdigkeit in solcher tiefen Leidenszeit fordert, verletzt mich – ich verstumme. Mein Leid, meine Liebe gehören nicht hierher. Ich habe gar keine Worte! Ottilie hat, fürchte ich, die Wassersucht, Ulrike liegt seit vielen Wochen an den Folgen eines Falles, den sie auf der Redoute gethan. Von Arthur keine Silbe – nicht einmal ob er lebt! – Und so steht denn nur noch ein Schmerz unausgesprochen in meiner Seele – Heinke ist nicht mehr wie er war, ihn drückt das Leben nieder, auch er kan es nicht ertragen! – So schied also jedes Glück, jeder Traum der Vergangenheit! Er nicht glücklich! Er nicht vollkommen das, wozu ihn die Natur berief, als sie ihn so hoch stellte und ihn mit der Glorie eines Friedens, einer Einheit umgab, wie ich nie sie zum zweitenmahle fand! Ottilie zerstört – ihr Vertrauen durch Nicolovius' seltsames Benehmen ganz zu Grunde gerichtet – Ulrike vielleicht sehr gefährlich, meine Mutter kränkelnd eigen, fordernd und mich kränkend – die Pogwisch, meine liebsten Freunde mich hart anklagend, wo ich Gottlob unschuldig bin! Arthur ganz und gar verloren, unwiederbringlich – meine arme Tante [Julie Trosiener in Danzig] in großer Noth, sogar meine kleinen Kunstbeschäftigungen momentan von Hindernissen eingeengt, meine Gesundheit zerstört. So verlasse ich den Ort, wo ich so glücklich, so gut, so unglücklich war! meine Thränen sah keiner. O ich weiß, ein neues Leben beginnt; Sterling war der Engel, der mich aus dem alten trieb! nun vorwärts, muthig! Sie sehen mich erstaunt an, daß ich nicht weinte, nicht klagte, nicht einmal traurig aussah, sondern tüchtig arbeitete. Mein Gott, wie kennen sie mich alle so gar wenig! – – – Ich sehe in die stille Nacht hinaus, keine Sterne, aber viele Lichter glänzen! Ich will still und ruhig sein, meine erste Freude hier wird sein, Gottfried zu sehen. – Werde ich immer einsam bleiben? Es kennt mich keiner – Ottilie kannte mich, aber Thränen machen blind. Sie hat genug geistige Freiheit, um zu fühlen, wie mir ist, sie kan sich jetzt der Einwirkung dieses Schmerzes, dieser Leidenschaft nicht entziehen; wie ich leide sieht und fühlt sie, aber die einzelnen Fäden meines innern Lebenszweckes liegen nicht deutlich vor ihrem Blicke. Ich bin entschlossen. Gute Nacht.

 

Den 31sten März.

Unruhe im Häuslichen, geheime Verstimmung im Innern. Abends Besuche von Line, Grf. Fritsch und Ottilie. Nachdem ich die Bibliothek geordnet, zu Ottilie; mit Smith sehr angenehm geplaudert …

 

Den 2ten [April].

Früh kam Ottilie, wir blieben bis 2 Uhr zusammen. Nachmittag vielen Verdruß über die Handwerker, die mich warten lassen; Abends bei Gräfin Hohenthal. Der innere Schmerz zerreißt mich –

 

Den 3ten [April].

Mich weckte ein schönes Bouquet aus Jena. Allwina [Frommann] sandte es. Das entsetzliche Wetter erschwert Athem und Leben – wieder Probe. Abends »Tancred«, ich hatte noch nicht italienisch reden hören, seit er fort ist – oh die Töne! die Töne! Und nun kam ich durch Sturm und Regen und fand keine Briefe – morgen wird sie nun fragen, mich quälen durch ihre unglückselig offnen Züge – Abends muß ich zur Frl. Waitz. Zuweilen faßt mich denn auch eine so tiefe, so leidenschaftlich schmerzliche Sehnsucht nach Gottfrieds Ankunft! So kan ich nicht mehr leben. Der Gedanke, einmal glücklich zu sein, wäre es auch nur eine Stunde lang, verfolgt mich. Es ist unmöglich, diese Sehnsucht zu ertragen! ich möchte nur vor allem der Pein, die mich umgiebt, und dem gräßlichen unaufhörlichen Gesellschaftszwange entgehen! Ich kan nicht arbeiten, es fehlt mir ganz an äußerer Ruhe dazu, und doch könte das allein mir wohlthun, alles übrige führt mich wieder zu mir selbst zurück.

 

Den 4ten [April].

Krank erwacht – bei Ottilie, Ulrike sehr übel. Abends bei Frl. Waitz – – – spät Abends Lina.

 

Den 5ten.

Ich erwachte heiterer und vernünftiger, ich will und werde wieder eine Weile gefaßt sein, der Sturm ist vorüber.

 

Den 6ten [April].

Gestern sah ich Wolley bei Ottilie, Sterling hat Verse geschickt an Byron, ich gieng in's Theater, aber meine Züge fühlte ich helldurchleuchtet von dem Gedanken, Abends die Verse zu finden. Schöner schöner Frühlings-Sonnenstrahl, warum fehlst du mir denn nun auf immer! Ottilie hat Unrecht, ich werde ihn niemals wiedersehen, und doch werde ich nie ihn vergessen! Er geht heute fort nach Dresden.

 

Gründonnerstag.

Heute vor 3 Tagen nahm mir der Schmerz die Feder aus der Hand, ich soll wohl nichts mehr an diesen Blättern schreiben! St[erling] schrieb einen Brief, der mich fast tödtet. – Ottilie ist so unglücklich, daß sie fast jenes Leiden in den täglichen Martern vergißt, sie stirbt auf sehr grausame Art. Ulrike wird immer kränker. – Eduard Gnuschcke ist hier, bei mir.

 

Ostern. 1. Feiertag.

Leidenschaftlich bewegt mich der Gedanke ihn zu sehen! Ich fürchte, Sterling hat mir geschadet, denn ich wünsche nun mit schmerzlicher Heftigkeit von dem einzigen festen Manne, den ich fand, geliebt zu werden. Meine Vernunft verläßt mich – ich denke nichts anderes – mit Mühe rede ich von andern Sachen – seiner Mutter sagte ich viel mehr als ich wollte, diesmal wich sie aus, wie sonst ich, aber sie sagte doch mit Bestimmtheit, er komme! Vergebens sage ich mir, daß dem nicht so sei, wie ich träume, daß er mich nicht liebt, ich glaube mir's selber nicht. Als ich der Geheimrätin [v. Voigt] sagte, daß ich vielleicht schon im August auf ein Jahr fort müsse, überfiel mich ein so furchtbares Gefühl, daß ich verstummte. Wohin – wohin reißt mich das Leben? Ich war ja so ruhig, so still. Nun ist wieder Ostern, und des Lebens Fluthen thürmen sich – ich gehe in die Kirche, aber auch dort werde ich an ihn denken.


Zwischen so ruhigen milden Stunden mit Eduard, dem einzigen unbefangenen Menschen, den ich sah, und Ottiliens furchtbarer Leidenschaftlichkeit, die mich beinahe zerstört – zwischen Kindheit und Alter, Himmel und Hölle – und so lebe ich! und sündige und muß mir vergeben! ich werde gegen die ganze übrige Welt kalt und fühle nur das Eine Weh – und die eine verwirrende Freude: daß Gottfried kommt. Gott helfe uns Allen, Amen.


Ich hatte mir fest vorgenommen, recht, recht viel über meinen Eduard zu schreiben – es wird nicht gehen. Als er kam, schien er mir unbedeutend und nicht hübsch. Juliens [Kleefeld] Klage um seinen Verlust gab mir den Gedanken ihn recht genau kennen zu lernen und zu beurtheilen, ob er des Schmerzes werth sei.

Das Leben lässt uns nicht weilen, wo wir gerne sind: die Erinnerung trotzt dem Leben und ist dennoch, wie sie will.

Eduard Gnuschcke.

Wie diese einfachen Worte war seine einfache Liebe, wie diese zierliche Schrift war sein mädchenhaft zartes Betragen. Im Anfang ließ er mich kalt, erst seine langbewahrte Treue gab mir das Gefühl, daß ich ihm lieb sei, und Juliens Klagen über ihn und seine feste innige Neigung zu ihr und Line [Roepell] gaben mir den Plan, diese drei einander fest zu verbinden, damit sie glücklicher in dieser Neigung würden, als in der Liebe zu mir. Ich zog ihn an mich, oft meinte ich, er könne mich wohl für kokett halten, und bei Gott ich war es nie, ich wollte ihn lieben und so weit bringen, daß er mir sein Inneres gern und treulich entfalte, dann wollte ich alle meine Kraft aufwenden, um ihn recht geliebt und recht recht liebenswerth zu machen, damit Julie, da er als Mann doch einst ein Uebergewicht erhält, sich ihrer Wahl freue. Das Verhältnis dieser 3 war so einfach, es lag so in ihrem Lebensverhältniß, sie mußten zusammen seyn, nun, so sollte die Liebe das Leben recht schmücken und zieren. Er lernte mich genau kennen, denn ich traute ihm, und verbarg weder mein Leben, noch meine Fehler. Das Fortgehen ward ihm entsetzlich schwer; ich fühlte das. Am letzten Mittag waren wir bei Göthe, am letzten Abend bei Froriep. Als wir nach Hause giengen, wollte ich, daß er die Frommann führen sollte, aber er sah und hörte nichts mehr als mich, und als ich mich – ich war lahm – so auf seinen Arm lehnte, fühlte ich, daß er zitterte; mir war als lege ich mich auf den Arm eines Sohnes, ich glaube, meine Liebe war mütterlich in dem Augenblicke. Zu Hause ward mir recht weh; ich dachte daran, daß mein nächstes Schreiben mit seinem Stammbuchsblatte Gerstenb[ergks] Heirath und mein zweites vielleicht meine Verlobung enthalten könne, das Gefühl für Gottfried bewegte mich tief, eine unaussprechliche Rührung überkam mich, ich faßte Eduards Hände und sah ihn zum erstenmal mit dem vollen Ausdruck der Empfindung an; mir war als schiede ich auf immer und als segnete ich ihn ein, zu einem langen Leben, ich hätte ihn gern auf die Stirn geküßt; er aber stand kämpfend mit gesenkten Augen, tief bewegt vor mir, ich weiß nicht was ihm war? Endlich sagte er: »Nun wird wohl rasch geschieden werden müssen« – ich ließ ihn los und bat ihn freundlich, aber sehr ruhig, ja wiederzukommen – mir war als sei das meinetwegen unmöglich, und Er schlug die Augen auf und sagte wie ein Kind: »Ach Adele, Sie wissen wohl, wenn es von mir abhängt, kehre ich wieder!« – Nun setzte ich mich, und er stand unentschlossen, endlich gab er mir die Hand und hielt sie lange, indem er Lebewohl sagte – »Gott behüte Dich!« sagte ich ernst und wehmütig still – er gieng – ich aber stand betrübt allein, und nach einer halben Viertelstunde gieng ich stumm zu Bette. – Am andern Morgen war's gut.

 

Den 9ten Mai.

Vergebens will ich vernünftig sein, vergebens etwas anderes denken – es ist heute Agnesens Hochzeittag, Natalie war bei mir, weil die andern nach Jena sind. Tausend schlimme Zufälle Sterling betreffend, Emils [Osanns] Krankheit, der Geh[eimrätin v. Voigt] neues heftiges Leiden, alle Sorgen, alles verschwindet in dem Gedanken: Er kommt, Er kommt! Wiedersehen! seine Augen, seine festen stillen Züge, den Ausdruck von Glück – o Gott erhalte mir nur meinen klaren Sinn, daß ich nichts thue, was sein Glück gefährden könte! Gott weiß, Stunden habe ich, in denen ich nicht mehr glauben kan, daß er mir nicht angehört! daß ich nicht sein bin – Gottfried mein Freund, kehre wieder, daß ich an Glück, Leben, Wahrheit glaube, daß kein falscher Schein mich locke! Gute Nacht, Gottfried. –

 

Jena den 12ten Mai.

und nun bin ich hier, aber nichts ist anders, die schmerzlichste Sehnsucht nach Entscheidung geht wie ein Grundton durch alle Melodien meines Lebens – ich denke, träume nur seine Ankunft, und alles macht mir einen Schmerz, der dann zum schmerzlichsten Drange ausartet, allen den mich umschließenden Martern zu entfliehen! G[erstenbergk] ist denn nun endlich mit der Gräfin H[äseler] verlobt – welchen Schmerz bereitete mir das Geheime, Berechnete – welche Trennung zwischen mir und ihr entsteht daraus, daß sie gerade diesem Manne so viel opfert – war die arme arme Amélie so elend nie mehr zu finden – oder sieht sie das Schwache, Unsichere, durch Schwäche Unwahre seines Wesens nicht? Genug, seine Hand ist die ewig unabwendbare Trennung zwischen mir und ihr; ich glaube, das wird sie nicht fühlen, und ich bin mir schuldig es nicht zu sagen, aber doch ist's mit meinem Vertrauen nun aus, rein aus. Ich traue ihr alles mögliche Gute, Treffliche zu, aber in einer andern, mir fremden Form. – Meine Mutter – denn das Gerücht bringt ja die Möglichkeit einer Verbindung zwischen mir und G[ottfried] täglich aufs Tapet, meint, sie wolle ihr Leben zwischen uns theilen – o nein, sie mag Gerstenbergk wählen und mir die freie offne Welt lassen. Wäre ich seine [Gottfrieds] Frau, ich könte ihn nie in diese unklaren unreinen Verhältnisse herein lassen – ich könte nie mehr mit ihm in Weimar leben, wenn wir nicht frei werden, denn nie soll ein Ton von Gerstenbergks Leben das seine berühren. Was für Hin- und Herreden, ob wir nach Jena wollten, ob er uns mitnähme, was für Umstände! noch weiß weder die alte M[üller] noch der H[äseler] Vater – das Alles mag klug und der Charaktere dieser Leute wegen nothwendig sein, da uns aber Gott anders geschaffen, da wir solche Menschen nicht zu den unsern zählen, so laßt uns das freie Element – laßt uns unsere Berge und deren luftige, kühle, aber klare Höhe.

siehe Bildunterschrift

Heinrich Nicolovius

Sterling hatte neulich einen Brief geschrieben, der wie ein Flecken auf diese schöne schöne Lichtblüthe fiel, er war durch seine leidenschaftliche Phantasie einem Abgrunde sehr nah gebracht, er hatte die Reinheit der Gedanken verloren. Ich schrieb ihm, Wolley hat die Unvorsichtigkeit gehabt, mir den Brief zu zeigen – aber Ottilie schrieb ihm auch einen ewigen Abschied. – Ich bin nicht mehr jung oder nicht mehr poetisch oder nicht mehr unglücklich genug, um leicht zu glauben; ich ließ sie schreiben, aber ich verbarg ihr nicht, der Brief und der Bruch ihres Versprechens sei gleich unnütz, denn ich wußte, Er könne nicht sinken – o Gott, ich weiß mit unendlichem Schmerz, er kan sich auch nicht recht frei erheben, es ist keine Kraft in ihm! Wie der Ton eines Engels, der verhallt, aber uns Gott verkündet hat, so verhallt nun seine Gegenwart in meinem Leben, ich stehe anders zu ihm als zu allen anderen Menschen, ich meine, er kan mich persönlich nicht mehr erfreuen und nicht mehr betrüben, mit meinem Daseyn hängt er nur durch Ottilien noch zusammen. Aber ganz im Stillen wirkt das Göttliche in ihm auf mich fort – sein Hiersein war der Ruf des Engels. – Der Brief war unnütz: denn sie haben nicht den Muth zu scheiden, weder er noch sie, und daß sie ihm schrieb, A[ugust] werde nie in eine Trennung willigen, war ebenfalls unnütz: weil mit weniger Zeit diese Ueberzeugung sich ihm aufdringen mußte – ob er nun aber jetzt ganz frei war oder nicht, galt gleich. Indeß sie hielt es für nötig zu schreiben – der Brief brachte eine so heftige Wirkung hervor, daß er im Begriff war sich todtzuschießen – die nach dieser furchtbaren Aufregung entstehende Verzweiflungsqual war unermeßlich, sie löste sich in die ihm natürliche religiöse Stimmung. Ottilie bestand darauf, daß ich ihm gleich einige Worte schriebe – ihr Entzücken riß mich hin, er soll wissen, daß wir an ihn glauben, ihn lieben – er hatte meinen Brief zu hart gefunden, Line und Ottilie nicht – nun so werden diese Worte hoffentlich nicht den ganzen nöthigen Eindruck des harten Briefes auslöschen – sie sollten ihn trösten – mehr nicht. Aber ich! o wehe wehe mir, wenn mich Gottfried vergessen hätte oder ich ihm misfiele – immer schneidender, immer schärfer wird der Contrast zwischen mir und den Andern und tiefer die Ueberzeugung, daß diese Menschen, die zum Theil weit besser sind als ich, mich durch Schwanken und Unsicherheit ewig entfremden! Ich bin allein. Ottiliens festes unabänderliches Wesen ergreift wieder die Oberherrschaft über diese Liebe, das ist mein Trost – und doch hat diese Liebe so manche Scheidewand in unserm äußern Leben aufgerichtet! Glaubst Du, das vergäße ich? – –

 

Den 13ten [Mai].

Ottilie kam, St[erling] hatte auch ihr geschrieben, wie ich damahls wollte; aber meinen Brief hatte er abermahls nicht verstanden, seine Härte – Ottilie fand das Gegentheil –, meinen Schmerz, den er » a luxury of grief« nennt, so übertrieben aufgefaßt, sich so montiert, so ganz theils in trotzigem Vorwurf (im ersten Empfangen meines Briefes – auf den er erst 2 Seiten an O[ttilie] – nach dem ihren abermahls 2 geschrieben) mich gekränkt, dann in der unmännlichen Reue mir so weh gethan, daß ich gestern schied. Scheiden! Freiwillig von ihm wie einst von Julie E[gloffstein] scheiden! Also zum zweitenmahle mit 26 Jahren. Es sei. Es geht nicht anders – ich muß. Ich kan leider ihm nicht helfen, denn er versteht mich gar nicht, ich kan aber nicht ohne Zweck und ohne Freude für ihn oder mich mein Leben zerstören, und das thue ich, wenn ich so heftig fortfühle – wenn mich jeder Posttag so anregt. Ich werde mit sehr freundlichen Worten ihm das sagen und ihn bitten, nur wenn er etwas an O[ttilie] zu sagen hat, mir zu schreiben, mir aber zu erlauben nicht mehr zu antworten, als was sie mir aufträgt. Von mir kan nie mehr zwischen uns Beiden die Rede sein.

 

Den 7ten Juny.

Vergebens ringe ich nach Fassung; je näher die Zeit des Wiedersehens mir kommt, je leidenschaftlich bewegter ist meine Seele. O mein Gott! was haben sie aus mir gemacht! Ich gemahne mich wie jene Fackel, mit der ein Kind spielt und das Haus ansteckt – meine Freunde ahnden nicht, was sie vorbereitet haben; in mir ist eine gewaltige tiefe Ueberzeugung von Gottfrieds Liebe, diese hat man mir spielend aufgedrungen, der leidenschaftliche Schmerz wird unsern Lebensbau verzehren – wie werde ich es nur ehrenvoll tragen, mich geirrt zu haben! Und ich war so ruhig! ich hätte Jahre hindurch so still mich der Neigung gefreut, mir fiel nicht ein, daß sie weiter führen könne; ich liebte ihn, nicht als Mann, nicht als Jüngling, sondern bald wie ein Kind, bald Seel' um Seele! Ich sah gern auf seinen Lebensweg, ich sah gern in sein Herz, mir fiel nicht ein etwas für mich zu fordern! Heinrich [Nicolovius], Karoline [Roepell], Ottilie, Voigts, Gerst[enbergk], Mutter, Line [v. Egloffstein], Alle, Alle drangen auf mich ein! – Und jetzt, da nun G[erstenbergk] Amélie heirathen wollte und dieses endlose Schwanken von beiden Seiten unser Leben vollends trübte, da ich sah, wie sie, durch die gemeine Klatscherei irre gemacht, nicht mehr ihr schon gegebnes Wort halten wollte – da Er und sie sich Stunden lang sprachen und immer verworrener wurden – da drang Gottfrieds klares Bild wie ein Stern in diese Nacht – aber ein vorahnender Schmerz drang wie ein Pfeil in mein Herz.

Ich gieng nach Steinburg zu Münchhausens auf 3 Tage! – Es war hübsch da, eine tolle Wirthschaft, 6 Katzen, 5 Hunde und 2 Tauben mit der Familie im Saal. Henning thut gar nichts als allenfalls einmal wegen dem Bau, den er kommenden Herbst vorhat, mit einem Arbeiter hin und her reden, er liest und spielt mit den Thieren, denen er die holdesten Nahmen giebt. Die Andern nähen von früh an. Mienchen [v. Münchhausen] war lieb und gut wie sonst. Mein Kommen war ein Evènement, ich glaube, Henning hatte auf mich gewartet, ich nahm ihn und Fritzchen mit, vorgestern ist er abgereist. Ich liebe die Mutter sehr, sie hat durch unsere Landsmannschaft eine Art Traulichkeit im Umgang mit mir, sie ist offen, natürlich und mir höchst angenehm. Alle trugen mich auf Händen, ich war froh, ruhig, aber mein Herz zog mich hierher, weil das der Ort ist, wo sich mein Leben entscheidet. Hier hatte Line [v. Egloffstein] Nachricht von May, der in Paris ist; Fritze Froriep nahm Abschied – es that mir sehr sehr wehe. –

 

Den 5ten J[uny].

Thee bei Germars, meine Seele war überbeschäftigt. Zweimal hat mir Sterling in übertriebenen Ausdrücken der Dankbarkeit geschrieben. Ich antwortete den Tag vor meiner Abreise nach Steinburg, aber sehr eilig. Nun wird er sich wohl meinen Abschiedsbrief haben nachkommen lassen. Mir ward unendlich weh um ihn, nicht mehr um mich, zu deutlich sehe ich in den schwärmerischsten Ausdrücken, daß nur Liebe zu O[ttilie], nicht zu mir ihn schreiben läßt. Ich finde es sehr begreiflich, sehr natürlich – aber es bleibt fest, ich darf mich nicht verlocken lassen. Nun wollte ich ihm also noch genauere Nachrichten von ihr geben, ehe die Grenze uns noch durch die Scheidung der Sprache und Sitte auf grellere Weise scheidet, ich ließ Ottilien den Brief, aus einem Misverständniß blieb er liegen! Und ich selbst ließ ihn noch einen zweiten Posttag liegen, denn Fritz Osann kam mir Nachricht von Arthur bringen. Er war todtkrank – geht nach Gastein, dann an den Rhein – und will mich nicht treffen, nichts von mir wissen! Es war hart! Fritz war sehr mild – ich möchte sagen, höchst freundschaftlich.

 

Den 9ten [Juny].

Große Partie nach Tiefurt mit Schenks, mir sehr die Cour machen lassen von allen vorhandenen freien Leuten – Fritz O[sann] gieng immer mir zur einen Seite, dann Heinrich [Nicolovius] von der andern – später, als Fritz fort war, kam Hasse, um mit mir von Gottfried zu reden.

 

Den 11ten Abends.

Gestern und heute und alle diese Tage sehr beschäftigt, sehr ernst, aber eigentlich zufrieden. Ich bin bereit Dich zu empfangen, Du wunderbares Jahr, ich bin so fertig, so entschieden gefaßt, wie ich noch fast nie war. Morgen schreibe ich an die Fichard, um Ottilien zu melden. Diesen letzten Abend bei Ulriken zugebracht.

Das hinter mir liegende Jahr gehörte fast ausschließend Ottilien und Sterling an – ich habe wohl nie weniger für mich selbst gelebt, und dennoch fühle ich zuerst das Wirken der Zeit, den Einfluß der Freunde und das letzte Aufflammen mancher tiefschlummernden Kraft – wie Gott will.

Schafft dem Geiste neue Klarheit!
Laßt dem Herzen alte Treu!

 

Den 13ten [Juny].

Heiter erwacht. Sonderbar, ich bin weit ruhiger, das Gefühl für G[ottfried] ist stiller, mich dünkt, es ist alles anders. Ottilie hat mir einen Ring mit St[erlings] Haaren geschenkt! O mein Leben! welch eine Kette von mannichfachem Gefühl, von Liebe jeder Art! ich kan manchmal so in stillem Nachsinnen versinken und eine Wehmuth und Rührung ergreift mich, für die ich keinen Nahmen habe. Ich bin so viel geliebt worden! habe so viel geliebt – nein, nein, Gottfried wird mir nicht angehören! ich darf darauf keinen Anspruch machen. – Heinrich [Nicolovius] schrieb mir! er hatte den Tag nicht vergessen! Allwina Frommann schrieb – Line [v. Egloffstein] – alle, alle dachten meiner in Liebe! Wie hängt Eduard an mir! wie viel Gewalt räumt er mir ein. Heute schreibe ich nach Frankfurt.

 

Den 19ten [Juny].

Gestern ist Ottilie fort – und Gottfried noch nicht da! – Rauch mit seiner Tochter ist hier. – O warum die langgedehnte Qual?

 

Den 10ten July.

Und so am Ende der Jugend und ihrer Freude, hingegeben der Qual, dem endelosen Mistrauen. Ich habe ihn [Gottfried] nicht verloren, auch nicht besessen, glaube ich. Erst ward die Wonne des ersten Tages mir vergällt durch seine Verzweiflung, durch die Nachricht, daß alle alle Versuche, eine Stelle zu bekommen, vergebens gewesen, durch den Anblick der Zerstörung, durch die eben in dem Momente erwachende heißere Liebe in mir. – Dann gieng er nach Jena, und dann ließ er mich 6 Tage warten, ehe er wiederkam. Dann kam ein Tag – ein flüchtig Paradies. Dann kam er und ein Zufall entzweite uns! – –

Ich gieng zu seiner Mutter, sprach offen, aber sehr vorsichtig über ihn – sah ihn nicht wieder. Und eben schlägt die Glocke 12 Uhr – er kommt wieder nicht!

War ich denn so grenzenlos stolz, daß mir eine so furchtbar schmerzende Lehre werden mußte? Bin ich, nun mein Herz aus allen Wunden blutet, besser? Ist nun etwas anders geworden? Ach, das Glück hätte mich gut gemacht, und seiner Mutter Nähe hätte alle Schroffheit meines Wesens gemildert. Vorbei! Nun, Leben, nimm mich hin – was nun zu verlieren bleibt ist ein Kinderspiel. Ich träume nie mehr, aber keiner, keiner nenne mehr das Wort Liebe in meiner Nähe!

Wenn ich rückwärts sehe, könte ich wahnsinnig werden, so oft hätte ich auf seine Liebe geschworen, noch jetzt, noch vor wenig Tagen – noch – Nein, nein, o haltet fest, meine Sinne!

 

Den 30ten [July].

Er ist in Ems – ich sollte Sonntag – hoffe den Dienstag erst zu reisen, Wolffs kommen. Wie ich Ihn liebe! wie ich ihn liebe! – Wie nahm er das wieder auf, daß ich ihm schrieb, als nun die ganze Klätscherei darauf hinauslief, daß alle Leute mir gratulierten! – Wie ist er anders als Alles! – Was aber konte ich ihm anders antworten als daß ich den Klatsch nicht geahndet. Ich hatte wohl gehört, daß einige Bekannte es meinten, er käme, um sich mit mir zu verloben, aber eigentlich hatte ich es ganz vergessen, denn da ich ihn so wenig sah, meinte ich, die ganze Sache müsse längst begraben sein – ich kan wohl sagen, Clementinens [v. Mandelsloh] Kommen und Fragen verwirrte mich ganz und überraschte mich lebhaft; denn daß noch irgend Jemand daran denke, schien unbegreiflich. Und doch wollte ich, ich hätte ihm sagen können, daß ich etwas davon gehört hatte, denn wie gegen Gott möchte ich gegen ihn wahr sein! – Dann quält mich unbeschreiblich, daß ich heute durch der Voigt Quälerei dahin kam zu gestehen, er habe mir einige Zeilen geschrieben. Ach Gott, wie ist meine Seele zerrissen! – –

Still ist mein Glück – stumm mein Schmerz!

Es ist nun lange Zeit verstrichen, ehe ich geschrieben! Wie steht meine Liebe so fest mir in dem allertiefsten Herzen! Die Sehnsucht kan noch nicht das Glück zerstören! Die letzten drei Tage waren mein Erdenparadies! o daß mich nie, nie der Dämon des Zweifels wieder fasse! Als ich ihm sagte, daß nun aller Zweifel von mir gewichen, antwortete er mir: »Das hat aber lange, sehr lange gedauert!« – »Ach«, erwiderte ich, »wie mußt' ich fürchten, daß mich die Eitelkeit blende, denn eigentlich haben Sie mir ja fast nie gesagt, wie Sie mich liebhaben.« – »Mein Gott«, sagte Er, »das ist so wenig, einem Mädchen es sagen, das geschieht so oft! aber wenn man es zeigt mit allem Wesen und Thun – dann ist es etwas!« – –

Wir schieden den 3ten August gegen 8 Uhr Abends.

Am 4ten früh 6 Uhr verließ ich Weimar, er um 2 Uhr. Er nach Norden, ich nach Süden!


 

Schlangenbad den 19ten August.

Charlotte Leuthoff, Carl Luckner, Bettina v. Arnim.

 

Wiesbaden den 24ten August.

Die stille und bewegte Zeit liegt hinter mir mit Schmerz und Lust! Der Abschied und der Tod haben ihre Pfeile abgedrückt, und mein Herz ist wieder still und meine Lippen sind wieder stumm! Ich kan nicht schreiben über meine Liebe und auch nicht über meinen Schmerz um Carl Vincenti! – – Am 20ten July ist er von uns gegangen, auf ewig. – Treuer Carl, nun wache oben für mein Glück.

 

Den 27ten August.

Ich will aber wissen, wie es in meinem Innern aussieht! – Als ich nach Schlangenbad ging, stand Gottfrieds Bild in dem Rahmen jeden Gedankens; wohin sich mein Geist, mein Herz wandten, Er, Er war unabläßig da! Ich freute mich zuweilen aufs Einschlafen, obgleich mir's Leid that, Ottilien dann nicht mehr reden zu hören, weil ich dann besser, leichter an ihn denken konte! Dazwischen fiel des Grafen Luckner Bekanntschaft. Ich fand in ihm was ich, eh' meine Seele Gottfried angehörte, geliebt haben würde – ich bemerkte nicht, daß er mich auszeichnete. Im Gegentheil, ich glaubte zu sehen, daß er Ottilien vorzöge. Er versprach mich hier zu besuchen. Ottilie sagte mir, er zeichne mich aus; die andern beiden, die Leuthoff und die Arnim, meinten es auch, man nahm mir meine Unbefangenheit, ich empfand, daß er mich auszeichne. Ich dachte viel an ihn, auch sah ich ihn sehr viel – ich hatte Noth, nicht die Anlage in des Grafen Herz zu einer Art Neigung zu nutzen; hätte er mich geliebt, ich wäre untröstlich gewesen; aber des seltnen Mannes zarte Auszeichnung verlockte mein thörigt Herz! – Ottilie sprach mit mir – mein Geist sprach mit Gottfried, ich fühlte mich vollkommen rein, aber leise beschämt über das Aussehen, welches vielleicht unbewußt meine Vorliebe seiner Neigung gegeben. So schieden wir. Die Arnim wollte in ihn hereinsehen und häufte Witzeleien, Spöttereien und dgl., um ihn auszuforschen; sie sagte: ob er meine, dies könne mehr als eine ganz vorübergehende Bekanntschaft seyn? – sie verletzte ihn tief, trübte seine Erinnerung, er hielt es nicht mehr aus, ohne uns. Ich sandte in meinem und Ottiliens Nahmen ein kleines Kupfer, Schlangenbad darstellend, mit einem Vers für die Gesellschaft. Graf Luckner kam. Er hatte nichts weiter hier zu thun als mich zu sehen. – Er sagte das ganz einfach – ich war nicht zu Tische gekommen, denn ich war krank – also sah ich ihn Nachmittag 3 Stunden, fast zwei davon ganz allein. Graf Luckner sagte mir fast alles immer mit Bezug auf Ottilie, er sagte, er wolle selbst nicht wissen, ob uns sein Inneres vereinzelt denke, er wollte durchaus nur das Bild von Schlangenbad festhalten, wie es war. Ich versprach ihm, daß er uns immer so, gerade so wiederfinden solle, ich sagte, ich fände das Alles nicht so wunderbar, ich nahm alles, was er mir Holdes, schmeichlerisch Freundliches sagte, mit unendlicher Rührung an, ich vernichtete aber den leisesten Anstrich von Koketterie – ich machte den Gedanken einer Liebe, mit der Art wie ich Alles aufnahm, zu einer tiefen, unergründlichen Unmöglichkeit. Aber wir wurden immer offner dadurch, ich bat ihn, die Herrschsucht, die er, gegen seinen Character, gegen eine Frau, die er liebe, ausüben könte, blos weil er sich aus Grundsätzen eine künstliche Form aufgebaut hätte, in die er sie hineinzwängen wolle – diese Herrschsucht, die ihn hart machen könne, abzulegen. Er glaubt nicht daran, daß eine liebende Frau mit Entzücken gehorcht! Ich bat ihn an Menschen zu glauben, uns zum Omen zu nehmen, daß er die Liebe und Treue fände! Später erzählte ich ihm von Vincenti, von Arthur, er mir von seiner Mutter, von seinen zwei Brüdern, ganz genau wie er zu ihnen stehe, von seinem Leben mit seinen Verwandten, von seinem Schmerz und – das war Liebe und getäuschte Liebe! von seinem ganzen kommenden Leben, von dem Kampf, ob er Legations-Secretair werden solle; warum er Diplomatiker geworden, von seinen Studien, von seiner Zukunft, von seinem Vermögen, von seiner kleinen Schwester – etc. Einmal sagte ich halb ernst: »Ich weiß zwar nicht, ob Sie nicht verlobt sind, obschon ich weiß, daß Sie nicht verheirathet sind, aber vereinzelt kan ich Sie mir nicht denken, Ihr Herz darf nicht allein stehen in der Welt.« Darüber kamen wir wieder tief in's Reden – aber eine ängstliche Delicatesse hemmte all meine Worte; dann sagte er, er glaube, daß er nie heirathen werde, und sprach mit mir, wie er dann die Lebenseinsamkeit ertragen wolle. Endlich sprach er sogar von Briefen, die er eben bekommen, und wie sie ihn bestimmten, nach P[aris] zu gehen. – Ueber eine Familien-Scene geriethen wir in Streit – da kam meine Mutter. – Wenn er nicht Sontag reist, so kommt er Montag noch einmal.

Das Merkwürdigste ist mir gewesen, wie er Alles sagt und wie ich's annehme – er sagt fast ganz einfach: »Sie zu sehen kam ich« – ich: daß ich's mir gedacht. Er sagt: »Das Lied, das Sie sangen, nehme ich mit um mir's singen zu lassen und dann an Sie zu denken« – ich: »O wie ist das hübsch!« – Er: »Ich nahm das Blatt, auf dem das Wort Erinnerung von Ihrer Hand stand«, und erzählt ganz einfach, wie man ihn geneckt und ausgelacht – ich höre lachend zu und finde keine Antwort als – »Bestimmt war es Ihnen nicht, denn es war eigentlich meine Absicht, daß ich auf jedem kleinen Kupfer etwas schreiben wollte, aber es drang die Tinte durch« – dann sagte ich: »Ich meine, Sie hatten schon etwas von meiner Hand« – »Nur den Nahmen«, sagt er, und heiter sehen wir uns an. Wir sprechen davon, daß kein Schmerz, kein Misverstehen, nichts Unangenehmes dem schönen Bilde unseres kurzen Beisammenseins hinzugefügt war – daß wir so heiter, so ruhig scheiden! – Kommt es dazu, so werden wir Beide doch trübe und fast steif und verschieben es, ich meine, vielleicht kommt er noch einmal. –

Und nun mein Gottfried! hättest Du diese Art Dein Gefühl zu zeigen, hättest Du diesen Zauber von Weichheit der Seele, bei Deiner Festigkeit. Die Erde wäre mein Himmel! O daß ich Dir jedes Wort der Liebe abzwingen muß, daß der eiserne Ernst Deines Herzens mir nicht den Zauber des Ausdrucks gönnt, daß Du erst an meinem Auge erwarmen mußt und dann erst, wenn Du Dich vergißt, mir zeigen kannst, daß Du mich nie vergessen wirst. Auf Deine Treue baue ich wie auf Gott – aber mein Liebster, hat Dein Herz wirklich Liebe für mich? – Ich kan auf keine Art Luckner lieben, denn Dir gehöre ich an, unauflöslich – aber wunderbar wehmüthig schaue ich ein Herz an, das mich lieben könte und würde, wenn es dürfte und wenn uns nicht der Stand trennte, der mir hier vielleicht für die Zukunft einen großen großen Schmerz erspart! – Auch ein vorübergehender Irrthum, der Luckner schmerzte, wäre mir wie die Last einer Sünde!

 

Den 13ten September. Frankfurt.

Ich war noch oft froh und Minutenweise glücklich. Schlossers und Souchays waren leider verreist. G[eh. Rat] Willemers sah ich durch Misverständnis nicht, sie wohnten noch draußen auf der Mühle. Mit der Fichard und Christeln [Stricker] war ich viel. Marianne [Saaling] war in Baden …

 

Fulda den 19ten September.

Wenn ich zurückblicke, habe ich doch eigentlich eine Menge froher Stunden durchlebt in Wiesbaden – Luckner sah ich nicht wieder; aber Haxthausen kam unvermuthet wieder an und blieb; er zog zu uns in's Gartenhaus. Alle Abend brachte er bei uns zu, und wir sangen Volkslieder. Nachmittags saß ich oft beim Kaffee mit ihm allein im Garten, ich sprach gern, offen und frei mit ihm – ich freute mich, einen Menschen kennen zu lernen, den das Schicksal so begünstigt hatte, daß es ihm für verlornes Glück wenigstens freies Schaffen und Unbegrenztheit im täglichen Treiben gestattet hatte. Er hatte fünf Brüder; der erste heirathete ein Frl., die zwar von Adel, doch nach den Familien-Statuten nicht vornehm genug war, er verlor mithin die Mannlehnsgüter. Sie fielen an diesen Haxthausen; der bewirtschaftete sie eine Weile, schuf manches Neue, richtete Vieles ein, unter andern sogar zwei Parke für Freunde, auf seine eigenen Kosten, weil darin eigentlich sein Leben besteht, er muß immer etwas treiben und ordnen, und am Liebsten diese Art Dinge – plötzlich entschloß er sich, die Güter freiwillig abzutreten, an einen jüngern Bruder. Er hatte noch immer ein bedeutendes Vermögen – man könte sagen ein großes, denn ich erinnere mich, daß er einmal eben so plötzlich Hildesheim verließ und sein vollständig eingerichtetes Haus seiner Nichte schenkte; er gab also nun die Güter dem nach ihm folgenden 3ten Sohn. Dieser, ein eifriger Jagdliebhaber und obendrein Junggeselle, war nicht zu bewegen sie zu übernehmen, sie trugen sie vereint dem in Köln wohnenden Haxthausen an, und so ward der 4te zum Haupt der Familie. Und dieser zog nun frank und frei durch die Welt. Durch Chaufepiés Mädchen war ich im vorigen Jahre mit ihm bekant gemacht, wir hatten am Tisch ein durch große Offenheit einer geistigen Beichte gleichendes Gespräch gehabt; wir fanden Geschmack aneinander, und schon im vorigen Jahre schloß er sich an uns. Diesmal war ich theils durch meine geistige Ermüdung, durch alle die leisen geheimen Qualen der letzten Wochen, ja sogar durch die heftige Wirkung des Bades, das mir das Blut brausend durch die Adern trieb, unfähig, neue Bekanntschaften zu suchen. Ich ließ Alles an mich kommen. Als ich nach dem furchtbaren Schmerze um Arthur endlich wieder anfing zu denken, zu sehen, und mit Chaufepiés zusammenkam, war die Kluft zwischen uns wieder sehr merkbar. Die Kleine hatte noch immer Gewissens-Scrupel, die Aeltere hatte einen Ausdruck von Sinnlichkeit in den Zügen, der mir sehr zuwider war. Beide waren aber viel artiger und zurückhaltender, aber gegen mich weniger herzlich, denn sie, und leider ich auch, waren präoccupiert – ich von all den Wogen des Lebens, das ach so fern von diesem Außensein seine Wellen schlug – sie vom Genuß des Moments, der doch auch nicht weit her war. In Hattenheim, im Paradiese einer solchen Gegend, führten sie eigentlich ein leeres, unbeschäftigtes und doch nicht ganz genießendes Leben. Die geringe Bildung der guten Menschen störte mich – und dann fühlte ich auch, daß selbst das Herz, das Gefühl gebildet werden und doch an Tiefe dabei gewinnen kan.

Fr. v. Esebeck, eine wunderliche Freundin der Mappes, die hier in schlechtem Ruf stand – ich hatte ein instinctmäßiges Gefühl, das mich abschreckte, aber was man ihr vorwirft, kan doch ziemlich durch Unbefangenheit und Unbesonnenheit entschuldigt werden. Sie war halb deutsch, halb französisch. Haxthausen hatte einen Widerwillen gegen sie. Ihre Begleitung nach Hattenheim war amüsant, aber doch oft störend. Er empfand die ganz fremde Umgebung wie ich und – ist nicht wieder hingekommen. Herrmann misfiel mir. Madame Focke aus Bremen, ihre Tochter Josephine, deren Bräutigam Herr Löhrmann und Elise Schepeler waren unser Haupt-Umgang. Die Focke ist mir gefährlich, durch Leidenschaftlichkeit und Anmuth, Phantasie und Bildung – eingeengt mitten in glänzenden Verhältnissen, arm im Luxus, vernünftig geworden aus Erziehung und Formenzwang – ich gefiel ihr auch. Im Grunde war ich ihr vielleicht gefährlicher als sie mir.

Elise blieb 3 Tage mit uns in W[iesbaden], als die Focke nach Fr[ankfurt] gieng, wo Josephine erkrankte. Ihre Leiden, die mich an Ulrikens Zustand erinnern, ihre häufigen Krämpfe erregten mich sehr. Mir war wohl, als sie fort war. In die letzten Tage ihres Aufenthaltes fällt die unselige Geschichte mit Arthur. Doch davon heute nicht! ich bin doch wund und matt! In dieser Sache wird mir nun wohl Gott helfen. – Aber Gottfried! o wie weh ist mir.


Am 27ten [August] Abends erhielt ich einen Brief von Arthur, aus Mannheim, er schrieb, daß [Fritz] Osann ihm Nachricht von meinem Plan, den Winter am Rhein zuzubringen, gegeben, daß er erfahren, ich wünsche ihn zu sehen, daß er nach Frankfurt kommen werde, daß er jedoch nicht bestimmen könne, ob er sehr bald oder sehr spät dorthin komme. Ich schrieb gleich und bat ihn, mir einen Tag zu bestimmen – genug, ich versuchte Alles, um ihn zu bewegen, mir ein rendez-vous in Fr[ankfurt] zu geben. Am 28ten gieng der Brief ab. Am 30ten, als ich von einer Partie in Biebrich zurückkam, fand ich einen zweiten Brief, in welchem er mir schrieb, er reise den 29ten ab und bleibe etwa 24 Stunden in Frankfurt. Sogleich fertigte ich einen Expressen ab mit einem zweiten Briefe, in welchem ich ihn beschwor mich zu erwarten, nur nicht ohne mich gesehen zu haben den Ort zu verlassen – der jetzt wie nie eine Gelegenheit uns zu sehen mir bot. – Was ich litt – der Bote fand ihn nicht mehr! Seitdem war mir nie wieder recht wohl, meine Gesundheit war untergraben. – –


Luckners Bedienter war in einer Schlägerei, die die Leute gehabt, so verletzt, daß er nach wenig Tagen starb – Luckner gieng nach Paris. – Die Focke blieb wegen Krankheit Josephinens in Fr[ankfurt]. Elise folgte ihr. Die Wintzingerode und Mülmann, die Fürstin Wied-Runkel sah ich dann und wann; mein Hauptumgang – ich möchte sagen meine Hauptbeschäftigung war Haxthausen. Kommerzienrath Hase und Frau aus Hannover, allerliebste alte Leute, Herr v. Alvensleben, ein Räthsel Wiesbadens, das ich nicht zu lösen versuchte aus Ermattung, und Fr. v. Imhoff bildeten die Hausgenossenschaft des Pavillons. Alvensleben gieng seit 5 Monaten herum in W[iesbaden], sprach mit Niemand, besuchte keinen, war betrübt und stumm – ich weiß nicht, woher die getheilte Meinung kam, daß er entweder als Spion 2 Jahre auf einer Festung gesessen oder gar eine Prinzeß liebe, die auf die Möglichkeit passe ihn zu heirathen. Er sah interessant aus, nahm sichtbaren Antheil an uns und Haxthausen, bot uns freundlich Guten Morgen und grüßte wie ein Türke mit der Hand auf der Brust.

Coudenhove war viel mit uns; Baron Greiffenklau sah ich mehrmahls. Außerdem noch an neuen Bekanntschaften in dieser Zeit: Gräfin Careneck aus Wiesbaden, Herr Präsident von Trümbach, Frl. v. Stolterfoth! schreibt nichts weniger als ein Epos! Geschichte Alfreds des Großen. Dabei kan sie kein Wort Englisch. Frl. Zwierlein mit ihr. Frl. Buch aus den Niederlanden, die Schwägerin Melperts. – Höchst erfreulich war ein Wiedersehen Boisserées (Sulpiz). Nun komme ich auf den freundlichsten Augenblick meines diesjährigen Aufenthalts. Eben als mir etwas leichter um Kopf und Herz geworden, kam mein lieber Eduard [Gnuschke] und brachte mir seinen Freund [Louis] Stromeyer. Den heitren, beglückenden Eindruck zu schildern, den die frische reine Jugendlichkeit der Freunde auf mich machte, ist unmöglich. Aber Schmerz und Sorge traten zurück! Ich hatte schon früher eine herzliche Freude an seinem Briefe gehabt. Wie wir, ich zu Esel, die Beiden zu Fuß, zuerst dem Rhein entgegen zogen, um ihn vom Geisberg zu begrüßen. Wie jeder Moment mich so herzlich rührte, wie Stromeyers Neigung mich wie mit goldnen Fäden umspann und ich doch so – mütterlich möchte ich sagen meine Seele zu Beiden sich hinneigen fühlte! Der Eine, den zum Trost der Engel der Tonkunst geleitet, der Andere voller Talent für Malerei, die Welt mit frischem Künstlerblick erfassend, Beide voll Eifer für ihre Wissenschaft – alles aber edler, entschiedner in Stromeyer. Oft dachte ich, daß er rascher lebt und fühlt als Eduard, daß seine Phantasie ihn höher trägt, aber sein kinderreines Herz und Auge entzückte und beruhigte mich. Er glaubt nur sehr kurz zu leben, und es scheint, er hat Anlage zur Schwindsucht; er hofft in der ihm geschenkten Spanne Zeit recht viel Gutes zu thun, er glüht für alles Große, ist voller Selbstaufopferung und sinnt nur darauf, wie er rasch zum Ziel des Wirkens gelangen könte! In dieser Hinsicht ist er praktischer als Eduard, der eigentlich noch gar keinen Begriff vom Leben hat; er sorgt für diesen, er zeigt ihm einen Reichtum des Gefühls, der ihn für jede Einwirkung der Rohheit oder Gemeinheit anderer jungen Leute schützen muß – aber ach! seine schönen Züge erinnern an Sterling, und das rasche Hinneigen zu mir, zu der ganz Fremden, die nur meines Eduards Erzählungen ihm bekannt machten, erschreckte mich. Und daß ichs bekenne: auch mich zog es zu ihm, ich hätte diesen Stromeyer lieben können wie Sterling, ohne alle Nebenabsicht, ohne alle Hoffnung, ihn mir zu erhalten, blos wie Engel schöne fromme Kinder lieben und sie bewachen! Im Augenblick waren wir sehr glücklich. Ich brachte sie am folgenden Tage nach Biebrich. Dort lebten wir eine Abendstunde, deren goldene Lichter noch meine Gedanken durchstrahlen. Wie dankte ich Gott für diese Freude! ich zeigte ihnen den Rhein und die unendliche Pracht der Natur, dabei sah ich die Pracht der Jugend und des Menschenherzens, mir war als wüchsen uns Flügel, die Trennung schmerzte mich gar nicht, und ich nahm Stromeyers Neigung wie mir gehörend hin; so gab er sie auch, wir sahen uns oft ganz stumm an, aber Beide waren wir wohl froh eines des andern, und nachher überkam mich ein leiser Schmerz, daß ich Eduard vernachlässigt hätte. Indessen er schien es nicht zu fühlen. In Frankfurt war Wilmans entzückt von ihm, ich war gleich wieder die geschmeichelte Mama. In der Hoffnung, daß Beide vom Rhein zurückkehren könten, ehe ich fortgienge, lud ich sie ein zu W[ilmans] zu kommen und ersetzte Eduarden im Briefe, was ihm vielleicht Stromeyer scheinbar genommen.

 

Den 4ten October Abends. Weimar.

Morgen in aller Frühe verlasse ich dies Haus – um nie wieder hier zu wohnen. Es ist seltsam, ich glaubte es würde mir ganz gleich seyn, denn auf all solche Dinge bin ich abgehärtet; nun aber möchte ich denken dürfen, daß ich nach einer langen Reise es einst wie ein Gasthaus wieder betreten würde – es thut mir weh, daß jene mit Osann verlebte Zeit wie eine Episode stehen soll in meinem Leben. Keine Wand, keine Thür, kein Blick in den Garten wird mich erinnern – nur in meinem Herzen steht der Gedanke, nichts um mich wird ihn freundlich erwecken! – Line [von Egloffstein] geht nach Rußland, sie wird einen Brief für ihn mitnehmen und ein Buch. – Ich glaube, daß ich es nicht ertragen werde, so insgeheim ihm verbunden zu bleiben; seiner Mutter Anblick verletzt mich, sein Bruder war noch nicht bei mir, vermuthlich weil er glaubt, ich ziehe aus – erst kränkte mich, daß jeder uns verlobt glaubte; nun, daß ich keins meiner Rechte geltend machen kan. Zuweilen denke ich, ich habe mir das alles eingebildet, zuweilen denke ich, daß ich ihm thörigt scheine, daß er mich nicht nur nicht liebt, ja daß keine Ahndung meiner Gefühle in seinem Herzen lebt. O das sind traurige vernichtende Ideen. Bleibt alles, wie es ist, so sterbe ich langsam, noch erhält mich die Hoffnung. Oft – ja meistens fühle ich mich geliebt, aber zuweilen überkommt mich eine innere Verzweiflung, für die ich kein Rettungsmittel weiß. Er muß frei, muß im Vaterlande seyn, dann wird sich alles rasch entscheiden; und was dann getragen werden muß, werde ich tragen und muthig sterben, ohne Klage. Der Todesschmerz ist nur die Schroffheit seines Wesens, die mir immer den Muth niederschlägt – die Angst, ihn härter, kälter zu finden, tödtet mich. – O Gott muß ich denn am Ende doch an der Liebe sterben und nicht an der für Ferdinand! Wie denke ich seiner! wie bewegt mich noch jeder Ton aus seinem Leben! und doch ist mir oft als hätte ich gesündigt, ihn nicht mehr einzig und allein zu lieben! –

 

Den 8ten October.

Morgen in aller Frühe reist Line mit der Hoheit nach Rußland, und – Gerstenbergk kommt noch heute. Ich bin im neuen Haus; das erste, was ich schrieb, war ein Brief an Osann. – Wunderbar, Line und Ottilie verstehen sich nicht.

 

Den 9ten [October].

Es sind nicht Träume, es sind nicht Gedanken, die durch meine Seele ziehen, Wolken sind es, die mir alle Sterne bergen und die in der Dämmerung eine Nacht bilden, ja die wirklich Unvermeidliche frühe hineinziehen, mit Gewalt. Ich bin noch nicht traurig, noch nicht düster – aber diese Wolken haben doch jeden erhellenden Strahl gedeckt, daß er mich nicht erreicht, und mein Leben wird nur die Fackel des Geistes erhellen! Und es ist doch erst Dämmerung, noch nicht Nacht! – Ich möchte ihn einmal fragen was Er denn von dem allen denkt! – O der Geist der Kassandra! als die Götterwelt endete, breitete er sich in tausend Theilen durch das Leben hin, und wir Armen, die nun sehen was uns droht, müssen noch immer wie sie den Schleier über die Augen ziehen, welche die Fittige der Unglücksboten sahen, und können keinen Theil des Elends wenden, keinen! und wir haben nicht einmal das Recht der Thränen behalten für diese klaren Augen! – Das fremde Leiden sehen wir nicht – das ist ein Trost! – –

Malsburg ist plötzlich gestorben. – Der Tod ruft die Menschen jetzt Alle wie Soldaten an und – ab. Gerstenbergk ist da. Ich fühle gar nichts auf diesen Punct – – – – – Und doch hatte Line Recht! – Doch bin ich unter uns Dreien die Glücklichste, weil ich keine Aenderung meines Freundes befürchte; sie ist unmöglich – würde sie's, so weiß ich daß ich gleich stürbe. So nimm denn den Dir gehörenden Tribut, Du harte Wirklichkeit, trenne unsre Wege! – Sein Herz war mein, und einige Stunden war ich vollkommen glücklich. Sterblich gebornes Herz was willst Du mehr?

 

Den 13ten [October].

Fremdenzettel: Mr. French, kleiner 16jähriger Irländer, Wolleys Freund. Mr. Ord – Engländer. H. Staatsrath Jakob, seine älteste Tochter, welche die Servischen Lieder übersetzt hat, seine zweite Tochter ein niedliches musikalisches gutmüthiges Wesen. Ein Herr Sohn, der in Langensalza angestellt ist. Herr Reichardt, Musiklehrer aus Berlin, Zelters Hauptbassist. – Könneritz war hier und kam nicht zu uns; er fürchtete sich, weil er der Mutter, als sie ihm die Verspielung der Bilder theilweise auftrug, allerlei Verwirrung in den Zahlungen gemacht hatte. – So endet nun diese Neigung meines Lebens, wie ich einst es voraussah! Lebewohl! Ich werde dich nicht mehr sehen, Du schöner Schmuck, spielender Schmerz meiner Tage! Wie fern die Zeit liegt! wie in einer andern Welt! – – Seltsam, das Gefühl der Liebe – oder Neigung ist vorbei, und das des Schmerzes ist geblieben! Ich mag ihn nicht mehr sehen, es schmerzt mich etwas, kaum weiß ich was. – Meine Tage gehen noch immer in Arrangements unserer Wohnung hin, es wird sehr schön, sehr elegant um mich! – –

 

Den 14ten [October].

Ich habe an die Gräfin [Amélie Häseler] einen Einleitungsbrief geschrieben – liebenswürdig, ohne ordentlichen klaren Geist, ohne Tiefe, freundlich; ohne alle Berührung mit meinem Leben – recht nett, nichts dahinter. – Warum lehrten mich die Menschen sie kennen? nun betrüge ich sie – ich lache in Gesellschaft und lasse sie abweisen, weil ich in Thränen schwimme, ich erhalte mein äußeres Verhältniß zur Gräfin, weil sie meine reine Achtung verloren hat, und weil Er [Gerstenbergk] mir unwahr vorkommt; mein Herz schließt sich, und ich bin also höflich freundlich, aber – weiter nichts. Und das Schönste ist, sie ahnden nichts, es fehlt ihnen nichts! – Ich werde nächstens von Osann reden können, und sie werden nichts merken. Das habe ich gelernt! – o warum! – Seitdem Sterling gieng, habe ich die Masse kennen, würdigen gelernt; sie sollen nicht einmal wissen, daß ich zu Hause mich einsperre, und sollen mich immer in andern Cirkeln glauben; jetzt denken sie, ich arbeite Tag und Nacht für's Haus! – Ich aber! nun ich habe mich gekant, ich sterbe an dieser gesteigerten leidenschaftlichen Empfindung – wie sie heißt weiß ich nicht. –

 

Den 15ten [October].

Gestern sagte Gerstenbergk, daß er mir unbedingt traue, ich schämte mich. Nun, in so fern daß ich ihm nie schaden werde, daß ich seine guten, seltnen Eigenschaften erkenne, in so fern hat er Recht; wo er aber glaubt, daß zwischen uns nach seinem Betragen bei seiner Heirath noch ein Zusammenhang stattfinde, da irrt er ganz. Ich schickte ihm den Brief an Amélie – ich will mit ihr keine Geheimnisse, und schon die Dreizahl macht Intimität unmöglich. – Die Voigt sprach mir von Ihm. Sie wiederholt, daß er mich liebt – sie läßt mich glauben, daß Emil [Osann] gegen mich ist – und das begreife ich! Dann glaubt sie, daß die Geh. R[ätin von Voigt] auch gegen mich ist, so sehr sie mich lobt und erhebt und daß sie Gottfried deshalb so oft entfernt habe. Es ist möglich – und Du, theurer Gottfried, glaube ja nicht, daß ich Deine Mutter deshalb verdamme! Es ist mir ja selbst tausendmal eingefallen, daß Du eine Andere lieben und heirathen wirst – daß ich Dich mehr liebe als mich, fühle ich; im Nothfall verblute ich für Dein Glück. Deshalb sollte eben Deine Mutter mir trauen, man lasse mich für Dich sorgen, und warlich kein Schatten soll Deine schöne Existenz berühren. Als ich mit Bewußtsein anfing Dich zu lieben, gab ich mich auf und werde ewig Dir das seyn, was Dein Glück nothwendig macht, Geliebte, Schwester, Frau und ernste Freundin – sogar Dein Spielgesell, aber nie Dein Unglück.

Hätte sich mein Schicksal beim Wiedersehen entschieden, so hätte ich für mich fortleben, fortschaffen können. Damahls war es Zeit, damahls war auch die Neigung nicht durch all die Unruh gesteigert. Gott wollte mir nicht die Klarheit geben, die ich zur Kraft bedurfte – ich weiß noch nicht was Du mir bist – nicht was Du von mir forderst! Nun bin ich Dein geworden, unwiderruflich, und somit hat das Außenleben ein rasches Ende erreicht. Ich weiß wohl es wird gehen, bis Er endlich frei wird. Dann wird sich finden, ob er mich liebt, ob er mein Freund ist; bleibt er letzteres, so werde ich sehr glücklich leben bis er liebt – dann liegt in der Natur der Sache, daß ich ihn verliere, und dann giebt Gott wohl rasch den Tod, der mich frei macht. Ich könte ihn heirathen sehen, aber nicht lieben; und ohne Liebe soll er – wird er nicht heirathen. Ich fühle bei dem bloßen Gedanken meine Sinne schwinden; unwiderruflich tödtet mich der Schmerz.

 

Den 16ten [October].

Den ganzen Tag zu Hause mit freundlichen Beschäftigungen – sie haben mich zerstreut, aber – nun ist alles wieder so wild, so aufgeregt! Es geht nicht, und ich sehe kein Ende; ich wünschte, ich könte mich schelten, aber ich kan es nicht, denn ich habe alles Nöthige gethan, und nun bin ich allein, und niemand leidet unter diesem Druck des Lebens, niemand bemerkt ihn mehr! – Warum nur immer wieder weiter leben! All meine Gedanken sind schmerzlich, alle Pulsschläge meines Seyns sind leise unterdrückte Klagen, und doch ist mir nicht mehr geschehen als allen Denen um mich, und doch habe ich mehr Kraft und trage es leichter; nur innerlich, da ist der unergründlich tiefe Schmerz, der wahrhaftig weder Thränen noch Seufzer braucht. – Ich kan wohl auch so fortgehen meinen Weg! Aber es ist entsetzlich! ich werde nie sagen, was ich gelitten habe.

Zu meinen liebsten Beschäftigungen gehört es jetzt Göthes Farbenlehre zu lesen. Es versteht sich wohl, daß ich mir kein Urtheil über den wissenschaftlichen Werth des Buchs oder über den Streit gegen Newtons Theorie anmaße. – Mich freut aber, über einen mir interessanten Gegenstand den geistreichsten Mann meiner Zeit reden zu hören. Da ich nicht leidenschaftlich für irgend eine Meinung in dieser Sache eingenommen seyn kan und Göthen für einen so großen Dichter halte, daß wenig darauf ankommt, welchen Platz er als Physiker einnimmt, weil doch das überwiegende Dichtergenie ihn immer wieder von jener Bahn ab und seiner eigenen, noch schöneren Welt zutreibt, so ergötzt mich die Behandlung ungemein. – Ich hatte oft gehört, es fehle dem Werk der reine wissenschaftlich-strenge Zusammenhang – hier erfreut mich, wenn eine Lücke eintritt, wie sein poetischer Geist eine Brücke darüber schlägt, oft ohne daß er selbst es weiß – denn er beschreitet sie keck, und ihn, den luftgebohrnen Göttersohn, trägt dieser Bogen – jeder Andere bräche den Hals. Dann kommt ihm auch seine eigene Klarheit so wundervoll zu statten und ersetzt oft Kenntnisse und Uebung. Wie sehr jedoch der Gelehrte oder der wissenschaftlich Gebildete Gelegenheit findet, sich über die fast frauenhaft-kühne Art, einen solchen Gegenstand zu handhaben, zu ärgern, kan ich mir denken. Endlich aber bin ich überzeugt, daß er irrend oder erleuchtend immer die Welt fortbringt und vorwärtsstößt, wo er auch hingreife, um zu schaffen. Da ich ohne Vorkenntnisse – denn sie sind so mangelhaft, daß ich nicht wage sie mir anzurechnen – den fremden Boden dieses Buchs betrat, war es natürlich, daß ich glauben mußte, was mir der Meister sagt, besonders da die meisten seiner Phänomene und Experimente mir aus dem Umgang mit ihm bekant und geläufig sind. Sonderbar ist es, daß ich seit dieser Lectüre weniger Lust habe, irgend ein anderes Buch zu lesen …

 

Den 23ten [October].

Ich schrieb eben Stellen aus Abélard und Heloise ab. Wie ist doch unter allen Verhältnissen der Liebe die Neigung zu einem Lehrer fast die allernatürlichste. Da sah man immer auf zu dem Geliebten, und das unendbare Glück dieses Aufblicks kommt so gerechtfertigt den menschlichen Sitten und Gebräuchen entgegen.

Heute oder morgen muß Line [v. Egloffstein] in Dorpat ankommen. – Ich möchte nicht immer dasselbe schreiben, und doch ist mein inneres Leben ein Wiederhall jenes Gefühls geworden. – Ich war im »Titus«, man gab ihn schlecht, und ich möchte ihn gerade nur sehr schön oder gar nicht dargestellt sehen. Gerstenbergk kam von Sulza zurück – es ist als würden meine Gedanken kleine Quellen, die sich frisch ergießen, aber wenn er naht, sind alle seine Worte hemmende Dämme, die kleinen Wellen schlagen scheu zurück, trüben sich – da ist kein Spiegel mehr, der Luft und Erde wiederstrahlen möchte. Ich aber sehe dem allen zu, aber das Element steht ja nicht in meiner Gewalt. O ja, die Gedanken sind frei! so frei, daß Du selbst keine Herrschaft über sie gewinnst.

Das allerschlimmste ist diese innere Gleichgültigkeit. Mir ist warlich sehr gleich, wie ich wohne, und keines Bekannten Nähe freut mich mehr. Kaum interessiert mich noch die schöne ernste Herbstzeit, denn allein kan ich ja doch nie gehen. Am wunderlichsten ist, daß ich nie so geduldig war, wenn ich krank war – was hast Du zu versäumen, denke ich – es ist ein Stillstand eingetreten, und eine gewaltsame Thätigkeit muß mir aufgedrungen werden – sonst schlafe ich sehr bald ein! vielleicht nur allzu fest zum Erwachen.

siehe Bildunterschrift

Karoline von Egloffstein

 

Den 26ten [October].

Den 24ten auf dem Ball erfuhr ich, daß Osanns Geburtstag gestern war. Natürlich schrieb ich ihm, natürlich lebte ich ihm. O wie empfinde ich an Gerstenbergks Art und Weise, wie anders wir uns lieben – wie anders wir für einander leben. Von Gräfin Häseler einen Brief, der mir beweist – daß sie nichts merkt. Blos daß ich aus Versehen H. v. G. schrieb, ist ihr aufgefallen!! ich schenkte den Brief an Gerstenbergk unter dem Vorwand, daß ich alle Briefe der Art zerrisse. – Eigentlich will ich durchaus keine, gar keine Geheimnisse mit ihr.

 

Den 30ten [October].

Ich bin wieder krank. Es thut mir leid, nicht arbeiten zu können, ich hatte auch allzu heftige Schmerzen. Ich schrieb der Saaling und der Swieten. Mein Gott, was soll aus mir werden, ich sterbe glaube ich – es ist da kein Sieg zu erlangen, denn ich sehe nicht was ich thun kan. Ich arbeite, träume nicht, rede nicht, sehne mich nur selten, und doch war das Gefühl zu mächtig für meinen Körper. Manchmal wenn ich ernsthaft und angeregt rede – überkommt mich ganz plötzlich ein Schmerz, der am Herzen körperlich ist, meine Sinne verwirren sich, ich kan nicht denken, nicht reden – mir ist als fiele plötzlich etwas auf mich, eine ungeheure Last – eine Thräne drängt sich mühsam in mein Auge, und ich werde bleich – ich möchte sagen mein Leben geht dann wie ein dunkles Bild mir vorüber. Was kan ich hoffen?

Am schwersten ertrage ich Bälle und Tanz – so fand ich ihn. Nie fühlte ich so tief die Jugendlust, als wenn wir zusammen auf Bällen waren – nun ist alles so furchtbar ernst! und ich soll das Bild noch lieben? Dann – oft quälen mich Gedanken wegen seinem Aufsatz und seiner Liebe – ich muß Alles wissen, eher bin ich nicht ruhig, obschon ich jetzt fest an seine Liebe glaube.

Arthur hat mir einen sehr betrübenden Brief geschrieben – er will nicht kommen. Ich werde antworten, aber sehr mild. Die alten Fehler sind ausgelöscht. – Ich glaube, so wie ich jetzt bin – so allein, so ernst, könte ich viel Gutes thun, aber es ist mir nicht anzurechnen. – Wir sind viel allein, ich immer. Wenn Menschen kommen, gehe ich. Neulich gaben wir einen gewaltig großen Englischen Thee. Ich mußte mich gleich in's Bett legen. – Herr v. Häseler, natürlicher Sohn des Grafen, war hier – unbedeutend.

 

Den 1sten November.

Nach einem gestern mit Mutter gehaltenen sehr ernsten Gespräche empfinde ich die gänzliche Einsamkeit meiner Lage doppelt. Ich bin heute abermahls krank. Ich muß ganz entschieden meinen jetzigen Lebenszweck in einer Art Verhüllung meines Selbst suchen – ich muß nur vor meiner Mutter erscheinen, wenn ich im Stande bin Narrenspossen zu machen oder ein Interesse zu heucheln, das ich nicht mehr habe. Nach einer so entsetzlich unnatürlichen Stellung zu urtheilen, kan ich das nicht lange ertragen. Gleichviel. Warum traf ich ihn? nun weiß ich, daß ich nicht allein mit diesem tiefen Lebensernst geboren bin. Dieser Tage schreibt er mir wohl. Ich denke, in 14 Tagen werde ich seinen Brief haben. Wegen Würzburg höre ich gar nichts. Bei der Geheimräthin [von Voigt] war ich noch nicht wieder, es wird mir schwer, das Vertrauen ist mir gebrochen – warum spricht sie nicht mit mir? Warum behandelt man mich in einer höchst ungewöhnlichen Lage gewöhnlich?

 

Den 7ten [November].

Es war wohl nie jemand mehr allein als Du, mein Herz! Ein namenloses ungeheures Schmerzgefühl hat mir die Ueberzeugung gegeben, daß hier mein Leben alle ist – ich bin fertig mit allen diesen Menschen und muß fort, oder ich verzehre mich. Louise [Kirsten] – kan mir nicht helfen, es fehlt ihr an Muth und an Leidenschaftlichkeit, ich kan nicht vergessen, daß sie mich allein ließ, als ich so um Osann litt. Ottilie schwebt in zwei Extremen; in dem tiefen Jammer ihrer Seele hat sie nicht Zeit, nicht Kraft genug, meinen Schmerz zu fühlen und mich richtig aufzufassen – im aufgeregten Amüsementsrausch verletzt sie mich, ich habe nicht Frohsinn genug, um an den Kleinigkeiten der Geselligkeit Antheil zu nehmen, nicht Freiheit des Geistes, um zu ertragen, daß mein Treiben, meine Künsteleien, meine Art den Schmerz zu verhüllen, sie nicht lebhaft interessieren – jeder leere Engländer nimmt den Theil der Gedanken ein, die sonst zu mir sich wandten; ich liebe sie nicht weniger, aber allem, was ich thue, gelingt nicht, sie abzuhalten von dem Wege, den sie wählt – meine Mutter will unterhalten, erheitert seyn, Line ist abwesend, mit der P[ogwisch]) will ich nicht reden, weils nichts hilft, und so blieb mir niemand. – Mit Gott, der Natur und dem heftig schlagenden, aber todtkranken Herzen allein. –

 

Den 11ten [November].

Gestern an Heinkes Geburtstag hatte ich zum erstenmahl nicht den Muth mich zu putzen, ich war so entsetzlich betrübt, daß ich nicht arbeiten konte, alle Sinne wie gefesselt vom Schmerz. – Ich bin entschlossen fortzugehen auf 8-14 Tage – vielleicht wenn alle die Bälle wegen dem Advent enden, kommen andere Gespräche auf die Bahn, als dies ewige Courmachen – was doch nichts ist! Vielleicht bleibe ich länger. Aber so halte ich's nicht aus. Die Klätschereien über Natalie, Wolley, Ord etc. etc. haben mich fast toll gemacht. – So kan ich, will ich nie mehr mich hineinziehen lassen, und wenn Natalie nur versorgt ist, werde ich Alles thun, um mich leise leise von dem Umgang zu lösen.

 

Den 5ten December.

Von Tag zu Tag warte ich auf Gottfrieds Brief – ich war 12 Tage in Jena, ruhig; hier war alles beim Alten, aber ich hatte mich gefaßt, und Ottilie hatte so viel Liebe mir bewiesen, das hatte mir wohl gethan. Ich ward dann 8 Tage krank, erst an einem Friesel, dann aber immer an Kopfweh. Ich werde wohl nicht eher gesund, als bis ein Brief kommt. Line schrieb von seinem Entzücken – mit einer Rührung! o mein Gott ich kan ja nichts davor, wenn ich glaube, daß er mich liebt, alles vereint sich mir den Gedanken immer wach zu rufen! Wie war sein Bruder in Jena – wie hatte er ihm über Line, mit der er nur wenig gesprochen, geschrieben! – o meine Gedanken haltet Ruh! – Immer deutlicher wird mir, daß ich sterbe vor Schmerz, und doch weiß ich Dir kaum zu sagen, warum denn; es ist nicht die Trennung, es ist die Ungewißheit, die Sorge um das in ihm sich steigernde schroffe Gefühl – die Qual, daß er in seiner Liebe zu mir so alle Willkür sich erhält und ich so gar keine – endlich die bloße Empfindung, die mir alle alten Erinnerungen weckt, mich zwar momentan besser macht, weil sie alles was mich sonst heftig erregt, mir fast gleichgültig macht, aber auch mich so der Welt und allen ihren Beziehungen entfremdet, daß ich Tag und Nacht den einen dumpfen Gedanken, den einen Schmerz wie einen Pulsschlag meines innern Lebens immerfort fühle.

Was ist es, daß er nicht schreibt – arglistig Herz! es ist die ungeheure Anstrengung, ein vergangnes Unrecht zu berühren, aber hier tödtet mich das Mitgefühl derselben. Schwiege er und verlangte schweigend Vertrauen – er wär's nicht mehr! Da ist kein Ende …

Nachrichten von Innen und Außen.

Meine Krankheit hatte im Ganzen drei Wochen gedauert. Ich hatte einen Trost, den mir das Leben zuführte – Herr und Frau v. Mandelsloh. Zwei blasse kränkliche Gestalten, aber mir zwei Sterne, denn sie hellten meine Nacht. Er liebte die älter aussehende, gar nicht hübsche Frau 6 Jahre lang – man schlug sie ihm ab, da gieng er nach Griechenland und setzte das Leben an eine schöne gute Sache. Er zeichnete sich sehr aus – oft habe ich seinen Nahmen freudig gelesen. Sie schlug jede andere Partie aus, wollte nicht gegen den Willen der Eltern, aber auch nicht gegen ihre Liebe fehlen. Endlich war der Feldzug beendet. Die Eltern gaben ihr Jawort – er kehrte zurück. Nach der Hochzeit machten sie eine Reise hierher. Ich sah – zwei Eheleute, die sich liebten, ich sah, was Treu und Festigkeit können. – Mir ward besser.

Zum traurigen Weihnachtsfest, das uns August trübte, sehr liebe Briefe von Eduard [Gnuschcke], Julie [Kleefeld], Line [von Egloffstein] – – von Gottfried!!


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