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Die Heimkehr

Die Straße, die von Joppe her über Lydda, Ramla und das Tal Raphaim nach Jerusalem führte, war bis weit vor das Davidstor hinaus mit einer unübersehbaren Menschenmenge angefüllt. Nicht nur aus der heiligen Stadt selbst, sondern auch aus dem nahen Bethlehem, Jericho und vielen anderen Ortschaften der weiteren Umgegend waren die Leute herbeigeströmt, um die aus Ägypten heimkehrende Gesandtschaft zu sehen, vor allen aber den kühnen Fürsten Boemund, das geraubte Fräulein von Petra, den wackeren Ritter von Camp und die zwanzig sarazenischen Großen, die sie begleiteten, und den tapferen schwarzen Junker, von dem so viel Rühmens im Lande ging.

Man erzählte von ihm die unerhörtesten Heldentaten; denn die Knechte, die mit ihm auf dem Kalifenschlosse gewesen waren, hatten nicht verfehlt, ihre Erlebnisse den Kameraden in den grellsten Farben zu schildern. Im Heere waren die Geschichten von Mund zu Mund weitergetragen und dabei tüchtig aufgebauscht worden, die Boten, die die Kunde von der glücklichen Heimkehr nach Jerusalem brachten, hatten ebenfalls noch das ihrige hinzugetan, und das Volk schmückte das Gehörte nun in seiner Weise noch weiter aus.

Es hieß, er habe mit zehn Knechten ein ganzes sarazenisches Heer in die Pfanne gehauen, den Kalifen selbst habe er am Barte von seinem Throne gezaust und ihm nur das Leben geschenkt, weil er geschworen habe, sich taufen zu lassen, und vieles andere.

Überhaupt gingen über die Erlebnisse der Gesandtschaft in dem Wunderlande Ägypten die seltsamsten Dinge um, und namentlich gaben auch die Abenteuer des geraubt gewesenen Fräuleins Anlaß zu den merkwürdigsten Schauergeschichten.

Sie sei auf einer einsamen Insel mitten im Lande der schwarzen Riesen eingesperrt gewesen, erzählte man, wo ein feuerspeiender Drache sie bewacht habe. Ihre Schönheit und Großmut aber habe einen Zauberer gerührt, und der hätte sie schließlich durch seine Geister befreien lassen.

Alle diese Wunderdinge wurden jetzt vom Volke eifrig besprochen.

Inzwischen waren die Prügelknechte erschienen, die das Volk von der Straße trieben, um für die schöne Fürstin Elise von Antiochien den Weg frei zu machen, die ihrem jungen Gemahl ein Stück entgegenreiten wollte.

Bald darauf kam sie mit ihren Begleiterinnen und sechs Edelknaben daher, in dem schmucken, ihre Gestalt engumschließenden Jagdkleid und der zierlichen Reithaube auf dem von einem goldenen Netz umspannten üppigen goldbraunen Haar gar lieblich anzuschauen, und nun rückten bei der Volksunterhaltung die Weiber ins Vordertreffen und verdrängten mit allerhand harmlosem Klatsch und Kleidergetratsch bald die Wundergeschichten aus Ägypten. Ob das Gewand der Fürstin aus venezianischem oder flandrischem Samt sei, ob die Perlenschnur an ihrem Halse drei- oder vierfach geschlungen gewesen und ob sie die rote Farbe gewählt habe, weil es die Lieblingsfarbe ihres Gemahls sei, oder weil es ihr am besten zu Gesichte stehe – das waren jetzt die großen Fragen, und sie wurden mit nicht geringerem Eifer verhandelt, als vorhin die Angelegenheiten der hohen Politik und der großen Tagesereignisse.

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Die Rückkehr aus Ägypten. Einzug in Jerusalem.

Endlich ließen dichte Staubwolken in der Ferne erkennen, daß die Erwarteten nahten.

»Sie kommen!« ging es von Munde zu Munde.

Die Unterhaltungen verstummten. Alle wandten ihre Aufmerksamkeit dem Zuge zu, der nun nicht lange mehr auf sich warten ließ.

Voran ritten vier Herolde, die im Angesichte der Mauern Zions halt machten und ihre Fanfaren ertönen ließen. Mittlerweile rückten die anderen heran, und langsam ging es nun den Berg hinauf nach dem Tore.

Unmittelbar hinter den Herolden erschien an der Seite seiner Gemahlin, und begleitet vom Abt von Jericho und einigen Rittern, der Fürst in voller Rüstung auf einem prächtigen Fuchs, der so stolz einherging, als fühle er die Ehre, einen solchen Ritter zu tragen.

Nun brach ein ungeheurer Jubel los.

»Heil Fürst Boemund! Heil dem Bezwinger des Kalifen!« erklang es aus viel tausend Kehlen. Und immer wieder »Heil!« bis nach größerem Zwischenraum die sarazenischen Reiter des Ehrengeleites heraufkamen.

Jetzt verstummte die Menge, und die Begeisterung machte staunender Bewunderung ihrer herrlichen Pferde und kostbaren Gewänder Platz.

Als man aber das Fräulein und den Ritter in ihrer Mitte erkannte, begann der Jubel von neuem.

Auch die nächste Gruppe der Ritter wurde stürmisch begrüßt, namentlich weil man in ihr den schwarzen Junker vermutete, den noch keiner von Angesicht kannte.

»Heil dem Junker von Camp! Heil dem schwarzen Junker!« brauste es wieder los, und sogar Blumen wurden auf ihn geworfen.

Sie trafen allerdings den Chevalier von Montpelier, der wohl durch seine besonders siegesbewußte Miene und seine ebenfalls schwarzen Locken aufgefallen sein mußte, während der Junker bescheidentlich am Schluß des Zuges ritt und froh war, daß er diesen Huldigungen entging, die er nicht verdient zu haben meinte und deren er sich vor so vielen bewährten Rittern nur geschämt haben würde.

Den Schluß bildeten die Knechte, die jedoch auch nicht leer ausgingen, besonders da viele von ihnen Weib und Kind, oder andere nahe Anverwandte und Freunde unter den Zuschauern hatten. Jetzt vermochten die Prügelknechte gegen den Ansturm der Menge nichts mehr auszurichten. Im Nu waren ihre Speere niedergedrückt, und nun ging es an ein Winken und Händedrücken, das manchen braven Kriegers Herz heftiger zum Pochen brachte, als der Anblick des angreifenden Feindes.

Vor dem Tore stiegen alle vom Pferde, wie es die Ehrfurcht vor der heiligen Stadt erheischte, durch deren Straßen der Heiland sein Kreuz getragen hatte. Auch die Sarazenen folgten dem Beispiele der anderen. Aus der Davidsburg kamen die Knechte herbei, um die Pferde in Empfang zu nehmen und fortzuführen. Und nun ordnete der Zug sich von neuem.

Aber ehe er die Stadt betreten hatte, kam ihm der König entgegen, begleitet von seiner Tochter Melisende und dem Grafen Fulko von Anjou, ihrem Gemahl, und gefolgt von zahlreichen Bischöfen, Grafen und Edlen.

Der König schritt auf den Fürsten zu, reichte ihm beide Hände, sah ihn eine Weile mit Tränen in den Augen an und umarmte und küßte ihn dann, während ringsumher das Volk jauchzte und beide Fürsten durch begeisterte Zurufe ehrte.

Hierauf nahte sich der Führer der Sarazenen, der älteste von den drei Brüdern des Kalifen, warf sich dem Könige zu Füßen und führte ihm dann, nachdem der König ihn mit huldvollen Worten aufgehoben hatte, seinem Auftrage gemäß, das Fräulein und den Ritter zu, die der König ebenfalls umarmte und küßte, um sie dann zu dem Grafen zu geleiten, der unter dem Eindruck der Freude wieder genesen, sich im Gefolge befand und mit klopfendem Herzen den Augenblick erwartete, wo er sein geliebtes Kind wieder würde an die Brust drücken können.

Jetzt flog ihm, der Gegenwart des Königs ungeachtet, Mechthildis zu, und lange Zeit verging, ehe der Graf sich wieder soweit fassen konnte, um dem Könige für die Befreiung seiner Tochter zu danken.

Dann ging er auf Hermann von Camp zu, der mit düsterer Miene abseits stand, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: »Hermann von Camp! – Ich habe mich schwer an dir versündigt. – Kannst du mir verzeihen?«

Aber der Ritter nahm die Hand nicht, die ihm dargeboten wurde. Ohne dem Grafen zu antworten, wandte er sich ab und ging davon: Treu in Liebe und treu in Haß, wie es die Camper allezeit gehalten hatten.

Alle Bemühungen des Fräuleins auf dem weiten Wege, sein Herz zu erweichen, waren vergeblich gewesen. Schweigend war er neben ihr hingeritten. Nur wenn sie ihn ansprach, hatte er höflich geantwortet, wie es die Rittersitte gebot. Auf den Gegenstand, über den sie sich so gern mit ihm ausgesprochen hätte, war er aber niemals eingegangen. – Er wollte sich nicht auch von schönen Redensarten betören lassen, wie sein Sohn. Für ihn gab es keine Möglichkeit, dessen Handlungsweise zu entschuldigen, der ihm mehr als dreißig Jahre Freund gewesen war und doch an seiner Ehre hatte zweifeln können. Jetzt aber mischte sich der König ein.

Sobald er den Ritter sich abwenden sah, folgte er ihm, legte die Hand auf seine Schulter und sagte: »Was antwortete doch der Herr, als Petrus ihn fragte, ob es genug sei, sieben Mal seinem Bruder zu verzeihen, der an ihm gesündigt habe? – Nicht sieben Mal, antwortete der Herr, sondern siebenzig Mal sieben Mal! – Und Ihr, Ritter, bringt es schon das eine Mal nicht übers Herz? – Habt Ihr darum die dreißig besten Jahre Eures Lebens dem Dienste Eures Heilands gewidmet? – Hundert Feinde habt Ihr überwunden, und seid dennoch nicht im stande, Euch selbst zu überwinden? – Ritter, Wir hätten Uns einer christlicheren Gesinnung bei Euch versehen!«

Lange stand Hermann von Camp schweigend da. Er hatte die Augen geschlossen, und nur an dem Zucken seines Mundes und dem schweren Heben und Senken seines breiten Brustkastens sah man, wie gewaltig er in seinem Innern mit sich rang.

Endlich richtete er sich mit einem mächtigen Rucke auf, ging festen Schrittes auf den Grafen zu, reichte ihm die Hand und sagte: »Wohlan denn; um Christi willen: Ich verzeihe dir! – Aber verlange nicht mehr von mir! – Ich habe noch mit meinem Sohn zu reden, dann will ich Urlaub nehmen. – Vielleicht finde ich daheim auf meinem Schlosse am Rhein Arbeit genug, um das, was mir angetan wurde, zu vergessen.«

»Ihr wolltet uns verlassen?« rief der König.

»Ja!«

»Und das in einem Augenblicke, wo Wir hofften, Euch für Eure Dienste reichen Lohn spenden zu können?«

»Was frommt dem königlicher Lohn, an dessen Ehre man zweifeln konnte?«

»Aber es zweifelt ja niemand mehr, Ritter!« entgegnete der König. »Und im Grunde hat man niemals gezweifelt! – Wir Menschen sind schwach; oft gewinnt das Böse Macht über uns und verleitet uns zu Gedanken und Taten, von denen unser Herz nichts weiß und die wir bitter bereuen, wenn der Bann von uns genommen ist. Aber die aufrichtige Reue sühnt unser Unrecht; man sollte uns nicht die Gelegenheit rauben, es wieder gutzumachen.«

»Es gibt auch ein Unrecht, Herr, das nicht wieder gutgemacht werden kann!« erwiderte der Ritter. – » Ich wenigstens denke so, und Gott möge mir verzeihen, wenn das sündhaft gedacht ist. – Auch ich bin ein schwacher Mensch und dem Irrtum untertan, aber ich bin, wie ich bin, und ich kann nicht anders. – Mag mein Sohn das Unrecht wieder gutmachen, das ich vielleicht begehe, – aber mich, Herr, – mich laßt meines Weges ziehen.«

»Nun denn, wie Ihr wollt,« sagte der König, der wohl einsah, daß jetzt weiteres Zureden zwecklos sein würde. »Aber Wir hoffen doch, daß Ihr Euch noch eines Besseren besinnen werdet. – Noch heute werden Wir Euren wackeren Sohn zum Ritter schlagen. Noch heute soll Euch durch die Bestrafung des schändlichen Verleumders Genugtuung werden. Dann wollen wir weiter miteinander reden. – Inzwischen gehet noch einmal mit Euch zu Rate. Wir möchten nicht, daß dieser Tag Uns einen Unserer besten Ritter kosten sollte.«

Nachdem der König auch die übrigen Ritter begrüßt hatte, geleitete er selbst unter dem Jubel des Volkes seinen Schwiegersohn durch die Straßen der Stadt nach dem Tempel Salomos, wo ein feierliches Tedeum abgehalten wurde.

Aber kaum war die letzte Gruppe des festlichen Zuges vom Davidstore abgerückt, als ein neuer Reitertrupp die Straße von Joppe heraufkam.

In seiner Mitte ritt ein bleicher Mann mit verkniffenem Gesicht, aus dem nur ab und zu ein scheuer Blick über die Menge huschte, die ihm, ohne ihn zu erkennen, verwundert nachschaute.

Es war Guiscard von Rouen, dem es trotz aller Bemühungen diesmal nicht gelungen war, aus dem Hafenturm in Gazza zu entkommen, und den nun der Graf von Nazareth selbst mit vierzig Knechten nach Jerusalem brachte, um ihm jede Möglichkeit zu nehmen, sich der verdienten Strafe zu entziehen.

Der Normanne hatte sich jetzt auch mit seinem Schicksal in seiner Weise abgefunden, und selbst so etwas wie Reue kam zuweilen über ihn, wenn es nicht vielmehr Ärger über sich selbst war, daß er seine Sache durch eigene Schuld so gründlich verfahren hatte.

»Du bist doch ein rechter Narr gewesen,« dachte er, »eine Lüge in die Welt zu setzen, von der du wissen mußtest, daß sie so kurze Beine haben würde. Deine Klugheit wird jetzt schwere Arbeit haben, das wieder gutzumachen, was deine Dummheit verschuldet hat.«

Denn die Hoffnung, doch durch irgend eine Spalte entschlüpfen zu können, und wäre es auch unter Verlust der ritterlichen Hülle, hatte er noch immer nicht aufgegeben.

Dumpf vor sich hinbrütend ritt er seines Weges und war froh, daß ihn die Leute wenigstens in Ruhe ließen.

Aber schließlich erkannte ihn doch jemand.

»Das ist ja der Schuft, der Normanne, der den wackeren Camper so schnöde verraten und noch obendrein verleumdet hat. Holt ihn vom Pferde! Schlagt ihn tot!« rief plötzlich einer. Und nun erklang es bald aus hundert Kehlen: »Holt ihn vom Pferde! Schlagt ihn tot!«

Vergebens versuchten die Prügelknechte, die aufgeregte Menge zurückzuhalten. Vergebens ließ der Graf seine Knechte einen dichten Kreis um den Bedrohten schließen. – Über ihre Schultern hinweg sausten die Steine dem Normannen an den Kopf. Unter ihren Pferden krochen die Wütenden hindurch, um an den Verhaßten heranzukommen, den man gewiß in Stücke gerissen hätte, wenn es dem Grafen nicht gelungen wäre, sich seitwärts eine Gasse zu bahnen und ihn nach der Davidsburg in Sicherheit zu bringen.

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