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Abschnitt 2.

Abzug vom Gute. – Der Brief von Amerika. – Der Beschluß zur Auswanderung. – Vorbereitungen. – Weihnachten. – Der Neger. – Die Nordsee. – Die Seeschweine. – Die Inseln. – Der Sonnenuntergang. – Der Eisberg. – Amerika. – Der Adler. – Todesnachricht. – Der Verlust.


. Auf Karl Scharnhorst übten die Veränderungen in Turners Verhältnissen einen auffallenden Einfluß aus; es schien, als fühle er, daß er die Kinderschuhe ausziehen, daß er seinen Lieben bald seine Kräfte leihen und ihnen bald eine thätige Hilfe werden müsse. Er war ernster als sonst, mit unermüdlichem Fleiße besuchte er die Schule, empfing noch bis spät abends Privatunterricht, und das erste Licht des Morgens fand ihn schon bei seinen Büchern.

So segensreich und vielversprechend das Frühjahr auch erschienen war, so verminderten sich doch die Hoffnungen auf eine ergiebige Ernte von Tag zu Tag mehr, da eine anhaltende Dürre sich eingestellt hatte. Die Heuernte war schon vollständig mißraten, weil das Gras wegen Mangel an Regen durch die Sonnenglut verbrannt wurde, und aus gleichem Grunde darbten die Früchte auf den Feldern, denn der ausgetrocknete Boden konnte ihnen keine Nahrung zum Wachsen und Gedeihen geben. Die Kornernte kam heran und begann vier Wochen früher als gewöhnlich; sie lieferte nur kleine leichte Körner und kurzes gehaltloses Stroh. Auch das Grünfutter konnte nicht gedeihen, es vertrocknete auf dem Lande; der Weizen lieferte schlechtes Gewicht und den Hafer lohnte es kaum der Mühe zu mähen. Diese Ergebnisse drückten schwer auf die schon bedrängten Herzen der Turners, denn gerade diese Ernte sollte ihnen ja bares Geld in die Hand liefern und ihnen helfen, anderswo eine neue Heimat zu gründen. Dennoch verließ sie die Hoffnung und der Glaube nicht, daß alles sich zu ihrem Besten gestalten würde, und unverdrossen boten sie alle ihre Kräfte, alle ihre Thätigkeit auf, die Ernte um so sorgfältiger einzubringen. Turner hatte schon viele Güter in Augenschein genommen, wobei er wiederholt wochenlang von der Kluse abwesend geblieben war, doch keines von allen hatte ihm zugesagt, teils weil sie wertlos, teils weil sie zu bedeutend waren, als daß er sie mit eignen Mitteln hätte übernehmen können. In der Nähe war überhaupt kein Gut zu pachten, welches nur einigermaßen seinen Anforderungen entsprochen hätte, wodurch sich die Notwendigkeit für ihn herausstellte, sein Inventar, das heißt seine Gerätschaften, Vieh und Pferde und alle seine Vorräte zu verkaufen, die er weithin nicht mit sich nehmen konnte. Die Zeit, wo Turner die Kluse verlassen sollte, rückte immer näher, wieder und wieder begab er sich auf Reisen, um pachtfreie Güter zu besehen, aber immer kehrte er ohne den gewünschten, ersehnten Erfolg nach Hause zurück.

Die letzten vier Wochen waren nun angetreten, welche Turners noch auf der Kluse zubringen konnten, und da sie immer noch kein andres Gut gepachtet hatten, so blieb ihnen nichts übrig, als alles zu verkaufen, nach der Stadt zu ziehen und sich dann von dort aus in Ruhe nach einer Pachtung umzusehen. Die gegen frühere Jahre nicht bedeutenden Vorräte waren bereits nach und nach zu ziemlich guten Preisen verwertet, und um sich nun auch des Inventars zu entledigen, wurde eine Auktion angesetzt und die Anzeige davon in mehreren Zeitungen, sowie in den nicht weit entfernten Städten und Ortschaften durch Anschlagzettel bekannt gemacht. Die Zahl der Kauflustigen, die sich dazu einfanden, war keine große und der Verkauf stellte sich als ein sehr mittelmäßiger heraus. Namentlich brachte das Vieh sehr niedrige Preise auf, weil fast niemand nur für den eignen Viehbestand Futter genug geerntet hatte.

Wenige Tage nach der abgehaltenen Auktion standen des Morgens zwei aus der Stadt gemietete vierspännige Frachtwagen, mit dem Hausgerät der Familie Turner beladen, auf dem Hofe der Kluse; Madame Turner trat, einen frischen Blumenstrauß in der Hand, mit Thränen in den Augen aus dem Wohngebäude und nahm den Arm ihres Gatten. Schweigend und durch ihre Thränen blickte sie die alte freundliche Wohnung an, die ihr bisheriges großes, unermeßliches Glück beherbergt hatte; stumm, aber schluchzend sagte sie ihr das letzte Lebewohl, mit blutendem Herzen riß sie sich von dieser teuren Heimat los, um, wer wußte wo? eine andre zu finden. Auch Turner waren die Augen feucht geworden; das alte Haus war die Wiege seiner Vorfahren, seine eigne und die seiner Kinder gewesen, es hatte seit hundert Jahren das stille, anspruchslose Glück der Turnerschen Familie gesehen und nun sollte ihr Name in seinen Mauern vergessen werden! Er hatte keine Worte für den herzzerreißenden Abschied, für das letzte Lebewohl, er gab den Fuhrleuten einen Wink, fortzufahren, drückte den Arm seiner Gattin fest an seine Brust und schritt mit ihr und mit den Kindern durch das Hofthor nach der Straße hinunter. Langsam und ohne ein Wort zu sagen, folgten sie den knarrenden, wankenden Wagen, und erst, als sie den letzten Punkt auf der Straße, von wo man noch die Kluse sehen konnte, erreicht hatten, blieben sie stehen und blickten zurück.

»Die alte Heimat haben wir verlassen, wir sind unterwegs, Marie, wer weiß, wohin dieser Weg uns führen wird!« sagte Turner, indem er seinen Arm um die Schulter der Gattin legte, und seinen Blick auf die Kluse geheftet hielt.

»Wohin er uns auch führen mag, unsre Heimat nehmen wir mit uns; denn wo wir vereint sind, da ist unsre Heimat!« antwortete Madame Turner mit einem innigen, liebevollen Blick und streckte ihre Hand nach den Kindern aus, die sich an sie schmiegten und gleichfalls betrübten Herzens von der Kluse Abschied nahmen.

In dem Städtchen wurden sie allenthalben freundlichst begrüßt und von vielen Bekannten bis zu dem kleinen Hause geleitet, welches Turner gemietet hatte. Dasselbe lag an der Außenseite der Stadt auf einer Anhöhe in einem hübschen Garten und gewährte einen freien, weiten Blick über das Werrathal, so daß Turners in ihrer äußeren Umgebung wenigstens ein ähnliches Bild fanden, wie das, welches sie auf der Kluse so viele Jahre hindurch entzückt hatte. Nach wenigen Tagen waren sie in ihrer neuen Wohnung eingerichtet; Madame Turner suchte sich in den ihr ungewohnten müßigen Stunden im Garten zu beschäftigen, obgleich der Herbst ihre Thätigkeit dort sehr beschränkte, und Herr Turner konnte sich jetzt ungehinderter seinen Bemühungen um eine neue Pacht hingeben. Der Erlös aus seinen sämtlichen Verkäufen belief sich auf ungefähr neuntausend Thaler, welche er in Wertpapieren angelegt hatte, und seine in der Stadt ausgeliehenen Gelder betrugen noch tausend Thaler, so daß er über ein bares Kapital von zehntausend Thalern zu verfügen hatte. Er stand nach allen Richtungen hin in Briefwechsel, und bald nach seiner Übersiedelung in das Städtchen wurden ihm mehrere Güter im Preußischen bezeichnet, welche pachtlos geworden waren. Er schickte sich abermals zur Reise an, um die Güter in Augenschein zu nehmen, kehrte aber nach mehreren Wochen unverrichteter Sache wieder zurück, denn keines derselben hatte seinen Bedürfnissen entsprochen.

Die Freude des Wiedersehens überwältigte im Anfange die trübe Stimmung Turners über den abermaligen ungünstigen Erfolg seiner Reise; als aber die Lampe auf dem Theetisch angezündet war und die Familie sich um denselben sammelte, da sprach Turner sich recht ernstlich besorgt darüber aus, daß er möglicher Weise noch ein ganzes Jahr ohne Pachtung bleiben und unthätig Geld verzehren müsse, ohne etwas verdienen zu können.

»Gieb mir doch die Zeitungen, vielleicht findet sich etwas darin,« sagte er nach einer Weile zu seiner Gattin, und setzte noch, als diese aufstand, hinzu: »Sind auch Briefe angekommen?«

»Jawohl,« entgegnete diese, »ich wollte sie dir eben mitbringen. Es ist auch ein Brief von Amerika dabei; ich glaube, er ist von deinem Vetter Viktor.«

»Sieh, endlich einmal wieder ein Lebenszeichen von ihm,« sagte Turner, während seine Gattin das Zimmer verließ.

Bald kehrte dieselbe zurück und legte ein Paket Zeitungen und mehrere Briefe vor ihren Gatten auf den Tisch.

»Wahrhaftig, ein Brief von Viktor! Nun, da bin ich doch neugierig, wie es dem geht; es sind wohl schon beinahe drei Jahre, daß er nichts von sich hören ließ.«

Mit diesen Worten zog Turner die Lampe näher zu sich und öffnete das Schreiben. Er las den Inhalt mit augenscheinlich sich steigerndem Interesse, und als er die letzte Seite beendet hatte, legte er den Brief auf den Tisch, schlug mit der Hand darauf und sagte mit einem freudigen Lächeln zu seiner Gattin: »Nun, Marie, was meinst du wohl, was er schreibt?«

»Hoffentlich, daß es ihm und den Seinen recht gut geht; was er sonst schreibt, möchte mir schwer werden zu erraten.«

»Nichts mehr und nichts weniger, als daß er uns einladet, auch hinüber zu kommen. Es geht ihm sehr gut; er besitzt eine Farm unterhalb Baltimore an der Chesapeakebai, baut Mais und Tabak, und verdient dort dreimal soviel, als es ihm hier auf dem Gute bei Hannover mit der doppelten Arbeit möglich war. Dabei ist er sowie seine Familie frisch und wohl, hängt von niemand ab, wird von niemand belästigt und muß in wenigen Jahren ein reicher Mann sein.«

Madame Turner sah ihren Gatten überrascht und mit großen Augen an, als lese sie einen Gedanken auf seinen Zügen, von dem sie im Augenblick nicht wisse, ob sie ihn willkommen heißen solle. Dann aber kam ihre gewohnte Ruhe wieder über sie und sie sagte: »Im Anfange seines Dortseins ist es ihm aber auch schlecht genug ergangen. Ich weiß noch recht gut, daß er sich sehr nach dem alten Deutschland zurücksehnte. Gottlob, daß es ihm nun besser geht!«

Turner schwieg, zog eine Cigarre aus der Tasche hervor und hielt sie wiederholt, wie in Gedanken versunken, über die Lampe.

»Wenn man es eigentlich so recht bedenkt,« fuhr er dann nach einer Weile fort, »so ist es ziemlich einerlei, ob man nach Süddeutschland oder nach Amerika zieht; die Reise nimmt kaum mehr Zeit in Anspruch und zu Wasser ist sie viel bequemer als zu Lande. Daß der Brief gerade in diesem Augenblick kommen muß – sonderbar!«

»Aber in einem fremden Lande, unter fremden Menschen, ohne Freunde!« bemerkte Madame Turner halb erschrocken.

»Ohne Freunde, Marie – verlangst du schon wieder nach Freunden?« entgegnete Turner bitter.

»Nicht nach solchen schlechten Freunden, Max, wie wir sie auf der Kluse um uns hatten, aber nach uneigennützigen, ehrlichen, biederen, gemütlichen Freunden, solche meine ich, wie du ja hier unter den Bürgern Hunderte besitzest. Hast du mir nicht selbst gesagt –«

»Ja, ja, Marie, du hast recht, wie immer, du bist ein prächtiges, gutes, gescheites, mein liebes Weib,« fiel ihr Turner in die Rede und zog sie zu sich heran, um sie zu küssen; »aber, beste Frau, man kann doch solche Sachen überlegen und braucht nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Sieh, Viktor schreibt, daß man dort in seiner Nähe gutes Land für zehn bis fünfzehn Thaler den Morgen kaufen kann und daß weiter im Westen das Regierungsland nur etwa drei hiesige Thaler kostet. Denke einmal darüber nach, ob es nicht für drei so tüchtige Buben, wie wir deren haben, besser ist, wenn der Vater ein gutes Stück Land als Eigentum besitzt, als daß er den Pächter auf einem fremden Gute spielt, von dem man ihn beim Ablauf der Pacht verjagen kann. Und, sage selbst, läge das Wasser nicht zwischen den beiden Erdteilen, wer würde sich nur einen Augenblick bedenken, nach Amerika hinüber zu wandern?«

»Das alte Sprichwort sagt,« bemerkte Madame Turner: »Bleibe im Lande –«

»Und mache es so, wie es die Väter machten, und wenn es auch gar nicht mehr in die Zeit paßt,« unterbrach sie ihr Gatte, »es ist ja nur, daß man darüber spricht, Marie; noch wollen wir ja nicht auswandern. Da, nimm den Brief und lies ihn morgen einmal mit Muße.«

Nun öffnete Turner die übrigen Schreiben, die jedoch nichts von Wichtigkeit brachten, und dann begann er die während seiner Abwesenheit angekommenen Zeitungen zu durchsuchen, ob nicht darin eine offene Pachtung angekündigt sei.

Madame Turner war nachdenkend geworden und blickte, von den anderen unbeachtet, bald ihren Gatten, bald ihre Kinder an, denn alle waren mit Lesen beschäftigt, sie allein nur strickte. Turner verbrachte den ganzen Abend mit Durchsetzen der Zeitungen, wobei er sich nicht gern stören ließ, weshalb die Stunden ziemlich schweigsam verliefen.

»Sieh, da habe ich die älteste Zeitung bis zuletzt aufgespart,« sagte er, indem er das Blatt entfaltete; »es wird aber wohl ebensowenig Interessantes für mich darin sein als in den andern.« Er überblickte den Inhalt nur flüchtig und wollte das Papier zu den andern legen, als eine Anzeige, die auf der letzten Seite stand, seine Aufmerksamkeit fesselte.

»Ist es möglich,« sagte er freudig überrascht, »das Gut Schwaneberg in Sachsen soll verpachtet werden, der Eigentümer will es nicht mehr selbst bewirtschaften. Ja, wenn ich es bekommen könnte, da würde ich mich nicht einen Augenblick besinnen. Ich kenne es ganz genau, denn ich habe einen Teil meiner Lehrzeit darauf zugebracht; es ist nicht zu groß und vortrefflich in jeder Beziehung, hätte ich nur schon vor meiner Abreise diese Anzeige gesehen, ich würde die Reise gar nicht gemacht haben. Sogleich will ich aber an den Besitzer schreiben, damit der Brief morgen frühzeitig abgeht; wenn mir nur kein anderer schon zuvor gekommen ist. Er stand rasch auf, nahm die Zeitungen und die Briefe und eilte nach seinem Zimmer.

Am folgenden Morgen, während Turner nach der Post ging, setzte sich Madame Turner an das Fenster und begann den Brief von Amerika zu lesen. Sie that es halb mit Widerwillen und mit der Überzeugung, daß sie, was auch darin stehen möge, niemals für eine Auswanderung in das fremde Land stimmen würde. Während des Lesens aber wurde sie aufmerksamer, sie hielt wiederholt inne und sah nachdenkend über das Papier hinweg, und als sie mit Lesen zu Ende war, begann sie das Schreiben abermals durchzublättern. Der Vetter ihres Mannes hatte die großen Vorzüge Amerikas, namentlich für Ökonomen, so klar und deutlich geschildert und den reichen Ertrag der Länderei so anschaulich hervorgehoben, daß Madame Turner, trotz ihres Vorurteils, nichts dagegen einzuwenden vermochte. Er hatte aber insbesondere auf die Kinder Turners hingewiesen und ihm auseinandergesetzt, daß er, wenn er auf der Kluse bleibe, denselben niemals eine sichere Zukunft bereiten könne, wenn sie auch sämtlich auf diesem Gute immer genug zu leben hätten. In Amerika aber würde er mit Leichtigkeit einem jeden der Knaben ein eignes Gut in seiner Nähe einrichten können, so daß sie für Lebzeiten versorgt sein würden. Dann schrieb er die unabhängigen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse so schön und angenehm, gab eine so herrliche Schilderung von dem prächtigen Lande und dem reizenden Klima, daß Madame Turner das Bild Amerikas mit jedem Augenblicke in einem schöneren Lichte sah.

Wieder und immer wieder nahm sie das Schreiben von ihrem Nähtisch auf, um einzelne Abschnitte desselben noch einmal zu überlesen, und sie hatte es abermals offen vor sich auf den Tisch gelegt, als Turner von der Post zurückkehrte und in das Zimmer trat.

»Nun, hast du den Brief gelesen und was hältst du davon?« fragte er die Gattin.

»Der Brief ist ganz vernünftig geschrieben; es muß deinem Vetter sehr gut gehen und ihm sehr gefallen,« entgegnete Madame Turner mit einem Ausdruck der Zufriedenstellung.

»Und du siehst nun wohl auch ein, daß es nicht geradezu Thorheit ist, wenn man gelegentlich die Sache überlegte?« bemerkte Turner abermals halb fragend.

»Max, dein Urteil ist freier und richtiger als das meinige, deine Ansicht ist mein Glaube, dein Wunsch ist mein Wille und deine Wohnstätte ist mein Himmel. Was du im Leben auch beschließen, wohin du auch gehen magst, ich folge dir und ginge es an das Ende der Welt. Nur laß uns nichts übereilt thun und nichts Gutes weggeben, ehe wir sicher sind, Besseres dafür zu bekommen. Für unsere Kinder leben wir, und was wir für ihr Wohl thun können, darf uns kein Opfer sein,« antwortete die Frau mit einem Tone liebevollster Hingebung und reichte ihrem Gatten die Hand.

»Du bist ein Engelsweib, Marie, und ich verspreche es dir, nichts ohne deinen Willen, ohne deines Herzens Zustimmung zu beschließen. Kann ich das Gut Schwaneberg bekommen, so bleiben wir hier im Vaterlande, wo nicht, so wollen wir über Amerika sprechen.«

Von diesem Augenblicke an war unverkennbar ein frischer Lebensfunke in die Gemüter der beiden Gatten gefallen; die Ungewißheit über ihre Zukunft hatte sie plötzlich verlassen, sie hatten außer der einen noch zweifelhaften Aussicht noch eine zweite in Amerika, und diese erfüllte sie von Stunde zu Stunde mit schöneren Hoffnungen. Der Brief von dem Vetter wurde immer wieder hervorgeholt, er wurde abends beim Thee laut vorgelesen und besprochen, und die Kinder, namentlich aber Karl, redeten von nichts mehr als von Amerika. Ja, der Wunsch Turners, eine günstige Antwort über das Gut Schwaneberg zu erhalten, wurde täglich weniger dringend, und als nach mehreren Tagen der erwartete Brief von dem Eigentümer des Gutes ankam, öffnete ihn Turner sogar mit einem leisen Hoffnungsgefühl, daß er eine abschlägige Antwort erhalten möge. So war es denn auch: der Besitzer des Gutes meldete mit Bedauern, daß er vor nur wenigen Tagen einem andern die Pacht zugesagt habe.

»Da ist die Antwort über Schwaneberg, Marie,« sagte Turner zu seiner Gattin, indem er in ihr Zimmer trat und ihr den Brief hinreichte. »Die Vorsehung zeigt uns augenscheinlich den Weg, den wir wählen sollen; hier in Deutschland schlägt uns alles fehl. Das Gut ist bereits verpachtet.«

Madame Turner nahm ihrem Gatten den Brief halb erschrocken ab; denn so angenehm sie auch der Gedanke an das schöne Amerika umgaukelt hatte, so war doch die Vorliebe für das traute, alte Deutschland zu fest in ihrem Herzen eingewurzelt, als daß eine plötzliche Entscheidung, ob in dem Vaterlande zu bleiben oder ihm auf ewig Lebewohl zu sagen, sie nicht hätte mit Zaghaftigkeit ergreifen müssen.

»Also wirklich, es ist schon verpachtet? Das ist mir sehr leid – du hattest dich so darauf gefreut – und wir würden dort ein sicheres, gutes Brot gefunden haben,« sagte sie etwas kleinlaut, indem sie den Brief öffnete und durchblickte.

»Du siehst, Marie, wie sich alles so wunderbar gefügt hat, um uns hier frei zu machen und unsre Blicke nach der neuen herrlichen Welt zu richten. Laß uns ruhig und ohne alle Vorurteile überlegen, dann aber auch entschlossen und mutig handeln. Es gilt das Glück unsrer Kinder.«

»In Gottes Namen erkläre ich mich zu allem bereit, was dieses und dein eignes Wohl fördern kann, Max. Laß uns alles reiflich überlegen und dann entscheide; der Himmel wird uns dort so wie hier gnädig sein,« entgegnete die Frau entschlossen, indem sie ihres Gatten Hand ergriff und dieser sie an seine Brust drückte. Noch am selbigen Abend ward der Beschluß gefaßt, nach Amerika auszuwandern.

Frisches Leben und rege Thätigkeit war jetzt in die Familie Turner gekommen, und alles Denken, alles Streben richtete sich auf das neue Ziel, auf die neu zu gründende Heimat. Schon am folgenden Tage antwortete Turner seinem Vetter Viktor in Amerika und zeigte ihm an, daß er sich entschlossen habe, mit seiner Familie nach dort zu ziehen. Er bat ihn zugleich, nun so schnell als möglich ihm nach seinen gemachten Erfahrungen mit Rat an die Hand zu gehen und ihm zu sagen, in welcher Weise er sich zu der Übersiedelung einrichten solle. Es war ein sehr langes Schreiben, denn Turner hatte darin seinem Vetter über alles, was ihm zu wissen nötig schien, Fragen gestellt. Einen wichtigeren, entscheidenderen Brief hatte er nie zur Post getragen; die Zukunft seiner Familie war darin verschlossen. Mit großem Eifer wurde in Turners Hause alles gelesen, was Auskunft über Amerika gab, und anerkannt gute Schriften über dieses Land, dessen Zustände und Verhältnisse wurden angeschafft. Das praktische, selbständige Leben war in allen vorherrschend geschildert, und namentlich wurde es dem Farmer darin zur Aufgabe gemacht, sich möglichst unabhängig von andern zu stellen. Er mußte sich in allen Lagen seines Lebens selbst zu raten und zu helfen wissen und zu diesem Ende mit den verschiedenen Handwerken für den Notfall vertraut sein. Turner beschloß daher, sich selbst einige Kenntnis davon anzueignen und ebenso Karl Scharnhorst darin unterweisen zu lassen. Er für seine Person entschied sich dafür, eine Zeitlang bei einem Schmied und dann auch bei einem Büchsenmacher in die Lehre zu gehen, und Karl sollte bei einem Stellmacher und einem Schreiner Unterricht nehmen.

Turner führte nun auch den Beschluß mit der ihm eignen Willenskraft sofort aus. Des Morgens, nach zeitigem Frühstück, begab er sich zu dem besten Schmied in der Stadt, arbeitete dort mit Lust und Liebe bis zur Mittagszeit und wieder nach Tisch bis zur einbrechenden Dämmerung, während Karl in gleicher Weise bis zum Abend bei einem Wagner beschäftigt war, um dann noch einige Privatstunden im Englischen und im Maschinenbau zu nehmen. Nach dem Abendbrot saß dann die Familie heiter um den großen Tisch gereiht, Turner entfaltete vor sich eine Landkarte von Amerika, die Reise nach der neuen Welt wurde beredet und tausend Pläne entworfen, wie man sich dort einrichten wollte.

Die Herbststürme brausten durch das buntgefärbte Laub der Wälder und trieben die gelben und roten Blätter wie einen Goldregen vor sich hin durch das Werrathal, Nachtfröste überzogen Wiesen und Gärten mit Rauhreif, der in den ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne wie ein Schleier von Diamanten blitzte und funkelte, die Höhen der Gebirge färbten sich weiß und anfangs Dezember legte der Winter eine dichte Schneedecke über die Erde.

Um so traulicher saßen Turners abends in dem gemütlich warmen Zimmer beisammen und besprachen ihre hoffnungsreiche Zukunft in einem sonnigeren Lande. Das Weihnachtsfest nahte sich mit großer Kälte, es sollte das letzte sein, welches die Familie Turner in der alten Heimat feierte. Madame Turner hatte in dem größten Zimmer ehren prächtigen Tannenbaum aufgestellt und ihn mit Zuckerwerk und Lichtern reich geschmückt, und als am Christabend die Dunkelheit hereinbrach, verteilte sie die Geschenke für die Kinder auf die verschiedenen, um den Baum stehenden Tische, fügte Äpfel, Nüsse und Kuchen hinzu und zündete die Lichter an. Dann ließ sie die Schelle ertönen, die Thüre des anstoßenden Zimmers öffnete sich, und jubelnd und mit strahlenden Blicken stürmte die junge Schar herein. Turner, den Kindern folgend, breitete seine Hände nach der Gattin aus und empfing sie unter Freudenthränen an seinem Herzen. Es war ein feierlicher Augenblick, ein Augenblick zwischen der hochbeglückten Gegenwart und der dicht verschleierten Zukunft – wo und wie sollten sie wohl das nächste Weihnachtsfest feiern? Beide sahen auf die fröhlichen, jauchzenden Kinder und beide beantworteten sich gegenseitig schweigend ihre stummen Fragen durch einen Blick nach oben, mit welchem sie dem Allmächtigen ihre Zukunft, ihr Schicksal zu lenken, vertrauensvoll anheim stellten. Die Fröhlichkeit der Kinder verscheuchte aber bald den Ernst von den Zügen der Eltern, und Madame Turner führte mit einem freudigen heiteren Antlitz ihren Gatten nach einem der Tische, auf welchem sie mehrere kleine Geschenke für ihn niedergelegt hatte. Unter anderen befand sich dort ein schöner schwarzer Filzhut mit sehr breitem Rande, den Turner als ein notwendiges Kleidungsstück in einem heißen Klima genannt hatte. Er ergriff ihn, um ihn aufzusetzen, und fand darunter einen Brief – einen Brief von dem Vetter Viktor in Amerika. Derselbe war schon am Tage vorher eingetroffen, Madame Turner aber hatte ihn verheimlicht, um ihren Gatten am heutigen Feste damit zu überraschen. Die Freude war aber auch eine sehr große und allgemeine, denn selbst bei den Kindern war für den Augenblick alles Interesse für die Geschenke verschwunden, und sie drängten sich zu den Eltern, um die Nachrichten von Amerika zu vernehmen. Turner mußte sich bei dem Tannenbaume niedersetzen und bei dessen Lichtschein den Brief vorlesen. Dies geschah nun, wenn auch nur stückweise, doch hinreichend, um etwas Näheres über die bevorstehende Abreise bestimmen zu können. Das Frühjahr ward dazu festgesetzt.

Es war der heiterste und doch der ernsteste Weihnachtsabend, der in dieser Familie jemals gefeiert war. Madame Turner hatte einen vortrefflichen heißen Punsch bereitet, und auf eine glückliche Zukunft in der noch fernen neuen Heimat erklangen und wurden die Gläser bis auf den letzten Tropfen geleert. Alle am heutigen Abend zwischen Eltern und Kindern verteilten Geschenke waren für das Leben in Amerika berechnet, und keiner war so reich bedacht worden als Karl Scharnhorst. Eine prächtige, sehr wertvolle Doppelbüchse mit allem Zubehör, ein herrliches schweres Jagdmesser, eine Jagdtasche, ein Kompaß waren die Gaben, die ihn besonders beglückten, und unter Freudenthränen und mit Küssen dankte er seinen Pflegeeltern für ihre Güte und ihre Liebe.

Alle gaben sich der seelenvollsten Heiterkeit hin, sie lachten, scherzten und stießen mit den Gläsern an, während der Sturm draußen die weißen Schneeflocken gegen die Fensterscheiben trieb, und die Mitternachtsstunde war schon lange dahingeeilt, als die Glücklichen ihr letztes Weihnachtsfest in Europa beschlossen und sich mit den glänzendsten Hoffnungen für ihre Zukunft zur Ruhe begaben.

Der folgende Tag wurde nun ganz dem Briefe des Vetters geweiht. Dieser gab darin die ausführlichsten Anweisungen zu den Vorbereitungen für die Reise. Er riet, dieselbe im Frühjahr zu unternehmen, und sich namentlich mit so wenig Gepäck zu befassen, als es irgend möglich sei, indem man das Nötige in Amerika neu billiger kaufen könne, als die mitgebrachten Sachen dort zu stehen kämen. Er gab über alles die genaueste Auskunft, gab Hunderte von Ratschlägen und Anweisungen und schloß endlich den langen Brief mit dem Wunsche, sie sämtlich gesund und froh dort in dem Sonnenlande bewillkommnen zu können. Wenige Tage später ging eine lange ausführliche Antwort an den Vetter ab.

Der Winter verstrich unter Vorbereitungen zur Auswanderung; Turner war von dem Schmied zu einem Büchsenmacher in die Lehre gegangen und Karl hatte den Wagenmacher gegen einen Schreinermeister vertauscht.

Unter den Bürgern des Städtchens erregten diese ernsten Anstalten für einen Abschied auf immer großes Aufsehen und die wärmste Teilnahme. Mit allgemeinem Bedauern sah man eine so biedere, so hochgeehrte und beliebte Familie sich nach einem fremden Lande wenden, und von allen Seiten suchte man Turners die Verehrung, die sie hier weit und breit genossen, durch Hilfsleistungen und Liebesdienste aller Art an den Tag zu legen. Die vornehmen, reichen früheren Freunde aber schämten sich in tiefster Seele ihrer niedrigen selbstsüchtigen Handlungsweise, und vielfach wurden ihnen Kundgebungen der Verachtung zu teil; die öffentliche Meinung hatte sie gerichtet.

Abermals zog das Frühjahr lächelnd und neu belebend in das freundliche schöne Werrathal ein, Wald und Flur schmückten sich wieder mit jungem Grün, die Gärten prangten wieder in reichster Blütenpracht, die Schwalben begrüßten schwirrend die heimatlichen Berge und suchten über den Thüren und in den friedlichen Hausfluren ihre Nester auf, und die Nachtigallen sangen ihre süßen klagenden Lieder wie zum Abschied an die reisefertige Familie Turner.

Der Wonnemonat ging zu Ende, als ein geräumiges Schiff unweit des Städtchens vom Ufer stieß und alt und jung der Einwohnerschaft den Passagieren im Boote ein herzinniges Lebewohl zurief. Es war die Familie Turner, die mit feuchten Augen von dem Schiffe her nach dem Ufer zurückschaute und von den vielen wahren Freunden und von der Heimat Abschied nahm. Lange noch hingen ihre thränenvollen Augen an den geliebten Mitbürgern, an dem Städtchen, an der Kluse, an den trauten Bergen, bis sie die klare Flut der Werra um eine schroffe nahe Basaltkuppe trug und sie nun ihre Blicke vorwärts richteten. Sie nahten sich dem Fuße der Wichtelkuppe, da schlossen Turner sowie seine Gattin Karl beim Anblick des Baumes, der über der Felswand hing, von der furchtbaren Erinnerung tief ergriffen, an ihre Herzen und dankten ihm nochmals mit seelenvollster Innigkeit für die Rettung ihres Kindes.

Karl hatte von allen das unternehmendste Aussehen: er trug einen grauen Filz, dessen breiter Rand über seine Schultern hinausragte, einen kurzen grauen Rock, unter welchem das umgeschnallte Jagdmesser hervorsah, und über seiner offenen Brust lag der durch Juliens Hand schön gestickte Riemen seiner Weidtasche. Seine Büchse, mit deren Gebrauch er es bereits zu einer außerordentlichen Fertigkeit gebracht hatte, hielt er im Arm, um im Vorüberfahren hier und dort einen Meisterschuß nach einem Vogel anzubringen.

Von dem für das Wohl ihrer Kinder gefaßten großen Entschluß beseelt und von dem festesten Willen, denselben mit allen Kräften zu einem glücklichen Ende auszuführen, durchdrungen, saßen Turner und dessen Frau auf dem vorderen Teile des Schiffes und nahmen schweigend von jedem zurückgelassenen Dörfchen, von jedem Berge, ja von dem ganzen lieben Werrathale Abschied – Abschied auf Nimmerwiedersehen. Niemals war ihnen das Thal so lieblich, so reizend erschienen als jetzt, wo sie ihre Blicke zum letztenmale daran werdeten; niemals war ihnen die Werra so klar smaragdgrün vorgekommen als jetzt, wo ihre dahineilenden spielenden Wellen sie den Wogen des Weltmeeres zutrugen. Es war Abend, als das Thal sich öffnete und das malerisch schön gelegene Städtchen Münden im Duft der blauen Ferne sichtbar wurde. Dort war das Ziel dieses ersten Tages der angetretenen langen Reise. Bald glitt das Boot an dem altersgrauen Herzogsschloß vorüber der Weser zu und legte sich, wo die Fluten der beiden Ströme sich vereinigen, an die Seite eines größern Schiffes, welches die Reisenden am folgenden Tage aufnahm und sie glücklich nach Bremen trug. Hier gönnte man ihnen einige Ruhe, weil das Schiff, welches sie nach Amerika führen sollte und welches unweit der Wesermündung vor Anker lag, seine Ladung noch nicht vollständig eingenommen hatte. Diese Rasttage benutzten sie, um sich noch mit vielerlei kleinen Bedürfnissen zur Reise zu versehen.

Turner zahlte sein Geld an ein großes Bankierhaus, von welchem er dagegen Wechsel auf Baltimore, dem Ziele der Reise, erhielt, und wohl versorgt mit allem Nötigen, begab er sich nebst den Seinigen nach mehreren Tagen an Bord eines Segelfahrzeugs, welches sie auf das Seeschiff bringen sollte. Ihr Fuß hatte jetzt zum letztenmale die heimatliche Erde berührt, und mit tiefer Wehmut sahen sie Bremen bald hinter sich in der Ferne verschwinden. Der Wind war stark und günstig, eilig glitt das Fahrzeug auf dem sich rasch erweiternden Strome dahin, und als die Sonne sich neigte, schaukelte es sich auf hohen, halbsalzigen Wogen bis an die Seite des Schiffes Goliath, welches in großer Entfernung vom Lande vor Anker lag. Der Kapitän dieses mächtigen Schiffes, ein kräftiger, wettergebräunter Seemann, namens Bosse, bewillkommnete die Familie Turner von der hohen Brüstung herab, ließ eine hölzerne Brücke aushängen und unterstützte mit seinem Steuermann die Passagiere, das Fahrzeug zu ersteigen. Karl Scharnhorst war der letzte, der noch im Boote zurückblieb, weil er erst seinen Liebling Pluto sicher an Bord des Goliath wissen wollte. Er hob ihn in seinen Armen an der Treppe in die Höhe, wo der Steuermann den Hund an dem Halsband erfaßte und ihn zu sich hinaufzog, und dann erst folgte Karl nach.

Als Turners glücklich auf dem Verdeck angelangt waren, reichte der Kapitän ihnen sämtlich die Hand und versicherte ihnen, daß er alles aufbieten werde, um ihnen die Reise so angenehm als möglich zu machen. Er führte sie dann in die prächtig ausgestattete Kajüte, wo sie zum Willkomm ein Glas Wein mit ihm trinken sollten. Sie hatten kaum Platz genommen, als die Kinder und auch Madame Turner plötzlich erschrocken auffuhren, denn ein Mann, so schwarz wie Ebenholz, trug den Wein und die Gläser herein. Es war der erste Neger, den sie in ihrem Leben erblickten, und sein plötzliches Erscheinen hatte sie sehr überrascht. Gleich darauf stimmten sie aber in das Lachen mit ein, in welches der Neger selbst mit ausbrach, weil er bemerkte, daß seine schwarze Farbe den Fremden einen solchen Schreck eingejagt hatte. Es war ein sehr freundlicher, gutmütiger Mensch, hieß Daniel oder kurzweg Dan, und hatte die Aufwartung in der Kajüte zu besorgen. Der Kapitän füllte die Gläser, stieß mit seinen Gästen an und trank mit ihnen auf eine recht glückliche, schnelle Überfahrt nach der Neuen Welt. Dann wies er ihnen drei kleine Zimmer an, deren Thüren in die Kajüte führten und deren jedes zwei Betten übereinander enthielt. Madame Turner und Julie nahmen von dem einen Besitz, Turner und Wilhelm von dem zweiten und Karl mit Arnold bezogen das dritte Gemach. Bald aber fanden sie sich sämtlich wieder auf dem Verdeck ein, um bei dem scheidenden Tageslicht ihre neue schwimmende Wohnung zu überblicken, welche sie durch den Ocean tragen sollte, und welche ihnen für viele Wochen als Aufenthaltsort bestimmt war. Die Weser erschien hier schon so breit, daß man das jenseitige Ufer kaum erkennen konnte, und nach Westen hin ruhte das Auge auf einer endlosen Wasserfläche. Die Sonne hatte dort den Horizont erreicht und ließ, in die Flut hinabtauchend, ihre Abschiedsstrahlen auf den dahineilenden Wogen tanzen und blitzen, bis ihr letztes Licht versunken war und nur der Feuerschein des Himmels sich noch glühend auf der bewegten Flut spiegelte. Die Schauer der einbrechenden Nacht zogen über die unabsehbare Fläche, brausend rollten die Wogen der Nordsee zu, warfen sich ungestüm gegen das an den Ankerketten auf und nieder steigende Schiff, und in ihrem dumpfen Rauschen verhallte der eintönige Gesang der Matrosen, womit dieselben das Aufwinden der Güter aus dem Segelkahn begleiteten. Auf dem hohen Verdeck über der Kajüte saß Turner neben seiner Gattin und hielt ihre Hand in der seinigen. Der Ernst und die Feierlichkeit der sie umgebenden Natur stand mit der Stimmung ihrer Seelen im Einklang, sie blickten schweigend den unaufhaltsam dahinfliehenden Wogen nach; welchen Stürmen, welchen Klippen jagten dieselben wohl zu! Sie dachten an ihre eigne Zukunft, an ihr und ihrer Kinder Schicksal, welchen Beschwerden, welchen Widerwärtigkeiten zogen sie wohl entgegen?

»So wie diese Wellen verlassen auch wir unsre friedliche stille Heimat, Marie, um auf dem großen Lebensmeere heftigeren Stürmen, vielleicht auch höherem Glück zu begegnen,« sagte Turner nach langem Schweigen.

»Die Wellen treibt keine Sorge für andrer Glück von der Heimat fort, wir wandern für unsre Lieblinge aus, um ihnen eine segensreichere Zukunft zu schaffen, als wir selbst beanspruchen. Mit unsrer Liebe für sie wollen wir tragen, was uns das Schicksal auch auferlegen mag, wir haben es in Gottes Hand gegeben und er wird es zu unser aller Besten lenken,« entgegnete die Frau mit vertrauensvollem Herzen zu dem besternten Himmel aufblickend, während Turner ihre Hand an seine Lippen preßte.

Die Kinder, die auf dem unteren Verdeck den Matrosen bei deren Arbeit zugesehen hatten, kamen jetzt, von Karl geführt, zu den Eltern herauf und schmiegten sich an dieselben an; denn alles war ihnen so neu und fremd, und die rasch zunehmende Dunkelheit steigerte das unheimliche Gefühl, welches die ernste, öde Umgebung ihnen aufdrängte.

»Morgen früh, mit Gottes Hilfe, werden wir in See gehen,« sagte Turner zu den Kindern; »die Reise durch den Ocean ist mit vielen Gefahren verbunden und man muß alle Vorsicht gebrauchen, sich denselben nicht unnötig auszusetzen. Haltet euch immer in unsrer Nähe auf, und wenn wir nicht auf dem Verdeck sein sollten, so folgt dem, was Karl euch rät.«

In diesem Augenblicke trat der Kapitän herzu und bat, ihn zum Abendessen in die Kajüte zu begleiten.

»Ich denke, diese erste Mahlzeit an Bord des Goliath soll Ihnen sämtlich nach ihrer heutigen Fahrt recht gut munden; morgen, wenn das Schiff im Segeln ist, möchte sich leicht Appetitlosigkeit einstellen.«

Mit diesen Worten ließ der Kapitän seine Passagiere nach der Kajüte voranschreiten, und als er mit Karl den Zug beschloß und sah, wie Pluto demselben auf dem Fuße folgte, bemerkte er noch, zu dem Knaben gewandt: »Deinem Hunde, mein Sohn, müssen wir morgen auch einen Platz bestimmen, wo wir ihn an die Kette legen können, damit ihn bei den Arbeiten der Matrosen kein Unfall trifft. Es ist wirklich ein schöner Hund.«

»Ja, und ein so braver treuer Hund, wie es wenige giebt,« entgegnete Karl stolz, und klopfte den lockigen Nacken des Tieres.

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Die Passagiere ruhten am folgenden Morgen noch im tiefsten Schlafe, als sie plötzlich durch das Rasseln der schweren Ankerkette geweckt wurden und sich auf ihrem Lager hin und her geschaukelt fühlten. Rasch waren sie in Kleidern und eilten auf das Verdeck, um von dem Festlande Abschied zu nehmen; denn das Schiff war bereits in vollem Segeln und stürmte bei heftigem Südwind der Nordsee zu. Höher und mächtiger hoben sich die Wogen, sie wurden durchsichtiger und grüner, ihre Häupter bedeckten sich mit weißem Schaum und, sich übereinander hinstürzend, warfen sie ihren Gischt weit um sich her. Das Land war nur noch wie ein Nebelstreif zu erkennen; doch die Blicke der Auswanderer hingen fest an diesem letzten Zeichen der teuren Erde, und lange schon bildete nur das Wasser noch den fernsten Gesichtskreis, als die Scheidenden immer noch Land zu sehen glaubten und ihm ihr Lebewohl zuwinkten. Der Goliath hatte die Nordsee erreicht, als der Wind sich drehte und immer heftiger von Westen herblies. Der Kapitän, in der Hoffnung, daß derselbe ganz nördlich werden würde, steuerte dem Kanal zu, und die Bewegung des Schiffes, welches nun gegen Wind und Wogen ankämpfen mußte, wurde mit jedem Augenblick unangenehmer. Die Folge hiervon war, daß sich bei den Passagieren die Seekrankheit einstellte, daß sie auf alles Frühstück verzichteten und sich in ihre Betten zurückzogen. Auch die Anzeige Daniels, daß das Mittagsessen aufgetragen sei, vermochten sie nicht, ihr Lager zu verlassen; denn schon der Gedanke an die Speisen war ihnen zuwider. Nachmittags aber fühlten sie sich weniger unwohl, sie meinten, das Schiff mache nicht mehr solche gewaltige stoßende Bewegungen, und nach und nach kamen sie aus ihren Zellen hervor. Der Wind stand so fest und gerade von dem Ocean in den Kanal herein, daß der Goliath nur mit großer Schwierigkeit und vielem Zeitverlust hätte gegen denselben ansegeln können, weshalb Kapitän Bosse sich entschlossen hatte, in der Nordsee hinauf und nördlich um England seinen Weg nach dem Weltmeere zu nehmen. Dadurch, daß der Wind nun mehr seitwärts in die Segel des Goliath blies, wurden dessen Bewegungen regelmäßiger und weniger heftig, und in gleichem Maße nahm das Unwohlsein der Passagiere ab. Herr und Madame Turner erholten sich weniger schnell und waren genötigt, sich auf dem Verdeck auf wollenen Decken niederzulegen, die Daniel dort für sie ausbreitete; die Kinder hatten bald die Seekrankheit vergessen und ergötzten sich an dem neuen, prächtig großen Schauspiel, welches sie umgab. Mit aufgeblähten Segeln, bis in die Spitzen seiner Masten überwölkt, stieg das Schiff an den durchsichtigen, smaragdgrünen Wasserbergen hinan, teilte deren schäumende Höhen und schoß dann wieder in die Tiefe hinab, um sich abermals auf die nächste Woge zu heben. Die Sonne strahlte aus dem eilenden Gewölk hervor und warf hier und dort helle Lichtstreifen auf das wogende Meer, und der Sprühregen, der sich vor dem scharfen Kiel des Goliath auftürmte und seitwärts an ihm vorüberstäubte, blitzte in ihrem Schein in allen Farben des Regenbogens. In der Mitte des oberen Verdecks war das große Boot, mit dem Kiel nach oben gekehrt, auf mehreren Stützen befestigt, so daß man unter demselben Schutz gegen Regen und Sonnenschein finden konnte. Diesen Platz hatte Karl für sich und seine Gefährten zum Sammelplatz erkoren, sobald Matrosen sich auf dem Verdeck zeigten, um Arbeiten zu verrichten. Jetzt aber, wo das Schiff ruhig und ohne weitere Hilfe beim Winde segelte, waren Karl und Arnold sowie Wilhelm oben auf das Boot gestiegen, weil sie von hier aus über die Brüstung des Schiffes hinaus das Meer frei überblicken konnten. Der Neger Daniel fand großes Gefallen an den wackeren Knaben und gesellte sich, sobald er einige Augenblicke Zeit hatte, zu denselben, um sich mit ihnen zu unterhalten; denn er hatte schon beinahe zwei Jahre auf diesem Schiffe gedient und recht gut deutsch reden gelernt. Die Knaben faßten bald Zutrauen zu dem ehrlichen Schwarzen, und er mußte ihnen über alles, was sie nicht kannten, Auskunft geben. Die weißen und bunten, großen und kleinen Möwen, die auf ihren langen sichelförmigen Schwingen segelnd über das Meer hinschwebten und von Zeit zu Zeit in den Schaum einer Wellenspitze hineinstießen, nahmen insbesondere die Aufmerksamkeit der Kinder in Anspruch, und Dan, ihr schwarzer Freund, erzählte ihnen dabei von den felsigen Inseln, nördlich von Schottland, auf welchen diese Vögel in unzähligen Scharen brüteten.

»Fische, Fische, große Fische!« riefen plötzlich die Knaben einstimmig, und zeigten über die See hinaus.

»Das sind Pourpoises, Braunfische oder Seeschweine, sie kommen gerade hierher und werden bald den Goliath umschwärmen, besonders gern spielen sie in dem Schaume vor dem Schiffe,« antwortete der Neger, gleichfalls nach den großen Fischen schauend, deren mehrere Hundert von weither angebraust kamen, indem sie aus der See emporschossen, einen Bogen durch die Luft beschrieben und, mit dem Kopfe voran, wieder in die Flut hinabtauchten. In diesem spielenden Laufe jagten sie, den Schaum um sich aufspritzend, pfeilschnell über die Wogen heran, und sie hatten das Schiff bis auf einige hundert Schritte erreicht, als Karl nach der Kajüte springen wollte, um seine Büchse zu holen. Daniel aber hielt ihn zurück und bedeutete ihm, daß die Büchse nicht die rechte Waffe sei, um diese Fische zu jagen.

»Mit der Harpune kann man einen fangen,« sagte er aufspringend, »soll ich sie herbeiholen?«

»Ach ja, Dan, geschwind, da sind die Fische schon dicht beim Schiff – hu – wie sie brausen!« riefen die Jungen, und Daniel rannte eiligst hinab in die Kajüte, um deren Wunsch zu erfüllen. Wenige Augenblicke nachher erschien er wieder auf dem unteren Verdeck mit dem zwei Fuß langen Eisen, dessen scharfe Spitze mit Widerhaken versehen war, stieß einen langen, schweren Stock in das hohle andre Ende desselben, befestigte eine lange Leine daran und winkte nun den Knaben, zu ihm herab zu kommen. Diese folgten jauchzend dem Neger bis an die vordere Spitze des Schiffes, wo derselbe das Seil der Harpune an der Brüstung befestigte, über welche die Kinder in die See hinabschauten und den hin und her schießenden Fischen mit den Blicken folgten. Daniel hatte sich auf die Brüstung an das starke Tauwerk gestellt, welches von da nach den Masten hinaufführt und hielt, in das Meer hinabspähend, die Harpune zum Wurf bereit in die Höhe. Die Fische schienen es besonders zu lieben, seitwärts an dem Schiffe vorüber zu jagen und sich dann in den Schaumberg hinein zu stürzen, der sich vor demselben auftürmte. Wiederholt zuckte Daniel mit der Lanze, als wollte er sie hinabschleudern, hielt sie aber immer noch zurück, um seines Wurfes gewiß zu sein; plötzlich aber fuhr sie sausend hinunter und ihre Spitze begrub sich tief in den Rücken eines der Fische.

»Getroffen, getroffen!« rief Karl jubelnd, doch der Fisch war in die Tiefe hinuntergeschossen und zog das lange Seil schwirrend nach sich. In wenigen Augenblicken hatte dasselbe jedoch das Ende erreicht und man konnte sehen, daß das gespießte Tier mit gewaltiger Kraft an demselben riß und zuckte. Daniel rief nun einige Matrosen zu Hilfe, um die Beute auf das Verdeck zu ziehen. Mit großer Anstrengung wurde das Seil eingezogen, bald erschien der Fisch, dagegen kämpfend und um sich schlagend, über den Wogen, und nun hoben ihn die Matrosen über die Brüstung und ließen ihn auf das Verdeck fallen. Es war ein ungeheures, nicht mit Schuppen, sondern mit einer braunen, glatten Haut bedecktes Tier, im Gewicht von mehr als zweihundert Pfund. Bald hatte es sich verblutet und wurde von den Matrosen seiner Leber beraubt, dem einzigen genießbaren Teile seines Körpers. Es ward in Stücken gehauen und seines Thranes wegen ausgebraten.

Durch diese Jagd hatte Daniel seinen jungen Freunden eine große Freude bereitet und sich in ihrer Gunst nur noch fester gesetzt.

Herr und Madame Turner fühlten sich wieder so viel wohler, daß sie an dem Abendbrot teilnahmen, wenn sie sich dabei auch mit einem Stück Zwieback und einer Tasse Thee begnügten. Dann eilten sie aber auf das Verdeck zurück, weil ihnen die frische Seeluft besonders wohl that, und der aufmerksame Daniel richtete ihnen dort abermals aus wollenen Decken ein Lager her. Julie hatte ihre Mutter während des ganzen Tages nicht verlassen, bereitete Limonade für sie, reichte ihr zuweilen ein Stück einer Orange, deren sie von Bremen einen Vorrat mitgenommen hatte, und war jeden Augenblick ihres Winks gewärtig, um ihr einen Wunsch zu erfüllen.

Der Kapitän kam wiederholt zu den Passagieren herangetreten, um sich nach ihrem Befinden zu befragen, und als der Tag sich neigte, setzte er sich in traulicher Unterhaltung bei ihnen auf dem Verdeck nieder.

»Die Knaben scheinen mit Daniel Freundschaft geschlossen zu haben,« sagte Turner zu dem Kapitän, »durch den Fang des Fisches hat er ihre Herzen gewonnen. Jetzt sitzen sie alle drei wieder um ihn und lassen sich von ihm erzählen.«

»Der Neger ist ein ungewöhnlich guter Bursche, ein ausgezeichneter Diener und ein Mensch, der sehr viel im Leben durchgemacht hat,« antwortete der Kapitän. »Seine Eltern waren Sklaven unter einem Indianerstamm im fernen Westen Amerikas, dort wurde er geboren und dort verlebte er seine Jugendzeit. Nachdem ihm aber Vater und Mutter durch den Tod entrissen waren, entfloh er den Wilden, gelangte nach langer Verfolgung durch dieselben glücklich in die Grenzansiedelungen der Weißen und kam endlich als freier Schwarzer nach New York, wo er sich mehrere Jahre durch Arbeiten ein rechtliches Brot erwarb. Ich lernte ihn kennen, als ich vor einigen Jahren mein Schiff in jener Stadt ausbesserte, wobei er sich mir als Arbeiter vermietete. Ich gewann ihn lieb und machte ihm den Antrag, mit mir auf See zu gehen, um die Aufwartung in meiner Kajüte zu übernehmen. Er willigte ein, und so ist er bei mir geblieben, und bis auf den heutigen Tag haben wir noch nie ein böses Wort miteinander gewechselt. Er ist ein zuverlässiger, ehrlicher und treuer Mensch.«

» Den Eindruck hat er mir vom ersten Augenblick an gemacht, und es ist mir lieb, daß er sich der Jungen annimmt, da er über sie wachen wird,« entgegnete Turner, nach dem Neger hinschauend, der zwischen den drei Knaben oben auf dem Boote saß und sie eifrig unterhielt.

Er erzählte ihnen aus seinem Leben unter den Wilden, von den Jagden nach Büffeln, Bären und wilden Pferden, von den blutigen Kämpfen unter den verschiedenen Indianerstämmen und von den herrlichen, noch von weißen Menschen unbewohnten, unermeßlichen Ländern, in denen die Wilden ihr unstätes, heimatloses Leben führen. Die Knaben horchten mit großer Spannung den Mitteilungen des Schwarzen und unterbrachen ihn nur selten durch einzelne Fragen. Besonders aber war Karl ganz Ohr und sah sich schon im Geiste auf einem flüchtigen Hengste dem fliehenden Büffel folgen oder im wilden Kampfe einen grimmigen Bären erlegen. Die Dunkelheit hatte sich über das Meer gebreitet und die Nachtluft wurde empfindlich kühl, als Herr Turner die Knaben in ihrer Andacht störte, mit der sie den Erzählungen des Negers lauschten, indem er sie daran mahnte, daß es Zeit sei, sich zur Ruhe zu begeben.

»Onkel, hättest du doch gehört, was uns Daniel erzählt hat!« sagte Karl, als sie in der Kajüte angelangt waren. »Er hat uns die Jagden beschrieben; die Büffel werden zu Pferde gejagt, man sprengt an ihre Seite und schießt sie vom Pferde herab mit Pistolen. Das muß ein Spaß sein!«

»Aber ein sehr gefährlicher Spaß, mein lieber Karl, bei dem man ganz leicht Hals und Beine brechen oder unter den Füßen des Büffels zertreten werden kann,« antwortete Turner lächelnd. »Wo wir uns niederlassen werden, da gießt es keine Büffel mehr.«

»Das ist schade, ich hätte doch einmal gern eine solche Jagd mitgemacht,« bemerkte Karl mit einem Ausdruck vereitelter Hoffnung.

»Nun, wer weiß, ob du nicht einmal eine Reise nach dem Westen machen wirst, das ist ja so weit nicht!« sagte Turner tröstend, und setzte noch hinzu: »Wenn wir erst unsre Farm in Ordnung und ein paar gute Ernten gemacht haben, dann kann man einmal einige Wintermonate daran wenden, um die Länder im Westen zu sehen; es soll dort herrlicher Boden sein.«

»Der beste Boden in ganz Amerika, sagt Daniel,« antwortete Karl rasch begeistert.

»Und Büffel und Bären und wilde Pferde zu Tausenden, nicht wahr?« fiel Turner lachend ein. »Nun, legt euch in Gottes Namen zur Ruhe und träumt meinetwegen, daß ihr auf einem Büffel spazieren reitet.«

Die Nacht verstrich ohne alle Störung, die Schläfer ließen sich durch die wiegende Bewegung des Schiffes in liebliche Träume schaukeln, und am frühen Morgen fanden sie sich wieder heiter und guter Dinge auf dem Verdeck ein. Die Sonne tauchte prächtig und klar aus dem Meere empor, der Himmel wölbte sich wolkenlos und durchsichtig über der wogenden Flut, und der frische Wind füllte die Segel des Goliath mit aller Macht und trieb ihn eilig auf seiner einsamen Bahn dahin. Madame Turner hatte für sich und für Julie Näharbeiten mit auf das Verdeck genommen, um die Zeit nicht müßig zu verbringen, und Turner setzte sich mit einem Buche, welches über Amerika handelte, zu ihnen. Karl aber mit Arnold und Wilhelm hatte das Boot wieder bestiegen, um die See zu überspähen und zu wachen, ob sich nicht wieder die Gelegenheit zu einer Jagd darbieten würde. Daniel fand sich, so oft es seine Zeit erlaubte, bei den Knaben ein und wurde von ihnen dann mit tausend Fragen bestürmt; mit weiteren Erzählungen über sein Leben in der Wildnis aber vertröstete er sie auf den Abend, wo ihn seine Geschäfte nicht dabei unterbrechen würden.

Eine auffallende Ruhe und Stille herrschte auf dem Schiffe. Die Matrosen saßen auf dem unteren Verdeck mit der Ausbesserung von Segeln beschäftigt, oder hingen hier und dort hoch in der Luft in dem Tauwerk der Masten, um kleine Schäden auszubessern, und der Kapitän ging ab und zu, indem er seine Anweisungen bei den Arbeiten gab. Nur von Zeit zu Zeit rief er die Matrosen herbei, um das eine oder andere Segel etwas straffer anzuziehen; denn außerdem gebrauchte das Schiff keine besondere Hilfe: es segelte unverändert während des ganzen Tages in derselben Richtung, und dasselbe Bild, dieselben Erscheinungen umgaben fortwährend das Fahrzeug. Turners schauten zwar oftmals über die See hinaus und folgten mit den Blicken dem Laufe der rollenden Wogen; diese boten aber in ihrer regelmäßigen Bewegung dem Auge durchaus keine Veränderung, und Turner bemerkte dem Kapitän, als derselbe einmal zu ihnen getreten war, daß auf die Dauer eine Seereise doch sehr einförmig, ja langweilig werden müsse.

»Wir wollen hoffen, daß die unsrige in dieser Beziehung recht langweilig bleiben möge; denn die Abwechselungen, die sie uns bieten könnte, sind nicht zu unserm Vorteil. Bei Windstille und glatter, ruhiger See würden wir nicht von der Stelle kommen, und ein Sturm, so schön und interessant die Landbewohner ihn sich auch denken mögen, ist und bleibt ein gefährliches Vergnügen. Wind und Wetter, wie wir es heute haben, ist des Seemanns höchste Lust; dieser Wind würde uns in einigen zwanzig Tagen nach Baltimore bringen.«

»Ich verzichte auch gern auf jede Abwechselung,« bemerkte Madame Turner, »der Himmel mag uns vor Stürmen bewahren!«

»Wir sind jetzt in der günstigen Jahreszeit, wo man sie am wenigsten zu befürchten hat; hoffentlich werden Sie ihre Bekanntschaft gar nicht machen,« erwiderte der Kapitän. Der Tag verlief ruhig und heiter und der Abend wurde von Karl und seinen Gefährten freudig bewillkommnet, denn gleich nach dem Abendessen setzte sich Daniel wieder zu ihnen und erzählte von seinem Leben in der Wildnis.

Am folgenden Morgen fühlten die Passagiere schon in ihren Betten an den heftigen Bewegungen des Schiffes, daß mit der See eine Veränderung vorgegangen sein müsse. Der erste Blick auf das Verdeck machte ihre Vermutung auch wahr: ein sehr heftiger Wind jagte schwere graue Wolken fliegend über die Wogen, welche sich immer höher und gewaltiger erhoben und sich ungestüm gegen die Seiten des Goliath warfen. Die Matrosen waren eifrig beschäftigt, die oberen Segel ganz einzuziehen und die unteren zu verkleinern, alle Arbeiten auf dem Verdeck waren eingestellt, alle Taue, die nach den Segeln hinaufführten, lagen für schnellen Gebrauch zusammengeringelt an der Brüstung hin, und allenthalben auf dem Schiffe war die größte Ordnung hergestellt. Auf die Frage der Madame Turner an den Kapitän, ob er Besorgnis über das Wetter hege, erwiderte er, daß dasselbe weniger günstig zu werden scheine und daß er alle Vorkehrungen treffen müsse, ihm zu begegnen. Der Wind nahm von Stunde zu Stunde an Heftigkeit zu, bis er gegen Abend aus Südwesten in einem Sturm heranzog. Das Düster der einbrechenden Nacht vermehrte das Schauerliche des Bildes, welches die Umgebung des Goliath jetzt darbot. In rollenden Wasserbergen türmte sich die See um ihn auf, donnernd brachen sich die Wogen unter seinem Kiel und warfen, hoch vor ihm aufsteigend, ihren weißen Gischt über das Verdeck hin. Dabei pfiff und stöhnte der Wind in dem rasselnden Tauwerk und drohte die wenigen kleinen Segel, die das Schiff noch trug, zu zerreißen. Der Sprühregen der Wogen, der ununterbrochen über das Verdeck peitschte, hatte die Passagiere von dort verjagt und sie in die Kajüte getrieben. Hier saßen sie bei dem matten Scheine der Ampel, die sich unter der Decke hin und her schwang, mit bangen Herzen beisammen und lauschten dem Brausen und Toben des Sturmes und der Wogen, sowie dem Ächzen und Stöhnen des Schiffes und seiner Masten. Es ging schon auf Mitternacht, als der Kapitän durchnäßt hereintrat, um seinen Rock zu wechseln, und seine Passagiere noch auf fand. Er versicherte ihnen, daß durchaus noch keine Gefahr vorhanden sei, bot alles auf, sie zu beruhigen, und bat sie dringend, sich zu Bett zu begeben, er würde statt ihrer wachen. Turners gaben seinen Vorstellungen nach, verbrachten jedoch eine sehr unruhige Nacht und hießen mit ganzem Herzen das neue Tageslicht willkommen.

Kurz vor der Frühstückszeit rief sie der Kapitän auf das Verdeck, um ihnen die Orkneyinseln zu zeigen, in deren Nähe sich der Goliath jetzt befinde. Turner mußte seine Gattin beim Gehen halten und unterstützen, um das obere Verdeck zu ersteigen; denn das Schiff lag sehr auf der Seite und schwankte gewaltig auf und nieder. Die Wolken hingen in ihrem schnellen Zuge so tief auf das Meer herab, daß man nur von Zeit zu Zeit, wenn sie der Sturm auseinander fegte, einen weiteren Blick von dem Schiffe aus hatte, und eine geraume Zeit waren die Passagiere mit den Augen der Richtung gefolgt, in welcher der Kapitän die Inseln andeutete, ehe sie dieselben erkennen konnten.

In schwarzen, steilen Felsmassen, um welche sich das graue Gewölk rollte, stiegen sie aus der wild tobenden Flut auf, und die Außenlinien ihrer schroffen, zackigen Wände wurden dem Auge bei Annäherung des Fahrzeuges immer deutlicher und schärfer. Bald hatte der Goliath die östlichste Inselgruppe bis auf geringe Entfernung erreicht und stürmte, von Wind und Wogen gejagt, an ihr vorüber. Die See bäumte sich an den nackten schwarzen Felsen und warf ihren weißen Schaum hoch an ihnen empor, während Milliarden von Möwen, Enten, Gänsen und Tauchern ihre Höhen wie weiße Wolken krächzend umschwärmten und sich in großer Zahl auf ihren Spitzen niedergelassen hatten. Weithin erkannte man von Zeit zu Zeit noch mehrere andre dieser kahlen felsigen Inseln, die, jahraus jahrein von der See gepeitscht, dem Zorn der Elemente Trotz bieten und auf denen, abgeschieden von der übrigen Welt, glückliche Menschen wohnen, die diese ihre Heimat lieben und sie gegen keine andre vertauschen möchten. Eilig zog der Goliath an den Inseln vorbei und bald verschwanden dieselben in der schweren grauen Lust, die der Sturm über das Meer hintrieb. Der Wind war ganz westlich geworden und nötigte das Fahrzeug, seine nördliche Richtung beizubehalten. Nur wenige kleine Segel waren noch entfaltet, genug, um das Schiff steuern zu können, und doch schoß es mit fliegender Eile Woge auf, Woge ab dahin, während seine nackten Masten sich weit über die See hinausneigten. Noch am selbigen Abend zog es an den Shetlandinseln vorüber, die ein ähnliches Bild boten wie die Orkneys, und am folgenden Tage kamen die Faröerinseln in Sicht. Der Sturm hatte immer noch nicht an Heftigkeit abgenommen, und immer noch mußte der Kapitän sein Schiff nach Norden steuern lassen, um dasselbe möglichst vor Schaden durch den Wind und durch die furchtbar rollende See zu behüten.

Auch die Faröerinseln blieben zurück, und der Goliath segelte nun in gerader Richtung auf Island zu. Jetzt aber schien der Sturm nachzulassen, er brauste nur noch stoßweise auf, die blauer gefärbten Wogen des Weltmeers dehnten sich länger, nahmen an Höhe ab, und nach und nach gewann die See wieder ein freundlicheres Ansehen. Die Temperatur aber hatte eine bedeutende Veränderung erlitten, es war empfindlich kalt geworden, so daß die Passagiere Tücher und Mäntel umhängen mußten, und eines Morgens, als sie auf das Verdeck kamen, war alles Tau- und Segelwerk bis in die Masten hinauf mit einer Eiskruste überzogen. Am Himmel war kein Wölkchen mehr zu sehen, und als die Sonne ihre Strahlen über das Meer ausbreitete, verschwand das Eis und die Kälte, und ein lauer Wind von Süden erinnerte die Reisenden wieder daran, daß sie sich im Monat Juni befanden. Das Meer hatte sich geglättet, es wogte nur noch wie in langen Atemzügen auf und nieder, und nur hier und dort lief eine weiße Schaumwelle spielend über die glatte glänzende Flut. Dabei füllte der leichte Wind die Segel des Goliath bis in die höchsten Spitzen seiner Masten und trieb ihn fast regungslos auf der endlosen Wasserfläche dahin. Es war Sonntag, und für die Schiffsmannschaft sowohl wie für die Passagiere, nach einer so unfreundlichen, gefahrvollen Zeit, ein wahrer Festtag. Nach einem heißen Dankgebet, welches Turners dem Allmächtigen für seinen Schutz gebracht hatten, eilten sie sämtlich auf das Verdeck, um sich des wunderbar schönen, neu belebenden Morgens zu erfreuen. Der Himmel und die See lächelten ihnen entgegen, die weit umherkreisenden schreienden Möwen schienen ihnen Grüße zuzurufen, und die lustigen Pourpoises spielten und jagten sich über die spiegelnde Fläche. Mit Bedauern sahen die Bewohner des Goliath den Tag seinem Ende nahen, und Turners hatten sich auf dem oberen Verdeck zusammen niedergelassen, um der Sonne bei ihrem Scheiden noch ein dankbares Lebewohl zuzuwinken.

Je mehr dieselbe sich ihrem Flutbette näherte, desto lebendiger färbte sich der Himmel im Westen mit Gold und Purpur, und als sie, eine durchsichtig glühende Scheibe, über dem Rande des Meeres stand und ihr blitzender, funkelnder Schein wie ein Weg von Brillanten bis zum Schiffe über die leicht gekräuselte Flut tanzte, hatte sich der Himmel über ihr in ein Feuermeer verwandelt.

An der andern Seite des Oceans aber, im Osten, stieg in diesem Augenblicke der Mond silberhell über der dunklen Meeresfläche auf, hauchte sein bleiches Perlenlicht über sich am Himmel empor und sandte seinen hellglänzenden Schein wie ein zitterndes Atlasband über die Wellen bis zum Goliath hin. Zugleich wurden die erstaunten bewundernden Blicke der Passagiere nach dem Norden hingezogen; denn dort erschien ein drittes Licht am Firmament, welches sich in zarten, rosenroten Strahlen aus dem Meere erhob, bis zu der Mitte des Himmelsgewölbes hinaufschoß und sich zugleich bis zu dem Schiffe her auf der Flut spiegelte. Es war das Nordlicht, die Aurora borealis, welches, wie in raschen Pulsschlägen, von Sekunde zu Sekunde an Kraft und Farbenpracht zunahm, bis es in ein leuchtendes Karmin überging und sich zu seinen Seiten mit dem Feuermeer über der sinkenden Sonne und mit dem Perlenlichte des Mondes vereinigte. Die Sonne schied zuerst aus diesem zauberischen dreifachen Lichtbunde, sie sank, wie das sich schließende Auge des Tages, in das Meer, auf dessen zitternder Fläche nur noch der Widerschein des Himmels spielte; das Nordlicht verblich nach und nach, wie mit ermattendem Hauche stiegen seine Strahlen schwächer und schwächer empor, und der Mond zog triumphierend am Himmel auf und breitete als Herrscher der Nacht seinen Atlasschein über die endlose Flut.

Lange noch saßen die Passagiere in tiefer, stummer Bewunderung versunken auf dem Verdeck und hielten das entschwundene Zauberbild vor ihrem geistigen Auge gefesselt.

»Ach, wie schön ist das Meer, wie prächtig, wie furchtbar groß in seinem Zorne, wie lieblich, wie bezaubernd in seiner Ruhe!« rief Madame Turner tiefbewegt aus, als der Kapitän zu ihr trat, der mit einem gewissen Stolze die Verehrung bemerkte, welche die Familie seiner Heimat, der See, zollte.

»Es muß wohl schön sein; denn was sonst zieht den Seefahrer mit so unwiderstehlicher Gewalt immer wieder auf seine blauen Wogen hinaus, um zuletzt unter ihnen sein großes Grab zu finden – wo bleiben die Matrosen alle – wie selten stirbt ein alter Seemann auf dem Lande, und wie noch viel seltener begegnet man dort einem solchen, der sich Reichtümer erworben hat? Das Meer ist eine schönere Heimat als das Land!« sagte der Kapitän, und schaute mit Wohlgefallen über die im Mondlicht glänzende Meeresfläche.

Am folgenden Morgen fanden die Passagiere das Schiff auf seiner andern Seite liegend durch die See gleiten, denn der Wind war in der Nacht herumgegangen und blies jetzt frisch von Nordost her in die Segel. Das herrlichste Wetter begleitete den Goliath nun während einiger Wochen, und kaum wurde es einmal nötig, die Segel anders zu stellen.

Zufrieden und beglückt durch den Gedanken, für das Wohl ihrer Kinder ein ruhiges, gefahrloses Leben in dem Vaterlande geopfert zu haben und sich den Gefahren der See, sowie denen in einem fremden Lande und unter fremden Menschen preiszugeben, schwanden Turner und seiner Gattin die Tage angenehm und rasch, und die frohe Hoffnung, nun bald das Ziel ihrer Reise zu erreichen, und ihren Fuß auf die Erde ihrer neu erwählten Heimat zu setzen, wurde täglich lebendiger in ihrer Brust. Die Kinder aber, denen der Ernst der verhüllten Zukunft noch keine Sorgen machte, zählten keine Stunden, keine Tage; sie sehnten nur an jedem neuen Morgen den Abend herbei, wo ihr Freund Daniel sich zu ihnen setzen und ihnen aus seiner Jugendzeit erzählen würde. Ehe dann die Knaben sich zur Ruhe begaben, teilten sie den Eltern gewöhnlich Bruchstücke aus den Erzählungen des Negers mit, so daß Turner zuletzt selbst neugierig wurde und einige Fragen an den Schwarzen zu stellen beschloß. An einem stillen Abend, als Daniel wieder seine jungen Zuhörer um sich versammelt hatte, trat Turner wie zufällig heran und ließ sich mit den Worten bei ihnen nieder:

»Nun, Daniel, ich muß doch auch einmal etwas über dein früheres Leben hören; du bist ja unter den Indianern aufgewachsen.«

»Jawohl, Herr, meine Eltern waren Sklaven unter einem der Indianerstämme, welche die fernen westlichen Länder Amerikas jahraus jahrein durchwandern und, dem Büffel folgend, im Frühling nach Norden und im Herbst wieder nach Süden ziehen. Sie leben ausschließlich von der Jagd und führen große Herden von Pferden und Maultieren mit sich, für welche sie stets die besten Weiden aufsuchen,« entgegnete der Neger.

»Dann hast du Gelegenheit gehabt, die verschiedenen Länder Amerikas zu sehen und miteinander zu vergleichen; wo sind denn, deiner Ansicht nach, die besten für einen Farmer zu finden?«

»Jedenfalls im Südwesten, denn dort sind die reichsten, immergrünen Weiden, wo das Vieh Winter und Sommer im Freien gehen kann, stets reichliche Nahrung findet und seinem Eigentümer weder Geld noch Mühe kostet. Wer dort eine Neigung zur Viehzucht besitzt, muß durch sie zum reichen Manne werden. Im Norden, wo im Winter monatelang Schnee liegt und der Frost das Gras tötet, kann der Farmer nur so viel Vieh halten, wie er im Winter in dem Stalle zu ernähren vermag. Dort ist er mehr auf den Ackerbau angewiesen, und auch damit steht der Norden gegen den Süden sehr zurück, wo man während des ganzen Jahres säen und ernten kann.«

»Das ist einleuchtend; aber im Süden ist es sehr ungesund und ein weißer Mann kann die Arbeit nicht lange aushalten.«

»Darum nannte ich den Südwesten,« entgegnete Daniel; »dort ist es gesund, in den offenen, waldlosen Prairien kann die Luft sich frei bewegen, und es giebt keine stehenden verdorbenen Gewässer, keine Sümpfe, wie in den südöstlichen Staaten.«

»Jene westlichen Länder aber sind noch im Besitze der Wilden und ein Ansiedler ist dort großen Gefahren ausgesetzt,« nahm Turner wieder das Wort. »Bist du denn einmal in Baltimore gewesen und kennst du das Land an den Ufern der Chesapeakebai?«

»Ich habe über ein Jahr dort auf einer Farm gearbeitet. Es ist ein herrlicher, reicher Landstrich, wenngleich auch dort der oft sehr strenge Winter die Viehzucht beschränkt. Auch herrschen im Herbste an den Ufern der Bai die Fieber, wenn sie auch nicht so bösartig sind, wie weiter im Süden.«

»Du hast also auf einer Farm gearbeitet? – was hast du denn dort gethan?«

»Nun, alles, was dem Farmer zu thun obliegt. Ich hatte mich bei einer Witwe vermietet und besorgte mit noch einem Neger, dem Sklaven der Frau, die ganze kleine Wirtschaft; ich pflügte, säete, pflanzte, machte Einzäunungen und brachte die Ernte ein. Wir bauten Mais und Tabak und verdienten der Witwe vieles Geld,« sagte der Schwarze.

»Was kostet denn dort das Land?« fragte Turner.

»Das ist sehr verschieden; schlechtes Land kauft man für zehn Dollars und ganz gutes für hundert Dollars.«

»Also doch so hoch wird es dort bezahlt? Man schrieb mir, daß man das beste Land für zehn Dollars kaufen könne,« fiel Turner überrascht ein.

»Ja, ja, in Amerika redet ein jeder in seinem eignen Interesse. Wer Ihnen das geschrieben hat, wird auch wohl seinen Vorteil dabei im Auge gehabt haben.«

»Doch nicht, es war mein eigner Vetter, der es mir schrieb,« antwortete Turner, halb in Gedanken versunken, und setzte dann schnell hinzu: »Aber im Westen dort ist das Land noch billig?«

»Regierungsland kostet zwei und einen halben Dollar, gut oder schlecht, wie man sich es wählen will. Doch in der Nähe der Ansiedelungen ist alles gute Land schon von Spekulanten angekauft, man muß also weiter hinaus in das Territorium der Indianer gehen. Man kauft aber auch zwischen den Ansiedelungen bestes Land zu vier bis zehn Dollars den Acker,« versetzte der Neger.

»Der Unterschied wäre also doch sehr bedeutend,« bemerkte Turner und sagte, indem er aufstand: »Ich habe dich aber in deiner Unterhaltung mit den Knaben unterbrochen, nun erzähle ihnen noch von den Jagden, denen du in jenen schönen Ländern gefolgt bist. Wäre nicht mein künftiger Wohnort schon bestimmt, wahrhaftig, ich hätte selbst Lust, dort einen Versuch zu machen.«

»Der Sie auf die Dauer wahrscheinlich mehr befriedigen würde als in den alten östlichen Staaten,« bemerkte der Schwarze noch, als Turner zu seiner Gattin und Tochter zurückging.

Einige Tage später änderte sich die Temperatur auffallend schnell, es wurde kühl und immer kälter, so daß die Passagiere abermals ihre Mäntel hervorsuchten. Obgleich sich der Kapitän nicht darüber äußerte, so zeigten doch die verschiedenen Anstalten, die auf dem Schiffe gemacht wurden, daß er irgend etwas befürchtete. Die Segel wurden trotz dem nicht heftigen Winde bis auf sehr wenige eingezogen, so daß das Schiff ungewöhnlich langsam durch das Wasser strich; es wurden zwei Matrosen auf die spitzen Masten des Goliath gesandt, um fortwährend die See zu überspähen, und mehrere Male stieg der Kapitän selbst in den Mastkorb hinauf. Gegen Mittag zog ein immer dichter werdender Nebel von Norden her über das Meer und hüllte bald das Schiff so sehr ein, daß man kaum mehr von einem Ende desselben bis zum andern sehen konnte. Dabei nahm die Kälte immer noch zu und, wie es schien, in gleichem Maße die Besorgnis des Kapitäns. Turner fragte ihn um die Ursache dieses Nebels, worauf Bosse ihm ausweichend erwiderte, daß das Schiff sich auf der Bank von Neufundland befinde, wo solche Nebel sehr häufig einträten. Der Mittag verstrich ohne die mindeste Änderung in der Luft, nur auf dem Schiffe wurde die Vorsicht verdoppelt, und sehr oft sahen die Passagiere, daß der Kapitän ein Thermometer in die See hinabließ und dasselbe beim Herausheben aufmerksam betrachtete. Die Dämmerung nahm rasch zu, als Daniel zum Abendessen rief. Die Passagiere ließen sich stets durch den Kapitän zu den Mahlzeiten geleiten, diesmal aber bat derselbe, nur vorauszugehen, er würde nachfolgen. Erst nachdem Turners ihr Abendessen bereits beendigt hatten, erschien Bosse, und zwar in großer Eile, um sich bald wieder auf das Verdeck zu begeben. Turner wandte sich abermals an ihn, um die Ursache seiner augenscheinlichen Besorgnis zu erfahren, doch wich er wieder wie früher einer erklärenden Antwort aus. Daniel hatte dem Kapitän Thee eingeschenkt und derselbe hob die Tasse an seinen Mund, als ein furchtbarer Stoß und ein Krach das Schiff erschütterte, wie wenn es in Trümmer zerschlagen sei.

»Eis, Eis, Gott sei uns gnädig!« schrie der Kapitän, und stürzte mit den Passagieren, den Stühlen und allem, was auf dem Tische stand, bis an die hintere Wand der Kajüte, denn deren Eingang hatte sich so sehr emporgehoben, daß es kaum möglich war, ihn zu erklimmen. Das Zetergeschrei, womit sich Madame Turner und die Kinder umklammerten, wurde von den Angstrufen, die auf dem Verdeck erschallten, übertönt, und donnernd und krachend hörte man Fässer, Kisten und Ballen über das Schiff poltern.

Kapitän Bosse war der erste, dem es gelang, die Kajüte zu verlassen, und mit größter Anstrengung und durch die Hilfe des herbeieilenden Daniel erreichten denn auch Turners das Verdeck.

Ein schrecklicher, entsetzlicher Anblick bot sich hier ihren Augen dar. Das Schiff stand, wie ein sich bäumendes Roß, mit der Spitze hoch gegen den Himmel erhoben, und etwas seitwärts vor ihm blickte man gegen die glänzende Riesengestalt eines vierzig Fuß hohen, ungeheuren Eisberges. Unbeweglich, wie festgemauert stand der Goliath, sein Vorderteil aus dem Wasser erhoben, auf dem Eise, während sein Ende bis an die Kajütenfenster von der See bespült wurde. So trieb er langsam mit der kolossalen Eismasse auf den Wogen hin.

Die Verwirrung, die Bestürzung, die Verzweiflung unter der Mannschaft und den Passagieren war grenzenlos, alle rannten, soweit es das abschüssige Verdeck zuließ, wild durcheinander hin; man schrie, weinte, betete, und glaubte jeden Augenblick, der Goliath würde in Stücken auseinander brechen; er aber rührte sich nicht und hatte das Aussehen, als sei er es, der den Eisberg besiegt habe.

Turners lagen vor der vorderen Wand der Kajüte zusammengekauert und hielten sich umklammert, als wollten sie sich selbst im Tode nicht trennen. Die erste Viertelstunde war die entsetzlichste, dann gab die Verzweiflung schon einem Hoffnungsgedanken Raum, und bald fing man an, die Lage zu prüfen und zu bereden. Der Kapitän war der Gefaßteste und Ruhigste auf dem Schiffe; er ließ die Luken öffnen und stieg selbst in die unteren Räume, um zu untersuchen, ob die Wände des Goliath Schaden gelitten hätten. Nirgends aber zeigte sich eine Spur von einer Beschädigung. Mit hoffender Zuversicht trat er tröstend zu Turners und versicherte ihnen, er hege die feste Überzeugung, daß das Fahrzeug ohne Gefahr von dem Eise loskommen werde.

»Wir haben wenigstens auf drei Monate Lebensmittel an Bord,« sagte er, »und in wenigen Tagen treiben wir in den Golfstrom hinein, in dessen warmem Wasser das Eis sehr schnell unter dem Schiffe schmelzen wird. Nur ein Sturm könnte uns jetzt gefährlich werden; in dieser Jahreszeit aber und in diesem Breitengrade haben wir solchen nicht zu befürchten.«

Unter Bangen und Zagen verstrich die Nacht, das leiseste Knarren in den Fugen des Fahrzeuges schreckte die Bewohner desselben auf und klang wie Todesruf in ihren Ohren. Dabei nahm die Kälte so zu, daß alle Mäntel und Decken nicht hinreichten, sich zu wärmen, und mit ängstlichem Sehnen wurde der Morgen erwartet. Bei Anbruch des Tages verstärkte sich der Wind, und da der Eisberg sich so gedreht hatte, daß das Schiff mit der Spitze dem Luftstrom entgegenstand, so ließ der Kapitän Segel aufziehen, in der Hoffnung, daß dieselben den Goliath von dem Eise zurückdrängen würden. Wohl füllten sie sich kräftig und beugten die Masten und Segelstangen zurück, aber das Fahrzeug rührte sich nicht. Da kam dem Kapitän der Gedanke, ob er nicht mit Hilfe der Anker das Schiff in Bewegung setzen könnte; der größte wurde in ein Boot hinabgelassen, die Kette desselben von der Spitze des Schiffes unter dessen Bauch hingezogen, und einige zwanzig Schritte hinter dem Ende des Fahrzeuges ward der schwere Anker in die See hinabgeworfen. Er sank tief im Wasser über den äußersten Rand des Eisberges, und nun ließ der Kapitän die mächtige Winde in Bewegung setzen, um die Ankerkette anzuziehen. Es fragte sich, ob der Anker beim Aufwinden den Eisrand unter dem Wasser erfaßte, dann war Hoffnung vorhanden, daß er das Schiff zu sich zurückziehen könne. Die Winde drehte sich geraume Zeit, plötzlich aber stand sie still, denn der Anker saß fest. Mit vereinten Kräften legten sich jetzt alle Matrosen gegen die Winde, es waren noch mehrere Segel aufgezogen, die Masten beugten sich und ächzten, die Ankerketten knarrten, das Schiff wankte, es neigte sich zur Seite, noch einen Ruck – und rauschend glitt es in die See zurück. Ein jauchzendes, jubelndes »Gott sei gelobt!« schallte von allen Seiten über das Verdeck, denn der Goliath schaukelte sich wieder leicht auf den Wogen und der Eisberg zog an ihm vorüber. Der Anker wurde nun aufgezogen, das Schiff vor den Wind gebracht, und bald steuerte es abermals ruhig seinem Ziele zu. Von jetzt an sollten die Reisenden am Bord des Goliath das Meer nur noch in seiner freundlichsten Laune sehen; die Wogen trugen sie spielend dahin, die Sonne, von ihrem Auftauchen aus dem Ocean bis zu ihrem Herabsinken, verbarg sich nicht mehr vor ihren Blicken, und nach Verlauf von einigen Wochen färbte sich die See plötzlich grün, das sichere Zeichen, daß das Land nicht mehr fern sei. Mit lauten Freudenrufen wurde bald darauf die Küste Amerikas begrüßt, und mit frisch gefüllten Segeln zog der Goliath stolz in die Chesapeakebai ein.

Wie strahlten die Blicke der Familie Turner nach den Ufern dieses wunderbar schönen Gewässers hinüber, wie hingen sie freudig an jedem Farmhause, an jeder Hütte, die friedlich und anmutig unter hohen Baummassen hervorsah; – sollte doch auf diesem Ufer auch ihre neue Heimat gegründet werden! – Noch eine Nacht mußten sie auf dem Goliath zubringen, morgen aber hofften sie die amerikanische Erde zu betreten. Nur wenige Stunden während dieser Nacht gaben sich die Passagiere der Ruhe hin, denn das Mondlicht beleuchtete die Küste der sich immer mehr verengenden Bai mit Tageshelle, so daß die Blicke der Einwanderer immer noch von dort angezogen wurden, und die Hunderte von großen und kleinen Schiffen, welche mit ihren weißen, aufgeblähten Segeln an ihnen vorüber schaukelten und nickten, fesselten sie bis spät in die Nacht hinein auf dem Verdeck. Kaum aber graute der Tag, als sie sämtlich aus der Kajüte hervoreilten, um ihre Augen wieder an den schönen Ufern zu werden und jeder Farm im Vorübersegeln Grüße zuzusenden; denn der Vetter Viktor wohnte ja unmittelbar an der Bai und war ja schon lange im Besitze der Nachricht, daß sie mit dem Goliath reisen würden. Der Name des Schiffes war mit großen schwarzen Buchstaben an dessen Spitze geschrieben, so daß der Vetter mit Hilfe eines Fernglases denselben lesen konnte – vielleicht eilte er dann sofort nach Baltimore, um seine lieben erwarteten Verwandten bei ihrer Ankunft daselbst zu empfangen. Die Sonne neigte sich schon, als die Türme und Kuppeln dieser Stadt aus der blauen Ferne hervortraten, und die Abenddämmerung strich über die Erde, als der Goliath die Landspitze erreichte, von welcher aus Baltimore sich bis auf die ferneren Höhen ausdehnt. Hier, an der Point, wie man diesen äußersten Teil der Stadt nannte, legten alle aus See kommenden großen Schiffe an, und bald war der Goliath an einem Werfte befestigt und aller seiner Segel beraubt.

Mit einem stummen, aus tiefstem Herzen kommenden Dankgebet zum Himmel traten Turner und seine Gattin mit den Kindern an das Land, um nun sogleich einen Brief an den Vetter Viktor der Post zu übergeben, damit dieser, von ihrer glücklichen Ankunft benachrichtigt, sobald als möglich in ihre Arme eilen möchte. Daniel, der in der Stadt bekannt war, mußte sie begleiten, und Kapitän Bosse versprach, mit dem Abendessen auf ihre Rückkehr zu warten, denn es war zu spät geworden, um noch nach einem Gasthause übersiedeln zu können. Daniel riet Turner, einen Wagen zu nehmen, da man eine halbe Stunde gebrauche, um nach der eigentlichen Stadt zu gehen, und weil ihm und den Seinigen nach so langer entbehrter Bewegung der Weg sauer werden würde. Turner folgte dem Rate des Negers weniger aus Besorgnis vor dem weiten Spaziergang, als weil er den Kapitän nicht zu lange mit dem Abendessen auf sich warten lassen wollte. An der nächsten Straßenecke, wo viele Mietwagen hielten, wurde ein solcher bestiegen, Daniel setzte sich zu dem schwarzen Kutscher auf den Bock, und im Galopp jagten die Pferde mit dem leichten Fuhrwerk dahin. Die hohen, prächtigen Gebäude, die Kirchen mit ihren Kuppeln und Türmen, die Monumente und die wogenden Menschenmassen auf den Trottoirs, alles von dem hellen Lichte des Mondes beschienen, machten einen überraschenden, einnehmenden Eindruck auf die Ankömmlinge, und der Gedanke, in der Nähe einer so schönen, belebten Stadt zu wohnen, that ihnen wohl. Die Post wurde bald erreicht, der Brief abgegeben und ohne Aufenthalt lenkte der Kutscher die Pferde nach der Point zurück. Frühzeitig am folgenden Morgen verließen die Passagiere nun das Schiff und dessen freundlichen Führer und bezogen ein Gasthaus zweiten Ranges ganz in der Nähe des Werftes, wo der Goliath lag. Kapitän Bosse, der mit dem Wirt des Hauses schon seit Jahren bekannt war, führte Turners bei ihm ein, und schnell hatten sie sich dort wohnlich eingerichtet.

Turner stattete nun dem Kaufmann, auf welchen seine Wechsel ausgestellt waren, einen Besuch ab, um das Geld dafür in Empfang zu nehmen. Man gab ihm für den Betrag Anweisungen auf zwei verschiedene Banken, welche er in denselben vorzeigte und wogegen ihm die Summen zur Verfügung gestellt wurden. Turner empfing von der einen Bank den ganzen Betrag der Anweisung mit viertausend Dollars in Gold, in der andern Bank aber ließ er das Geld, welches nicht ganz dreitausend Dollars betrug, stehen, um nicht sein ganzes Vermögen einem etwaigen Diebstahl auszusetzen.

»Es ist besser,« sagte er zu seiner Gattin, »wenn wir nur einen Teil unsres Geldes bei uns im Hause haben; in der Bank kann es uns nicht gestohlen werden.«

Der dritte und vierte Tag verstrich, ohne daß der Vetter Viktor selbst oder nur eine Antwort von ihm erschienen wäre; denn Turner ging morgens und abends nach der Post und erkundigte sich nach Briefen. Dies Schweigen war ihm und den Seinigen recht unangenehm, wenn es auch in keiner Weise Besorgnis erregte, denn die unregelmäßige, schlechte Postverbindung im Lande seitwärts von den großen Straßen machte es erklärlich. Als aber auch der fünfte Tag verfloß, ohne daß ein Lebenszeichen von dem Vetter eingetroffen war, entschloß sich Turner, selbst zu ihm hinzureisen und ihn zu überraschen.

Der Wirt des Gasthauses, dem Turner den Wohnort seines Vetters bezeichnete, riet ihm, einen Wagen zu mieten und sich hinfahren zu lassen, wenn die Reise auch zu Schiff in kürzerer Zeit gemacht werden könne. In einem Segelboot sei er mehr von Wind und Wetter abhängig und habe weniger Bequemlichkeit, während die Kosten ziemlich gleiche wären. Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch trat Turner die Reise an und nahm Karl Scharnhorst mit sich, um nicht ganz allein zu fahren und weil er selbst weniger gut englisch sprach als der Knabe, der sich viel bei Daniel darin geübt hatte. Es war ein herrlicher, heiterer Morgen, die Sonne verscheuchte bald den Nebel, der sich von der Bai aus weit über das Land gelegt hatte, und freudigen, mutigen, thatkräftigen Herzens begrüßte Turner die waldige Höhe, über welche die rohe Straße führte. Bunte, in goldigem Sonnenschein glänzende Vögel schwirrten durch den frischen, grünen Wald oder sangen ihr Morgenlied auf den himmelhohen Bäumen, graue und schwarze Eichkätzchen huschten über den Weg und jagten sich spielend an den Baumstämmen hinauf, und zu Karls großer Freude schwang sich ein mächtiger, weißköpfiger Adler in nicht großer Entfernung von dem vorüberfahrenden Wagen auf eine Eiche. Karl rief dem Kutscher zu, anzuhalten, sprang mit seiner Büchse in der Hand aus dem Wagen und eilte der Höhe zu, auf welcher die Eiche stand. In diesem Augenblicke erhob über der nahen Bai, auf welche Karl von hier aus einen Blick hatte, ein Fischadler ein lautes Geschrei, schoß, die Flügel an sich drückend, pfeilschnell nach dem Wasserspiegel hinunter, verschwand einen Augenblick unter demselben und stieg dann, mit einem großen Fisch in den Krallen, wieder aus der Flut empor. Kaum aber hatte er sich mit seinem Fang erhoben, als der Adler von der Eiche herabschoß und mit Blitzesschnelle auf ihn Jagd machte. Der Fischadler stieg schreiend gerade gegen den Himmel auf, der weißköpfige aber folgte ihm mit gewaltigem Flügelschlage, bis plötzlich sein fliegender Gegner den Fisch fallen ließ und er denselben noch einholte und ergriff, ehe er das Wasser erreichte. Nun zog der mächtige Vogel mit seiner Beute nach der Eiche zurück, um sie dort zu verzehren. Karl hatte, hinter Baumstämmen verborgen, der Jagd zugesehen und sich nun vorsichtig bis auf Schußweite dem Räuber genähert, der schon emsig beschäftigt war, den Fisch zu verspeisen. Die Büchse knallte und der Adler, von der Kugel in die Brust getroffen, stürzte tot mit dem Fische auf die Erde herab. Im Triumph trug Karl beide zum Wagen hin und erzählte nun seinem Onkel in größter Freude den Hergang der Jagd.

»Das ist der Lauf der Welt, Karl; der Mächtigere unterdrückt und beraubt den Schwächeren,« sagte Turner lächelnd zu dem Knaben.

»Aber Onkel, ich habe ja nur den Räuber bestraft,« entgegnete Karl halb verlegen.

»Das heißt, weil es dir überhaupt Spaß machte, den Vogel zu erlegen,« antwortete Turner scherzend. »Du hast ihn übrigens gut getroffen, und du schießest schon sehr sicher mit der Büchse.«

»Sie ist ja auch ein Geschenk von dir, lieber, guter Onkel, da muß ich ihr doch Ehre machen,« entgegnete Karl, indem er Turners Hand ergriff und sie zärtlich drückte.

Der Weg bot während des ganzen Tages die reizendste Abwechselung: bald führte er durch weite, üppige Grasflächen, auf denen prächtiges Vieh in großen Herden weidete, bald zog er sich durch reiche Mais- und Tabaksfelder und an lieblichen Pflanzerwohnungen vorüber, bald wurde er von hohem Urwald überschattet, der sich wie ein Laubgewölbe über ihm schloß und nur hier und dort einzelnen Sonnenstrahlen gestattete, den mit riesigen Kräutern bedeckten Boden zu erreichen, und bald wieder streckte er sich über kahle Höhen, von wo man auf die grüne Flut der Bai hinabschaute, auf welcher sich unzählige große und kleine Schiffe unter ihren weißen Segeln wiegten. Je näher Turner dem Ziele seiner Reise kam, um so stärker wurde das Verlangen nach dem Augenblicke, wo er dem Vetter in die Arme eilen würde, und wieder und wieder fragte er den Kutscher, wie lange er noch zu fahren habe. Endlich, als die Sonne sich schon neigte, deutete der Fuhrmann nach einem seitwärts von der Straße an dem Ufer der Bai gelegenen Gehöft und bezeichnete dasselbe als die ersehnte Farm. Kaum eine Viertelstunde war nötig, dieselbe zu erreichen, und mit hochschlagendem Herzen sprang Turner aus dem Wagen und eilte durch den kleinen, verwahrlosten Garten dem Hause zu. Seine Blicke schweiften nach allen Richtungen vor sich, um den Vetter zu erspähen, als ein Mann in Hemdsärmeln aus der Hausthür unter der Veranda trat und die Ankommenden verwundert betrachtete. Turner näherte sich ihm, begrüßte ihn freundlich und fragte ihn in gebrochenem Englisch, ob Herr Viktor Turner hier wohne und ob er zu Hause sei.

»Herr Viktor Turner ist tot, er ist vor zwei Monaten am Fieber gestorben; ich habe seiner Witwe diese Farm abgekauft und sie ist, soviel ich weiß, über New York nach Deutschland zurückgekehrt,« antwortete der Fremde mit gleichgültigem Tone, und setzte dann noch hinzu: »Wollen Sie nicht näher treten, Herr?«

Turner stand wie vom Blitze getroffen und starrte den Fremden an, als forsche er, ob er wohl recht gehört habe.

»Mein Vetter tot?« rief er dann plötzlich, die Hände zusammenschlagend, aus, »es ist wohl nicht möglich!«

»Aber wahr, er ist tot und begraben, dort unter jenem Ahorn liegt er, wohin er vor seinem Ende noch bestimmte, beerdigt zu werden,« erwiderte der Fremde, nahm die Schöpfkelle aus dem Eimer mit Trinkwasser neben der Thür und reichte sie Turner mit den Worten hin: »Wollen sie nicht einen frischen Trunk zu sich nehmen, Herr?«

Turner, ohne Antwort zu geben, sank, von Schreck und Schmerz überwältigt, auf eine Bank nieder, bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, während sich Karl weinend an ihn schmiegte und den Arm um seinen Nacken schlang. Nach einigen Minuten jedoch sammelte sich Turner wieder und fragte den jetzigen Herrn der Farm, ob ein Wirtshaus in der Nähe sei, wo er die Nacht zubringen könne.

»Trinkhäuser giebt es viele an der Straße, aber keine Wirtshäuser; das nächste ist zehn Meilen von hier entfernt. Wollen Sie jedoch bei mir bleiben, so sind Sie willkommen. Sie müssen vorlieb nehmen, ich habe noch keine Frau,« sagte der Farmer, und rief dann dem Kutscher zu, er solle die Pferde ausspannen und nach dem Stalle bringen.

Turner nahm notgedrungen das Anerbieten an, verbrachte aber eine schreckliche Nacht unter dem Dache, unter welchem er Rat, Hilfe und Liebe für sich und die Seinigen zu finden gehofft hatte. Jetzt stand er allein, verlassen und ohne alle Freunde auf dieser fremden Erde; wo und wie sollte er nun eine Heimat suchen und finden? Trostlos trat er am folgenden Morgen seine Rückreise nach Baltimore an und näherte sich bei Sonnenuntergang der Stadt mit einer tiefen Wehmut im Herzen, denn er sollte nun auch den Seinigen die glückliche, sorgenlose Ruhe nehmen und ihnen die Schreckenskunde überbringen.

»Großer Gott, Max, allein?« sagte Madame Turner zu ihm, als er aus dem Wagen stieg und sie den Ernst auf seinen Zügen las.

Turner schlang liebevoll seinen Arm um die Gattin und führte sie schweigend nach ihrem Zimmer. Dort teilte er ihr nun die schwere Trauerbotschaft mit, unter der auch sie im ersten Augenblick erlag. Sie wurde bleich, sie bebte und warf sich weinend an ihres Gatten Brust, doch bald ermannte sie sich wieder in dem Gedanken an den Allmächtigen, der ihnen immer so gnädig in der Not beigestanden und sie noch kürzlich auf der See vom nahen Untergange gerettet hatte. Beide sprachen einander Trost ein, beide sahen unbedingt und unerschütterlich nur ihr Bestes in allem, was Gott über sie verfüge, und sie beschlossen, vorsichtig, aber ohne Zagen den Weg zu verfolgen, den sie für das Wohl der Kinder eingeschlagen hatten. Turner wollte sich nicht mit Ankauf einer Farm übereilen, er wollte sich mit Ruhe nach einer solchen umsehen, und namentlich bei der Wahl derselben darauf bedacht sein, daß sie in einer gesunden Gegend läge. Sein Hauswirt sprach ihm auch Mut ein, derselbe war fast mit allen Farmern, die unweit der Bai wohnten, bekannt, da dieselben gewöhnlich zu Schiff ihre Produkte nach der Stadt führten und dann bei ihm abstiegen. Turner besaß noch ungefähr siebentausend Dollars bares Geld, und der Wirt hatte ihm schon von vielen hübschen, sehr einträglichen Farmen erzählt, die mit allem Zubehör für weniger angekauft waren. Bis zum Herbst hatte er ja Zeit, sich umzusehen, und da er sehr billig wohnte, so machte ihm der verzögerte Aufenthalt im Gasthofe auch keine Sorgen. Schon nach wenigen Tagen stiegen einige Farmer aus dem Lande in dem Gasthause ab; der Wirt machte Turner mit ihnen bekannt, und sie luden ihn freundlich ein, mit ihnen nach Hause zu segeln, da sie ihm in ihrer Gegend verschiedene Pflanzungen zeigen könnten, die käuflich wären. Turner nahm den Vorschlag an, blieb über eine Woche von der Stadt entfernt und kehrte sehr befriedigt zurück, wenn er sich auch noch nicht zum Kauf entschlossen, sondern vorher noch andere Ländereien in Augenschein nehmen wollte. Er machte dann mehrere kleine Reisen zu gleichem Zwecke landeinwärts, weil ihm gesagt wurde, daß dort weniger Fieber herrschten als an den Ufern der Bai, und seine Zufriedenheit mit dem Lande wuchs von Tag zu Tag. Kapitän Bosse, der mit Einnehmen einer neuen Ladung nach Europa beschäftigt war, suchte Turners häufig in den Abendstunden auf und freute sich stets, wenn er hörte, daß es ihnen in ihrer neuen Heimat gefalle.

Eines Morgens saß Turner mit dem Wirte auf der Bank vor der Thür des Gasthauses und unterhielt sich mit ihm über die Vorzüge und Nachteile einer Farm, die ihm ganz in der Nähe der Stadt angeboten war. Wohl über eine Stunde hatten sie hier geplaudert und kaum bemerkt, daß die Straße mehr als gewöhnlich von Fußgängern belebt war, die dem oberen Teile der Stadt zueilten. Jetzt aber kam ein Trupp junger Männer bei ihnen vorüber, von denen einer dem Wirt zurief, daß eine Bank ihre Zahlungen eingestellt habe und mit Ungestüm von dem Volke bedrängt werde. Turner, der es nicht deutlich verstanden hatte, ließ sich die Aussage durch den Wirt erklären, und hörte nun zu seinem furchtbaren Entsetzen, daß es gerade die Bank sei, in welcher er sein Geld stehen habe. Mit bebenden Lippen teilte er dies nun dem Wirte mit und beschwor ihn, sich seiner anzunehmen und ihm behilflich zu sein, um sein Eigentum zu retten. Der Wirt war sogleich bereit, ihn zu begleiten; sie bestiegen ohne Aufenthalt einen Wagen und eilten der Stadt zu. Je weiter sie fuhren, um so belebter fanden sie die Straßen, und bald wurde das Gedränge so groß, daß der Wagen nicht mehr weiter fahren konnte. Turner und der Wirt stiegen aus und erreichten bald darauf das geschlossene Bankgebäude, vor welchem sich Tausende von Menschen versammelt hatten.

»An wen kann ich mich denn wohl wenden, um wenigstens einen Teil meines bar eingelegten Geldes wieder zu bekommen?« fragte Turner in seinem Schrecken den Wirt.

»Ja, bester Herr, es thut mir leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber ich würde Ihnen keinen Dollar für Ihre ganze Forderung geben. Wie ich höre, so hat die Bank ungeheure Summen in Papiergeld ausgegeben, der Präsident derselben und der Kassierer sind mit der Barschaft durchgegangen und es wird niemand einen Cent herausbekommen. Fügen Sie sich in Ihr Schicksal, es ist nichts daran zu ändern. Hätten Sie mich um meinen Rat gefragt, ich würde Sie davor gewarnt haben, das Geld in dieser Bank stehen zu lassen.«

Mit diesen Trostworten ergriff der Wirt den Arm Turners und zog ihn mit sich fort aus dem Gedränge, um ihn von dem Orte zu entfernen, der ihm beinahe die Hälfte seines Vermögens kostete.


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